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Zweites Kapitel.
Der Diplomat.


Nicht sehr weit, nicht eine halbe Tagereise von dem Gute entfernt, auf welchem die im vorigen Abschnitt erzählten Ereignisse vorfielen, lag die Hauptstadt der Provinz. Am Morgen nach dem Abende, an welchem Martin und Gertrude ihr einziges Kind geraubt wähnten, waren in dieser Stadt mehrere blauäugige, blondhaarige und blühende junge Männer mit großen Bärten versammelt. Sie standen in einem von der Straße durch ein eisernes Gitterwerk mit stattlichem Einfahrtsthor abgeschlossenen Hofe eines großen Hotels. Im Hintergrunde dieses Raumes erhob sich das ansehnliche Hauptgebäude mit hoher Treppe, rechts und links schlossen Stallungen, Remisen und Diensträume den Hof. Die jungen Leute hatten sich in einer Reihe aufgepflanzt und sahen mit gespannter Aufmerksamkeit den Bewegungen eines auffallend schönen Pferdes zu, welches ein Groom in blau und weiß gestreifter Stalljacke gestreckten Trabes an ihnen vorüberführte.

Trägt und sticht ausgezeichnet! rief einer der jungen Männer, der pockennarbig war, einen großen blonden, ins Fuchsige schillernden Bart hatte und was Pferde- und Reiterkünste anging, für den Graf Sander der Provinz galt … aber, fügte er hinzu, er ist noch etwas steif in den Gamaschen.

Das wird sich bald geben; das Thier hat Bewegungen so elastisch wie eine Stahlfeder, versetzte ein anderer der blonden Hippologen – nur vielleicht etwas zu kräftig durchschlagend für eine Dame.

O, Margarethe liebt das! antwortete der Herr vom Hause, ein schöner junger Mann, kaum in den Dreißigen, der sich von den Andern dadurch unterschied, daß seine Gestalt noch etwas größer und schlanker und seine Züge etwas dunkler und gebräunter waren, als die seiner Freunde; Margarethe liebt das, sie spottet immer über die andern Frauen, die auf einem Pferde wie auf einem Sopha sitzen wollen – o, sie hat Courage!

Dann wird sie ihre Freude an dem Braunen haben; wahrhaftig, es ist ein hübsches Namenstagsgeschenk! fiel ein Vierter ein; unglaublich, daß du nur sechzig Friedrichsd'or für das Pferd gegeben hast – und die Wahrheit zu sagen, man glaubt auch nicht daran.

Der Hausherr winkte dem Groom, das Pferd in den Stall zurück zu führen, und die Männer wandten sich ab, um in das Gebäude zu treten, in welchem sie ein Frühstück im Zimmer des Hausherrn erwartete. Es war ein hübscher Salon im ersten Stock, wo sie bewirthet wurden, eingerichtet im Geschmacke der Kaiserzeit, die gelben Kirschholzmöbel mit grünbronzirten Köpfen ägyptischer Sphinxe verziert, wie sie einst aus der Fabrik von Jakob Desmalter in Paris kamen; aber an den Wänden hingen moderne Gemälde, mehrere prachtvolle, farbenglühende Landschaften von Hildebrand, welche reizende Küstenpunkte von Südspanien und den Balearen darstellten; auch einige Bossuets mit herrlichen Lichteffekten, ebenfalls spanische Scenerien, maurische Wasserleitungen und Befestigungsthürme, oder einzelne Architektur-Partien aus spanischen Städten darstellend, wie dieser Belgier sie zu malen versteht; aber deutlicher noch als diese Bilder verrieth eine große rothe Baskenmütze, die über gekreuzten kostbaren Waffen aus Toledanischen Werkstätten an der Wand hing, daß der junge Hausherr Cantabrien und die pyrenäische Halbinsel besucht haben mußte und daß er es liebte, sich mit Erinnerungen daran zu umgeben.

Als die jungen Männer um den Tisch vor dem Sopha Platz genommen halten, und als die Gläser gefüllt waren, erhob der Provinz-Sandor das seine mit den Worten:

Nun, Margarethe, deine schöne junge Hausfrau, diese Zierde ihres Geschlechtes, soll leben!

Das soll sie! sagte Der, welcher vorhin seinen Zweifel an dem angegebenen Preise des Pferdes geäußert hatte, ein schlauer Jüngling, welcher sich, wenn man ihn anders dabei nicht störte, mit sehr großen und deutlichen Buchstaben, die Alles eher als Uebereilung verriethen, Fritz Freiherr von Nagler unterschrieb; das soll sie – um ihrer selbst willen und weil sie uns Maximilian jetzt für immer hier an die Erde seiner Väter fest gebannt hält.

Maximilian von Rauschenloo, der Herr vom Hause, stimmte sehr geschmeichelt in den Toast ein, den man seiner jungen Gattin brachte, aber er protestirte gegen die Annahme, daß er nun für immer sich an sein Vaterland gebunden glaube.

Wer weiß, wie bald ich wieder meinen Posten einnehme! sagte er.

Ah bah, fiel der Sandor ein … deinen Posten! Ich möchte wissen, was du auf deinem Posten machst! Es ist ja doch nur die alte Geschichte von Dem, der nichts thut, und Dem, der ihm hilft. Bei Dem, was Graf X., dein Gesandter, thut, – dabei kannst du ihm hier gerade so gut helfen wie in Madrid.

Oho! Maximilian ist durchaus nicht ein schlechter Diplomat, fiel Fritz Nagler ein; ich habe ihn einmal gefragt: Glaubst du, daß unser Ministerium sich noch lange halten kann? Da hat er mir mit wichtiger Miene geantwortet: Seine Majestät der König befinden sich vortrefflich, und dann hat er sich still beseitigt. Wenn das nicht eine fein ausweichende diplomatische Antwort ist, so weiß ich's nicht!

Alle brachen in ein Gelächter aus.

Talent verräth sie doch, sagte Der mit dem fuchsig schillernden Bart – er hieß Philipp von Mainhövel – das Talent, die Leute ins Gesicht zum Besten zu haben, das ist die Hauptkunst der Diplomaten!

Ja, ja, der Max ist ein Diplomat! hieß es – – sonst hätte er uns auch nicht das Juwel, die Krone aller Mädchen im Lande wegzufischen gewußt.

Und das so rasch, fiel ein Andrer ein, so gleich Cäsar, der kommt, sieht und siegt –

Das ist nun wieder nicht diplomatisch, rief Mainhövel; die Diplomatie kommt langsam, sieht schlecht und gesiegt hat die unsere wenigstens noch nie.

Ist dir irgend ein liebenswürdiger Bösewicht von Attaché kürzlich ins Gehege gekommen, daß du der armen Diplomatie so böse Dinge nachsagst? fragte Maximilian von Rauschenloo.

Mainhövel wollte antworten, aber er wurde unterbrochen; denn in diesem Augenblicke öffnete sich die Thür des Salons, und das Juwel, die vielbesprochene junge Frau, trat ein; die Männer sprangen von ihren Stühlen auf, nur Maximilian blieb sitzen; es war ihm unangenehm, daß Margarethe sich in diesen Kreis wagte.

Margarethe war in der That eine schöne Erscheinung, und weil sie schön war und lebhaft, so war sie auch Das, was ihre Freunde geistreich nannten.

Schönen Frauen ist es so leicht gemacht, geistreich zu sein, wie Königen, populär zu werden. Weil sie nur Huldigungen begegnen, und weil sie eine Art von Herrschergewalt üben, so entwickelt sich leicht in ihnen jene Kühnheit, alle Gedanken und Einfälle frischweg auszusprechen, welche den unschönen Frauen oft weit mehr mangelt, als die Einfälle selbst ihnen mangeln. Die Welt will betrogen – aber sie will in noch höherem Grade mishandelt sein. Der Uebermuth des Selbstgefühls imponirt ihr – je naiver, sprudelnder, kecker dieser Uebermuth hervortritt, desto mehr wird er verehrt. Beatrix in »Viel Lärmen um nichts« wird um so glühender geliebt, je kühner und rücksichtsloser sie mit Benedikt umspringt.

So war auch Margarethe »geistreich«, das heißt, sie war schön, lebhaft, gebildet, und sagte Jedem, was sie von ihm dachte; sie hatte den Muth ihrer Ideen, und jedenfalls war sie ein Phönix in dem Lebenskreise, in welchem sie sich bewegte.

Ich komme, dich zu fragen, Maximilian, begann sie, ob du nach Tisch mit mir ausfahren willst, um Besuche zu machen – aber ich sehe und höre, du wirst von Fritz Nagler und Philipp Mainhövel in Beschlag genommen und mußt ihnen erklären, was Diplomatie ist; nun werdet ihr so tief in die Politik gerathen, daß du nicht Zeit hast, an so etwas wie Besuche machen zu denken!

Du irrst, Margarethe; wenn ich ihnen erklären müßte, was Diplomatie ist, so würde ich sie zu dir gesandt haben, die Frauen verstehen das weit besser als wir.

Einer der jungen Herren hatte unterdeß für die Dame einen Sessel herbeigeschoben, sie setzte sich und lächelte dabei neckisch Maximilian an, als ob sie sagen wollte: Sieh, ich bleibe doch, kleiner Haus-Tyrann, wenn du mich auch wieder fortschicken möchtest! Und dann wandte sie sich an Mainhövel.

Was haben Sie gemacht, seit ich Sie nicht sah, Vetter Philipp?

Ich war auf meinem Gute draußen und habe Rehböcke gebirscht und Füchslein aufgegraben, um sie mit jungen Dachshunden zu hetzen.

Ihr unglückseligen Jäger, wie wird es euch einst ergehen, wenn ihr allen euren Opfern Aug' in Aug' gegenüber treten müßt und sie Rechenschaft von euch verlangen!

Wann wird dieser Tag der Rechnungsablage mit den Rehböcken und Sechszehnendern kommen?

Nach dem Tode, jenseits, in der andern Welt!

Kommen die Hirsche, Rehe und Eber denn auch ins »Jenseits«? fragte Philipp Mainhövel.

Könnt ihr daran zweifeln? antwortete Margarethe mit dem scherzhaften Tone des Erstaunens; dahin kommen Thiere wie Menschen. Leere Menschen freilich, in denen nichts steckt, von denen kann auch nichts übrig bleiben; wer keine Seele hat, dessen Seele kann auch nicht unsterblich sein. Eben so ist's mit den Thieren: die stumpfen vergehen; die, in welchen Naturel, Race, Intelligenz, Treue vorhanden sind, gehen aber in das Jenseits über … verlaßt euch fest darauf, die gescheidten Menschen und die guten Thiere …

Zu diesen gehören die Hirsche, die Rehböcke und alle Gehörnten! unterbrach Mainhövel.

… sind unsterblich, fuhr Margarethe leicht erröthend fort.

Das ist eine sehr schöne Glaubenslehre! antwortete Maximilian, sie hat nur Einen Fehler, liebe Margarethe, man glaubt nicht an sie!

Du nicht, als echter Ehemann, – wie glaubte auch ein Mann an Das, was seine Frau behauptet! – aber ich will doch versuchen, dich zu überzeugen. Stelle dich einmal bei einer öffentlichen Festlichkeit, einer Truppenmusterung, einem Aufzuge an eine Stelle, wo eine Menge glänzender Carrossen und Reiter an dir vorüberziehen muß, oder bleibe nur zehn Minuten lang auf dem Perron eines Theaters vor dem Beginn einer Vorstellung stehen. Das heißt, in einer Stadt reich gewordener Plebejer, in einer so recht modernen Fabrik- oder Handelsstadt muß es sein. Dann fasse einmal scharf die Wesen vor und die Wesen in diesen glänzenden Carrossen ins Auge. Vor denselben siehst du zwei der edelsten Geschöpfe Gottes, welche allen Ansprüchen, die du an schöne Formen machen kannst, genügen; die Physiognomie ist vornehm, stolz, und die Bewegungen sind voll Anmuth und voll Selbstgefühl, die Augen blitzen von Muth; es sind Thiere, aber es sind edle Thiere, vielleicht aus uralten Geschlechtern; die Ahnen dieser Pferde können vor einem halben Jahrtausend Helden in die Schlacht getragen haben, sie können für einen Kaiser, einen Feldherrn, dem sie das Leben retteten, indem sie ihre Brust der Kugel boten, den letzten Tropfen ihres edlen Blutes vergossen haben. Dieses normannische Roß kann von einem Hengst abstammen, welcher sich unter Wilhelm dem Eroberer in der Schlacht von Hastings tummelte; jener Mecklenburger hat vielleicht eine Ahnin in der Familie, welche unter Gustav Adolph an den schönsten Treffen des dreißigjährigen Krieges Theil nahm! … Und nun vergleiche damit diese ignoblen Sackträger-Figuren, welche sich im Fond des Wagens spreizen, diese Herrscher durch die Gnade des Geldes, diese geschmückten, aufgeputzten, sündhaften Weiber … welches ist da das edelste Wesen, das vor oder das im Wagen?

Die Männer lachten, und Maximilian warf ein, daß damit noch nicht die Unsterblichkeit der edleren Thiere bewiesen sei.

Ach, mit deiner Gründlichkeit! Mathematisch bewiesen ist sie nicht, aber für das Gefühl bewiesen, und das ist genug. Ihr Alle werdet es einst erfahren.

Ich hätte ein unbändiges Vergnügen, wenn ich im Himmel der Seele meines alten arabischen Schimmels begegnete, der neulich das Genick unter mir brach, scherzte Mainhövel; ich würde ihm vor Freude weinend um den Schwanenhals fallen, und ich versichere euch, es würde eine rechte Seelenfreundschaft geben. Und darum will ich Ihnen auch glauben, meine gnädigste Cousine.

Ich nur dann, wenn du so weit gehst, auch die Unsterblichkeit der Ehemänner zuzugeben, fiel Maximilian lächelnd ein.

Ich gehe so weit, sagte die junge Frau mit komischem Pathos. Es wäre übrigens sehr thöricht von euch, wenn ihr euch wider meine Dogmen sperren wolltet; denn da ich nur die gescheidten Menschen in den Himmel lasse, so …

So können wir doch jetzt als »edle Thiere« hinein kommen, unterbrach Fritz Nagler sie lachend.

Fritz Nagler zum Beispiel als blindes Huhn! antwortete Margarethe neckisch zustimmend.

Und ich? fragte Mainhövel.

Als Bär!

Danke schön!

Man muß sich also von nun an ganz gewaltig in Acht nehmen, fuhr Maximilian fort, einem würdigen alten Ochsen keine Injurien zu sagen, oder einen verständigen und respektabeln Esel nicht zu beleidigen; man weiß nicht, in welche Beziehungen man später zu ihm kommt.

Allerdings, und deshalb mit der Wahl seiner Vergleiche vorsichtig sein, wenn man von den heutigen Staatsmännern spricht! meinte Mainhövel.

Nun habt ihr wieder etwas von einer Frau gelernt, plauderte Margarethe weiter. So muß endlich dieser Zeit alle Weisheit von den Frauen kommen. Die Männer sind mit der ihren vollständig zu Ende. Der männliche Geist ist ein erschöpfter Boden, der einer Schonung, des Brachliegens bedarf. Und weshalb? weil er es verschmäht hat, zu rechter Zeit Nahrung aus dem weiblichen Geiste an sich zu ziehen. Daher kommt es, daß alle unsere Staaten dem Untergange zuwanken: die Männer haben nicht mehr Kraft und Saft genug in sich, um die gesellschaftlichen Gebilde lebenskräftig und frisch zu erhalten. Die Zeit der Frauen ist gekommen; bei den Frauen muß man sich Raths erholen, sie muß man herrschen lassen, aus dem Quell des Frauenthums muß das alte Europa verjüngte Lebenssäfte ziehen, die Frauen allein haben noch Muth!

Den Muth zum Dulden, vielleicht auch zum Handeln, aber nicht den Muth zum Denken, sagte Maximilian.

O, es ist schon viel zu viel gedacht, das ist ja eben der Fehler der Männer, dieser »Denker«!

Es hat Zeiten gegeben, in welchen die Frauen große Rollen spielten, und diese Zeiträume waren allerdings die, in welchen die Männer Weiber geworden; da haben sich die Weiber der Herrschaft bemächtigt; aber so viel ich weiß, ist es dadurch nie besser, sondern nur schlimmer geworden, daß die Geschichte so » de glaive en quenouille« gefallen. Auf die Zeit der Placidia folgen die Gothen, auf die Zeit der Anna Komnena die …

Jetzt wird mein Max »Denker«, neckte Margarethe, und jetzt gehe ich – von Placidia und Anna Komnena mag ich ohnehin gar nichts hören; denn, man sollte es nicht glauben, aber es ist doch wahr, mit diesen beiden uralten, verblühten Prinzessinnen hat Max ein zartes Verhältniß, er ist verliebt in sie!

Das bin ich auch, lachte der Angegriffene.

Und du glaubst wol noch, es stände dir gut, daß du das in Gegenwart deiner armen Frau bekennst, sagte schmollend Margarethe … das ist auch ein Zeichen der Zeit, daß die Männer solche Liebschaften mit so alten garstigen Personen gestehen.

Wie so?

Wie so? gerade so, wie auch das Heirathen alter und häßlicher Frauen, wo es oft vorkommt, eine Zeit als eine sittlich abgestumpfte und verwilderte charakterisirt. Liebe zur Schönheit und Sittlichkeit sind weit enger verwandt, als man glaubt. Darum sind die Frauen Probirsteine, Höhenmesser für den Charakter ihrer Männer, ja, oft sogar auch für ihr Talent. Ein Dichter oder ein Künstler, der eine häßliche Frau nimmt, hat in neun Fällen unter zehn auch kein Talent; die Frau ist ein Theil vom Talent ihres Mannes.

Ich wußte nicht, sagte Philipp Mainhövel, sich erhebend und mit großem Pathos eine tiefe Verbeugung vor Maximilian machend, daß wir in Maximilian von Rauschenloo eines der größten Talente des Jahrhunderts zu verehren hatten!

Nun wird es wirklich Zeit, daß ich gehe, sagte Margarethe, drohte Philipp Mainhövel mit dem Finger und verließ den Salon, wo die Männer mit den rothen amusirten Gesichtern wieder zu ihren Cigarren griffen und ihre Bewunderung für die charmante, heitere, glänzende Frau aussprachen. Wenn man diese begeisterten Hausfreunde des glücklichen jungen Ehepaares hörte, so war es ein wahres Wunder, daß sich an Margarethens Vermählungstage nicht mindestens hundert Jünglinge niedergelegt hatten, um an gebrochenem Herzen zu sterben – gerade so wie die zehntausend liebenden Jungfrauen, welche starben an dem Tage, als jener arabische Antinous, der Kalif Abderrhaman, die myrthengeschmückte Erwählte heimführte. Max von Rauschenloo schüttelte auch seinen Freunden sehr bewegt die Hand, als sie mit bedeutend rötherem Teint, denn der war, mit welchem sie gekommen, von ihm schieden.

Als sie gegangen waren, warf sich Max etwas ermüdet in seinen Fauteuil, zündete eine spanische Papier-Cigarette an und ließ unwillkürlich seinen Blick auf einer der zauberischen Landschaften ruhen, welche seine Phantasie in die farbenglühende Welt des Südens lockten. Es war als ob ein düsterer Gedanke dabei über seine Stirn ziehe und einen leisen Schatten ihr aufpräge; aber er verscheuchte rasch diesen Eindruck und änderte geflissentlich zugleich seine Stellung, so daß seine Augen jetzt nicht mehr auf die Scenerie an der Wand, sondern durch das geöffnete Fenster auf das blässere Grün einer deutschen Vegetation, auf die Bosquetstauden und Zierbäume eines kleinen Gartens fielen.

Der junge Freiherr von Rauschenloo war einer der besten Menschen, welche es je gegeben hat, es war, wie man sagt, kein Tropfen böses Blut in ihm; und obwol sein Geist nicht gerade die glänzenden Eigenschaften besaß, welche, mit den Vorzügen des Gemüths und des Charakters verbunden, die höchste Liebenswürdigkeit hervorbringen, so waren doch andere Seiten seines Wesens, welche ihn höchst anziehend, für Frauen auch pikant machten. Dazu gehörte vor Allem die große Offenheit und die Kindlichkeit seines Wesens, welche bei einem so auffallend schönen Manne für Frauen etwas höchst Verführerisches haben mußte. Denn schön war er, er sah aus wie ein mittelaltriger Ritter, wie ein Sanct Georg der Drachentödter, wie ein höchst unternehmender Heiliger – und wie einen Heiligen hatte ihn das Schicksal ja auch auf einen goldenen Grund gestellt.

Sein Glück bei den Frauen hatte ihn nicht im Mindesten verdorben; in jeder Don-Juan-Situation wäre er selbst unfehlbar weit eher über seine eigene Tugend gefallen, als die betreffende Schöne über seine etwaigen Verführungsversuche. Seine Stirn war vom Niedrigen und Schlechten unentweiht, sein Auge hell geblieben, und damit hing die tiefe Verehrung zusammen, welche er den Frauen widmete. Wenn er den Schalk machte, wenn er den Roué, den Blasirten spielen wollte, wie ihn zuweilen die Eitelkeit stachelte, sobald er unter seinen ausgelasseneren Freunden war: es gelang ihm recht herzlich schlecht, und Margarethens Mutter hatte ihm auch mit dem rückhaltlosesten Vertrauen ihre Tochter in die Arme gelegt. Er sei ein guter Mensch, sagte die alte Dame, weil er schöner werde, wenn er lache. Das sei ein untrügliches Kennzeichen. Maximilian lachte und scherzte gern, aber sein Muthwille war immer harmlos. Die kleinen Schalheiten, welche ein vom Glück getragenes Dasein in ihm genährt hatte, gingen nie über die Grenzen der Anmuth hinaus, und die Anmuth des Witzes und des Scherzes ist der sicherste Höhenmesser des Wohlwollens in einer Menschenseele.

Nur Einen Fehler hatte unser Freund: er war verwöhnt, über alles Maß verwöhnt – von den Frauen, die er erobert hatte, und von dem Glücke, das ihn gehätschelt hatte. Darin lag die Quelle des großen Lebensschmerzes, der, wie wir auf den nachstehenden Blättern sehen werden, über sein unglückliches Haupt kommen sollte. Denn dieser große Schmerz trat in sein Leben, weil er es nicht über sich vermocht hatte, in der rechten Stunde einem kleinen, oder besser nur einer unangenehmen Empfindung, zu trotzen.

In seinem Verwöhntsein lag auch wol der Grund einer gewissen gereizten Stimmung, in welcher er jetzt sich befand. Es war ein Gefühl wie von Eifersucht in ihm, von Eifersucht nicht auf irgend einen bestimmten Gegenstand, sondern auf die ganze Welt, die sich um Margarethe drängte, die entzückt von ihr war und sich um sie riß. Margarethens glänzende Eigenschaften schienen ihm mehr die des Geistes und hoher Bildung, als die des tiefern Gemüths, und so war es natürlich, daß mit der Bewunderung der Welt, welche am meisten durch die Eigenschaften des Geistes gelockt und geblendet wird, die Ekstase des Gatten nicht gleichen Schritt halten konnte, weil er sich auf die Eigenschaften des Gemüths angewiesen sah.

Denn was den Geist anging, so war Maximilian von Rauschenloo nicht immer in der Stimmung, mit ihr im selben Elemente zu schwimmen, in der wechselseitigen Berührung nur das Sprühen geistiger Funken, das Schäumen des moussirenden Stoffes zu suchen, der in geistig erregten Naturen wie im Champagner immer nach oben quillt und den bessern Theil überdeckt und dem Auge verhüllt. Und weil nun, wie gesagt, Maximilian's Begeisterung für seine Frau natürlich mit der fremder Personen, welche sie nur von Zeit zu Zeit sahen, nicht auf gleicher Höhe bleiben konnte, so war das Aufsteigen eines eifersüchtigen Gefühls in ihm unausbleiblich; es war ihm, als gehöre sie jenen fremden Personen, welche sie bewunderten, zu viel an, und jedenfalls weit mehr, als er der Welt gönnte.

Er hatte Stunden, in welchen er sich mit ihr auf die einsamste Insel wünschte, von allen Menschen fern, um dort ganz allein mit ihr zu sein, allein mit ihrem Herzen. Aber von einer solchen »Insel der Seligen« wollte Margarethe nichts hören; sie wollte nicht einmal auf dem Lande wohnen; sie zog die Anregungen der Stadt vor, sie bedurfte der Menschen, um ihre Eindrücke und ihre Gedanken an sie los zu werden – und auf diese Menschen eben war Maximilian eifersüchtig.

Ueberhaupt ist es ein großer Irrthum, wenn man die ersten Monden der Ehe als die glücklichsten betrachtet. Es ist das die Zeit, in welcher man sich an einander zu gewöhnen hat, in welcher die Verschiedenheiten von Ansichten und Neigungen durch gegenseitiges Nachgeben ausgeglichen werden müssen, wo zuerst entgegengesetzte Wünsche dem Wesen, dem Geschmack, dem ganzen Sein des einen wie des andern Gatten Opfer abverlangen.

Maximilian hatte eine Weile so gesessen und endlich sich gesagt, daß man eine solche glänzende Erscheinung nicht der Welt entziehen dürfe, daß er ein Egoist sei, ein Wesen, welches der Expansion und des Spielraums bedürfe, ganz für sich gefangen halten zu wollen; und dann, um sich mit diesem Gedanken tiefer zu durchdringen, hatte er einzeln für einzeln an seinen inneren Sinnen die Tugenden seiner Gemahlin vorübergehen lassen – es waren recht große, recht stattliche Tugenden darunter, Tugenden, die mit königlichen Schritten, mit kronendurstigen Stirnen, mit weiten, viel Raum einnehmenden und rauschenden Staatsgewändern einherzogen … Maximilian sah sie deutlich, er hielt die Hände voll Andacht gefaltet, das Haupt voll Ehrfurcht auf die Brust gesenkt, während diese Schemen an ihm vorüberzogen – denn wirkliche Bilder, die Bilder eines Traumes waren sie geworden.

Der junge Ehemann war über der Betrachtung der Vorzüge seiner Gattin allmälich eingenickt. Da öffnete sich leise die Thür des Gemaches, der Groom trat ein und überreichte seinem in die Höhe fahrenden Gebieter einen Brief, den eben der Postbote abgegeben hatte.

An die gnädige Frau! sagte Maximilian verweisend.

Gnädige Frau sind nicht mehr zu Hause und …

So? – Nun, es ist gut!

Der Groom ging, und Max legte den Brief vor sich hin auf den runden Marmortisch. Nach einer Weile nahm er ihn wieder in die Hand und betrachtete die Adresse. Sie lautete:

Madame la Baronne M. de Rauschenloo

und trug den Poststempel Köln. Eine feste, sehr deutliche Männerhand hatte die Worte geschrieben.

Aus Köln? – Wer kann von dort aus an Margarethe schreiben?

Er wandte den Brief: die Rückseite zeigte den Abdruck eines stattlichen Wappens mit allerlei schönen Sachen, einem geschienten Arm und einem Schwert, um welches sich ein Lorbeerkranz schlang, und darüber prangte ein offener Turnierhelm, als dessen Zimir eine steigende Jungfrau mit drei vollen Rosen in der Hand sich präsentirte …

Das hat sich Einer selber gemacht! dachte Maximilian mit spöttischem Lächeln – wie kann sich Margarethe mit Jemand eingelassen haben, der solch' ein schandbares Petschaft führt!

Er warf den Brief auf den Tisch zurück … aber das weiße Couvert blickte ihn an wie ein Räthsel, das durchaus von ihm gelöst sein wollte; es war in dem großen rothen Siegel, das rund und schillernd vor ihm lag, etwas wie von einem neckischen Kobold, der ihn anblinzelte, etwas wie das Auge eines rothen Salamanders, der einen Schatz hütet; und die Jungfrau oben hielt ihm so spöttisch ihre drei Rosen hin, als wollte sie ihn geflissentlich reizen, zuzugreifen … es ist eben ein abscheuliches Ding, wenn einmal ein Gelüst nach Verbotenem in uns aufgestiegen ist – man äugelt, man spielt, man tastet so lange daran umher, bis …

Das Siegel springt – es ist schlechter Lack! sagte Maximilian von Rauschenloo, und während er den Brief aus dem Couvert nahm und die Blätter entfaltete, beschwichtigte er sein Gewissen aufs Ausgiebigste mit dem Gedanken, daß ja morgen seiner geliebten Margarethe Namenstag, daß der Brief ja möglicher Weise etwas Unangenehmes oder Beunruhigendes und Störendes enthalten könne, und daß sie ihm jedenfalls für die zarte Aufmerksamkeit dankbar sein werde, womit er sich jetzt die Mühe gebe, ihre Briefe aufzufangen und zu öffnen, auf daß Nichts an sie gelange, was die ungetrübte Heiterkeit der jungen Frau an einem solchen Tage stören könne.

Aber Maximilian's Ruhe sollte bald selbst gestört werden, seine Hand begann zu zittern, als er nur die erste Zeile überblickt; er las folgende Worte:

Enfin, ma belle fugitive, petite mauvaise téte que vous étes, me voilà en Allemagne. Où es-tu, mon enfant chéri – où me faut-il diriger mes pas, pour avoir le bonheur de te retrouver, de t'embrasser? Mais j'oublie … je dois voir quelqu'un ici qui me guidera. Aussitôt: qu'il se sera présenté, je cours à toil!

Cologne, mercredi.

Ton Alphonse.

Max von Rauschenloo wurde todtenblaß, und seine Lippen bebten, und sein Herz stand still wie im Krampf, und dann schlug es in einzelnen langsamen Schlägen so heftig, als müsse es jedes Mal, bevor es sich bewegen könne, erst einen Stein fortschleudern.

Mein Gott, mein Gott! sagte er halblaut; und dann wischte er den Schweiß von der Stirn, der darauf zu perlen begann, und dann hob er die zitternde Hand mit dem unglaublichen Billet wieder empor, um zum zweiten Mal zu lesen …

Mein Gott – was ist das?! Margarethe hätte … wer kann das sein, dieser Alphonse?! – Margarethe war in Belgien in der Pension … diese verfluchten Pensionen …!!

Er sank in seinen Sessel zurück, und die qualvollsten Empfindungen wühlten sich in ihn ein, bis sie ihm unerträglich wurden, bis er aufsprang und heftig die Klingelschnur zog und dann durch das Zimmer auf und nieder stürmend ausrief:

Mord und Todtschlag! Diesem Alphonse will ich einige Loth heißes deutsches Blei in den wälschen Hals jagen und Margarethe …

Der Bediente trat ein.

Wo ist meine Frau? fragte der junge Mann mit einem Gesichte, daß der Diener unwillkürlich zurückschrak.

Gnädige Frau sind eben nach Hause zurückgekommen …

So geh und sag ihr … Nein, sage Anton, er solle meine kleine Jagd-Kalesche anspannen.

Gnädiger Herr, Anton ist mit den Wagenpferden zum Hufschmiede.

So soll Peter meinen Fuchs satteln – marsch!

Als der Bediente davon geeilt war, stellte Maximilian sich an das Fenster; er lehnte die Stirn an eine der Scheiben, und Thränen stiegen in seine Wimpern. In raschem Umkehren zur Besinnung hatte er sich gesagt, daß mit kindischem Dreinschlagen nichts zu gewinnen stehe, daß sich um seine beiden Hände eine Fessel, so hemmend und fest wie eine Gefangnenkette, schlinge – die Rücksicht auf seine Ehre, auf die Welt, auf den Scandal – und dann hatte er sich von einem weicheren, aber einem namenlosen Schmerz ergriffen gefühlt: von dem Schmerz über den Undank … Dich, dich, der sein rothes Herzblut für sie hergegeben hätte – dich hat sie verrathen … Sie, die du als einen Engel auf den Händen tragen wolltest, hat dich verrathen! Dabei war ihm, als sänke die Welt und als sänke Alles, was ihm groß und edel und rein und glänzend geschienen auf der Welt, in Asche der Verwesung, in einen Pfuhl von Schlamm unter. Er war namenlos unglücklich.

Nach einer Weile raffte Max sich aus seinen Gedanken auf.

Ich will zum Onkel Ruprecht Mildenfurth, sagte er, er mag rathen, wie es wieder zu lösen ist, was auch er so eifrig zu knüpfen war; denn lösen will ich es. Ja, sie haben so laut über diese Ehe gejubelt draußen in Mildenfurth … wer weiß, ob sie nicht Margarethe gegen ihren Willen geschoben haben! ob sie nicht eigentlich ein armes, bedauernswerthes Geschöpf ist, die einen tiefen Kummer vor mir verbirgt! O, leicht, leicht möglich – wir Männer werden immer hinter unserem Rücken betrogen … aber verrathen, aber betrügen hätte sie mich nicht sollen … das hättest du nicht thun sollen, Margarethe! –

Er dachte an die häufigen Fälle, wo man junge Mädchen durch eine Familientyrannei, die in seinen Lebenskreisen so oft vorkam, geopfert hatte. Ob Margarethens Charakter dazu geschaffen sei, sich unter eine solche Tyrannei zu beugen, das untersuchte er nicht. Von allen Leidenschaften ist keine blinder als die Eifersucht; auch Maximilian war nie weniger im Stande, zu erwägen, zu schließen und zu urtheilen, als eben jetzt. Aber an seiner Verzweiflung fühlte er, wie namenlos er Margarethe liebte: der Gedanke, Margarethe von seinem Herzen losreißen, als eine falsche Schlange fortschleudern zu müssen, war in ihm einer und derselbe mit dem Gedanken an seine eigene Vernichtung, er fühlte sich selbst zu gleicher Zeit wie verflucht, wie todt und verloren.

Der unglückliche Mann wischte sich die Tropfen von den Wimpern. Nach einer Weile erschien sein Reitknecht mit der Meldung, die Pferde seien gesattelt.

Ich komme! sagte er und rüstete sich schnell für die kurze Reise. Er konnte zwar wenig Trost zu finden hoffen bei seinem Oheim, seinem einzigen näheren Verwandten, der Vaterstelle bei ihm vertreten; aber er hatte ja Niemand auf der Welt sonst, dem er sich vertrauen konnte, und es drängte ihn zudem mit Gewalt hinaus ins Freie, in die Weite.

Wenige Augenblicke später stand Max von Rauschenloo im Hofe seines Hotels, an den Hals seines treuen Fuchses lehnend und so wartend, bis sein Diener sich noch einen Mantelsack auf der Kruppe seines Kleppers festgeschnallt hatte. Während dessen hatte sich leise Maximilian gegenüber ein Fensterflügel in dem Gebäude geöffnet, und eine weiche silbertönige Stimme sagte:

Wohin, Max? Willst du fort?

Maximilian Rauschenloo sah mit einem unbeschreiblichen Blicke über die gestrählte Mähne seines Pferdes zu seiner Frau empor. Es lag darin eine Bitterkeit, ein Gekränktsein, ein Schmerz – eine Beredtsamkeit der Verzweiflung, die nichts weiter als die Worte: So schön und doch …! sprach und damit dennoch Alles ausdrückte, was ein Herz brechen, den Menschen mit der Welt abschließen läßt!

Max, sagte Margarethe, gibst du mir keine Antwort? – Ach, setzte sie lachend hinzu, ich glaube, du ziehst auf irrende Ritterschaft aus, um mir zu morgen etwas ganz Besonderes bescheeren zu können – nicht wahr – z. B. das Lebenswasser, welches die drei Prinzen von Sardinien in den drei Welttheilen suchten, daß ich mir meine Sommersprossen damit vertreibe. Deshalb willst du nicht sprechen!

Maximilian antwortete noch immer nicht, Maximilian stand noch immer da mit demselben sonderbaren Blicke; die junge Frau stutzte einen Augenblick, dann ihren Ton ändernd, mit komischem Pathos und doch schmelzend weich sagte sie:

Max – bleibe bei mir! – ich mag's und will's nicht glauben, daß mich der Max verlassen kann!

Statt aller Antwort schwang sich Maximilian in den Sattel und ritt stumm und schweigend zum Gitterthor hinaus.

Das schöne junge Weib erbleichte und wurde dann dunkelroth; sie verschwand vom Fenster und schritt in den Hintergrund des Zimmers.

Was ist das – er compromittirt mich vor den Domestiken mit seiner Rücksichtslosigkeit! sagte zürnend die an Huldigungen gewöhnte Dame. Aber nachdem die kleine Aufwallung über solche Bärenhaftigkeit vorüber war, dachte sie mit Angst daran, daß ihrem Gatten etwas Unangenehmes zugestoßen sein könne, daß er vielleicht einen verdrießlichen Handel zu schlichten gegangen sei, den er ihr verborgen halten wolle.

Marie! rief sie ihrem im Nebenzimmer beschäftigten Kammermädchen zu, erkundige dich augenblicklich bei den Stallleuten, wohin der Herr geritten ist!

Nachdem Marie gegangen, lehnte sie sinnend das rosige Haupt in ihren Fauteuil zurück; es sah auf dem schwellenden grünen Sammtpolster aus wie eine schöne Centifolie auf dunklem Blättergrunde. Das glänzende goldblonde Haar war an beiden Seiten der schmalen Stirn emporgestrichen und à la Marie Antoinette aufgeschlagen, so daß die zartgerundeten Wangen mit ihrem feinen Incarnat ganz frei geblieben und die blauen Adern an den Schläfen durch die sammtweiche und blendendweiße Haut schillerten. An ihrer schlanken Gestalt nieder fluteten die Falten einer Robe von silbergrauem Atlas, mit grünen Schleifen besetzt, und eine Brosche mit einem grünen Smaragd folgte den Wallungen des ungewöhnlich bewegten Busens. Sie war eine verführerische Erscheinung, die junge Frau, mit den trotzig unter der leicht gebogenen Nase aufgeworfenen Lippen, auf denen eine bitterböse Kriegserklärung zu schweben schien, ein »Dafür sollst du mir büßen!« – während doch auf der kindlich stark gewölbten Stirn eine Wolke der Sorge und der Angst ruhte.

Der Herr ist nach Mildenfurth geritten, meldete Marie zurückkehrend.

Nach Mildenfurth? So weit? Und heute – am Vorabend meines Namenstages? Unmöglich!

Der Reitknecht hat es im Stalle zurückgelassen.

Margarethens Unruhe wuchs, sie erhob sich und ging eine Weile auf und ab. Dann sagte sie:

Lege mir mein Reisekleid zurecht. Und laß den Kutscher sich bereit halten, ich werde morgen in der Frühe auch hinausfahren – in aller Frühe! Ja, vielleicht noch heute Abend!

Ich habe keine Lust, setzte sie für sich hinzu, morgen die Besuche zu empfangen und hundert Mal wiederholte spitze Fragen nach dem Herrn Gemahl zu beantworten. Daß wir Beide morgen draußen, kann Niemand auffallen!

Und dann setzte sie sich wieder und kehrte, um sich zu zerstreuen, zu ihrer Arbeit zurück … sie hatte vorhin gearbeitet; sie studirte ihrem Manne zu Lieb eifrig Spanisch, vor ihr lagen in gelben und rothen Heften die neuesten Erzeugnisse der spanischen Dramatiker des Tages, Werke von Rubi, Hartzenbusch, Lopez de Ayala und der geistreichen Sennorita Gertrud von Avellaneda; und neben ihr und auf Stühlen und Fauteuils waren Lexika und Grammatiken und rosenfarbene Papierblättchen, beschrieben mit Ausdrücken und Redewendungen, die sie ihrem lieblichen blonden Kopfe einprägen wollte, niedergelegt.

Aber nicht lange währte es, da hatte Marie die Reise-Toilette herbeigeschleppt, ein Stück nach dem andern; denn über jegliches war mit der Gebieterin zu berathschlagen; und so kam es, daß nach Verlauf einer unglaublich kurzen Zeit die Herrscherin »Mode« wieder ihr ganzes Recht im Frauengemach zurückerobert hatte und die Gelehrsamkeit tief unter den Chiffons begraben lag; der gestrenge Magister Grammaticus war von einer violetten, wie ein Opal schillernden Atlas-Mantille überhüllt, und der grundgelehrte Lexikolog war ins tiefste Dunkel zurückgewiesen, versteckt unter einer Robe von ungefärbter venetianischer Seide – die ganze Majestät spanischer Dichter-Grandezza war untergegangen im Flitter des Jahrhunderts!

Das ist ja das Neidenswerthe des Frauencharakters – groß ist der Schmerz, doch größer ist – die Heilkraft der Natur!



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