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In einem Bauernhause zu Meuchen hatten sich am Morgen des folgenden Tages die Führer des siegreichen Heeres zum Kriegsrat versammelt. Viele waren es nicht, die sich da auf Herzog Bernhards Befehl eingefunden hatten, denn die größere Hälfte der Generale und Obristen lag tot auf dem Schlachtfelde oder verwundet in den Häusern des Dorfes. Trotzdem vermochte der enge, niedrige Raum die Herren kaum zu fassen, so daß mehrere auf dem Ehebette des Bauern in der Ecke Platz nehmen mußten. Es herrschte eine so bedrückende Stille in der Stube, daß es fast den Anschein hatte, als habe man sich zu einem Leichenbegängnis versammelt, und als die letzten der Geladenen, die Obristen Lohusen und Eberstein, jetzt über die Schwelle traten, wurden sie von den Nächststehenden nur durch einen stummen Händedruck begrüßt.
»Ihr Herren!« begann Herzog Bernhard, der in einer der schmalen Fensternischen mit dem Rücken gegen die Scheibe stand. »Ich habe Euch hierher entboten, damit wir eilend festsetzen, was nun geschehen soll, unser großer König und Feldherr ist tot, Gott sei's geklagt. Er war uns allen, Schweden und Deutschen, ein Vater, und wie Waisen müssen wir uns fühlen, und über seinen Tod trauern wir, so lange wir leben. Aber das darf uns nicht hindern, schnell und entschieden zu handeln, und vor allem müssen wir da eines wissen: Wer soll von heute an das verwaiste Heer führen an Stelle dessen, der nicht mehr unter uns ist?«
»Ihr!« rief Stahlhanske, der auf der niedrigen Ofenbank saß und seine gewaltigen Beine mit den Rädersporen durch das halbe Zimmer strecken mußte. »Hat nicht der König Euch den Befehl übertragen? Und habt Ihr nicht gestern gezeigt, daß er damit recht getan hat?«
Beifallsgemurmel von allen Seiten. Aber aus dem Hintergründe des Gemaches kam eine ernste, ruhige Stimme: »Ich protestiere um des Gewissens willen.«
Alles fuhr herum und blickte den Sprecher voll ungläubigen Staunens an. Das war ja unerhört und kaum zu fassen! Denn der sich dort in der halbdunklen Ecke erhoben hatte und nun mit bekümmerter Miene nach dem Herzog hinblickte, während er die rechte Hand wie abwehrend erhob, war Bernhards drei Jahre älterer Bruder Ernst, unter allen deutschen Fürsten und Fürstensöhnen, die das Heer in seinen Reihen zählte, der Untadeligste und Frömmste. Das Verhältnis zwischen den beiden weimarischen Brüdern, das wußte jeder, war das denkbar herzlichste, von Neid des Älteren gegen den hochbegabten Jüngeren war nie die Rede gewesen. Was also in aller Welt mochte den einen Herzog zu Sachsen bewegen, dem andern die Ehre der Erhöhung zu mißgönnen? Bernhard selbst wußte sich offenbar den Einspruch seines Bruders ebensowenig zu erklären wie die andern, denn auch er blickte erstaunt und verblüfft, wie sie alle, nach ihm hin.
»Ja, Herren und Freunde, um des Gewissens willen,« sagte Herzog Ernst und legte die Hand aufs Herz. »Gott ist mein Zeuge, daß ich dir, lieber Bruder, den höchsten Befehl von ganzem Herzen gönnen würde, wenn er dir gebührte. Aber er gebührt dir nicht. Des seligen Königs Majestät hat Order gegeben, daß du in der Schlacht kommandieren solltest, wenn er fallen sollte. Mehr nicht. Der oberste Befehl muß nach seinem Tode in die Hände unseres ältesten Bruders Wilhelm gelegt werden, denn er hat die höhere Charge, ist der Krone Schwedens Generalleutnant und hatte schon jetzt das Kommando nach dem Könige. Somit würdest du ihn beleidigen, wenn du ihm vorenthieltest, was ihm zusteht.«
Zorniges Murren erklang von allen Seiten und schwoll jetzt so stark an, daß Herzog Ernst seine Rede unterbrach. Am Ofen erhob sich mit düsterrotem Gesicht der Obrist Stahlhanske, stemmte sich mit beiden Händen auf sein breites Schwert und rief trotzig: »Was geht uns das Erstgeburtsrecht des Herzogs Wilhelm an? Hier soll der Tüchtigste Herr sein, nicht der Älteste!«
»Nicht zu Euch sprach ich, Obrist Stahlhanske,« versetzte der junge Ernestiner so ruhig wie vorher. »Ich sprach zu meinem Bruder. Und dich, Bernhard, bitte ich dringend, ja, ich beschwöre dich, daß du unserm ältesten Bruder die Ehre gibst, die ihm gebührt.«
Herzog Bernhards Gesicht war leicht erblaßt. Er heftete seine Augen mit einem finsteren Ausdruck auf seines Bruders Antlitz und sprach kalt und schneidend: »Den Oberbefehl hat die Krone Schwedens zu geben. Ehe sie sich entschieden hat, muß das Heer sich schlüssig machen, wem es gehorchen will bis dahin. Bedünkt es den Herren, daß mein Bruder Wilhelm das bessere Recht habe, so wollen wir ihn wählen und von Erfurt herbeiholen, wo er jetzt unpaß liegt.«
»Nein, nein!« schrie es von allen Seiten. »Ihr sollt uns führen!«
Des Herzogs Augen blitzten auf. »Wer nicht will, daß ich den obersten Befehl führe, den bitte ich, die Stube zu verlassen.«
Herzog Ernst trat vor seinen Bruder hin und blickte ihm traurig und kummervoll ins Gesicht. »Ich kann nicht anders,« sagte er leise. »Du greifst heute in ein fremd Amt, was die Heilige Schrift verbietet. Somit kann ich nicht Deiner Wahl beistimmen, denn wehe dem, der wider sein Gewissen handelt!« Er suchte seines Bruders Hand und sprach noch leiser, so daß er kaum den Nächststehenden verständlich war: »Bernhard! Noch einmal: laß dich warnen. Nimm nicht, was unserm Bruder gehört!«
»Ich nehme niemandem, was ihm gehört,« erwiderte der Herzog unwillig. »Auch suche ich nicht meine Ehre, wenn ich das Kommando übernehme, sondern ich tue es um des lautern Evangeliums willen und zu Nutzen der schwedischen und deutschen Völker.«
»Du verblendest dich, Bruder, oder vielmehr der Teufel verblendet dich,« sagte Herzog Ernst und ließ seine Hand los. »Doch ich kann dich nicht zu meinem Willen zwingen, und deshalb muß ich Urlaub und Abschied von dir und dem Heere nehmen. Meines Eides bin ich ledig, denn der König ist tot, dem ich ihn geleistet habe. Meine Bestallung als Obrist eines Reiterregimentes lege ich nieder und kehre heim. Gehab dich wohl, Bruder. Gott schütze dich auf deinen Wegen, die nicht mehr die meinen sein können.«
Bernhard machte unwillkürlich eine Bewegung, als ob er ihn zurückhalten wolle, aber Herzog Ernst sah nicht mehr die ausgestreckte Hand seines Bruders, sondern trat, ohne sich noch umzublicken, durch die niedere Tür ins Freie hinaus.
Mit düstern Blicken und zusammengepreßten Lippen starrte Bernhard auf die Stelle hin, wo er verschwunden war. Erst nach einigen Augenblicken wandte er sich wieder den im Gemache Versammelten zu, und nun straffte sich seine schlanke Gestalt, und seine Blicke flogen blitzend über die kriegerischen, mit Narben gezeichneten Gesichter hin.
»Da ihr also die Bedenken meines Herrn Bruders Liebden nicht teilt, werte Kriegsgesellen, so schwört mir, daß ihr mir treu und gehorsam sein wollt, bis daß die Vormünder der kleinen Königin Christine bestimmen, wer hinfüro die Armee als oberster Befehlshaber führen soll!«
Jeder der Generale und Obristen reckte seine rechte Hand in die Höhe und sprach die gebräuchliche Formel des Eides: So wahr mir Gott helfe in diesem und in jenem Leben.
»So hört denn, was ich befehle!« rief Bernhard. »Der Status des Heeres ist derart, daß eine Verfolgung des Feindes noch nicht rätlich ist. Die Regimenter müssen erst neu formiert werden. Deshalb, Graf Knipphausen, führt Ihr die Armee nach Weißenfels zurück in die Quartiere. Ihr, Obrist Stahlhanske, eskortiert mit den Småländern, soviel deren noch übrig sind, den Sarg des Königs und bringt ihn in die Weißenfelser Stadtkirche. Ihr, Obrist Rosen, laßt sogleich hundert Reiter von Eurem Regiment aufsitzen, damit sie mich geleiten. Denn ich reite vorauf den Herren nach Weißenfels, damit die Majestät aus meinem Munde die schwere Kunde empfängt von ihres Herrn und Gemahls Ableben.«
Den Befehlen des Herzogs wurde sofort Gehorsam geleistet, und eine halbe Stunde später ritt er an der Spitze von hundert finnländischen Reitern die Straße dahin, die nach Weißenfels führte.
Es war ein prachtvoller Herbstmorgen. Der mit leichten Wölkchen bedeckte Himmel stand in voller Rosenglut, und ein frischer Wind strich über die Felder hin. Aber er vermochte nicht, den üblen Brandgeruch zu vertreiben, der über der ganzen Gegend lag. Auch als die Schar das noch immer brennende Lützen längst im Rücken hatte, änderte sich das nicht, und Bernhard wußte wohl, woher das kam, denn er war erst vor zwei Tagen dieselbe Straße gezogen. Alle die reichen Dörfer in der Runde hatte das Wallensteinsche Heer auf seinem Durchzug geplündert, verwüstet und in Brand gesteckt. Daß da und dort noch Häuser und Ställe standen, war nur der nassen Witterung zu danken. Der Regen hatte dem Zerstörungswerke der Kroaten und Wallonen Halt geboten. Aber halb Röcken lag in Asche, und als man durch Rippach ritt, schwelten rechts und links vom Wege noch die in Schutt gesunkenen Gebäude. Es herrschte in der Dorfstraße ein so abscheulicher Geruch, daß der Herzog voller Entsetzen auf den Gedanken kam, es müßten da wohl unter dem rauchenden Gebälk menschliche Leichen verkohlen. Denn an Tierkadaver war nicht zu denken; das Vieh hatten die Kroaten sicherlich bis auf das letzte Schaf hinweggetrieben.
Mit tief gesenktem Haupte und gefurchter Stirn ritt er aus dem verwüsteten Dorfe heraus. Er war ein Kriegsmann, und der Kampf war sein Lebenselement. Nie schlug ihm das Herz höher, als wenn die Signalhörner zum Angriff bliesen, die Klingen blitzend aus den Scheiden fuhren. Diese Lust am Fechten und Schlagen war wohl uraltes Ahnenerbe, das er in höherem Maße überkommen hatte als einer seiner Brüder. Aber zuweilen befiel ihn ein Grauen vor einem Kriege, der, wie es schien, kein Ende nehmen wollte, kein Ende nach vierzehn Jahren. Denn was sollte aus Deutschland werden, wenn Jahr für Jahr hundert und mehr Städte und Dörfer in Schutt und Asche sanken, Tausende friedlicher Bürger und Bauern der unmenschlichen Wut der Kriegshorden zum Opfer fielen oder durch Hunger und Entbehrungen elend zugrunde gingen? Kam wirklich der jüngste Tag heran, wie die Prediger auf den Kanzeln verkündigten? Und sollte etwa der größere Teil der Menschheit in einem Meere von Blut und Tränen versinken, ehe Gottes großes und furchtbares Weltgericht hereinbrach?
Rossewiehern etwa hundert Schritte vor ihm schreckte ihn aus seinen Gedanken auf. Die Spitzenreiter, die ein gutes Stück vorausritten, hatten die beiden Kriegsleute, die da herankamen, nach kurzem Zuruf ruhig passieren lassen, denn sie trugen die Farben des weimarischen Regimentes Taupadel. Der eine war ein Offizier, der andere ein gemeiner Reiter.
Der Offizier zügelte auf der Stelle sein Roß, als er sah, daß ihn der Herzog bemerkte. Er riß den Hut vom Kopfe, schwenkte ihn zum Salut und erwartete die Anrede des Fürsten.
»Was bringt Ihr, Kornett von Germar?« rief ihm Bernhard zu, als er ziemlich nahe an ihn herangekommen war.
»Briefe Seiner fürstlichen Gnaden des Herzogs Wilhelm an die Königliche Majestät von Schweden!«
Der Herzog ritt dicht an ihn heran. «Wie geht es meinem Bruder?« fragte er mit gedämpfter Stimme.
»Gnädiger Herr, ich kann nichts Gutes melden. Seine fürstliche Gnaden liegen fest seit mehreren Tagen. Die Doktoren reden von einem gastrischen Fieber und meinen, er werde erst nach Wochen wieder ein Roß besteigen können.«
Ein Blitz zuckte über das Gesicht des Herzogs hin. »Das ist sicher?«
»Ich hab' es gehört vom Herrn Obristen von Taupadel.«
»Dann wird es wohl seine Richtigkeit haben,« sagte der Herzog. Sein Antlitz war mit einem Male sehr ernst geworden, und er blickte eine Weile schweigend vor sich hin. Dann hob er das Haupt. »Den Brief gebt mir,« befahl er. »Denn wisset, gestern war eine große Schlacht. Die Viktoria war unser, aber der König ist gefallen.«
Der Kornett schrie laut auf. »Tot? Tot – die Majestät?« stammelte er entsetzt und sah den Herzog mit schreckensstarren Augen an.
»Ja, Gott hat ihn zu sich genommen,« entgegnete Bernhard mit tiefem Ernst. »Und ich bin nach seinem Befehl und nach Wahl der Feldobristen der oberste Führer der Armee, die er hinterlassen hat. Also gebt mir den Brief, der an ihn gerichtet war.«
Der Kornett nestelte schweigend ein versiegeltes Paket aus seinem Wamse und reichte es dem Herzog dar. Seine Hände zitterten dabei, und aus seinen schwarzen Augen fielen einige Tränen herab, denn die Nachricht, die er eben erfahren hatte, erschütterte sein jugendliches Gemüt tief.
Herzog Bernhard schnitt die Schnüre des Paketes mit seinem Degen entzwei, erbrach das Siegel und las die Schrift. Dann steckte er den Brief in seine Satteltasche und sprach nachdrücklich und bedächtig: »Eine schriftliche Order, Kornett von Germar, kann ich Euch hier auf der Landstraße nicht geben. Darum merket wohl auf das, was ich Euch sage. Ihr reitet diese Straße weiter, da stoßt Ihr auf das Heer. Ihr meldet Euch beim General von Knipphausen, der kommandiert an meiner Statt. Der soll Euch zu meinem Bruder Ernst bringen lassen, und Seiner Liebden meldet Ihr, ich müsse ihn heute noch auf jeden Fall in Weißenfels sprechen. Es wäre sehr eilig und wichtig, was ich mit ihm zu verhandeln hätte, und es beträfe unsern Bruder Wilhelm. Habt Ihr verstanden?«
»Jawohl, fürstliche Gnaden.«
»So reitet hin!« Er nickte ihm gnädig einen Gruß zu und wandte sein Roß, um weiterzureiten, als der Kornett mit lauter Stimme rief: »Dort kommt ja Seine fürstliche Gnaden Herzog Ernst.«
Bernhard beschattete die Augen mit der Hand und blickte rückwärts. Richtig – aus dem Dorfe Rippach trabte eben eine kleine Reiterschar heraus, an deren Spitze Herzog Ernst ritt.
»Es ist gut, Germar!« sagte der Herzog. »Ihr braucht nun nicht erst zu Knipphausen, sondern kommt mit mir nach Weißenfels!« Dann lenkte er das Roß auf seinen Bruder zu und rief: «Begleite mich, Ernst, ich habe dir Ernstes und Wichtiges zu künden!«
Er winkte den Reitern, daß sie zurückbleiben möchten, und als er nun eine Strecke vor ihnen an der Seite Ernsts dahinritt, sagte er: »Ich werde unserm Bruder Wilhelm in besonderem Schreiben meine Wahl zum obersten Befehlshaber anzeigen und werde ihn bitten, daß er sie bestätige.« Über das feine Gesicht des älteren Herzogs flog ein Freudenschimmer. »Du hast dich besonnen? Gott sei gepriesen!«
»Ich will dir nicht edler erscheinen, als ich bin,« versetzte Bernhard trocken. »Wilhelm ist nicht unpaß, wie ich wähnte, er ist sehr krank. Hier lies, was er dem Könige schreiben läßt. Germar brachte mir den Brief.«
Ernst hob das Blatt zu seinen etwas kurzsichtigen Augen empor und ließ es gleich darauf erschrocken sinken. »Steht es so mit ihm, dann werde ich sogleich zu ihm nach Erfurt reiten.«
»Und du wirst mein Schreiben mitnehmen, das wir nachher in Weißenfels aufsetzen.«
Ernst faßte seines Bruders Rechte und drückte sie kräftig. »Ich danke dir, daß du Rücksicht nimmst auf seine Krankheit und deinen Ehrgeiz zurückstellst,« rief er laut.
»Du irrst dich, wenn du meinen Entschluß aus meinem Edelmut erklärst,« erwiderte Bernhard. »Gewiß freue ich mich, daß ich sein Gemüt jetzt nicht aufzuregen brauche. Ich brauche es nicht, denn er ist auf Wochen hinaus krank und muß mich schalten lassen nach Belieben. Wäre er gesund, so dürfte ich ihm den Befehl auf keinen Fall überlassen. Denn in drei Tagen müssen wir anfangen, den Feind zu verfolgen. In dreißig Tagen wäre Wilhelm noch nicht so weit, wenn die Sachen in seiner Hand lägen. An jedem kühnen Wurfe hindert ihn seine Bedenklichkeit, das hat er nun seit mehr als Jahresfrist gezeigt. Darum wird auch das Heer niemals dulden, daß er an des Königs Stelle tritt. An diese Stelle gehört ein Feldherr. Der bin ich und außer mir unter den deutschen Fürsten keiner.«
»Deine großen Fähigkeiten und deine Meriten im Felde kann dir niemand bestreiten, und ich habe mich ihrer stets ohne Neid gefreut, obwohl du der Jüngere bist. Auch muß ich dir zugestehen, daß Wilhelm gern zaudert und zögert. Aber ich sehe Streit und Bruderzwist voraus, wenn du dich über ihn erheben willst, und das beschwert mir das Herz und macht mich traurig. Es ist so viel Unfriede in der Welt – möchten wir Brüder doch wenigstens friedlich miteinander leben!«
Jetzt griff Bernhard nach seines Bruders Hand. Etwas wie Rührung zeigte sich in seinem Antlitz und zugleich ein leichtes Spottlächeln. »Du bist eine Seele, Ernst, die eigentlich zu gut ist für diese Welt!« rief er. »O, ihr seid alle so gut und bieder und trefflich, du und Wilhelm und Albrecht, daß ich mir zuweilen wie ein schwarzes Schaf erscheine, das durch einen Zufall in eine Herde von lauter weißen geraten ist. Ich glaube, ihr ertragt oftmals nur mit Seufzen den Bruder, der mit euch nicht gleicher Gemütsart ist.«
»Nein!« erwiderte Ernst lebhaft. »Wir haben dich alle lieb und sind stolz auf dich. Auch Wilhelm, obwohl er als Senior des Hauses es dem viel jüngeren Bruder nicht gerne zeigt. Aber du machst es uns hin und wieder nicht leicht, in brüderlicher Freundschaft mit dir zu leben, denn in dir ist ein Dämon, der Dämon des Ehrgeizes, und deine Gedanken steigen allzuhoch und erheben sich weit über uns alle hinaus, und du schreckst auch nicht davor zurück, ein Recht zu verletzen um deines Ehrgeizes willen.
»Ja!« rief Bernhard mit starker Stimme, »das leugne ich nicht: es lebt in mir die brennende Sucht, Großes auszurichten auf Erden. Aber jetzt ist's nicht der Ehrgeiz, der mich treibt, nach dem Feldherrnstabe zu greifen. Des Königs Tod ist der härteste Verlust, der unsere Sache betreffen konnte, und in der furchtbar ernsten Lage darf nur der kommandieren, der wirklich die Kraft des Entschlusses hat. Und noch etwas ist's, was mich bestimmt. Vor den schwedischen Herren in Meuchen konnte ich dir's freilich nicht sagen, aber jetzt will ich dir's sagen, denn ich möchte, daß du mich begreifst. Aber dein Wort darauf, daß es unter uns bleibt.«
»Meine Hand und mein Wort!«
»Gebieter des Heeres wird jetzt der schwedische Reichsrat und mit seiner Vollmacht der Kanzler Oxenstierna. Der wird alles daran setzen, seinen Schwiegersohn, den General Horn, an die erste Stelle zu bringen. Unsern Bruder Wilhelm kann er ruhig beiseite schieben, denn für den regt sich im Heer keine Hand. Ich aber habe das Vertrauen der Obristen, sogar seit gestern der meisten schwedischen, und die Liebe des gemeinen Mannes. Mich kann er nicht beiseite schieben, denn dann werden die Kriegsvölker schwierig. Und so entgehen durch mich die deutschen Reichsfürsten dem Geschick, daß ihr oberster Befehlshaber ein schwedischer Edelmann wird. Das Heer ist schon zur größeren Hälfte deutsch und ficht auf deutschem Boden. So gehört ein Deutscher an seine Spitze und einer, der von fürstlichem Blut ist, denn es kämpfen hundert Grafen und Fürsten in seinen Reihen. Die wollen und sollen befehligt werden von einem ihresgleichen.«
Ernst blickte erstaunt den Bruder an. »Du zeigst mir die Sache in einem ganz neuen Lichte.«
»Ich gedenke sie dir noch ausführlicher darzulegen, wenn wir heute einmal allein sind. Jetzt aber wollen wir unsere Gäule zu schnellerem Laufe antreiben, denn wir kommen sonst allzuspät nach Weißenfels.« –
An dem Tore der Stadt, das sie dreiviertel Stunden später erreichten, hatte sich viel Volks angesammelt, auch Ratsherren und angesehene Bürger waren darunter. Als die beiden Herzöge durch den Torbogen geritten waren, drängten sich die Leute an ihre Rosse heran, und der Stadtsyndikus nahm sein Barett ab und sagte mit einer tiefen Verneigung: »Mit Verlaub, Ihr Herren, ist es wahr, daß eine große Bataille gewesen und der große König des Todes verblichen ist?«
»Herrgott, woher wißt Ihr das schon?« entfuhr es Bernhard.
»Ein Gerücht – o Gott, es ist also wahr!« flüsterte der Alte und taumelte zurück.
»Weiß es die Königin schon?«
Der Greis zuckte die Achseln. »Mir ist das nicht bewußt!«
»Wo wohnt die Majestät?«
»Im Geleitshause. Das Schloß haben die Friedländer vor ihrem Abzuge so demoliert, daß –«
»Ihr führt mich sogleich zu ihr. Alles andere erfahrt Ihr früh genug!« unterbrach ihn Bernhard gebieterisch, und der Syndikus ergriff gehorsam die Zügel seines Rosses und geleitete ihn zu dem Quartier der Königin.
Mit düsterer Miene stieg Bernhard die breite Treppe empor. Da hörte er plötzlich von oben einen Schrei, und gleich darauf fühlte er sich von weichen Frauenarmen fest umschlungen.
»Gundel! Liebstes Herz!« rief Bernhard und warf seine Arme um die Gestalt des laut aufweinenden Mädchens.
»Ach Bernhard, Gott sei Dank, daß du lebst! Aber ist das Schreckliche wahr? Ist der König tot?«
»Ja, Gott hat's gewollt. Weiß es die Königin?«
»Es hat noch niemand gewagt, ihr's zu sagen. Wir wußten's ja auch alle nicht sicher.«
»So komm, Liebste, führe mich zu ihr. Sie soll es durch keinen andern erfahren.«