Joseph Schreyvogel
Das Sonntagsblatt
Joseph Schreyvogel

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Natur und Erziehung

Etwas aus der Jugendgeschichte des Herausgebers

Das Sonntagsblatt Nro. 3

Sonntag, den 1. März 1807

Ich glaube, daß sich meine Neigung für das Theater früh zu entwickeln anfing. Das Haus meiner Tante, dem ich überhaupt meine erste Bildung verdanke, gab mir vielfältige Gelegenheit dazu. Ihre Knaben hatten ein Puppenspiel, mit dem sie, nach kindischer Weise, recht artig umzugehen verstanden. Ich war entzückt, als ich das kleine Zauberwerk – denn dafür hielt ich es, – zum ersten Male in Bewegung sah. Mit mehr Ungeduld, als womit ich sonst um etwas zu bitten pflegte, drang ich in meinen Vater, mir ein ähnliches Kunststück anzuschaffen. Der gute Mann versagte mir selten etwas. In wenigen Tagen kam mein Kasten mit den Marionetten an. Das feine Aussehen der Figuren und die prächtigen Dekorationen machten mir anfangs viele Freude. Zusehends ward mein Vergnügen jedoch gemäßigter, und ich wußte nicht, wie mir dabei geschah. Die hübschen Marionetten sprachen und bewegten sich nicht. Da ich diesem Mangel nicht abzuhelfen verstand: so begnügte ich mich, die geringen Talente meiner Puppen im Stillen zu beseufzen, und sehnte mich desto mehr nach dem belebten Schauspiel, das ich bei meinen kleinen Vettern zu sehen gewohnt war.

Meine Tante war eine sehr geistreiche Frau, und die witzigen Köpfe, von denen immer ein halbes Dutzend um sie herum schwärmte, versicherten, daß sie außerordentlich viel Takt und Geschmack besitze. Das lebhafte Vergnügen, das ich an den theatralischen Vorstellungen ihrer Kinder fand, scheint ihr um diese Zeit aufgefallen zu sein, denn sie nahm mich nun öfters in ihre Loge mit, wo ich Gelegenheit hatte, die Kunst in größeren Gegenständen zu beobachten. Ich hatte bisher nur mäßige Fortschritte in meinen Studien gemacht, besonders klagten meine Lehrer, daß ich in der Wissenschaft Gedrucktes zu lesen, sehr zurückgeblieben sei. Man geriet darauf, mir ein Komödienbuch in die Hände zu geben. Das schlug über alle Erwartungen an. Ich vertiefte mich in mein neues Lesebuch, und in wenig Tagen war ich im Stande, meinen Autor ohne vieles Stottern vorzutragen. Ich behielt sogar halbe Szenen daraus, und deklamierte die rührenden Stellen mit einem Pathos, welches die Fassungskraft meines Alters zu übersteigen schien. Meine Tante, sehr erfreut über dieses Phänomen, machte mir ein Geschenk, mit einer niedlichen Ausgabe von Voltair'es Theater. Obwohl ich der französischen Sprache wenig mächtig war, hatte sie doch das Vergnügen zu sehen, daß ich mich, ohne zu ermüden, durch den Mahomet und die Alzire durcharbeitete. In einigen Wochen las ich die wohlklingenden Verse Voltaire's mit mehr Fertigkeit, als kurze Zeit vorher mein Deutsches Vokabelbuch. Jetzt war meine Tante überzeugt, ein entschiedenes Talent für die dramatische Kunst in mir entdeckt zu haben. »Wenn er erst den Shakespeare kennt« sagte sie, »so muß sein Genie zum Durchbruche kommen.« Die gelehrten Herren von ihrer Bekanntschaft unterließen nicht, sie in dieser Meinung zu bestärken. Nur mein Vater schüttelte den Kopf dazu; er war kein Freund der Dichtkunst, und er hatte gehofft, seinen Sohn in einer anderen Laufbahn glänzen zu sehen.


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