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Sommerliebe.

Der Spätherbst, diese trübste aller Jahreszeiten, hatte so eben seine düstere Herrschaft angetreten, und die Residenz füllte sich wieder mit Familien, welche von ihren Landgütern oder aus Badeorten in die Winterwohnungen heimkehrten. Die geselligen Freuden hatten den gewohnten Kreislauf zwar noch nicht wieder begonnen, aber dennoch wurden schon überall Anstalten getroffen, gegen das Eindringen der Langenweile, dieses allgemeinen, gefürchteten Feindes, der während der immer langer werdenden Abende ernstlich einzubrechen drohte. Auf allen Straßen liefen athemlose Bothen umher, mit Subscriptionslisten zu Thee-dansants und Bal-parèes, zu Klubbs, Liebhabertheatern und Karten-Assembleen. Auch die Morgen wurden bedacht; für diese ästhetische Vorlesungen und musikalische Vereine in Vorschlag gebracht; Akademien, in denen jeder singen durfte, wie ihm der Schnabel gewachsen war, und literarische Frühstücke, bey welchen man alle Sprachen reden durfte, nur nicht die, in welcher dieses am besten von Statten ging, die eigene Deutsche Muttersprache. Jede der neun oder zehn Classen, in welche die vorzugsweise sich so nennende gute Gesellschaft sich eintheilte, beeiferte sich bey diesen Einrichtungen so wenig als möglich hinter der ihr zunächst Vorangehenden zurück zu bleiben. Denn die Stadt war groß und volkreich, und ein glänzender Hof gab den Einwohnern derselben ein Beyspiel von Pracht und Eleganz, dem Alle mehr oder weniger nach Kräften nachzueifern versuchten.

An einem sehr dunkeln Abende, während welchem der Regen in Strömen sich ergoß, hatte das bey solchem Wetter immer fühlbarer werdende Bedürfniß der Geselligkeit alle Equipagen in ungewöhnliche Bewegung gesetzt. Eine bunte Schar Besuchender drängte in allen Salons sich zusammen, am buntesten und zahlreichsten aber indem der Gräfinn Lichtwerth. Es war nicht allein der Wunsch, der allgemein geehrten Frau Achtung und Aufmerksamkeit zu beweisen, der die schöne Welt in größern Maßen hier vereinte; eine mächtigere Triebfeder kam dieses Mahl mit ins Spiel, Neubegier, den jungen Grafen Ferdinand von Hochburg, den Pflegesohn der Gräfinn ansichtig zu werden, der seit einigen Tagen von seinen Reisen heimgekehrt war.

Das frühere Geschick dieses jungen Mannes hatte ohnehin die allgemeine Aufmerksamkeit ihm schon längst zugewendet. Man wußte, daß er einstweilen bey seiner Pflegemutter abgestiegen sey, um seine eigene Wohnung indessen völlig nach seinem Geschmacke einrichten zu lassen, aber bis jetzt war er noch unsichtbar geblieben, und hatte keine einzige der sonst üblichen Visiten abgestaltet.

Auch an diesem Abende zögerte er zu erscheinen. Alle Blicke, besonders die der jüngern Welt, wandten beym jedesmahligen Oeffnen der Thüre sich derselben zu, und in allen Ecken ward sein Nahme flüsternd genannt. Man war begierig zu wissen, ob er noch so mädchenhaft aussehe, wie bey seiner Abreise vor fünf Jahren. Auch Ferdinands wunderliche Erziehung kam wieder zur Sprache; bey einem Landprediger im Gebirge, hieß es, sey er aufgewachsen, der aber kein eigentlicher Landprediger, sondern ein vornehmer Verbannter aus einem benachbarten Staate, und eigentlich des jungen Grafen Hochburg Vater gewesen seyn sollte. Auch sprach man von Herrn Werner, der denselben als Hofmeister auf Reisen begleitet, aber nicht wieder mit ihm her gekommen, sondern jetzt in einer höchst romantischen Gebirgswelt andre Stelle jenes Pfarrers getreten war.

Wahres, halb Wahres, gänzlich Erdichtetes, Neues und Altes wurde hervorgesucht, um die Zeit des Erwartens hinzubringen. Am Ende ist Alles nur ein alberner Scherz, von einem unserer witzigen Köpfe ausgedacht, um und zu mystificiren rief zuletzt die schöne, seit wenigen Wochen vermählte Gräfinn Emma: mein ehemahliger Spielgefährte ist wahrscheinlich noch viele Meilen weit von hier, und denkt nicht daran sobald hierher – –

Verzeihung, Gnädigste! unterbrach sie der Hofrath Althüll, der sich immer viel damit wußte, alles Neue auf das umständlichste zuerst verbreiten zu können: Verzeihung, er ist am Sonnabend Abend dreyviertel auf neun Uhr in Begleitung des jungen Baron Willdorf angelangt, und hier im Hause der Gräfinn abgetreten. Gewiß wird er sogleich in unserer Mitte erscheinen – – –

Tant mieux, rief Emma, ich freue mich recht auf ihn. Er wird viel zu erzählen wissen, von seiner Reise in dem ewig heitern Süden, an den herrlichen Ufern des Rheins.

Ach, da ist er gewandelt wie der Tempelherr unter den Palmen, seufzte Fräulein Klara, der Gräfinn Emma jüngste Schwester, die eben aus der Pension angelangt war.

Sie erlauben gnädigst, mein Fräulein, fing belehrend der Hofrath an, die Palmen wachsen eigentlich noch nicht am Rheine: er stand im Begriffe, sich in einer ziemlich weitläufigen Dissertation über diesen Gegenstand zu verbreiten, als sein Auditorium ihm plötzlich untreu wurde, denn so eben war Graf Hochburg in den Saal getreten.

Die hohe edle Gestalt, das zierliche Stutzbärtchen, das die fein geschweifte Oberlippe schmückte, ließen in ihm den schlank aufgeschossenen jungfräulich erröthenden Jüngling kaum wieder erkennen, der er gewesen war, als er dem Knabenalter kaum entronnen, vor fünf Jahren die Universität bezog. Mit dem ruhigen Anstande eines geübten Weltmannes beantwortete er alle, mitunter vielleicht indiscrete Fragen, welche die ältern Personen an ihn richteten, denen seine Pflegemutter ihn vorstellte. Dann näherte er sich dem jüngern Theil der Gesellschaft, wußte jeden seiner früheren Bekannten und Spielgefährten in ihm aufzufinden, mischte sich mit vieler Gewandtheit in ihre Kotteriespäße, und zeigte im Ganzen eben so viel Lebensfreudigkeit als richtigen Tact und feinen Weltgebrauch.

Der junge Mann hat wirklich erstaunend viel geselliges Talent von seinen Reisen mit zurückgebracht, flüsterte eine der ältern Damen der andern zu.

Ach ja, war die Antwort, aber ich weiß doch nicht, was er an sich hat, das ihn mir so unheimlich erscheinen läßt; er kommt mir vor, wie ein fremder Vogel, man weiß nicht, wie man ihn anfassen soll.

Klara! sprach Abends zu Hause Gräfinn Emma zu ihrer Schwester, der Ferdinand Hochburg ist recht fatal geworden, bey aller seiner Artigkeit. Er sieht so altklug aus, wie der Hofrath selbst. Der weiß gewiß eben so gut, als dieser, wo alle Bäume wachsen.

Und mich behandelt er, als wäre ich noch ein Kind, rief Klara ganz ereifert, nur das Allernothwendigste hat er mit mir gesprochen. Eigentlich hat er sich mit niemand, als der langen, häßlichen Geistreichen abgegeben.

Ja, ja! das kommt vom Reisen! seufzten beyde im Chor.


Doch auch Graf Ferdinand, nachdem die erste Freude über das Wiedersehen gewohnter Gegenstände und Gestalten vorüber war, wußte sich in das Leben und Treiben um ihn her nicht recht wieder zu finden. Eine Leere, eine Oede um ihn und in ihm beklemmte ihm die Brust und trieb ihn oft zu Aeußerungen zweckloser Ungeduld, deren er sich schämte, ohne sie bezwingen zu können. Was ihm eigentlich mangelte, wußte er nicht; war es das freye, kräftige, wenn gleich mitunter etwas rohe Burschenleben auf der Universität? War es der unbeschränktere Umgang mit der freyen Natur, an den er auf seinen Reisen sich gewöhnt hatte? Am schmerzlichsten aber vermißte er jedenfalls die Gegenwart Werners, seines Lehrers und geliebtesten Freundes. Dieser hatte noch während der Reise sich von ihm getrennt, um die ehemahlige Wohnung von Ferdinands Vater zu beziehen, und zugleich die Predigerstelle anzutreten, welche jener ehemahls bekleidete. Und doch fühlte Ferdinand sehr deutlich, wie nöthig gerade jetzt auf der neuen Lebensbahn, die er betrat, nicht sowohl ein Freund als ein Führer ihm wäre, denn er war sehr weit davon entfernt, mit seinem eigenen Betragen zufrieden zu seyn, obgleich er es nicht abzuändern vermochte.

Er schrieb an Wernern:

Meine gute Pflegemutter hat in diesen wenigen Tagen mich öfter und ernstlicher ausgescholten, als es mir je zuvor in meinem Leben widerfahren ist. Ich soll artig, soll freundlich, soll zuvorkommend seyn, weil ich dieses alles zu seyn verstehe. Frage ich sie in Erwiederung dieser Anforderungen, warum ich in diese leeren conventionellen Formen mich einengen? von jenen lauwarmen Zuvorkommenheiten, die Herz und Sinn mir empören, mich einfangen? von dem leeren Geschwätze erst zur Langenweile, dann zu unartigen Ausbrüchen innern Aergers mich hinreißen lassen soll? dann legt sie zur Beantwortung von allem diesem mir wieder die verfängliche Frage vor: warum mir denn während der ersten Tage meines Hierseyns alles anders erschienen sey, und ich mit anscheinender Leichtigkeit in das gesellige Treiben einzugreifen vermocht habe, ohne daß mir der mindeste Zwang dabey anzusehen gewesen wäre? Warum ich denn damahls durch die Melodien, die sie mir vordudelten, mich zum Mitsingen verleiten lassen konnte? Du lieber Gott! als wenn jeder Mißgriff deines schwachen Geschöpfs solche fesselnde Folgen haben müßte! Warum hängt sich denn ohne meine Schuld ewiges unvermeidliches Irregehen an jeden meiner Schritte?

Wie hatte ich mir hier alles so anders gedacht! Was hatte ich nicht alles von dem Erblühen der lieblichen Knospen gehofft, die ich mit schwerem Herzen damahls verließ! und was habe ich gefunden!

Am widerwärtigsten aber sind mir diese grinsenden Larven, diese höhnenden prunkenden Erdrücker meines Vaterlandes, die zuchtlos, schamlos, zügellos die edelsten Blüthen umflattern, zerstören, vergiften, ohne daß eine züchtigende Hand sich erhebt, sie zu verscheuchen, oder nur ihnen zu wehren.

Ich muß wieder fort von hier. Mit Ungeduld erwarte ich die Rückkehr des Generals S…, des edlen Freundes meines verklärten Vaters. Seinen Rath will ich mir erbitten. Ich weiß, er wird in meine Ansichten eingehen. Ich will eine neue Reise, wahrscheinlich nach einem andern Welttheile unternehmen, dort will ich harren, bis die Zeit der Erlösung kommt, die nicht fern seyn kann; denn alles, was den höchsten Gipfel erreicht hat, muß sinken und fallen.

Wahrscheinlich gehe ich allein, denn der Einzige, den ich außer Ihnen mir zum Begleiter wünschen könnte, unser alter Reisegefährte Willdorf ist so eng und fest von Familienbanden umgarnt, daß die arme treue Seele sich kaum regen mag. Nun ist er vollends auf Betrieb seiner Schwester der Hofmarschallinn gleich nach seiner Heimkehr zum Kammerjunker ernannt! Nun! Gott helfe dem wackern Jungen. Ich gehe wohl allein.

Zu allem übrigen Jammer hat der arme Willdorf noch eine unglückliche Liebe, deren Gegenstand eine neuengagirte Schauspielerinn, eine Mamsell Emilie Lichtfeld, ist. Ich mußte mich von ihm als seinen Freund bey ihr einführen lassen; die Sache war neu, und so ließ ich sie als etwas aus dem gewöhnlichen ausgetretenen Gleise Hinausgehendes mir recht gern gefallen. Wir wurden mit vielem Anstande, ich möchte im guten Sinne des Wortes sagen, recht vornehm empfangen. Das Mädchen hat einen durchaus unbescholtenen Ruf mit sich hergebracht. Sie ist nicht eben schön, aber brillant; wunderbar gelocktes dunkles Haar, ein Paar große, von Geist strahlende Augen geben dem eigentlich nicht regelmäßigen Gesicht einen ganz eigenen Liebreiz. Dazu kommt ein weiches unbeschreiblich wohlthuendes Sprachorgan, das auch bey den gewöhnlichsten Redensarten unwiderstehlich zum Herzen dringt. Ein herrliches Geschenk der Natur für eine Künstlerinn ihrer Art.

Wir fanden noch einige Herren und Damen, wahrscheinlich vom Theater bey ihr; durch Betragen und Anstand leuchtete sie gleich einer Perle aus deren Mitte hervor. Heute tritt sie zum ersten Mahle als Iphigenia auf – wir werden ja sehen – wenigstens hat die Natur sie überschwenglich reich mit Allem ausgestattet, was das Gelingen ihr erleichtern kann.


Ergriffen bis in die tiefsten Tiefen meines Gemüthes, kehrte ich aus dem Theater zurück. Das war keine Darstellung der Iphigenia, das war das krystallhelle engelreine Wesen selbst, wie die erhabene Phantasie des edlen Meisters aus dem ungetrübten Born seines Geistes es geschöpft hat.

Aller Glaube, der einst meine Kindheit beseligte, erwachte aufs neue bey ihrem Anblicke, bey dem ersten Zauberlaut, der ihren Lippen entströmte. Klar und licht und geebnet entwirrte sich vor meinem innern Auge der labyrinthische Pfad durch das Leben, und mir ward das Herz so leicht, wie damahls, als ich an der Hand meines Vaters lächelnd dahin ging, ohne eine Ahnung von den Dingen dieser Welt.

Welch ein Gemüth muß das ihrige seyn, das es vermag, dieses höchste Ideal jungfräulicher, ich möchte sagen, kindlicher Hoheit so in sich aufzunehmen! Mit welcher edlen furchtlosen Zuversicht stand sie vor dem Könige Thoas, wie erhaben war sie in ihrer Demuth!

Nie, weder im Scherz noch im Ernst ist mir der Wunsch gekommen, eine Bühne betreten zu wollen, doch könnte ich einmahl diesen Thoas darstellen und mit ihr, sähe ich einmahl diese sternhellen Augen mir bittend zugewendet – ach ich müßte Rolle und Publicum vergessen, und vor ihr hinsinken in den Staub. Ich begreife nicht, wie es dem Manne möglich war, stehen zu bleiben, und auf das Stichwort zu lauern.

Wird Ihnen bang um mich, lieber Werner? Seyn Sie ruhig, es ist nur die reine Freude an allem in sich Vollendeten, die mich immer beseelte, und die jetzt, nach langem Entbehren, mich wieder über mich selbst erhebt. Morgen will ich zu ihr, der holden Künstlerinn für einen Genuß zu danken, der in dem Maße mir noch nie zu Theil ward. Aber denken Sie deshalb nur nicht, daß ich fähig wäre, sie mit dem Gebilde ihrer Kunst zu verwechseln, in so großer Vollkommenheit sie es auch hinzustellen wußte.


Ferdinand fand am folgenden Morgen die gefeyerte Künstlerinn von einem Kreise sich in Lobsprüchen überbiethender Bewunderer umgeben, in dessen Mitte sie gleich einer jungen Königinn, umringt von den Huldigungen ihrer getreuen Unterthanen, thronte. Iphigenien hier wieder zu finden, hatte er freylich nicht gehofft, oder wenn er es that, es sich wenigstens nicht gestanden; aber die Leichtigkeit verletzte ihn doch, mit der Emilie alle die vielen Lobeserhebungen theils annahm, theils mit zierlichen Phrasen von sich wies, oder auch in ziemlich scharfen Sarkasmen persiflirte. Ihr hell aufsprühender Witz, der Scharfsinn, den sie dabey zeigte, belustigten ihn, indem sie ihm wehe thaten, und gerade dieses sonderbar gemischte Gefühl bannte in ihrer Nähe ihn fest, während die übrigen Besuchenden sich allmählig verloren. Endlich war außer dem Grafen nur noch Willdorf geblieben; auch er nahm in gewaltsamer Bewegung, als fühle er sich schmerzlich fortgerissen, zuletzt Abschied, und ward ebenfalls mit einem bald beißenden, halb lustigen Einfall beynahe höhnend von ihr entlassen.

Und womit werden Sie mich jetzt abfertigen? fragte mit einem etwas bittern Lächeln Ferdinand, als die Thüre hinter seinem Freunde zugefallen war; womit mich, der es doch auch gewagt hat, sich im Uebermaße seines bewundernden Dankgefühls zu Ihnen zu drängen. Mit einem kaum mich beachtenden Neigen des schönen Köpfchens? mit einem spöttelnden Lächeln, oder mit einem mir Worte und Athem abschneidenden Sarkasm?

Rächen Sie die kleine Sünde eines vielleicht zur unrechten Zeit angebrachten Scherzes, nicht zu ernst, ich bitte, Herr Graf! erwiederte Emilie, ganz verändert in Ton und Wesen. Könnten Sie nur eine Ahnung davon haben, wie unser Einem bey den Redensarten unserer Bewunderer zu Muthe wird! wie es thut, wenn man fühlt, daß man oft so ganz anders verstanden wird, als man es meynte! gewiß sie würden Nachsicht mit meinem anscheinenden Uebermuthe haben, der eigentlich nur Unmuth ist. Unsere Kunst dient euch zum Schmucke des Lebens, oft nur zum Spielwerk, und doch nimmt sie den vollen Ernst unseres Daseyns, jede Kraft unseres Strebens in Anspruch. Wir bedürfen, nicht minder als andere Sterbliche, des Ausruhens; unsere Lobredner aber wollen, daß wir vom Morgen zum Abende in nie endender Begeisterung bleiben. Zu dem Gegebenen sollen wir noch Höheres geben; was wir mit Anstrengung unseres ganzen Wesens hervorbrachten, genügt ihnen nicht, wir sollen ihnen auch von dem Wie und Warum Rechenschaft ablegen. Und, fuhr sie in einem leichteren Tone fort, sieht es nicht aus, als vergäßen sie über Nacht, was sie Abends zuvor gesehen und gehört, und wollten es sich deshalb am nächsten Morgen noch einmahl vormachen lassen.

Ferdinand erröthete vor Freuden über die Auszeichnung, die ihm hier so ganz unverhofft von der seltenen Künstlerinn zu Theil ward, und die gewünscht zu haben er sich nicht einmahl eingestand. Sein klopfendes Herz hemmte einige Secunden lang den raschen Strom der Worte, in welchem er, zuletzt von Verwunderung völlig hingerissen, es versuchte, Emilien recht anschaulich zu machen, was er bey ihrem Spiel am vorigen Abende empfunden.

Was er sprach, kam aus der Tiefe seines bewegten Gemüthes, es trug das Gepräge der Wahrheit, und Emilie vermochte es nicht, diesem Zauber zu widerstehen. Auch sie entwickelte im Laufe des lebendigsten Gespräches, alle Grazie eines fein gebildeten Geistes, indem sie manchen seiner Aussprüche bescheiden abzulehnen oder auch zu widerlegen versuchte. Ferdinand verließ sie endlich, indem er versprach, sie nicht mehr im Beyseyn Anderer ins Gesicht zu loben, und Emilie gab ihm die Versicherung mit auf den Weg, daß ein Anerkennen, wie das seine, sie allein über vieles, von ihrer Stellung im Leben unzertrennliches Trübe, zu trösten vermöge.

Willdorf erwartete, unruhig vor dem Hause auf- und abgehend, seinen Freund. Er eilte auf ihn zu, so wie er seiner ansichtig wurde, und ergriff mit eiskalter, zitternder Hand dessen Arm. Sein Auge flammte, seine Brust rang sichtbar nach Athem, und die bleiche, regungslose Lippe bemühte sich vergeblich Worte zu bilden, indem er den Grafen heftig mit sich fortzog zu den nahen Baumgängen, einer um diese Zeit ganz menschenleeren Promenade.

Sprich es nur aus, sprach Willdorf endlich mit bebender, halb unterdrückter Stimme, gesteh es nur mit deutlich klaren Worten, denn täuschen sollst du mich nicht und kannst es auch nicht wollen. Zwar weißt du wohl, ich kann nicht ohne sie leben – aber gesteh es nur, und dann werde es mit ihr, und mit dir und mit mir, wie es kann und will.

Ferdinand blieb tief erschüttert vor seinem sonst gemäßigten und klaren Freunde stehen, dessen jetziger zerstörter Zustand ihm ganz unerklärlich dünkte. Er betrachtete ihn mit Blicken voll der innigsten Liebe und des reinsten Mitgefühls. O sieh mich so nicht an! rief Willdorf, mit diesem Blicke hast du ihr Herz dir zugewendet. Wolle es nur nicht läugnen, daß du sie liebst, und sie liebt auch dich, ich seh es deutlich. Und wie könnte es auch anders seyn?

Du bist ein Kind, Willdorf, erwiederte Ferdinand, der jetzt erst anfing, recht einzusehen, was sein Freund eigentlich meyne. Du bist ein Kind, ich denke nicht an diese Liebe und Mamsell Lichtfeld eben so wenig. Sey ruhig, setzte er hinzu, versprich mir ganz ruhig zu seyn, keine Uebereilung dir zu Schulden kommen lassen, und ich will dir geloben, sie nie anders als auf den Bretern zu sehen. So sey doch ruhig, wiederhohlte er, Willdorfs jetzt freudigen Ungestüm von sich abwehrend, ich bringe dir ja mit diesem Versprechen nicht einmahl ein Opfer, ich leiste und erfülle es gern, wenn das dich glücklich macht – ja wenn es dich nur freut – selbst wenn es dir nur angenehm ist, setzte er endlich, von Willdorfs Umarmungen halb erstickt, lächelnd hinzu.

Ferdinand, theurer Freund, rief Willdorf in höchstem Freudentaumel, betrügst du dich nicht etwa selbst? Es wäre zu glücklich, wenn es so wäre, wie du sagst, und zu unglücklich, wenn es nicht so ist. Sieh, mein Freund, mein Bruder, ich habe und kenne nichts auf der Welt, als sie, als Emilien, keine Freude, keinen Wunsch, keine Seligkeit. Ich will dir alles gestehen. Ich wage zu hoffen, doch Ansprüche an ihre Liebe gewährt sie mir noch nicht. Und doch habe ich um ihretwillen dem Zorne meines Vaters und meines Oheims mich ausgesetzt, mit meiner Schwester, mit dem Hofmarschall, meinem Schwager, mit meiner ganzen Familie bin ich um Emiliens willen entzweyt. Ich verliere darüber vielleicht meinen Dienst und die Erbschaft meines Oheims. Es mag wohl thöricht seyn, aber ich kann nicht anders, ich muß, ich muß, da kann kein Gott mir helfen.

Mit sanft beschwichtigenden Worten führte Ferdinand den furchtbar aufgeregten Freund nach seiner Wohnung. Er hörte dem wilden, stürmischen Erguß seiner Gefühle, dem dieser sich ganz überließ, geduldig zu, aber er suchte zugleich ihn von einer Verirrung des Herzens zurück zu bringen, die seiner ruhigern Ansicht nach, nur dem Untergange zuführen könnte. Erwache, Willdorf, rief er, erwache und blicke um dich her, beleuchte es recht, und du wirst finden, daß nur ein Gebilde deiner Einbildungskraft diesen Zauber an dir übt. Wie kannst du glauben, daß auch ich jemahls ihm unterliegen könnte? Dich blendet die Liebe, doch ich sehe deutlich, wie künstlich dieses, freylich seltene Mädchen es anfing, dich zu umgarnen. Auch mich möchte sie umstricken, diese Zauberinn, ich glaube es gern, sie möchte es, um auch mich an ihrem Triumphwagen mit sich ziehen lassen, darum zeichnete ihre Freundlichkeit mich heute aus; aber sey ruhig, mein Freund, noch ziehe ich nicht, und auch du, ehrliche Seele, sollst es nicht lange mehr, wenn meine gesunde Vernunft bey dir Eingang finden kann.

Doch was auch Ferdinand in dieser Art immer vorbringen mochte, es ging an seinem Freunde spurlos vorüber; dieser hörte nichts und faßte von allen den schönen, vernünftigen Reden desselben nichts auf, als die Versicherung, daß er Emilien hinfort meiden wolle und durchaus nicht gesinnt sey, Willdorfs Nebenbuhler zu werden. Endlich schieden beyde mit noch herzlicher gewordener Liebe und erhöhtem Vertrauen von einander.

Jugendliche Gemüther lieben es, in der Uebung der Großmuth sich noch selbst zu überbiethen, und streben im schönen Eifer, das ihnen gesetzte Ziel so viel möglich weit zu überfliegen. Daher entsagte Graf Hochburg nicht nur, wie er es versprochen hatte, dem näheren Umgange der schönen liebenswerthen Künstlerinn, er vermied es sogar, das Schauspiel an denen Abenden zu besuchen, an welchen sie auf der Bühne erschien, und trug es geduldig, wenn seine Bekannten, und vor allen die Damen, ihn deshalb einen Barbaren und einen Vandalen schalten. Doch eben dieses geflissentliche Vermeiden zwang ihn lebhafter und öfterer ihrer zu gedenken, als vielleicht ohne dem geschehen seyn würde. Gleich einem Britten, der zehn Jahre in London gelebt hatte, ohne den Bezirk der Stadt zu verlassen, und erst dann, als er eine hohe Wette eingegangen war, dieses auch in den nächsten drey Wochen nicht zu thun, den unwiderstehlichsten Drang empfand, sich außerhalb demselben zu ergehen, so fühlte Ferdinand jetzt, oder glaubte zu fühlen, daß er mit dem Versprechen, Emilie Lichtfeld nicht zu sehen, Allem entsagt habe, was in seinen gegenwärtigen Umgebungen ihn erfreuen konnte. Er fühlte sich einsam, verlassen, verloren, beynahe nicht minder als damahls in den ersten Tagen nach dem Verluste von Allem, was seine frühere Jugend beglückt hatte.

Indessen hatte an der Leere in seinem Leben, die ihm immer merklicher wurde, Emilie weit weniger Antheil, als er selbst es sich dachte. Das tägliche Zusammentreffen mit den Feinden seines Vaterlandes, die in immer größeren Maßen herbey schwärmten, war es, was hauptsächlich ihn bedrückte und ihm eine Art Unfrieden mit sich selbst aufdrang. Der Uebermuth derselben verführte ihn beynahe täglich zu einer Selbstvergessenheit, die an sich menschlich, deren Grund sogar lobenswerth war, die aber bey der damahligen Lage der Dinge für ihn und seine Freunde sehr gefährlich werden konnte; oft brauchte es aller Würde, alles Ansehens, aller Lebensklugheit seiner Pflegemutter, um ihn vor den üblen Folgen der Unbesonnenheiten zu schützen, zu welchen Vaterlandsliebe ihn hinriß. Indem die Gegenwart immer abschreckender ihm sich darstellte, wachte immer lebendiger die Erinnerung an seine Kindheit in ihm auf, an seinen edlen Vater, seine schöne Mutter und an Angelica's schnell vorübereilende liebliche Erscheinung. Das Dunkel, welches über jene Zeit schwebte, war noch immer nicht völlig ihm geschwunden, obgleich der General S…, oder, wie sein Herz diesen lieber nannte, seines Vaters Hermann, ihm manches von dem früheren Geschick dieses geliebten Vaters vertraut hatte. Mit Ungeduld erwartete er die Ankunft des Generals um endlich völlige Aufklärung über ihn so nahe berührende Gegenstände zu erhalten. Dieser blieb noch immer aus; politische Verhältnisse, flüsterte man sich zu, die er aber selbst in undurchdringliches Dunkel verhüllte, hielten von seinem gewöhnlichen Wohnorte ihn fern. Indessen hatte er dennoch den jungen Graf Hochburg auf das dringendste beschworen, jeden Gedanken an eine Reise in entfernte Länder aufzugeben, sich übrigens ruhig zu verhalten, aber bereit, einem ehrenvollen Aufruf augenblicklich Folge leisten zu können, der vielleicht bald an ihn gelangen dürfte.

So war denn der größte Theil des Winters bald träge und matt, bald in wilder Aufregung über das Unerträgliche, das er dennoch ertragen mußte, an ihm vorüber geschlichen, als unausweichbare, auf gesellige Convenienz beruhende Gründe ihn eines Abends zwangen, seinem fest gefaßten Vorsatze untreu zu werden, und Emilie Lichtfeld abermahls als Iphigenia auftreten zu sehen. Sie hatte, seit er ihren Anblick meiden mußte, eine Sicherheit in ihrem Spiele sich angeeignet, durch die sie unendlich gewonnen. Ganz Auge und Ohr, verloren im Entzücken über der holden, in seiner Erinnerung fast verblichenen Erscheinung, saß er da. Der Zufall, der es heute gut mit ihm zu meynen schien, hatte an einem sehr in die Augen fallenden Platz in einer der Theaterlogen ihn ohne sein Zuthun gestellt. Er glaubte zu gewahren, daß Emilie seine Gegenwart bemerkt habe, ihm war sogar, als ob sie, gegen ihn gewendet, mit einem ganz eigenen Nachdruck die Verse:

– – – o daß ich
Ein ruhig Wort von dir vernehmen könnte!
O löse meine Zweifel,

mehr zu ihm, als zu ihrem Bruder Orest spräche. Doch im nächsten Moment war sie wieder so ganz Iphigenia, daß er sich selbst der lächerlichsten Eitelkeit beschuldigen mußte, die ihn zu einem unverzeihlichen Irrthum verleitet habe.

Doch indem er darüber noch nachdachte, wandte die Künstlerinn sich abermahls, und noch auffallender gegen ihn:

O höre mich! flehte sie, mit jenem Zauberton, dessen sie allein Meisterinn war,

»O höre mich, o sieh mich an, wie mir
»Nach einer langen Zeit das Herz sich öffnet!«

Ferdinand wußte nicht, wie ihm geschehen, wie ein Träumender saß er da, und sah und hörte nur sie. Doch harrte er den Abend über vergebens auf ein drittes Zeichen des Antheils, den Emilie noch immer an ihm zu nehmen schien. Selbst als der Vorhang gefallen, die Lampen erloschen waren, und er schon lange an der glänzenden Abendtafel der Gräfinn als ein stummer Gast da gesessen hatte, war seine Seele noch bey Iphigenien. Mitternacht war längst vorüber, als er noch immer in halber Unbewußtheit dessen, was um ihn geschah, in seiner Wohnung anlangte. Doch hier erwachte er aus seinen Träumen, denn zu seinem unsäglichen Erstaunen fand er Willdorf, zu dieser ganz ungewohnten Stunde, in seinem Cabinete ihn erwartend.

Nichts war wohl natürlicher, als der Gedanke, der sich augenblicklich seiner Seele bemächtigte, Willdorf sey da, um ihn wegen seines heutigen Besuches des Theaters zur Rechenschaft zu ziehen, und schon begann der Zorn in seiner Brust sich mächtig zu regen, als ein Blick auf seinen augenscheinlich tief betrübten Freund ihn sogleich wieder entwaffnete. Unendliches herzliches Mitleid, tiefe Wehmuth bemächtigten sich seiner, als er jetzt vernahm, Willdorf habe ihn erwartet, um auf unbestimmte lange Zeit von ihm Abschied zu nehmen, indem er mit dem Anbruch des nächsten Tages die Residenz verlassen müsse. Wider Wunsch und Erwarten war er zu einem der Cavaliere ernannt worden, welche den jüngsten Sohn des regierenden Fürsten auf einer langen Reise begleiten sollten. Man hatte unter den obwaltenden Umständen letztere den jungen feurigen Prinzen antreten zu lassen für gut gefunden.

Meine Verwandten haben das in ihrer Weisheit so eingerichtet, sprach Willdorf mit großer Bitterkeit; sie wollen mich entfernen, sie wollen von meiner übel angebrachten Passion, wie sie es nennen, mich heilen, und freuen sich jetzt des wohl gelungenen Planes, die klugen Leute. Du aber kennst mich besser, du weißt, daß keine Furcht, keine glänzenden Aussichten, keine Macht auf Erden mich von hier wegbringen könnten, wenn – o mein Bruder, über einen todtwunden Riesen kann ja sogar ein Kind Herr werden, und ich bin auf den Tod verwundet, zerstört, zernichtet, hier mitten im Herzen, im Leben meines Lebens. Sie, ach laß ihren Nahmen mich nicht nennen! Sie liebt mich nicht. Das ist es nicht allein, das ließe sich tragen, Hoffnung bliebe mir doch; aber sie liebt einen Andern – nicht dich, mein Ferdinand, da bliebe mir doch noch ein Strahl des Trostes in der Nacht meiner Verzweiflung; ein jammervoller Komödiant, der nicht werth ist, daß sein Nahme in der nähmlichen Stunde mit dem Deinen genannt werde, das ist der Mann ihrer Liebe, der täglich, ja stündlich sie umgibt. O mein Bruder! daß dieses hohe Götterbild, dem ich nur mit scheuer Ehrfurcht mich zu nahen wagte, daß es so tief, daß es auf diese Weise sinken konnte, siehe, das ist der Wurm, der an meinem Leben nagt, der es sicher und bald zerstören wird. Meine ganze Existenz ist nicht mehr der Mühe werth, daß ich nur ein Wort um sie verliere, deshalb thue ich auch meinen Verwandten alles zu Gefallen, was sie nur immer verlangen. Hoffentlich gibt es bald Krieg, und da findet sich ja auch wohl eine Kugel für mich, die der Posse ein Ende macht.

Ferdinand konnte unmöglich an Emiliens Liebe zu einem ganz Unwürdigen glauben, doch alles, was er zu ihrer Vertheidigung sagen mochte, ging an Willdorfen verloren. Beyde Freunde durchwachten im traulichen Gespräche die Nacht, bis der Morgen anbrach, der auf unbestimmte, vielleicht sehr lange Zeit sie trennen sollte.

Geh zu ihr, bath Willdorf noch zuletzt, indem er Ferdinands Umarmung sich entwand. Nimm um deines Freundes willen des noch immer geliebten Wesens dich an. Sey Emiliens Freund in der bösen Zeit, die unaufhaltsam sich naht, ihr Beschützer; wann das Unglück sie ergreifen will, und sie verlassen und einsam in einer Welt voll Gräuel und Zwietracht dasteht, ein rathloses Weib.


Schwankend zwischen Leid um den verlornen Freund, himmlischer Freude über den letzten Auftrag desselben, die er sich selbst nicht eingestand, und beklemmender Befangenheit betrat Ferdinand am nächsten Vormittage Emiliens Zimmer, um ihr Willdorfs letzten Abschiedsgruß zu bringen. Ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, hatte er auf mancherley Weise sich den Empfang gedacht, der von ihr ihm werden würde, und sich vorbereitet, ihm in jedem Falle geschickt und geistreich zu begegnen. Doch nichts von allem, was er als wahrscheinlich erwartet hatte, geschah. Ohne eine Spur von Verlegenheit sich anmerken zu lassen, begrüßte Emilie ihn mit dem ihr eigenen natürlichen Wesen, als sey sie gewohnt, ihn alle Tage zu sprechen; nichts an ihr verrieth, daß sie sich erinnere, ihn seit Wochen und Monden nicht bey sich gesehen zu haben. Die Nachricht, daß Willdorf abgereiset sey, wie auch sein Abschiedsgruß, wurden mit freundlichem Gleichmuthe von ihr aufgenommen, und als Ferdinand es wagte, anzudeuten, daß eigentlich die unglückliche Neigung des beklagenswerthen Freundes diesen aus der Heimath vertrieben, da äußerte sich Emilie mit eben so viel Unbefangenheit als Würde über die ihr unerklärliche und von ihrer Seite unverschuldete Selbsttäuschung des von ihr sehr geschätzten jungen Mannes. Sie betheuerte dabey, zu ihrem Troste überzeugt seyn zu können, daß diese Täuschung, nun er von ihr entfernt sey, vor dem Schimmer neuer Gegenstände, wie Nebelgebilde vor den Strahlen der Sonne, sich sehr bald in Nichts auflösen werde.

Ferdinand fühlte sich hier auf durchaus unsicherm Boden. Staunend betrachtete er das wunderbare Wesen vor ihm und war geneigt, ihm alle jene zarten, innigern Gefühle in der Wirklichkeit abzusprechen, die es im Kreise seiner Kunst mit so bezaubernder Wahrheit darzustellen wußte.

Er ging und kam, er kam und ging von nun an mehrere Wochen hindurch; der Umgang mit Emilien war eine liebe Gewohnheit ihm geworden, wenigstens mochte er das, was an jedem Morgen ihn zu ihr zog, nicht anders nennen.

Das Theater mußte einer tiefen Hoftrauer wegen einige Wochen geschlossen bleiben, und nicht einmahl ein Komödienzettel, den ihr Nahme schmückte. konnte durch Erinnerung an ihren Stand ihm einiger Maßen als Aegide gegen den Zauber dieser seltenen Erscheinung dienen. Ueberdem blieb alles Komödiantenhafte aus ihrem Benehmen verbannt, ihre ganze Haltung war fein und edel, jede ihrer Bewegungen bewies ein sicheres Vertrautseyn mit den Gebräuchen der feinern Welt, und nichts Störendes erinnerte Ferdinanden jemahls daran, daß er sich einer Schauspielerinn gegenüber befände.

Und doch war Emilie weit davon entfernt, sich ihres Künstlerstandes zu schämen, sie war im Gegentheil sich desselben mit Würde bewußt, und sprach gern und viel über ihre höhere Ansicht einer Kunst, der sie mit leidenschaftlicher Liebe sich ergeben und deren höchstem Ziele sie mit aller Kraft ihres Wesens zustrebte.

Oft las Emilie in diesen Morgenstunden einzelne Stellen aus den bedeutendsten dramatischen Dichtern ihrem Freunde vor, und er horchte mit immer neuem erhöhten Entzücken dem Wohllaut ihrer Stimme und bewunderte den feinen Sinn, den vielumfassenden, durchdringenden Geist, mit welchem sie, fern von aller Affectation, jede einzelne Schönheit der Dichtung zu empfinden und herauszuheben verstand. Im Gespräche mit ihr, vergaß er oft auf das, was sie eigentlich sagte, zu hören, um sie nur reden zu sehen. Nie gab es beweglichere Gesichtszüge als die ihrigen, und Ferdinand wußte in dieser holden Schrift selbst das im Voraus zu lesen, was ihr schöner Mund noch zögerte auszusprechen.

So vergingen einige Wochen, während welchen Ferdinand seine bewunderte Freundinn beynahe an jedem Morgen besuchte, und leise, leise, überschlich ihn ein immer mächtiger werdendes Gefühl, von dem er sich nicht einmahl zugeben mochte, daß es einst in Liebe sich umwandeln könne, obgleich er gestand, daß Emiliens Umgang, in dieser trostlosen Zeit, ihm allein noch Freude gewähre.

Bis jetzt hatte er sie zur gewohnten Stunde noch immer allein getroffen, doch nun führte der Zufall ihn einst an einem Nachmittage zu ihr. Auch dieses Mahl fand er Emilien allein, doch, wie es ihm schien, war der Empfang minder freundlich als sonst, und ein leiser Zug von Verlegenheit überschlich ihr liebes Gesicht, auch hatte er kaum den gewohnten Platz ihr gegenüber eingenommen, als die Thür aufging, und ungemeldet den Hut erst auf der Schwelle abnehmend, frank und frey, als wäre er dort zu Hause, Herr Waller hereintrat, eben der junge Schauspieler, den Willdorf als Emiliens Liebhaber ihm bezeichnete, und an den Ferdinand nicht wieder gedacht hatte, seit er Emilien näher kannte.

Emilie erröthete ein wenig bey dessen Eintritt, auch Ferdinand fühlte eine ungewohnte, in ihm aufsteigende Gluth. Waller aber geberdete sich mit erkünstelter Nonchalance, wie Leute ohne Weltgebrauch es pflegen, wenn sie sich verlegen fühlen, ohne sich dieses anmerken lassen zu wollen. Er begrüßte den jungen Grafen, in dessen Nähe er nie vorher gekommen war, als wären sie alte Bekannte, die einander alle Tage sähen; warf sich in den nächsten besten Sessel, schlug die Beine über einander, nahm eine künstliche, unbequeme Stellung an, die aber bequem und vornehmnachlässig aussehen sollte, und bemächtigte sich dann mit überlauter Stimme des Gesprächs.

Emilie nahm erst, um sein Benehmen zu mildern, dann aber mit wirklichem Interesse Theil daran. Die Rede war von einem neuen Trauerspiele, in welchem beyde, bey der nahen Wiedereröffnung des Theaters, mit einander auftreten sollten. Waller war zwar nichts weniger als ein ausgezeichneter Schauspieler, dennoch fehlte es ihm nicht an Theaterroutine. Diese hatte ihm bey einer männlich schönen, volltönenden Stimme, einer hohen Gestalt von seltenem Ebenmaß, und einem wohlgebildeten, für die Bühne sich eignenden Gesichte, die Rollen des ersten Liebhabers zugewendet, in denen er um so glänzender erschien, da bey diesem Theater keiner neben ihm stand, der ihm den Rang hätte streitig machen können.

Mit stillem Erstaunen hörte Graf Ferdinand Emilien in einem ganz andern Geiste von ihrer Kunst sprechen, als er es wohl sonst von ihr gewohnt war. Sie ließ ihn gleichsam einen Blick hinter die Coulissen thun, und er sah die Hebel, die Winden, die Latten, die grobe, mit Farben beklexte Leinwand, mit deren Hülfe man bis dahin ihm einen Feenpallast vor die Sinne gezaubert hatte. Er erkannte das Zinn, das Flittergold, die Glasstückchen, die als köstliche Kleinode ihm erschienen waren. Ihm wurde zu Muthe, wie Einem seyn mag, der die entseelte Hülle eines einst geliebten, schonen Geschöpfs, unter dem Messer des Anatomen zerlegt, in tausend Theilchen erblickt, und banger Widerwille schauerte ihm durch Herz und Sinn.

Emilie und Waller trieben indessen, ohne etwas hievon zu gewahren, ganz ungestört ihr Wesen miteinander. Sie schalten das ungraziöse, durchaus nicht kleidsame Costüm, in welchem das neue Stück gespielt werden sollte, und beklagten den Mangel frappanter Stellen und brillanter Abgänge in den ihnen zugetheilten Rollen. Dann besprachen sie sich über einige wählerische Stellungen, die sie mit einander ausführen wollten, um wenigstens sich selbst einigermaßen zu heben und die Hände der Zuschauer zu ihren Gunsten in Bewegung zu setzen. Waller war bey dieser Gelegenheit einmahl anderer Meinung, als Emilie, da ergriff diese ihren zur Hand liegenden großen Türkischen Shawl, warf ihn über und stand im nächsten Moment, einem hohen Götterbilde vergleichbar, vor dem erstaunten Ferdinand. Er hätte bewundernd vor ihr hinknien mögen, Waller aber rückte eine Falte über dem linken Ellenbogen anders, und meynte, jetzt erst wäre es eben recht.

Je länger Waller und Emilie mit einander sprachen, je theatralischer wurden beyde, je mehr schienen sie die Gegenwart eines Dritten zu vergessen. Nach der Gewohnheit fast aller Schauspieler mischten auch sie, oft mit treffendem Witz und köstlichem Humor, einzelne Stellen aus mehreren ihrer Rollen in das Gespräch. Zuletzt bestand dieses fast aus lauter solchen Bruchstücken, besonders als sie anfingen, ihre Mitschauspieler der Reihe nach durchzunehmen. Die mehrsten von diesen wurden auf der Stelle in Geberde und Sprache auf das treffendste nachgeahmt, und alles dieses ging mit der größten Leichtigkeit von Statten, als müsse es so und nicht anders seyn.

Die Trivialität, die leichte Bosheit, die Emilie dabey an den Tag legte, liehen dieser einen neuen unglaublichen Reiz, den Ferdinand tief empfand, so erzürnt er eigentlich war. Was er sah und hörte, verletzte und bezauberte ihn zugleich, und ihm wurde dabey, als fühle er sich plötzlich in eine ihm ganz neue, fremde Welt versetzt, in welcher ihm jedoch äußerst unbehaglich zu Muthe war.

Und dennoch konnte er von nun an es nicht lassen, gleichsam zu seiner eigenen absichtlichen Pein, nicht nur des Morgens, wie gewöhnlich, sondern auch zuweilen des Nachmittags zu Emilien zu gehen, wo er denn fast mit Gewißheit darauf rechnen konnte, daß auch Waller sich bey ihr einstellen und das Gespräch, wenn gleich mit tausend Variationen, dieselbe Wendung nehmen würde, die es genommen hatte, als er das erste Mahl ihn bey ihr gesehen.

Waller entfaltete gewöhnlich in diesem kleinen Kreise eine ihm eigene Art witziger Laune, er zeigte sogar, daß es ihm nicht ganz an Schulkenntnissen mangele, auch schien er Liebe zu seiner Kunst zu fühlen, obgleich die höhere Ansicht derselben, die Emilien einen so unwiderstehlichen Reiz gab, ihm gänzlich abging. Uebrigens aber war seinem äußern Wesen sowohl, als seinen Ideen und Bemerkungen, der Stempel an Gemeinheit gränzender Gewöhnlichkeit aufgedrückt, der sich oft auf eine Weise blicken ließ, die Ferdinanden unaussprechlich widerwärtig erschien.

Ich liebe sie nicht, nein, ich liebe sie nicht, schrieb um diese Zeit der junge Graf Hochburg an seinen Freund Werner, dem er fortwährend nichts, sowohl aus seinem innern, als seinem äußern Leben verhehlte. Ich liebe Emilien nicht, dennoch mag ich es Ihnen nicht verbergen, daß es mir oft recht schmerzlich weh thut – nein, das ist nicht das rechte Wort für das, was ich empfinde – daß es mich, gleich einem himmelschreyenden Unrecht, empört, wenn ich Abends, aus dem Theater kommend, an ihrem Hause vorübergehe, gern hinauf möchte zu ihr, um ihr für den Strahl reinen Entzückens zu danken, den sie aus ihrem Kunsthimmel in meine schaale Erdengemeinheit mir herab sandte, und dann schon von weitem, auf den herabgelassenen weißen Rouleaux des mir so lieben, bekannten Zimmers, den Schatten jener fatalen Personage neben dem ihrigen schweben sehe. Was in aller Welt kann sie so an dieses Wallers gemeine Natur fesseln, die leider nur zu oft auch die ihrige um einige Stufen herabzieht! Wie ist es nur möglich, daß diese ganz ordinäre Liebhaberfigur ihr nicht die tödtlichste Langeweile macht; dieses Theaterecho, das nichts kann und versteht, als die matte Kunst, ihr auf die fadeste Weise zu wiederhohlen, was Tausende ihr täglich zurufen? Zu glauben, daß die vom Himmel ihm verliehene Apollosgestalt sie an ihn fesselt, die so wenig zu seinem Innern paßt, wäre Entheiligung des liebenswürdigsten Wesens. Sie und Er! Emilie und Waller! es ist ja nicht einmahl denkbar.

Indessen bleibt dieser Herr Waller mir auf jeden Fall ein kräftiges Präservativ gegen eine Liebe, die nach dem Urtheile der Welt sich vielleicht mit meinen übrigen Verhältnissen nicht recht vereinigen ließe. Wüßte meine gute Pflegemutter dieses nur, die sich oft bemüht, mich recht ängstlich und verblümt zu warnen, ohne mit der Sprache offen heraus zu wollen, die gute Frau könnte um vieles ruhiger seyn.

Man rede mir nur nicht mehr von der Kleinstädterey kleiner Städte, in unserer großen Residenz herrscht sie nicht minder, als in irgend einem Krähwinkel, oder Quirlequitsch. Ich weiß mit Gewißheit, jeder meiner Besuche bey Emilien wird belauscht, zu Buche getragen und endlich gehörigst rapportirt. Von allen Seiten wird an mir geschraubt, gedrehet und gehechelt; verständliche Anspielungen werden an mir verschwendet, ich lasse die guten Leute ihr Wesen nach Gefallen treiben, das zuweilen sogar dazu dient, mich zu amüsiren; wegbringen, wie sie wohl möchten, sollen sie mich nicht von hier; schon allein mein dem General S… gegebenes Wort wäre genügend, mich hier fest zu halten.

Von unserem Willdorf habe ich wunderliche Nachrichten, zwar durch eine dritte, aber dennoch sichere Hand, denn er selbst hat mir noch nicht geschrieben. Er hatte erst einige Tage mit seinem Prinzen auf der Reise zugebracht, als er auf dem Gute der Familie von Dorenheim, die der Prinz, als die seines ehemahligen Lehrers, besuchte, in schwere Krankheit verfiel. Das war nun freylich nach allem mit ihm hier Vorgegangenen einigermaßen voraus zu sehen gewesen. Die Familie, der es an liebenswerthen Töchtern nicht mangelt, hat wie einen theuren, lieben Sohn und Bruder ihn gepflegt, besonders hat Fräulein Bertha sich des Kranken mit inniger Theilnahme angenommen. Genug, Willdorf ist genesen, und, wie man sagt, nicht nur vom hitzigen Fieber, sondern auch von seiner Liebe zu Emilien; man flüstert sich zu, er sey als Fräulein Berthas heimlicher Verlobter seinem Prinzen nachgereiset.

Gott segne den wackern Jungen und lasse ihn glücklich werden. Wie man aber Emilien, wenn man sie einmahl liebte, vergessen kann? selbst an den Pforten des Todes, das werde ich nimmer begreifen. Ich habe wohl einmahl gehört, daß Leute durch ein hitziges Fieber ihr Gedächtniß verloren, aber Liebe wohnt ja nicht im Kopfe, sondern im Herzen; Deutsche Liebe meyne ich, mit der Französischen mag es wohl anders seyn.

Jeden Falls will ich Herrn Waller in hohen Ehren halten, ein besseres Beruhigungsmittel, als ihn, gibt es nicht. Besonders jetzt, da Willdorfs drohende Gestalt nicht mehr zwischen mir und Emilien aufsteigt.


Ferdinand begab sich, ohne diesen Brief zu vollenden, ins Schauspielhaus; zum ersten Mahl wurde Romeo und Julie nach Schlegels meisterhafter Uebersetzung gegeben. Nach Beendigung der Tragödie vermochte Ferdinand es nicht, dem Nachklange des Zaubers, den Emiliens Spiel an ihm geübt hatte, zu widerstehen; ein unbestimmtes Hoffen und Wünschen zog ihn mächtig zu ihr, und er trug um so weniger Bedenken, diesem Zuge zu folgen, da er ganz unerwartet sich veranlaßt sah, am folgenden Morgen auf mehrere Tage in Geschäften des General S… zu verreisen, und somit der Abschied, den er von ihr zu nehmen hatte, diesem späten Besuche zur Entschuldigung dienen konnte. Es schlug zehn Uhr, indem er ihrer Wohnung sich näherte, denn die Vorstellung hatte lange gewährt. Emiliens Zimmer war hell erleuchtet, die Thüre des Hauses stand noch offen. Jetzt, dachte er, jetzt in dieser späten Stunde wird sie doch allein seyn, und die Gegenwart jenes Verhaßten wird wenigstens dieses eine Mahl nicht störend zwischen uns treten, indem ich meinen Dank und meine Bewunderung ihr auszudrücken versuche.

Unbemerkt war Ferdinand die Treppe hinauf und in Emiliens Vorzimmer gelangt, die Thüre ihres Wohnzimmers war ebenfalls halb geöffnet, und er sah seine schöne Freundinn vor dem großen hell erleuchteten Ankleidespiegel. Das goldene bräutliche Gewand, welches Julie im Sarge getragen, lag, schon abgelegt, auf dem Sofa, der reiche Faltenwurf eines Unterkleides von weißem Atlas bezeichnete, sich anschmiegend, die edlen Formen der herrlichen Gestalt, Arme und Hände glänzten blendendweiß, indem sie, hoch gehoben, beschäftiget waren, die Blumen und blitzenden Steine aus den dunkeln üppigen Locken zu ziehen.

Ferdinand blieb gefesselt von süßem Erschrecken, doch fühlte er die Verbindlichkeit, sich unbemerkt zurück ziehen zu müssen. Nur einmahl noch wollte er mit trunkenen Blicken das Zauberbild vor sich betrachten und dann sich fortschleichen, als plötzlich in Emiliens Zimmer selbst eine Nebenthüre aufging, und zu Ferdinands höchster Verwunderung mit gewohnter jovialer Traulichkeit, Waller zu ihr hineintrat.

Mehr noch, als über des Schauspielers unerwartete Erscheinung, gerieth Ferdinand darüber in Erstaunen, daß Emilie weder Zorn noch Verwunderung über dieselbe an den Tag legte. Waller überströmte sie sogleich nach seiner gewohnten Art mit einem Schwall übelgewählter, lobpreisend seyn sollender Redensarten.

Einzig, bezaubernd, hinreißend war meine göttliche Julie, das weiß Gott! rief er Und wie angezogen! wie himmlisch! göttlich sage ich Ihnen. Ich armer seliger Romeo, maustodt wie ich war, konnte es doch nicht unterlassen, nach ihr hin zu schielen. Nein über das Costüm geht doch gar nichts in der Welt! Da liegt es ja noch, das köstliche Kleid, und, bey meiner armen Seele; der Goldstoff ist echt, wie ich jetzt sehe! doch wohl von Gerard et Compagnie? und die prächtige Brautkrone, nein es kann nichts Pompöseres geben.

So schwatzte Waller eine Weile fort, Ferdinand stand, wie versteinert, Emilie saß träumerisch lächelnd in ihren Shawl gehüllt, gab nur zuweilen ein nicht halb passendes Wörtchen zu, und schien geistig und körperlich zu angegriffen, um viel auf Wallers Reden zu achten, obgleich sie seine Gegenwart keineswegs unfreundlich aufnahm.

Nun aber habe ich meinen Willen gehabt, rief er endlich, ich habe nach unserer Auferstehung meine englische Julie wiedergesehen und muß nun fort zum Soupee, mit dem der Herr Intendant sich für die heutige Darstellung bey uns abfinden will. Sie, Tigerherz! haben abgesagt, gern hätte ich das auch gethan, aber Sie wissen ja auch, wo uns alle eigentlich der Schuh drückt. Da muß man schon sich schicken lernen. Nun, Adieu Engelskind, setzte er hinzu, und wollte eine der schönen langen Locken, die dem stolzen Marmornacken hinab wallten, mit zärtlicher Geberde an seine Lippen drücken.

Was fällt Ihnen ein? fragte Emilie, indem sie stolz sich erhob und einen Schritt rückwärts that.

Nicht bös seyn, nicht bös seyn, bitte, bitte, rief Waller, englische Lichtfeld, Sie wissen es ja, ich bin der Unglückseligste, wenn Sie zürnen. Damit haschte er nach ihrer Hand, und bedeckte diese mit zahllosen Küssen.

Ferdinand, halb besinnungslos, wollte in diesem Augenblick sich davon schleichen und stolperte über einen Stuhl hinweg.

Um aller Götter willen, der Geist aus dem Don Juan kommt zu Pferde die Treppe hinauf, rief Waller. Ich armer Leporello gehe wieder durch die Seitenthüre ab. Adieu, Adieu, schönstes Leben, englische Lichtfeld. Mit süßem Trennungswehe eile ich zur Excellenz, dich morgen wieder zu sehen!

Während Waller durch die Nebenthüre wieder verschwand, trat Emilie, ein Licht in der Hand, in das Vorzimmer, um nach der Veranlassung des Geräusches sich umzusehen, das sie gehört, und ihr erster Blick fiel auf Ferdinands geisterbleiche Gestalt.

Mit nahmenlosem Schmerze hatte dieser in dem Augenblicke, wo er glaubte aufhören zu müssen, Emilien zu achten, die eigentliche Natur des Gefühles klar erkannt, das wie mit glühenden Ketten ihn zu ihr zog, und an sie fesselte. Um nur für den Augenblick sich zu retten, griff er zu einem wilden Mittel, das sein eigenes Herz mit unsäglicher Pein verwundete, während es Emilien wehe thun sollte. Mit höhnendem, eiskalten Grimm, vornehm höflich und herablassend, mit beleidigender Uebertreibung ihres Lobes, mit schneidender Ironie in verletzende Schmeichelworte verhüllt, gab er seine Neue darüber zu erkennen, daß er ungeschickter Weise, süße Verhältnisse störend, eingetreten sey, während er, eingedenk seiner morgenden Abreise, nur kommen wollen, um dem unvergleichlichsten, noch über die Bühne hinaus sich erstreckenden Talent, die ihm schuldige Huldigung zu Füßen zu legen.

Ferdinand sprach ziemlich lange, wurde immer bitterer, immer höhnender, aber auch immer witziger, bis Emilie es nicht länger ertragen konnte. Sie brach in heiße Thränen aus, deren jede gleich einem glühenden Lavatropfen in Ferdinands Herz fiel. Denn es waren nicht jene entstellenden Thränen ohnmächtiger Wuth, es waren Thränen des herbsten Schmerzes, die mehr dem Beleidiger, als seiner Beleidigung galten. So mögen Engel den fallenden Liebling beweinen.

Ferdinand hielt erschrocken inne mit seinen frevelnden Reden, ohne zu wissen, was er that, nahte er sich ihr und wollte ihre Hand fassen; sie zog sie zurück, richtete sich empor und trat mit fast königlichem Stolz aus der Fensterbrüstung, in welche sie sich zurück gezogen hatte, hervor, ihm entgegen. Mit aller Siegesgewalt ihres Strahlenauges blickte sie beynahe mitleidig ihn an, große Thränen, die sie nicht zu verbergen suchte, fielen noch immer schwer und einzeln über ihre bleichen Wangen herab.

Ferdinand konnte den ernsten, milden Blick, der unverwandt auf ihm ruhte, nicht ertragen. Er senkte die Augen zur Erde. Emilie! seufzte er endlich aus tiefster Brust.

Und, womit, Herr Graf, habe ich das verdient? schwebte leise, wie ein halb verhauchter Seufzer über Emiliens Lippen.

Emilie, rief Ferdinand, und zog in wildaufflammender Gluth sie an sein Herz, was ist dir jener leere, anspruchsvolle, in tausend Worten nichts sagende Thor? Was kann er dir seyn?

Und was ist er mir denn? wiederhohlte Emilie sanft, was kann er mir seyn? was wäre er denn, daß es der Mühe werth seyn sollte, ihn von sich zu weisen? was wäre es mir denn, wenn ich auch im ganzen Leben ihn nicht wieder sähe?


Ferdinand schrieb noch am nähmlichen Abende folgende Zeilen unter den an Wernern angefangenen Brief.

Freund meiner Jugend! Einziger, der mich immer verstand und liebte, seit ich vom väterlichen Herde hinweg, hinaus in die Welt gerissen ward; so manchen Schmerz, so manche schwere, dunkle Stunde hast du mit mir getheilt! Du hast im peinlichen Schwanken der Wogen des Lebens mich immer oben gehalten, du hast mich empor getragen im Sturme des Gefühls, in der wilden Brandung der Leidenschaft. Du, du allein sollst es noch heute erfahren, wie mächtig und herrlich und wonnereich das Glück in meine so lange verödete Brust eingezogen ist; mein Herz, in verdoppelt freudigen Schlägen, möchte den Kerker zerbrechen, mein Fühlen und Sinnen, die ganze undenkbare Seligkeit, die mir vor innerer Wonne fast den Athem raubt, möchte ich ausströmen können, in einem einzigen freudejubelnden Laute, damit die ganze Welt es erführe, daß endlich, endlich einmahl ein Glücklicher auf ihr lebt, ein Seliger, der keinen Wunsch mehr kennt? Emilie liebt mich, liebte mich vom ersten Augenblicke, da sie mich sah. Ich Rasender, ich Thor, womit kann ich die Stunden, deren jede einen Himmel von Seligkeit umfassen konnte, zurückkaufen! die Stunden, deren jede einzelne ein ganzes gewöhnliches Menschenleben aufzuwiegen werth war, und die ich auf ewig verlor.

Heute kein Wort, das einer Erzählung dessen, was sich begeben, ähnlich wäre, nie, nie eins! ja wenn wir Aug in Auge einander gegenüber wären, dann könnte der raschere Schlag des Herzens, der wonnetrunkene Blick dir einen Theil dessen verkünden, was in mir wogt; Worte sind Tand, und vollends geschriebene.

Soll ich auch das frühere Geschreibsel Ihnen mitsenden? ja ich will es, mögen Sie am raschen Wechsel meines Sinnes und Gefühls, am Umschwunge meines ganzen Wesens es deutlich erkennen, wie nun der Irrthum meines Lebens gelöset ist; möge eine Ahnung meiner unaussprechlichen Seligkeit, nach langer unendlicher Pein, Ihnen werden, denn, guter Werner! auch ich habe Emilien geliebt, seit ich zuerst sie erblickte, und strebte nur in unsäglicher Angst, es vor mir selbst zu verbergen.


Dem ersten Aufleuchten des höchsten Lichtpunctes in Ferdinands Leben, folgte jetzt eine schöne, freudenreiche Zeit. Emiliens Liebe war nicht die eines, in halbem Bewußtseyn hinträumenden, der Kindheit kaum entwachsenen Mädchens. Die Künstlerinn wußte sogar ihr heiligstes Gefühl zu einem Kunstwerk zu erheben, sie schmückte dem Geliebten jeden Tag zu einem hohen Feste, sie erfand an jedem eine neue Gunst, die sie allein ihm gewähren konnte, weil nur ihr tief empfindender, alles lebhaft ergreifender Geist fähig war, den Gedanken daran zuerst aufzufassen.

Ueberall, wo sie selbst nicht war, traten Beweise ihres liebenden Andenkens ihm entgegen, er konnte fast mit Gewißheit darauf rechnen, in jedem der vornehmen Kreise, zu welchem Emilie nicht Zutritt hatte, ein ihn begrüßendes Zeichen von der Geliebten zu erhalten: ihr Erfindungsgeist war in dieser Hinsicht unerschöpflich. Eine Blume, ein Paar nur ihm verständliche Worte von ihrer Hand wurden ihm zugespielt, er wußte nicht wie? noch durch wen? Bestellungen, von denen die Ueberbringer derselben nichts verstanden, wurden ihm ganz unerwartet, durch die wunderlichst gewählten Bothen überbracht. Zuweilen pflegte sie auch wohl den Glockenschlag einer gewissen Stunde ihm zu bestimmen, mit dem gleichzeitig sie verhieß, ihn laut bey Nahmen zu rufen, und der Schlag der Pendule im fürstlichen Saal wurde dann plötzlich ihn zum Liebesruf, der mit unsäglicher Wonne ihn durchschauerte.

Auch von der Bühne aus wußte Emilie in tausend Formen dem Freunde sich zu nahen: Nur dem Auge der Liebe bemerkbare Zeichen sagten ihm, daß sie ihn beobachte, daß sie nur seinen Beyfall suche in der bewunderten Menge; die innigsten Liebesworte, welche die Dichter ihr in den Mund legten, wurden ihm allein angeeignet, und das überfüllte Haus erbebte oft vom donnernden Beyfall der entzückten Zuschauer, während Emilie nur mit der vollen Gluth ihres Gefühls sich freute, dem Geliebten in harmoniereichen Worten zu sagen, wie sie ihn liebe.

Ihr Zimmer war ein treues Abbild aller seiner Neigungen, in welchem sie ihn an jedem Tage mit leidenschaftlicher Freude empfing, als habe sie Jahre lang ihn entbehren müssen. Kupferstiche, Bücher, feine weibliche Arbeiten, die er einmahl gelobt, alles, was nur einmahl ihm gefallen, mußte so viel möglich sie umgeben, sogar seine Lieblingsblumen wurden mit treuer Sorge gepflegt und durften nie auf ihrem Blumentische fehlen. Nichts wurde vergessen, was ihm Freude machen konnte, und wäre es auch nur für einen Augenblick. Zwischen ihm und ihr war nie weder von Fordern noch von Gewähren die Rede, es war, als dächten und empfänden und wollten beyde nur eins und dasselbe, und ihr Leben verzweigte sich immer enger und fester in einander.

Noch einen hohen Genuß, den keine Andere ihm hätte gewähren können, fand Ferdinand im Durchgehen der Rollen, die Emilien zugetheilt wurden; sie besprach sich dann mit ihm über ihr Spiel, sie ging gern dabey selbst auf anscheinend unbedeutende Einzelheiten ein, und immer entzückte ihn von neuem der helle Geist, der klare Scharfblick, der Alles durchschaute, und bey der anscheinend höchsten Absichtslosigkeit dem Zufalle dennoch auch nicht das Kleinste überließ. Nie hatte Emilie die Dichter besser verstanden, nie ihre Meisterwerke begeisterter vorgetragen als jetzt. Sie war das Wunder des Hofes und der Stadt. Journale und Zeitungen waren ihres Lobes voll, und so, wie sie nur auf der Bühne sich zeigte, wurde sie von dem freudetrunkenen Publicum beynahe vergöttert.

Doch gerade dieser hellglänzendste Theil von Ferdinands Glück hatte auch eine sehr dunkle Kehrseite. Zwar, wenn er nach einem ihrer glänzendsten Triumphe, zu ihr, der Hochgefeyerten, der Allbewunderten, ging, um ihr für den Genuß zu danken, den sie ihm gewährt, wenn sie dann, die von tausend Zungen noch vor wenigen Minuten hoch Gepriesene, alles ihres Glanzes entäußert, in anspruchsloser Einfachheit ihm liebevoll entgegentrat, wenn sie mit rührender Offenheit ihm bekannte, wie sie immer an ihn nur gedacht, wie ihr Auge unter den Zuschauern ihn gesucht, wie entzückt sie gewesen, als sie ihn gefunden, dann fühlte und nannte sich Ferdinand den glücklichsten aller Menschen, und war es wirklich.

In solchen Momenten vergaß er gern und leicht, mit welcher bittern Pein er kurz vorher dieses Glück erkaufen müssen, denn vor der glanzerfüllten Bühne ging nur zu oft die Freude an Emiliens seltenen Kunsttalent in einem höchst bittern beklemmenden Gefühle ihm unter, dessen er sich schämte, weil es als Emiliens völlig unwürdig, sogar eine unverzeihliche Beleidigung ihrer treuen Liebe, ihm erschien, und das dennoch unwiderstehlich sich seiner bemächtigte. Er kannte sich kaum selbst vor wüthender innerer Empörung, wenn ein fremder Arm es wagen durfte, die geliebte, reizende Gestalt zu umfassen, wenn das Auge der Geliebten in täuschender Liebesgluth einem Andern strahlte als ihm, der liebliche Mund in jenem weichen unnachahmlichen, von Sehnsucht erbebendem Tone Liebesworte an einen Andern verschwendete, die ihm allein gehören sollten, die oft in seligen Stunden ihn über sich und das ganze Leben erhoben hatten. Ach! wenn nun vollends des verhaßten Wallers Lippe die edle, nach dem reinsten Ebenmaße der Antike geformte Stirn, oder die schöne Wange zu berühren wagen durfte, dann klopfte, mit wüthendem Schmerze in jedem seiner Pulse die Ueberzeugung, daß dieses anders werden müsse, daß Emilien nur die Wahl bleiben könne, ihm allein anzugehören, oder seinem völligen Untergange zuzusehen.

So, in ewigem Wechsel zwischen tödtlichem Schmerze und entzückender Freude, gerieth sein ganzes Wesen endlich in eine ihm fremdartige Spannung, die sogar denen auffallen mußte, welche ihn nur oberflächlich kannten. Liebende Vorsorge und alles gern erforschende Neubegier beobachteten ihn bald von allen Seiten mit Späherblicken, und das schönste, ihm heiligste Geheimniß seines Lebens, durch Verleumdung und Gemeinheit entstellt, wurde in durchaus verzerrter Gestalt bald zum Mährchen der Stadt.

In mütterlicher Besorgniß um ihn, suchte und fand die Gräfinn Lichtwerth Mittel und Wege, ihren Bruder, den General S…, auf einige Tage seinen wichtigen Geschäften in der Ferne zu entziehen, und ihn zu Ferdinands Rettung aus eminenter Gefahr herbey zu rufen. Denn auch bey den edelsten ausgezeichnetsten Eigenschaften des Geistes und des Gemüthes war es, der nur im Ideenkreise ihres Ranges und Standes alt gewordenen Frau, dennoch unmöglich, sich außer demselben für den jungen Grafen von Hochburg ein Glück als möglich zu denken.

Der General, voll Besorgniß für den Sohn seines verklärten Freundes, folgte ihrem Rufe und begab sich auf eines seiner, nur wenige Stunden von der Residenz entfernten Güter, weil er in diesem Augenblicke Gründe hatte, die Stadt selbst nicht betreten zu wollen. Dorthin berief er Ferdinanden zu sich. Verdrießlich über die unwillkommene Störung aus wichtigen Geschäften, getrieben von dem Wunsche, mit möglichster Zeitersparnis zu diesen wieder zurück zu kehren, mochte er wohl beym Wiedersehen diesen mit zu kurzen, ernsten, vielleicht zu wenig abgemessenen Worten über den Ursprung eines, wie er sich ausdrückte, albernen Gerüchts befragen, das seinen geliebten Pflegesohn, einer, besonders in diesen schicksalschwangern Tagen, höchst unpassenden, Tugend, Ehre und das Andenken seiner Aeltern gleich schwer beleidigenden Verbindung mit einer Schauspielerinn, beschuldige.

Ferdinand war ohnehin durch tausend in der Gesellschaft gangbare Neckereyen und Anspielungen auf sein Verhältniß zu Emilien in eine sehr gereizte Stimmung versetzt worden; die Art, mit der hier sein Heiligstes, seine Liebe, erwähnt ward, empörte ihn deshalb auf das Aeußerste, und so that er, woran er vielleicht vorher noch nicht ernstlich gedacht, oder was er wenigstens noch eine Weile verschoben haben würde, er erklärte dem General ganz unumwunden, daß er von keinem, ihn, oder die Tugend, oder das Andenken seiner Aeltern entehrenden Verhältnisse, etwas wisse, daß er sich aber dieser Gelegenheit freue, dem edeln Freunde seines Vaters früher als jedem andern sein seltenes Glück zu verkünden, das ihn erwarte, sobald es ihm nur gelungen seyn werde, Emilie Lichtfeld zu bewegen, den Tag seiner unabwendbar fest beschlossenen Vermählung mit dieser Krone ihres Geschlechts zu bestimmen.

Ein sehr heftiges, von beyden Theilen mit Vorurtheil und Erbitterung fortgesetztes Gespräch entstand nun zwischen diesen beyden Männern. Ferdinand fühlte, wie er in der Raserey des Zornes sich immer unverzeihlicher an seinem zweyten Vater versündige, und dieses Gefühl verstärkte seine nichts mehr schonende Wuth; die wegwerfende Art, mit welcher er den in der Tiefe seines Gemüths noch immer von ihm hochverehrten Hermann, von seiner angebetheten Emilie sprechen hören mußte, verleitete ihn zu immer empörender werdenden leidenschaftlichen Ausbrüchen, zu immer eigensinniger und verwegener sich aussprechenden Entschlüssen.

Der General setzte dem jugendlichen Toben nur die ernste Würde eines tief beleidigten väterlichen Freundes entgegen, die sich freylich ohne besondere Schonung in seinen Worten, wie in seinem ganzen Wesen aussprach. Er verhehlte dem immer wilder tobenden Jünglinge nicht, daß er bereit gewesen und es noch sey, dem Andenken seines unvergeßlichen Freundes, des verstorbenen Grafen von Hochburg, jedes Opfer zu bringen, nur könne dieses nicht über die von Gott und Menschen anerkannten Schranken des Rechten und Billigen hinaus gehen. Daher dürfe er dieser Behandlung von Seiten eines von Leidenschaft geblendeten, kaum dem Knabenalter entwachsenen Jünglings sich nicht länger aussetzen.

Du verschmähst meine väterliche liebende Sorge um dich, fügte der General zuletzt noch hinzu, so fahre denn hin! meine Gewalt über dein inneres besseres Daseyn hast du vernichtet, meine Gewalt über deine äußern Verhältnisse weichen der Gewalt der Zeit. Seit mehreren Monathen bist du mündig. Morgen soll mein Geschäftsträger dir meine Rechnungen vorlegen und die Verwaltung deines Vermögens in deine Hände abgeben. Sey von nun an, ungestört durch mich, der Thäter deiner eigenen Thaten, und lasse dir somit auch die Folgen derselben gefallen.


Nun habe ich nur dich noch in der Welt! rief Ferdinand, indem er im aufgeregtesten Zustande, zerrissen von tausend einander widerstrebenden Gefühlen, vor Emilien hinstürzte und mit flammendem Blicke ihre Knie umfaßte. Nun ist es gut, nun bin ich ganz allein auf dich zurückgewiesen, nun darfst, nun sollst, nun kannst du dich mir nicht länger entziehen wollen, du bist jetzt der einzige Stern, der meinem Leben noch leuchtet, du kannst mich nicht zurückstoßen wollen in ewige Nacht.

Lange währte es, ehe die tödtlich Erschrockene aus Ferdinands, nur durch inniges Bitten ihm abgedrungenen Antworten, so viel sich zusammensetzen konnte, daß sie errieth, Ferdinand sey um ihretwillen mit dem General S… in einen Zwist verfallen, der wenig Hoffnung zur Versöhnung aufkommen lasse.

So ist es gut, so ist es ja gut, rief Ferdinand, der jetzt wieder sich ein wenig zu sammeln begann. Ich danke ihm, denn seine Härte hat mich endlich, wenn gleich gewaltsam, der einzig möglichen Entscheidung unsers Schicksals zugeführt, welcher mein Herz schon längst mich zugetrieben. Emilie, wir sind eins, aber wir dürfen es nicht länger in die Macht irgend eines Wesens auf Erden stellen, uns trennen zu können. Morgen, meine Emilie, morgen werde ich von deines Feindes vormundschaftlicher Fürsorge befreyt, übermorgen gehe ich auf mein Stammgut, dort, so viel die Kürze der Zeit es erlaubt, bereite ich alles zu deinem Empfange und kehre dann mit der Eile eines, seinem Glücke entgegen Gehenden, zu dir zurück. Du liebst mich, Emilie, und wirst dich nicht weigern, mir ganz zu gehören, du wirst mein heißes Flehen erhören, wirst am Altar das Gelübde dir feyerlich wiederhohlen lassen, das mein Herz längst vor Gott ausgesprochen, das Gelübde, das mit allem, was ich bin und habe, mich dir zu eigen gibt, für's ganze Leben.

Betrübt von schmerzlich schönem Erschrecken sank Emilie verstummend in ihren Sofa zurück, Thränen rollten einzeln über ihre glühende Wangen, während ein süßes träumerisches Lächeln ihre Lippen umspielte und ihr sinnendes Auge sich in dem Bilde einer Zukunft verlor, die in morgenfrischer Helle ihr entgegen strahlte. Sie strebte lange vergebens, das schmeichelnde Gefühl zu bekämpfen, das unwiderstehlich sie umstricken wollte, doch nahm sie endlich, gleichsam mit Gewalt, sich zusammen. Sie stand vom Sofa auf und trat an das Fenster, als wolle sie Ferdinands persönlicher Nähe sich entziehen, doch er folgte ihr dorthin; schwankend zwischen Furcht und Hoffnung hatte er bis jetzt jede ihrer Bewegungen bewacht.

Sieh, Emilie, fing er an, indem er ihre Hand ergriff, sieh um dich her, wir stehen hier auf dem nähmlichen Platze, wo du, Engel der Huld, den Frevler zu einem Himmel voll Glück einst erhobst, den armen Ferdinand, den heiße Liebe zur Sünde gegen dich verleitete; sprich es hier aus, daß du meinem Wunsche nachgibst, daß du es mir frey stellst, die Welt zum Zeugen eines Glückes zu machen, an welchem hinfort alle ihr Versuche, es zu stören, zersplittern müssen.

Laut und schmerzlich weinend eilte Emilie mit verhülltem Gesichte wieder zum Sofa zurück. Ferdinand, in verstummender Angst, stand über sie hingebeugt, während ihre Thränen lange unaufhaltsam hinströmten, er wagte es kaum zu athmen, denn er kannte ihren festen edeln Sinn und ahnete den mächtigen Kampf, den sie in diesem Augenblicke in ihrem Innern bestand.

Ferdinand, sprach sie endlich, mit unendlich weichem Tone, wozu die Qual der Ungewißheit verlängern? Laß mich nach alter Gewohnheit das Unabänderliche frey und offen gegen dich aussprechen: nie kann ich dein Weib werden. Ihre Stimme brach, athemlos sank sie zurück, doch Ferdinands wildes Auffahren zwang sie, sich wieder zu ermuthigen.

Höre mich an, Liebster, höre mich an, ich flehe darum, rief sie. Ich bin frey, ganz unabhängig frey, stehe ganz allein in der Welt, nur dir gehöre ich an, dein Glück ist das meine, und von gegenseitigen Opfern, die wir einander zu bringen hätten, kann unter uns beyden niemahls die Rede seyn. Doch darf ich den Schritt, zu dem deine verblendende Leidenschaft dich verleiten will, nimmer zugeben; glaube mir, nie ist ein Gedanke daran in mein Herz gekommen, ihn von dir zu erwarten, oder auch nur zu wünschen. Ich kenne die entsetzlichen Folgen eines Mißbündnisses, wie das, in welches du uns verstricken möchtest, ich selbst bin das Kind eines solchen, und daß ich Zeuge des unheilvollen Zustandes seyn mußte, den es herbey führte, hat schon früh das Glück meines Jugendlebens vernichtet. Nein, sieh mich nicht so flehend an! bitte nicht, zerreiß mir nicht vollends das Herz. Emilie ist dein, doch Gräfinn Hochburg kann sie nie werden.

In höchster Erschöpfung sank Emilie an Ferdinands Brust. Sie fühlte den gewaltsamen Herzensschlag, der ihn durchbebte, mit krampfhafter Anstrengung faßte seine eiskalte Hand die ihrige, hörbar rang er nach Athem, sein ganzer gewaltsamer Zustand war gleich dem eines Sterbenden.

Nein! nein, es ist unmöglich! rief er endlich. Nimm es zurück Emilie, das Wort. Großes, edles Herz, wie könntest du die Nichtigkeit von Rang und Reichthum nicht empfinden, wenn unsere Liebe gegen sie in die Wage kommt? Sey größer als dein Geschlecht, Emilie, gib freywillig, was du geben mußt, laß mich nicht mit Bitten eine Einwilligung dir abdringen, die du in edler Freyheit gewähren kannst. Du vermagst es ja doch nicht mehr, dich mir zu entziehen, Emilie! Glaube mir, mein Leben, für uns Beyde gibt es kein Glück mehr, als in unsern Herzen. Mich hat die Außenwelt von sich gescheucht, dich hat sie nie anerkannt, trotz der Lorbeerkränze, die sie dir spendet, von uns Beyden ist jedes nun an das Andere gewiesen.

Emiliens Herz war zum Zerspringen voll, Ferdinands Gluth ergriff auch sie, beyde hielten wortlos sich lange umfangen, unter heißen Thränen. Dann entwand sie sich wieder seinen Armen, von neuem suchte sie seinen Wunsch zu bekämpfen, von neuem wandte er alles an, was verzweifelnde Liebe ihm nur eingeben mochte, um sie zu besiegen.

Ferdinand, sprach Emilie endlich, ich trage dieses Kämpfen nicht länger, meine Kraft erliegt, wenn gleich nicht mein fester, klarer Wille. Höre mich endlich geduldig an, aus Schonung für mich. Längst opferte ich dir schon das Höchste, was ich hatte, meinen unbefleckten Ruf vor der Welt, die mich verdammt, ohne mich zu kennen. Ich klage nicht deshalb sie an; was ich that, habe ich gethan, weil ich dich liebte, und bereue es nicht. Deine Liebe ward mein Leben; wohin sie führt, wie es einst enden wird, gleichviel. Doch vorwurfsfrey in meinem Innern muß ich bleiben, und wenn ich gleich vielleicht mein Daseyn verschleudert hätte, dein Leben, Freund, darf nicht verloren gehen, nie werde ich seinem Gange hemmend entgegentreten. Ich bin älter, als du, meine Welterfahrung ist reifer. Laß diese, laß meine Liebe dich endlich besiegen, laß die schöne Klarheit deines eigenen hellen Sinnes für mich bey dir sprechen, kräftiger, als ich selbst es vermag. Ferdinand, ich gebe dir den höchsten Beweis von Liebe, den ein edles Weib zu geben hat, ich erwähle dich zum Herrn und Gebiether meines Geschicks, ordne es nach freyer Wahl, führe mich hin, wohin du willst, ich bin ganz dein, doch die Hand reiche ich dir nicht am Altare und trage deinen Nahmen nicht. Bestehst du noch darauf, so muß ich fliehen und werde die Flucht vor dir nicht überleben.

Ehe er es vermuthete, war Emilie bey diesen Worten an ihm vorbey, in ihr Cabinet geschlüpft; gute Nacht, gute Nacht, rief sie ihm noch zu, er hörte, wie sie den Riegel vorschob, und eilte hinaus, um die glühende Brust in der kalten Sturmnacht zu kühlen.


Auch Sie, Werner? schrieb Ferdinand vierzehn Tage später an seinen Freund, auch Sie haben vom Strudel des allgemeinen Urtheils über meine Verbindung mit Emilien sich hinreißen lassen? Ich habe Ihren langen Brief erhalten, den Sie mir ausdrücklich geschrieben, um mich von einer Vermählung mit einer Komödiantinn abzubringen; dock dieser Brief, gestehen Sie es nur, er floß zwar aus Ihrer Feder, doch nicht aus Ihrer Seele; der General und meine gute, aber vorurtheilsvolle Pflegemutter sind diesmahl Ihre Orakel gewesen. Ich bitte, beruhigen Sie sich und auch jene beyde über diesen Punct. Graf Ferdinand von Hochburg heirathet keine Komödiantinn, er sitzt in diesem Augenblicke auf seinem alten Stammschlosse mit ganz andern Gedanken beschäftigt; denn, fassen Sie es wohl aus, die Komödiantinn hat dem reichen, vornehmen Grafen einen Korb gegeben, ich wünsche, daß Alle, die es interessirt, Feinde und Freunde, diese Weigerung erfahren mögen. Ferdinand war von jeher, wie jedermann weiß, etwas absurd, und so hat denn dieser Korb, so schmerzlich er von Einer Seite ihn verletzte, ihn doch zugleich auch zum glücklichsten Sterblichen erhoben, den vielleicht die Erde trägt.

Muß ich denn wirklich dem edeln Freunde und Führer meiner Jugend dieses alles erst erklären? muß ich es ihm deutlich machen, daß meine Emilie genug dachte, um meine Hand auszuschlagen, damit auch nicht der geringste Anschein von Eigennutz oder kleinlicher Absichtlichkeit jemahls ihr reines Wesen entstelle; damit nicht gesagt werde, sie habe, um sich zu erheben, mich in meinem Fluge gehemmt. Rücksichtslos, jedes fremden Schusses sich entäußernd, hat sie ihre ganze Zukunft, all' ihr Wohl und Weh in meine Hände gelegt. Und welch ein verächtlicher Elender wäre ich, wenn die Sorge um sie nicht eben deshalb der Zweck meines Lebens würde! wenn ich jemahls es vergessen könnte, wie hoch ihr unbeschränktes Vertrauen mich geehrt!

Doch sie vertraute mir nicht nur ihre Zukunft, auch ihre Vergangenheit liegt ausgebreitet vor mir; klar, hell und fleckenlos strahlt sie im herrlichsten Schimmer der Unschuld und nie sich vergebender Würde. Wie bin ich jetzt darüber beschämt, daß dieser Waller einst meine Eifersucht rege machen konnte. Außer dem Theater war er Emilien von jeher zu unbedeutend, um sowohl seine Persönlichkeit, als sein Betragen einer besondern Bemerkung werth zu halten; doch auf den deutungsvollen Bretern war er, als ihr gewöhnlicher beständiger Mitspieler, ihr von der höchsten Wichtigkeit. Sie pflegte gern über manchen kleinen Theatercoup sich mit ihm zu besprechen, den sie, bey dem immer tiefer sinkenden Geschmack unserer Zeit, mit ihm ausführen mußte; und daß sie in den Theaterproben nicht gern dergleichen mit ihm verabreden mochte, war wohl natürlich. Dieses gab zu dem vertrauten Benehmen Anlaß, das er sich erlaubte und welches sie duldete, weil sie sich nicht die Mühe nehmen mochte, ihn in die ihm gebührenden Schranken zurück zu weisen. So war er denn auch an jenem Abende, nach der Vorstellung von Romeo und Julie, nur gekommen, um eine kostbare Hutagraffe ihr wieder zuzustellen, die sie für diesen Abend ihm geliehen.

Wie unser Leben sich jetzt gestalten wird, fragen Sie? ob Emilie mir ihre Kunst opfern wird? Sie erboth sich dazu, mit der Aeußerung, sie hoffe, sie würde mit der Zeit es lernen, die dadurch entstehende Lücke in ihrem Daseyn auszufüllen; doch welch ein Ungeheuer von Egoismus wäre ich, wenn ich, nach einer solchen Erklärung, nur den Gedanken fassen könnte, ihrem Daseyn seine schönste Blüthe sogleich gewaltsam rauben zu wollen. Die Zeit, die so vieles ebnet, soll auch hier heilsam wirken.

Freylich trägt diese Blüthe, deren Duft mich erfreut, mir auch Dornen. Wespen, Nachtvögel, Käfer, allerley Geschmeiß wagt es, sie zu umschwärmen. Dieses zudringliche Volk zu verscheuchen, ist freylich keine angenehme Mühe, doch habe ich in diesen Tagen dazu einen Versuch gemacht, der, hoffe ich, von gutem Erfolge seyn wird. Ich habe einen der jungen Herren, der sich in meiner Gegenwart unbescheidene Aeußerungen über Emilien erlaubte, ein wenig in die Schule genommen, und denke, die Andern sollen sich an ihm ein Beyspiel nehmen.

Jetzt bin ich hier auf dem Schlosse Hohenburg, theils um meine Angelegenheiten zu ordnen, theils um es abzuwarten, bis jene Duellgeschichte durch irgend eine neue Albernheit aus der geselligen Unterhaltung verdrängt wird. Kopf und Herz trage ich voll paradiesischer Träume von einer überglücklichen Zukunft, aber sie wogen noch, kaum halb verstanden, in den tiefsten Tiefen meiner Seele.


Ferdinand kehrte bald darauf zurück in die Residenz und zu Emilien. Er verlebte zauberisch schöne Tage, Emilie ließ an keinem derselben in dem Bestreben nach, ihn täglich durch neue Beweise ihrer innigen Liebe zu beglücken; doch manche Bitterkeit mischte sich dennoch in diese Freuden, die sein Daseyn wahrhaft verschönten, und manche Wolke stieg umdüsternd an dem heitern Horizont seines Lebens auf.

Vor allem begann sein gestörtes Verhältniß zu dem General S… und dessen edlen Schwester, durch ein der Reue sehr ähnliches Gefühl, ihm mit jedem Tage drückender zu werden. Er war es nicht gewohnt, alte Liebe und Treue zu vergessen, in dem hülflosen Zustande verwaister Jugend ihm erzeigte Wohlthat mit Undank zu lohnen, und sein Gewissen sprach ihn in dieser Hinsicht nicht ganz frey von aller Schuld; er mußte sich wenigstens gestehen, daher dem wohlmeynenden Freunde, dem väterlichen Beschützer, selbst, indem dieser ihm wehe that, mit mehr ehrerbiethiger Duldsamkeit hätte begegnen sollen, als er gethan, und wenn er daran dachte, daß er sogar seine Pflegemutter mit fast beleidigender Absichtlichkeit vermieden, die ihm doch nie anders, als mit herzlicher Güte entgegen gekommen, dann hätte er gern vor sich selbst sich verbergen mögen.

Der Zufall führte ihn einst am dritten Orte der lange nicht Gesehenen entgegen; die Gräfinn blickte nicht zürnend, aber mit trübem Ernste auf ihn, und tief ergriffen eilte Ferdinand zu ihr hin, ihre Hand zu küssen, die sie ihm nicht verweigerte; er blickte zu ihr auf, und eine große Thräne perlte in dem stillen, klaren Auge der ehrwürdigen Frau.

Dies war zu viel für sein Herz. Die Umgebungen, in denen beyde sich befanden, erlaubten für den Augenblick ihm keine Ergießung desselben, doch er eilte noch am nähmlichen Abende zur Gräfinn, zu einer Stunde, in der sie, wie er wußte, sich gewöhnlich allein befand. Nach alter Gewohnheit ging er, ohne sich melden zu lassen, geradezu hinauf in ihr Zimmer, und stand plötzlich wider Hoffen und Erwarten vor der ehrwürdigen Gestalt seines ehemahligen Vormundes, des General S…, der so eben, nach langer Abwesenheit heimgekehrt, und bey seiner Schwester abgetreten war.

Ferdinand weilte einen Augenblick an der Schwelle des Zimmers, unschlüssig, ob er näher treten, oder wieder umkehren solle? Doch Herrmann machte seinem Schwanken ein Ende, indem er einige Schritte ihm entgegen ging. Ein gleichgültiges Gespräch wurde angeknüpft, während welchem beyde jede Saite sorgfältig zu berühren vermieden, die einen Mißton hätte hervorbringen können. Doch Ferdinand hielt es nicht lange aus, diesem Manne in so ganz verändertem Verhältnisse gegenüber zu stehen. Das Benehmen des Generals blieb sich gleich, mild, ernsthaft und gemessen, wie immer; Ferdinanden aber that das Herz weh. Er dachte daran, wie dieser nähmliche Herrmann einst gleich einem trostbringenden Schutzgeiste an dem Sterbebette seines Vaters ihm erschienen war, und griff hastig nach seinem Hute, um dessen jetzt drückender Gegenwart zu entfliehen.

Du gehst Ferdinand, sprach plötzlich der General, indem er ihm näher trat, gehe wohin du willst, und möge das Glück dich begleiten, das du hoffend suchst. Manche meiner früheren Bitten und Ermahnungen hast du vergessen. Es sey darum! Meine ermahnende Bitte, dich für einen nahen, ehrenvollen Aufruf stets bereit zu halten, ist hoffentlich nicht unter jenen. Die große Zeit, die nebenher manchen Flecken und manche Scharte vertilgen wird, naht jetzt mit leisem, aber gewaltigem Schritte. Fasse diese meine Andeutungen wohl und laß dich nicht so fest umgarnen, daß du dich nicht mehr losmachen könntest, wenn es dem großen Werke gilt.

Des Generals letzte Worte waren unbeschreiblich wohlthätig für Ferdinands wundes Gemüth; er sah von dem Manne sich nicht ganz verstoßen, den er, ohnerachtet alles dessen, was in der letzten Zeit Störendes vorgegangen war, dennoch sehr hoch stellen und als einen zweyten Vater verehren mußte; überdem war die Hoffnung langersehnter, thatenreicher Tage ihm um vieles näher gerückt worden, so daß er ihnen jetzt in freudiger Erwartung mit Sicherheit entgegen sehen durfte.

Er eilte zu Emilien, um sein freudiges Gefühl ihr mitzutheilen, er wollte zugleich versuchen, sie zu bewegen, die herannahende Zeit ihres jährlichen Urlaubes, die sie sonst zu einer sogenannten Kunstreise anzuwenden pflegte, auf seinem Gute zuzubringen, wohin er sich bis zum gewiß nicht mehr fernen Tage des Aufbruches zurück zu ziehen wünschte, um dem Anblicke der immer übermüthiger sich zeigenden Feinde zu entgehen. Doch zu seinem Mißvergnügen fand er Emilien von Gesellschaft umringt. Einige Fremde von Bedeutung, von dem Rufe der seltenen Künstlerinn angezogen, hatten gewünscht, abgesehen von der Bühne, ihre nähere Bekanntschaft zu machen; einige ihrer geistreichsten Bekannten aus der Stadt, hatten zu diesen sich gesellt, freylich lauter Männer, denn Emiliens Stellung in der Welt erlaubte ihr nicht, weiblichen Umgang ihren Wünschen gemäß zu wählen.

Umstrahlt von einer Glorie von Reiz und Anmuth, saß Emilie in der Mitte dieses Kreises, Heiterkeit thronte auf ihrer Stirn und ihr Auge glänzte heller als sonst; sie sprach eben mit vielem Geiste und großer Lebendigkeit von ihrer Kunst. Ich spiele wie ich athme, hörte Ferdinand bey seinem Eintritt sie sagen, Kunst und Leben sind mir gleich bedeutend, und ich bin überzeugt, daß ich nur beyden zugleich entsagen könnte.

Diese, alle seine schönsten Hoffnungen für die Zukunft vernichtenden Worte, verletzten Ferdinanden tief; mit einer Stimme, welche von innerer Aufregung bebte, suchte er an dem Gespräche jetzt Theil zu nehmen. So gut es in Gegenwart so vieler Zeugen sich thun ließ, erinnerte er Emilien an jene Pläne zu einem Leben in ländlicher Abgeschiedenheit, dem Genusse der Natur wie dem der Kunst im weiter umfassenden Sinne des Wortes hingegeben, denen sie sich oft an seiner Seite überlassen hatte.

Sie dachten einst anders, und das ist eben noch nicht sehr lange her, sprach er zuletzt. Wissen Sie noch, wie Sie, unter gewissen Bedingungen es gar nicht für unmöglich achteten, dem öffentlichen Auftreten auf der Bühne entsagen zu können?

Emilie schwieg, indem sie mit wehmüthigem Lächeln zu ihm aufblickte. Sie haben Recht, das war einmahl und ist nicht mehr, sprach sie endlich. Es war ein Irrthum, doch er war göttlich schön, und noch immer gibt es Augenblicke, in denen ich mich mit Freuden ihm hingeben kann, setzte sie mit einem halbunterdrückten Seufzer hinzu. Wenn ich aber ganz unbefangen darüber nachdenke, so finde ich doch, daß diese Idee nichts ist, als ein schöner Traum, gegen dessen Erfüllung mein ganzes Wesen anstrebt. Ich weiß, ich müßte und würde darüber zu Grunde gehen, denn glauben Sie nur, Graf Hochburg, wen die Kunst einmahl recht ergriffen hat, den hält sie fest für's ganze Leben, da gilt kein Widerstreben und keine Wahl. Auch paßt ein Solcher für nichts Anderes mehr und sollte auch wohl sich auf nichts Anderes mehr einlassen wollen.

Nicht sowohl diese Erklärung, als die Art, mit der sie ihm gemacht wurde, fiel Ferdinanden sehr unangenehm auf, er verließ früh die Gesellschaft und eilte in seine Wohnung. Briefe, die er zu Hause antraf, ließen ihn seinen Unmuth jedoch bald vergessen. Sie bestätigten die wichtigen politischen Neuigkeiten, die man schon seit einigen Tagen im engsten Vertrauen einander zugeflüstert; von vielen Seiten erhielt er Nachrichten von großen, wenn gleich bis jetzt noch geheim gehaltenen Zurüstungen und Verbindungen zum gewaltigen Kampfe. Neues, frisches Jugendleben durchglühte dabey seine Brust, seine Phantasie erfüllte sich mit Bildern von einem glorreichen thatenvollen Daseyn, das ihm nun bald aufgehen solle, und so, wie nur die Morgenstunde schlug, in welcher Emilie ihm sichtbar werden konnte, eilte er zu der Geliebten, seine freudigen Erwartungen ihr mitzutheilen. Sein gestriger Unmuth blieb vergessen, wie seine gestrigen Pläne, an deren Ausführung für jetzt ohnehin nicht mehr zu denken war.

Weit früher, als gewöhnlich, fand er Emilien völlig angekleidet, in voller Arbeit vor einem Tische, auf welchem seidene Stoffe, Flor, Flittern, Perlen, Stickereyen, Theaterschmuck aller Art hoch aufgethürmt durch einander lagen. Drey der widerwärtigsten Theater-Creaturen, die Ferdinand nie zuvor bey Emilien gesehen, waren ihr zur Seite, in ernster, tiefer Beschäftigung mit allen diesen Herrlichkeiten.

Willkommen zur guten Stunde! rief Emilie ihrem Freunde entgegen, so wie sie seiner ansichtig wurde. Sie kommen recht erwünscht, um uns mit Ihrem anerkannt feinen Geschmack in einer wichtigen Angelegenheit beyzustehen. Donna Diana braucht ein verführerisches Negligée, wir haben einen eigenliebigen stolzen Prinzen zu besiegen, wenigstens gilt Don Cäsar ihr für einen solchen, und das ist kein kleines Unternehmen; da darf nichts Gemeines, nichts Unechtes erscheinen, nichts, das nicht mit erprobtem Schönheitssinn angeordnet wäre.

Die drey Theaterdamen unterließen bey diesen Worten nicht, Emilien mit einem Schwalle der allertrivialsten Schmeicheleyen zu überhäufen, und steigerten dadurch Ferdinands unmuthigen Widerwillen fast bis zum Unerträglichen. Er trat seitwärts in das entfernteste Fenster des Zimmers, und Emilie, auf ein Zeichen, das er ihr gab, eilte sogleich zu ihm hin.

In aller Kürze theilte er hier in wenigen geflügelten Worten der Geliebten mit, welche an Gewißheit gränzende Hoffnung einer nahen, alles bis jetzt ertragene Unheil ausgleichende Zukunft ihm aufgegangen war, seit er sie nicht gesehen. Seine Wange glühte, sein Auge flammte, er drückte Emiliens Hand auf sein in stolzer Freudigkeit hoch schlagendes Herz, während er, leise flüsternd, ihr es recht lebendig darzustellen suchte, welch ein Glück es sey, den Tag noch zu erleben, an dem die Völker aufstehen würden, um die lange getragene Schmach von sich abzuwälzen, wie herrlich es sey, mit in die Reihe der Kämpfer einzutreten, und Glück und Leben, Habe und Gut an die Erreichung eines großen, Allen gemeinsamen Zweckes, zu setzen. Emilie hing mit leuchtenden Blicken an dem Ausdrucke seines Gesichts. Nie glaubte sie ihn schöner gesehen zu haben, als in diesem Augenblicke. Aehnlich einem Helden des Alterthums stand er vor ihr, von Muth und Thatendurst beseelt und gehoben.

Doch sie hatte ihn nur gehört, nur gesehen, aber nicht verstanden, denn ihr Sinn war noch an das, was an ihrem Arbeitstische vorging, gefesselt. Sie hatte nur vernommen, daß er ein freudiges Ereigniß ihr verkünde.

Freuet es dich, Liebster? nun so freut es mich auch, erwiederte sie daher ganz fröhlich, als er aufgehört hatte zu reden. Ferdinand blickte voll Erstaunen sie an. Aber nun, bitte, bitte, nun laß mich zurück, setzte sie noch hinzu, indem sie von ihm sich los machte, laß mich an meine Donna Diana denken, das ist vor der Hand das Nothwendigste.

Ferdinand sah mit einem seltsamen Gefühle ihr nach, wie sie im Nu wieder mitten in Discussionen über die Auswahl unter mehreren Farben sich einließ, Drapperien, Federbüsche und Costüme abhandelte. Bruchstücke aus Rollen, Parodien und Theatergeschichten mischten sich im buntesten Wirbel in ihre Unterhaltung mit den drey Damen. Ferdinand hielt es für das Beste, sich zu entfernen, um am nächsten Tage wieder zu kommen.

Doch leider fand er am andern Morgen alles genau so, wie er Tags vorher es verlassen, dieselbe frivole Beschäftigung und die nähmliche unleidliche Gesellschaft, durch einige elegante Nähjungfern vermehrt. Emilie war noch heiterer, als am vorhergehenden Morgen, denn ihre Arbeit schien ihr zu gelingen. Scherze, lustige Anspielungen, witzige Einfälle folgten einander mit Blitzesschnelle, sie war wirklich in diesem Moment höchst reizend, Ferdinand fühlte das wohl, der neue Zauber, den sie um sich her zu verbreiten wußte, verfehlte nicht, ihn zu ergreifen, aber er hatte dennoch keine Freude an diesem ihm ungewohnten Treiben, bey dem ihm eigentlich recht unheimlich ward, fast wie sonst, wenn Wallers Gegenwart ihn drückte.

Wird das alles noch lange währen? fragte er endlich.

Damit ist es, wie mit der Höhe des Berges Sinai, man weiß es nicht, rief lachend Emilie, warf ihm einen Kuß zu, indem er, seines Unmuthes nicht länger Meister bleibend, zum Fortgehen sich anschickte, machte aber auch nicht den kleinsten Versuch, ihn zum Dableiben zu bewegen.

War das Emilie! sprach Ferdinand zu sich selbst, als er von ihr ging, in diesen Tagen, in denen die Morgenhelle einer großen kommenden Zeit meine ganze Seele durchleuchtet, beschäftigen sie Putz und Tand so ausschließend, daß keine Stunde ihr bleibt, um mich zu hören, wenn ich mein, von großen Empfindungen und Gedanken überströmendes Herz vor ihr ausschütten möchte! Er erinnerte sich, wie sie noch vor Kurzem ihm zuweilen verboth zu kommen, weil sie ihre Rollen lernen müsse, und dennoch ihn schalt, wenn er dem Verbothe Gehorsam leistete, und wie sie ihm gestanden, daß sie sich gewöhne, drey Stunden früher, als sonst, dem Schlafe zu entsagen, um nur die Abende, an denen sie nicht auf der Bühne erscheinen mußte, ihm frey zu erhalten; er gedachte alles dessen, wie etwas lange Vergangenen und ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust.

Treue, innige Liebe und ernste Beschäftigung mit Vorbereitungen für eine noch ernstere Zukunft ließen indessen den in ihm aufkeimenden Unmuth nicht festere Wurzeln schlagen. Nicht sowohl die Vernachlässigung seiner selbst, hatte ihm weh gethan, sondern vielmehr die Kälte, mit der Emilie über das, was in diesem Momente ihm das Wichtigste schien, sich geäußert hatte, verwundete sein Gemüth am empfindlichsten. Er begriff nicht, wie ein wahrhaft großes Herz, selbst in einer weiblichen Brust, kalt bleiben könne, sobald es der Befreyung des Vaterlandes von fremden schimpflichen Ketten galt, und eilte, sich in einen Strudel von Arbeiten zu stürzen, um nur nicht ferner darüber nachdenken zu müssen. Er fing an, emsiger als je, seine eigenen Angelegenheiten noch vor dem Ausbruche eines Krieges zu ordnen, dessen Dauer nicht vorher berechnet werden konnte, und einige kleine Reisen in die nächsten Umgebungen der Residenz, die er deshalb unternehmen mußte, verhinderten ihn mehrere Tage lang, Emilien zu sehen. Dieses Entbehren konnte nicht verfehlen, die Sehnsucht nach ihr von Neuem in ihm zu erwecken, jedes Gefühl des Unmuths entschlummerte in seiner Brust, als er, heimkehrend, die Thürme der Residenz wieder von fern erblickte. Er erinnerte sich, daß eben am heutigen Abende eine zwischen ihm und Emilien oft besprochene Darstellung des Tasso gegeben werden solle, in welcher sie als Prinzessinn neben einem fremden Schauspieler von bedeutendem Rufe auftreten werde, und er wandte alles an, um wenigstens früh genug anzulangen, damit er diesem Triumph der Geliebten noch beywohnen könne. Unerachtet der möglichsten Eile war es indessen doch spät geworden, der erste Act des Meisterwerks war vorüber, der zweyte angefangen, als Ferdinand das Schauspielhaus betrat; alle Logen waren bis zum Erdrücken von einer schaulustigen Menge gefüllt, die hauptsächlich der Wunsch herbeygezogen hatte, den berühmten Gastspieler zu sehen, und Ferdinand, bey der Unmöglichkeit, bis zu seinem gewohnten Platze zu gelangen, blieb ganz Auge und Ohr, in einer der vom Theater entferntesten Logen stehen. Jetzt begann der dritte Aufzug und jetzt erst erblickte Ferdinand Emilien. Ihre melodische Stimme, ihre glänzende Schönheit, die unnachahmliche Kunst, mit der sie die harmoniereiche Sprache des Dichters sich anzueignen wußte, riß alles zum rauschendsten Beyfall hin. Entzückt, begeistert hing Ferdinands Auge an der Geliebten; doch von ungefähr streifte es an dem Platze vorüber, den er gewöhnlich einzunehmen pflegte, ein Fremder von hoher, schöner Gestalt stand, über Alle hervorragend, fast isolirt an demselben, und Ferdinand glaubte sogar zu sehen, wie Emiliens Blicke diesen einigemahl aufzusuchen schienen. Vergebens flüsterte sein guter Genius ihm zu, sie sucht dich an der gewohnten Stelle, der alte Unmuth erwachte wieder, begleitet von einem eigenen vorahnenden Gefühle, das immer lauter ward, je öfter er den Fremden mit seinen Blicken aufsuchte, und als endlich Tasso auftrat, die schöne Zauberwelt in seinem Gemüthe bejammernd, von der er wähnte, daß sie jetzt vor seinem klar gewordenen Sinn in nichts sich auflöse, als er mit dem Ausdrucke des höchsten Schmerzes ausrief:

Auch sie! auch sie! Entschuldige sie ganz,
Allein verbirg' dir's nicht: auch sie! auch sie!

da ertrug Ferdinand es nicht länger. Noch einmahl blickte er zu dem Fremden hin; weit, weit vor ihm, ihr ganz nahe, stand jener im hellsten Lichte des Prosceniums; eine kalte Hand preßte Ferdinanden das Herz zusammen, indem er die Dunkelheit bemerkte, die ihn selbst umgab, ihm wurde, als sey er von nun an ihr nicht minder fern, als alle die Uebrigen um ihn her, er eilte fort; die Sterne, die Bäume, alles, was er erblickte schien mit Klagetönen ihm zuzurufen: Auch sie! Auch sie!

Die Stille der Nacht beschwichtigte endlich den Sturm in seinem Gemüthe, sein besseres Selbst erwachte und lehrte ihn, sich eines im Grunde lächerlichen, eigentlich auf Nichts fußenden Anfalles von Eifersucht zu schämen. Er gelobte sich selbst, in Zukunft duldsamer gegen die Geliebte zu seyn, deren Stellung in der Welt es ihr zur Pflicht machte, Allen gefallen, Alle bezaubern zu wollen. So früh er am andern Morgen es konnte, eilte er zu Emilien, um ein Unrecht ihr abzubitten, von dem sie nicht einmahl wußte, daß er sich dessen schuldig gemacht habe. Im Vorzimmer eilte Nanny, Emiliens Kammermädchen, weinend an ihm vorüber, ohne ihm Rede stehen zu wollen; Ferdinand begann schon ein Unheil zu ahnen, das die Geliebte betroffen, und zwiefaches Schrecken ergriff ihn, als er die Thüre ihres Wohnzimmers öffnete und sie bleich, entstellt, allem Anscheine nach krank, auf dem Sofa liegen sah.

Ehe er noch eine Frage an sie wagte, wollte er selbst hinweg eilen, um den Arzt herbey zu hohlen, doch Emilie rief ihn zurück.

Ich bin nicht krank, sprach sie, nur verstimmt, nur verdrießlich, nur ärgerlich zum Sterben, und habe wahrlich auch Grund dazu. Aergeres wie mir, ist noch keinem widerfahren! Du selbst warst Zeuge, mit welcher Sorgfalt ich meinen Anzug für die Donna Diana vorbereitete, auch war es mir gelungen, das eleganteste, kleidsamste und dabey doch recht fürstlich-würdigste Negligée für die so schwierige Scene in der Laube zu ersinnen. Ich wollte, du hättest mich darin gesehen, als ich es anversuchte! und nun, Ferdinand, denke dir mein Entsetzen! Daß ich fähig war, weiter zu spielen, ist der höchste Beweis meines Talents, den ich bis jetzt noch abgelegt habe; denke dir, Geliebtester, wie mir ward, als gestern die unerträgliche Kramer als Leonore Sanvitale mir in der ersten Gartenscene genau so gekleidet entgegentritt, wie ich nächstens in der Donna Diana es seyn wollte. Die kleine la Croix, der ich das Kleid zu nähen gab, hat mich verrathen, sie soll es entgelten und Nanny auch, die mit im Complotte war – – – –

Emilie! unterbrach sie Ferdinand mit einem ganz seltsamen Tone.

Sey ruhig, sprach Emilie weiter, die Kramer triumphirt nicht. Ein Gott hat es mir eingegeben, ich zerschneide meinen neuen Türkischen Shawl; ich bin mit mir selbst schon im Klaren, die zweyte Erfindung des Gewandes soll die erste bey weitem an Eleganz übertreffen; aber verdrießlich bleibt diese Geschichte dennoch.

Welcher Theater-Dämon hat denn in dieser Zeit allen Unfug, der je zwischen den Coulissen ausgebrütet worden, über dich ergossen und dich bis zum Unkenntlichen beynahe, deinem Freunde entstellt, nahm mit mächtiger Stimme jetzt Ferdinand das Wort. Er fühlte sich um so erzürnter und auch betrübter, je kleinlicher und unbedeutender der ganze Vorfall ihm erschien, der Emilien außer sich gesetzt hatte.

Ich bitte, erwiederte ziemlich empfindlich Emilie, die noch immer in einer etwas aufgeregten Stimmung sich befand, ich bitte dich, unternimm es nicht, über ein Gefühl absprechen zu wollen, von dem du keinen Begriff haben kannst. Du kannst es unmöglich fassen, wie viel mir daran liegen muß, den ersten günstigen Eindruck mir zu bewahren, und das Feld zu behaupten. Die Kramer ist hübsch, ist eine ganz neue Erscheinung, die Gunst des Publicums etwas sehr Wankelmüthiges, wie nothwendig aber diese Gunst meiner Kunst und folglich auch meinem Leben ist, das kann ich dir freylich nicht deutlich machen.

Es war zum ersten Mahle, daß Emilie es aussprach, wie sie bey aller Liebe, die sie für Ferdinand im Herzen trug, sich dennoch als ein von ihm getrenntes Wesen betrachte, sobald er dem gegenüber stand, was ihre Kunst von ihr erheischte. Es verletzte ihn tief, aber er wußte in ihrer Gegenwart dieses zu verbergen, und als er von ihr wieder entfernt war, brachte ein, mit gewinnender Zartheit sie entschuldigendes, Liebe athmendes Briefchen von ihrer Hand ihm bald das gewohnte Gleichgewicht wieder. Aber es zerstörte nicht zugleich die ihm immer deutlicher werdende Ueberzeugung, daß Emiliens Kunst seiner Liebe ein weit gefährlicherer Nebenbuhler sey, als alle Wallers der Welt. Der Wahn, als könne Emilie ungestraft ihr Daseyn zwischen ihrer Liebe und ihrer Kunst theilen, löste vor seinem durch die letzten Erfahrungen klarer gewordenen Blicke sich immer mehr in ein schönes, aber trügerisches Nebelgebilde auf, und immer deutlicher ward es ihm daß sie den Versuch aufgeben müsse, ihrer beyder Existenz auf so traurige Weise zerstückeln zu wollen.

Weniger leidenschaftlich, aber fester und bestimmter, als an jenem Abende, da er im wildesten Wahnsinn der Verzweiflung zu Emiliens Füßen sank, fühlte er in seinem Herzen die klare Ueberzeugung, daß sie, durch gesetzliche Bande ihm vereint, auch vor den Augen der Welt Leid und Freude, Ehre und Nahmen mit ihm theilen müsse, wenn er sowohl als auch sie nicht am Ende in Zwiespalt und Unsicherheit untergehen sollten. Er verbarg sich die Größe des Opfers nicht, das Emilien ihm bringen mußte, indem sie den ganzen Zweck ihres bisherigen Strebens hingab und von der Stelle, wo sie, ähnlich einem glänzenden Götterbilde, von Tausenden bewundert, stand, in Verhältnisse sich zurück begeben sollte, in welchen ihr manches störend entgegen treten würde, die zwar an sich ehrenvoll, aber dennoch, gegen ihre jetzigen gehalten, ihr dunkel erscheinen mußten. Ihm selbst that das Herz weh, wenn er es sich dachte, wie er hinfort dem Glücke entsagen müsse, seine schöne Geliebte in der blendenden Glorie ihrer Kunst allbewundert, mit dem Gefühle zu sehen, daß sie doch nur ihm allein gehöre. Aber in der Tiefe seines Gemüthes erhob sich laut und dringend die Stimme der Nothwendigkeit, und er beschloß, Alles daran zu setzen, um Emilien seinen jetzigen Ansichten zu gewinnen und dadurch ihr, wie sich selbst, ein reines, durch keine Halbheit getrübtes Daseyn zu sichern.

Er nahm sich vor, das, was er einmahl beschlossen, rasch und besonnen auszuführen, und die erste dazu schickliche Stunde zu benutzen, um der Geliebten das Wiederaufleben seines ihm früher verweigerten Wunsches an das Herz zu legen, von allen den Gründen unterstützt, die seine Liebe, wie sein Verstand ihm eingeben konnten. Doch Zufälligkeiten, die sich nicht im Voraus berechnen ließen, verhinderten ihn mehrere Tage lang, diesen Entschluß ins Werk zu stellen.

Eine Stille war jetzt in das öffentliche Leben getreten, ähnlich der, welche kurz vor dem Ausbruche des Sturms die Wogen ebnet; der kundige Schiffer erkennt und benutzt sie zu Vorbereitungen gegen das nahende Unheil. Jedermann zeigte bey dem tiefsten Ernste im Herzen, ein völlig unbefangenes Gesicht. Hof und Stadt belebten glänzende Feste, zu denen die Vermählung einer Prinzessinn des regierenden Hofes die nächste Veranlassung lieh. Eine Menge, durch Rang, Ansehen oder einem ihnen vorangegangenen bedeutenden Rufe, ausgezeichneter Fremde, schien der Zufall nur darum in der Residenz vereinigt zu haben, um dem geselligen Treiben neues Leben zu verleihen. Ferdinands Verhältnisse erlaubten ihm nicht, sich bey dieser Gelegenheit in Dunkelheit zurück zu ziehen, auch wollte er dieses nicht in der Zeit, welche eine wichtige Crisis vorbereitete, in welcher oft mitten im anscheinend lustigen Gewühl, ein ernster, tiefer auf das zunächst Bevorstehende Bezug habender Sinn ihm gerade da entgegen trat, wo er dieses am wenigsten vermuthet hatte.

Unter allen den mannigfaltigen neuen Gestalten, die dem Auge des Beobachters sich entgegen drängten, ragte eine einzige, gleich einem kolossalen Riesenbilde, über alle übrige hoch empor; eine Erscheinung, die sowohl durch persönliche Vorzüge, als durch tausend auffallende Sonderbarkeiten die Augen auf sich ziehen mußte, und es sichtbarlich auch wollte. Es war Graf Felix Colotinsky, der Sohn eines ehemahligen Polnischen Magnaten, von unermeßlichem Reichthume. Von Jugend auf hatte er meistens auf Reisen gelebt; Monathe, beynahe Jahre lang war er zuweilen in Städten geblieben, wo er bey seiner Ankunft nur wenige Stunden hatte verweilen wollen; an andern Orten reiste er oft in dem Augenblicke wieder ab, in welchem eine auf lange Zeit mit Mühe und bedeutendem Aufwande für ihn eingerichtete Wohnung zu seinem Empfange fertig geworden war. Ein sehr wechselnder Ruf ging überall ihm voran; bald nannte das Gerücht ihn einen ausgemachten Narren, bald erhob es ihn zum Halbgott; bald galt er für enthusiastisch und sentimental, bald schien er mit Allem, sogar dem Heiligsten, ein freches übermüthiges Spiel treiben zu wollen, von dem man sich schaudernd abwenden mußte.

So stand dieser seltsame Mensch unverstanden, ungeliebt, aber dennoch allein herrschend in jedem Kreise, den er um sich zusammen zog; er vereinte die seltsamste Mischung von einander widerstrebenden Eigenthümlichkeiten und Eigenschaften. Ob er dem reifen Mannsalter sich nähere, oder noch in der Blüthe der Jugend stehe, war schwer zu entscheiden: aus dem dunkel rollenden Feuerauge blitzte oft echt jugendliches Verlangen unter den scharf gezogenen etwas tiefen Augenbogen hervor, und doch schien der durchdringende Blick auf mannigfaltige große Erfahrungen zu deuten. Der fast gewaltsam geschlossene, fein geschweifte Mund trug den Ausdruck glücklich besiegter, aber heftiger Schmerzen, und doch umspielte ihn oft ein kaltes, seltsames, beynahe ironisches Lächeln. Sein Gliederbau war groß und gewaltig, fast athletisch zu nennen, aber eine ihm eigene Anmuth und Grazie begleitete jede seiner Bewegungen. Er wäre in den glänzendsten Frauenkreisen als unbestrittener Sieger aufgetreten, hätte der Stolze nicht zu deutlich merken lassen, daß er solche Siege verschmähe, die ihm leicht werden zu wollen schienen.

Uebrigens war das Aufsehen, das er überall erregte, ihm augenscheinlich ein wahres Bedürfniß: alles um ihn und an ihm war darauf berechnet, die prächtig gekleidete, zahlreiche Dienerschaft, die mit fast Orientalischer Pracht ihn umgab, die Menge glänzender Equipagen, schöner Pferde und Hunde. Auch unternahm er selbst mancherley, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen; er fuhr im Luftballon den Sternen zu, oder rutschte auch auf einer Draisine mühselig einher, kaufte Kostbarkeiten, die er im nächsten Moment an ihm ganz gleichgültige Personen verschenkte, und beging tausend Thorheiten. Die ihm angeborne edlere Natur hielt ihn aber stets fern von allem Gemeinen, vielleicht ohne daß er sich dessen bewußt war; er hatte sogar Augenblicke, in denen sein Geist so klar, so göttergleich über eine Alltagswelt sich erhob, daß, ergriffen von der Gewalt der Beredtsamkeit, die seinen Lippen entströmte, selbst die, welche ihm am wenigsten wohl wollten, ihm bewundernd huldigen mußten.

Ferdinand hatte diese auffallende Gestalt in der Gesellschaft zwar bemerkt, wie das denn auch nicht anders seyn konnte, aber er war ihr fast geflissentlich ausgewichen. Auf dem ersten Anblick hatte er in dem Grafen jenen Fremden wieder erkannt, den er bey der Vorstellung des Tasso an seinem Platze erblickt, und der schon damahls einen unheimlichen, widerwärtigen Eindruck auf ihn machte. Die Erinnerung an jenen Abend, die Besorgniß, daß Colotinsky als Pole sich wahrscheinlich auf die Seite des allgemeinen Feindes hinneige, und sogar durch heimliches Auskundschaften der guten Sache gefährlich werden könne, eigneten sich nicht dazu, diesen ersten Eindruck zu mildern. Und nun mußte er an dem ersten freyen Abende, welchen es ihm seit langer Zeit vergönnt war bey Emilien zuzubringen, denselben Mann, den er so absichtlich vermieden, bey der Geliebten treffen, und zwar auf dem Fuß eines alten Bekannten, der nicht gesonnen schien, einem Andern so bald zu weichen.

Ein stechender Schmerz benahm ihm bey dem Anblick Colotinsky's Luft und Athem, ein dumpfes, peinigendes Gefühl, wie von einem großen Unrecht, das ihm geschehen sey, hemmte ihm die Sprache und raubte ihm fast alle sonst ihm eigene Geistesgegenwart. In seltsamer Bewußtlosigkeit begrüßte er Emilien und den Grafen und setzte sich neben sie hin, ohne jedoch an der wirklich geistreichen Unterhaltung jener Beyden den mindesten Antheil zu bezeigen. Ohne alle Weigerung folgte er endlich dem Allbewunderten, als dieser aufstand und Ferdinanden daran erinnerte, daß es Zeit sey, sich auf das Schloß zu begeben, wohin sie beyde zur Abendtafel geladen waren.

Nach einer rastlosen, in dumpfen Unmuth über sich selbst, durchwachten Nacht, ging Ferdinand am folgenden Morgen hinaus, um im Frühlingssonnenschein unter eben knospenden Bäumen sich einigermaßen zu erhohlen und zu beruhigen. Eine Menge festlich geputzter Leute, die an ihm vorüber eilten, erinnerten ihn durch ihren Anblick daran, daß er gestern von einer, für diesen Morgen bestimmten Lustbarkeit gehört habe, nur hatte er völlig vergessen, von welcher Art diese sey und an welchem Orte sie Statt haben solle. In dem Augenblicke rauschten ein Paar Dienstmädchen mit einem halberwachsenen Knaben an ihm vorüber.

Mach' fort, Fritz, sprach das eine der Mädchen, wir kommen sonst zu spät und kriegen nichts mehr zu sehen.

Ach was! damit hats keine Noth, antwortete der Knabe, die Mamsell Lichtfeld ist noch nicht da, und eher darf kein Pferdeschwanz aus dem Stalle. Der Polnische Graf hat das seinen Leuten wohl zehnmahl selbst anbefohlen, der Herr Stalljunge mit der bunten Jacke hat es mir gesagt und der muß es ja am besten wissen.

Ach, ich möchte wohl so eine Mamsell seyn, die die vielen Pferde so in Trab setzen kann, wenn sie will! setzte der Knabe hinzu.

Und die vielen Grafen dazu, lachte das Mädchen, indem sie vorwärts eilten.

Empört im tiefsten Grunde der Seele, eilte Ferdinand jetzt ebenfalls weiter, denn plötzlich war er sich es deutlich bewußt worden, daß ein Pferderennen nach Englischer Art an diesem Morgen Stadt finden solle, an welchem der reiche Pole den bedeutendsten Antheil nehmen mußte, indem niemand schönere Pferde besaß, als er. Auch flogen in dem Augenblicke, da er an dem zum Wettrennen bestimmten Platze anlangte, einige wunderschöne Englische Renner an ihm vorüber, die er sogleich für das Eigenthum desselben erkannte. Zu jeder andern Zeit würde das Schauspiel, das hier bereitet war, ihn sehr angezogen haben, doch dieses Mahl suchte sein Auge unter der Menge von Zuschauern nur die Geliebte, und fand sie auch bald an der Seite einer ihrer Bekanntinnen, in einem der vielen Wagen, die angefüllt mit Damen an einer Stelle hielten, wo man alles bequem übersehen konnte. Graf Colotinsky hielt unfern Emilien auf einem prächtigen wildschnaubenden Araber, er nahte sich ihr von Zeit zu Zeit, um ihr ein Paar Worte zu sagen, während ihr strahlendes Auge mit unverfehlter Freude an dem lebensreichen, flüchtig-schönen Schauspiele hing und den pfeilschnell an ihr vorüber eilenden herrlichen Thieren mit einer Art von Begeisterung folgte.

Ferdinand wandte den Blick jetzt seinen eigenen nächsten Umgebungen zu, und fand sich mitten unter Freunden und Bekannten, von denen aber kein einziger ihn anredete; Vieler Blicke waren fest auf Emilien gerichtet.

Qui va à la chasse perd sa place! garde à vous, mon cher! schnarrte endlich ein alter Wüstling unter überlautem, frechem Gelächter ihm entgegen. Ferdinand fuhr zusammen, faßte sich aber bald wieder, grüßte verbindlich die ihm zunächst Stehenden und ging dann, da das Rennen eben beendigt war, mit erzwungener Fassung auf Emilien zu.

Ich darf doch diesen leeren Platz einnehmen? fragte er, indem er, ohne die Antwort abzuwarten, den Schlag des Wagens öffnete und sich den beyden Damen gegenüber setzte. Nach Hause doch wohl? fragte er nochmahls, und rief auch sogleich dem Kutscher zu, nach Hause, vorwärts! fort!

Die Pferde zogen an, doch im nähmlichen Augenblick hielt auch der Polnische Graf neben Emilien, der, während Ferdinand einstieg, in einiger Entfernung mit einem Bekannten im Gespräche gewesen war. Er legte die Hand auf den Schlag, Ferdinands Auge folgte dieser Bewegung, und erkannte nun zu seinem nicht geringen Schrecken Colotinsky's Wappen auf demselben.

Dank Ihnen, Graf Hochburg, hob dieser jetzt, seltsam lächelnd, an, daß Sie selbst meine Unart gut machen wollen, ich sah Sie zu Fuß und zögerte, unsere schöne Freundinn um die Erlaubniß zu bitten. Ihnen diesen Platz anbiethen zu dürfen.

Eine wahrscheinlich beleidigende Antwort auf diese ziemliche ironische Anrede schien in diesem Augenblick auf Ferdinands Lippe zu schweben, doch Emilie bemächtigte sich mit vieler Geistesgegenwart des Gesprächs, und wußte, während des kurzen Weges bis zu ihrem Hause, die beyden wild erregten Gemüther so zu beherrschen, daß die äußere Ruhe durch nichts unterbrochen ward. An der Thüre ihrer Wohnung schwang Colotinsky sich vom Pferde, und machte Miene, sie mit ritterlicher Galanterie bis an ihr Zimmer führen zu wollen; doch sie verbath dieses sehr ernstlich und nahm von ihren beyden Begleitern Abschied, indem sie es nicht wagte, mit Ferdinanden hier eine Ausnahme machen zu wollen, von der sie gewiß war, daß Colotinsky nicht ermangeln würde, sie auch auf sich ebenfalls auszudehnen.

Ferdinand und der Pole trennten sich gleich darauf mit kalter Höflichkeit, und jeder von ihnen ging allein seinen Weg, Ferdinand in der gewissen Ueberzeugung, in der nächsten Stunde eine Ausforderung zu erhalten. Er war es sich bewußt, Colotinsky beleidigt zu haben, und rechnete dessen bisheriges höfliches Betragen seinem feinen Tacte zu, der ihm als einem Manne von Welt nicht erlauben konnte, in Gegenwart einer Dame diese Beleidigung zu rügen. Er zweifelte indessen nicht daran, daß dieses schonende Benehmen jetzt sehr bald einer rascheren Handlungsweise weichen dürfte. Doch der Tag verging, ohne daß etwas von dem, was Ferdinand erwartete, erfolgt wäre. Der Abend kam heran, mit ihm die Zeit, in der er für das letzte und glänzendste der durch die fürstliche Vermählung herbey geführten Hoffeste sich ankleiden mußte, und abermahls war ein Tag vorüber, an welchem Ferdinands wild aufgeregtes Gemüth ihn davon abgehalten hatte, sich wie sonst der noch immer innig Geliebten mit herzlicher Offenheit zu nahen.

Das Fest dieses Abends bestand in einem glänzenden Maskenballe am Hofe, zu welchem die Einladungen nur mit großer Auswahl vertheilt worden waren. Die den Tanzsaal umgebende Gallerie, war für Zuschauer aus den höheren Ständen eingerichtet, auch Emilie hatte Billete zu dieser erhalten und einen ziemlich in die Augen fallenden Platz eingenommen, von dem sie ernsten Blickes in das unter ihr wogende glänzende Getümmel hinab schaute. Die mannigfaltigen Gruppen, scheinbar aus allen Völkern der Erde in ihrer auffallendsten Nationaltracht zusammen gebracht, die hier ganz ungesucht in mahlerischen Stellungen sich bildeten, mußten den Beobachtungsgeist der Künstlerinn erregen und befriedigen. Mit wahrer Freude bewunderte sie die vielen schönen, prächtig gekleideten Frauen und den gebildeten Geschmack, mit dem jede die ihr vorgeschriebene Tracht ihrer Individualität anzupassen und selbst dem scheinbar Unkleidsamen Anmuth und Würde zu verleihen gewußt hatte. Doch endlich nahm eine einzelne, seltsame Erscheinung ihre Aufmerksamkeit ausschließend in Anspruch.

Ein prächtig gekleideter Indianischer Zauberer bewegte sich durch die ihn umgebende Menge, und diese ganze feenartige Welt schien in dem Augenblicke nur durch die Gewalt seines mächtigen Stabes hervorgerufen und geordnet zu seyn, so sicher, so treu in Haltung und Ausdruck, wußte er die Rolle, die er sich gewählt, aufzufassen und durchzuführen. Es war Colotinsky, darüber blieb kein Zweifel möglich. Jetzt trat er mit der schönen Fürstenbraut in die glänzenden Reihen, um mit ihr den wunderlich fantastischen Tanz seines Volkes, den Masureck anzuführen. Immer seiner Rolle getreu bleibend, flog er mit beynahe dämonischer Gewandtheit, gleich einem Wesen aus andern Sphären, um das den süßen Träumen der Kindheit sich eben entwindende anmuthige Wesen. Die schüchterne und doch würdevolle Haltung der jungen Prinzessinn bildete mit dem kühnen, fremdartigen und dennoch graziösen Wendungen ihres fast kolossalen Tänzers einen auffallenden, aber sehr reizenden Contrast.

Emilie sah mit der Begeisterung einer Künstlerinn, vor deren Augen ein ausgezeichnetes Kunstwerk sich entfaltet, dem lebensvollen Schauspiele zu, ohne den Blick davon abzuwenden. Jetzt aber war der Tanz beendet und jetzt erst ward sie Ferdinanden gewahr. Ohne alle Theilnahme an dem, was um ihn her vorging, stand er unten im Saal an eine Säule gelehnt ihr gegenüber, sie glaubte fast schmerzlich es zu fühlen, wie ernst-trübe sein durchdringender Blick an ihr haftete. Die schöne Tempelherrnkleidung, die er sich erwählt hatte, gab seinem ganzen Wesen etwas ungewohnt Kräftiges und Entschiedenes, mit beynahe richtendem Ernste stand er da in der edlen, farblosen Tracht, mitten in der ihn umfluthenden, bunten, flimmernden Menge.

Zum ersten Mahle that sein Anblick Emilien nicht wohl; sowohl heute als alle die zunächst vergangenen Tage hatte sie auf eine einsame, trauliche Stunde mit ihm vergebens gehofft, die alles schlichten und jedes mögliche Mißvergnügen beseitigen sollte. Jetzt, da sie ihm so nah und doch auch so fern sich sah, überschlich eine eigene traurige Beklemmung ihr Gemüth; alle Freude, die sie bis jetzt an dem fröhlichen Gewühle gefunden, schwand plötzlich dahin, der Glanz der Kronleuchter verwundete ihr Auge mit stechendem Schmerz, die Musik weckte in ihr eine quälende Unruhe, und so entschloß sie sich plötzlich, sich nach Hause zu begeben, obgleich es noch sehr früh und die Lust eben erst im Beginnen war.

Ferdinand sah sie fortgehen und eine unwiderstehliche Lust, ihr zu folgen, bemächtigte sich seiner; auch er war bedrückt und trübe; ihm war, als habe er ein Unrecht ihr abzubitten, und die Sehnsucht, dieses sogleich thun zu dürfen, ließ ihm keinen Augenblick Rast noch Ruhe. Bis zu der bald nach Mitternacht angesetzten Abendtafel, bey der er nicht wohl fehlen durfte, war es noch über zwey Stunden hin, und da die Gesellschaft durch mehrere Säle und Zimmer sich verstreute, so durfte er erwarten, von niemanden vermißt zu werden. Er konnte den Gedanken, sich zu Emilien zu schleichen, unmöglich aufgeben, da er ihn einmahl aufgefaßt hatte, und es gelang ihm endlich, ihn glücklich auszuführen. Freylich kostete es einige Mühe, ehe er durch eine Menge von Masken sich durchwinden konnte, die ihn mit ihren, zum Theil albernen Späßen verfolgten und aufhielten; doch endlich war auch dieses überwunden; in seinen großen Mantel gehüllt, saß er in dem ersten besten Fiaker, den er vor dem Schlosse gefunden, und bald darauf blickte er hoffend zu den hell erleuchteten Fenstern der Geliebten hinauf.

Leise schlich er die Treppe hinan, leise öffnete er die Thüre zu Emiliens Wohnzimmer. Er sah sie an ihrem gewohnten Platze auf dem Sofa sitzend, und ihr gegenüber, schön wie ein Halbgott, in der fremden, seinen hohen, edlen Wuchs mahlerisch bezeichnenden Tracht, saß Felix Colotinsky. Gleich einem Starrsüchtigen blieb Ferdinand auf der Schwelle des Zimmers stehen.

Frey und gewandt, wie ein Weltmann, mit rascher Offenheit, wie einer, der weder Furcht noch Berücksichtigung kennt, trat Colotinsky dem Regungslosen entgegen.

Ich sehe, sprach er verbindlich in Ton und Anstand, ich sehe mit Freuden, daß das nähmliche Gefühl den Grafen Hochburg hieher zieht, welches auch mich in diesen echten Zauberkreis bannte, vor dessen Wundern meine arme Kunst sich neigen muß, wie einst die der Aegyptischen Negromanten vor Moses und Aron. Ich, wie Sie wahrscheinlich auch, wünschte dort drüben jenem unseligen, ermüdenden Haschen nach Geist auf einige Minuten zu entfliehen, um hier sicher zu finden, was dort vergebens gesucht wird; und nun wir zu Zweyen sind, werden wir unserer schönen Freundinn um so leichter die Erlaubniß abdringen können, hier ein wenig verweilen zu dürfen. Es thut mir so unbeschreiblich wohl, einmahl wieder rein-geistig verstanden zu werden, gönnen auch Sie mir diese seltene Freude, Graf Hochburg, kommen Sie, seyn Sie einmahl recht menschlich, liebenswürdig und gut, wie ich weiß, daß Sie es seyn können. Lassen Sie uns in diesem seltenen Zusammentreffen die Welt und ihre schreyenden Extreme eine kleine Weile vergessen.

Unter diesen Reden hatte Colotinsky den noch immer verstummenden Ferdinand mit sanfter Gewalt zu Emilien gezogen, ein Blick auf sie erinnerte diesen, wie unmännlich es wäre, unter ihren Augen nur eine Spur des innern Zorns, der rasenden Gluth blicken zu lassen, die ihn verzehrten. Er verhielt sich also ruhig, und bemühte sich sogar, in den Ton einzugehen, den Graf Colotinsky angegeben hatte.

Mehr bedurfte es nicht, um diesen zu veranlassen, seine ganze Liebenswürdigkeit mit aller der schmeichelnden unnachahmlichen Gewandtheit zu entfalten, die den Vornehmeren seines Volkes fast angeboren wird. Er, der an beynahe fürstliche Pracht Gewöhnte, wußte mit der gewinnendsten Grazie sich in Emiliens beschränkte Hausordnung zu fügen, er schmeichelte ihr für sich und Ferdinanden die Erlaubniß ab, an ihrer kleinen, durch den heutigen Ball ohnehin verspäteten Abendmahlzeit Theil nehmen zu dürfen, und wußte während derselben belehrenden Ernst mit jugendfrischer Fröhlichkeit und auch wohl ein wenig fantastischer Schwärmerey im Gespräch auf das Anmuthigste zu vereinen. Mit dem Anstriche herzlicher unbefangener Offenheit ließ er in jeder seiner Aeußerungen einen, weit über das Gewöhnliche hinausragenden Geist hindurch blicken, und erschien dabey doch einfach und anspruchslos, wie ein gut geartetes Kind.

Ferdinand fühlte in seinem Herzen sich gezwungen, die gewaltige geistige Ueberlegenheit dieses Mannes anzuerkennen, er hatte diese, nicht ohne Bezug auf Emilien, schon oft dunkel empfunden, obgleich er nie sie sich gestanden, und daß er gerade in dieser Stunde es mußte, erfüllte ihn mit Todesschmerz. Seine Gedanken verwirrten sich, ein bodenloser Abgrund gähnte rings umher ihn an, ihm war, als habe er Emilien nie wirklich gekannt, nur von ihr geträumt; ihm war, als sey er gestorben und sitze nun, sich selbst bejammernd, neben seiner eigenen Leiche. Nur einsylbig und verworren vermochte er zu antworten, wenn eben eine Frage an ihn gerichtet ward, und selbst Emiliens liebevolle Besorgniß um ihn ging nicht minder klanglos an ihm vorüber, als des Polen geistreiche Reden.

Die Wanduhr meldete, daß nur eine Viertelstunde bis Mitternacht noch übrig sey: und jetzt ist es Zeit, jetzt müssen wir fort, in jene Hofsphäre wieder hinein, sprach, vom Tische aufstehend, Colotinsky: gute Nacht, schöne Freundinn, eigentlich sollte ich sagen guten Tag, denn Sie haben heute meinem Leben einen neuen Morgen heraufdämmern lassen, einen Frühlingsmorgen, voll Blüthen und Nachtigallen. Mögen die Götter Ihnen dafür eine fröhliche Stunde verleihen, so oft Sie ihrer bedürfen, setzte er mit plötzlich verändertem bewegten Tone hinzu.

In der Thüre wandte er noch einmahl sich um; Ferdinand sah, wie er Emilien mit brennenden Blicken betrachtete, er schauderte zusammen und wandte sich rasch, um dem Grafen zu folgen.

Ferdinand! flüsterte Emilie, so leise, so weich, so mit dem Tone inniger Liebe, es zog ihn zurück mit schmerzender Gewalt. Er stand vor ihr, ihre beyden Hände in den seinen. Schweigend hob sie die schönen glänzenden Augen zu ihm auf, sie wurden trüber und trüber, und flossen endlich von Thränen über. Tief betrübt hätte er eine Welt darum geben mögen, sich dieses Mahl aussprechen zu können, aber sein böser Genius band ihm die Zunge. Er konnte nur ihre Hand an seine Lippen, an seine Augen, an sein stürmendes Herz drücken, und entfernte sich.

Trübe sinnend blieb Emilie jetzt mit sich und dem Gefühle allein, das jeden überfällt, der, sey es geistig oder körperlich, von einem Extreme zum andern geworfen wird. Colotinsky's geistreiche Unterhaltung hatte die Künstlerinn mit sich fortgerissen, unwillkürlich war sie mit jener schönen Wärme ihm gefolgt, die wir jedes Mahl empfinden, wenn ein Wesen von hohem geistigen Uebergewicht uns die Flügel leiht, um über die kleinlichen Qualen des Lebens hinweg, zu ungewohnter Höhe, gleichsam in eine ferne andere Welt uns zu erheben. Ein brennender, ihrem Kunsttalente nach verwandter Hang zum Ungewöhnlichen, lag in ihrer Seele, Colotinsky hatte diesen befriedigt, indem er einen tiefen Blick in das innerste seines Gemüthes ihr vergönnte; ein weites ungeheueres Reich, in welchem sie wähnen mußte, als Herrscherinn gebiethen zu können, sobald sie es wollte, hatte er ihr damit geöffnet.

Emilie war gewohnt zu glänzen, zu gefallen, zu gewinnen; doch ein Triumph gleich diesem, über einen so allgemein anerkannten Verächter der Frauen, war ihr noch nicht geworden. Sie glaubte, ohne Vorwurf sich des Sieges freuen zu dürfen, der ungesucht sich ihr gebothen, und des Freundes mißmuthige Kälte dabey fiel um so schmerzlicher ihr auf, da sie die Ursache derselben wohl errieth. Doch die Leichtigkeit, mit der Colotinsky jeden ihrer Gedanken glücklich aufzufassen, sinnreich zu erwiedern verstand, bemächtigte sich ihrer unwiderstehlich, und verleitete sie, Ferdinands sich immer härter aussprechenden Starrsinn mit vielleicht zu wenig weiblicher Weichheit zu erwiedern. Es war nicht sowohl das Bewußtseyn, zu gefallen, wovon sie hingerissen wurde, es war die Freude, einmahl vor einem ihrer würdigen Mitstreiter die Flügel ihres Geistes in all' ihrem schimmernden Glanze zu entfalten.

Doch jetzt, da die, diesem Genusse geweihte Stunde entflohen war, jetzt, im Augenblicke des Scheidens, traf das unverkennbare Leiden ihres Freundes ihr Gemüth mit verdoppelter Gewalt. Sie stand im Begriffe, jene Seelengröße in das wirkliche Leben zu ziehen, die sie oft auf der Bühne dargestellt! sie wollte den neugewonnenen Siegeskranz dem Geliebten opfern, und unaufgefordert Allem entsagen, was fähig war, nur momentan ihn zu betrüben. Sie fühlte es selbst, dieses Opfer war nicht klein, aber sie wollte dem Freunde es bringen, und nun schwieg dieser, im ungewöhnlichsten Augenblicke, auf fast ganz gewöhnliche Weise; er schwieg und ging auf eine Art, die sich sehr dazu eignete, sie an ihm irre zu machen.

Nach einer unruhig und trübe durchwachten Nacht war Ferdinand indessen dahin gelangt, in leidlicher Fassung, wenn gleich tief beschämt, die Rolle zu erwägen, die er gestern unter den Augen der Geliebten, dem schönen geistvollen Manne gegenüber, gespielt. Nur der tief eingewurzelte Widerwille, welchen der Pole beym ersten Augenblicke ihm eingeflößt, konnte in seiner eigenen Ansicht ihm dabey einigermaßen zur Entschuldigung dienen, und doch war dieser Widerwille auch wieder so schlecht motivirt, daß er ebenfalls wohl einer eigenen Entschuldigung bedurft hätte. Lange ging Ferdinand in seinem Zimmer, finster sinnend, auf und nieder, bis er den Entschluß faßte, den einzigen Ausweg zu ergreifen, der alles ausgleichen konnte, den Weg zu seinem Widersacher; er sah in der weiten Welt keinen andern.

Er fand ihn auf einem Ruhebette liegend, mitten unter seltsamen, fremdartig aussehenden Umgebungen. Ueber einem, längs den Wänden sich hinziehenden Chaos von hochaufgethürmten Büchern, Kupferstichen, Landcharten, ragten Käfige und Ruhestängelchen hervor, besetzt mit einer Menge Papageyen und bunten Vögeln aller Art; die klugen Gesichter der Papageyen, das Schnarren, Zischen und Krächzen der andern Vögel, schien eine tolle Parodie der zu ihren Fußen aufgehäuften Gelehrsamkeit darbiethen zu wollen. Einige Jagdhunde schauten mit klugen ehrlichen Augen in das wunderliche Gewimmel hinein. Aloen, Cactus, fantastisch geformte Pflanzen aller Art füllten die Fenster und zogen sich an den Wänden hinauf. Das Ganze trug den Charakter seltsamer, unheimlicher Unruhe, nur Colotinsky lag, ruhig um sich herschauend, anscheinend unthätig, und schien in seinem eigenthümlichen Elemente sich zu fühlen.

Bey Ferdinands Eintritt sprang er in die Höhe, ein nur ihm eigenthümlicher Zug schmerzlicher Ironie flog über sein schönes Gesicht, ein fremdklingendes leises Lachen entfuhr ihm, ward aber zum freundlichen Lächeln, während er dem Eintretenden entgegen ging, ihn willkommen hieß und zu einem Sessel geleitete.

Achill, gib einmahl dem Herrn deinen Stuhl, rief er einem schönen großen Jagdhunde zu: nehmen Sie ohne Bedenken den Platz ein, Graf Hochburg, ich wette, Sie haben in Ihrem Leben schon schlechtere Vormänner gehabt, als hier dieses ehrliche Hundsgesicht. Nicht wahr? Sie finden, daß es bey mir fast eben so bunt aussieht, wie in der Welt da draußen? Ich liebe das, es erinnert mich, daß ich noch lebe, man vergißt es wohl zuweilen und wird schläfrig, wenn man so einen Tag nach dem andern und einen wie den andern vorüber ziehen sieht, gleich den Bildern in der Laterna magica. Als Kind drehte ich diese immer so durcheinander, daß wenigstens zwey derselben in einander flossen, das gab doch wenigstens etwas Neues, und jetzt spiele ich für mich allein das Spiel auf die alte Weise fort, wenn es nähmlich sich so fügen will.

Nun begann Colotinsky ein Gespräch, bey dem der Graf Hochburg fast nicht zum Worte kam. Er sprach von Stadt- und Hofgeschichten, vom Wetter, von Bekannten und Unbekannten, nur kein Wort von Politik und keines von Emilien. Ferdinand benutzte diese Zeit, um sich immer mehr in seiner mühsam erworbenen kalten Fassung zu befestigen. Endlich sprach der Pole auch von seinen Hunden, deren treffliche Eigenschaften er lobte und dabey erwähnte, wie er keinen um seine Person dulde, dem auch nur das unbedeutendste Kunststück eingelernt worden sey.

Leider könnte es mit der Zeit wohl dahin kommen, daß nur bey Thieren noch reine ungeheuchelte Natur zu finden wäre, erwiederte endlich Ferdinand sehr gefaßt und besonnen; wir, die wir dieses bedauernd empfinden, sollten daher das Möglichste versuchen, um uns von allen fesselnden Umhüllungen frey zu erhalten; erlauben Sie mir schon jetzt in diesem Augenblicke den Anfang dazu, indem ich eine offene Frage an Sie richte. Graf Colotinsky, ich sehe Sie seit einiger Zeit die Farben einer Dame tragen, die ich gewohnt bin, zu mir zu zählen. Sie leben lange genug mit uns, um von dem zwischen mir und Emilie Lichtfeld bestehenden Verhältnisse gehört zu haben. Ihr Benehmen, obgleich bis jetzt an sich untadelhaft, ist dennoch vollkommen dazu geeignet, auf ein mir theures Wesen ein fremdartiges entstellendes Licht zu werfen, darum bin ich gekommen, Sie mit der mir ziemenden Offenheit selbst zu befragen, ob Emilie Ihnen mehr ist, als eine liebenswürdige angenehme Gesellschaft.

Es klingt ein wenig romanhaft und ist sogar etwas unerhört, mein junger Freund, daß Sie so geradezu eine Frage an mich richten, die nach dem gewohnten Gange der Welt unter Tausenden kaum Einer Ihnen so beantworten möchte, wie Sie es wünschen, erwiederte der Pole nach kurzem Bedenken, aber mit unerschütterlicher Gelassenheit. Wie selten findet sich Einer, der Muth genug hätte, sein innerstes Empfinden bey dem Lichte kalter Vernunft microscopisch zu untersuchen! Man nennt mich sonderbar, doch, wahrlich! Sie sind es noch mehr als ich. Indessen fühle ich durch das, was Sie mir zutrauen, mich dennoch geehrt; ich will die günstige Meinung, die Sie von mir gefaßt haben, verdienen. Also hören Sie es denn – ich bin entschlossen, Emiliens Liebe um jeden Preis mir zu gewinnen.

Ferdinand starrte sprachlos ihn an.

Ich will sogar Ihnen gestehen, daß ich glaube, Ihnen schon bey Emilien geschadet zu haben, doch, wahrlich! das wollte ich nicht – damahls wenigstens noch nicht, fuhr Colotinsky fort; Anfangs bewunderte ich die hohe Künstlerinn, das schöne holdselige Weib; jetzt aber fühle ich, wie weit mehr, als alles dieses, sie ist. Mir ist sie das seelenvollste, reichste, geistigste Wesen: groß, allumfassend wie die Natur selbst. Was ich in ihr finde, habe ich nie als bestehend mir gedacht, nie sogar es gesucht, sie ist mir meine zweyte Jugend.

Und mir wollen Sie die Blume der meinigen rauben, fiel Ferdinand mit lauter, fester Stimme ein; Sie erkennen den hohen Werth dieses Kleinods, und können denken, daß ich ohne Widerstand zusehen werde, wie Sie sich dessen bemächtigen? daß ich gelassen es Ihrer Willkür preisgeben werde? Graf Colotinsky, Sie denken höher von mir, Sie wissen nun ohne daß ich es auszusprechen nöthig hätte, daß wir jetzt einen ernsten Gang mit einander thun müssen, der alles entscheidet, und je eher dieses geschieht, desto besser.

Doch keinen auf Degen oder Pistolen? fragte der Pole mit eisiger Kälte. Hochburg, ich schlage mich nicht mehr um einer schönen Frau willen, und Sie könnten es auch unterlassen, denn auch Sie sind über die Studentenjahre hinaus. Und, wahrlich! ich möchte den sehen, der es sich beykommen ließe, Sie oder mich deshalb feig zu schelten, weil wir Blut und Leben für Wichtigeres, Größeres sparen, wie es Männern ziemt.

Was Ferdinand auch ferner sagen und thun mochte: Colotinsky beharrte bey seinem Entschlusse, und auf unwürdige Art diesen beleidigen und dadurch zum Zweykampfe zwingen zu wollen, war seiner edlern Natur nach, ihm unmöglich, es lag ganz außerhalb seines Charakters.

Ich will durchaus keinen Gewaltschritt in dieser Sache, sprach Colotinsky endlich sehr ernst; Emilie ist frey, die Liebe ist es immer; diese und Emilie mögen entscheiden. Hochburg, ich gehe ganz offen zu Werke, ich will Emilien ja nicht heirathen, nur lieben soll sie mich. Nicht einmahl auf Treue mache ich Anspruch, setzte er plötzlich weich werdend hinzu, längst habe ich das schöne Hirngespinst erkannt, von dem Sie, junger Freund, noch träumen. Sie zucken, weil ich Sie wecke, was ein Anderer doch früher oder später, vielleicht noch schmerzlicher, gethan haben würde. Und glauben Sie es nur, Sie passen für diese Emilie nicht, Ihr Beyde gehört nicht zu einander. Ja! hätte ich das herrliche Wesen gefunden, als ich, wie Sie, am Eingange des Lebens noch stand!

Wie die Sonne aus trübe wogendem Nebelgewölk hervortritt und weithin ihre Strahlen versendet, so leuchtete, bey diesen Worten des Polen, auch die ihm angestammte bessere Natur aus Ferdinands plötzlich sich erheiternden Zügen, und verdrängte den Ausdruck von Schmerz, Zweifel und Unmuth, der bis dahin diese entstellt und umdüstert hatte. Ich danke Ihnen, Herr Graf, sprach er fest und gemessen, Sie haben ein Wort ausgesprochen, das mir den Weg zeigt, den ich zu gehen habe, ich danke Ihnen. Lassen Sie uns jetzt ohne weiteres überflüssiges Reden von einander scheiden, jeder von uns geht von dieser Stunde an seinen eigenen Weg. Ohne weitern Aufenthalt verbeugte er sich und ging. Colotinsky sah sinnend ihm nach.

Treue war der Grundton von Ferdinands ganzem Daseyn, sie war ihm das Heiligste, das Bild der ewigen Natur, der Gottheit selbst; von ihr aus ging all sein Denken und Handeln. Indem Colotinsky dieses Wort auf seine Weise nannte, hatte er, ohne es zu wollen oder zu ahnen, das alte Vertrauen in Ferdinands Brust geweckt und seinem Glauben an Emilien eine höhere Richtung gegeben. Was bis jetzt ihn gequält und bedrückt hatte, schien ihm plötzlich in ein Nebelgebilde sich aufzulösen, das gefürchtet zu haben, er jetzt sich schämen zu müssen glaubte.

Er begab sich zu Emilien mit der gewohnten freudigen Zuversicht; er fand sie glücklicher Weise allein, und die milde Anmuth seines Betragens verbreitete über beyde einen stillen, unsäglichen Frieden. Emilien wurde bey seinem Anblicke, als kehre ein lang vermißter Freund zu ihr zurück und wecke sie aus bang verworrenen Träumen. Mit unaussprechlicher Innigkeit sah sie zu des Geliebten leicht umflorten Auge auf; lange saßen sie im liebevollsten Gespräch bey einander und Colotinskys Nahme ward nicht unter ihnen genannt, doch endlich nannte Ferdinand ihn mit gedämpfter, beynahe flüsternder Stimme, aber kein äußeres Zeichen verrieth dabey Mißmuth oder Zweifel.

Emilie, sprach er, Colotinsky liebt dich, du weißt es längst, mir hat er es heute gestanden; erschrick nicht so, Liebe, ich bin weder übereilt, noch gespannt, fürchte nichts von deinem Freunde, doch höre mit Fassung und Aufmerksamkeit ihn an. Du bist der gute Genius meines Daseyns, dir danke ich die schönste Zeit desselben, das habe ich tausendmahl, hingerissen von meinem Gefühle, laut anerkannt. Nie wird ein Mann dich lieben, wie ich dich liebte und noch liebe; aber meine Geliebte, meine Freundinn, was ein Mann einmahl mit ganzem Gemüthe erfaßte, wie ich dich, das muß er halten, ganz und allein.

Sage mir nicht, daß du mir treu bist, ich weiß es, ich fühle es; wäre ich sonst in dieser Stunde hier noch bey dir? Doch jener Mensch übt eine verderbliche, die Sinne verwirrende Gewalt über die Gemüther Anderer, laß uns ihr uns entziehen, so lange es noch Zeit ist, gib das thörichte Wagstück auf, gegen sie ankämpfen zu wollen, denn schon der Zweifel ist des Glückes Tod. Meine Emilie, sey ganz mein, alle Anstalten sind getroffen, auf meinem Gute vereinigt am Altare uns das heiligste Band, umsonst sträubst du dich länger, den einzigen Schritt zu thun, der unser Glück sicher stellen kann. Ich weiß es wohl, ich fordere ein großes, ernstes Opfer von dir, Entsagung der vollen freyen Uebung deiner Kunst; aber du siehst mich bereit, dir noch ein größeres zu bringen, wenn du es forderst. Der Krieg bricht aus, in diesen Tagen steht Deutschland gegen seine Unterdrücker auf, ich aber will bey dir bleiben, wenn du es verlangst; ich will dich nach Italien führen, nach England oder wohin du willst. Dein Freund wird nicht in den vordersten Reihen mit fechten, der Nahme Hochburg wird im ersten entscheidenden Momente nicht ehrenvoll genannt werden, aber so wahr ich diesen Flecken meiner Ehre im Blute der Feinde gewiß und wahr abzuwaschen schwöre, so wahr schwöre ich für deine und meine Zukunft kein Glück absehen kann, als indem du meinem sehnlichsten Wunsche nicht länger entgegen strebst.

Emilie verkannte die innige Liebe Ferdinands nicht, aber ihr weiblicher Stolz fühlte durch seine Worte sich beleidigt. Sie wandte von dem Geliebten sich ab, um sein bittendes Auge nicht zu sehen, indem sie in Vorwürfe über sein Mißtrauen ausbrach, und seine Darstellung eines Unheils romantisch nannte, gegen welches, ihrer Versicherung nach, es durchaus keiner Vorkehrungen bedürfe, da es ihr schon von selbst fern bleiben müsse und werde, indem es doch wohl eigentlich nur in Ferdinands Phantasie existire.

Emilie, ich bitte dich, gib meiner Liebe nach, gilt mein Glück, meinen Glauben an Liebe und Treue, bath Ferdinand noch dringender als zuvor. Alles um alles, nichts um die Hälfte, war von jeher der Wahlspruch meines Lebens. Colotinsky ist kein gewöhnlicher Mensch, doch seinem Wesen geht die Reinheit ab, die ihn unserer Freundschaft würdig machen könnte, er kann der Dritte in unserm Bunde nicht seyn. Und fühlst du denn nicht, daß die schneidende Gewalt, mit der du mich zu deiner Ansicht herüber bringen willst, mich in der Überzeugung von der Wirklichkeit der Gefahr bestärken muß, deren Daseyn du mir abläugnen willst? O gib mir nach, selbst die äußere Lage der Dinge ist uns günstig. Dein Contract mit der Direktion des Theaters ist in diesem Augenblicke abgelaufen der neue noch nicht unterzeichnet. Frey stehst du da, du zerreißest kein Band, beleidigst kein Gesetz, indem du deinen Freund beglückst.

Emilie schlug sinnend, fast betroffen die Augen nieder, entzückt stand Ferdinand über sie hingebeugt, er fühlte, daß der nächste Blick, den sie auf ihn werfen würde, ihm die nahende Gewährung zeigen müsse; ein Geräusch bewog ihn umzublicken, Colotinsky stand vor ihm. Ferdinand trat mir zornblitzenden Augen auf ihn zu, doch jener schien dieses nicht zu bemerken. Demüthig verbeugte er sich vor Emilien: Ich komme nicht allein, sprach er in jenem weichen, zum Herzen dringenden Tone seines Volkes, wir sind unserer Mehrere, und jeder Einzelne von uns kann dennoch nur das Emblem von Tausenden seyn, die Ihnen huldigen.

Er öffnete die Thüre. Officiere, Studenten, Künstler, lauter junge Leute, enthusiastische Verehrer der Kunst und ihrer schönen Priesterinn, traten, ihn an der Spitze, im feyerlichen Zuge herein, der goldene Lorbeer, dem zu entsagen Emilie eben aufgefordert war, leuchtete von einem rothsammetnen Kissen ihr entgegen, die in wohlklingenden Versen ausgesprochene Bitte, noch ferner die Zierde dieser Bühne zu bleiben, ward nebst dem reichen Geschenke ihr zu Füßen gelegt. Das Gerücht, die seltene Künstlerinn wolle wegen einiger Mißhelligkeiten zwischen ihr und der Direction die Residenz verlassen, hatte auf Colotinskys Anstiften diese Feyerlichkeit veranlaßt, von der weder Ferdinand noch Emilie vorher eine Ahnung gehabt hatten.

Nach dieser Scene war es unmöglich, das durch sie unterbrochene Gespräch wieder aufzunehmen, Ferdinand fühlte das und verließ zugleich mit den Uebrigen die Geliebte; mit schwerem, von bangem Vorgefühle bedrücktem Herzen.

Ein langer Brief Emiliens, den er am folgenden Morgen erhielt, bestätigte, was er gefürchtet. Der Eindruck, den Ferdinands bittende Vorstellungen in ihrem Gemüthe hervorgebracht, war vor diesem ehrenvollen, seltenen Beweise der Anerkennung ihres Talentes gänzlich erloschen. Alle ihre Forderungen hatte die Direction ihr bewilligt, selbst vom Hofe aus hatte man ihre kühnsten Wünsche übertroffen, um sie der Bühne zu erhalten. Sie schrieb das Alles mit schlecht verhehlter Freude dem Geliebten, doch erboth sie sich zugleich, zu seiner Beruhigung, Colotinsky's Besuchen auf die entschiedenste Weise ein Ende zu machen und ihn hinfort nie wieder zu sehen. Daß er nach der Art, mit der ich ihm den Abschied ertheilen werde, sich mir nicht wird aufdringen wollen, dessen bin ich gewiß, schrieb sie, für solche jugendliche Thorheiten steht er zu hoch, er kennt mich und weiß, daß ich zu erfahren, oder vielmehr zu altklug bin, als daß damit bey mir etwas auszurichten seyn könnte.

Mit gewinnendem Liebreiz schilderte sie am Ende dieses Briefes das Glück der ihr jetzt aufgegangenen Gegenwart, in welcher nichts mehr sie zwingen könne, weder ihrer Liebe, noch ihrer Kunst zu entsagen. Sie zeigte sich herzlicher, inniger, liebevoller als je, aber fest bestimmt in ihrer Weigerung des Geliebten Wunsch zu erfüllen.

Emilie erschrak vor dem bleichen, von tiefer Betrübniß umdunkelten Aussehen ihres Freundes, als er, den Brief noch in der Hand, in ihr Zimmer trat. Ihr Herz zog sie an das seine, sie verbarg ihr Gesicht an seiner Brust, um nur diesen Schmerz in den geliebten Zügen nicht mehr zu sehen. Ferdinand drückte mit sanfter Gewalt sie von sich ab, als wolle er so sie besser betrachten, lange weilte sein Auge auf der schönen Gestalt, bis es von Thränen überfloß.

Ich weiß, sprach er endlich mild und begütigend, ich weiß, du konntest nicht anders, und ich gebe dir nach, obgleich ich einer Welt widerstreben würde, um dich mir zu erhalten; nur vergiß nie, was du unaufgefordert mir versprochen, setzte er, sich emporrichtend, fast stolz in Geberde und Blick, hinzu.

Vergiß es nie, Emilie, wiederhohlte er, du siehst jenen Fremden nicht wieder, niemahls, fasse es wohl, niemahls. Dein Wort ist mir heilig, deine Liebe auch, ich könnte auf diese bauen; auch ohne Versprechen würdest du dennoch nichts thun, das deinen Freund verletzen könnte, ich weiß es, doch ich bedarf deines Wortes zur innern Rechtfertigung eines Nachgebens, das vielleicht Schwäche ist.


Wenige Tage später ward offenbar, was tausende von Herzen lange im Verborgenen bewegt hatte. Deutschland stand auf, der Krieg wurde erklärt und nahm jede jugendliche Kraft in Anspruch. Eine solche, die allgemeine Thätigkeit anregende Gegenwart, vernichtet jede kleinliche Furcht vor der Zukunft, jedes persönliche Interesse wird vergessen; was außer dem großen, Allen gemeinschaftlichen Zweck, sonst noch das Herz einengt und bedrückt, wird in die Tiefen desselben zurückgedrängt. In jenen Tagen war ein lebensfrischer Geist des Gemeinsinns in das Daseyn getreten, von dem niemand einen Begriff wird fassen können, der nicht so glücklich war, sie zu erleben. Gold war das Geringste der Güter, unberechnet und ohne Bedenken wurde es hingegeben und angenommen. Alles gehörte Allen und Jeder hätte geglaubt, eines reichen, nicht mitgetheilten Eigenthums, sich schämen zu müssen. Glück, Leben, Jugend wurden ohne Bedenken aufs Spiel gesetzt, dasselbe Herz schlug in jeder Brust und jede Persönlichkeit schwand dahin in einem, Allen gemeinen, großen, begeisternden Gefühle, das auch die Frauen mit ihren Gatten, mit ihren Geliebten, mit ihren Söhnen theilten, zu denen sie mit liebendem Stolze hinauf blickten. Freyheit ist das höchste Gut des Mannes, freiwillige Abhängigkeit das größte Glück liebender Frauen, jener will schützend erwerben, diese gewährend verzichten, und je mehr sie Den ehren muß, für den ihr liebeerfülltes Gemüth Alles hingeben möchte, je inniger fühlt sie ihr Glück.

Auch Ferdinand wurde von dieser großen Zeit auf das Vielfältigste in Anspruch genommen; schon seit längerer Frist hatte er auf seinen Gütern eine für die Kräfte eines Einzelnen nicht unbedeutende Anzahl wackerer Bauernbursche sich erwählt, die, von der Begeisterung ihres jungen Grafen mit fortgerissen, hoch und theuer gelobten, mit ihm für die gute Sache auszuziehen, in Tod und Leben ihn nicht zu verlassen; einige Jünglinge von höherer Bildung, Sohne der Pfarrer und Forstmänner in der Nachbarschaft, hatten diesen sich zugesellt. Die kleine Schar beritten zu machen, sie zu kleiden, sie für den Krieg einzuüben, war bis jetzt, während seiner öftern Abwesenheit von der Residenz, Ferdinands Hauptgeschäfte gewesen; jetzt war es das, sie um sich zu versammeln und für ihre künftige Erhaltung sowohl, als für ihre völlige Ausrüstung Sorge zu tragen. Er sah Emilien deshalb nur selten und sie weinte oft in trostlosem Unmuthe ihm nach, wenn er nach einem seiner, ihr spärlich zugezählten kurzen Besuche, fortstürmend, sie wieder verließ.

Das Wort Vaterland war Emilien ein leerer Schall, der nicht bis zu ihrem Herzen gelangen konnte. Ihr Vaterland war ihre Kunst und der Ort, wo sie dieselbe am glänzendsten üben konnte; der Sinn für beyde war aber im Allgemeinen in diesen ersten Tagen wie erstorben, ausgenommen, wenn von der Bühne herab das Gefühl, das jede Brust jetzt beseelte, in ergreifenden Worten unserer Dichter, laut und begeisternd ausgesprochen ward.

Colotinsky war schnell und ganz unerwartet abgereist, Emilie hatte ihr feyerlich gegebenes Wort, ihn nicht wieder zu sehen, nicht gebrochen, und doch konnte sie die Abschiedskarte, die er ihr sandte, und die seltsam verschnörkelten Züge seines Nahmens auf dieser nicht ohne eine geheime Wehmuth betrachten. Ferdinand trat in dem Augenblicke zu ihr ein, und die Karte, sie wußte selbst nicht warum, flog aus ihrer Hand ins Kaminfeuer. Ferdinand fand die Geliebte zerstreut, verstimmt, arm an Worten. Sie war mit sich selbst deshalb unzufrieden, denn was hatte sie durch Colotinsky's Abreise verloren? war sie doch ohnehin schon längst von ihm getrennt. Sie begriff sich selbst nicht, aber sie konnte sich dennoch nicht entschließen, mit Ferdinand von ihm, und daß er nun fort sey, zu sprechen.

Der letzte Abend, an welchem Ferdinand Emiliens Zimmer betreten sollte, war nun gekommen, noch in der ihm folgenden Nacht wollte er mit seiner kleinen Schar sich aufmachen, um diese dem General S… zuzuführen und von dem väterlichen Freunde sich Rath zu hohlen für seine ferneren Schritte auf der ihm noch neuen Bahn, die er mit kühner Begeisterung antrat.

Er fand Emilien in ihrem Shawl gewickelt, in einem trostlos krampfhaften Zustande auf dem Sofa liegen. Einige Näherinnen, unter diesen Emiliens Französische Kammerjungfer, die an der verabschiedeten Nanny Stelle getreten war, beschäftigten sich, der kleinen Fahne, die Ferdinands Häuflein Reiter vorangetragen werden sollte, den letzten Schmuck anzuheften. Mit freudigem Stolz hatten die Töchter der edelsten Familien von Ferdinands Bekanntschaft sich dazu gedrängt, sie sticken zu dürfen, und nur seine herzliche Liebe hatte mit einer Art von altritterlicher Galanterie Emilien das ehrenvolle Geschäft aufgespart, sie zu vollenden.

Sie hatte es übernommen, doch die Kraft dazu versagte ihr; sie war unfähig, noch einen andern Gedanken zu denken, als den, daß Ferdinand sie verlassen wolle, er, der so ganz ihr eigen gewesen. Nie hatte sie ihn inniger geliebt, aber auch nie hatte sie ihm ferner gestanden, als in diesem großen und doch ihr so entsetzlichen Moment. Tausende von Frauen und Mädchen weinten in jener verhängnißvollen Stunde an dem Herzen ihrer Geliebten, die sie dennoch um alle Güter der Welt nicht hätten mögen zurückbleiben sehen; doch, was jene tröstete und erhob, blieb der armen Emilie fern.

Und diese Fahne sollte sie schmücken? diese Fahne, die ähnlich einer glücklichen Nebenbuhlerinn, den Mann ihrer Liebe fortriß in Tod und Gefahr? O wie mußte sie die Worte hassen, die stündlich auf Ferdinands Lippen schwebten, deren stechender Goldglanz ihr Auge jetzt verwundete: für König und Vaterland! Also nicht mehr für Emilien und die Liebe?

In fast wahnsinniger Verzweiflung wollte sie bey Ferdinands Anblick sich emporreißen, ihm entgegen, doch die Kräfte versagten ihr und sie sank trostlos in sich zusammen. Auch Ferdinand war in sehr aufgeregtem Zustande; die letzte Zeit hatte viel dazu beygetragen, ihn reifer und ernster zu stimmen. Emilie herrschte noch in seinem Herzen, doch ihr Bild füllte nicht mehr allein es aus, denn seine Wünsche und Ansichten waren in den Stürmen gewachsen, die in diesen Tagen ihn in ein größeres, gewaltsamer bewegtes Leben hineinrissen. Er liebte das Leben, ohne vor der Möglichkeit des nahen Todes zu erschrecken. Jeder andere Wunsch, als der: würdig zu siegen, oder würdig zu fallen, war ihm fremd geworden, und der Gedanke, den er im liebenden Wahnsinn einst ergriffen, bey Emilien zurück bleiben zu wollen, war ganz seiner Erinnerung entschwunden, mit ihm jede Anregung kleinlicher Eifersucht. Ehre, Begeisterung, Jugendmuth hatten ihre früheren Rechte wieder geltend gemacht, und doch hing er noch immer mit der innigsten Liebe an seiner schönen Freundinn, obgleich es tief ihn schmerzte, daß sie so ganz unfähig sich zeige, sein heiligstes, über eine Welt voller Gefahren ihn erhebendes Gefühl mit ihm zu theilen, oder auch nur zu verstehen.

Nie hatte er hievon einen überzeugenderen Beweis erhalten, als indem er jetzt seine Fahne, dieses hoch gehaltene Heiligthum, das nur berühren zu dürfen, Emilie einzig seiner Liebe verdankte, bezahlten Händen von ihr überantwortet sah. Im ersten gewaltigen Auflodern seines Zornes riß er der Französischen Zofe die Fahne aus der Hand, die Bänder und Zierrathen, die sie daran geheftet hatte, herunter, und verwies mit einem befehlenden Wink und Blick die Mädchen alle aus dem Zimmer. Dann wandte er sich zu Emilien. Das kannst du zugeben! rief er mit bebender Lippe, und fühlte zum ersten Mahle tief in der Seele, wie er für die Geliebte erröthen müsse.

Emilie hingegen fühlte nur die Härte seines Vorwurfes, des ersten, den sie je von ihm vernommen und sank bewußtlos vor ihm hin. Ihr Erwachen dieses Ringen zwischen Himmel und Hölle, läßt sich nicht schildern. Beyder Herzen bluteten aufs neue aus allen Wunden, welche ihnen jemahls das Leben geschlagen; Worte konnten nur verletzen, stumm saßen sie bey einander, in heißer wortloser Umarmung, bis die Scheidestunde schlug.

Die unvollendete Fahne fest an die Brust gedrückt, ritt Ferdinand durch die schweigende Nacht, an der Spitze seiner Getreuen; nicht mehr dem Genius der Ehre, dem finstern Dämon des Unterganges entgegen, so wenigstens schien es ihm in dieser dunkeln Stunde, in der er zum ersten Mahle recht empfunden hatte, was Scheiden eigentlich sey.


Der wilde Kriegestanz war begonnen, dessen verhängnißvoller Gang noch in Aller Andenken lebt; noch schwankte die Wage, und endlich kam jene unvergeßliche Zeit des Waffenstillstandes herbey, die wie ein trüber, alles in Dämmerung einhüllender Nebel, auf Deutschland lastete, dessen Auflösung Aller Herzen, zwischen Hoffnung und Trostlosigkeit schwankend, erwartungsvoll entgegen schlugen.

Schon lange hatte Ferdinand keine tröstende Kunde aus der Heimath erhalten, noch bey dem völlig gestörten Laufe der Posten erhalten können. Die Bravour, mit der er überall, wo es galt, sich unter den Ersten als einer der Ersten auszeichnete, hatte ihn seinen Vorgesetzten sehr werth gemacht, und man suchte dieses ihm dadurch zu beweisen daß man mit wichtigen Aufträgen in seine Heimath an seinen Fürsten, ihn sandte und ihn zugleich ermahnte, die Tage unerwünschter Ruhe zur Heilung einer nicht ganz unbedeutenden Wunde am Arme anzuwenden, die er in einem der letzten kleinen Gefechte davon getragen.

Monathe waren seit jenem unseligen Abschiede von Emilien verflossen, doch oft noch hatte in einsamen Stunden die Erinnerung daran ihn überfallen, und dann ward es Nacht in seiner Seele, und seine sonst so klaren Gedanken verwirrten sich in unheimlicher Düsterheit. Ein fröhliches Wiedersehen, hoffte er jetzt, sollte jene alten Schmerzen verwinden helfen; mit ungeduldiger Eile nahm er auf der Reise die Nacht zu Hülfe, und nie war die Natur so schön, so sonnenhell ihm erschienen, als in diesen Tagen. Während so Viele der drückenden Schwüle des Augenblicks zu erliegen meynten, erhob ihn sein ungebeugter froher Muth; eine fromme ernste Sicherheit war über ihn gekommen, die heitern, hoffnungsreichen Sinnes ihn der Zukunft entgegengehen ließ.

Auch Emiliens Bild stand wieder in erfreulichem, erneuten Lichte vor seinem liebeerfüllten Gemüthe, und jeder dasselbe entstellende Flecken war daraus verschwunden. Er hoffte, auch sie habe ihm vergeben denn es gab Augenblicke, wo er nur mit dem Gefühl der Reue jener verletzenden Härte sich erinnern mochte, die er ihr bewiesen zu haben fürchtete, als er dem Mädchen die Fahne entriß und die Geliebte selbst, mitten in ihrem liebevollen Schmerz, durch Vorwürfe betrübte und erschütterte. So eilte er vorwärts, sein Herz schlug leicht und fröhlich, wenn er gleich durch den bey seiner Verwundung erlittenen starken Blutverlust sich ermattet fühlte.

Die Nacht brach bereits herein, als er die Residenz erreichte. So überrasche ich sie denn zur nähmlichen Stunde, wie damahls, als sie sich mir zuerst zu eigen gab, dachte Ferdinand, und drückte mit stillem Entzücken den Schlüssel zur Nebenthüre ihres Hauses, der als liebes Andenken ihn mit ins Feld begleitet hatte, an das in glühendem Entzücken hochschlagende Herz. In einiger Entfernung von dem Hause verließ er seinen Wagen; jetzt hatte er ihre Wohnung erreicht, er blickte hinauf, freundlich, nach gewohnter Art, begrüßte ihn der Schimmer ihrer erleuchteten Fenster. Der Schlüssel drehte sich in dem wohl bekannten Schlosse, die Thüre wich, Ferdinand ging, ohnerachtet der Dunkelheit, mit leisem, aber sicherem Schritt die Treppe hinauf, über den wohlbekannten Gang hin. Jetzt öffnete er die Seitenthüre, durch welche einst Waller in Emiliens Zimmer getreten war – er sah Emilien an ihrem gewohnten Platz; doch neben ihr auf dem Sofa, mit einem Arme sie leicht umschlungen haltend, saß, im lebhaften Gespräch mit ihr, Graf Colotinsky.

Ferdinand behielt Besonnenheit genug, unhörbar leise wieder zurück zu treten; unbemerkt, wie er gekommen, fand er zum Hause sich wieder hinaus, aber nun verließ ihn völlig das Bewußtseyn.

Matt und entkräftet erwachte er, er wußte selbst nicht nach wie langer Zeit, in einem ihm fremden Zimmer. Er versuchte sich aufzurichten, und um sich herzuschauen, ein Paar liebevoll ihn umschließende Arme unterstützen ihn dabey, ein ihm wohl bekanntes Gesicht beugte, freundlich besorgt, sich über ihn hin. Er erkannte den treuen Werner, einst der liebevolle Freund und Führer seiner Jugend, und entschlummerte wieder an dessen Brust sanft, ruhig und sicher, wie ein Kind im Arme der Mutter.

Nach langem, erquickenden Schlummer erwachte Ferdinand neugestärkt, doch strebte er lange vergebens, der nächsten Vergangenheit sich zu entsinnen. Er erinnerte sich dunkel, in einem Anfalle von Zorne und Verzweiflung den Verband seiner Wunde abgerissen zu haben, doch es währte lange, ehe es ihm beyfallen wollte, was denn eigentlich bis zu diesem Grade ihn empört haben könne. Endlich, gleich einer zischenden Schlange fuhr ein Gedanke an Emilien ihm durch den Sinn. Ueberlaut, im herzdurchschneidenden Tone wilder Verzweiflung, rief er ihren Nahmen, da trat Werner zu ihm mit milden, beschwichtigenden Worten.

Werner sprach lange und eindringend; er suchte Emilien zu entschuldigen, ohne sie jedoch schuldlos darstellen zu wollen. Er versicherte Ferdinanden, daß Colotinsky erst seit wenigen Tagen wieder in der Residenz sey, daß Emilie im Umgange mit ihm die Schranken des äußern Anstandes nie verletzt habe, und sogar von den Augen der Welt in dieser Hinsicht makellos dastehe. Er bath ihn, zu ihrer Entschuldigung, die an Verlassenheit gränzende Einsamkeit zu bedenken, in der sie, die Verwöhnte, nach Ferdinands Abreise zurück geblieben sey, ihre Hülflosigkeit in dieser hochbewegten Zeit, ihr Entbehren alles dessen, was sonst ihr Leben geschmückt habe, indem sogar das Theater verschlossen geblieben wäre.

Ferdinand hörte den wohlmeynenden Freunde zwar unter tiefen Schmerzen, aber doch ohne ihn zu unterbrechen, an. Nur von Zeit zu Zeit wiederholte er mit klangloser Stimme, gleichsam wie innerlich: Sie gab mir ihr Wort, mir, der eine Welt für sie hingegeben hatte, und hat es nicht gehalten.

Seines jungen Freundes anscheinende Gelassenheit verleitete Wernern endlich, auch auf die große Verschiedenheit des Charakters, der Ansichten Ferdinands und Emiliens hinzudeuten, sogar auf die ihrer Stellungen in der Welt. Endlich wagte er sogar es auszusprechen, wie eigentlich diese gewaltsame Lösung ihres Verhältnisses, als die leichteste und beste anzusehen sey, indem eine solche doch früher oder später, und dann gewiß um so schmerzlicher, habe eintreten müssen: denn, setzte er hinzu, eine Zukunft, wie du, mein Ferdinand, geblendet von heißer Leidenschaft, sie für dich gehofft hast, gibt es für Sterbliche nicht; solch hohes Glück, in unwandelbarer Liebe und Treue, liegt außerhalb den Gränzen der Möglichkeiten auf Erden.

Dieses war mehr, als der so tief und schmerzlich Verletzte in diesem Augenblick ertragen konnte. Werner! rief er, wohin verlockt Sie der Wunsch, mich beruhigen zu wollen! Wollen Sie, ich soll in der traurigen Ueberzeugung Trost finden, daß Liebe und Treue nichts weiter wären, als ein Wahn, nichts, als Täuschung der Sinne, ein leicht auffliegender Traum aus einer Unschuldswelt, über den die Weisen mitleidig lächeln? Wenn es so ist, so lassen Sie ewig mich träumen. Ich zwar bin dem Unglück, dem Alleinbleiben, dem Mißverstehen vielleicht auf ewig verfallen; es sey darum! ich will es tragen als ein Mann, nur versuchen Sie es nicht, den Glauben mir rauben zu wollen, daß es in der Welt Glücklichere gibt als ich es bin, die alles das im Leben finden, was dieses mir versagte. Ach, wie könnte ich doch je meinen Vater, meine Mutter, und ihr stillbeglücktes Leben vergessen! und sollten sie die Einzigen gewesen seyn auf Erden?

Ich stehe wieder in neuer Jugendkraft, ein körperlich völlig Genesener da, sprach Ferdinand einige Tage später zu seinem Freunde. Meine Geschäfte sind abgethan, der Waffenstillstand naht seinem Ende, lassen Sie mich eilen, einen Ort zu verlassen, wo der Boden unter mir glüht. Haben Sie Dank, edler, treuer Freund, daß Sie sich eines Verlassenen, den Sie in seinem Blute am Boden fanden, annahmen, daß Sie ihn selbst in seine Wohnung trugen und mit mehr als väterlicher Liebe dort seiner pflegten. Alle diese Umstände, die Ihr Edelmuth mir verschweigen wollte, habe ich erst heute von Ihrem treuen Diener erfahren.

Vergebens suchte Werner ihn zum Dableiben, auf wenigstens einige Tage, zu bewegen. Ich bin nicht krank und will nicht den Kranken spielen, erwiederte Ferdinand. Das Vaterland bedarf rüstiger Arme, und der meinige ist wieder gesund. Hier in der Brust sieht es zwar noch sehr trübe, noch sehr dunkel aus, und wird es auch bleiben; doch, was kümmert das die Kugel, die vielleicht den Weg dorthin suchen und finden wird! Ich sehe, Sie tragen die Uniform des Landsturmes, Sie sind aus Ihrer sichern Bergeinsamkeit hierher gezogen, um für unsere Hausgötter noch über unsern Leichen zu kämpfen, wenn wir Jüngern dahin sind. Gott segne Sie dafür und schütze Sie, und nun lassen Sie mich scheiden. Scheiden! seine Stimme brach bey diesem Worte, finstere Erinnerungen überwältigten ihn. Scheiden, rief er mit bebender Stimme nochmahls. Scheiden! O mein Gott! das ist ja die allgemeine Losung alles Lebens!

Er wollte mit verhülltem Gesichte fort, doch Werner hielt ihn zurück mit sanfter Gewalt.

Nein, du sollst nicht allein gehen, rief er, ein Kriegsgefährte ist vor einigen Stunden angekommen, er will mit dir ziehen, er wünscht bey Euch –

Die Thüre flog auf. ein stattlicher junger Officier warf sich mit lautem Jubel in Ferdinands Arme; es war sein Jugendfreund Willdorf. Ferdinands ganze Vergangenheit stand in diesem Augenblicke wie im Spiegelbilde vor ihm, sie war ihm blendend nahe gerückt, so daß ihm fast die Sinne darüber vergingen.

Helle Thränen fielen einzeln aus Willdorfs gutmüthigen ehrlichen Augen, als er den lang entbehrten Jugendfreund betrachtend ansah, und in seinen Zügen die Verwüstung las, die der Schmerz angerichtet. Werner hatte, mit ihm gewohnter Schonung, die Beyden allein gelassen.

Du weißt es? fragte endlich Ferdinand. Ich weiß alles, Bruderherz, erwiederte Willdorf, und schloß ihn in die Arme. Auch von mir werden sie dir wohl viel erzählt haben, fuhr er mit treuherziger Redseligkeit fort, und manches davon ist auch wahr. Sie haben dir wohl gesagt, ich sey verlobt, nun damit hat es seine Richtigkeit; meine Bertha ist ein liebes schönes Mädchen, und haben wir erst den Feind aus dem Lande, so hoffe ich ihr ein guter braver Mann zu werden. Doch, wenn man dir etwa gesagt haben sollte, ich hätte vergessen – du weißt schon, wen – das wäre eine verdammte Lüge. Glaube so etwas nicht von mir, Bruder, das Leben, welches ich damahls in ihrer Nähe geführt, ach! es war doch zu schön! Nun da liegt denn alles hier in meiner Brust fest und tief begraben, und Kreuz und Leid habe ich auch darüber getragen, das weiß Gott.

Willdorf ging jetzt einige Mahl im Zimmer auf und ab, dann trat er wieder vor Ferdinand hin und faßte dessen beyde Hände. Eins bitte ich dich, Bruder, und du gewährst es mir. Versprich mir, sie nicht ungehört zu verdammen, du bist die Erfüllung dieser Bitte mir schuldig, denn durch dich, wenn gleich du es nicht absichtlich wolltest, ist doch mein Glück zu Grunde gegangen – nun, wenn ich dich so recht ansehe, so kann ich es eigentlich weder unrecht, noch unbillig finden. – Jetzt hat sie dich verloren, und muß dich verloren haben auf immer.

Laut weinend warf Ferdinand sich in Willdorfs Arme, es waren die ersten Thränen. die seinem Schmerze flossen. Lange hielten die Freunde sich umfaßt, und als der Morgen wieder graute, ritten sie, tief in ihre Mäntel verhüllt, zum Thore hinaus, dem Felde der Ehre zu.

Emilie war von schwerem Erkranken befallen, und kämpfte Wochen lang in wilden Fieberträumen mit dem Tode.



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