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von Eduard dem Bekenner erstmals erbaut; Eduard III. ließ es niederreißen und durch William of Wykeham im 14. Jahrhundert ein neues Schloß bauen. Es wurde unter den folgenden Herrschern mehrfach erweitert, zuletzt im 19. Jahrhundert unter Georg IV., und Königin Victoria unter Leitung des Architekten Sir Jeffrey Wyattville. An dem südlichen Ufer der Themse, zweiundzwanzig englische Meilen westlich von London, thront auf einer Anhöhe das alte stattliche Schloß von Windsor. Von dieser herab genießt man eine der ausgebreitetsten Aussichten auf die schöne, reiche Gegend umher. Wunderbar kontrastiert diese mit dem ernsten Anblicke des Schlosses, seinen alten Mauern und mit Efeu umrankten Türmen.
Wilhelm der Eroberer erbaute dieses Schloß, kurze Zeit nachdem er sich zum Herrn von England gemacht hatte. Mit einer Mauer umgab es Heinrich der Erste und vergrößerte es. Später erwählte Eduard der Erste Windsor zu seinem Lieblingsaufenthalte, und Eduard der Dritte ward hier geboren. Vorliebe für den Ort, an welchem seine Wiege stand, bestimmte diesen, das Schloß, welches er zu seiner Sommerwohnung wählte, nach einem neuen Plane prächtiger zu bauen. Auch König Karl der Zweite wendete viel auf die Verschönerung von Windsor, und seit seiner Zeit blieb es der Lieblingsaufenthalt der Könige von England und ihre gewöhnliche Sommerwohnung. Unter der Regierung Georgs des Dritten ist ebenfalls manche Veränderung und Verschönerung damit vorgenommen worden. Der Schloßgraben ward ausgefüllt, ein Hügel, welcher die Aussicht gegen Morgen beschränkte, wurde geebnet, Festungswerke wurden abgetragen. Dennoch sieht das Schloß noch immer ehrwürdig und altertümlich genug aus, obgleich es viel von seinem ersten imponierenden Ansehen verloren haben mag.
Es hat zwei Höfe, den oberen und unteren; beide werden durch den sogenannten runden Turm, die Wohnung des Kommandanten, voneinander getrennt. An der Nordseite des oberen Hofes befinden sich die Staats- und Audienz-Zimmer, an der Ostseite die Appartements der Prinzen und gegen Süden die der vornehmsten Kronoffizianten. Der untere Hof ist wegen der St. Georgen Kapelle bemerkenswert. Die verschiedenen Säle und Staatszimmer zieren Tapeten und Malereien, bald von höherem, bald von geringerem Werte. An allen ist die Wirkung der Zeit sichtbar, und sie machen im Ganzen keinen heiteren Eindruck. Der merkwürdigste unter den Sälen ist der Georgen-Saal, der Kapitelsaal der Ritter des Ordens vom HosenbandeOrder of the Garter; angesehenster englischer Orden. Gestiftet von Eduard III. Der Überlieferung zufolge verlor Eduards Geliebte, die Gräfin Salisbury, bei einem Tanz ihr blaues Strumpfband. Der König hob mit dem Band auch den Rocksaum der Gräfin auf und entblößte dabei ihre Beine. Bis in das 19. Jahrhundert hinein war es zwar schicklich, die Büste mehr oder minder frei zur Schau zu stellen, nicht jedoch irgend etwas von den Beinen zu zeigen. Aus dieser Situation wird der Wahlspruch abgeleitet.. Er ist einhundertacht Fuß lang, am Ende desselben steht der königliche Thron, über diesem sieht man das St. Georgen-Kreuz in einer Glorie, umgeben mit dem von Amoretten getragenen Strumpfbande und der bekannten Inschrift: Honny soit qui mal y pense.
Die Staatszimmer hängen voll Gemälden, welche man aus Mangel an Zeit nur zu flüchtig betrachten muß. Dem Anschauer werden im Vorübereilen die Namen der größten Meister wie Tizian, Poussin, van Dyck, Holbein und viele andere genannt. Auch eine heilige Familie von Raffael und eine Anbetung von Paul Veronese zeigt man den Fremden als die Krone der Versammlung.
Der schönste Punkt von Windsor Castle ist die große, in ihrer Art einzige Terrasse. Sie erstreckt sich längs der östlichen und eines Teils der nördlichen Seite des Schlosses, ist eintausendachthundertsiebzig Fuß lang und von verhältnismäßiger Breite. Die Aussicht auf die Themse, welche sich durch eine der reichsten Landschaften hinschlängelt, auf die mannigfaltigen Landhäuser, Dörfer und Flecken, die ihre Ufer beleben, auf den parkähnlichen Wald von Windsor und die in der Nähe liegenden Gärten, ist über alle Beschreibung schön und reizend.
Nicht im eigentlichen Schlosse von Windsor wohnte die königliche Familie Georgs des Dritten, sondern in einem modernen Gebäude, welches der südlichen Terrasse gegenüberliegt. Hinter diesem Gebäude erstreckt sich ein wohlangelegter Garten, den man von einem Winkel der großen Terrasse übersieht. In ihm befindet sich ein zweites Gebäude, das die Prinzessinnen bewohnten.
Die Königin besaß nahe bei Windsor noch ein kleines, bürgerlich aussehendes Haus mit einem unbedeutenden Garten. Diese Besitzung, welche sie sehr liebte, heißt Frogmore. Hierher machte sie oft Landpartien mit ihren Töchtern und einigen Lieblingen unter ihren Damen. Kleine ländliche Feste an den Geburtstagen der Prinzessinnen, Frühstücke und dergleichen wurden hier gegeben, in einem sehr beschränkten Familienzirkel.
In Windsor mußte man vor der traurigen Krankheit Georgs des Dritten die königliche Familie sehen, um sich von ihrer Lebensweise und Persönlichkeit einen Begriff zu machen. Hier fielen die Schranken, welche Etikette und strenge Eingezogenheit in London um sich zogen. Dort hatte man kaum Gelegenheit, sie zu Gesichte zu bekommen, wenn man sich nicht präsentieren lassen wollte. Im Theater erschienen sie sehr selten, und beim Spazierenfahren oder Reiten eilten sie zu schnell vorüber, als daß man die Gestalten auffassen konnte.
Während ihres Aufenthaltes zu Windsor hingegen sah man sie alle Sonntage morgens in bescheidenen Negligé, nach englischer Sitte, beim Gottesdienst in der Georgen-Kapelle versammelt. War der König gesund, so versäumte er auch an Wochentagen nie, um sieben Uhr des Morgens in der königlichen Kapelle im oberen Hofe des Schlosses seine Morgenandacht feierlich zu halten, wobei ebenfalls jedermann zugelassen wurde. Später traf man ihn vormittags oft in den Wirtschaftsgebäuden, in den Pferdeställen, überall. Er trug dann einen einfachen, dunkelblauen Oberrock, mit einer runden braunen Perücke, die ihm völlig das Ansehen eines wohlhabenden Pächters gab. Er pflegte es nicht ungern zu hören, wenn man ihn Farmer George nannte; ländliche Ökonomie war in früheren Zeiten seine Lieblingsbeschäftigung.
An jedem heiteren Sonntagabend promenierte die ganze Familie auf der großen Terrasse, und dieses gewährte dann einen in seiner Art einzigen Anblick. Von der einen Seite die grauen altertümlichen Mauern des Schlosses mit ihren Zinnen und Türmen, von der anderen die oben erwähnte reiche Aussicht auf den Strom, Feld und Wald im verklärenden Glanze der sinkenden Sonne, und nun das bunte drängende Gewühl aller Stände, jeden Alters, beinahe jeder Nation; denn kein Fremder versäumte es leicht, Windsor wenigstens einmal von London aus an einem Sonntage zu besuchen. Zu der Menge von Fremden gesellten sich die Bewohner der umliegenden Gegend, vom vornehmen Gutsbesitzer bis zum geringsten Landmann; zwischen ihnen bewegten sich schwerfällige Bewohner der City mit ihren wohlbeleibten geputzten Ehehälften und zierlichen trippelnden Misses.
Auch wir waren an einem Sonntage gleich den anderen Fremden nach Windsor geflüchtet und mischten uns unter die bunte Menge. Auf und ab wogte das Gewühl, die große Terrasse war fast zu enge. Um sieben Uhr erschienen zwei Banden militärischer Musik auf der Schloßmauer an beiden Ecken der Terrasse.dazu Johanna: »In England sagt man immer eine Bande Musiker. Uns dünkt dies recht charakteristisch.«. Beide spielten gar lustig God save the King, ohne sich sonderlich umeinander zu kümmern; die Entfernung und das Geräusch waren auch zu groß, als daß sie viel voneinander hätten hören können. Mit dieser beliebten Melodie fuhren sie ohne weitere Abwechslung den ganzen Abend fort zu musizieren. Die königliche Familie erschien bald darauf; ein einziger Konstabler ging mit dem Stabe voraus, um nur einigermaßen Raum für sie zu machen. Man drängte sich von allen Seiten um sie her. Der König ging zuerst, an seiner Seite die Königin. Wo er einen Bekannten erblickte, redete er ihn an oder nickte ihm einen freundlichen Gruß zu, ohne Unterschied von Rang und Stand. Neugierig forschte er nach den Namen jeder ihm aufzufallenden Gestalt, und wir hörten verschiedentlich, wie er nach seiner alten, durch Peter Pindar so bekannt gewordenen Gewohnheit ein einsilbiges Wort oft drei- bis viermal hintereinander wiederholte. Mit dem Astronomen Herschel sprach er, so oft er ihm begegnete, einige Worte; auch die Königin war ausgezeichnet freundlich gegen diesen ihren Landsmann. Die Promenade schien ihr viel weniger Freude zu machen als ihrem Gemahl, an dessen Arm sie hing. Das Gehen auf den hohen, spitzigen Absätzen, die sie noch immer trug, wurde ihr sichtbar schwer; sie war sehr klein, und in dem grautaftenen Kleide, welches sie hoch in die Höhe nahm, mit einem altmodischen Mäntelchen von weißem Taft, sah sie gar nicht königlich aus. Der König schien oft ganz zu vergessen, daß er sie führte, und ging, stand oder kehrte plötzlich um, wie es ihm eben gefiel.
Hinter dem königlichen Paare wandelten die beiden ältesten Prinzessinnen am Arme einer Hofdame. Die zweite, Mary, hat ein interessantes Gesicht. Jetzt folgte die Prinzessin Elisabeth, auf zwei Hofdamen gestützt. Nach der Prinzessin Elisabeth folgten die beiden jüngeren Schwestern am Arme ihres Bruders, des Herzogs von Cambridge. So zogen sie in Prozession durch das Gewühl auf und ab; stand der König, so standen alle, wendete er um, so folgten sie ihm.
In der Zeit von anderthalb Stunden begegneten wir ihnen wenigstens zwanzigmal, denn so wie der König an einen etwas menschenleeren Teil der Terrasse kam, kehrte er um. Diese Promenaden machten ihm viel Vergnügen; selten kehrte er vor der Dämmerung nach Hause. Wir waren ihrer eher überdrüssig als er, denn er wandelte noch ganz munter umher, als wir die Terrasse verließen.
Das Städtchen Windsor hat wenig Ausgezeichnetes; es zieht sich den ganz beträchtlichen Hügel hinan, auf welchem das Schloß liegt. Die Straßen sind folglich bergig und unbequem zum Fahren und Gehen; auch die Gasthöfe fanden wir weniger gut, als man es in dieser Nähe des Hofes vermuten sollte.
Das Dorf Eton, bekannt durch die hohe Schule Eton College, liegt am Fuße des Hügels, jenseits der Themse, und wird nur durch eine Brücke von der Stadt Windsor getrennt. Die Schulgebäude zeichnen sich nicht durch ihre Bauart aus; die Kapelle aber ist ein schönes gotisches Gebäude, welches die reiche Landschaft noch mehr verschönert. Heinrich der Sechste stiftete und erbaute diese Schule im Jahr 1440. Sechzig Pensionäre werden dort auf Kosten des Königs erzogen, aber auch Söhne guter Familien für Bezahlung darin aufgenommen. Die Schüler sind in zwei Klassen geteilt, deren jede noch drei Unterabteilungen hat. Die Erziehung in diesen Anstalten, sowie auch das Studieren in Oxford und Cambridge haben noch viel Strenges und Klösterliches, sogar in der Kleidung. Im Monat August werden die Schüler in Eton examiniert und diejenigen ausgewählt, welche nach Cambridge gehen sollen, um ihre Studien fortzusetzen. Die zwölfe unter diesen, die sich im Examen am besten auszeichnen, haben das Recht, nach drei Jahren Mitglieder der Universität Cambridge zu werden, Fellows of the University, welches ehrenvoll und einträglich ist. Die Bibliothek in Eton ist bedeutend. Weitläufige, wohlunterhaltene Gärten umgeben die Schulgebäude.
Durch den Hyde Park hindurch, vorüber an den schönen Gärten von Kensington, führt der Weg zu diesen, besonders in botanischer Hinsicht mit Recht berühmten königlichen Gärten.
Vier englische Meilen fährt man von Kensington nach Kew zwischen einer seltenen ungebrochenen Reihe eleganter, mit zierlichen Grasplätzen und Gärten eingefaßter Landhäuser. Größtenteils sind diese der Aufenthalt wohlhabender Londoner Familien, deren Häupter in der Stadt ihren Geschäften nachgehen, während Frau und Kinder, fern von der dunstigen Atmosphäre der City, sich hier einer reineren Luft und aller Annehmlichkeiten eines ländlichen Aufenthalts in der schönen Gegend erfreuen. Oft schon erwähnten wir in diese Blättern der unbeschreiblichen Reize, welche Sauberkeit, Geschmack und augenscheinliche Wohlhabenheit diesen halb städtischen, halb ländlichen Wohnungen geben; beinahe ist es unmöglich, nicht immer in neue Lobsprüche auszubrechen, so oft man ihrer gedenkt, und sich dabei des Gefühls von häuslicher Ruhe und behaglichen Wohllebens erinnert, welches ihr bloßer Anblick selbst dem vorübereilenden Wanderer einflößt.
Nur die Gärten sind in Kew merkwürdig; das Haus des Königs ist klein, unbedeutend und dient ihm und seiner Familie bei den nicht seltenen Morgenpromenaden zu diesem Lieblingsorte nur gelegentlich zum Absteigequartier. Es wird nie von der königlichen Familie bewohnt und ist auch auf keine Weise solcher Bewohne würdig. Indessen war man während unseres dortigen Aufenthalts beschäftigt, ein großes massives Gebäude zum künftigen Witwensitz der Königin zu erbauen. Nie sahen wir etwas Ungeschickt-Schwerfälligeres als diese, im seinsollendgotischen, ganz verfehlten Geschmack aufgetürmte Steinmasse. Ungeheuer dicke Mauern, kleine, spaltenähnliche Fenster, dicke, unbeholfene Säulen geben ihr eher das Ansehen eines Staatsgefängnisses als der Wohnung einer Königin.
Die botanischen Gärten von Kew vereinigen eine unzählige Mannigfaltigkeit von Pflanzen aller Weltteile, aller Zonen, und gehören gewiß zu den merkwürdigsten in Europa, wenn sie nicht vielleicht alle übrigen übertreffen. Die überall wehende englische Flagge brachte von den entferntesten Ufern auf diesen kleinen Punkt fast alles zusammen, was nur auf Erden wächst. Von der Zeder des Libanons bis herab zum bescheidenen Heidekraut findet alles hier Pflege, Boden und Klima, wie es sie bedarf, um nicht nur kümmerlich zu vegetieren, sondern üppig zu wachsen, zu grünen und zu blühen. Der König liebte die Botanik, er wandte viel Geld und Mühe auf diese Gärten und freute sich ihres Gedeihens. Der berühmte Weltumsegler Sir Joseph Banks nahm sie unter seine spezielle Aufsicht, und seine, in den entferntesten Weltgegenden mit unsäglicher Mühe und Gefahr erworbenen botanischen Kenntnisse fanden hier ein weites, fruchtbares Feld. Auf diese Weise mußte etwas sehr Vollkommenes entstehen. Das durch die wärmende Seeluft unendlich gemilderte Klima, der natürlich warme Boden Englands tragen das ihrige bei, um der Anstalt das höchste Gedeihen zu geben. Hier, wo der Winter den Wiesen ihren grünen Teppich nie raubt, wo die Herden das ganze Jahr hindurch im Freien ihre Nahrung finden, wird jede aus einem milden Klima hergebrachte Pflanze bald einheimisch. Sehr viele, welche selbst im südlichsten Teile von Deutschland den größten Teil des Jahres im Hause gehalten werden müssen und nur während der Sommermonate dort der Luft ausgesetzt werden dürfen, wachsen hier üppig im Freien, wie in ihrem Vaterlande, zum Beispiel die großblättrige Myrte, der duftende Heliotrop und noch viele mehr.
Es ist eine große Freude, auf den festgewalzten, bequemen Kieswegen dieser Gärten zwischen mannigfaltig geformten Blumenbeeten zu wandeln und sich an dem freundlichen, ewig wechselnden Spiele der Natur mit Farben und Formen zu ergötzen; dann in die großen Treibhäuser zu treten, in jedem derselben eine andere neue Welt zu finden, in dem einen die seltensten Produkte des glühend heißen Afrika, im anderen alles zu bewundern, was im südlichen Amerika wächst; dann wieder sich an den Pflanzen milderer Zonen zu erfreuen, und doch immer das auf einem Punkte vereinigt zu sehen, was zusammengehört und gleichsam ein für sich bestehendes Ganzes ausmacht.
Auch die lebendigen Blumen der Lüfte werden hier gepflegt. Eine große Volière vereinigt eine Menge der schönsten ausländischen Vögel, die darin, wenigstens in scheinbarer Freiheit, ihr lustiges Wesen treiben, als wären sie zu Hause. In einer größeren Abteilung des Gartens werden eine Menge der schönsten Gold- und Silberfasanen gehalten, neben ihnen stolzieren prächtige, zum Teil seltene Pfauen und mehrere andere Arten größerer fremder Vögel. Mitten in dieser Abteilung des Gartens befindet sich ein Teich mit einer Insel, auf welcher ein chinesischer Pavillon erbaut ist. Wasservögel aller Art, mit langen und breiten Schnäbeln, schwimmen auf den silberhellen Wellen, oder wandeln auf langen Stelzbeinen gravitätisch am Ufer. Alles dieses fremde Volk ist froh und lustig, als wäre es im Vaterlande.
Auf einer großen grünen Wiese sahen wir ein anderes lustiges Schauspiel; einige vierzig Känguruhs hüpften darauf in völliger Freiheit umher.
Nichts Lächerliches gibt es in der Natur als diese wunderlichen Tiere. Sie wandeln mit Hilfe ihrer langen Schwänze aufrecht und machen dabei ganz gewaltige Sätze. Die kurzen Vorderbeinchen, die sie zum Gehen gar nicht brauchen können, halten sie auf eine possierliche Art vor der Brust. So aufrecht haben sie wohl Mannshöhe. Neugierig gucken die Jungen aus dem Beutel, in welchem die Mütter sie tragen, in die weite Welt. Macht die Mama einmal zu arge Sprünge, so fällt wohl so ein liebes Kleines aus dem Beutel heraus auf die Erde, wird aber gleich wieder sorgfältig aufgehoben und eingesteckt. Bisweilen erzürnten sich ein paar Männchen und fochten miteinander, indem sie, auf einem Hinterfuße und dem Schwanze stehend, sich mit dem langen scharfen Nagel am anderen Hinterbeine gewaltige Hiebe versetzten. Lange sahen wir dem argen, wilden Treiben dieses närrischen Volkes zu, das uns oft lautes Lachen abnötigte.
Als wir die eigentlichen Lustgärten von Kew zu sehen wünschten, ging unsere alte Not wieder an. Sie wurden nur sonntags gezeigt, und wir waren an einem Wochentage da. Als kein Zureden, kein Bitten, keine Vorstellungen etwas fruchteten, wurden wir verdrießlich und ließen unseren Unmut untereinander in gutem, vernehmlichem Deutsch aus. Zu unserem Glück hörte dies ein in der Nähe arbeitender deutscher Gärtner. Der süße Klang aus dem Vaterlande bewegte sein Herz, und er nahm sich der Landsleute so kräftig an, daß ihm endlich erlaubt wurde, unser Führer zu sein.
Wir fanden die Promenaden sehr angenehm, viel hohe, herrliche Bäume in einzelnen Gruppen; dichte Schattenpartien wechselten mit lichten Gängen zwischen Gras, Blumen und kleinem Gesträuch. Besonders reizend erschien uns ein reich geschmückter Blumengarten mit einem kleinen Wasserbassin, in welchem Goldfischchen spielten. Nur ein wenig zu überladen mit Gebäuden sind diese Gärten. Da gibt's Tempel in Menge, der Bellona, dem Pan, dem Äolus, dem Frieden, der Einsamkeit und wem nicht noch sonst geweiht; da ist ein Haus des Konfuz, eine Wildnis mit einem maurischen Gebäude, eine chinesisch seinsollende Pagode, eine Moschee, römische Ruinen, kurz - viel zu viel für den guten Geschmack. Keines dieser Gebäude ist ausgezeichnet schön, aber auch keines seines Platzes ganz unwert. Man kann sich indessen doch nicht enthalten, manches davon wegzuwünschen; denn dieses bunte Allerlei wird niemandem gefallen, der Gelegenheit hatte, die liebliche Einfachheit der englischen Parks zu bewundern.
Ein höchst angenehmer Weg führt durch die Gärten von Kew zu den daran stoßenden von Richmond. Viele Gebäude, mit denen auch diese unter der Regierung mehrerer Könige und Königinnen überladen wurden, sind glücklicherweise wie von selbst verschwunden. Auch waren sie wohl nirgends schlechter angebracht als auf diesem zauberisch schönen Flecke, wo die ganze Gegend ringsumher einem großen herrlichen Garten gleicht.
Nur ein Landhaus der Königin, welches diese oft mit ihrer Familie besuchte, steht an einem der freundlichsten Plätzchen des Gartens, einfach und anspruchslos; an einem andere Orte die vom Könige erbaute Sternwarte. Sie soll besonders wegen mehrerer, vom Doktor Herschel verfertigter Instrumente merkwürdig sein. Wir besuchten sie nicht, die Erde erschien uns hier zu schön, um von ihr weg den Blick zum Himmel zu wenden.
Schon von der hübschen steinernen Brücke aus, die nahe vor dem berühmten Hügel von Richmond über die Themse führt, genießt man einer entzückenden Aussicht auf dem Strom, seine mit schönen Villen geschmückten Ufer und den sich sanft zu keiner sehr beträchtlichen Höhe erhebenden grünenden und blühenden Hügel. Weit schöner noch ist es, wenn man diese Anhöhe ersteigt und nun aus dem Fenster des darauf erbauten Gasthofs hinabblickt auf eines der reizendsten Täler der Welt. Größere, ausgebreitetere, romantisch schönere Aussichten gibt es viele, aber keine, welche an Anmut diese überträfe. Ein unaussprechlich süßes Gefühl von Ruhe, stillem Glück, Freude am Leben ergreift jeden mächtig, der von hier aus den Blick herabsenkt. Alles grünt und blüht in der herrlichsten, üppigsten Vegetation. Die höchstmögliche Kultur schmückt das weite, von einem der schönsten Sröme belebte, von sanft anschwellenden, waldgekrönten Hügeln umgebene Tal. Selbst England bietet keine solche zweite Aussicht dar, und außer dieser Insel kann es keine ähnliche geben; wo fände man noch dieses frische Grün in Wiese und Garten, Feld und Wald?
In mannigfaltigen Biegungen und Krümmen durchströmt die Themse dies Paradies. Hier ist sie noch nicht der mächtige Strom, der dort, nahe bei der Hauptstadt, sich prächtig weit ausbreitend, die Schätze aller Weltteile auf seinem Rücken trägt. Nur schiffbar für kleinere Fahrzeuge, gleitet sie durch die friedliche Landschaft, selbst das Bild eines schönen tätigen Lebens in stillem Frieden. Überall trägt sie die klaren Wellen hin, verschönt, erfrischt, tränkt die Umgebungen und wandert dann geräuschlos weiter.
Das üppigste Gedeihen füllt Wald, Höhe und Tal, krönt die Ufer, die schönen Hügel, so weit das Auge nur reicht. Weiße Giebel freundlicher Pächterwohnungen, schöne Fassaden prächtiger mit Säulen geschmückter Villen, Landhäuser, umrankt von Jelängerjelieber, Türme entfernterer Kirchen, stattliche Schlösser, freundliche Dörfer und Städtchen blinken überall hervor aus Bäumen und Gebüsch, in der Höhe und in der Tiefe, in der Nähe und in der Ferne. Wohin das Auge sich wendet, erblickt es freundliche Gegenstände, überall ist Lebensgenuß und Freude, nirgends Geräusch und ängstliches Treiben. Am Ufer des schimmernden Stromes drängt sich alles dies noch freundlicher zusammen und spiegelt sich in den klaren Wellen, damit alles Schöne und Herrliche verdoppelt erscheine. Aus der Ferne schauen die ehrwürdigen grauen Türme von Windsor von ihrem Hügel herüber, unten, mehr in der Nähe, breitet sich stattlich das große königliche Schloß Hampton Court aus; fast ganz im Vordergrunde, nahe an der Themse, liegt das reizende Schloß Strawberry Hill; dicht daran das aus lauter schönen Häusern zusammengesetzte Dorf Twickenham mit seiner hübschen Kirche. Hart am Strome zeichnet sich die elegante, ehemals vom Dichter Pope bewohnte Villa aus.
Es wäre sehr zwecklos, diese wunderbar reizende Gegend umständlich beschreiben zu wollen; nicht einmal der Pinsel, viel weniger die Feder können ihren Zauber wiedergeben. Wer von unseren Lesern vielleicht einst aus dem einen Eckfenster des kleinen Schlosses, auf der Höhe von Dornburg bei Jena, hinab in das stille Saale-Tal, auf die sanft sich hinwindende Saale blickte, der hat einen schwachen Abriß, ein Miniaturbild des Tales von Richmond gesehen. Uns ergriff die Ähnlichkeit dieser Aussicht mit der von Richmond Hill beim ersten Anblick. Nur daß dort alles groß, mannigfaltig ausgebreitet daliegt, was sich hier eng und klein zusammenschmiegt; auch schmücken nicht unzählige Türme und Gebäude das stille, einsame Saaleufer, wie sie dort die Ufer der stolzen Themse krönen.
Aus den Fenstern des auf Richmond Hill erbauten Gasthofs zum »Stern und Strumpfband«, Star and Garter, übersieht man all diese Herrlichkeiten mit einem Blick. Nicht nur die einzig schöne Lage, sondern auch die vorzüglich gute Einrichtung und Bedienung erheben diesen Gasthof zu einem der ersten in England.
Ihm gegenüber ist der Eingang zum Park, den man zu den größten rechnet und dessen Umfang acht englische Meilen beträgt. Bescheiden hat die Kunst hier nur für die Bequemlichkeit der Wandelnden gesorgt, ohne sich vorzudrängen. Zahme Hirsche und Rehe weiden hier in großer Anzahl zwischen herrlichen Bäumen. Sie wurden von Hampton Court, wo sie sonst wohnten, hierher gebracht, da der alte König dort selten hinkam. Überall im Park öffnen sich Aussichten auf einzelne Teile der großen Landschaft, die man von Richmonds Hügel erblickt; in anderen Zusammenstellungen, von einem anderen Standpunkte aus gesehen, bilden sie hier neue Ansichten und vervielfältigen den Genuß ins Unendliche.
Wenige Meilen hinter Hampton Court, etwas entfernter von der Themse, fuhren wir durch den schönen Park von Claremont, alsdann durch das nahe daran gelegene freundliche Städtchen Chobham nach Painshill. Das Haus von Claremont Park wird Fremden nicht gezeigt. Seine Außenseite verspricht nichts Außerordentliches. Man lobt sehr dessen innere Einrichtung und die vielen Gemälde und anderen Kunstwerke, die es verbirgt.
Die Gärten von Painshill waren die ersten, welche wir vor mehreren Jahren bei einem früheren Aufenthalte in London besuchten. In der Nähe dieser Hauptstadt gibt es keinen Landsitz, dessen Promenaden sie an Größe und Schönheit überträfen. Erwartungsvoll, als gingen wir einem alten Freunde entgegen, langten wir an; aber der heutige Tag war ein Tag getäuschter Hoffnungen für uns. Wir wurden nicht eingelassen. Painshill war seit kurzem verkauft. Der jetzige Besitzer, ein reicher Londoner Bankier, erlaubte niemandem mehr den Eintritt in sein mit baren Guineen bezahltes Paradies. Traurig sahen wir von weitem die schönen Bäume, nach deren Schatten wir uns sehnten, und wandten uns wieder zur Themse, nach dem hart an ihren Ufern erbauten Städtchen Staines, in dessen Nachbarschaft es eben sehr lustig beim Pferderennen herging.
Das frohe, bunte Gewühl der Zuschauer ergötzte uns und zerstreute schnell den Verdruß über unser Mißgeschick in Painshill und Claremont Park. Er erinnerte uns von neuem auf das Lebhafteste an die Jahrmärkte und Kirchmessen, welche in Deutschland von Zeit zu Zeit Dörfern und kleinen Städten Leben und Freude bringen.
Dicht neben dem Gasthofe in Staines führt eine hoch und kühn gewölbte Brücke über den Strom. Nicht ganz so groß als die bei Sunderland, gleicht sie jener auf's Genaueste und verdient allein, daß man die kleine Reise von London hierher macht, besonders wenn man nicht nach Newcastle und Sunderland zu reisen Gelegenheit hat. Leicht und zierlich wie ein kühner Sprung wirft sie sich über den Strom, und der Pont aux arts in Paris läßt sich trotz seiner mit Orangenbäumen garnierten Geländer auf keine Weise mit diesem schönen, wie von Feenhänden durch die Luft gezogenen Bogen vergleichen.
Von Staines führte uns ein sehr angenehmer Weg durch eine höchst reizende, fruchtbare Gegend, fast immer im Angesicht der Themse, über Windsor nach dem nahe dabei gelegenen Salthill, einem einzelnen Gasthofe, welcher alle Bequemlichkeit bietet, die man nur wünschen kann. Von London aus werden oft Landpartien dahin gemacht, besonders von Fremden, die mehrere Tage hier verweilen, um alles Schöne mit Muße zu genießen, was Windsor und die mannigfaltigen Reize der Gegend ringsumher gewähren.
Ganz nahe an Salthill liegt das kleine Dorf Slough, in welchem Doktor Herschel seit mehreren Jahren in einem nicht großen, aber sehr hübschen, vom Könige ihm geschenkten Hause wohntSir William (1738-1822); entdeckte den Planeten Uranus und über 250 Nebel und Sternhaufen. Seine Schwester Karoline (1750-1848) entdeckte mehrere Kometen.. Wir hatten ein Empfehlungsschreiben an unseren berühmten Landsmann. Freundlich empfing er uns, er und seine ihm an Geist und Ausbildung ähnliche Schwester. Während diese die Aufsicht über den Himmel mit dem Bruder teilte, machte sie ihm zugleich das Leben auf der Erde so angenehm als möglich und überhob ihn jeder irdischen Sorge. Fast gleich aneinander an Jahren, beide ganz demselben hohen Zwecke ergeben, genossen diese seltsamen Geschwister in ruhiger, ländlicher Stille hier ein schönes, glückliches Dasein.
Die königliche Familie, unter deren besonderem Schutze sie einzig ihrer Wissenschaft lebten, zeichnete sie auf alle Weise aus, besonders während des Sommeraufenthaltes in Windsor. Die ganze Nachbarschaft, Reiche und Arme, Vornehme und Geringe, ehrten und liebten sie; überall war man ihres Lobes voll, sowie wir nur ihren Namen nannten.
Trotz seines hohen Alters und der von seiner Wissenschaft unzertrennlichen Beschwerden, die in den feuchten englischen Nächten vielleicht zerstörerischer sind als irgendwo, erfreute sich Doktor Herschel einer festen, dauerhaften Gesundheit. Im Umgange war er heiter, anspruchslos und nahm auf's erste Wort für sich ein, so auch seine Schwester. Durch den langen Aufenthalt in England hatten beide ihre Muttersprache verlernt, wenigstens wurde es ihnen schwer, sich geläufig darin auszudrücken; übrigens aber waren sie Deutsche geblieben, und ihr ganzes Wesen trug unverkennbar den Stempel unserer Nation.
Gefällig und freundlich zeigte uns Herschel seine astronomischen Instrumente. Das große Riesen-Teleskop in seinem Hofe betrachtete er selbst mehr nur als eine Seltenheit und bediente sich fast immer kleinerer Fernrohre. Er gestand, daß er mit diesen alle seine wichtigen Entdeckungen machte, und daß nicht die Größe der Gläser, sondern unablässige Aufmerksamkeit, Fleiß und Treue in seinen Beobachtungen ihn zu der Höhe brachten, die er erreicht hatte.
Alles, was wir hier sahen, ist in Deutschland bekannter, als wir, bei unserem Mangel an den dazugehörigen Kenntnissen, durch unsere Beschreibung es machen könnten. Herschel erschien uns immer selbst das Merkwürdigste unter allen seinen Umgebungen. Nach dem bekannten Sprichworte lobt zwar das Werk den Meister, aber uns dünkt doch, daß der Meister immer über sein Werk erhaben bleibt.
Doktor Herschel gehörte zu den merkwürdigen Menschen, die ohne äußere Unterstützung, ohne daß ihre Eltern sie durch eine, ihrem Talent angemessene Erziehung auf das Leben vorbereiten konnten, in die Welt treten, arm, freudlos, aber mit festem Willen, hellem Blick und nie zu ermüdendem Mute bei allen Stürmen des Lebens. Er ward 1738 im Hannoverischen geboren. Sein Vater, ein armer Musiker, mit vielen Kindern, konnte wenig mehr für ihn tun, als daß er ihm, so gut er es vermochte, in seiner eigenen Kunst Unterricht erteilte. Doch fand der Knabe bald Gelegenheit, Französisch zu lernen, und glücklicherweise war sein Lehrer auch übrigens ein unterrichteter Mann, der ihm einige logische und mathematische Kenntnisse beibrachte, die den jungen Geist des lernbegierigen Schülers auf das lebhafteste beschäftigten. Während des siebenjährigen Krieges gingen Herschel und sein Vater mit dem Musikchor eines hannoverischen Regiments nach England. Der Vater kehrte nach einiger Zeit mit seinem Regiment zurück ins Vaterland, während der Sohn sich entschloß, in London zu bleiben und dort sein Glück zu versuchen. Aber sein Stern war noch nicht aufgegangen. Verloren in der Menge, übersehen, zurückgestoßen überall, gehörte sein fester Geist dazu, um hier nicht den Mut zu verlieren. Er verließ die glänzende Hauptstadt, die dem schutzlosen unbekannten Fremdling sich so unfreundlich zeigte, und wanderte ins nördliche England. Auch hier irrte er eine Zeitlang von Ort zu Ort, bis endlich in Halifax ihm eine bleibende Stätte ward. Die Stelle eines Organisten war dort eben erledigt, er meldete sich dazu, bestand in den Proben und ward angenommen. Außer den Stunden, welche er seinem Amte widmen mußte, und einigen anderen, die er, um Geld zu verdienen, auf musikalischen Unterricht verwendete, gab er alle seine übrige Zeit jetzt dem Sprachenstudium hin. Mit der italienischen Sprache fing er an, dann lernte er mit vieler Anstrengung Latein, in welchem er große Fortschritte machte; das Griechische, was er auch zu studieren anfing, gab er indessen bald wieder auf. Alle diese Studien trieb er für sich allein, ohne fremde Hilfe. Vom Studium der Sprachen schritt er weiter zu noch ernsteren Kenntnissen, immer allein und ohne Lehrer. Zuerst erwarb er sich eine vollkommene Übersicht des ihm zunächst gelegenen, der Theorie der Harmonie, dann drang er weiter und immer weiter zur Mathematik und allen ihr verwandten Wissenschaften.
So verflossen ihm in Halifax einige von ihm höchst nützlich verwandte Jahre auf das Angenehmste, dann ward er, ebenfalls als Organist, nach Bath berufen. Hier fand er mehr Arbeit in seinem einmal erwählten Stande, er mußte in den Assemblee-Sälen spielen, in Konzerten, im Theater, aber alles dieses hinderte ihn nicht, in seinem eigentümlichen Berufe fortzufahren. Trotz der überhäuften Arbeit, trotz der Lockungen zu einem zerstreuten Leben in der glänzenden Außenwelt, die ihn umgab, blieb er seinem Genius treu und verwachte viele Nächte bei den abstraktesten Gegenständen.
Astronomie und Optik beschäftigten ihn jetzt fast ausschließend. Mit unbeschreiblichem Vergnügen betrachtete er den gestirnten Himmel durch ein von einem Freunde geliehenes Teleskop. Unwiderstehlich erwachte in ihm der Wunsch, einen ganzen astronomischen Apparat zu besitzen. Unbekannt mit den dazu erforderlichen Kosten, schrieb er einem seiner Londoner Bekannten, er möge ihm für's erste ein größeres Teleskop aus der Hauptstadt schicken. Dieser, verwundert über den dafür geforderten Preis, wagte den Einkauf nicht, ohne Herschel vorher davon zu benachrichtigen. Auch dieser erschrak nicht wenig darüber, denn die verlangte Summe schien ihm unerschwinglich. Statt sich aber dadurch niederschlagen zu lassen, faßte er jetzt den kühnen Entschluß, selbst ein solches Instrument, wie er es sich wünschte, zu verfertigen. Nach unendlichen fehlgeschlagenen Versuchen mit den schlechtesten Hilfsmitteln, immer angefeuert durch seinen strebenden Geist, gelang es ihm endlich im Jahr 1774, den Himmel durch einen, von ihm selbst verfertigten, fünffüßigen Newtonschen Reflektor zu betrachten. Jetzt strebte er weiter und immer weiter, verfertigte Instrumente von einer zuvor nie gesehenen Größe und hielt doch fest bei seinem einmal angefangenen Berufe. Oft eilte er aus dem Theater, aus den glänzenden Konzertsälen, während der Pausen hinaus ins Freie zu seinen Sternen und kehrte dann zur rechten Zeit zurück zum Notenpulte.
Von dieser Zeit an datieren sich seine weltbekannten astronomischen Entdeckungen. Herschel ward berühmt und zuletzt drang sein Ruf bis zum Könige. Im Jahr 1782 nahm ihn dieser ganz unter seinen Schutz, befreite ihn von seinen beschwerlichen Berufsarbeiten, gab ihm eine lebenslängliche Pension und räumte ihm die Wohnung in Slough ein, wo wir so glücklich waren, den ehrenwerten Mann persönlich kennenzulernen, und von wo aus er bis an seinen vor einigen Jahren erfolgten Tod die Geheimnisse der Sphären belauschte.
Von Slough nahmen wir unseren Weg über Oatlands zurück nach London. Diese einsame ländliche Wohnung der seitdem auch verstorbenen Prinzessin Friederike von PreußenGattin des Herzogs von York, eines Bruders von Georg IV., den sie 1791 heiratete. Wegen Kinderlosigkeit trennten sie sich nach sechsjähriger Ehe. Die Wochenendgesellschaften in Oatlands waren berühmt, und auch der Herzog besuchte sie bisweilen trotz ihrer Trennung., Gemahlin des Herzogs von York, liegt in geringer Entfernung von den Ufern der Themse, fast am äußersten Ende des schönen Tals, welches der Blick von Richmonds Hügel aus beherrscht. Hier wohnte diese Fürstin, die Tochter König Friedrich Wilhelms des Zweiten, als Kind schon der Liebling ihres großen Oheims, beinahe das ganze Jahr hindurch in klösterlicher Eingezogenheit, umgeben von wenigen Damen. Selten nur kam der Herzog mit einigen Freunden nach Oatlands und brachte Abwechslung in ihr einförmiges Leben. Ihre Hauptbeschäftigung waren wunderschöne Stickereien, an welchen sie mit ihren Damen bis tief in die Nacht arbeitete. Wenn der Morgen dämmerte, ging sie gewöhnlich erst zur Ruhe, und stand auf, wenn die Sonne wieder zu sinken begann.
Der böse Genius, der uns vom Anfange dieser kleinen Reise begleitete und uns so manche Erwartung vereitelte, schien uns auch hier noch nicht verlassen zu wollen. Wir waren leider wieder nicht an dem Tage dort, an welchem Fremden der Eintritt erlaubt wird, und hätten durchaus an einem Sonntage kommen sollen, versicherte uns eine alte, ziemlich grämliche, korpulente Dame, die Frau des Kastellans. Neben ihr stand ein ebenso wohlbeleibter und verdrießlicher Berliner Mops und wies uns knurrend die weißen Zähne. Trotz dieser trüben Aspekte versuchten wir unsere Redekünste und glücklicherweise nicht ohne Wirkung. Wir stellten ihr vor, wie wir ausdrücklich aus Deutschland über's Meer hierher gekommen wären, um unseren Landsleuten hernach sagen zu können, wie es in der Wohnung unserer Prinzessin aussähe und wie es ihr erginge? Dies rührte das Herz der alten Dame, zusehends wurde sie freundlicher, der knurrende Mops ward auf sein Kissen verwiesen, sie schrieb ein Billett an Madame Silvester, eine deutsche Favorite der Herzogin, und machte zuletzt noch eine große Toilette, um uns selbst ins Schloß zu begleiten. Langsam wedelnd watschelte jetzt der Mops gesellig neben uns her.
In dieser Begleitung durchwanderten wir zuerst einen schönen großen Park, dann traten wir in einen Blumengarten, voll der schönsten und seltensten Pflanzen. Eine Menge großer und kleiner, lang- und kurzgeschwänzter Affen trieb darin ihr lustiges Wesen. Die Herzogin liebte diese und alle Tiere, welche sich zur häuslichen Geselligkeit erziehen lassen. Fremde und einheimische Vögel, Papageien, Hunde aller Art fanden wir in großer Anzahl überall in und um ihre Wohnung.
Die größte Zierde des nicht groß, nicht prächtig, sondern ganz einfach und fast bürgerlich eingerichteten Schlosses waren die künstlichen Stickereien der Fürstin und ihrer Damen. Die Spaziergänge fanden wir sehr angenehm, sehenswürdig allein eine schöne, mit seltenen Versteinerungen und Fossilien aus Derbyshire etwas phantastisch verzierte Grotte, die ein marmornes Bad enthält. Rund um sie her lagen die mit Inschriften versehenen Gräber der verstorbenen Lieblingshunde und Affen der Fürstin. Diese erinnerten uns lebhaft an den Kirchhof, welchen Friedrich der Große in Sanssouci für seine vierbeinigen Freunde einrichtete und in dessen Mitte er einst, in einer trüben Stunde, sein eigenes Grab bereiten ließ.
Die nördlichen Ufer der Themse in der Grafschaft Kent sind nahe bei London mit unzähligen Magazinen, Schiffswerften und anderen dem Seehandel unentbehrlichen Gebäuden bedeckt. Hier auf der befahrensten Straße zum »Markte der Welt« ist alles der rastlosesten Tätigkeit geweiht, und die ländlichen Freuden fliehen von selbst diesen ewigen Lärm, wo der Amboß und der laute Ruf einer zahllosen Menge arbeitender Menschen unaufhörlich ertönt.
Nahe an der Stadt erblickt man ein Riesenwerk unserer Tage: die dem westindischen Handel gewidmeten Docks. Eine Gesellschaft Londoner Kaufleute erbaute sie vor nicht gar langer Zeit. Sie kosteten die ungeheure Summe von sechshunderttausend Pfund Sterling. Eine Abgabe von den hier abzuladenden Waren entschädigt die Unternehmer für ihre Auslage vollkommen, denn alle Westindienfahrer müssen in diesem durch Kunst hervorgebrachten Hafen ihre Waren ein- und ausladen. Er besteht aus zwei ungeheuren Bassins, von welchen das kleinere bloß zum Laden dient, das größere zwei- bis dreihundert große Schiffe beherbergen kann, die darin sicher und bequem unter Schloß und Riegel liegen.
Man kann sich den imposanten Anblick des Ganzen kaum vorstellen. Schöne breite Quais, belebt von allem Gewühl des Seehandels, umgeben die mit Schiffen bedeckten Bassins. Einer Reihe Paläste gleich, stehen die großen prächtigen Magazine die Quais entlang; kein Fleck ist unbenutzt, und trotz der Größe des Ganzen scheint es oft noch an Raum zu fehlen. Diese Einrichtung gewährt dem Handel nicht zu berechnende Vorteile; denn die mit den kostbarsten Waren beladenen Schiffe liegen hier gesichert gegen allen Diebstahl, in einem ganz abgesonderten Raume, geschieden von den übrigen Fahrzeugen, welche den Hafen überfüllen. Da die Westindienfahrer gewöhnlich in großen Flotten zugleich anlangen, so entstand bei ihrer Ankunft sonst immer eine gewaltige Verwirrung, ein fürchterliches, unendliches Schaden und Verlust mit sich bringende Gedränge auf dem Strome. Dem ist nun vorgebeugt, und alles geht mit Ruhe und Ordnung vonstatten.
Den prächtigen Docks gegenüber breitet sich das stattliche Greenwich aus, und man braucht nur in einem der immer bereit liegenden Boote quer über die Themse zu schiffen, so ist man in diesem der Ruhe gewidmeten Asyl; nur einige Schritte weiter in dem schönen Park von Greenwich und die friedlichste Stille umgibt uns, kein Laut von jenem unruhigen Treiben der gelderwerbenden Menge tönt mehr herüber.
Hinter dem Park erstreckt sich die nicht große, aber als Haupttummelplatz englischer Straßenräuber berüchtigte Heide von Blackheath, welche jedoch in üblerem Rufe steht, als sie es verdient. Im Ganzen scheint die Zahl jener Unholde in England ziemlich abgenommen zu haben, und manche Mordgeschichte, die man in den englischen Blättern liest, wurde nur ersonnen, um den Platz zu füllen, oder den übrigen, oft faden Inhalt der Neuigkeiten bekannter zu machen.
Von Blackheath aus machten wir eine kleine Lustreise durch einen anderen Teil der Grafschaft Kent, als der war, welchen wir auf der Reise von Dover nach London sahen.
Gleich anfangs erfreute uns, wenige Meilen von London, eine in ihrer Art einzige, wunderherrliche Aussicht. Wir sahen die mächtige Stadt, ihre unzähligen Türme und den Dom von St. Paul ausgebreitet daliegen am Ufer des Stroms, der, bedeckt mit Masten, wirklich im strengsten Sinne des Worts wie ein seiner Zweige beraubter Wald sich zeigte. Gerade vor uns lag Greenwich, zur linken Hand die nicht unbeträchtliche, fast einzig dem Schiffsbau gewidmete Stadt Deptford mit ihrem Hafen, ihren Docks, ihren gewühlvollen Schiffswerften, rechts die ihr ähnliche Stadt Woolwich, in welcher sich das ungeheure Arsenal der englischen Seemacht nebst vielen dazugehörigen Schmieden, Magazinen und Fabriken befindet. Das sanfthügelige Land ringsumher, belebt durch unzählige Dörfer, trägt ganz den englischen Charakter; alles ist grün, fruchtbar, angebaut und geschmückt mit einzelnen Gruppen ehrwürdiger Eichen und Buchen.
Manchen schönen Park mit seiner Villa, manche reizende ländliche Wohnung sahen wir im Vorbeifahren, bis zu dem vierzehn Meilen von London entlegenen Landstädtchen Bromley. Hier drängen sich indessen die Landsitze nicht so aneinander als in der Gegend um Richmond herum, denn es fehlen die höheren Reize, die dort der alles belebende Strom gewährt, und überhaupt mangelt es der Grafschaft Kent an Gewässern.
Nahe bei Bromley besuchten wir einen alten Freund, den wir vor mehreren Jahren in einem kleinen Hause der City als einen mittelmäßig wohlhabenden Kaufmann in seinem Comptoir verließen und hier als den reichen Besitzer von Tunbridge Park wiederfanden. Ein schöner Park, angenehme Gärten und Spaziergänge umgeben die elegante, von unserem Freunde ganz im italienischen Geschmacke erbaute Villa. Der Tempel der Ceres nahe bei Rom diente der Hauptfassade zum Modell.
Wenige Meilen weiter, nahe beim Städtchen Sevenoaks, liegt Knole, der uralte Sitz des Herzogs von Dorset. Bis hierher behält die Gegend denselben Charakter, hügelig, grün, angebaut wie ein Garten.
Das durch sein Alter ehrwürdige Schloß liegt mitten in einem weitläufigen Parke, dessen himmelanstrebende Eichen vielleicht schon vor seiner Erbauung dastanden. Es ist ein düsteres, weitläufiges Gebäude, dessen innere Einrichtung aus einem wunderlichen Gemisch von Altem und Neuem besteht. Einige Zimmer sind ganz modern möbliert, andere, wie sie vor ein paar hundert Jahren es waren; die übrigen, gerade die am meisten bewohnt zu werden schienen, enthalten Altes und Neues durcheinandergemischt und nehmen sich eben nicht zum besten aus.
Besonders merkwürdig für den Forscher nach alter Sitte sind zwei Zimmer; das erste steht noch da, wie König Jakob der ErsteKönig von Großbritannien und Irland (1603-25), als König von Schottland Jakob IV. (1567-1625), Sohn Maria Stuarts. es verließ, der einmal eine Nacht darin zubrachte. In dem hohen geschnitzten Bette könnten wenigsten sechs Personen bequem Platz finden; an den Spiegeln ist mehr Schnitzwerk als Glas, und die zentnerschweren Lehnstühle sind mit kleinen Treppen zum Hinaufsteigen versehen.
Das andere Zimmer, dessen Einrichtung aus derselben Zeit stammt, ist ein kostbares Denkmal der damaligen soliden Pracht. Die aus Gold und Silber gewirkten Gardinen des Bettes, welches allein zwanzigtausend Pfund Sterling gekostet hat, scheinen ihre Entstehung eher dem Amboß und Hammer als dem Webstuhle zu verdanken, so massiv sind sie, und die mit einer zolldicken künstlichen goldenen Stickerei über und über verzierte Decke desselben würde jeden, der darunter schlafen wollte, durch ihre Schwere erdrücken. Eine silberne Toilette von schöner alter getriebener Arbeit, ein großer silberner Tisch und ein geschnitzter Schrank, groß wie ein Haus in den Hochlanden, über und über besetzt mit silbernen Prunkvasen, machen das Ameublement vollständig.
Viele andere Zimmer enthalten eine Menge guter alter Gemälde. Besonders merkwürdig in dieser Hinsicht ist eine lange Galerie voll Familienportraits und Bildnissen ausgezeichneten Menschen früherer Zeit. Manche wunderliche Karikatur, aber auch mancher vortrefflich gemalter Kopf blickt hier von den Wänden auf uns herab. Zu den letzteren gehört besonders ein sehr charakteristisches Porträt Cromwells, nächst dem Luthers, dessen bleichen Freundes Melanchthon und Erasmus, gemalt von Lucas Cranach. Die Porträts fast aller bekannten und berühmten Gelehrten und Dichter Englands füllen ein besonderes Kabinett.
Weiterhin hinter Knoles erhebt sich die Gegen allmählich; höhere Berge gewähren dem Reisenden manche schöne Aussicht; bald zeigen wunderbar gestaltete Felsen ihre kahlen Scheitel; weiter blickt man hinab in die tiefen Schluchten eines sehr pittoresken Steinbruchs; dann zeigt sich die schöne Ruine eines uralten Schlosses hoch auf einem Berge, der drohend auf das an seinem Fuße liegende Städtchen Tunbridge hinabschaut. So geht es fort bis zu dem einige Meilen weiterhin gelegenen freundlichen Badeorte Tunbridge Wells.
Dieser wird sehr häufig besucht, da er nur sechsunddreißig Meilen von der Hauptstadt entfernt ist und man den Weg dahin in wenigen Stunden zurücklegt. Wir würden indessen die Grenzen der nächsten Umgebung überschreiten, wenn wir uns auf dessen nähere Beschreibung hier einließen; auch zeichnet er sich weder durch seine innere Einrichtung noch durch seine Lage vor anderen ähnlichen Orten aus. Tunbridge sei also der Scheidepunkt, wo wir dem Leser, der uns freundlich bisher begleitete, ein dankbares Lebewohl sagen.