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Kritik der Kantischen Philosophie.
C'est le privilège du vrai génie, et surtout du génie qui
ouvre une carrière, de faire impunément de grandes fautes.
Voltaire.
Es ist viel leichter in dem Werke eines großen Geistes die Fehler und Irrthümer nachzuweisen, als von dem Werthe desselben eine deutliche und vollständige Entwickelung zu geben. Denn die Fehler sind ein Einzelnes und Endliches, das sich daher vollkommen überblicken läßt. Hingegen ist eben das der Stämpel, welchen der Genius seinen Werken aufdrückt, daß dieser ihre Trefflichkeit unergründlich und unerschöpflich ist: daher sie auch die nicht alternden Lehrmeister vieler Jahrhunderte nacheinander werden. Das vollendete Meisterstück eines wahrhaft großen Geistes wird allemal von tiefer und durchgreifender Wirkung auf das gesammte Menschengeschlecht seyn, so sehr, daß nicht zu berechnen ist, zu wie fernen Jahrhunderten und Ländern sein erhellender Einfluß reichen kann. Es wird dieses allemal: weil, so gebildet und reich auch immer die Zeit wäre, in welcher es selbst entstanden, doch immer der Genius, gleich einem Palmbaum, sich über den Boden erhebt, auf welchem er wurzelt.
Aber eine tiefeingreifende und weitverbreitete Wirkung dieser Art kann nicht plötzlich eintreten, wegen des weiten Abstandes zwischen dem Genius und der gewöhnlichen Menschheit. Die Erkenntniß, welche jener Eine in einem Menschenalter unmittelbar aus dem Leben und der Welt schöpfte, gewann und Andern gewonnen und bereitet darlegte, kann dennoch nicht sofort das Eigenthum der Menschheit werden; weil diese nicht einmal so viel Kraft zum Empfangen hat, wie jener zum Geben. Sondern, selbst nach überstandenem Kampf mit unwürdigen Gegnern, die der Unsterblichen schon bei der Geburt das Leben streitig machen und das Heil der Menschheit im Keime ersticken möchten (der Schlange an der Wiege des Herkules zu vergleichen), muß jene Erkenntniß sodann erst die Umwege unzähliger falscher Auslegungen und schiefer Anwendungen durchwandern, muß die Versuche der Vereinigung mit alten Irrthümern überstehen und so im Kampfe leben, bis ein neues, unbefangenes Geschlecht ihr entgegenwächst, welches allmälig, aus tausend abgeleiteten Kanälen, den Inhalt jener Quelle, schon in der Jugend, theilweise empfängt, nach und nach assimilirt und so der Wohlthat theilhaft wird, welche, von jenem großem Geiste aus, der Menschheit zufließen sollte. So langsam geht die Erziehung des Menschengeschlechts, des schwachen und zugleich widerspenstigen Zöglings des Genius. – So wird auch von Kants Lehre allererst durch die Zeit die ganze Kraft und Wichtigkeit offenbar werden, wann einst der Zeitgeist selbst, durch den Einfluß jener Lehre nach und nach umgestaltet, im Wichtigsten und Innersten verändert, von der Gewalt jenes Riesengeistes lebendiges Zeugniß ablegen wird. Ich hier will aber keineswegs, ihm vermessen vorgreifend, die undankbare Rolle des Kalchas und der Kassandra übernehmen. Nur sei es mir, in Folge des Gesagten, vergönnt, Kants Werke als noch sehr neu zu betrachten, während heut zu Tage Viele sie als schon veraltet ansehen, ja, als abgethan bei Seite gelegt, oder, wie sie sich ausdrücken, hinter sich haben, und Andere, dadurch dreist gemacht, sie gar ignoriren und, mit eiserner Stirn, unter den Voraussetzungen des alten realistischen Dogmatismus und seiner Scholastik, von Gott und der Seele Weiterphilosophiren; – welches ist, wie wenn man in der neuern Chemie die Lehren der Alchemisten geltend machen wollte. – Uebrigens bedürfen Kants Werke nicht meiner schwachen Lobrede, sondern werden selbst ewig ihren Meister loben und, wenn vielleicht auch nicht in seinem Buchstaben, doch in seinem Geiste, stets auf Erden leben.
Freilich aber, wenn wir zurückblicken auf den nächsten Erfolg seiner Lehren, also auf die Versuche und Hergänge im Gebiete der Philosophie, während des seitdem verflossenen Zeitraums; so bestätigt sich uns ein sehr niederschlagender Ausspruch Goethe's: »wie das Wasser, das durch ein Schiff verdrängt wird, gleich hinter ihm wieder zusammenstürzt; so schließt sich auch der Irrthum, wenn vorzügliche Geister ihn bei Seite gedrängt und sich Platz gemacht haben, hinter ihnen sehr geschwind wieder naturgemäß zusammen.« (Dichtung und Wahrheit, Theil 3, S. 521.) Jedoch ist dieser Zeitraum nur eine Episode gewesen, die, den oben erwähnten Schicksalen jeder neuen und großen Erkenntniß beizuzählen, jetzt unverkennbar ihrem Ende nahe ist, indem die so anhaltend aufgetriebene Seifenblase doch endlich platzt. Man fängt allgemein an, inne zu werden, daß die wirkliche und ernstliche Philosophie noch da steht, wo Kant sie gelassen hat. Jedenfalls erkenne ich nicht an, daß zwischen ihm und mir irgend etwas in derselben geschehen sei; daher ich unmittelbar an ihn anknüpfe.
Was ich in diesem Anhange zu meinem Werke beabsichtige, ist eigentlich nur eine Rechtfertigung der von mir in demselben dargestellten Lehre, insofern sie in vielen Punkten mit der Kantischen Philosophie nicht übereinstimmt, ja ihr widerspricht. Eine Diskussion hierüber ist aber nothwendig, da offenbar meine Gedankenreihe, so verschieden ihr Inhalt auch von der Kantischen ist, doch durchaus unter dem Einfluß dieser steht, sie nothwendig voraussetzt, von ihr ausgeht, und ich bekenne, das Beste meiner eigenen Entwickelung, nächst dem Eindrucke der anschaulichen Welt, sowohl dem der Werke Kants, als dem der heiligen Schriften der Hindu und dem Platon zu verdanken. – Meine des ungeachtet vorhandenen Widersprüche gegen Kant aber rechtfertigen, kann ich durchaus nur dadurch, daß ich ihn in denselben Punkten des Irrthums zeihe und Fehler, die er begangen, aufdecke. Daher muß ich in diesem Anhange durchaus polemisch gegen Kant verfahren und zwar mit Ernst und mit aller Anstrengung: denn nur so kann es geschehen, daß der Irrthum, welcher Kants Lehre anklebt, sich abschleife, und die Wahrheit derselben desto heller scheine und sicherer bestehe. Man hat daher nicht zu erwarten, daß meine gewiß innig gefühlte Ehrerbietung gegen Kant sich auch auf seine Schwächen und Fehler erstrecke, und daß ich daher diese nicht anders, als mit der behutsamsten Schonung aufdecken sollte, wobei mein Vortrag durch die Umschweife schwach und matt werden müßte. Gegen einen Lebenden bedarf es solcher Schonung, weil die menschliche Schwäche auch die gerechteste Widerlegung eines Irrthums nur unter Besänftigungen und Schmeicheleien und selbst so schwer erträgt, und ein Lehrer der Jahrhunderte und Wohlthäter der Menschheit doch zum wenigsten verdient, daß man auch seine menschliche Schwäche schone, um ihm keinen Schmerz zu verursachen. Der Todte aber hat diese Schwäche abgeworfen: sein Verdienst steht fest: von jeder Ueberschätzung und Herabwürdigung wird die Zeit es mehr und mehr reinigen. Seine Fehler müssen davon gesondert, unschädlich gemacht und dann der Vergessenheit hingegeben werden. Daher habe ich bei der hier anzustimmenden Polemik gegen Kant ganz allein seine Fehler und Schwächen im Auge, stehe ihnen feindlich gegenüber und führe einen schonungslosen Vertilgungskrieg gegen sie, stets darauf bedacht, nicht sie schonend zu bedecken, sondern sie vielmehr in das hellste Licht zu stellen, um sie desto sicherer zu vernichten. Ich bin mir, aus den oben angeführten Gründen, hiebei weder einer Ungerechtigkeit, noch einer Undankbarkeit gegen Kant bewußt. Um indessen auch in den Augen Anderer jeden Schein von Malignität abzuwenden, will ich meine tiefgefühlte Ehrfurcht und Dankbarkeit gegen Kant zuvor noch dadurch an den Tag legen, daß ich sein Hauptverdienst, wie es in meinen Augen erscheint, kurz ausspreche, und zwar von so allgemeinen Gesichtspunkten aus, daß ich nicht genöthigt werde, die Punkte mitzuberühren, in welchen ich ihm nachher zu widersprechen habe.
Kants größtes Verdienst ist die Unterscheidung der Erscheinung vom Dinge an sich, – auf Grund der Nachweisung, daß zwischen den Dingen und uns immer noch der Intellekt steht, weshalb sie nicht nach dem, was sie an sich selbst seyn mögen, erkannt werden können. Aus diesen Weg geführt wurde er durch Locke (siehe Prolegomena zu jeder Metaph., §. 13, Anm. 2). Dieser hatte nachgewiesen, daß die sekundären Eigenschaften der Dinge, wie Klang, Geruch, Farbe, Härte, Weiche, Glätte u. dgl., als auf die Affektionen der Sinne gegründet, dem objektiven Körper, dem Dinge an sich selbst, nicht angehörten, welchem er vielmehr nur die primären Eigenschaften, d. h. solche, welche bloß den Raum und die Undurchdringlichkeit voraussetzen, also Ausdehnung, Gestalt, Solidität, Zahl, Beweglichkeit beilegte. Allein diese leicht zu findende Locke'sche Unterscheidung, welche sich auf der Oberfläche der Dinge hält, war gleichsam nur ein jugendliches Vorspiel der Kantischen. Diese nämlich, von einem ungleich höhern Standpunkt ausgehend, erklärt alles Das, was Locke als qualitates primarias, d. h. Eigenschaften des Dinges an sich selbst, gelten gelassen hatte, für ebenfalls nur der Erscheinung desselben in unserm Auffassungsvermögen angehörig, und zwar gerade deshalb, weil die Bedingungen desselben, Raum, Zeit und Kausalität, von uns a priori erkannt werden. Also hatte Locke vom Dinge an sich den Antheil, welchen die Sinnesorgane an der Erscheinung desselben haben, abgezogen; Kant aber zog nun noch den Antheil der Gehirnfunktionen (wiewohl nicht unter diesem Namen) ab; wodurch jetzt die Unterscheidung der Erscheinung vom Dinge an sich eine unendlich größere Bedeutung und einen sehr viel tiefern Sinn erhielt. Zu diesem Zwecke mußte er die große Sonderung unserer Erkenntniß a priori von der a posteriori vornehmen, welches vor ihm noch nie in gehöriger Strenge und Vollständigkeit, noch mit deutlichem Bewußtseyn geschehen war: demnach ward nun Dieses der Hauptstoff seiner tiefsinnigen Untersuchungen. – Hier nun wollen wir gleich bemerken, daß Kants Philosophie zu der seiner Vorgänger eine dreifache Beziehung hat: erstens, eine bestätigende und erweiternde zu der Locke's, wie wir soeben gesehen haben; zweitens, eine berichtigende und benutzende zu der Hume's, welche man am deutlichsten ausgesprochen findet in der Vorrede zu den »Prolegomena« (dieser schönsten und faßlichsten aller Kantischen Hauptschristen, welche viel zu wenig gelesen wird, da sie doch das Studium seiner Philosophie außerordentlich erleichtert); drittens, eine entschieden polemische und zerstörende zur Leibnitz-Wolfischen Philosophie. Alle drei Lehren soll man kennen, ehe man zum Studium der Kantischen Philosophie schreitet. – Ist nun, laut Obigem, die Unterscheidung der Erscheinung vom Dinge an sich, also die Lehre von der gänzlichen Diversität des Idealen und Realen, der Grundzug der Kantischen Philosophie; so giebt die bald nachher auftretende Behauptung der absoluten Identität dieser Beiden einen traurigen Beleg zu dem früher erwähnten Ausspruche Goethe's; um so mehr, als sie sich auf nichts stützte, als auf die Windbeutelei intellektualer Anschauung, und demgemäß nur eine, unter dem Imponiren durch vornehme Miene, Bombast und Gallimathias maskirte Rückkehr zur Rohheit der gemeinen Ansicht war. Sie wurde der würdige Ausgangspunkt für den noch grobem Unsinn des plumpen und geistlosen Hegel. – Wie nun also Kants, auf die oben dargelegte Weise gefaßte Sonderung der Erscheinung vom Dinge an sich in ihrer Begründung an Tiefsinn und Besonnenheit Alles, was je dagewesen, weit übertraf; so war sie auch in ihren Ergebnissen unendlich folgenreich. Denn ganz aus sich selbst, auf eine völlig neue Weise, von einer neuen Seite und auf einem neuen Wege gefunden stellte er hierin dieselbe Wahrheit dar, die schon Platon unermüdlich wiederholt und in seiner Sprache meistens so ausdrückt: diese den Sinnen erscheinende Welt habe kein wahres Seyn, sondern nur ein unaufhörliches Werden, sie sei, und sei auch nicht, und ihre Auffassung sei nicht sowohl eine Erkenntniß, als ein Wahn. Dies ist es auch, was er in der schon im dritten Buch gegenwärtiger Schrift erwähnten wichtigsten Stelle aller seiner Werke, dem Anfange des siebenten Buches der Republik mythisch ausspricht, indem er sagt, die Menschen, in einer finstern Höhle festgekettet, sähen weder das ächte ursprüngliche Licht, noch die wirklichen Dinge, sondern nur das dürftige Licht des Feuers in der Höhle und die Schatten wirklicher Dinge, die hinter ihrem Rücken an diesem Feuer vorüberziehen: sie meinten jedoch, die Schatten seien die Realität, und die Bestimmung der Succession dieser Schatten sei die wahre Weisheit. – Die selbe Wahrheit, wieder ganz anders dargestellt, ist auch eine Hauptlehre der Veden und Puranas, die Lehre von der Maja, worunter eben auch nichts Anderes verstanden wird, als was Kant die Erscheinung, im Gegensatze des Dinges an sich nennt: denn das Werk der Maja wird eben angegeben als diese sichtbare Welt, in der wir sind, ein hervorgerufener Zauber, ein bestandloser, an sich wesenloser Schein, der optischen Illusion und dem Traume zu vergleichen, ein Schleier, der das menschliche Bewußtseyn umfängt, ein Etwas, davon es gleich falsch und gleich wahr ist, zu sagen, daß es sei, als daß es nicht sei. – Kant nun aber drückte nicht allein die selbe Lehre auf eine völlig neue und originelle Weise aus, sondern machte sie, mittelst der ruhigsten und nüchternsten Darstellung, zur erwiesenen und unstreitigen Wahrheit; während sowohl Platon, als die Inder, ihre Behauptungen blos auf eine allgemeine Anschauung der Welt gegründet hatten, sie als unmittelbaren Ausspruch ihres Bewußtseyns vorbrachten, und sie mehr mythisch und poetisch, als philosophisch und deutlich darstellten. In dieser Hinsicht verhalten sie sich zu Kant, wie die Pythagoreer Hiketas, Philolaos und Aristarch, welche schon die Bewegung der Erde um die ruhende Sonne behaupteten, zum Kopernikus. Solche deutliche Erkenntniß und ruhige, besonnene Darstellung dieser traumartigen Beschaffenheit der ganzen Welt ist eigentlich die Basis der ganzen Kantischen Philosophie, ist ihre Seele und ihr allergrößtes Verdienst. Er brachte dieselbe dadurch zu Stande, daß er die ganze Maschinerie unseres Erkenntnißvermögens, mittelst welcher die Phantasmagorie der objektiven Welt zu Stande kommt, auseinanderlegte und stückweise vorzeigte, mit bewunderungswerther Besonnenheit und Geschicklichkeit. Alle vorhergehende occidentalische Philosophie, gegen die Kantische als unsäglich plump erscheinend, hatte jene Wahrheit verkannt, und eben daher eigentlich immer wie im Traume geredet. Erst Kant weckte sie plötzlich aus diesem; daher auch nannten die letzten Schläfer (Mendelssohn) ihn den Alleszermalmer. Er zeigte, daß die Gesetze, welche im Daseyn, d. h. in der Erfahrung überhaupt, mit unverbrüchlicher Nothwendigkeit herrschen, nicht anzuwenden sind, um das Daseyn selbst abzuleiten und zu erklären, daß also die Gültigkeit derselben doch nur eine relative ist, d. h. erst anhebt, nachdem das Daseyn, die Erfahrungswelt überhaupt, schon gesetzt und vorhanden ist; daß folglich diese Gesetze nicht unser Leitfaden sein können, wann wir an die Erklärung des Daseyns der Welt und unserer selbst gehen. Alle früheren occidentalischen Philosophen hatten gewähnt, diese Gesetze, nach welchen die Erscheinungen aneinander geknüpft sind und welche alle, Zeit und Raum sowohl als Kausalität und Schlußfolge, ich unter den Ausdruck des Satzes vom Grunde zusammenfasse, wären absolute und durch gar nichts bedingte Gesetze, aeternae veritates, die Welt selbst wäre nur in Folge und Gemäßheit derselben, und daher müsse nach ihrem Leitfaden das ganze Räthsel der Welt sich lösen lassen. Die zu diesem Behuf gemachten Annahmen, welche Kant unter dem Namen der Ideen der Vernunft kritisirt, dienten eigentlich nur, die bloße Erscheinung, das Werk der Maja, die Schattenwelt des Platon, zur einzigen und höchsten Realität zu erheben, sie an die Stelle des innersten und wahren Wesens der Dinge zu setzen, und die wirkliche Erkenntniß von diesem dadurch unmöglich zu machen: d. h., mit einem Wort, die Träumer noch fester einzuschläfern. Kant zeigte jene Gesetze, und folglich die Welt selbst, als durch die Erkenntnißweise des Subjekts bedingt; woraus folgte, daß, soweit man auch am Leitfaden jener weiter forschte und weiter schlösse, man in der Hauptsache, d. h. in der Erkenntniß des Wesens der Welt an sich und außer der Vorstellung, keinen Schritt vorwärts käme, sondern nur sich so bewegte, wie das Eichhörnchen im Rade. Man kann daher auch sämmtliche Dogmatiker mit Leuten vergleichen, welche meinten, daß wenn sie nur recht lange geradeaus giengen, sie zu der Welt Ende gelangen würden; Kant aber hatte dann die Welt umsegelt und gezeigt, daß, weil sie rund ist, man durch horizontale Bewegung nicht hinauskann, daß es jedoch durch perpendikulare vielleicht nicht unmöglich sei. Auch kann man sagen, Kants Lehre gebe die Einsicht, daß der Welt Ende und Anfang nicht außer, sondern in uns zu suchen sei.
Dies Alles nun aber beruht auf dem fundamentalen Unterschiede zwischen dogmatischer und kritischer, oder Transscendental-Philosophie. Wer sich diesen deutlich machen und an einem Beispiel vergegenwärtigen will, kann es in aller Kürze, wenn er, als Specimen der dogmatischen Philosophie, einen Aufsatz von Leibnitz durchliest, welcher den Titel » De rerum originatione radicali« führt und zum ersten Male gedruckt ist in der Ausgabe der philosophischen Werke Leibnitzens von Erdmann, Bd. 1, S. 147. Hier wird nun so recht in realistisch-dogmatischer Weise, unter Benutzung des ontologischen und des kosmologischen Beweises, der Ursprung und die vortreffliche Beschaffenheit der Welt a priori dargethan, auf Grund der veritatum aeternarum. – Nebenher wird auch ein Mal eingestanden, daß die Erfahrung das gerade Gegentheil der hier demonstrirten Vortrefflichkeit der Welt aufweise, darauf aber der Erfahrung bedeutet, sie verstehe nichts davon und solle das Maul halten, wenn Philosophie a priori geredet hat. – Als Widersacher dieser ganzen Methode nun ist mit Kant die kritische Philosophie aufgetreten, welche gerade die, allem solchem dogmatischen Bau zur Unterlage dienenden veritates aeternas zu ihrem Problem macht, dem Ursprunge derselben nachforscht und ihn sodann findet im menschlichen Kopf, woselbst nämlich sie aus den diesem eigenthümlich angehörenden Formen, welche er zum Behuf der Auffassung einer objektiven Welt in sich trägt, erwachsen. Hier also, im Gehirn, ist der Steinbruch, welcher das Material zu jenem stolzen dogmatischen Baue liefert. Dadurch nun aber, daß die kritische Philosophie, um zu diesem Resultate zu gelangen, über die veritates aeternas, aus welche aller bisheriger Dogmatismus sich gründete, hinausgehen mußte, um diese selbst zum Gegenstande der Untersuchung zu machen, ist sie Transscendental-Philosophie geworden. Aus dieser ergiebt sich dann ferner, daß die objektive Welt, wie wir sie erkennen, nicht dem Wesen der Dinge an sich selbst angehört, sondern bloße Erscheinung desselben ist, bedingt durch eben jene Formen, die a priori im menschlichen Intellekt (d. h. Gehirn) liegen, daher sie auch nichts als Erscheinungen enthalten kann.
Kant gelangte zwar nicht zu der Erkenntniß, daß die Erscheinung die Welt als Vorstellung und das Ding an sich der Wille sei. Aber er zeigte, daß die erscheinende Welt ebenso sehr durch das Subjekt, wie durch das Objekt bedingt sei, und indem er die allgemeinsten Formen ihrer Erscheinung, d. i. der Vorstellung, isolirte, that er dar, daß man diese Formen nicht nur vom Objekt, sondern ebenso wohl auch vom Subjekt ausgehend erkenne und ihrer ganzen Gesetzmäßigkeit nach übersehe, weil sie eigentlich zwischen Objekt und Subjekt die beiden gemeinsame Gränze sind, und er schloß, daß man durch das Verfolgen dieser Gränze weder ins Innere des Objekts noch des Subjekts eindringe, folglich nie das Wesen der Welt, das Ding an sich erkenne.
Er leitete das Ding an sich nicht auf die rechte Art ab, wie ich bald zeigen werde, sondern mittelst einer Inkonsequenz, die er durch häufige und unwiderstehliche Angriffe auf diesen Haupttheil seiner Lehre büßen mußte. Er erkannte nicht direkt im Willen das Ding an sich; allein er that einen großen, bahnbrechenden Schritt zu dieser Erkenntniß, indem er die unleugbare moralische Bedeutung des menschlichen Handelns als ganz verschieden und nicht abhängig von den Gesetzen der Erscheinung, noch diesen gemäß je erklärbar, sondern als etwas, welches das Ding an sich unmittelbar berühre, darstellte: dieses ist der zweite Hauptgesichtspunkt für sein Verdienst.
Als den dritten können wir ansehen den völligen Umsturz der Scholastischen Philosophie, mit welchem Namen ich hier im Allgemeinen die ganze vom Kirchenvater Augustinus anfangende und dicht vor Kant schließende Periode bezeichnen möchte. Denn der Hauptcharakter der Scholastik ist doch wohl der von
Tennemann sehr richtig angegebene, die Vormundschaft der herrschenden Landesreligion über die Philosophie, welcher eigentlich nichts übrig blieb, als die ihr von jener vorgeschriebenen Hauptdogmen zu beweisen und auszuschmücken: die eigentlichen Scholastiker, bis Suarez, gestehen dies unverhohlen: die folgenden Philosophen thun es mehr unbewußt, oder doch nicht eingeständlich. Man läßt die Scholastische Philosophie nur bis etwan hundert Jahre vor Kartesius gehen und dann mit diesem eine ganz neue Epoche des freien, von aller positiven Glaubenslehre unabhängigen Forschens anfangen; allein ein solches ist in der That dem Cartesius und seinen Nachfolgern
Bruno und Spinoza sind hier ganz auszunehmen. Sie stehen jeder für sich und allein, und gehören weder ihrem Jahrhundert noch ihrem Welttheil an, welche dem einen mit dem Tode, dem andern mit Verfolgung und Schimpf lohnten. Ihr kümmerliches Daseyn und Sterben in diesem Occident gleicht dem einer tropischen Pflanze in Europa. Ihre wahre Geistesheimath waren die Ufer der heiligen Ganga: dort hätten sie ein ruhiges und geehrtes Leben geführt, unter ähnlich Gesinnten. – Bruno drückt in folgenden Versen, mit denen er das Buch
della causa principio et uno, für welches ihm der Scheiterhaufen ward, eröffnet, deutlich und schön aus, wie einsam er sich in seinem Jahrhundert fühlte, und zeigt zugleich eine Ahndung seines Schicksals, welche ihn zaudern ließ seine Sache vorzutragen, bis jener in edlen Geistern so starke Trieb zur Mittheilung des für wahr Erkannten überwand:
Ad partum properare tuum, mens aegra, quid obstat;
Seclo haec indigno sint tribuenda licet?
Umbrarum fluctu terras mergente, cacumen
Adtolle in clarum, noster Olympe, Jovem.
Wer diese seine Hauptschrift, wie auch seine übrigen, früher so seltenen, jetzt, durch eine Deutsche Ausgabe, Jedem zugänglichen Italiänischen Schriften liest, wird mit mir finden, daß unter allen Philosophen er allein dem Platon in etwas sich nähert, in Hinsicht auf die starke Beigabe poetischer Kraft und Richtung neben der philosophischen, und solche eben auch besonders dramatisch zeigt. Das zarte, geistige, denkende Wesen, als welches er uns aus dieser seiner Schrift entgegentritt, denke man sich unter den Händen roher, wüthender Pfaffen als seiner Richter und Henker, und danke der Zeit, die ein helleres und milderes Jahrhundert herbeiführte, so daß die Nachwelt, deren Fluch jene teuflischen Fanatiker treffen sollte, jetzt schon die Mitwelt ist. nicht beizulegen, sondern nur ein Schein
davon und allenfalls ein Streben danach. Cartesius war ein höchst ausgezeichneter Geist, und hat, wenn man seine Zeit berücksichtigt, sehr viel geleistet. Setzt man aber diese Rücksicht bei Seite, und mißt ihn nach der ihm nachgerühmten Befreiung des Denkens von allen Fesseln und Anhebung einer neuen Periode des unbefangenen eigenen Forschens; so muß man finden, daß er mit seiner des rechten Ernstes noch entbehrenden und daher so schnell und so schlecht sich wieder gebenden Skepsis, zwar die Miene macht, als ob er alle Fesseln früh eingeimpfter, der Zeit und der Nation angehörender Meinungen, mit einem Male abwerfen wollte, es aber bloß zum Schein auf einen Augenblick thut, um sie sogleich wieder aufzunehmen und desto fester zu halten; und ebenso alle seine Nachfolger bis auf Kant. Sehr anwendbar auf einen freien Selbstdenker dieses Schlages ist daher Goethes Vers:
»Er scheint mir, mit Verlaub von Ewr Gnaden,
Wie eine der langbeinigen Cikaden,
Die immer fliegt und fliegend springt –
Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt.« –
Kant hatte Gründe, die Miene zu machen, als ob er es auch nur so meinte. Aber aus dem vorgeblichen Sprunge, der zugestanden war, weil man schon wußte, daß er ins Gras zurückführt, ward diesmal ein Flug, und jetzt haben, die unten stehen, nur das Nachsehen und können nicht mehr ihn wieder einfangen.
Kant also wagte es, aus seiner Lehre die Unbeweisbarkeit aller jener vorgeblich so oft bewiesenen Dogmen darzuthun. Die spekulative Theologie und die mit ihr zusammenhängende rationale Psychologie empfiengen von ihm den Todesstreich. Seitdem sind sie aus der Deutschen Philosophie verschwunden, und man darf sich nicht dadurch irre machen lassen, daß hie und da das Wort beibehalten wird, nachdem man die Sache aufgegeben, oder daß irgend ein armsäliger Philosophieprofessor die Furcht seines Herrn vor Augen hat und Wahrheit Wahrheit seyn läßt. Die Größe dieses Verdienstes Kants kann nur der ermessen, welcher den nachtheiligen Einfluß jener Begriffe auf Naturwissenschaft, wie auf Philosophie, in allen, selbst den besten Schriftstellern des 17. und 18. Jahrhunderts beachtet hat. In den Deutschen naturwissenschaftlichen Schriften ist die seit Kant eingetretene Veränderung des Tones und des metaphysischen Hintergrundes auffallend: vor ihm stand es damit, wie noch jetzt in England. – Dieses Verdienst Kants hängt damit zusammen, daß das besinnungslose Nachgehen den Gesetzen der Erscheinung, das Erheben derselben zu ewigen Wahrheiten und dadurch der flüchtigen Erscheinung zum eigentlichen Wesen der Welt, kurz, der in seinem Wahn durch keine Besinnung gestörte Realismus in aller vorhergegangenen Philosophie der alten, der mittleren und der neueren Zeit durchaus herrschend gewesen war. Berkeley, der, wie vor ihm auch schon Malebranche, das Einseitige, ja Falsche desselben erkannt hatte, vermochte nicht ihn umzustoßen, weil sein Angriff sich auf einen Punkt beschränkte. Kanten also war es vorbehalten, der idealistischen Grundansicht, welche im ganzen nicht islamisirten Asien, und zwar wesentlich, sogar die der Religion ist, in Europa wenigstens in der Philosophie zur Herrschaft zu verhelfen. Vor Kant also waren wir in der Zeit; jetzt ist die Zeit in uns, u. s. f.
Auch die Ethik war von jener realistischen Philosophie nach den Gesetzen der Erscheinung, die sie für absolute, auch vom Dinge an sich geltende hielt, behandelt worden, und daher bald aus Glücksäligkeitslehre, bald auf den Willen des Weltschöpfers, zuletzt auf den Begriff der Vollkommenheit gegründet, welcher an und für sich ganz leer und inhaltslos ist, da er eine bloße Relation bezeichnet, die erst von den Dingen, auf welche sie angewandt wird, Bedeutung erhält, indem »vollkommen seyn« nichts weiter heißt als »irgend einem dabei vorausgesetzten und gegebenen Begriff entsprechen«, der also vorher aufgestellt seyn muß, und ohne welchen die Vollkommenheit eine unbenannte Zahl ist und folglich allein ausgesprochen gar nichts sagt. Will man nun aber etwan dabei den Begriff der »Menschheit« zur stillschweigenden Voraussetzung machen und demnach zum Moralprincip setzen nach vollkommener Menschheit zu streben; so sagt man damit eben nur: »Die Menschen sollen seyn wie sie seyn sollen« – und ist so klug wie zuvor. »Vollkommen« nämlich ist beinahe nur das Synonym von »vollzählig«, indem es besagt, daß in einem gegebenen Fall, oder Individuo, alle die Prädikate, welche im Begriff seiner Gattung liegen, vertreten, also wirklich vorhanden sind. Daher ist der Begriff der »Vollkommenheit«, wenn schlechthin und in abstracto gebraucht, ein gedankenleeres Wort, und ebenso das Gerede vom »allervollkommensten Wesen« u. dgl. m. Das Alles ist bloßer Wortkram. Nichtsdestoweniger war im vorigen Jahrhundert dieser Begriff von Vollkommenheit und Unvollkommenheit eine kurrente Münze geworden; ja, er war die Angel, um welche sich fast alles Moralisiren und selbst Theologisiren drehte. Jeder führte ihn im Munde, so daß zuletzt ein wahrer Unfug damit getrieben wurde. Selbst die besten Schriftsteller der Zeit, z. B. Lessingen, sehen wir auf das Beklagenswertheste in den Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten verstrickt und sich damit herumschlagen. Dabei mußte doch jeder irgend denkende Kopf wenigstens dunkel fühlen, daß dieser Begriff ohne allen positiven Gehalt ist, indem er, wie ein algebraisches Zeichen, ein bloßes Verhältniß in abstracto andeutet.– Kant, wie schon gesagt, sonderte die unleugbare große ethische Bedeutsamkeit der Handlungen ganz ab von der Erscheinung und deren Gesetzen, und zeigte jene als unmittelbar das Ding an sich, das innerste Wesen der Welt betreffend, wogegen diese, d. h. Zeit und Raum, und Alles, was sie erfüllt und in ihnen nach dem Kausalgesetz sich ordnet, als bestand- und wesenloser Traum anzusehen sind.
Dieses Wenige und keineswegs den Gegenstand Erschöpfende mag hinreichen als Zeugniß meiner Anerkennung der großen Verdienste Kants, hier abgelegt zu meiner eigenen Befriedigung, und weil die Gerechtigkeit forderte jene Verdienste Jedem ins Gedächtniß zurückzurufen, der mir in der nachsichtslosen Aufdeckung seiner Fehler, zu welcher ich jetzt schreite, folgen will.
Daß Kants große Leistungen auch von großen Fehlern begleitet seyn mußten, läßt sich schon bloß historisch ermessen, daraus, daß, obwohl er die größte Revolution in der Philosophie bewirkte, und der Scholastik, die, im angegebenen weitem Sinn verstanden, vierzehn Jahrhunderte gedauert hatte, ein Ende machte, um nun wirklich eine ganz neue dritte Weltepoche der Philosophie zu beginnen; doch der unmittelbare Erfolg seines Auftretens fast nur negativ, nicht positiv war, indem, weil er nicht ein vollständiges neues System aufstellte, an welches seine Anhänger nur irgend einen Zeitraum hindurch sich hätten halten können, Alle zwar merkten, es sei etwas sehr Großes geschehen, aber doch keiner recht wußte was. Sie sahen wohl ein, daß die ganze bisherige Philosophie ein fruchtloses Träumen gewesen, aus dem jetzt die neue Zeit erwachte; aber woran sie sich nun halten sollten, wußten sie nicht. Eine große Leere, ein großes Bedürfniß war eingetreten: die allgemeine Aufmerksamkeit, selbst des größern Publikums, war erregt. Hiedurch veranlagt, nicht aber vom innern Triebe und Gefühl der Kraft (die sich auch im ungünstigsten Zeitpunkt äußern, wie bei Spinoza) gedrungen, machten Männer ohne alle auszeichnende Talente mannigfaltige, schwache, ungereimte, ja mitunter tolle Versuche, denen das nun einmal aufgeregte Publikum doch seine Aufmerksamkeit schenkte und mit großer Geduld, wie sie nur in Deutschland zu finden, lange sein Ohr lieh.
Wie hier, muß es einst in der Natur hergegangen seyn, als eine große Revolution die ganze Oberfläche der Erde geändert, Meer und Land ihre Stellen gewechselt hatten, und der Plan zu einer neuen Schöpfung geebnet war. Da währte es lange, ehe die Natur eine neue Reihe dauernder, jede mit sich und mit den übrigen harmonirender Formen herausbringen konnte: seltsame monströse Organisationen traten hervor, die mit sich selbst und untereinander disharmonirend, nicht lange bestehen konnten, aber deren noch jetzt vorhandene Reste es eben sind, die das Andenken jenes Schwankens und Versuchens der sich neu gestaltenden Natur auf uns gebracht haben. – Daß nun in der Philosophie eine jener ganz ähnliche Krisis und ein Zeitalter der ungeheuren Ausgeburten durch Kant herbeigeführt wurde, wie wir Alle wissen, läßt schon schließen, daß sein Verdienst nicht vollkommen, sondern mit großen Mängeln behaftet, negativ und einseitig gewesen seyn müsse. Diesen Mängeln wollen wir jetzt nachspüren.
Zuvörderst wollen wir den Grundgedanken, in welchem die Absicht der ganzen Kritik der reinen Vernunft liegt, uns deutlich machen und ihn prüfen. – Kant stellte sich auf den Standpunkt seiner Vorgänger, der dogmatischen Philosophen, und gieng demgemäß mit ihnen von folgenden Voraussetzungen aus. 1) Metaphysik ist Wissenschaft von Demjenigen, was jenseit der Möglichkeit aller Erfahrung liegt. – 2) Ein solches kann nimmermehr gefunden werden nach Grundsätzen, die selbst erst aus der Erfahrung geschöpft sind (Prolegomena, §. 1); sondern nur Das, was wir vor, also unabhängig von aller Erfahrung wissen, kann weiter reichen, als mögliche Erfahrung. – 3) In unserer Vernunft sind wirklich einige Grundsätze der Art anzutreffen: man begreift sie unter dem Namen Erkenntnisse aus reiner Vernunft. – Soweit geht Kant mit seinen Vorgängern zusammen; hier aber trennt er sich von ihnen. Sie sagen: »Diese Grundsätze, oder Erkenntnisse aus reiner Vernunft, sind Ausdrücke der absoluten Möglichkeit der Dinge, aeternae veritates, Quellen der Ontologie: sie stehen über der Weltordnung, wie das Fatum über den Göttern der Alten stand.« Kant sagt: es sind bloße Formen unsers Intellekts, Gesetze, nicht des Daseyns der Dinge, sondern unserer Vorstellungen von ihnen, gelten daher bloß für unsere Auffassung der Dinge, und können demnach nicht über die Möglichkeit der Erfahrung, worauf es, laut Art. 1, abgesehen war, hinausreichen. Denn gerade die Apriorität dieser Erkenntnißformen, da sie nur aus dem subjektiven Ursprung derselben beruhen kann, schneidet uns die Erkenntniß des Wesens an sich der Dinge auf immer ab und beschränkt uns auf eine Welt von bloßen Erscheinungen, so daß wir nicht ein Mal a posteriori, geschweige a priori, die Dinge erkennen können, wie sie an sich selbst seyn mögen. Demnach ist die Metaphysik unmöglich, und an ihre Stelle tritt Kritik der reinen Vernunft. Dem alten Dogmatismus gegenüber ist hier Kant völlig siegreich; daher haben alle seitdem aufgetretenen dogmatischen Versuche ganz andere Wege einschlagen müssen, als die früheren: auf die Berechtigung des meinigen werde ich, der ausgesprochenen Absicht gegenwärtiger Kritik gemäß, jetzt hinleiten. Nämlich bei genauerer Prüfung obiger Argumentation wird man eingestehen müssen, daß die allererste Grundannahme derselben eine petitio principii ist; sie liegt in dem (besonders Prolegomena, §. 1, deutlich aufgestellten) Satz: »Die Quelle der Metaphysik darf durchaus nicht empirisch seyn, ihre Grundsätze und Grundbegriffe dürfen nie aus der Erfahrung, weder innerer noch äußerer, genommen seyn.« Zur Begründung dieser Kardinal-Behauptung wird jedoch gar nichts angeführt, als das etymologische Argument aus dem Worte Metaphysik. In Wahrheit aber verhält sich die Sache so: Die Welt und unser eigenes Daseyn stellt sich uns nothwendig als ein Räthsel dar. Nun wird ohne Weiteres angenommen, daß die Lösung dieses Räthsels nicht aus dem gründlichen Verständniß der Welt selbst hervorgehen könne, sondern gesucht werden müsse in etwas von der Welt gänzlich Verschiedenem (denn das heißt »über die Möglichkeit aller Erfahrung hinaus«); und daß von jener Lösung Alles ausgeschlossen werden müsse, wovon wir irgendwie unmittelbare Kenntniß (denn das heißt mögliche Erfahrung, sowohl innere, wie äußere) haben können; dieselbe vielmehr nur in Dem gesucht werden müsse, wozu wir bloß mittelbar, nämlich mittelst Schlüssen aus allgemeinen Sätzen a priori, gelangen können. Nachdem man auf diese Art die Hauptquelle aller Erkenntniß ausgeschlossen und den geraden Weg zur Wahrheit sich versperrt hatte, darf man sich nicht wundern, daß die dogmatischen Versuche mißglückten und Kant die Nothwendigkeit dieses Mißglückens darthun konnte: denn man hatte zum voraus Metaphysik und Erkenntniß a priori als identisch angenommen. Dazu hätte man aber vorher beweisen müssen, daß der Stoff zur Lösung des Räthsels der Welt schlechterdings nicht in ihr selbst enthalten seyn könne, sondern nur außerhalb der Welt zu suchen sei, in etwas, dahin man nur am Leitfaden jener uns a priori bewußten Formen gelangen könne. So lange aber Dies nicht bewiesen ist, haben wir keinen Grund, uns, bei der wichtigsten und schwierigsten aller Aufgaben, die inhaltsreichsten aller Erkenntnißquellen, innere und äußere Erfahrung, zu verstopfen, um allein mit inhaltsleeren Formen zu operiren. Ich sage daher, daß die Lösung des Räthsels der Welt aus dem Verständniß der Welt selbst hervorgehen muß; daß also die Aufgabe der Metaphysik nicht ist, die Erfahrung, in der die Welt dasteht, zu überfliegen, sondern sie von Grund aus zu verstehen, indem Erfahrung, äußere und innere, allerdings die Hauptquelle aller Erkenntniß ist; daß daher nur durch die gehörige und am rechten Punkt vollzogene Anknüpfung der äußern Erfahrung an die innere, und dadurch zu Stande gebrachte Verbindung dieser zwei so heterogenen Erkenntnißquellen, die Lösung des Räthsels der Welt möglich ist; wiewohl auch so nur innerhalb gewisser Schranken, die von unserer endlichen Natur unzertrennlich sind, mithin so, daß wir zum richtigen Verständniß der Welt selbst gelangen, ohne jedoch eine abgeschlossene und alle ferneren Probleme aufhebende Erklärung ihres Daseyns zu erreichen. Mithin est quadam prodire tenus, und mein Weg liegt in der Mitte zwischen der Allwissenheitslehre der frühern Dogmatik und der Verzweiflung der Kantischen Kritik. Die von Kant entdeckten, wichtigen Wahrheiten aber, durch welche die früheren metaphysischen Systeme umgestoßen wurden, haben dem meinigen Data und Material geliefert. Man vergleiche was ich Kap. 17 des zweiten Bandes über meine Methode gesagt habe. – Soviel über den Kantischen Grundgedanken: jetzt wollen wir die Ausführung und das Einzelne betrachten.
Kants Stil trägt durchweg das Gepräge eines überlegeneu Geistes, ächter, fester Eigenthümlichkeit und ganz ungewöhnlicher Denkkraft; der Charakter desselben läßt sich vielleicht treffend bezeichnen als eine glänzende Trockenheit, vermöge welcher er die Begriffe mit großer Sicherheit fest zu fassen und herauszugreifen, dann sie mit größter Freiheit hin- und herzuwerfen vermag, zum Erstaunen des Lesers. Dieselbe glänzende Trockenheit finde ich im Stil des Aristoteles wieder, obwohl dieser viel einfacher ist. – Dennoch ist Kants Vortrag oft undeutlich, unbestimmt, ungenügend und bisweilen dunkel. Allerdings ist dieses Letztere zum Theil durch die Schwierigkeit des Gegenstandes und die Tiefe der Gedanken zu entschuldigen; aber wer sich selber bis auf den Grund klar ist und ganz deutlich weiß, was er denkt und will, der wird nie undeutlich schreiben, wird nie schwankende, unbestimmte Begriffe aufstellen und zur Bezeichnung derselben aus fremden Sprachen höchst schwierige komplicirte Ausdrücke zusammensuchen, um solche nachher fortwährend zu gebrauchen, wie Kant aus der ältern, sogar scholastischen Philosophie Worte und Formeln nahm, die er zu seinen Zwecken miteinander verband, wie z. B. »transscendentale synthetische Einheit der Apperception«, und überhaupt »Einheit der Synthesis« allemal gesetzt, wo »Vereinigung« ganz allein ausreichte. Ein Solcher wird ferner nicht das schon einmal Erklärte immer wieder von Neuem erklären, wie Kant es z. B. macht mit dem Verstande, den Kategorien, der Erfahrung und anderen Hauptbegriffen. Ein Solcher wird überhaupt nicht sich unablässig wiederholen und dabei doch in jeder neuen Darstellung des hundert Mal dagewesenen Gedankens, ihm wieder gerade dieselben dunkeln Stellen lassen; sondern er wird einmal deutlich, gründlich, erschöpfend seine Meinung sagen, und dabei es bewenden lassen. Quo enim melius rem aliquam concipimus, eo magis determinati sumus ad eam unico modo exprimendam, sagt Kartesius in seinem fünften Briefe. Aber der größte Nachtheil, den Kants stellenweise dunkler Vortrag gehabt hat, ist, daß er als exemplar vitiis imitabile wirkte, ja, zu verderblicher Autorisation mißdeutet wurde. Das Publikum war genöthigt worden einzusehen, daß das Dunkle nicht immer sinnlos ist: sogleich flüchtete sich das Sinnlose hinter den dunkeln Vortrag. Fichte war der Erste, der dies neue Privilegium ergriff und stark benutzte; Schelling that es ihm dann wenigstens gleich, und ein Heer hungeriger Skribenten ohne Geist und ohne Redlichkeit überbot bald Beide. Jedoch die größte Frechheit im Auftischen baaren Unsinns, im Zusammenschmieren sinnleerer, rasender Wortgeflechte, wie man sie bis dahin nur in Tollhäusern vernommen hatte, trat endlich im Hegel aus und wurde das Werkzeug der plumpesten allgemeinen Mystifikation, die je gewesen, mit einem Erfolg, welcher der Nachwelt fabelhaft erscheinen und ein Denkmal Deutscher Niaiserie bleiben wird. Vergeblich schrieb unterdessen Jean Paul seinen schönen Paragraphen »höhere Würdigung des philosophischen Tollseyns auf dem Katheder und des dichterischen auf dem Theater« (ästhetische Nachschule); denn vergeblich hatte schon Goethe gesagt:
»So schwätzt und lehrt man ungestört,
Wer mag sich mit den Narr'n befassen?
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.«
Doch kehren wir zu Kant zurück. Man kann nicht umhin einzugestehen, daß ihm die antike, grandiose Einfalt, daß ihm Naivetät, ingénuité, candeur, gänzlich abgeht. Seine Philosophie hat keine Analogie mit der Griechischen Baukunst, welche große, einfache, dem Blick sich aus einmal offenbarende Verhältnisse darbietet: vielmehr erinnert sie sehr stark an die Gothische Bauart. Denn eine ganz individuelle Eigenthümlichkeit des Geistes Kants ist ein sonderbares Wohlgefallen an der Symmetrie, welche die bunte Vielheit liebt, um sie zu ordnen und die Ordnung in Unterordnungen zu wiederholen, und so immerfort, gerade wie an den Gothischen Kirchen. Ja er treibt dies bisweilen bis zur Spielerei, wobei er, jener Neigung zu Liebe, so weit geht, der Wahrheit offenbare Gewalt anzuthun und mit ihr zu Verfahren, wie mit der Natur die altfränkischen Gärtner, deren Werk symmetrische Alleen, Quadrate und Triangel, pyramidalische und kugelförmige Bäume und zu regelmäßigen Kurven gewundene Hecken sind. Ich will dies mit Thatsachen belegen.
Nachdem er Raum und Zeit isolirt abgehandelt, dann diese ganze, Raum und Zeit füllende Welt der Anschauung, in der wir leben und sind, abgefertigt hat mit den nichtssagenden Worten »der empirische Inhalt der Anschauung wird uns gegeben«, – gelangt er sofort, mit einem Sprunge, zur logischen Grundlage seiner ganzen Philosophie, zur Tafel der Urtheile. Aus dieser deducirt er ein richtiges Dutzend Kategorien, symmetrisch unter vier Titeln abgesteckt, welche späterhin das furchtbare Bett des Prokrustes werden, in welches er alle Dinge der Welt und Alles was im Menschen vorgeht gewaltsam hineinzwängt, keine Gewaltthätigkeit scheuend und kein Sophisma verschmähend, um nur die Symmetrie jener Tafel überall wiederholen zu können. Das Erste, was aus ihr symmetrisch abgeleitet wird, ist die reine physiologische Tafel allgemeiner Grundsätze der Naturwissenschaft: nämlich Axiome der Anschauung, Anticipationen der Wahrnehmung, Analogien der Erfahrung und Postulate des empirischen Denkens überhaupt. Von diesen Grundsätzen sind die beiden ersten einfach; die beiden letzteren aber treiben symmetrisch jeder drei Sprößlinge. Die bloßen Kategorien waren was er Begriffe nennt; diese Grundsätze der Naturwissenschaft sind aber Urtheile. Zufolge seines obersten Leitfadens zu aller Weisheit, nämlich der Symmetrie, ist jetzt an den Schlüssen die Reihe sich fruchtbar zu erweisen, und zwar thun sie dies wieder symmetrisch und taktmäßig. Denn, wie durch Anwendung der Kategorien auf die Sinnlichkeit, für den Verstand die Erfahrung, sammt ihren Grundsätzen a priori, erwuchs; ebenso entstehen durch Anwendung der Schlüsse auf die Kategorien, welches Geschäft die Vernunft, nach ihrem angeblichen Princip das Unbedingte zu suchen, verrichtet, die Ideen der Vernunft. Dieses geht nun so vor sich: die drei Kategorien der Relation geben drei allein mögliche Arten von Obersätzen zu Schlüssen, welche letztere demgemäß ebenfalls in drei Arten zerfallen, jede von welchen als ein Ei anzusehen ist, aus dem die Vernunft eine Idee brütet: nämlich aus der kategorischen Schlußart die Idee der Seele, aus der hypothetischen die Idee der Welt, und aus der disjunktiven die Idee von Gott. In der mittelsten, der Idee der Welt, wiederholt sich nun noch einmal die Symmetrie der Kategorientafel, indem ihre vier Titel vier Thesen hervorbringen, von denen jede ihre Antithese zum symmetrischen Pendant hat.
Wir zollen zwar der wirklich höchst scharfsinnigen Kombination, welche dies zierliche Gebäude hervorrief, unsere Bewunderung; werden aber weiterhin dasselbe in seinem Fundament und in seinen Theilen gründlich untersuchen. – Doch müssen folgende Betrachtungen vorangeschickt werden.
Es ist zum Erstaunen, wie Kant, ohne sich weiter zu besinnen, seinen Weg verfolgt, seiner Symmetrie nachgehend, nach ihr Alles ordnend, ohne jemals einen der so behandelten Gegenstände für sich in Betracht zu nehmen. Ich will mich näher erklären. Nachdem er die intuitive Erkenntniß bloß in der Mathematik in Betrachtung nimmt, vernachlässigt er die übrige anschauliche Erkenntniß, in der die Welt vor uns liegt, gänzlich, und hält sich allein an das abstrakte Denken, welches doch alle Bedeutung und Werth erst von der anschaulichen Welt empfängt, die unendlich bedeutsamer, allgemeiner, gehaltreicher ist, als der abstrakte Theil unserer Erkenntniß. Ja, er hat, und dies ist ein Hauptpunkt, nirgends die anschauliche und die abstrakte Erkenntniß deutlich unterschieden, und eben dadurch, wie wir hernach sehen werden, sich in unauflösliche Widersprüche mit sich selbst verwickelt. – Nachdem er die ganze Sinnenwelt abgefertigt hat mit dem Nichtssagenden »sie ist gegeben«, macht er nun, wie gesagt, die logische Tafel der Urtheile zum Grundstein seines Gebäudes. Aber hier besinnt er sich auch nicht einen Augenblick über Das, was jetzt eigentlich vor ihm liegt. Diese Formen der Urtheile sind ja Worte und Wortverbindungen. Es sollte doch zuerst gefragt werden, was diese unmittelbar bezeichnen: es hätte sich gefunden, daß dies Begriffe sind. Die nächste Frage wäre dann gewesen nach dem Wesen der Begriffe. Aus ihrer Beantwortung hätte sich ergeben, welches Verhältniß diese zu den anschaulichen Vorstellungen, in denen die Welt dasteht, haben: da wäre Anschauung und Reflexion auseinandergetreten. Nicht bloß wie die reine und nur formale Anschauung a priori, sondern auch wie ihr Gehalt, die empirische Anschauung, ins Bewußtsein kommt, hätte nun untersucht werden müssen. Dann aber hätte sich gezeigt, welchen Antheil hieran der Verstand hat, also auch überhaupt was der Verstand und was dagegen eigentlich die Vernunft sei, deren Kritik hier geschrieben wird. Es ist höchst auffallend, daß er dieses Letztere auch nicht ein einziges Mal ordentlich und genügend bestimmt; sondern er giebt nur gelegentlich und wie der jedesmalige Zusammenhang es fordert, unvollständige und unrichtige Erklärungen von ihr; ganz im Widerspruch mit der oben beigebrachten Regel des Kartesius Hier sei bemerkt, daß ich die »Kritik der reinen Vernunft« überall nach der Seitenzahl der ersten Auflage citire, da in der Rosenkranzischen Ausgabe der gesammten Werke diese Seitenzahl durchgängig beigegeben ist: außerdem füge ich, mit vorgesetzter V, die Seitenzahl der fünften Auflage hinzu; dieser sind alle übrigen, von der zweiten an, gleichlautend, also auch wohl in der Seitenzahl., z .B. S. 11; V, 24, der »Kritik der reinen Vernunft« ist sie das Vermögen der Principien a priori; S. 299; V, 356, heißt es abermals, die Vernunft sei das Vermögen der Principien und sie wird dem Verstande entgegengesetzt, als welcher das Vermögen der Regeln sei! Nun sollte man denken, zwischen Principien und Regeln müsse ein himmelweiter Unterschied seyn, da er berechtigt, für jede derselben ein besonderes Erkenntnißvermögen anzunehmen. Allein dieser große Unterschied soll bloß darin liegen, daß was aus der reinen Anschauung, oder durch die Formen des Verstandes, a priori erkannt wird, eine Regel sei, und nur was aus bloßen Begriffen a priori hervorgeht, ein Princip. Auf diese willkürliche und unstatthafte Unterscheidung werden wir nachher bei der Dialektik zurückkommen. S. 330; V, 386, ist die Vernunft das Vermögen zu schließen: das bloße Urtheilen erklärt er öfter (S. 69; V, 94) für das Geschäft des Verstandes. Damit sagt er nun aber eigentlich: Urtheilen ist das Geschäft des Verstandes, so lange der Grund des Urtheils empirisch, transscendental, oder metalogisch ist (Abhandlung über den Satz vom Grund, § 31, 32, 33); ist er aber logisch, als worin der Schluß besteht, so agirt hier ein ganz besonderes, viel vorzüglicheres Erkenntnißvermögen, die Vernunft. Ja, was noch mehr ist, S. 303; V, 360, wird auseinandergesetzt, daß die unmittelbaren Folgerungen aus einem Satze noch Sache des Verstandes wären, und nur die, wo ein vermittelnder Begriff gebraucht wird, von der Vernunft verrichtet würden; und als Beispiel wird angeführt, aus dem Satz: »Alle Menschen sind sterblich«, sei die Folgerung: »Einige Sterbliche sind Menschen« noch durch den bloßen Verstand gezogen: hingegen diese: »Alle Gelehrte sind sterblich« erfordere ein ganz anderes und viel vorzüglicheres Vermögen, die Vernunft. Wie war es möglich, daß ein großer Denker so etwas vorbringen konnte! S. 553; V, 581, ist mit einem Male die Vernunft die beharrliche Bedingung aller willkürlichen Handlungen. S. 614; V, 642, besteht sie darin, daß wir von unseren Behauptungen Rechenschaft geben können: S. 643, 644; V, 671, 672, darin, daß sie die Begriffe des Verstandes zu Ideen vereinigt, wie der Verstand das Mannigfaltige der Objekte zu Begriffen. S. 646; V, 674, ist sie nichts Anderes, als das Vermögen das Besondere aus dem Allgemeinen abzuleiten.
Der Verstand wird ebenfalls immer wieder von Neuem erklärt: an sieben Stellen der »Kritik der reinen Vernunft«, S. 51; V, 75, ist er das Vermögen, Vorstellungen selbst hervorzubringen. S. 69; V, 94, das Vermögen zu urtheilen, d. h. zu denken, d. h. durch Begriffe zu erkennen. S. 137, fünfte Auflage, im Allgemeinen das Vermögen der Erkenntnisse. S. 132; V, 171, das Vermögen der Regeln. S. 158; V, 197, aber wird gesagt: »er ist nicht nur das Vermögen der Regeln, sondern der Quell der Grundsätze, nach welchem alles unter Regeln steht«; und dennoch ward er oben der Vernunft entgegengesetzt, weil diese allein das Vermögen der Principien wäre. S. 160; V, 199, ist der Verstand das Vermögen der Begriffe: S. 302; V, 359, aber das Vermögen der Einheit der Erscheinungen vermittelst der Regeln.
Die von mir aufgestellten, festen, scharfen, bestimmten, einfachen und mit dem Sprachgebrauch aller Völker und Zeiten stets übereinkommenden Erklärungen jener zwei Erkenntnißvermögen werde ich nicht nöthig haben gegen solche (obwohl sie von Kant ausgehen) wahrhaft konfuse und grundlose Reden darüber zu vertheidigen. Ich habe diese nur angeführt als Belege meines Vorwurfs, daß Kant sein symmetrisches, logisches System verfolgt, ohne sich über den Gegenstand, den er so behandelt, genugsam zu besinnen.
Hätte nun Kant, wie ich oben sagte, ernstlich untersucht, inwiefern zwei solche verschiedene Erkenntnißvermögen, davon eines das Unterscheidende der Menschheit ist, sich zu erkennen geben, und was, gemäß dem Sprachgebrauch aller Völker und aller Philosophen, Vernunft und Verstand heiße; so hätte er auch nie, ohne weitere Autorität, als den in ganz anderem Sinne gebrauchten intellectus theoreticus und practicus der Scholastiker, die Vernunft in eine theoretische und praktische zerfällt, und letztere zur Quelle des tugendhaften Handelns gemacht. Ebenso, bevor Kant Verstandesbegriffe (worunter er theils seine Kategorien, theils alle Gemeinbegriffe versteht) und Vernunftbegriffe (seine sogenannten Ideen) so sorgfältig sonderte und beide zum Material seiner Philosophie machte, die größtentheils nur von der Gültigkeit, Anwendung, Ursprung aller dieser Begriffe handelt; – zuvor, sage ich, hätte er doch wahrlich untersuchen sollen, was denn überhaupt ein Begriff sei. Allein auch diese so nothwendige Untersuchung ist leider ganz unterblieben; was viel beigetragen hat zu der heillosen Vermischung intuitiver und abstrakter Erkenntniß;, die ich bald nachweisen werde. – Der selbe Mangel an hinlänglichem Besinnen, mit welchem er die Fragen übergieng: was ist Anschauung? was ist Reflexion? was Begriff? was Vernunft? was Verstand? – ließ ihn auch folgende ebenso unumgänglich nöthige Untersuchungen übergehen: was nenne ich den Gegenstand, den ich von der Vorstellung unterscheide? was ist Daseyn? was Objekt? was Subjekt? was Wahrheit, Schein, Irrthum? – Aber er verfolgt, ohne sich zu besinnen oder umzusehen, sein logisches Schema und seine Symmetrie. Die Tafel der Urtheile soll und muß der Schlüssel zu aller Weisheit seyn.
Ich habe es oben als das Hauptverdienst Kants aufgestellt, daß er die Erscheinung vom Dinge an sich unterschied, diese ganze sichtbare Welt für Erscheinung erklärte und daher den Gesetzen derselben alle Gültigkeit über die Erscheinung hinaus absprach. Es ist allerdings ausfallend, daß er jene bloß relative Existenz der Erscheinung nicht aus der einfachen, so nahe liegenden, unleugbaren Wahrheit » Kein Objekt ohne Subjekt« ableitete, um so, schon an der Wurzel, das Objekt, weil es durchaus immer nur in Beziehung aus ein Subjekt da ist, als von diesem abhängig, durch dieses bedingt und daher als bloße Erscheinung, die nicht an sich, nicht unbedingt existirt, darzustellen. Jenen wichtigen Satz hatte bereits Berkeley, gegen dessen Verdienst Kant nicht gerecht ist, zum Grundstein seiner Philosophie gemacht und dadurch sich ein unsterbliches Andenken gestiftet, obwohl er selbst nicht die gehörigen Folgerungen aus jenem Satze zog und sodann theils nicht verstanden, theils nicht genugsam beachtet wurde. Ich hatte, in meiner ersten Auflage, Kants Umgehen dieses Berkeleyschen Satzes aus einer sichtbaren Scheu vor dem entschiedenen Idealismus erklärt; während ich diesen andererseits in vielen Stellen der »Kritik der reinen Vernunft« deutlich ausgesprochen fand; und hatte demnach Kanten des Widerspruchs mit sich selbst geziehen. Auch war dieser Vorwurf gegründet, sofern man, wie es damals mein Fall war, die »Kritik der reinen Vernunft« bloß in der zweiten, oder den nach ihr abgedruckten fünf folgenden Auslasen kennt. Als ich nun aber später Kants Hauptwerk in der bereits selten gewordenen ersten Auflage las, sah ich, zu meiner großen Freude, alle jene Widersprüche verschwinden, und fand, daß Kant, wenn er gleich nicht die Formel »kein Objekt ohne Subjekt« gebraucht, doch, mit eben der Entschiedenheit wie Berkeley und ich, die in Raum und Zeit vorliegende Außenwelt für bloße Vorstellung des sie erkennenden Subjekts erklärt; daher er z. B. S. 383 daselbst ohne Rückhalt sagt: »Wenn ich das denkende Subjekt wegnehme, muß die ganze Körperwelt fallen, als die nichts ist, als die Erscheinung in der Sinnlichkeit unseres Subjekts und eine Art Vorstellungen desselben.« Aber die ganze Stelle von S. 348-392, in welcher Kant seinen entschiedenen Idealismus überaus schön und deutlich dargelegt, wurde von ihm in der zweiten Auflage supprimirt und dagegen eine Menge ihr widerstreitender Aeußerungen hineingebracht. Dadurch ist denn der Text der »Kritik der reinen Vernunft«, wie er vom Jahr 1787 an bis zum Jahr 1838 cirkulirt hat, ein verunstalteter und verdorbener geworden, und dieselbe ein sich selbst widersprechendes Buch gewesen, dessen Sinn eben deshalb Niemanden ganz klar und verständlich seyn konnte. Das Nähere hierüber, wie auch meine Vermuthungen über die Gründe und Schwächen, welche Kanten zu einer solchen Verunstaltung seines unsterblichen Werkes haben bewegen können, habe ich dargelegt in einem Briefe an Herrn Professor Rosenkranz, dessen Hauptstelle derselbe in seiner Vorrede zum zweiten Bande der von ihm besorgten Ausgabe der sämmtlichen Werke Kants aufgenommen hat, wohin ich also hier verweise. In Folge meiner Vorstellungen nämlich hat im Jahre 1838 Herr Professor Rosenkranz sich bewogen gefunden, die »Kritik der reinen Vernunft« in ihrer ursprünglichen Gestalt wieder herzustellen, indem er sie, in besagtem zweiten Bande, nach der ersten Auflage von 1781 abdrucken ließ, wodurch er sich um die Philosophie ein unschätzbares Verdienst erworben, ja das wichtigste Werk der Deutschen Litteratur vielleicht vom Untergänge gerettet hat; und dies soll man ihm nie vergessen. Aber Keiner bilde sich ein, die »Kritik der reinen Vernunft« zu kennen und einen deutlichen Begriff von Kants Lehre zu haben, wenn er jene nur in der zweiten, oder einer der folgenden Auflagen gelesen hat; das ist schlechterdings unmöglich: denn er hat nur einen verstümmelten, verdorbenen, gewissermaaßen unächten Text gelesen. Es ist meine Pflicht, Dies hier entschieden und zu Jedermanns Warnung auszusprechen.
Mit der in der ersten Auflage der »Kritik der reinen Vernunft« so deutlich ausgesprochenen, entschieden idealistischen Grundansicht steht jedoch die Art, wie Kant das Ding an sich einführt, in unleugbarem Widerspruch, und ohne Zweifel ist dies der Hauptgrund, warum er in der zweiten Auflage die angegebene idealistische Hauptstelle supprimirte, und sich geradezu gegen den Berkeleyschen Idealismus erklärte, wodurch er jedoch nur Inkonsequenzen in sein Werk brachte, ohne dem Hauptgebrechen desselben abhelfen zu können. Dieses ist bekanntlich die Einführung des Dinges an sich, auf die von ihm gewählte Weise, deren Unstatthaftigkeit von G. E. Schulze im »Aenesidemus« weitläufig dargethan und bald als der unhaltbare Punkt seines Systems anerkannt wurde. Die Sache läßt sich mit sehr Wenigem deutlich machen. Kant gründet die Voraussetzung des Dinges an sich, wiewohl unter mancherlei Wendungen verdeckt, auf einen Schluß nach dem Kausalitätsgesetz, daß nämlich die empirische Anschauung, richtiger die Empfindung in unsern Sinnesorganen, von der sie ausgeht, eine äußere Ursache haben müsse. Nun aber ist, nach seiner eigenen und richtigen Entdeckung, das Gesetz der Kausalität uns a priori bekannt, folglich eine Funktion unseres Intellekts, also subjektiven Ursprungs; ferner ist die Sinnesempfindung selbst, auf welche wir hier das Kausalitätsgesetz anwenden, unleugbar subjektiv; und endlich sogar der Raum, in welchen wir mittelst dieser Anwendung die Ursache der Empfindung als Objekt versetzen, ist eine a priori gegebene, folglich subjektive Form unsers Intellekts. Mithin bleibt die ganze empirische Anschauung durchweg auf subjektivem Grund und Boden, als ein bloßer Vorgang in uns, und nichts von ihr gänzlich Verschiedenes, von ihr Unabhängiges, läßt sich als ein Ding an sich hineinbringen, oder als nothwendige Voraussetzung darthun. Wirklich ist und bleibt die empirische Anschauung unsere bloße Vorstellung: es ist die Welt als Vorstellung. Zum Wesen an sich dieser können wir nur auf dem ganz anderartigen, von mir eingeschlagenen Wege, mittelst Hinzuziehung des Selbstbewußtseyns, welches den Willen als das Ansich unserer eigenen Erscheinung kund giebt, gelangen: dann aber wird das Ding an sich ein von der Vorstellung und ihren Elementen toto genere Verschiedenes; wie ich dies ausgeführt habe.
Das, wie gesagt, früh nachgewiesene, große Gebrechen des Kantischen Systems in diesem Punkt ist ein Beleg zu dem schönen Indischen Sprichwort: »Kein Lotus ohne Stengel.« Die fehlerhafte Ableitung des Dinges an sich ist hier der Stengel: jedoch auch nur die Art der Ableitung, nicht die Anerkennung eines Dinges an sich zur gegebenen Erscheinung. Auf diese letztere Weise aber mißverstand es Fichte; was er nur konnte, weil es ihm nicht um die Wahrheit zu thun war, sondern um Aufsehen, zur Beförderung seiner persönlichen Zwecke. Demnach war er dreist und gedankenlos genug, das Ding an sich ganz abzuleugnen und ein System aufzustellen, in welchem nicht, wie bei Kant, das bloß Formale der Vorstellung, sondern auch das Materiale, der gesammte Inhalt derselben, vorgeblich a priori aus dem Subjekt abgeleitet wurde. Er rechnete dabei ganz richtig auf die Urteilslosigkeit und Niaiserie des Publikums, welches schlechte Sophismen, bloßen Hokuspokus und unsinniges Wischiwaschi für Beweise hinnahm; so daß es ihm glückte, die Aufmerksamkeit desselben von Kant auf sich zu lenken und der Deutschen Philosophie die Richtung zu geben, in welcher sie nachher von Schelling weiter Geführt wurde und endlich in der unsinnigen Hegelschen Afterweisheit ihr Ziel erreichte.
Ich komme jetzt auf den schon oben berührten großen Fehler Kants zurück, daß er die anschauliche und die abstrakte Erkenntniß nicht gehörig gesondert hat, woraus eine heillose Konfusion entstanden ist, die wir jetzt näher zu betrachten haben. Hätte er die anschaulichen Vorstellungen von den bloß in abstracto gedachten Begriffen scharf getrennt, so würde er diese beiden auseinander gehalten und jedesmal gewußt haben, mit welchen von beiden er es zu thun hätte. Dies ist nun leider nicht der Fall gewesen, obgleich der Vorwurf darüber noch nicht laut geworden, also vielleicht unerwartet ist. Sein »Objekt der Erfahrung«, davon er beständig redet, der eigentliche Gegenstand der Kategorien, ist nicht die anschauliche Vorstellung, ist aber auch nicht der abstrakte Begriff, sondern von beiden verschieden, und doch beides zugleich, und ein völliges Unding. Denn es hat ihm, so unglaublich dies scheint, an Besonnenheit, oder aber an gutem Willen gefehlt, um hierüber mit sich selbst ins Reine zu kommen und sich und Anderen deutlich zu erklären, ob sein »Gegenstand der Erfahrung, d. h. der durch Anwendung der Kategorien zu Stande kommenden Erkenntniß«, die anschauliche Vorstellung in Raum und Zeit (meine erste Klasse der Vorstellungen) ist, oder bloß der abstrakte Begriff. Ihm schwebt, so seltsam es auch ist, beständig ein Mittelding von beiden vor, und daher kommt die unsälige Verwirrung, die ich jetzt ans Licht ziehen muß: zu welchem Zweck ich die ganze Elementarlehre im Allgemeinen durchzugehen habe.
Die transscendentale Aesthetik ist ein so überaus verdienstvolles Werk, daß es allein hinreichen könnte, Kants Namen zu verewigen. Ihre Beweise haben so volle Ueberzeugungskraft, daß ich die Lehrsätze derselben den unumstößlichen Wahrheiten beizähle, wie sie ohne Zweifel auch zu den folgenreichsten gehören, mithin als das Seltenste auf der Welt, nämlich eine wirkliche, große Entdeckung in der Metaphysik, zu betrachten sind. Die von ihm streng bewiesene Thatsache, daß ein Theil unserer Erkenntnisse uns a priori bewußt ist, läßt gar keine andere Erklärung zu, als daß diese die Formen unseres Intellekts ausmachen: ja, dies ist weniger eine Erklärung, als eben nur der deutliche Ausdruck der Thatsache selbst. Denn a priori bedeutet nichts Anderes, als »nicht auf dem Wege der Erfahrung gewonnen, also nicht von Außen in uns gekommen«. Was nun aber, ohne von Außen gekommen zu seyn, im Intellekt vorhanden ist, ist eben das ihm selbst ursprünglich Angehörige, sein eigenes Wesen. Besteht nun dies so in ihm selbst Vorhandene in der allgemeinen Art und Weise, wie alle seine Gegenstände ihm sich darstellen müssen; nun, so ist damit gesagt, daß es die Formen seines Erkenntniß sind, d. h. die ein für alle Mal festgestellte Art und Weise, wie er diese seine Funktion vollzieht. Demnach sind »Erkenntnisse a priori« und »selbsteigene Formen des Intellekts« im Grunde nur zwei Ausdrücke für die selbe Sache, also gewissermaaßen Synonyma.
Von den Lehren der transscendentalen Aesthetik wüßte ich daher nichts hinwegzunehmen, nur Einiges hinzuzusetzen. Besonders nämlich ist Kant mit seinen Gedanken nicht zu Ende gekommen darin: daß er nicht die ganze Eukleidische Demonstrirmethode verwarf, nachdem er doch S. 87; V, 120, gesagt hatte, alle geometrische Erkenntniß habe aus der Anschauung unmittelbare Evidenz. Es ist höchst merkwürdig, daß sogar einer seiner Gegner, und zwar der scharfsinnigste derselben, G. E. Schulze (Kritik der theoretischen Philosophie, II, 241). den Schluß macht, daß aus Kants Lehre eine ganz andere Behandlung der Geometrie hervorgehen würde, als die wirklich übliche ist; wodurch er einen apagogischen Beweis gegen Kant zu führen vermeint, in der That aber gegen die Eukleidische Methode den Krieg anfängt, ohne es zu wissen. Ich berufe mich auf §. 15 im ersten Buch gegenwärtiger Schrift.
Nach der in der transscendentalen Aesthetik gegebenen, ausführlichen Erörterung der allgemeinen Formen der Anschauung muß man erwarten, doch einige Aufklärung zu erhalten über den Inhalt derselben, über die Art wie die empirische Anschauung in unser Bewußtseyn kommt, wie die Erkenntniß dieser ganzen, für uns so realen und so wichtigen Welt in uns entsteht. Allein darüber enthält die ganze Lehre Kants eigentlich nichts weiter, als den oft wiederholten, nichtssagenden Ausdruck: »Das Empirische der Anschauung wird von Außen gegeben.« – Dieserhalb gelangt Kant denn auch hier von den reinen Formen der Anschauung, durch einen Sprung, zum Denken, zur transscendentalen Logik. Gleich am Eingange derselben (Kritik der reinen Vernunft, S. 50; V, 74), wo Kant den materialen Gehalt der empirischen Anschauung zu berühren nicht umhin kann, thut er den ersten falschen Schritt, begeht das πϱωτον ψευδος. »Unsere Erkenntniß«, sagt er, »hat zwei Quellen, nämlich Receptivität der Eindrücke und Spontaneität der Begriffe: die erste ist die Fähigkeit Vorstellungen zu empfangen, die zweite die, einen Gegenstand durch diese Vorstellungen zu erkennen: durch die erste wird uns ein Gegenstand gegeben, durch die zweite wird er gedacht.« – Das ist falsch: denn danach wäre der Eindruck, für den allein wir bloße Receptivität haben, der also von Außen kommt und allein eigentlich » gegeben« ist, schon eine Vorstellung, ja sogar schon ein Gegenstand. Er ist aber nichts weiter, als eine bloße Empfindung im Sinnesorgan, und erst durch Anwendung des Verstandes (d. i. des Gesetzes der Kausalität) und der Anschauungsformen des Raumes und der Zeit wandelt unser Intellekt diese bloße Empfindung in eine Vorstellung um, welche nunmehr als Gegenstand in Raum und Zeit dasteht und von letzterem (dem Gegenstand) nicht anders unterschieden werden kann, als sofern man nach dem Dinge an sich frägt, außerdem aber mit ihm identisch ist. Diesen Hergang habe ich ausführlich dargelegt in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, § 21. Damit ist aber das Geschäft des Verstandes und der anschauenden Erkenntniß vollbracht, und es bedarf dazu keiner Begriffe und keines Denkens: daher diese Vorstellungen auch das Thier hat. Kommen Begriffe, kommt Denken hinzu, welchem allerdings Spontaneität beigelegt werden kann; so wird die anschauende Erkenntniß gänzlich verlassen, und eine völlig andere Klasse von Vorstellungen, nämlich nichtanschauliche, abstrakte Begriffe, tritt ins Bewußtseyn: dies ist die Thätigkeit der Vernunft, welche jedoch den ganzen Inhalt ihres Denkens allein aus der diesem vorhergegangenen Anschauung und Vergleichung desselben mit anderen Anschauungen und Begriffen hat. So aber bringt Kant das Denken schon in die Anschauung und legt den Grund zu der heillosen Vermischung der intuitiven und abstrakten Erkenntniß, welche zu rügen ich hier beschäftigt bin. Er läßt die Anschauung, für sich genommen, verstandlos, rein sinnlich, also ganz passiv seyn, und erst durch das Denken (Verstandeskategorie) einen Gegenstand aufgefaßt werden: so bringt er das Denken in die Anschauung. Dann ist aber wiederum der Gegenstand des Denkens ein einzelnes, reales Objekt: wodurch das Denken seinen wesentlichen Charakter der Allgemeinheit und Abstraktion einbüßt und statt allgemeiner Begriffe einzelne Dinge zum Objekt erhält, wodurch er wieder das Anschauen in das Denken bringt. Daraus entspringt die besagte heillose Vermischung, und die Folgen dieses ersten falschen Schrittes erstrecken sich über seine ganze Theorie des Erkennens. Durch das Ganze derselben zieht sich die gänzliche Vermischung der anschaulichen Vorstellung mit der abstrakten zu einem Mittelding von beiden, welches er als den Gegenstand der Erkenntniß durch den Verstand und dessen Kategorien darstellt und diese Erkenntniß Erfahrung nennt. Es ist schwer zu glauben, daß Kant selbst sich etwas völlig Bestimmtes und eigentlich Deutliches bei diesem Gegenstand des Verstandes gedacht habe: dieses werde ich jetzt beweisen, durch den ungeheuern Widerspruch, der durch die ganze transscendentale Logik geht und die eigentliche Quelle der Dunkelheit ist, die sie umhüllt.
Nämlich in der »Kritik der reinen Vernunft«, S. 67-69; V, 92-94; S. 89, 90; V, 122, 123; ferner V, 135, 139, 153, wiederholt er und schärft ein: der Verstand sei kein Vermögen der Anschauung, seine Erkenntniß sei nicht intuitiv, sondern diskursiv; der Verstand sei das Vermögen zu urtheilen (S. 69; V, 94), und ein Urtheil sei mittelbare Erkenntniß, Vorstellung einer Vorstellung (S. 68; V, 93); der Verstand sei das Vermögen zu denken, und denken sei die Erkenntniß durch Begriffe (S. 69; V, 94); die Kategorien des Verstandes seien keineswegs die Bedingungen, unter denen Gegenstände in der Anschauung gegeben werden (S. 89; V, 122), und die Anschauung bedürfe der Funktionen des Denkens auf keine Weise (S. 91; V, 123); unser Verstand könne nur denken, nicht anschauen (V, S. 135, 139). Ferner in den Prolegomenen, §. 20: Anschauung, Wahrnehmung, perceptio, gehöre bloß den Sinnen an, das Urtheilen komme allein dem Verstande zu; und §. 22: die Sache der Sinne sei anzuschauen, die des Verstandes zu denken, d. i. zu urtheilen. – Endlich noch in der »Kritik der praktischen Vernunft«, vierte Auflage, S. 247; Rosenkranzische Ausgabe S. 281: der Verstand ist diskursiv, seine Vorstellungen sind Gedanken, nicht Anschauungen. – Alles dieses sind Kants eigene Worte.
Hieraus folgt, daß diese anschauliche Welt für uns da wäre, auch wenn wir gar keinen Verstand hätten, daß sie auf eine ganz unerklärliche Weise in unsern Kopf kommt, welches er eben durch seinen wunderlichen Ausdruck, die Anschauung wäre gegeben, häufig bezeichnet, ohne diesen unbestimmten und bildlichen Ausdruck je weiter zu erklären.
Aber nun widerspricht allem Angeführten auf das schreiendeste seine ganze übrige Lehre vom Verstande, von dessen Kategorien und von der Möglichkeit der Erfahrung, wie er solche in der transscendentalen Logik vorträgt. »Nämlich »Kritik der reinen Vernunft«, S. 79; V, 105, bringt der Verstand durch seine Kategorien Einheit in das Mannigfaltige der Anschauung, und die reinen Verstandesbegriffe gehen a priori auf Gegenstände der Anschauung. S. 94; V, 126, sind die Kategorien Bedingung der Erfahrung, es sei der Anschauung oder des Denkens, das in ihr angetroffen wird«. V, S. 127, ist der Verstand Urheber der Erfahrung. V, S. 128, bestimmen die Kategorien die Anschauung der Gegenstände. V, S. 130, ist Alles, was wir uns im Objekt (das doch wohl ein Anschauliches und kein Abstraktum ist) als verbunden vorstellen, erst durch eine Verstandeshandlung verbunden worden. V, S. 135, wird der Verstand von Neuem erklärt, als das Vermögen a priori zu verbinden und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter die Einheit der Apperception zu bringen: aber, nach allem Sprachgebrauch, ist die Apperception nicht das Denken eines Begriffs, sondern ist Anschauung. V, S. 136, finden wir gar einen obersten Grundsatz der Möglichkeit aller Anschauung in Beziehung auf den Verstand. V, S. 143, steht sogar als Ueberschrift, daß alle sinnliche Anschauung durch die Kategorien bedingt sei. Ebendaselbst bringt die logische Funktion der Urtheile auch das Mannigfaltige gegebener Anschauungen unter eine Apperception überhaupt, und das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung steht nothwendig unter den Kategorien. V, S. 144, kommt Einheit in die Anschauung, mittelst der Kategorien, durch den Verstand. V, S. 145, wird das Denken des Verstandes sehr seltsam dadurch erklärt, daß er das Mannigfaltige der Anschauung synthesirt, verbindet und ordnet. V, S. 161, ist Erfahrung nur durch die Kategorien möglich und besteht in der Verknüpfung der Wahrnehmungen, die denn doch wohl Anschauungen sind. V, S. 159, sind die Kategorien Erkenntnisse a priori von Gegenständen der Anschauung überhaupt. – Ferner wird hier und V, S. 163 und 165, eine Hauptlehre Kants vorgetragen, diese: daß der Verstand die Natur allererst möglich mache, indem er ihr Gesetze a priori vorschreibe und sie sich nach seiner Gesetzmäßigkeit richte u. s. w. Nun ist aber die Natur doch wohl ein Anschauliches und kein Abstraktum; der Verstand müßte demnach ein Vermögen der Anschauung sein. V, S. 168, wird gesagt, die Verstandesbegriffe seien die Principien der Möglichkeit der Erfahrung, und diese sei die Bestimmung der Erscheinungen in Raum und Zeit überhaupt; welche Erscheinungen denn doch wohl in der Anschauung dasind. Endlich, S. 189-211; V, 232-265, steht der lange Beweis (dessen Unrichtigkeit in meiner Abhandlung über den Satz vom Grunde, §. 23, ausführlich gezeigt ist), daß die objektive Succession und auch das Zugleichseyn der Gegenstände der Erfahrung nicht sinnlich wahrgenommen, sondern allein durch den Verstand in die Natur gebracht werden, welche selbst dadurch erst möglich wird. Gewiß ist aber doch die Natur, die Folge der Begebenheiten und das Zugleichseyn der Zustände lauter Anschauliches und kein bloß abstrakt Gedachtes.
Ich fordere Jeden, der mit mir die Verehrung gegen Kant theilt, auf, diese Widersprüche zu vereinigen, und zu zeigen, daß Kant bei seiner Lehre vom Objekt der Erfahrung und der Art, wie es durch die Thätigkeit des Verstandes und seiner zwölf Funktionen bestimmt wird, etwas ganz Deutliches und Bestimmtes gedacht habe. Ich bin überzeugt, daß der nachgewiesene Widerspruch, der sich durch die ganze transscendentale Logik zieht, der eigentliche Grund der großen Dunkelheit des Vortrags in derselben ist. Kant war sich nämlich des Widerspruchs dunkel bewußt, kämpfte innerlich damit, wollte oder konnte ihn dennoch nicht zum deutlichen Bewußtseyn bringen, verschleierte ihn daher für sich und für Andere, und umgieng ihn auf allerlei Schleichwegen. Davon ist es vielleicht auch abzuleiten, daß er aus dem Erkenntnißvermögen eine so seltsame, komplicirte Maschine machte, mit so vielen Rädern, als da sind die zwölf Kategorien, die transscendentale Synthesis der Einbildungskraft, des innern Sinnes, der transscendentalen Einheit der Apperception, ferner der Schematismus der reinen Verstandesbegriffe u. s. w. Und ungeachtet dieses großen Apparats wird zur Erklärung der Anschauung der Außenwelt, die denn doch wohl die Hauptsache in unserer Erkenntniß ist, auch nicht einmal ein Versuch gemacht; sondern diese sich aufdringende Anforderung wird recht ärmlich immer durch den nämlichen, nichtssagenden, bildlichen Ausdruck abgelehnt: »Die empirische Anschauung wird uns gegeben.« S. 145 der fünften Auflage erfahren wir noch, daß dieselbe durch das Objekt gegeben wird: mithin muß dieses etwas von der Anschauung Verschiedenes seyn.
Wenn wir nun Kants innerste, von ihm selbst nicht deutlich ausgesprochene Meinung zu erforschen uns bemühen; so finden wir, daß wirklich ein solches, von der Anschauung verschiedenes Objekt, das aber auch keineswegs ein Begriff ist, ihm der eigentliche Gegenstand für den Verstand ist, ja, daß die sonderbare Voraussetzung eines solchen unvorstellbaren Gegenstandes es eigentlich seyn soll, wodurch allererst die Anschauung zur Erfahrung wird. Ich glaube, daß ein altes, eingewurzeltes, aller Untersuchung abgestorbenes Vorurtheil in Kant der letzte Grund ist von der Annahme eines solchen absoluten Objekts, welches an sich, d. h. auch ohne Subjekt, Objekt ist. Es ist durchaus nicht das angeschaute Objekt, sondern es wird durch den Begriff zur Anschauung hinzugedacht, als etwas derselben Entsprechendes, und nunmehr ist die Anschauung Erfahrung und hat Werth und Wahrheit, die sie folglich erst durch die Beziehung auf einen Begriff erhält (im diametralen Gegensatz gegen unsere Darstellung, nach welcher der Begriff allein von der Anschauung Werth und Wahrheit erhält). Das Hinzudenken dieses direkt nicht vorstellbaren Objekts zur Anschauung ist dann die eigentliche Funktion der Kategorien. »Nur durch Anschauung wird der Gegenstand gegeben, der hernach der Kategorie gemäß gedacht wird.« (Kritik der reinen Vernunft, erste Auflage, S. 399.) Besonders deutlich wird dies aus einer Stelle, S. 125 der fünften Auflage: »Nun fragt es sich, ob nicht auch Begriffe a priori vorausgehen, als Bedingungen, unter denen allein etwas, wenn gleich nicht angeschaut, dennoch als Gegenstand überhaupt gedacht wird«, welches er bejaht. Hier zeigt sich deutlich die Quelle des Irrthums und der ihn umhüllenden Konfusion. Denn der Gegenstand als solcher ist allemal nur für die Anschauung und in ihr da: sie mag nun durch die Sinne, oder, bei seiner Abwesenheit, durch die Einbildungskraft vollzogen werden. Was hingegen gedacht wird, ist allemal ein allgemeiner, nicht anschaulicher Begriff, der allenfalls der Begriff von einem Gegenstande überhaupt seyn kann: aber nur mittelbar, mittelst der Begriffe, bezieht sich das Denken auf Gegenstände, als welche selbst allezeit anschaulich sind und bleiben. Denn unser Denken dient nicht dazu, den Anschauungen Realität zu verleihen: diese haben sie, soweit sie ihrer fähig sind (empirische Realität) durch sich selbst; sondern es dient, das Gemeinsame und die Resultate der Anschauungen zusammenzufassen, um sie aufbewahren und leichter handhaben zu können. Kant aber schreibt die Gegenstände selbst dem Denken zu, um dadurch die Erfahrung und die objektive Welt vom Verstande abhängig zu machen, ohne jedoch diesen ein Vermögen der Anschauung seyn zu lassen. In dieser Beziehung unterscheidet er allerdings das Anschauen vom Denken, macht aber die einzelnen Dinge zum Gegenstande theils der Anschauung, theils des Denkens. Wirklich aber sind sie nur Ersteres: unsere empirische Anschauung ist sofort objektiv; eben weil sie vom Kausalnexus ausgeht. Ihr Gegenstand sind unmittelbar die Dinge, nicht von diesen verschiedene Vorstellungen. Die einzelnen Dinge werden als solche angeschaut im Verstande und durch die Sinne: der einseitige Eindruck auf diese wird dabei sofort durch die Einbildungskraft ergänzt. Sobald wir hingegen zum Denken übergehen, verlassen wir die einzelnen Dinge und haben es mit allgemeinen Begriffen ohne Anschaulichkeit zu thun; wenn wir gleich die Resultate unseres Denkens nachher auf die einzelnen Dinge anwenden. Wenn wir Dieses festhalten, so erhellt die Unzulässigkeit der Annahme, daß die Anschauung der Dinge erst durch das die zwölf Kategorien anwendende Denken eben dieser Dinge Realität erhalte und zur Erfahrung werde. Vielmehr ist in der Anschauung selbst schon die empirische Realität, mithin die Erfahrung gegeben: allein die Anschauung kann auch nur zu Stande kommen mittelst Anwendung der Erkenntniß vom Kausalnexus, welche die einzige Funktion des Verstandes ist, auf die Sinnesempfindung. Die Anschauung ist demnach wirklich intellektual, was gerade Kant leugnet.
Die hier kritisirte Annahme Kants findet man, außer der angeführten Stelle, auch noch vorzüglich deutlich ausgesprochen in der »Kritik der Urtheilskraft«, §. 36, gleich Anfangs; desgleichen in den »Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft«, in der Anmerkung zur ersten Erklärung der »Phänomenologie«. Aber mit einer Naivetät, deren Kant bei diesem mißlichen Punkte sich am wenigsten getraute, findet man sie aufs Deutlichste dargelegt im Buche eines Kantianers, nämlich in Kiesewetters »Grundriß einer allgemeinen Logik«, dritte Auflage, Th. I, S. 434 der Auseinandersetzung, und Th. II, §. 52 und 53 der Auseinandersetzung; desgleichen in Tieftrunks »Denklehre in rein Deutschem Gewande« Da zeigt sich so recht, wie jedem Denker seine nicht selbstdenkenden Schüler zum Vergrößerungsspiegel seiner Fehler werden. Kant ist bei dieser Darstellung seiner einmal beschlossenen Kategorienlehre durchgängig leise aufgetreten, die Schüler hingegen ganz dreist, wodurch sie das Falsche der Sache bloßlegen.
Dem Gesagten zufolge ist bei Kant der Gegenstand der Kategorien zwar nicht das Ding an sich, aber doch dessen nächster Anverwandter: es ist das Objekt an sich, ist ein Objekt, das keines Subjekts bedarf, ist ein einzelnes Ding, und doch nicht in Zeit und Raum, weil nicht anschaulich, ist Gegenstand des Denkens, und doch nicht abstrakter Begriff. Demnach unterscheidet Kant eigentlich dreierlei: 1) die Vorstellung; 2) den Gegenstand der Vorstellung; 3) das Ding an sich. Erstere ist Sache der Sinnlichkeit, welche bei ihm, neben der Empfindung, auch die reinen Anschauungsformen Raum und Zeit begreift. Das Zweite ist Sache des Verstandes, der es durch seine zwölf Kategorien hinzu denkt. Das Dritte liegt jenseit aller Erkennbarkeit. (Als Beleg hiezu sehe man S. 108 und 109 der ersten Auflage der »Kritik der reinen Vernunft«.) Nun ist aber die Unterscheidung der Vorstellung und des Gegenstandes der Vorstellung ungegründet: dies hatte schon Berkeley bewiesen, und es geht hervor aus meiner ganzen Darstellung im ersten Buche, besonders Kapitel 1 der Ergänzungen, ja aus Kants eigener völlig idealistischer Grundansicht in der ersten Auflage. Wollte man aber nicht den Gegenstand der Vorstellung zur Vorstellung rechnen und mit ihr identifiziren, so müßte man ihn zum Dinge an sich ziehen: dies hängt am Ende von dem Sinne ab, den man dem Worte Gegenstand beilegt. Immer aber steht Dies fest, daß, bei deutlicher Besinnung, nichts weiter zu finden ist, als Vorstellung und Ding an sich. Das unberechtigte Einschieben jenes Zwitters, Gegenstand der Vorstellung, ist die Quelle der Irrthümer Kants: mit dessen Wegnahme fällt aber auch die Lehre von den Kategorien als Begriffen a priori dahin; da sie zur Anschauung nichts beitragen und vom Dinge an sich nicht gelten sollen, sondern wir mittelst ihrer nur jene »Gegenstände der Vorstellungen« denken und dadurch die Vorstellung in Erfahrung umwandeln. Denn jede empirische Anschauung ist schon Erfahrung: empirisch aber ist jede Anschauung, welche von Sinnesempfindung ausgeht: diese Empfindung bezieht der Verstand, mittelst seiner alleinigen Funktion (Erkenntniß a priori des Kausalitätsgesetzes) auf ihre Ursache, welche eben dadurch in Raum und Zeit (Formen der reinen Anschauung) sich darstellt als Gegenstand der Erfahrung, materielles Objekt, im Raum durch alle Zeit beharrend, dennoch aber auch als solches immer noch Vorstellung bleibt, wie eben Raum und Zeit selbst. Wollen wir über diese Vorstellung hinaus, so stehen wir bei der Frage nach dem Ding an sich, welche zu beantworten das Thema meines ganzen Werkes, wie aller Metaphysik überhaupt ist. Mit dem hier dargelegten Irrthume Kants steht in Verbindung sein früher gerügter Fehler, daß er keine Theorie der Entstehung der empirischen Anschauung giebt, sondern diese ohne Weiteres gegeben seyn läßt, sie identifizirend mit der bloßen Sinnesempfindung, der er nur noch die Anschauungsformen Raum und Zeit beigiebt. beide unter dem Namen Sinnlichkeit begreifend. Aber aus diesen Materialien entsteht noch keine objektive Vorstellung: vielmehr erfordert diese schlechterdings Beziehung der Empfindung auf ihre Ursache, also Anwendung des Kausalitätsgesetzes, also Verstand; da ohne Dieses die Empfindung immer noch subjektiv bleibt und kein Objekt in den Raum versetzt, auch wenn ihr dieser beigegeben ist. Aber bei Kant durste der Verstand nicht zur Anschauung verwendet werden: er sollte bloß denken, um innerhalb der transscendentalen Logik zu bleiben. Hiemit hängt wieder ein anderer Fehler Kants zusammen: daß er für die richtig erkannte Apriorität des Kausalitätsgesetzes den allein gültigen Beweis, nämlich den aus der Möglichkeit der objektiven empirischen Anschauung selbst, zu führen mir überlassen hat, und statt dessen einen offenbar falschen giebt, wie ich dies schon in meiner Abhandlung über den Satz vom Grunde, §. 23, dargethan habe. – Aus Obigem ist klar, daß Kants »Gegenstand der Vorstellung« (2) zusammengesetzt ist aus Dem, was er theils der Vorstellung (1), theils dem Ding an sich (3) geraubt hat. Wenn wirklich die Erfahrung nur dadurch zu Stande käme, daß unser Verstand zwölf verschiedene Funktionen anwendete, um durch eben so viele Begriffe a priori die Gegenstände, welche vorher bloß angeschaut wurden, zu denken; so müßte jedes wirkliche Ding als solches eine Menge Bestimmungen haben, welche als a priori gegeben, sich, eben wie Raum und Zeit, schlechterdings nicht wegdenken ließen, sondern ganz wesentlich zum Daseyn des Dinges gehörten, jedoch nicht abzuleiten wären aus den Eigenschaften des Raumes und der Zeit. Aber nur eine einzige dergleichen Bestimmung ist anzutreffen: die der Kausalität. Aus dieser beruht die Materialität, da das Wesen der Materie im Wirken besteht und sie durch und durch Kausalität ist (siehe Bd. II, Kap. 4). Materialität aber ist es allein, die das reale Ding vom Phantasiebilde, welches denn doch nur Vorstellung ist, unterscheidet. Denn die Materie, als beharrend, giebt dem Dinge die Beharrlichkeit durch alle Zeit, seiner Materie nach, während die Formen wechseln, in Gemäßheit der Kausalität. Alles Uebrige am Dinge sind entweder Bestimmungen des Raumes, oder der Zeit, oder seine empirischen Eigenschaften, die alle zurücklausen auf seine Wirksamkeit, also nähere Bestimmungen der Kausalität sind. Die Kausalität aber geht schon als Bedingung in die empirische Anschauung ein, welche demnach Sache des Verstandes ist, der schon die Anschauung möglich macht, außer dem Kausalitätsgesetze aber zur Erfahrung und ihrer Möglichkeit nichts beiträgt. Was die alten Ontologien füllt, ist, außer dem hier Angegebenen, nichts weiter als Verhältnisse der Dinge zu einander, oder zu unserer Reflexion, und zusammengeraffte farrago.
Ein Merkmal der Grundlosigkeit der Kategorienlehre giebt schon der Vortrag derselben. Welch ein Abstand, m dieser Hinsicht, zwischen der transscendentalen Aesthetik und der transscendentalen Analytik! Dort, welche Klarheit, Bestimmtheit, Sicherheit, feste Ueberzeugung, die sich unverhohlen ausspricht und unfehlbar mittheilt! Alles ist lichtvoll, keine finstern Schlupfwinkel sind gelassen: Kant weiß, was er will, und weiß daß er Recht hat. Hier hingegen ist Alles dunkel, verworren, unbestimmt, schwankend, unsicher, der Vortrag ängstlich, voll Entschuldigungen und Berufungen auf Kommendes, oder gar Zurückbehaltenes. Auch ist der ganze zweite und dritte Abschnitt der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe in der zweiten Auflage völlig geändert, weil er Kanten selbst nicht genügte, und ist ein ganz anderer, als in der ersten, jedoch nicht klarer geworden. Man sieht wirklich Kanten im Kampfe mit der Wahrheit, um seine einmal beschlossene Lehrmeinung durchzusetzen. In der transscendentalen Aesthetik sind alle seine Lehrsätze wirklich bewiesen, aus unleugbaren Thatsachen des Bewußtseyns; in der transscendentalen Analytik hingegen finden wir, wenn wir es beim Lichte betrachten, bloße Behauptungen, daß es so sei und seyn müsse. Also hier, wie überall, trägt der Vortrag das Gepräge des Denkens, aus dem er hervorgegangen: denn der Stil ist die Physiognomie des Geistes. – Noch ist zu bemerken, daß Kant, so oft er, zur näheren Erörterung, ein Beispiel geben will, fast jedes Mal die Kategorie der Kausalität dazu nimmt, wo das Gesagte dann richtig ausfällt, – weil eben das Kausalitätsgesetz die wirkliche, aber auch alleinige Form des Verstandes ist, und die übrigen elf Kategorien nur blinde Fenster sind. Die Deduktion der Kategorien ist in der ersten Auflage einfacher und unumwundener, als in der zweiten. Er bemüht sich darzulegen, wie nach der von der Sinnlichkeit gegebenen Anschauung, der Verstand, mittelst des Denkens der Kategorien, die Erfahrung zu Stande bringt. Dabei werden die Ausdrücke Rekognition, Reproduktion, Association, Apprehension, transscendentale Einheit der Apperception, bis zur Ermüdung wiederholt und doch keine Deutlichkeit erreicht. Höchst beachtenswerth ist es aber, daß er bei dieser Auseinandersetzung nicht ein einziges Mal berührt, was doch Jedem zuerst einfallen muß, das Beziehen der Sinnesempfindung auf ihre äußere Ursache. Wollte er dasselbe nicht gelten lassen, so mußte er es ausdrücklich leugnen: aber auch dies thut er nicht. Er schleicht also darum herum, und alle Kantianer sind ihm eben so nachgeschlichen. Das geheime Motiv hiezu ist, daß er den Kausalnexus unter dem Namen »Grund der Erscheinung« für seine falsche Ableitung des Dinges an sich ausspart; und nächstdem, daß durch die Beziehung auf die Ursache die Anschauung intellektuell würde, was er nicht zugeben darf. Ueberdies scheint er gefürchtet zu haben, daß wenn man den Kausalnexus zwischen Sinnesempfindung und Objekt gelten läßt, letzteres sofort zum Ding an sich werden und den Locke'schen Empirismus einführen würde. Diese Schwierigkeit aber wird beseitigt durch die Besonnenheit, welche uns vorhält, daß das Kausalitätsgesetz subjektiven Ursprungs ist, so gut wie die Sinnesempfindung selbst, überdies auch der eigene Leib, sofern er im Raum erscheint, bereits zu den Vorstellungen gehört. Aber Dies einzugestehen verhinderte Kanten seine Furcht vor dem Berkeleyschen Idealismus.
Als die wesentliche Operation des Verstandes mittelst seiner zwölf Kategorien wird wiederholentlich angegeben »die Verbindung des Mannigfaltigen der Anschauung«: jedoch wird Dies nie gehörig erläutert, noch gezeigt, was denn dieses Mannigfaltige der Anschauung vor der Verbindung durch den Verstand sei. Nun aber sind die Zeit und der Raum, dieser in allen seinen drei Dimensionen, Continua, d. h. alle ihre Theile sind ursprünglich nicht getrennt, sondern verbunden. Sie aber sind die durchgängigen Formen unserer Anschauung: also erscheint auch Alles, was in ihnen sich darstellt (gegeben wird) schon ursprünglich als Continuum, d. h. seine Theile treten schon als verbunden auf und bedürfen keiner hinzukommenden Verbindung des Mannigfaltigen. Wollte man aber jene Vereinigung des Mannigfaltigen der Anschauung etwan dahin auslegen, daß ich die verschiedenen Sinneseindrücke von einem Objekt doch nur auf dieses eine beziehe, also z. B. eine Glocke anschauend, erkenne, daß Das, was mein Auge als gelb, meine Hände als glatt und hart, mein Ohr als tönend afficirt, doch nur ein und derselbe Körper sei; so ist dies vielmehr eine Folge der Erkenntniß a priori vom Kausalnexus (dieser wirklichen und alleinigen Funktion des Verstandes), vermöge welcher alle jene verschiedenen Einwirkungen auf meine verschiedenen Sinnesorgane mich doch nur aus eine gemeinsame Ursache derselben, nämlich die Beschaffenheit des vor mir stehenden Körpers, hinleiten, so daß mein Verstand, ungeachtet der Verschiedenheit und Vielheit der Wirkungen, doch die Einheit der Ursache als ein einziges, sich eben dadurch anschaulich darstellendes Objekt apprehendirt. – In der schönen Rekapitulation seiner Lehre, welche Kant in der »Kritik der reinen Vernunft«, S. 719-726, oder V, 747-754, giebt, erklärt er die Kategorien vielleicht deutlicher als irgendwo, nämlich als »die bloße Regel der Synthesis Desjenigen, was die Wahrnehmung a posteriori gegeben hat«. Ihm scheint dabei so etwas vorzuschweben, wie daß, bei der Konstruktion des Triangels, die Winkel die Regel der Zusammensetzung der Linien geben: wenigstens kann man an diesem Bilde sich was er von der Funktion der Kategorien sagt am besten erläutern. Die Vorrede zu den »Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft« enthält eine lange Anmerkung, welche ebenfalls eine Erklärung der Kategorien liefert und besagt, daß sie »von den formalen Verstandeshandlungen im Urtheilen in nichts unterschieden seien«, als darin, daß in letzteren Subjekt und Prädikat allenfalls ihre Stelle vertauschen können; sodann wird daselbst das Unheil überhaupt definirt als »eine Handlung, durch die gegebene Vorstellungen zuerst Erkenntnisse eines Objekts werden.« Hienach müßten die Thiere, da sie nicht urtheilen, auch gar keine Objekte erkennen. Ueberhaupt giebt es, nach Kant, von den Objekten bloß Begriffe, keine Anschauungen. Ich hingegen sage: Objekte sind zunächst nur für die Anschauung da, und Begriffe sind allemal Abstraktionen aus dieser Anschauung. Daher muß das abstrakte Denken sich genau nach der in der Anschauung vorhandenen Welt richten, da bloß die Beziehung auf diese den Begriffen Inhalt giebt, und wir dürfen für die Begriffe keine andere a priori bestimmte Form annehmen, als die Fähigkeit zur Reflexion überhaupt, deren Wesen die Bildung der Begriffe, d. i. abstrakter, nichtanschaulicher Vorstellungen ist, welche die einzige Funktion der Vernunft ausmacht, wie ich im ersten Buch gezeigt habe. Ich verlange demnach, daß wir von den Kategorien elf zum Fenster hinauswerfen und allein die der Kausalität behalten, jedoch einsehen, daß ihre Thätigkeit schon die Bedingung der empirischen Anschauung ist, welche sonach nicht bloß sensual, sondern intellektual ist, und daß der so angeschaute Gegenstand das Objekt der Erfahrung, Eins sei mit der Vorstellung, von welcher nur noch das Ding an sich zu unterscheiden ist.
Nach in verschiedenen Lebensaltern wiederholtem Studium der »Kritik der reinen Vernunft« hat sich mir über die Entstehung der transscendentalen Logik eine Ueberzeugung aufgedrängt, die ich, als zum Verständniß derselben sehr förderlich, hier mittheile. Auf objektive Auffassung und höchste menschliche Besonnenheit gegründete Entdeckung ist ganz allein das Apperçu, daß Zeit und Raum a priori von uns erkannt werden. Durch diesen glücklichen Fund erfreut, wollte Kant die Ader desselben noch weiter verfolgen, und seine Liebe zur architektonischen Symmetrie gab ihm den Leitfaden. Wie er nämlich der empirischen Anschauung eine reine Anschauung a priori als Bedingung untergelegt gefunden hatte; ebenso, meinte er, würden auch wohl den empirisch erworbenen Begriffen gewisse reine Begriffe als Voraussetzung in unserem Erkenntnißvermögen zum Grunde liegen, und das empirische wirkliche Denken allererst durch ein reines Denken a priori, welches an sich aber gar keine Gegenstände hätte, sondern sie aus der Anschauung nehmen müßte, möglich seyn; so daß, wie die transscendentale Aesthetik eine Grundlage a priori der Mathematik nachweist, es auch für die Logik eine solche geben müßte; wodurch alsdann jene erstere an einer transscendentalen Logik symmetrisch einen Pendant erhielte. Von jetzt an war Kant nicht mehr unbefangen, nicht mehr im Zustande des reinen Forschens und Beobachtens des im Bewußtseyn Vorhandenen; sondern er war durch eine Voraussetzung geleitet, und verfolgte eine Absicht, nämlich die, zu finden was er voraussetzte, um auf die so glücklich entdeckte transscendentale Aesthetik eine ihr analoge, als ihr symmetrisch entsprechende, transscendentale Logik als zweites Stockwerk aufzusetzen. Hiezu nun verfiel er auf die Tafel der Urtheile, aus welcher er, so gut es gehen wollte, die Kategorientafel bildete, als die Lehre von zwölf reinen Begriffen a priori, welche die Bedingung unseres Denkens eben der Dinge seyn sollten, deren Anschauung durch die zwei Formen der Sinnlichkeit a priori bedingt ist: symmetrisch entsprach also jetzt der reinen Sinnlichkeit ein reiner Verstand. Danach nun gerieth er auf noch eine Betrachtung, die ihm ein Mittel darbot, die Plausibilität der Sache zu erhöhen, mittelst der Annahme des Schematismus der reinen Verstandesbegriffe, wodurch aber gerade der ihm selbst unbewußte Hergang seines Verfahrens sich am deutlichsten verräth. Indem er nämlich darauf ausging, für jede empirische Funktion des Erkenntnißvermögens eine analoge apriorische zu finden, bemerkte er, daß zwischen unserem empirischen Anschauen und unserem empirischen, in abstrakten, nichtanschaulichen Begriffen vollzogenem Denken noch eine Vermittlung, wenn auch nicht immer, doch sehr häufig Statt findet, indem wir nämlich dann und wann vom abstrakten Denken auf das Anschauen zurückzugehen versuchen; aber bloß versuchen, eigentlich um uns zu überzeugen, daß unser abstraktes Denken sich von dem sichern Boden der Anschauung nicht weit entfernt habe, und etwan überfliegend, oder auch zu bloßem Wortkram geworden sei; ungefähr so, wie wir, im Finstern gehend, dann und wann nach der leitenden Wand greifen. Wir gehen alsdann, eben auch nur versuchsweise und momentan, auf das Anschauen zurück, indem wir eine dem uns gerade beschäftigenden Begriffe entsprechende Anschauung in der Phantasie hervorrufen, welche jedoch dem Begriffe nie ganz adäquat seyn kann, sondern ein bloßer einstweiliger Repräsentant desselben ist: über diesen habe ich das Nöthige schon in meiner Abhandlung »Ueber den Satz vom Grunde«, §. 28, beigebracht. Kant benennt ein flüchtiges Phantasma dieser Art, im Gegensatz des vollendeten Bildes der Phantasie, ein Schema, sagt, es sei gleichsam ein Monogramm der Einbildungskraft, und behauptet nun, daß, so wie ein solches zwischen unserem abstrakten Denken empirisch erworbener Begriffe und unserer klaren, durch die Sinne geschehenden Anschauung in der Mitte steht, auch zwischen dem Anschauungsvermögen a priori der reinen Sinnlichkeit und dem Denkvermögen a priori des reinen Verstandes (also den Kategorien) dergleichen Schemata der reinen Verstandesbegriffe a priori vorhanden seien, welche Schemata er, als Monogramme der reinen Einbildungskraft a priori, stückweise beschreibt und jedes derselben der ihm entsprechenden Kategorie zutheilt, in dem wunderlichen »Hauptstück vom Schematismus der reinen Verstandesbegriffe«, welches als höchst dunkel berühmt ist, weil kein Mensch je hat daraus klug werden können; dessen Dunkelheit jedoch sich aufhellt, wenn man es von dem hier gegebenen Standpunkt aus betrachtet, wo denn aber auch mehr, als irgendwo, die Absichtlichkeit seines Verfahrens und der zum voraus gefaßte Entschluß, zu finden was der Analogie entspräche und der architektonischen Symmetrie dienen könnte, an den Tag tritt: ja, dies ist hier in einem Grade der Fall, der die Sache an das Komische heranführt. Denn indem er den empirischen Schematen (oder Repräsentanten unserer wirklichen Begriffe durch die Phantasie) analoge Schemata der reinen ( inhaltslosen) Verstandesbegriffe a priori(Kategorien) annimmt, übersieht er, daß der Zweck solcher Schemata hier ganz wegfällt. Denn der Zweck der Schemata beim empirischen (wirklichen) Denken bezieht sich ganz allein auf den materiellen Inhalt solcher Begriffe: da nämlich diese aus der empirischen Anschauung abgezogen sind, helfen und orientiren wir uns dadurch, daß wir beim abstrakten Denken zwischendurch ein Mal auf die Anschauung, daraus die Begriffe entnommen sind, einen flüchtigen Rückblick werfen, uns zu versichern, daß unser Denken noch realen Gehalt habe. Dies setzt aber nothwendig voraus, daß die uns beschäftigenden Begriffe aus der Anschauung entsprungen seien, und ist ein bloßes Zurücksehen auf ihren materialen Inhalt, ja ein bloßes Hülfsmittel unserer Schwäche. Aber bei Begriffen a priori, als welche noch gar keinen Inhalt haben, fällt offenbar dergleichen nothwendig weg: denn diese sind nicht aus der Anschauung entsprungen, sondern kommen ihr von innen entgegen, um aus ihr einen Inhalt erst zu empfangen, haben also noch nichts, worauf sie zurücksehen könnten. Ich bin hiebei weitläufig, weil gerade Dieses auf den geheimen Hergang des Kantischen Philosophirens Licht wirft, der demnach darin besteht, daß Kant, nach der glücklichen Entdeckung der beiden Anschauungsformen a priori, nunmehr, am Leitfaden der Analogie, für jede Bestimmung unserer empirischen Erkenntniß, ein Analogon a priori darzuthun sich bestrebt, und Dies zuletzt, in den Schematen, sogar auf eine bloß psychologische Thatsache ausdehnt, wobei der anscheinende Tiefsinn und die Schwierigkeit der Darstellung gerade dienen, dem Leser zu verbergen, daß der Inhalt derselben eine ganz unerweisliche und bloß willkürliche Annahme bleibt: Der aber, welcher in den Sinn solcher Darstellung endlich eindringt, wird dann leicht verleitet, dies mühsam erlangte Verständniß für Ueberzeugung von der Wahrheit der Sache zu halten. Hätte hingegen Kant, wie bei der Entdeckung der Anschauungen a priori, auch hier sich unbefangen und rein beobachtend verhalten; so müßte er gefunden haben, daß was zur reinen Anschauung des Raumes und der Zeit hinzukommt, wenn aus ihr eine empirische wird, einerseits die Empfindung und andererseits die Erkenntniß der Kausalität ist, welche die bloße Empfindung in objektive empirische Anschauung verwandelt, eben deshalb aber nicht erst aus dieser entlehnt und erlernt, sondern a priori vorhanden und eben die Form und Funktion des reinen Verstandes ist, aber auch seine einzige, jedoch eine so folgenreiche, daß alle unsere empirische Erkenntniß auf ihr beruht. – Wenn, wie oft gesagt worden, die Widerlegung eines Irrthums erst dadurch vollständig wird, daß man seine Entstehungsart psychologisch nachweist; so glaube ich Dieses im Obigen, in Hinsicht auf Kants Lehre von den Kategorien und ihren Schematen, geleistet zu haben.
Nachdem nun Kant in die ersten einfachen Grundzüge einer Theorie des Vorstellungsvermögens so große Fehler gebracht hatte, gerieth er aus vielfältige, sehr zusammengesetzte Annahmen. Dahin gehört zuvörderst die synthetische Einheit der Apperception: ein sehr wunderliches Ding, sehr wunderlich dargestellt. »Das Ich denke muß alle meine Vorstellungen begleiten können.« Muß – können: dies ist eine problematisch-apodiktische Enuntiation; zu Deutsch, ein Satz, der mit der einen Hand nimmt, was er mit der andern giebt. Und was ist der Sinn dieses so auf der Spitze balancirenden Satzes? – Daß alles Vorstellen ein Denken sei? – Das ist nicht: und es wäre heillos; es gäbe sodann nichts als abstrakte Begriffe, am wenigsten aber eine reine reflexions- und willensfreie Anschauung, dergleichen die des Schönen ist, die tiefste Erfassung des wahren Wesens der Dinge, d. h. ihrer Platonischen Ideen. Auch müßten dann wieder die Thiere entweder auch denken, oder nicht einmal vorstellen. – Oder soll etwan der Satz heißen: kein Objekt ohne Subjekt? Das wäre sehr schlecht dadurch ausgedrückt und käme zu spät. Wenn wir Kants Aeußerungen zusammenfassen, werden wir finden, daß was er unter der synthetischen Einheit der Apperception versteht, gleichsam das ausdehnungslose Centrum der Sphäre aller unserer Vorstellungen ist, deren Radien zu ihm konvergiren. Es ist was ich das Subjekt des Erkennens, das Korrelat aller Vorstellungen nenne, und ist zugleich Das, was ich, im Kapitel 22 des zweiten Bandes, als den Brennpunkt, in welchen die Strahlen der Gehirnthätigkeit konvergiren, ausführlich beschrieben und erörtert habe. Dahin also verweise ich hier, um mich nicht zu wiederholen.
Daß ich die ganze Lehre von den Kategorien verwerfe und sie den grundlosen Annahmen, mit denen Kant die Theorie des Erkennens betastete, beizähle, geht aus der oben gegebenen Kritik derselben hervor; imgleichen aus der Nachweisung der Widersprüche in der transscendentalen Logik, welche ihren Grund hatten in der Vermischung der anschaulichen und abstrakten Erkenntniß; ferner auch aus der Nachweisung des Mangels an einem deutlichen und bestimmten Begriff vom Wesen des Verstandes und der Vernunft, statt dessen wir in Kants Schriften nur unzusammenhängende, nicht übereinstimmende, dürftige und unrichtige Aussprüche über jene beiden Geistesvermögen fanden. Es geht endlich hervor aus den Erklärungen, die ich selbst, im ersten Buch und dessen Ergänzungen, noch ausführlicher in der Abhandlung »Ueber den Satz vom Grunde«, §. 21, 26 und 34, von denselben Geistesvermögen gegeben habe, welche Erklärungen sehr bestimmt, deutlich, aus der Betrachtung des Wesens unserer Erkenntniß offenbar sich ergebend, und mit den im Sprachgebrauch und den Schriften aller Zeiten und Völker sich kundgebenden, nur nicht zur Deutlichkeit gebrachten Begriffen von jenen beiden Erkenntnißkräften völlig übereinstimmend sind. Ihre Verteidigung gegen die davon sehr verschiedene Kantische Darstellung ist zum großen Theil schon mit der Aufdeckung der Fehler jener Darstellung gegeben. – Da nun aber doch die Tafel der Urtheile, welche Kant seiner Theorie des Denkens, ja seiner ganzen Philosophie zum Grunde legt, an sich, im Ganzen ihre Richtigkeit hat; so liegt mir noch ob, nachzuweisen, wie diese allgemeinen Formen aller Urtheile in unserem Erkenntnißvermögen entspringen, und sie mit meiner Darstellung desselben in Uebereinstimmung zu setzen. – Ich werde bei dieser Erörterung mit den Begriffen Verstand und Vernunft immer den Sinn verbinden, welchen ihnen meine Erklärung gegeben hat, die ich daher als dem Leser geläufig voraussetze.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Kants Methode und der, welche ich befolge, liegt darin, daß er von der mittelbaren, der reflektirten Erkenntniß ausgeht, ich dagegen von der unmittelbaren, der intuitiven. Er ist demjenigen zu vergleichen, der die Höhe eines Thurmes aus dessen Schatten mißt, ich aber dem, welcher den Maaßstab unmittelbar anlegt. Daher ist ihm die Philosophie eine Wissenschaft aus Begriffen, mir eine Wissenschaft in Begriffe, aus der anschaulichen Erkenntniß, der alleinigen Quelle aller Evidenz, geschöpft und in allgemeine Begriffe gefaßt und fixirt. Diese ganze, uns umgehende, anschauliche, vielgestaltete, bedeutungsreiche Welt überspringt er und hält sich an die Formen des abstrakten Denkens; wobei, obschon von ihm nie ausgesprochen, die Voraussetzung zum Grunde liegt, daß die Reflexion der Ektypos aller Anschauung sei, daher alles Wesentliche der Anschauung in der Reflexion ausgedrückt seyn müsse, und zwar in sehr zusammengezogenen, daher leicht übersehbaren Formen und Grundzügen. Demnach gäbe das Wesentliche und Gesetzmäßige des abstrakten Erkennens alle Fäden in die Hand, welche das bunte Puppenspiel der anschaulichen Welt vor unseren Augen in Bewegung setzen. – Hätte nur Kant diesen obersten Grundsatz seiner Methode deutlich ausgesprochen, und ihn dann konsequent befolgt, wenigstens hätte er dann das Intuitive vom Abstrakten rein sondern müssen, und wir hätten nicht mit unauflöslichen Widersprüchen und Konfusionen zu kämpfen. Aus der Art aber, wie er seine Aufgabe gelöst, sieht man, daß ihm jener Grundsatz seiner Methode nur sehr undeutlich vorgeschwebt hat, daher man, nach einem gründlichen Studium seiner Philosophie, denselben doch noch erst zu errathen hat.
Was nun die angegebene Methode und Grundmaxime selbst betrifft, so hat sie viel für sich und ist ein glänzender Gedanke. Schon das Wesen aller Wissenschaft besteht darin, daß wir das endlos Mannigfaltige der anschaulichen Erscheinungen unter komparativ wenige abstrakte Begriffe zusammenfassen, aus denen wir ein System ordnen, von welchem aus wir alle jene Erscheinungen völlig in der Gewalt unserer Erkenntniß haben, das Geschehene erklären und das Künftige bestimmen können. Die Wissenschaften theilen aber unter sich das weitläufige Gebiet der Erscheinungen, nach den besonderen, mannigfaltigen Arten dieser letzteren. Nun war es ein kühner und glücklicher Gedanke, das den Begriffen als solchen und abgesehen von ihrem Inhalt durchaus Wesentliche zu isoliren, um aus den so gefundenen Formen alles Denkens zu ersehen, was auch allem intuitiven Erkennen, folglich der Welt als Erscheinung überhaupt, wesentlich sei: und weil nun dieses a priori, wegen der Nothwendigkeit jener Formen des Denkens, gefunden wäre; so wäre es subjektiven Ursprungs, und führte eben zu Kants Zwecken. – Nun hätte aber hiebei, ehe man weiter gieng, untersucht werden müssen, welches das Verhältniß der Reflexion zur anschaulichen Erkenntniß sei (was freilich die von Kant vernachlässigte reine Sonderung beider voraussetzt), auf welche Weise eigentlich jene diese wiedergebe und vertrete, ob ganz rein, oder schon durch Ausnahme in ihre (der Reflexion) eigene Formen umgeändert und zum Theil unkenntlich gemacht; ob die Form der abstrakten, reflektiven Erkenntniß mehr bestimmt werde durch die Form der anschaulichen, oder durch die ihr selbst, der reflektiven, unabänderlich anhängende Beschaffenheit, so daß auch Das, was in der intuitiven Erkenntniß sehr heterogen ist, sobald es in die reflektive eingegangen, nicht mehr zu unterscheiden ist, und umgekehrt manche Unterschiede, die wir in der reflektiven Erkenntnißart wahrnehmen, auch aus dieser selber entsprungen sind und keineswegs auf ihnen entsprechende Verschiedenheiten in der intuitiven Erkenntniß deuten. Als Resultat dieser Forschung hätte sich aber ergeben, daß die anschauliche Erkenntniß bei ihrer Aufnahme in die Reflexion beinahe so viel Veränderung erleidet, wie die Nahrungsmittel bei ihrer Aufnahme in den thierischen Organismus, dessen Formen und Mischungen durch ihn selbst bestimmt werden und aus deren Zusammensetzung gar nicht mehr die Beschaffenheit der Nahrungsmittel zu erkennen ist; – oder (weil dieses ein wenig zu viel gesagt ist) wenigstens hätte sich ergeben, daß die Reflexion sich zur anschaulichen Erkenntniß keineswegs verhält, wie der Spiegel im Wasser zu den abgespiegelten Gegenständen, sondern kaum nur noch so, wie der Schatten dieser Gegenstände zu ihnen selbst, welcher Schatten nur einige äußere Umrisse wiedergiebt, aber auch das Mannigfaltigste in dieselbe Gestalt vereinigt und das Verschiedenste durch den nämlichen Umriß darstellt; so daß keineswegs von ihm ausgehend sich die Gestalten der Dinge vollständig und sicher konstruiren ließen.
Die ganze reflektive Erkenntniß, oder die Vernunft, hat nur eine Hauptform, und diese ist der abstrakte Begriff: sie ist der Vernunft selbst eigen und hat unmittelbar keinen nothwendigen Zusammenhang mit der anschaulichen Welt, welche daher auch ganz ohne jene für die Thiere dasteht, und auch eine ganz andere seyn könnte, dennoch aber jene Form der Reflexion ebenso wohl zu ihr passen würde. Die Vereinigung der Begriffe zu Urtheilen hat aber gewisse bestimmte und gesetzliche Formen, welche, durch Induktion gefunden, die Tafel der Urtheile ausmachen. Diese Formen sind größtentheils abzuleiten aus der reflektiven Erkenntnißart selbst, also unmittelbar aus der Vernunft, namentlich sofern sie durch die vier Denkgesetze (von mir metalogische Wahrheiten genannt) und durch das dictum de omni et nullo entstehen. Andere von diesen Formen haben aber ihren Grund in der anschauenden Erkenntnißart, also im Verstande, geben aber deshalb keineswegs Anweisung auf ebenso viele besondere Formen des Verstandes; sondern sind ganz und gar aus der einzigen Funktion, die der Verstand hat, nämlich der unmittelbaren Erkenntniß von Ursach und Wirkung, abzuleiten. Noch andere von jenen Formen endlich sind entstanden aus dem Zusammentreffen und der Verbindung der reflektiven und der intuitiven Erkenntnißart, oder eigentlich aus der Aufnahme dieser in jene. Ich werde nunmehr die Momente des Urtheils einzeln durchgehen und den Ursprung eines jeden aus den besagten Quellen nachweisen; woraus von selbst folgt, daß eine Deduktion von Kategorien aus ihnen wegfällt und die Annahme dieser ebenso grundlos ist, als ihre Darstellung verworren und sich selbst widerstreitend befunden worden.
1) Die sogenannte Quantität der Urtheile entspringt aus dem Wesen der Begriffe als solcher, hat ihren Grund also lediglich in der Vernunft, und hat mit dem Verstande und der anschaulichen Erkenntniß gar keinen unmittelbaren Zusammenhang. – Es ist nämlich, wie im ersten Buche ausgeführt, den Begriffen als solchen wesentlich, daß sie einen Umfang, eine Sphäre haben, und der weitere, unbestimmtere den engeren, bestimmteren einschließt, welcher letztere daher auch ausgeschieden werden kann; und zwar kann dieses entweder so geschehen, daß man ihn nur als unbestimmten Theil des weitern Begriffes überhaupt bezeichnet, oder auch so, daß man ihn bestimmt und völlig aussondert, mittelst Beilegung eines besondern Namens. Das Urtheil, welches die Vollziehung dieser Operation ist, heißt im ersten Fall ein besonderes, im zweiten ein allgemeines; z. B. ein und derselbe Theil der Sphäre des Begriffes Baum kann durch ein besonderes und durch ein allgemeines Urtheil isolirt werden, nämlich: »Einige Bäume tragen Galläpfel«; oder so: »Alle Eichen tragen Galläpfel«. – Man sieht, daß die Verschiedenheit beider Operationen sehr gering ist, ja, daß die Möglichkeit derselben vom Wortreichthum der Sprache abhängt. Desungeachtet hat Kant erklärt, diese Verschiedenheit entschleiere zwei grundverschiedene Handlungen, Funktionen, Kategorien des reinen Verstandes, der eben durch dieselben a priori die Erfahrung bestimme.
Man kann endlich auch einen Begriff gebrauchen, um mittelst desselben zu einer bestimmten, einzelnen, anschaulichen Vorstellung, aus welcher, und zugleich aus vielen anderen, er selbst abgezogen ist, zu gelangen: welches durch das einzelne Urtheil geschieht. Ein solches Urtheil bezeichnet nur die Gränze der abstrakten Erkenntniß zur anschaulichen, zu welcher unmittelbar von ihm übergegangen wird: »Dieser Baum hier trägt Galläpfel.« – Kant hat denn auch daraus eine besondere Kategorie gemacht.
Nach allem Vorhergehenden bedarf es hier weiter keiner Polemik.
2) Auf gleiche Weise liegt die Qualität der Urtheile ganz innerhalb des Gebietes der Vernunft, und ist nicht eine Abschattung irgend eines Gesetzes des die Anschauung möglich machenden Verstandes, d. h. giebt nicht Anweisung darauf. Die Natur der abstrakten Begriffe, welche eben das objektiv aufgefaßte Wesen der Vernunft selbst ist, bringt, wie ebenfalls im ersten Buche ausgeführt, die Möglichkeit mit sich, ihre Sphären zu vereinigen und zu trennen, und auf dieser Möglichkeit, als ihrer Voraussetzung, beruhen die allgemeinen Denkgesetze der Identität und des Widerspruchs, welchen, weil sie rein aus der Vernunft entspringen und nicht ferner zu erklären sind, metalogische Wahrheit von mir beigelegt ist. Sie bestimmen, daß das Vereinigte vereinigt, das Getrennte getrennt bleiben muß, also das Gesetzte nicht zugleich wieder aufgehoben werden kann, setzen also die Möglichkeit des Verbindens und Trennens der Sphären, d. i. eben das Urtheilen, voraus. Dieses aber liegt, der Form nach, einzig und allein in der Vernunft, und diese Form ist nicht, so wie der Inhalt der Urtheile, aus der anschaulichen Erkenntniß des Verstandes mit hinübergenommen, in welcher daher auch kein Korrelat oder Analagon für sie zu suchen ist. Nachdem die Anschauung durch den Verstand und für den Verstand entstanden ist, steht sie vollendet da, keinem Zweifel noch Irrthum unterworfen, kennt demnach weder Bejahung noch Verneinung: denn sie spricht sich selbst aus, und hat nicht, wie die abstrakte Erkenntniß der Vernunft, ihren Werth und Gehalt in der bloßen Beziehung auf etwas außer ihr, nach dem Satz vom Grunde des Erkennens. Sie ist daher lauter Realität, alle Negation ist ihrem Wesen fremd; diese kann allein durch Reflexion hinzugedacht werden, bleibt aber eben deshalb immer auf dem Gebiete des abstrakten Denkens.
Zu den bejahenden und verneinenden Urtheilen fügt Kant, eine Grille der alten Scholastiker benutzend, noch die unendlichen, einen spitzfindig erdachten Lückenbüßer, was nicht einmal einer Auseinandersetzung bedarf, ein blindes Fenster, wie er zu Gunsten seiner symmetrischen Architektonik deren viele angebracht hat.
3) Unter den sehr weiten Begriff der Relation hat Kant drei ganz verschiedene Beschaffenheiten der Urtheile zusammengebracht, die wir daher, um ihren Ursprung zu erkennen, einzeln beleuchten müssen.
a.) Das hypothetische Urtheil überhaupt ist der abstrakte Ausdruck jener allgemeinsten Form aller unserer Erkenntnisse, des Satzes vom Grunde. Daß dieser vier ganz verschiedene Bedeutungen habe, und in jeder von diesen aus einer anderen Erkenntnißkraft urständet, wie auch eine andere Klasse von Vorstellungen betrifft, habe ich schon 1813 in meiner Abhandlung über denselben dargethan. Daraus ergiebt sich hinlänglich, daß der Ursprung des hypothetischen Urtheils überhaupt, dieser allgemeinen Denkform, nicht bloß, wie Kant will, der Verstand und dessen Kategorie der Kausalität seyn könne; sondern daß das Gesetz der Kausalität, welches, meiner Darstellung zufolge, die einzige Erkenntnißform des reinen Verstandes ist, nur eine der Gestaltungen des alle reine oder apriorische Erkenntniß umfassenden Satzes vom Grunde ist, welcher hingegen in jeder seiner Bedeutungen diese hypothetische Form des Urtheils zum Ausdruck hat. – Wir sehen hier nun aber recht deutlich, wie Erkenntnisse, die ihrem Ursprung und ihrer Bedeutung nach ganz verschieden sind, doch, wenn von der Vernunft in abstracto gedacht, in einer und derselben Form von Verbindung der Begriffe und Urtheile erscheinen und dann in dieser gar nicht mehr zu unterscheiden sind, sondern man, um sie zu unterscheiden, auf die anschauliche Erkenntniß zurückgehen muß, die abstrakte ganz verlassend. Daher war der von Kant eingeschlagene Weg, vom Standpunkt der abstrakten Erkenntniß aus, die Elemente und das innerste Getriebe auch der intuitiven Erkenntniß zu finden, durchaus verkehrt. Uebrigens ist gewissermaaßen meine ganze einleitende Abhandlung »Ueber den Satz vom Grunde« nur als eine gründliche Erörterung der Bedeutung der hypothetischen Urtheilsform anzusehen; daher ich hier nicht weiter dabei verweile.
b) Die Form des kategorischen Urtheils ist nichts Anderes, als die Form des Urtheils überhaupt im eigentlichsten Sinn. Denn, streng genommen, heißt Urtheilen nur die Verbindung, oder die Unvereinbarkeit der Sphären der Begriffe denken: daher sind die hypothetische und die disjunktive Verbindung eigentlich keine besonderen Formen des Urtheils: denn sie werden nur auf schon fertige Urtheile angewandt, in denen die Verbindung der Begriffe unverändert die kategorische bleibt; sie aber verknüpfen wieder diese Urtheile, indem die hypothetische Form, deren Abhängigkeit von einander, die disjunktive deren Unvereinbarkeit ausdrückt. Bloße Begriffe aber haben nur eine Art von Verhältnissen zu einander, nämlich die, welche im kategorischen Urtheil ausgedrückt werden. Die nähere Bestimmung, oder die Unterarten dieses Verhältnisses sind das Ineinandergreifen und das völlige Getrenntseyn der Begriffssphären, d. i. also die Bejahung und Verneinung; woraus Kant besondere Kategorien, unter einem ganz andern Titel gemacht hat, dem der Qualität. Das Ineinandergreifen und Getrenntseyn hat wieder Unterarten, nämlich je nachdem die Sphären ganz, oder nur zum Theil ineinandergreifen, welche Bestimmung die Quantität der Urtheile ausmacht; woraus Kant wieder einen ganz besonderen Kategorientitel gemacht hat. So trennte er das ganz nahe Verwandte, ja Identische, die leicht übersehbaren Modifikationen der einzig möglichen Verhältnisse von bloßen Begriffen zu einander, und vereinigte dagegen das sehr Verschiedene unter diesem Titel der Relation.
Kategorische Urtheile haben zum metalogischen Princip die Denkgesetze der Identität und des Widerspruchs. Aber der Grund zur Verknüpfung von Begriffssphären, welcher dem Urtheil, das eben nur diese Verknüpfung ist, die Wahrheit verleiht, kann sehr verschiedener Art seyn, und dieser zufolge ist dann die Wahrheit des Urtheils entweder logisch, oder empirisch, oder metaphysisch, oder metalogisch, wie solches in der einleitenden Abhandlung, §. 30-33, ausgeführt ist und hier nicht wiederholt zu werden braucht. Es ergiebt sich aber daraus, wie sehr verschieden die unmittelbaren Erkenntnisse seyn können, welche alle in abstracto sich durch die Verbindung der Sphären zweier Begriffe als Subjekt und Prädikat darstellen, und daß man keineswegs eine einzige Funktion des Verstandes, als ihr entsprechend und sie hervorbringend, aufstellen kann. Z. B. die Urtheile: »das Wasser kocht; der Sinus mißt den Winkel; der Wille beschließt; Beschäftigung zerstreut; die Unterscheidung ist schwierig«; drücken durch die selbe logische Form die verschiedenartigsten Verhältnisse aus: woraus wir abermals die Bestätigung erhalten, wie verkehrt das Beginnen sei, um die unmittelbare, intuitive Erkenntniß zu analysiren, sich auf den Standpunkt der abstrakten zu stellen. – Aus einer eigentlichen Verstandeserkenntniß, in meinem Sinn, entspringt übrigens das kategorische Urtheil nur da, wo eine Kausalität durch dasselbe ausgedrückt wird; dies ist aber der Fall auch bei allen Urtheilen, die eine physische Qualität bezeichnen. Denn, wenn ich sage: »dieser Körper ist schwer, hart, flüssig, grün, sauer, alkalisch, organisch u. s. w.«; so bezeichnet dies immer sein Wirken, also eine Erkenntniß, die nur durch den reinen Verstand möglich ist. Nachdem nun diese, eben wie viele von ihr ganz verschiedene (z. B. die Unterordnung höchst abstrakter Begriffe), in abstracto durch Subjekt und Prädikat ausgedrückt werden, hat man diese bloßen Begriffsverhältnisse wieder auf die anschauliche Erkenntniß zurück übertragen, und gemeint, das Subjekt und Prädikat des Urtheils müsse in der Anschauung ein eigenes, besonderes Korrelat haben, Substanz und Accidenz. Aber ich werde weiter unten deutlich machen, daß der Begriff Substanz keinen andern wahren Inhalt hat, als den des Begriffs Materie. Accidenzen aber sind ganz gleichbedeutend mit Wirkungsarten, so daß die vermeinte Erkenntniß von Substanz und Accidenz noch immer die des reinen Verstandes von Ursach und Wirkung ist. Wie aber eigentlich die Vorstellung der Materie entsteht, ist theils in unserem ersten Buch, §. 4, und noch faßlicher in der Abhandlung »Ueber den Satz vom Grunde«, am Schluß des §. 21, S. 77, erörtert; theils werden wir es noch näher sehen, bei der Untersuchung des Grundsatzes, daß die Substanz beharrt.
c) Die disjunktiven Urtheile entspringen aus dem Denkgesetz des ausgeschlossenen Dritten, welches eine metalogische Wahrheit ist: sie sind daher ganz das Eigenthum der reinen Vernunft, und haben nicht im Verstande ihren Ursprung. Die Ableitung der Kategorie der Gemeinschaft oder Wechselwirkung aus ihnen ist nun aber ein recht grelles Beispiel von den Gewaltthätigkeiten, welche sich Kant bisweilen gegen die Wahrheit erlaubt, bloß um seine Lust an architektonischer Symmetrie zu befriedigen. Das Unstatthafte jener Ableitung ist schon öfter mit Recht gerügt und aus mehreren Gründen dargethan worden, besonders von G. E. Schulze in seiner »Kritik der theoretischen Philosophie« und von Berg in seiner »Epikritik der Philosophie«. – Welche wirkliche Analogie ist wohl zwischen der offengelassenen Bestimmung eines Begriffs durch einander ausschließende Prädikate, und dem Gedanken der Wechselwirkung? Beide sind sich sogar ganz entgegengesetzt, da im disjunktiven Urtheil das wirkliche Setzen des einen der beiden Eintheilungsglieder zugleich ein nothwendiges Aufheben des andern ist; hingegen wenn man sich zwei Dinge im Verhältniß der Wechselwirkung denkt, das Setzen des einen eben ein nothwendiges Setzen auch des andern ist, und vice versa. Daher ist unstreitig das wirkliche logische Analogon der Wechselwirkung der circulus vitiosus, als in welchem, eben wie angeblich bei der Wechselwirkung, das Begründete auch wieder der Grund ist, und umgekehrt. Und ebenso wie die Logik den circulus vitiosus verwirft, ist auch aus der Metaphysik der Begriff der Wechselwirkung zu verbannen. Denn ich bin ganz ernstlich gesonnen jetzt darzuthun, daß es gar keine Wechselwirkung im eigentlichen Sinne giebt und dieser Begriff, so höchst beliebt auch, eben wegen der Unbestimmtheit des Gedankens, sein Gebrauch ist, doch näher betrachtet, sich als leer, falsch und nichtig zeigt. Zuvörderst besinne man sich, was überhaupt Kausalität sei, und sehe zur Beihülfe meine Darstellung davon in der einleitenden Abhandlung, §. 20, wie auch in meiner Preisschrift über die Freiheit des Willens, Kap. 3, S. 27 fg. [2. Aufl. S. 26 fg.], endlich im vierten Kapitel unseres zweiten Bandes nach. Kausalität ist das Gesetz, nach welchem die eintretenden Zustände der Materie sich ihre Stelle in der Zeit bestimmen. Bloß von Zuständen, eigentlich bloß von Veränderungen ist bei der Kausalität die Rede, und weder von der Materie als solcher, noch vom Beharren ohne Veränderung. Die Materie als solche steht nicht unter dem Gesetz der Kausalität; da sie weder wird noch vergeht: also auch nicht das ganze Ding, wie man gemeinhin spricht; sondern allein die Zustände der Materie. Ferner hat das Gesetz der Kausalität es nicht mit dem Beharren zu thun: denn wo sich nichts verändert, ist kein Wirken und keine Kausalität, sondern ein bleibender ruhender Zustand. Wird nun ein solcher verändert, so ist entweder der neu entstandene wieder beharrlich, oder er ist es nicht, sondern führt sogleich einen dritten Zustand herbei, und die Nothwendigkeit, mit der dies geschieht, ist eben das Gesetz der Kausalität, welches eine Gestaltung des Satzes vom Grunde ist und daher nicht weiter zu erklären; weil eben der Satz vom Grunde das Princip aller Erklärung und aller Nothwendigkeit ist. Hieraus ist klar, daß das Ursach- und Wirkungseyn in genauer Verbindung und nothwendiger Beziehung auf die Zeitfolge steht. Nur sofern der Zustand A in der Zeit dem Zustande B vorhergeht, ihre Succession aber eine nothwendige und keine zufällige, d. h. kein bloßes Folgen, sondern ein Erfolgen ist; – nur insofern ist der Zustand A Ursache und der Zustand B Wirkung. Der Begriff Wechselwirkung enthält aber Dies, daß beide Ursache und beide Wirkung von einander sind: dies heißt aber eben soviel, als daß jeder von beiden der frühere und aber auch der spätere ist: also ein Ungedanke. Denn daß beide Zustände zugleich seien, und zwar nothwendig zugleich, läßt sich nicht annehmen: weil sie als nothwendig zusammengehörend und zugleich seiend, nur einen Zustand ausmachen, zu dessen Beharren zwar die bleibende Anwesenheit aller seiner Bestimmungen erfordert wird, wo denn aber gar nicht mehr von Veränderung und Kausalität, sondern von Dauer und Ruhe die Rede ist und weiter nichts gesagt wird, als daß wenn eine Bestimmung des ganzen Zustandes geändert wird, der hiedurch entstandene neue Zustand nicht von Bestand seyn kann, sondern Ursache der Aenderung auch aller übrigen Bestimmungen des ersten Zustandes wird, wodurch eben wieder ein neuer, dritter Zustand eintritt; welches alles nur gemäß dem einfachen Gesetz der Kausalität geschieht und nicht ein neues, das der Wechselwirkung, begründet.
Auch behaupte ich schlechthin, daß der Begriff Wechselwirkung durch kein einziges Beispiel zu belegen ist. Alles was man dafür ausgeben möchte, ist entweder ein ruhender Zustand, auf den der Begriff der Kausalität, welcher nur bei Veränderungen Bedeutung hat, gar keine Anwendung findet, oder es ist eine abwechselnde Succession gleichnamiger, sich bedingender Zustände, zu deren Erklärung die einfache Kausalität vollkommen ausreicht. Ein Beispiel der erstern Art giebt die durch gleiche Gewichte in Ruhe gebrachte Waagschale: hier ist gar kein Wirken, denn hier ist keine Veränderung: es ist ruhender Zustand: die Schwere strebt, gleichmäßig vertheilt, wie in jedem im Schwerpunkt unterstützten Körper, kann aber ihre Kraft durch keine Wirkung äußern. Daß die Wegnahme des einen Gewichtes eines zweiten Zustand giebt, der sogleich Ursache des dritten, des Sinkens der andern Schale, wird, geschieht nach dem einfachen Gesetz der Ursache und Wirkung und bedarf keiner besondern Kategorie des Verstandes, auch nicht einmal einer besondern Benennung. Ein Beispiel der andern Art ist das Fortbrennen eines Feuers. Die Verbindung des Oxygens mit dem brennbaren Körper ist Ursache der Wärme, und diese ist wieder Ursache des erneuerten Eintritts jener chemischen Verbindung. Aber dieses ist nichts Anderes, als eine Kette von Ursachen und Wirkungen, deren Glieder jedoch abwechselnd gleichnamig sind: das Brennen A bewirkt freie Wärme B, diese ein neues Brennen C (d. h. eine neue Wirkung, die mit der Ursache A gleichnamig, nicht aber individuell dieselbe ist), dies eine neue Wärme D (welche mit der Wirkung B nicht real identisch, sondern nur dem Begriffe nach die selbe, d. h. mit ihr gleichnamig ist) und so immer fort. Ein artiges Beispiel Dessen, was man im gemeinen Leben Wechselwirkung nennt, liefert eine von Humboldt (Ansichten der Natur, zweite Auflage, Bd. 2, S. 79) gegebene Theorie der Wüsten. Nämlich in Sandwüsten regnet es nicht, wohl aber aus den sie begränzenden waldigen Bergen. Nicht die Anziehung der Berge aus die Wolken ist Ursache; sondern die von der Sandebene aufsteigende Säule erhitzter Luft hindert die Dunstbläschen sich zu zersetzen und treibt die Wolken in die Höhe. Auf dem Gebirge ist der senkrecht steigende Luftstrom schwächer, die Wolken senken sich und der Niederschlag erfolgt in der kühlern Luft. So stehen Mangel an Regen und Pflanzenlosigkeit der Wüste in Wechselwirkung: es regnet nicht, weil die erhitzte Sandfläche mehr Wärme ausstrahlt; die Wüste wird nicht zur Steppe oder Grasflur, weil es nicht regnet. Aber offenbar haben wir hier wieder nur, wie im obigen Beispiel, eine Succession gleichnamiger Ursachen und Wirkungen, und durchaus nichts von der einfachen Kausalität wesentlich Verschiedenes. Ebenso verhält es sich mit dem Schwingen des Pendels, ja, auch mit der Selbsterhaltung des organischen Körpers, bei welcher ebenfalls jeder Zustand einen neuen herbeiführt, der mit dem, von welchem er selbst bewirkt wurde, der Art nach derselbe, individuell aber ein neuer ist: nur ist hier die Sache komplicirter, indem die Kette nicht mehr aus Gliedern von zwei, sondern aus Gliedern von vielen Arten besteht, so daß ein gleichnamiges Glied, erst nachdem mehrere andere dazwischengetreten, wiederkehrt. Aber immer sehen wir nur eine Anwendung des einzigen und einfachen Gesetzes der Kausalität vor uns, welches der Folge der Zustände die Regel giebt, nicht aber irgend etwas, das durch eine neue und besondere Funktion des Verstandes gefaßt werden müßte.
Oder wollte man etwan gar als Beleg des Begriffs der Wechselwirkung anführen, daß Wirkung und Gegenwirkung sich gleich sind? Dies liegt aber eben in Dem, was ich so sehr urgire und in der Abhandlung über den Satz vom Grunde ausführlich dargethan habe, daß die Ursache und die Wirkung nicht zwei Körper, sondern zwei sich succedirende Zustände von Körpern sind, folglich jeder der beiden Zustände auch alle betheiligten Körper implicirt, die Wirkung also, d. i. der neu eintretende Zustand, z. B. beim Stoß, sich auf beide Körper in gleichem Verhältniß erstreckt: so sehr daher der gestoßene Körper verändert wird, eben so sehr wird es der stoßende (jeder im Verhältniß seiner Masse und Geschwindigkeit). Beliebt es, dieses Wechselwirkung zu nennen; so ist eben durchaus jede Wirkung Wechselwirkung, und es tritt deswegen kein neuer Begriff und noch weniger eine neue Funktion des Verstandes dafür ein, sondern wir haben nur ein überflüssiges Synonym der Kausalität. Diese Ansicht aber spricht Kant unbedachtsamer Weise geradezu aus, in den »Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft«, wo der Beweis des vierten Lehrsatzes der Mechanik anhebt: »alle äußere Wirkung in der Welt ist Wechselwirkung«. Wie sollen dann für einfache Kausalität und für Wechselwirkung verschiedene Funktionen a priori im Verstande liegen, ja, sogar die reale Succession der Dinge nur mittelst der erstern, und das Zugleichseyn derselben nur mittelst der letzteren möglich und erkennbar seyn? Danach wäre, wenn alle Wirkung Wechselwirkung ist, auch Succession und Simultaneität das Selbe, mithin Alles in der Welt zugleich. – Gäbe es wahre Wechselwirkung, dann wäre auch das perpetuum mobile möglich und sogar a priori gewiß: vielmehr aber liegt der Behauptung, daß es unmöglich sey, die Ueberzeugung a priori zum Grunde, daß es keine wahre Wechselwirkung und keine Verstandesform für eine solche giebt.
Auch Aristoteles leugnet die Wechselwirkung im eigentlichen Sinn: denn er bemerkt, daß zwar zwei Dinge wechselseitig Ursache von einander seyn können, aber nur so, daß man es von jedem in einem andern Sinne versteht, z. B. das eine auf das andere als Motiv, dieses auf jenes aber als Ursache seiner Bewegung wirkt. Nämlich wir finden an zwei Stellen die selben Worte: Physic., Lib. II, c. 3, und Metaph., Lib. V, c. 2. Εστι δε τινα ϰαι αλληλων αιτια οἱον το πονειν αιτιον της ευεξιας, ϰαι αὑτη του πονειν αλλ' ου τον αυτον τϱοπον, αλλα το μεν ὡς τελος, το δε ὡς αϱχη ϰινεσεος. ( Sunt praeterea quae sibi sunt mutuo causae, ut exercitium bonae habitudinis, et haec exercitii: at non eodem modo, sed haec ut finis, illud ut principium motus.) Nähme er noch außerdem eine eigentliche Wechselwirkung an, so würde er sie hier aufführen, da er an beiden Stellen beschäftigt ist, sämmtliche mögliche Arten von Ursachen aufzuzählen. In den Analyt. post., Lib. II, c. 11, spricht er von einem Kreislauf der Ursachen und Wirkungen, aber nicht von einer Wechselwirkung.
4) Die Kategorien der Modalität haben vor allen übrigen den Vorzug, daß Das, was durch jede derselben ausgedruckt wird, der Urtheilsform, von der es abgeleitet ist, doch wirklich entspricht; was bei den anderen Kategorien fast gar nicht der Fall ist, indem sie meistens mit dem willkürlichsten Zwange aus den Urtheilsformen herausdeducirt sind.
Daß also die Begriffe des Möglichen, Wirklichen und Nothwendigen es sind, welche die problematische, assertorische und apodiktische Form des Urtheils veranlassen, ist vollkommen wahr. Daß aber jene Begriffe besondere, ursprüngliche und nicht weiter abzuleitende Erkenntnißformen des Verstandes wären, ist nicht wahr. Vielmehr stammen sie aus der einzigen ursprünglichen und daher a priori uns bewußten Form alles Erkennens her, aus dem Satze vom Grunde, und zwar unmittelbar aus diesem die Erkenntniß der Nothwendigkeit; hingegen erst indem auf diese die Reflexion angewandt wird, entstehen die Begriffe von Zufälligkeit, Möglichkeit, Unmöglichkeit, Wirklichkeit. Alle diese urständen daher keineswegs aus einer Geisteskraft, dem Verstande, sondern entstehen durch den Konflikt des abstrakten Erkennens mit dem intuitiven, wie man sogleich sehen wird.
Ich behaupte, daß Nothwendigseyn und Folge aus einem gegebenen Grunde seyn, durchaus Wechselbegriffe und völlig identisch sind. Als nothwendig können wir nimmermehr etwas erkennen, ja nur denken, als sofern wir es als Folge eines gegebenen Grundes ansehen: und weiter als diese Abhängigkeit, dieses Gesetztseyn durch ein Anderes und dieses unausbleibliche Folgen aus ihm, enthält der Begriff der Nothwendigkeit schlechthin nichts. Er entsteht und besteht also einzig und allein durch Anwendung des Satzes vom Grunde. Daher giebt es, gemäß den verschiedenen Gestaltungen dieses Satzes, ein physisch Nothwendiges (der Wirkung aus der Ursache), ein logisch (durch den Erkenntnißgrund, in analytischen Urtheilen, Schlüssen u. s. w), ein mathematisch (nach dem Seynsgrunde in Raum und Zeit), und endlich ein praktisch Nothwendiges, womit wir nicht etwan daß Bestimmtseyn durch einen angeblichen kategorischen Imperativ, sondern die, bei gegebenem empirischen Charakter, nach vorliegenden Motiven nothwendig eintretende Handlung bezeichnen wollen. – Alles Nothwendige ist es aber nur relativ, nämlich unter der Voraussetzung des Grundes, aus dem es folgt: daher ist absolute Nothwendigkeit ein Widerspruch. – Im Uebrigen verweise ich aus §. 49 der Abhandlung über den Satz vom Grunde.
Das kontradiktorische Gegentheil, d. h. die Verneinung der Nothwendigkeit ist die Zufälligkeit. Der Inhalt dieses Begriffs ist daher negativ, nämlich weiter nichts als dieses: Mangel der durch den Satz vom Grunde ausgedrückten Verbindung. Folglich ist auch das Zufällige immer nur relativ: nämlich in Bezug auf etwas, das nicht sein Grund ist, ist es ein solches. Jedes Objekt, von welcher Art es auch sei, z. B. jede Begebenheit in der wirklichen Welt, ist allemal nothwendig und zufällig zugleich: nothwendig in Beziehung aus das Eine, das ihre Ursache ist; zufällig in Beziehung aus alles Uebrige. Denn ihre Berührung in Zeit und Raum mit allem Uebrigen ist ein bloßes Zusammentreffen, ohne nothwendige Verbindung: daher auch die Wörter Zufall, συμπτωμα, contingens. So wenig daher, wie ein absolut Nothwendiges, ist ein absolut Zufälliges denkbar. Denn dieses Letztere wäre eben ein Objekt, welches zu keinem andern im Verhältniß der Folge zum Grunde stände. Die Unvorstellbarkeit eines solchen ist aber gerade der negativ ausgedrückte Inhalt des Satzes vom Grunde, welcher also erst umgestoßen werden müßte, um ein absolut Zufälliges zu denken: dieses selbst hätte aber alsdann auch alle Bedeutung verloren, da der Begriff des Zufälligen solche nur in Beziehung auf jenen Satz hat, und bedeutet, daß zwei Objekte nicht im Verhältniß von Grund und Folge zu einander stehen.
In der Natur, sofern sie anschauliche Vorstellung ist, ist Alles was geschieht nothwendig: denn es geht aus seiner Ursache hervor. Betrachten wir aber dieses Einzelne in Beziehung auf das Uebrige, welches nicht seine Ursache ist; so erkennen wir es als zufällig: dies ist aber schon eine abstrakte Reflexion. Abstrahiren wir nun ferner, bei einem Objekt der Natur, ganz von seinem Kausalverhältniß zu dem Uebrigen, also von seiner Nothwendigkeit und Zufälligkeit; so befaßt diese Art von Erkenntniß der Begriff des Wirklichen, bei welchem man nur die Wirkung betrachtet, ohne sich nach der Ursache umzusehen, in Beziehung auf welche man sie sonst nothwendig, in Beziehung auf alles Uebrige zufällig nennen müßte. Dieses Alles beruht zuletzt darauf, daß die Modalität des Urtheils nicht sowohl die objektive Beschaffenheit der Dinge, als das Verhältniß unserer Erkenntniß zu derselben bezeichnet. Da aber in der Natur Jedes aus einer Ursache hervorgeht; so ist jedes Wirkliche auch nothwendig: aber wieder auch nur sofern es zu dieser Zeit, an diesem Ort ist: denn allein darauf erstreckt sich die Bestimmung durch das Gesetz der Kausalität. Verlassen wir aber die anschauliche Natur und gehen übet zum abstrakten Denken; so können wir, in der Reflexion, alle Naturgesetze, die uns theils a priori, theils erst a posteriori bekannt sind, uns vorstellen, und diese abstrakte Vorstellung enthält Alles, was in der Natur zu irgend einer Zeit, an irgend einem Ort ist, aber mit Abstraktion von jedem bestimmten Ort und Zeit: und damit eben, durch solche Reflexion, sind wir ins weite Reich der Möglichkeit getreten. Was aber sogar auch hier keine Stelle findet, ist das Unmögliche. Es ist offenbar, daß Möglichkeit und Unmöglichkeit nur für die Reflexion, für die abstrakte Erkenntniß der Vernunft, nicht für die anschauliche Erkenntniß dasind; obgleich die reinen Formen dieser es sind, welche der Vernunft die Bestimmung des Möglichen und Unmöglichen an die Hand geben. Je nachdem die Naturgesetze, von denen wir beim Denken des Möglichen und Unmöglichen ausgehen, a priori oder a posteriori erkannt sind, ist die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eine metaphysische, oder nur physische.
Aus dieser Darstellung, die keines Beweises bedarf, weil sie sich unmittelbar auf die Erkenntniß des Satzes vom Grunde und auf die Entwickelung der Begriffe des Nothwendigen, Wirklichen und Möglichen stützt, geht genugsam hervor, wie ganz grundlos Kants Annahme dreier besonderer Funktionen des Verstandes für jene drei Begriffe ist, und daß er hier abermals durch kein Bedenken sich hat stören lassen in der Durchführung seiner architektonischen Symmetrie.
Hiezu kommt nun aber noch der sehr große Fehler, daß er, freilich nach dem Vorgang der früheren Philosophie, die Begriffe des Nothwendigen und Zufälligen mit einander verwechselt hat. Jene frühere Philosophie nämlich hat die Abstraktion zu folgendem Mißbrauch benutzt. Es war offenbar, daß Das, dessen Grund gesetzt ist, unausbleiblich folgt, d. h. nicht nichtseyn kann, also nothwendig ist. An diese letzte Bestimmung aber hielt man sich ganz allein und sagte: nothwendig ist, was nicht anders seyn kann, oder dessen Gegentheil unmöglich. Man ließ aber den Grund und die Wurzel solcher Nothwendigkeit aus der Acht, übersah die daraus sich ergebende Relativität aller Nothwendigkeit und machte dadurch die ganz undenkbare Fiktion von einem absolut Nothwendigen, d. h. von einem Etwas, dessen Daseyn so unausbleiblich wäre, wie die Folge aus dem Grunde, das aber doch nicht Folge aus einem Grunde wäre und daher von nichts abhienge; welcher Beisatz eben eine absurde Petition ist, weil sie dem Satz vom Grunde widerstreitet. Von dieser Fiktion nun ausgehend erklärte man, der Wahrheit diametral entgegen, gerade Alles was durch einen Grund gesetzt ist, für das Zufällige, indem man nämlich auf das Relative seiner Nothwendigkeit sah und diese verglich mit jener ganz aus der Luft gegriffenen, in ihrem Begriff sich widersprechenden absoluten Nothwendigkeit Man sehe Christian Wolf's »Vernünftige Gedanken von Gott, Welt und Seele«, §. 577-579. – Sonderbar ist es, daß er nur das nach dem Satz vom Grunde des Werdens Nothwendige, d. h. aus Ursachen Geschehende, für zufällig erklärt, hingegen das nach den übrigen Gestaltungen des Satzes vom Grunde Nothwendige, auch dafür anerkennt, z. B. was aus der essentia (Definition) folgt, also die analytischen Urtheile, ferner auch die mathematischen Wahrheiten. Als Grund hievon giebt er an, daß nur das Gesetz der Kausalität endlose Reihen gebe, die anderen Arten von Gründen aber endliche. Dies ist jedoch bei den Gestaltungen des Satzes vom Grunde im reinen Raum und Zeit gar nicht der Fall, sondern gilt nur vom logischen Erkenntnißgrund: für einen solchen hielt er aber die mathematische Nothwendigkeit. – Vergleiche: Abhandlung über den Satz vom Grunde, §. 50.. Diese grundverkehrte Bestimmung des Zufälligen behält nun auch Kant bei und giebt sie als Erklärung: »Kritik der reinen Vernunft«, V, S. 289-291; 243. V, 301; 419. V, 447, 486, 488. Er geräth dabei sogar in den augenfälligsten Widerspruch mit sich selbst, indem er S. 301 sagt: »Alles Zufällige hat eine Ursache«, und hinzufügt: »Zufällig ist, dessen Nichtseyn möglich.« Was aber eine Ursache hat, dessen Nichtseyn ist durchaus unmöglich: also ist es nothwendig. – Uebrigens ist der Ursprung dieser ganzen falschen Erklärung des Nothwendigen und Zufälligen schon bei Aristoteles zu finden und zwar » De generatione et corruptione«, Lib. II, c. 9 et 11, wo nämlich das Nothwendige erklärt wird als Das, dessen Nichtseyn unmöglich ist: ihm steht gegenüber Das, dessen Seyn unmöglich ist; zwischen diesen Beiden liegt nun Das, was seyn und auch nichtseyn kann, – also das Entstehende und Vergehende, und dieses wäre denn das Zufällige. Nach dem oben Gesagten ist es klar, daß diese Erklärung, wie so viele des Aristoteles, entstanden ist aus dem Stehenbleiben bei abstrakten Begriffen, ohne auf das Konkrete und Anschauliche zurückzugehen, in welchem doch die Quelle aller abstrakten Begriffe liegt, durch welches sie daher stets kontrolirt werden müssen. »Etwas, dessen Nichtseyn unmöglich ist« – läßt sich allenfalls in abstracto denken: aber gehen wir damit zum Konkreten, Realen, Anschaulichen, so finden wir nichts, den Gedanken, auch nur als ein Mögliches, zu belegen, – als eben nur die besagte Folge eines gegebenen Grundes, deren Nothwendigkeit jedoch eine relative und bedingte ist.
Ich füge bei dieser Gelegenheit noch einige Bemerkungen über jene Begriffe der Modalität hinzu. – Da alle Nothwendigkeit auf dem Satze vom Grunde beruht, und eben deshalb relativ ist; so sind alle apodiktischen Urtheile ursprünglich und ihrer letzten Bedeutung nach hypothetisch. Sie werden kategorisch nur durch den Zutritt einer assertorischen Minor, also im Schlußsatz. Ist diese Minor noch unentschieden, und wird diese Unentschiedenst ausgedrückt; so giebt dieses das problematische Urtheil.
Was im Allgemeinen (als Regel) apodiktisch ist (ein Naturgesetz), ist in Bezug auf einen einzelnen Fall immer nur problematisch, weil erst die Bedingung wirklich eintreten muß, die den Fall unter die Regel setzt. Und umgekehrt, was im Einzelnen als solches nothwendig (apodiktisch) ist (jede einzelne Veränderung, nothwendig durch ihre Ursache), ist überhaupt und allgemein ausgesprochen wieder nur problematisch; weil die eingetretene Ursache nur den einzelnen Fall traf, und das apodiktische, immer hypothetische Urtheil stets nur allgemeine Gesetze aussagt, nicht unmittelbar einzelne Fälle. – Dieses Alles hat seinen Grund darin, daß die Möglichkeit nur im Gebiet der Reflexion und für die Vernunft da ist, das Wirkliche im Gebiet der Anschauung und für den Verstand; das Nothwendige für beide. Sogar ist eigentlich der Unterschied zwischen nothwendig, wirklich und möglich nur in abstracto und dem Begriffe nach vorhanden; in der realen Welt hingegen fallen alle Drei in Eins zusammen. Denn Alles, was geschieht, geschieht nothwendig; weil es aus Ursachen geschieht, diese aber selbst wieder Ursachen haben; so daß sämmtliche Hergänge der Welt, große wie kleine, eine strenge Verkettung des nothwendig Eintretenden sind. Demgemäß ist alles Wirkliche zugleich ein Nothwendiges, und in der Realität zwischen Wirklichkeit und Nothwendigkeit kein Unterschied; und eben so keiner zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit: denn was nicht geschehen, d. h. nicht wirklich geworden ist, war auch nicht möglich; weil die Ursachen, ohne welche es nimmermehr eintreten konnte, selbst nicht eingetreten sind, noch eintreten konnten, in der großen Verkettung der Ursachen: es war also ein Unmögliches. Jeder Vorgang ist demnach entweder nothwendig, oder unmöglich. Dieses Alles gilt bloß von der empirisch realen Welt, d. h. dem Komplex der einzelnen Dinge, also vom ganz Einzelnen als solchem. Betrachten wir hingegen, mittelst der Vernunft, die Dinge im Allgemeinen, sie in abstracto auffassend; so treten Nothwendigkeit, Wirklichkeit und Möglichkeit wieder auseinander: wir erkennen dann alles den unserem Intellekt angehörenden Gesetzen a priori Gemäße als überhaupt möglich; das den empirischen Naturgesetzen Entsprechende als in dieser Welt möglich, auch wenn es nie wirklich geworden, unterscheiden also deutlich das Mögliche vom Wirklichen. Das Wirkliche ist an sich selbst zwar stets auch ein Nothwendiges, wird aber als solches nur von Dem aufgefaßt, der seine Ursache kennt: abgesehen von dieser ist und heißt es zufällig. Diese Betrachtung giebt uns auch den Schlüssel zu jener contentio πεϱι zwischen dem Megariker Diodoros und Chrysippos dem Stoiker, welche Cicero vorträgt im Buche de fato. Diodoros sagt: »Nur was wirklich wird, ist möglich gewesen: und alles Wirkliche ist auch nothwendig.« – Chrysippos dagegen: »Es ist Vieles möglich, das nie wirklich wird: denn nur das Nothwendig wird möglich.« – Wir können uns dies so erläutern. Die Wirklichkeit ist die Konklusion eines Schlusses, zu dem die Möglichkeit die Prämissen giebt. Doch ist hiezu nicht allein die Major, sondern auch die Minor erfordert: erst Beide geben die volle Möglichkeit. Die Major nämlich giebt eine bloß theoretische, allgemeine Möglichkeit in abstracto: diese macht an sich aber noch gar nichts möglich, d. h. fähig wirklich zu werden. Dazu gehört noch die Minor, als welche die Möglichkeit für den einzelnen Fall giebt, indem sie ihn unter die Regel bringt. Dieser wird eben dadurch sofort zur Wirklichkeit. Z. B.:
Maj. Alle Häuser (folglich auch mein Haus) können abbrennen.
Min. Mein Haus geräth in Brand.
Konkl. Mein Haus brennt ab.
Denn jeder allgemeine Satz, also jede Major, bestimmt, in Hinsicht auf die Wirklichkeit, die Dinge stets nur unter einer Voraussetzung, mithin hypothetisch: z. B. das Abbrennenkönnen hat zur Voraussetzung das Inbrandgerathen. Diese Voraussetzung wird in der Minor beigebracht. Allemal ladet die Major die Kanone: allein erst wenn die Minor die Lunte hinzubringt, erfolgt der Schuß, die Konklusio. Das gilt durchweg vom Verhältniß der Möglichkeit zur Wirklichkeit. Da nun die Konklusiv, welche die Aussage der Wirklichkeit ist, stets nothwendig erfolgt; so geht hieraus hervor, daß Alles, was wirklich ist, auch nothwendig ist; welches auch daraus einzusehen, daß Nothwendigseyn nur heißt, Folge eines gegebenen Grundes seyn: dieser ist beim Wirklichen eine Ursache: also ist alles Wirkliche nothwendig. Demnach sehen wir hier die Begriffe des Möglichen, Wirklichen und Nothwendigen zusammenfallen und nicht bloß den letzteren den ersteren voraussetzen, sondern auch umgekehrt. Was sie auseinanderhält, ist die Beschränkung unseres Intellekts durch die Form der Zeit: denn die Zeit ist das Vermittelnde zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit. Die Nothwendigkeit der einzelnen Begebenheit läßt sich durch die Erkenntniß ihrer sämmtlichen Ursachen vollkommen einsehen: aber das Zusammentreffen dieser sämmtlichen, verschiedenen und von einander unabhängigen Ursachen erscheint für uns als zufällig, ja die Unabhängigkeit derselben von einander ist eben der Begriff der Zufälligkeit. Da aber doch jede von ihnen die nothwendige Folge ihrer Ursache war, deren Kette anfangslos ist; so zeigt sich, daß die Zufälligkeit eine bloß subjektive Erscheinung ist, entstehend aus der Begränzung des Horizonts unseres Verstandes, und so subjektiv, wie der optische Horizont, in welchem der Himmel die Erde berührt.
Da Nothwendigkeit einerlei ist mit Folge aus gegebenem Grunde, so muß sie auch bei jeder Gestaltung des Satzes vom Grunde als eine besondere erscheinen und auch ihren Gegensatz haben an der Möglichkeit und Unmöglichkeit, welcher immer erst durch Anwendung der abstrakten Betrachtung der Vernunft auf den Gegenstand entsteht. Daher stehen den oben erwähnten vier Arten von Nothwendigkeiten eben so viele Arten von Unmöglichkeiten gegenüber: also physische, logische, mathematische, praktische. Dazu mag noch bemerkt werden, daß wenn man ganz innerhalb des Gebietes abstrakter Begriffe sich hält, die Möglichkeit immer dem allgemeinern, die Nothwendigkeit dem engern Begriff anhängt: z. B. »ein Thier kann seyn ein Vogel, Fisch, Amphibie u. s. w.« – »eine Nachtigall muß seyn ein Vogel, dieser ein Thier, dieses ein Organismus, dieser ein Körper«. – Eigentlich weil die logische Nothwendigkeit, deren Ausdruck der Syllogismus ist, vom Allgemeinen auf das Besondere geht und nie umgekehrt. – Dagegen ist in der anschaulichen Natur (den Vorstellungen der ersten Klasse) eigentlich alles nothwendig, durch das Gesetz der Kausalität: bloß die hinzutretende Reflexion kann es zugleich als zufällig auffassen, es vergleichend mit dem was nicht dessen Ursache ist, und auch als bloß und rein wirklich, durch Absehen von aller Kausalverknüpfung: nur bei dieser Klasse von Vorstellungen hat eigentlich der Begriff des Wirklichen Statt, wie auch schon die Abstammung des Worts vom Kausalitätsbegriffe anzeigt. – In der dritten Klasse der Vorstellungen, der reinen mathematischen Anschauung, ist, wenn man ganz innerhalb derselben sich hält, lauter Nothwendigkeit: Möglichkeit entsteht auch hier bloß durch Beziehung auf die Begriffe der Reflexion: z. B. »ein Dreieck kann seyn recht-, stumpf-, gleichwinklicht; muß seyn mit drei Winkeln, die zwei rechte betragen«. Also zum Möglichen kommt man hier nur durch Uebergang vom Anschaulichen zum Abstrakten.
Nach dieser Darstellung, welche die Erinnerung, sowohl an das in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, als im ersten Buch gegenwärtiger Schrift Gesagte voraussetzt, wird hoffentlich über den wahren und sehr verschiedenartigen Ursprung jener Formen der Urtheile, welche die Tafel vor Augen legt, weiter kein Zweifel seyn, wie auch nicht über die Unzulässigkeit und gänzliche Grundlosigkeit der Annahme von zwölf besonderen Funktionen des Verstandes zur Erklärung derselben. Von dieser letztern geben auch schon manche einzelne und sehr leicht zu machende Bemerkungen Anzeige. So gehört z. B. große Liebe zur Symmetrie und viel Vertrauen zu einem von ihr genommenen Leitfaden dazu, um anzunehmen, ein bejahendes, ein kategorisches und ein assertorisches Urtheil seien drei so grundverschiedene Dinge, daß sie berechtigten, zu jedem derselben eine ganz eigenthümliche Funktion des Verstandes anzunehmen.
Das Bewußtseyn der Unhaltbarkeit seiner Kategorienlehre verräth Kant selbst dadurch, daß er im dritten Hauptstück der Analysis der Grundsätze ( phaenomena et noumena) aus der ersten Auflage mehrere lange Stellen (nämlich S. 241, 242, 244-246, 248-253) in der zweiten Auflage weggelassen hat, welche die Schwäche jener Lehre zu unverhohlen an den Tag legten. So z. B. sagt er daselbst, S. 241, er habe die einzelnen Kategorien nicht definirt, weil er sie nicht definiren konnte, auch wenn er es gewollt hätte, indem sie keiner Definition fähig seien; – er hatte hiebei vergessen, daß er S. 82 derselben ersten Auflage gesagt hatte: »Der Definition der Kategorien überhebe ich mich geflissentlich, ob ich gleich im Besitz derselben seyn möchte.« – Dies war also – sit venia verbo – Wind. Diese letztere Stelle hat er aber stehen lassen. Und so verrathen alle jene nachher weislich weggelassenen Stellen, daß sich bei den Kategorien nichts Deutliches denken läßt und diese ganze Lehre auf schwachen Füßen steht.
Diese Kategorientafel soll nun der Leitfaden seyn, nach welchem jede metaphysische, ja, jede wissenschaftliche Betrachtung anzustellen ist. (Prolegomena, §. 39.) Und in der That ist sie nicht nur die Grundlage der ganzen Kantischen Philosophie und der Typus, nach welchem deren Symmetrie überall durchgeführt wird, wie ich bereits oben gezeigt habe; sondern sie ist auch recht eigentlich das Bett des Prokrustes geworden, in welches Kant jede mögliche Betrachtung hineinzwängt, durch eine Gewaltthätigkeit, die ich jetzt noch etwas näher betrachten werde. Was mußten aber bei einer solchen Gelegenheit nicht erst die imitatores, servum pecus thun! Man hat es gesehen. Jene Gewaltthätigkeit also wird dadurch ausgeübt, daß man die Bedeutung der Ausdrücke, welche die Titel, Formen der Urtheile und Kategorien bezeichnen, ganz bei Seite setzt und vergißt, und sich allein an diese Ausdrücke selbst hält. Diese haben zum Theil ihren Ursprung aus des Aristoteles Analyth. priora, I, 23 (περι ποιοτητος και προσοτητος των του συλλογισμου ὁρων: de qualitate et quantitate terminorum syllogismi), sind aber willkürlich gewählt: denn den Umfang der Begriffe hätte man auch wohl noch anders, als durch das Wort Quantität, bezeichnen können, obwohl gerade dieses noch besser, als die übrigen Titel der Kategorien, zu seinem Gegenstande paßt. Schon das Wort Qualität hat man offenbar nur gewählt aus der Gewohnheit, der Quantität die Qualität gegenüber zu stellen: denn für Bejahung und Verneinung ist der Name Qualität doch wohl willkürlich genug ergriffen. Nun aber wird von Kant, bei jeder Betrachtung, die er anstellt, jede Quantität in Zeit und Raum, und jede mögliche Qualität von Dingen, physische, moralische u. s. w. unter jene Kategorientitel gebracht, obgleich zwischen diesen Dingen und jenen Titeln der Formen des Urtheilens und Denkens nicht das mindeste Gemeinsame ist, außer der zufälligen, willkürlichen Benennung. Man muß alle Hochachtung, die man Kanten übrigens schuldig ist, sich gegenwärtig halten, um nicht seinen Unwillen über dieses Verfahren in harten Ausdrücken zu äußern. – Das nächste Beispiel liefert uns gleich die reine physiologische Tafel allgemeiner Grundsätze der Naturwissenschaft. Was, in aller Welt, hat die Quantität der Urtheile damit zu thun, daß jede Anschauung eine extensive Größe hat? was die Qualität der Urtheile damit, daß jede Empfindung einen Grad hat? – Ersteres beruht vielmehr darauf, daß der Raum die Form unserer äußern Anschauung ist, und Letzteres ist nichts weiter, als eine empirische und noch dazu ganz subjektive Wahrnehmung, bloß aus der Betrachtung der Beschaffenheit unserer Sinnesorgane geschöpft. – Ferner auf der Tafel, welche den Grund zur rationalen Psychologie legt (Kritik der reinen Vernunft, S. 344; V, 402), wird unter der Qualität die Einfachheit der Seele angeführt: diese ist aber gerade eine quantitative Eigenschaft, und zur Bejahung oder Verneinung im Urtheil hat sie gar keine Beziehung. Allein die Quantität sollte ausgefüllt werden durch die Einheit der Seele, die doch in der Einfachheit schon begriffen ist. Dann ist die Modalität auf eine lächerliche Weise hineingezwängt: die Seele stehe nämlich im Verhältniß zu möglichen Gegenständen; Verhältniß gehört aber zur Relation; allein diese ist bereits durch Substanz eingenommen. Sodann werden die vier kosmologischen Ideen, welche der Stoff der Antinomien sind, auf die Titel der Kategorien zurückgeführt; worüber das Nähere weiter unten, bei der Prüfung dieser Antinomien. Mehrere wo möglich noch grellere Beispiele liefert die Tafel der Kategorien der Freiheit! in der »Kritik der praktischen Vernunft«; – ferner in der »Kritik der Urtheilskraft« das erste Buch, welches das Geschmacksurtheil nach den vier Titeln der Kategorien durchgeht; endlich die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft, die ganz nach der Kategorientafel zugeschnitten sind, wodurch eben vielleicht das Falsche, welches dem Wahren und Vortrefflichen dieses wichtigen Werkes hin und wieder beigemischt ist, hauptsächlich veranlaßt worden. Man sehe nur am Ende des ersten Hauptstücks, wie die Einheit, Vielheit, Allheit der Richtungen der Linien den nach der Quantität der Urtheile so benannten Kategorien entsprechen soll.
Der Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz ist aus der Kategorie der Subsistenz und Inhärenz abgeleitet. Diese kennen wir aber nur aus der Form der kategorischen Urtheile, d. i. aus der Verbindung zweier Begriffe als Subjekt und Prädikat. Wie gewaltsam ist daher von dieser einfachen, rein logischen Form jener große metaphysische Grundsatz abhängig gemacht! Allein es ist auch nur pro forma und der Symmetrie wegen geschehen. Der Beweis, der hier für diesen Grundsatz gegeben wird, setzt dessen vermeintlichen Ursprung aus dem Verstände und aus der Kategorie ganz bei Seite, und ist aus der reinen Anschauung der Zeit geführt. Aber auch dieser Beweis ist ganz unrichtig. Es ist falsch, daß es in der bloßen Zeit eine Simultaneität und eine Dauer gebe; diese Vorstellungen gehen allererst hervor aus der Vereinigung des Raumes mit der Zeit, wie ich bereits gezeigt habe in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, §. 18, und noch weiter ausgeführt §. 4 gegenwärtiger Schrift; beide Auseinandersetzungen muß ich zum Verständniß des Folgenden voraussetzen. Es ist falsch, daß bei allem Wechsel die Zeit selbst bleibe; vielmehr ist gerade sie selbst das fließende: eine bleibende Zeit ist ein Widerspruch. Kants Beweis ist unhaltbar, so sehr er ihn auch mit Sophismen gestützt hat: ja, er geräth dabei in den handgreiflichsten Widerspruch. Nachdem er nämlich (S. 177; V, 219) das Zugleichseyn fälschlich als einen Modus der Zeit ausgestellt hat, sagt er (S. 183; V, 226) ganz richtig: »Das Zugleichseyn ist nicht ein Modus der Zeit, als in welcher gar keine Theile zugleich sind, sondern alle nach einander.« – In Wahrheit ist im Zugleichseyn der Raum eben so sehr implicirt, wie die Zeit. Denn, sind zwei Dinge zugleich und doch nicht Eins, so sind sie durch den Raum verschieden; sind zwei Zustände eines Dinges zugleich (z. B. das Leuchten und die Hitze des Eisens), so sind sie zwei gleichzeitige Wirkungen eines Dinges, setzen daher die Materie und diese den Raum voraus. Streng genommen ist das Zugleich eine negative Bestimmung, die bloß enthält, daß zwei Dinge, oder Zustände, nicht durch die Zeit verschieden sind, ihr Unterschied also anderweitig zu suchen ist. – Allerdings aber muß unsere Erkenntniß von der Beharrlichkeit der Substanz, d. i. der Materie, auf einer Einsicht a priori beruhen; da sie über allen Zweifel erhaben ist, daher nicht aus der Erfahrung geschöpft seyn kann. Ich leite sie davon ab, daß das Princip alles Werdens und Vergehens, das Gesetz der Kausalität, dessen wir uns a priori bewußt sind, ganz wesentlich nur die Veränderungen, d. h. die successiven Zustände der Materie betrifft, also auf die Form beschränkt ist, die Materie aber unangetastet läßt, welche daher in unserm Bewußtseyn als die keinem Werden und Vergehen unterworfene, mithin immer gewesene und immer bleibende Grundlage aller Dinge dasteht. Eine tiefere, aus der Analyse unserer anschaulichen Vorstellung der empirischen Welt überhaupt geschöpfte Begründung der Beharrlichkeit der Substanz findet man in unserem ersten Buch, §. 4, als wo gezeigt worden, daß das Wesen der Materie in der gänzlichen Vereinigung von Raum und Zeit besteht, welche Vereinigung nur mittelst der Vorstellung der Kausalität möglich ist, folglich nur für den Verstand, der nichts, als das subjektive Korrelat der Kausalität ist, daher auch die Materie nie anders als wirkend, d. h. durch und durch als Kausalität erkannt wird, Seyn und Wirken bei ihr Eins ist, welches schon das Wort Wirklichkeit andeutet. Innige Vereinigung von Raum und Zeit, – Kausalität, Materie, Wirklichkeit, – sind also Eines, und das subjektive Korrelat dieses Einen ist der Verstand. Die Materie muß die sich widerstreitenden Eigenschaften der beiden Faktoren, aus denen sie hervorgeht, an sich tragen, und die Vorstellung der Kausalität ist es, die das Widersprechende beider aufhebt und ihr Zusammenbestehen faßlich macht dem Verstände, durch den und für den allein die Materie ist und dessen ganzes Vermögen im Erkennen von Ursache und Wirkung besteht: für ihn also vereinigt sich in der Materie der bestandlose Fluß der Zeit, als Wechsel der Accidenzien auftretend, mit der starren Unbeweglichkeit des Raumes, die sich darstellt als das Beharren der Substanz. Denn vergienge, wie die Accidenzien, so auch die Substanz; so würde die Erscheinung vom Raume ganz losgerissen und gehörte nur noch der bloßen Zeit an: die Welt der Erfahrung wäre aufgelöst, durch Vernichtung der Materie, Annihilation. – Aus dem Antheil also, den der Raum an der Materie d. i. an allen Erscheinungen der Wirklichkeit hat, – indem er der Gegensatz und das Widerspiel der Zeit ist und daher, an sich und außer dem Verein mit jener, gar keinen Wechsel kennt. – mußte jener Grundsatz von der Beharrlichkeit der Substanz, den Jeder als a priori gewiß anerkennt, abgeleitet und erklärt werden, nicht aber aus der bloßen Zeit, welcher Kant zu diesem Zweck ganz widersinnig ein Bleiben angedichtet hat.
Die Unrichtigkeit des jetzt folgenden Beweises der Apriorität und Nothwendigkeit des Gesetzes der Kausalität, aus der bloßen Zeitfolge der Begebenheiten, habe ich ausführlich dargethan in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, § 23; darf mich also hier nur darauf berufen Mit jener meiner Widerlegung des Kantischen Beweises kann man beliebig die früheren Angriffe auf denselben vergleichen von Feder, Ueber Zeit, Raum und Kausalität, §. 28; und von G. E. Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, Bd. 2, S. 422-442.. Ganz eben so verhält es sich mit dem Beweise der Wechselwirkung, deren Begriff ich sogar oben als nichtig darstellen mußte. – Auch über die Modalität, von deren Grundsätzen nun die Ausführung folgt, ist schon das Nöthige gesagt. –
Ich hätte noch manche Einzelnheiten in fernerem Verfolg der transscendentalen Analytik zu widerlegen, fürchte jedoch die Geduld des Lesers zu ermüden und überlasse dieselben daher seinem eigenen Nachdenken. Aber immer von Neuem tritt uns in der Kritik der reinen Vernunft jener Haupt- und Grundfehler Kants, welchen ich oben ausführlich gerügt habe, entgegen, die gänzliche Nichtunterscheidung der abstrakten, diskursiven Erkenntniß von der intuitiven. Diese ist es, welche eine beständige Dunkelheit über Kants ganze Theorie des Erkenntnißvermögens verbreitet, und den Leser nie wissen läßt, wovon jedesmal eigentlich die Rede ist; so daß er, statt zu verstehen, immer nur muthmaaßt, indem er das jedesmal Gesagte abwechselnd vom Denken und vom Anschauen zu verstehen versucht, und stets in der Schwebe bleibt. Jener unglaubliche Mangel an Besinnung über das Wesen der anschaulichen und der abstrakten Vorstellung bringt, wie ich sogleich näher erörtern werde, in dem Kapitel »von der Unterscheidung aller Gegenstände in Phänomena und Noumena« Kanten zu der monströsen Behauptung, daß es ohne Denken, also ohne abstrakte Begriffe, gar keine Erkenntniß eines Gegenstandes gebe, und daß die Anschauung, weil sie kein Denken ist, auch gar kein Erkennen sei und überhaupt nichts, als eine bloße Affektion der Sinnlichkeit, bloße Empfindung! Ja noch mehr, daß Anschauung ohne Begriff ganz leer sei; Begriff ohne Anschauung aber immer noch etwas (S. 253; V, 309). Dies ist nun das gerade Gegentheil der Wahrheit: denn eben Begriffe erhalten alle Bedeutung, allen Inhalt, allein aus ihrer Beziehung auf anschauliche Vorstellungen, aus denen sie abstrahirt, abgezogen, d. h. durch Fallenlassen alles Unwesentlichen gebildet worden; daher, wenn ihnen die Unterlage der Anschauung entzogen wird, sie leer und nichtig sind. Anschauungen hingegen haben an sich selbst unmittelbare und sehr große Bedeutung (in ihnen ja objektivirt sich das Ding an sich): sie vertreten sich selbst, sprechen sich selbst aus, haben nicht bloß entlehnten Inhalt, wie die Begriffe. Denn über sie herrscht der Satz vom Grunde nur als Gesetz der Kausalität, und bestimmt als solches nur ihre Stelle in Raum und Zeit; nicht aber bedingt er ihren Inhalt und ihre Bedeutsamkeit, wie es bei den Begriffen der Fall ist, wo er vom Grunde des Erkennens gilt. Uebrigens sieht es aus, als ob Kant gerade hier recht eigentlich darauf ausgehen wolle, die anschauliche und die abstrakte Vorstellung zu unterscheiden: er wirft Leibnitzen und Locken vor, jener hätte alles zu abstrakten, dieser zu anschaulichen Vorstellungen gemacht. Aber es kommt doch zu keiner Unterscheidung: und wenn gleich Locke und Leibnitz wirklich jene Fehler begingen, so fällt Kanten selbst ein dritter, jene beiden umfassenden Fehler zur Last, nämlich Anschauliches und Abstraktes dermaaßen vermischt zu haben, daß ein monströser Zwitter von beiden entstand, ein Unding, von dem keine deutliche Vorstellung möglich ist und welches daher nur die Schüler verwirren, betäuben und in Streit versetzen mußte.
Allerdings nämlich treten mehr noch als irgendwo Denken und Anschauung auseinander in dem besagten Kapitel »von der Unterscheidung aller Gegenstände in Phänomena und Noumena«: allein die Art dieser Unterscheidung ist hier eine grundfalsche. Es heißt nämlich S. 253; V, 309: »Wenn ich alles Denken (durch Kategorien) aus einer empirischen Erkenntniß wegnehme; so bleibt gar keine Erkenntniß eines Gegenstandes übrig: denn durch bloße Anschauung wird gar nichts gedacht, und daß diese Affektion der Sinnlichkeit in mir ist, macht gar keine Beziehung von dergleichen Vorstellungen auf irgend ein Objekt aus.« – Dieser Satz enthält gewissermaaßen alle Irrthümer Kants in einer Nuß; indem dadurch an den Tag kommt, daß er das Verhältniß zwischen Empfindung, Anschauung und Denken falsch gefaßt hat und demnach die Anschauung, deren Form denn doch der Raum und zwar nach allen drei Dimensionen seyn soll, mit der bloßen, subjektiven Empfindung in den Sinnesorganen identificirt, das Erkennen eines Gegenstandes aber allererst durch das vom Anschauen verschiedene Denken hinzukommen läßt. Ich sage hingegen: Objekte sind zunächst Gegenstände der Anschauung, nicht des Denkens, und alle Erkenntniß von Gegenständen ist ursprünglich und an sich selbst Anschauung: diese aber ist keineswegs bloße Empfindung, sondern schon bei ihr erzeigt der Verstand sich thätig. Das allein beim Menschen, nicht aber bei den Thieren, hinzukommende Denken ist bloße Abstraktion aus der Anschauung, giebt keine von Grund aus neue Erkenntniß, setzt nicht allererst Gegenstände, die vorher nicht dagewesen; sondern ändert bloß die Form der durch die Anschauung bereits gewonnenen Erkenntniß, macht sie nämlich zu einer abstrakten in Begriffen, wodurch die Anschaulichkeit verloren geht, dagegen aber Kombination derselben möglich wird, welche deren Anwendbarkeit unermeßlich erweitert. Der Stoff unseres Denkens hingegen ist kein anderer, als unsere Anschauungen selbst, und nicht etwas, welches, in der Anschauung nicht enthalten, erst durch das Denken hinzugebracht würde: daher auch muß von Allem, was in unserem Denken vorkommt, der Stoff sich in unserer Anschauung nachweisen lassen; da es sonst ein leeres Denken wäre. Wiewohl dieser Stoff durch das Denken gar vielfältig bearbeitet und umgestaltet wird; so muß er doch daraus wieder hergestellt und das Denken auf ihn zurückgeführt werden können; – wie man ein Stück Gold aus allen seinen Auflösungen, Oxydationen, Sublimationen und Verbindungen zuletzt wieder reducirt und es regulinisch und unvermindert wieder vorlegt. Dem könnte nicht so seyn, wenn das Denken selbst etwas, ja gar die Hauptsache, dem Gegenstande hinzugethan hätte.
Das ganze darauf folgende Kapitel von der Amphibolie ist bloß eine Kritik der Leibnitzischen Philosophie und als solche im Ganzen richtig, obwohl der ganze Zuschnitt bloß der architektonischen Symmetrie zu Liebe gemacht ist, die auch hier den Leitfaden giebt. So wird, um die Analogie mit dem Aristotelischen Organon herauszubringen, eine transscendentale Topik aufgestellt, die darin besteht, daß man jeden Begriff nach vier Rücksichten überlegen soll, um erst auszumachen, vor welches Erkenntnißvermögen er gehöre. Jene vier Rücksichten aber sind ganz und gar beliebig angenommen, und mit gleichem Rechte ließen sich noch zehn andere hinzufügen: ihre Vierzahl entspricht aber den Kategorientiteln, daher werden unter sie die Leibnitzischen Hauptlehren vertheilt, so gut es gehen will. Auch wird durch diese Kritik gewissermaaßen zu natürlichen Irrthümern der Vernunft gestempelt, was bloß falsche Abstraktionen Leibnitzens waren, der, statt von seinen großen philosophischen Zeitgenossen, Spinoza und Locke, zu lernen, lieber seine eigenen seltsamen Erfindungen auftischte. Im Kapitel von der Amphibolie der Reflexion wird zuletzt gesagt, es könne möglicherweise eine von der unserigen ganz verschiedene Art der Anschauung geben, auf dieselbe unsere Kategorien aber doch anwendbar seyn; daher die Objekte jener supponirten Anschauung die Noumena wären, Dinge, die sich von uns bloß denken ließen, aber da uns die Anschauung, welche jenem Denken Bedeutung gäbe, fehle, ja gar ganz problematisch sei, so wäre der Gegenstand jenes Denkens auch bloß eine ganz unbestimmte Möglichkeit. Ich habe oben durch angeführte Stellen gezeigt, daß Kant, im größten Widerspruch mit sich, die Kategorien bald als Bedingung der anschaulichen Vorstellung, bald als Funktion des bloß abstrakten Denkens aufstellt. Hier treten sie nun ausschließlich in letzterer Bedeutung auf, und es scheint ganz und gar, als wolle er ihnen bloß ein diskursives Denken zuschreiben. Ist aber dies wirklich seine Meinung, so hätte er doch nothwendig am Anfange der transscendentalen Logik, ehe er die verschiedenen Funktionen des Denkens so weitläufig specificirte, das Denken überhaupt charakterisiren sollen, es folglich vom Anschauen unterscheiden, zeigen sollen, welche Erkenntniß das bloße Anschauen gebe und welche neue im Denken hinzukomme. Dann hätte man gewußt, wovon er eigentlich redet, oder vielmehr, dann würde er auch ganz anders geredet haben, nämlich einmal vom Anschauen und dann vom Denken, statt daß er jetzt es immer mit einem Mittelding von beiden zu thun hat, welches ein Unding ist. Dann wäre auch nicht jene große Lücke zwischen der transscendentalen Aesthetik und der transscendentalen Logik, wo er, nach Darstellung der bloßen Form der Anschauung, ihren Inhalt, die ganze empirische Wahrnehmung, eben nur abfertigt mit dem »sie ist gegeben«, und nicht fragt, wie sie zu Stande kommt, ob mit oder ohne Verstand; sondern mit einem Sprunge zum abstrakten Denken übergeht und nicht einmal zum Denken überhaupt, sondern gleich zu gewissen Denkformen, und kein Wort darüber sagt, was Denken sei, was Begriff, welches das Verhältniß; des Abstrakten und Diskursiven zum Konkreten und Intuitiven, welches der Unterschied zwischen der Erkenntniß des Menschen und der des Thieres, und was die Vernunft sei.
Eben jener von Kant ganz übersehene Unterschied zwischen abstrakter und anschaulicher Erkenntniß war es aber, welchen die alten Philosophen durch φαινομενα und νοουμενα bezeichneten Siehe Sext. Empir. Pyrrhon. Hypotyp., Lib. I, c. 13, νοουμενα φ αινομενοις αντετιϑη Αναξαγοϱας ( intelligibilia apparentibus opposuit Anaxagoras). und deren Gegensatz und Inkommensurabilität ihnen so viel zu schaffen machte, in den Philosophemen der Eleaten, in Platons Lehre von den Ideen, in der Dialektik der Megariker, und später den Scholastikern, im Streit zwischen Nominalismus und Realismus, zu welchem den sich spät entwickelnden Keim schon die entgegengesetzte Geistesrichtung des Platon und des Aristoteles enthielt. Kant aber, der, auf eine unverantwortliche Weise, die Sache ganz vernachlässigte, zu deren Bezeichnung jene Worte φαινομενα und νοουμενα bereits eingenommen waren, bemächtigt sich nun der Worte, als wären sie noch herrenlos, um seine Dinge an sich und seine Erscheinungen damit zu bezeichnen.
Nachdem ich Kants Lehre von den Kategorien eben so habe verwerfen müssen, wie er selbst die des Aristoteles verwarf, will ich doch hier auf einen dritten Weg zur Erreichung des Beabsichtigten vorschlagsweise hinzeigen. Was nämlich Beide unter dem Namen der Kategorien suchten, waren jedenfalls die allgemeinsten Begriffe, unter welche man alle noch so verschiedenen Dinge subsumiren müsse, durch welche daher alles Vorhandene gedacht würde. Deshalb eben faßte sie Kant als die Formen alles Denkens aus.
Zur Logik verhält sich die Grammatik wie das Kleid zum Leibe. Sollten daher nicht diese allerobersten Begriffe, dieser Grundbaß der Vernunft, welcher die Unterlage alles speciellern Denkens ist, ohne dessen Anwendung daher gar kein Denken vor sich gehen kann, am Ende in den Begriffen liegen, welche eben wegen ihrer überschwänglichen Allgemeinheit (Transscendentalität) nicht an einzelnen Wörtern, sondern an ganzen Klassen von Wörtern ihren Ausdruck haben, indem bei jedem Worte, welches es auch sei, einer von ihnen schon mitgedacht ist; demgemäß man ihre Bezeichnung nicht im Lexikon, sondern in der Grammatik zu suchen hätte? Sollten es also nicht zuletzt jene Unterschiede der Begriffe seyn, vermöge welcher das sie ausdrückende Wort entweder ein Substantiv, oder ein Adjektiv, ein Verbum, oder ein Adverbium, ein Pronomen, eine Präposition, oder sonstige Partikel sei, kurz die partes orationis? Denn unstreitig bezeichnen diese die Formen, welche alles Denken zunächst annimmt und in denen es sich unmittelbar bewegt: deshalb eben sind sie die wesentlichen Sprachformen, die Grundbestandteile jeder Sprache, so daß wir uns keine Sprache denken können, die nicht wenigstens aus Substantiven, Adjektiven und Verben bestände. Diesen Grundformen wären dann diejenigen Gedankenformen unterzuordnen, welche durch die Flexionen jener, also durch Deklination und Konjugation ausgedrückt werden, wobei es in der Hauptsache unwesentlich ist, ob man in der Bezeichnung derselben den Artikel und das Pronomen zu Hülfe nimmt. Wir wollen jedoch die Sache noch etwas näher prüfen und von Neuem die Frage aufwerfen: welches sind die Formen des Denkens?
1) Das Denken besteht durchweg aus Urtheilen: Urtheile sind die Faden seines ganzen Gewebes. Denn ohne Gebrauch eines Verbi geht unser Denken nicht von der Stelle, und so oft wir ein Verbum gebrauchen, urtheilen wir.
2) Jedes Urtheil besteht im Erkennen des Verhältnisses zwischen Subjekt und Prädikat, die es trennt oder vereint mit mancherlei Restriktionen. Es vereint sie, vom Erkennen der wirklichen Identität Beider an, welche nur bei Wechselbegriffen Statt finden kann; dann im Erkennen, daß das Eine im Andern stets mitgedacht sei, wiewohl nicht umgekehrt, – im allgemein bejahenden Satz; bis zum Erkennen, daß das Eine bisweilen im Andern mitgedacht sei, im partikulär bejahenden Satz. Den umgekehrten Gang gehen die verneinenden Sätze. Demnach muß in jedem Urtheil Subjekt, Prädikat und Kopula, letztere affirmativ, oder negativ, zu finden seyn; wenn auch nicht Jedes von diesen durch ein eigenes Wort, wie jedoch meistens, bezeichnet ist. Oft bezeichnet ein Wort Prädikat und Kopula, wie: »Kajus altert«; bisweilen ein Wort alle Drei, wie: concurritur, d. h. »die Heere werden handgemein«. Hieraus erhellt, daß man die Formen des Denkens doch nicht so geradezu und unmittelbar in den Worten, noch selbst in den Redetheilen zu suchen hat; da das selbe Urtheil in verschiedenen. ja sogar in der selben Sprache durch verschiedene Worte und selbst durch verschiedene Redetheile ausgedrückt werden kann, der Gedanke aber dennoch der selbe bleibt, folglich auch seine Form: denn der Gedanke könnte nicht der selbe seyn, bei verschiedener Form des Denkens selbst. Wohl aber kann das Wortgebilde, bei gleichem Gedanken und gleicher Form desselben, ein verschiedenes seyn: denn es ist bloß die äußere Einkleidung des Gedankens, der hingegen von seiner Form unzertrennlich ist. Also erläutert die Grammatik nur die Einkleidung der Denkformen. Die Redetheile lassen sich daher ableiten aus den ursprünglichen, von allen Sprachen unabhängigen Denkformen selbst: diese, mit allen ihren Modifikationen, auszudrücken ist ihre Bestimmung. Sie sind das Werkzeug derselben, sind ihr Kleid, welches ihrem Gliederbau genau angepaßt sein muß, so daß dieser darin zu erkennen ist.
3) Diese wirklichen, unveränderlichen, ursprünglichen Formen des Denkens find allerdings die der logischen Tafel der Urtheile Kants; nur daß auf dieser sich blinde Fenster, zu Gunsten der Symmetrie und der Kategorientafel befinden, die alle wegfallen müssen; imgleichen eine falsche Ordnung. Also etwan:
a) Qualität: Bejahung oder Verneinung, d. i. Verbindung oder Trennung der Begriffe: zwei Formen. Sie hängt der Kopula an.
b) Quantität: der Subjektbegriff wird ganz oder zum Theil genommen: Allheit oder Vielheit. Zur ersteren gehören auch die individuellen Subjekte: Sokrates, heißt: »alle Sokrates«. Also nur zwei Formen. Sie hängt dem Subjekt an.
c) Modalität: hat wirklich drei Formen. Sie bestimmt die Qualität als nothwendig, wirklich, oder zufällig. Sie hängt folglich ebenfalls der Kopula an.
Diese drei Denkformen entspringen aus den Denkgesetzen vom Widerspruch und von der Identität. Aber aus dem Satz vom Grunde und dem vom ausgeschlossenen Dritten entsteht die
d) Relation. Sie tritt bloß ein, wenn über fertige Urtheile geurtheilt wird und kann nur darin bestehen, daß sie entweder die Abhängigkeit eines Urtheils von einem andern (auch in der Pluralität beider) angiebt, mithin sie verbindet, im hypothetischen Satz; oder aber angiebt, daß Urtheile einander ausschließen, mithin sie trennt, im disjunktiven Satz. Sie hängt der Kopula an, welche hier die fertigen Urtheile trennt oder verbindet.
Die Redetheile und grammatischen Formen sind Ausdrucksweisen der drei Bestandtheile des Urtheils, also des Subjekts, Prädikats und der Kopula, wie auch der möglichen Verhältnisse dieser, also der eben aufgezählten Denkformen, und der näheren Bestimmungen und Modifikationen dieser letzteren. Substantiv, Adjektiv und Verbum sind daher wesentliche Grundbestandteile der Sprache überhaupt; weshalb sie in allen Sprachen zu finden seyn müssen. Jedoch ließe sich eine Sprache denken, in welcher Adjektiv und Verbum stets mit einander verschmolzen wären, wie sie es in allen bisweilen sind. Vorläufig ließe sich sagen; zum Ausdruck des Subjekts sind bestimmt: Substantiv, Artikel und Pronomen; – zum Ausdruck des Prädikats: Adjektiv, Adverbium, Präposition; – zum Ausdruck der Kopula: das Verbum, welches aber, mit Ausnahme von esse, schon das Prädikat mit enthält. Den genauen Mechanismus des Ausdrucks der Denkformen hat die philosophische Grammatik zu lehren; wie die Operationen mit den Denkformen selbst die Logik.
Anmerkung. Zur Warnung vor einem Abwege und zur Erläuterung des Obigen erwähne ich S. Sterns »Vorläufige Grundlage zur Sprachphilosophie«, 1835, als einen gänzlich mißlungenen Versuch, aus den grammatischen Formen die Kategorien zu konstruiren. Er hat nämlich ganz und gar das Denken mit dem Anschauen verwechselt und daher aus den grammatischen Formen, statt der Kategorien des Denkens, die angeblichen Kategorien des Anschauens deduciren wollen, mithin die grammatischen Formen in gerade Beziehung zur Anschauung gesetzt. Er steckt in dem großen Irrthum, daß die Sprache sich unmittelbar auf die Anschauung beziehe; statt daß sie unmittelbar sich bloß auf das Denken als solches, also auf die abstrakten Begriffe bezieht und allererst mittelst dieser auf die Anschauung zu der sie nun aber ein Verhältniß haben, welches eine gänzliche Aenderung der Form herbeiführt. Was in der Anschauung, da ist, also auch die aus der Zeit und dem Raum entspringenden Verhältnisse, wird allerdings ein Gegenstand des Denkens; also muß es auch Sprachformen geben es auszudrücken, jedoch immer nur in abstracto, als Begriffe. Das nächste Material des Denkens sind allemal Begriffe, und nur auf solche beziehen sich die Formen der Logik, nie direkt auf die Anschauung. Diese bestimmt stets nur die materiale, nie die formale Wahrheit der Sätze, als welche sich nach den logischen Regeln allein richtet.
Ich kehre zur Kantischen Philosophie zurück und komme zur transscendentalen Dialektik. Kant eröffnet sie mit der Erklärung der Vernunft, welches Vermögen in ihr die Hauptrolle spielen soll, da bisher nur Sinnlichkeit und Verstand aus dem Schauplatz waren. Ich habe schon oben, unter seinen verschiedenen Erklärungen der Vernunft, auch von der hier gegebenen, »daß sie das Vermögen der Principien sei«, geredet. Hier wird nun gelehrt, daß alle bisher betrachteten Erkenntnisse a priori, welche die reine Mathematik und reine Naturwissenschaft möglich machen, bloße Regeln, aber keine Principien geben; weil sie aus Anschauungen und Formen der Erkenntniß hervorgehen, nicht aber aus bloßen Begriffen, welches erfordert sei, um Princip zu heißen. Ein solches soll demnach eine Erkenntniß aus bloßen Begriffen seyn und dennoch synthetisch. Dies ist aber schlechthin unmöglich. Aus bloßen Begriffen können nie andere, als analytische Sätze hervorgehen. Sollen Begriffe synthetisch und doch a priori verbunden werden; so muß nothwendig diese Verbindung durch ein Drittes vermittelt seyn, durch eine reine Anschauung der formellen Möglichkeit der Erfahrung; so wie die synthetischen Urtheile a posteriori, durch die empirische Anschauung vermittelt sind: folglich kann ein synthetischer Satz a priori, nie aus bloßen Begriffen hervorgehen. Ueberhaupt aber ist uns a priori nichts weiter bewußt, als der Satz vom Grunde, in seinen verschiedenen Gestaltungen, und es sind daher keine andere synthetische Urtheile a priori möglich, als die, welche aus dem, was jenem Satze den Inhalt giebt, hervorgehen.
Inzwischen tritt Kant endlich mit einem seiner Forderung entsprechenden angeblichen Princip der Vernunft hervor, aber auch nur mit diesem einen, aus dem nachher andere Folgesätze fließen. Es ist nämlich der Satz, den Chr. Wolf aufstellt und erläutert in seiner » Cosmologia«, sect. 1, c. 2, §. 93, und in seiner » Ontologia«, §. 178. Wie nun oben, unter dem Titel der Amphibolie, bloße Leibnitzische Philosophen für natürliche und nothwendige Irrwege der Vernunft genommen und als solche kritisirt wurden; gerade so geschieht das Selbe hier mit den Philosophemen Wolfs. Kant trägt dies Vernunftsprincip noch durch Undeutlichkeit, Unbestimmtheit und Zerstückelung in ein Dämmerlicht gebracht vor (S. 307; V, 361, und 322; V, 379): es ist aber, deutlich ausgesprochen, folgendes: »Wenn das Bedingte gegeben ist, so muß auch die Totalität seiner Bedingungen, mithin auch das Unbedingte, dadurch jene Totalität allein vollzählig wird, gegeben seyn.« Der scheinbaren Wahrheit dieses Satzes wird man am lebhaftesten inne werden, wenn man sich die Bedingungen und die Bedingten vorstellt als die Glieder einer herabhängenden Kette, deren oberes Ende jedoch nicht sichtbar ist, daher sie ins Unendliche fortgehen könnte: da aber die Kette nicht fällt, sondern hängt, so muß oben ein Glied das erste und irgendwie befestigt seyn. Oder kürzer: die Vernunft möchte für die ins Unendliche zurückweisende Kausalkette einen Anknüpfungspunkt haben; das wäre ihr bequem. Aber wir wollen den Satz nicht an Bildern, sondern an sich selbst prüfen. Synthetisch ist derselbe allerdings: denn analytisch folgt aus dem Begriff des Bedingten nichts weiter, als der der Bedingung. Aber Wahrheit a priori hat er nicht, auch nicht a posteriori, sondern er erschleicht sich seinen Schein von Wahrheit auf eine sehr feine Weise, die ich jetzt aufdecken muß. Unmittelbar und a priori haben wir die Erkenntnisse welche der Satz vom Grunde in seinen vier Gestaltungen ausdrückt. Von diesen unmittelbaren Erkenntnissen sind alle abstrakten Ausdrücke des Satzes vom Grunde schon entlehnt und sind also mittelbar: noch mehr aber deren Folgesätze. Ich habe schon oben erörtert, wie die abstrakte Erkenntniß oft mannigfaltige intuitive Erkenntnisse in eine Form oder einen Begriff so vereint, daß sie nun nicht mehr zu unterscheiden sind: daher sich die abstrakte Erkenntniß zur intuitiven verhält, wie der Schatten zu den wirklichen Gegenständen, deren große Mannigfaltigkeit er durch einen sie alle befassenden Umriß wiedergiebt. Diesen Schatten benutzt nun das angebliche Princip der Vernunft. Um aus dem Satz vom Grunde das Unbedingte, welches ihm geradezu widerspricht, doch zu folgern, verläßt es klüglich die unmittelbare, anschauliche Erkenntniß des Inhalts des Satzes vom Grunde in seinen einzelnen Gestalten und bedient sich nur der abstrakten Begriffe, die aus jener abgezogen sind, und nur durch jene Werth und Bedeutung haben, um in den weiten Umfang jener Begriffe sein Unbedingtes irgendwie einzuschwärzen. Sein Verfahren wird durch dialektische Einkleidung am deutlichsten; z. B. so: »Wenn das Bedingte da ist, muß auch seine Bedingung gegeben seyn, und zwar ganz, also vollständig, also die Totalität seiner Bedingungen, folglich, wenn sie eine Reihe ausmachen, die ganze Reihe, folglich auch der erste Anfang derselben, also das Unbedingte.« – Hiebei ist schon falsch, daß die Bedingungen zu einem Bedingten als solche eine Reihe ausmachen können. Vielmehr muß zu jedem Bedingten die Totalität seiner Bedingungen in seinem nächsten Grunde, aus dem es unmittelbar hervorgeht und der erst dadurch zureichender Grund ist, enthalten seyn. So z. B. die verschiedenen Bestimmungen des Zustandes welcher Ursache ist, als welche alle zusammengekommen seyn müssen, ehe die Wirkung eintritt. Die Reihe aber, z. B. die Kette der Ursachen, entsteht nur dadurch, daß wir Das, was soeben die Bedingung war, nun wieder als ein Bedingtes betrachten, wo dann aber sogleich die ganze Operation von vorne anfängt und der Satz vom Grunde mit seiner Forderung von Neuem auftritt. Nie aber kann es zu einem Bedingten eine eigentliche successive Reihe von Bedingungen geben, welche bloß als solche und des endlichen letzten Bedingten wegen daständen; sondern es ist immer eine abwechselnde Reihe von Bedingten und Bedingungen: bei jedem zurückgelegten Gliede aber ist die Kette unterbrochen und die Forderung des Satzes vom Grunde gänzlich getilgt; sie hebt von Neuem an, indem die Bedingung zum Bedingten wird. Also fordert der Satz vom zureichenden Grunde immer nur die Vollständigkeit der nächsten Bedingung, nie die Vollständigkeit einer Reihe. Aber eben dieser Begriff von Vollständigkeit der Bedingung läßt unbestimmt, ob solche eine simultane, oder eine successive seyn soll: und indem nun Letzteres gewählt wird, entsteht die Forderung einer vollständigen Reihe auf einander folgender Bedingungen. Bloß durch eine willkürliche Abstraktion wird eine Reihe von Ursachen und Wirkungen als eine Reihe von lauter Ursachen angesehen, die bloß der letzten Wirkung wegen da wären und daher als deren zureichender Grund gefordert würden. Bei näherer und besonnener Betrachtung und herabsteigend von der unbestimmten Allgemeinheit der Abstraktion zum einzelnen bestimmten Realen, findet sich hingegen, daß die Forderung eines zureichenden Grundes bloß auf die Vollständigkeit der Bestimmungen der nächsten Ursache geht, nicht aus die Vollständigkeit einer Reihe. Die Forderung des Satzes vom Grunde erlischt vollkommen in jedem gegebenen zureichenden Grunde. Sie hebt aber alsbald von Neuem an, indem dieser Grund wieder als Folge betrachtet wird: nie aber fordert sie unmittelbar eine Reihe von Gründen. Wenn man hingegen, statt zur Sache selbst zu gehen, sich innerhalb der abstrakten Begriffe hält, so sind jene Unterschiede verschwunden: dann wird eine Kette von abwechselnden Ursachen und Wirkungen, oder abwechselnden logischen Gründen und Folgen für eine Kette von lauter Ursachen oder Gründen zur letzten Wirkung ausgegeben, und die Vollständigkeit der Bedingungen, durch die ein Grund erst zureichend wird, erscheint als eine Vollständigkeit jener angenommenen Reihe von lauter Gründen, die nur der letzten Folge wegen da wären. Da tritt denn das abstrakte Vernunftprincip sehr keck mit seiner Forderung des Unbedingten aus. Aber um die Ungültigkeit derselben zu erkennen, bedarf es noch keiner Kritik der Vernunft, mittelst Antinomien und deren Auflösung, sondern nur einer Kritik der Vernunft, in meinem Sinne verstanden, nämlich einer Untersuchung des Verhältnisses der abstrakten Erkenntniß zur unmittelbar intuitiven, mittelst Herabsteigen von der unbestimmten Allgemeinheit jener zur festen Bestimmtheit dieser. Aus solcher ergiebt sich dann hier, daß keineswegs das Wesen der Vernunft im Fordern eines Unbedingten bestehe: denn sobald sie mit völliger Besonnenheit verfährt, muß sie selbst finden, daß ein Unbedingtes geradezu ein Unding ist. Die Vernunft, als ein Erkenntnißvermögen, kann es immer nur mit Objekten zu thun haben; alles Objekt für das Subjekt, aber ist nothwendig und unwiderruflich dem Satz vom Grunde unterworfen und anheimgefallen, sowohl a parte ante als a parte post. Die Gültigkeit des Satzes vom Grunde liegt so sehr in der Form des Bewußtseyns, daß man schlechterdings sich nichts objektiv vorstellen kann, davon kein Warum weiter zu fordern wäre, also kein absolutes Absolutum, wie ein Brett vor dem Kopf. Daß Diesen oder Jenen seine Bequemlichkeit irgendwo stillstehen und ein solches Absolutum beliebig annehmen heißt, kann nichts ausrichten, gegen jene unumstößliche Gewißheit a priori, auch nicht wenn man sehr vornehme Mienen dazu macht. In der That ist das ganze Gerede vom Absoluten, dieses fast alleinige Thema der seit Kant versuchten Philosophien, nichts Anderes, als der kosmologische Beweis incognito. Dieser nämlich, in Folge des ihm von Kant gemachten Processes, aller Rechte verlustig und vogelfrei erklärt, darf sich in seiner wahren Gestalt nicht mehr zeigen, tritt daher in allerlei Verkleidungen auf, bald in vornehmen, bemäntelt durch intellektuale Anschauung, oder reines Denken, bald als verdächtiger Vagabunde, der was er erlangt halb erbettelt, halb ertrotzt, in den bescheideneren Philosophemen. Wollen die Herren absolut ein Absolutum haben; so will ich ihnen eines in die Hand geben, welches allen Anforderungen an ein Solches viel besser genügt, als ihre erfaselten Nebelgestalten: es ist die Materie. Sie ist unentstanden und unvergänglich, also wirklich unabhängig und quod per se est et per se concipitur: aus ihrem Schooß geht Alles hervor und Alles in ihn zurück: was kann man von einem Absolutum weiter verlangen? – Vielmehr sollte man ihnen, bei denen keine Kritik der Vernunft angeschlagen hat, zurufen:
Seid ihr nicht wie die Weiber, die beständig
Zurück nur kommen auf ihr erstes Wort,
Wenn man Vernunft gesprochen stundenlang?
Daß das Zurückgehen zu einer unbedingten Ursache, zu einem ersten Anfang, keineswegs im Wesen der Vernunft begründet sei, ist übrigens auch faktisch bewiesen, dadurch, daß die Urreligionen unseres Geschlechtes, welche auch noch jetzt die größte Anzahl von Bekennern auf Erden haben, also Brahmanismus und Buddhaismus, dergleichen Annahmen nicht kennen, noch zulassen, sondern die Reihe der einander bedingenden Erscheinungen ins Unendliche hinaufführen. Ich verweise hierüber auf die weiter unten, bei der Kritik der ersten Antinomie, folgende Anmerkung, wozu man noch Uphams » Doctrine of Buddhaism« (S. 9), und überhaupt jeden ächten Bericht über die Religionen Asiens nachsehen kann. Man soll nicht Judenthum und Vernunft identificiren. –
Kant, der sein angebliches Vernunftprincip auch keineswegs als objektiv gültig, sondern nur als subjektiv nothwendig behaupten will, deducirt es, selbst als solches, nur durch ein seichtes Sophisma, S. 307; V, 364. Nämlich, weil wir jede uns bekannte Wahrheit unter eine allgemeinere zu subsumiren suchen, so lange es geht; so soll dieses nichts Anderes seyn, als eben schon die Jagd nach dem Unbedingten, welches wir voraussetzten. In Wahrheit aber thun wir durch solches Suchen nichts Anderes, als daß wir die Vernunft, d. h. jenes Vermögen abstrakter, allgemeiner Erkenntniß, welches den besonnenen, sprachbegabten, denkenden Menschen vom Thier, dem Sklaven der Gegenwart, unterscheidet, anwenden und zweckmäßig gebrauchen zur Vereinfachung unserer Erkenntniß durch Uebersicht. Denn der Gebrauch der Vernunft besteht eben darin, daß wir das Besondere durch das Allgemeine, den Fall durch die Regel, diese durch die allgemeinere Regel erkennen, daß wir also die allgemeinsten Gesichtspunkte suchen: durch solche Uebersicht wird eben unsere Erkenntniß so sehr erleichtert und vervollkommnet, daß daraus der große Unterschied entsteht zwischen dem thierischen und dem menschlichen Lebenslauf, und wieder zwischen dem Leben des gebildeten und dem des rohen Menschen. Nun findet allerdings die Reihe der Erkenntnißgründe, welche allein aus dem Gebiet des Abstrakten, also der Vernunft, existirt, allemal ein Ende beim Unbeweisbaren, d. h. bei einer Vorstellung, die nach dieser Gestaltung des Satzes vom Grunde nicht weiter bedingt ist, also an dem, a priori oder a posteriori, unmittelbar anschaulichen Grunde des obersten Satzes der Schlußkette. Ich habe schon in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, §. 50, gezeigt, daß hier eigentlich die Reihe der Erkenntnißgründe übergeht in die Grunde des Werdens, oder des Seyns. Diesen Umstand aber geltend machen wollen, um ein nach dem Gesetz der Kausalität Unbedingtes, sei es auch nur als Forderung, nachzuweisen; dies kann man nur, wenn man die Gestaltungen des Satzes vom Grunde noch gar nicht unterschieden hat, sondern, an den abstrakten Ausdruck sich haltend, sie alle konfundirt. Aber diese Verwechselung sucht Kant sogar durch ein bloßes Wortspiel mit Universalitas und Universitas zu begründen, S. 322; V, 379. – Es ist also grundfalsch, daß unser Aufsuchen höherer Erkenntnißgründe, allgemeiner Wahrheiten, entspringe aus der Voraussetzung eines seinem Daseyn nach unbedingten Objekts, oder nur irgend etwas hiemit gemein habe. Wie sollte es auch der Vernunft wesentlich seyn, etwas vorauszusetzen, das sie für ein Unding erkennen muß, sobald sie sich besinnt. Vielmehr ist der Ursprung jenes Begriffs vom Unbedingten nie in etwas Anderm nachzuweisen, als in der Trägheit des Individuums, das sich damit aller fremden und eigenen fernern Fragen entledigen will, wiewohl ohne alle Rechtfertigung.
Diesem angeblichen Vernunftprincip nun spricht zwar Kant selbst die objektive Gültigkeit ab, giebt es aber doch für eine nothwendige subjektive Voraussetzung und bringt so einen unauflöslichen Zwiespalt in unsere Erkenntniß welchen er bald deutlicher hervortreten läßt. Zu diesem Zweck entfaltet er jenes Vernunftprincip weiter, S. 322; V, 379, nach der beliebten architektonisch-symmetrischen Methode. Aus den drei Kategorien der Relation entspringen drei Arten von Schlüssen, jede von welchen den Leitfaden giebt zur Aussuchung eines besondern Unbedingten, deren es daher wieder drei giebt: Seele. Welt (als Objekt an sich und geschlossene Totalität), Gott. Hiebei ist nun sogleich ein großer Widerspruch zu bemerken, von welchem Kant aber keine Notiz nimmt, weil er der Symmetrie sehr gefährlich wäre: zwei dieser Unbedingten sind ja selbst wieder bedingt, durch das Dritte, nämlich Seele und Welt durch Gott, der ihre hervorbringende Ursache ist: jene haben also mit diesem gar nicht das Prädikat der Unbedingtheit gemein, worauf es doch hier ankommt, sondern nur das des Erschlossenseyns nach Principien der Erfahrung, über das Gebiet der Möglichkeit derselben hinaus.
Dies bei Seite gesetzt, finden wir in den drei Unbedingten, auf welche, nach Kant, jede Vernunft, ihren wesentlichen Gesetzen folgend, gerathen muß, die drei Hauptgegenstände wieder, um welche sich die ganze, unter dem Einfluß des Christenthums stehende Philosophie, von den Scholastikern an, bis auf Christian Wolf herab, gedreht hat. So zugänglich und geläufig jene Begriffe durch alle jene Philosophen auch jetzt der bloßen Vernunft geworden sind; so ist dadurch doch keineswegs ausgemacht, daß sie, auch ohne Offenbarung, aus der Entwickelung jeder Vernunft hervorgehen müßten, als ein dem Wesen dieser selbst eigentümliches Erzeugniß. Um Dieses auszumachen, wäre die historische Untersuchung zu Hülfe zu nehmen, und zu erforschen, ob die alten und die nichteuropäischen Völker, besonders die Hindostanischen, und viele der ältesten Griechischen Philosophen auch wirklich zu jenen Begriffen gelangt seien; oder ob bloß wir, zu gutmüthig, sie ihnen zuschreiben, so wie die Griechen überall ihre Götter wiederfanden, indem wir ganz fälschlich das Brahm der Hindu und das Tien der Chinesen mit »Gott« übersetzen; ob nicht vielmehr der eigentliche Theismus allein in der Jüdischen und den beiden aus ihr hervorgegangenen Religionen zu finden sei, deren Bekenner gerade deshalb die Anhänger aller andern Religionen auf Erden unter dem Namen Heiden zusammenfassen, – einem, beiläufig gesagt, höchst einfältigen und rohen Ausdruck, der wenigstens aus den Schriften der Gelehrten verbannt seyn sollte, weil er Brahmanisten, Buddhaisten, Aegypter, Griechen, Römer, Germanen, Gallier, Irokesen, Patagonier, Karaiben, Otaheiter, Australier u. a. m. identificirt und in Einen Sack steckt. Für Pfaffen ist ein solcher Ausdruck passend: in der gelehrten Welt aber muß ihm sogleich die Thüre gewiesen werden, er kann nach England reisen und sich in Oxford niederlassen. – Daß namentlich der Buddhaismus, diese auf Erden am zahlreichsten vertretene Religion, durchaus keinen Theismus enthält, ja, ihn perhorrescirt, ist eine ganz ausgemachte Sache. Was den Plato betrifft, so bin ich der Meinung, daß er seinen ihn periodisch anwandelnden Theismus den Juden verdankt. Numenius hat ihn deshalb (nach Clem. Alex. Strom., I, c. 22, Euseb. praep. evang., XIII, 12, und Suidas, unter Numenius) den Moses graecisans genannt: Τι γαϱ εστι Πλατων, η Μοσης αττιϰιζωη; und er wirft ihm vor, daß er seine Lehren von Gott und der Schöpfung aus den Mosaischen Schriften gestohlen (αποσυληας habe. Klemens kommt oft darauf zurück, daß Plato den Moses gekannt und benutzt habe, z. B. Strom. I, 25. – V, c. 14, §. 90 u. s. f. – Paedagog., II, 10 und III, 11; auch in der Cohortatio ad gentes, c. 6, woselbst er, nachdem er, im vorhergehenden Kapitel, sämmtliche Griechische Philosophen kapuzinerhaft gescholten und verhöhnt hat, weil sie keine Juden gewesen sind, den Plato ausschließlich lobt und in lauten Jubel darüber ausbricht, daß derselbe, wie er seine Geometrie von den Aegypten:, seine Astronomie von den Babyloniern, Magie von den Thrakiern, auch Vieles von den Assyriern gelernt habe, so seinen Theismus von den Juden: Οιδα σου τους διδασϰαλους, ϰᾁν αποϰϱυπτειν, εϑελης – – – – – δοξαν την του ϑεου παϱ αυτων ωφελησας των Εβϱαιων ( tuos magistros novi, licet eos celare velis, – – ‒ ‒ ‒ illa de Deo sententia suppeditata tibi est ab Hebraeis). Eine rührende Erkennungsscene. – Aber eine sonderbare Bestätigung der Sache entdecke ich in Folgendem. Nach Plutarch ( in Mario) und besser nach Laktanz (I, 3, 19) hat Plato der Natur gedankt, daß er ein Mensch und kein Thier, ein Mann und kein Weib, ein Grieche und kein Barbar geworden sei. Nun steht in Isaak Euchels Gebeten der Juden, aus dem Hebräischen, zweite Auflage, 1799, S. 7, ein Morgengebet, worin sie Gott danken und loben, daß der Dankende ein Jude und kein Heide, ein Freier und kein Sklave, ein Mann und kein Weib geworden sei. – Eine solche historische Untersuchung würde Kanten einer schlimmen Nothwendigkeit überhoben haben, in die er jetzt geräth, indem er jene drei Begriffe aus der Natur der Vernunft nothwendig entspringen läßt, und doch darthut, daß sie unhaltbar und von der Vernunft nicht zu begründen sind, und deshalb die Vernunft selbst zum Sophisten macht, indem er S. 339; V, 397, sagt: »Es sind Sophistikationen, nicht des Menschen, sondern der reinen Vernunft selbst, von denen selbst der Weiseste sich nicht losmachen und vielleicht zwar nach vieler Bemühung den Irrthum verhüten, den Schein aber, der ihn unaufhörlich zwackt und äfft, niemals loswerden kann.« Danach wären diese Kantischen »Ideen der Vernunft« dem Fokus zu vergleichen, in welchen die von einem Hohlspiegel konvergirend zurückgeworfenen Strahlen, einige Zolle vor seiner Oberfläche, zusammenlaufen, in Folge wovon, durch einen unvermeidlichen Verstandesproceß, sich uns daselbst ein Gegenstand darstellt, welcher ein Ding ohne Realität ist.
Sehr unglücklich ist aber für jene drei angeblich nothwendigen Produktionen der reinen theoretischen Vernunft der Name Ideen gewählt und dem Platon entrissen, der damit die unvergänglichen Gestalten bezeichnete, welche, durch Zeit und Raum vervielfältigt, in den unzähligen, individuellen, vergänglichen Dingen unvollkommen sichtbar werden. Platons Ideen sind diesem zufolge durchaus anschaulich, wie auch das Wort, das er wählte, so bestimmt bezeichnet, welches man nur durch Anschaulichkeiten oder Sichtbarkeiten, entsprechend übersetzen könnte. Und Kant hat es sich zugeeignet, um Das zu bezeichnen, was von aller Möglichkeit der Anschauung so ferne liegt, daß sogar das abstrakte Denken nur halb dazu gelangen kann. Das Wort Idee, welches Platon zuerst einführte, hat auch seitdem, zweiundzwanzig Jahrhunderte hindurch, immer die Bedeutung behalten, in der Platon es gebrauchte: denn nicht nur alle Philosophen des Alterthums, sondern auch alle Scholastiker und sogar die Kirchenväter und die Theologen des Mittelalters brauchten es allein in jener Platonischen Bedeutung, nämlich im Sinn des lateinischen Wortes exemplar, wie Suarez ausdrücklich anführt in seiner fünfundzwanzigsten Disputation, Sect. 1. – Daß später Engländer und Franzosen die Armuth ihrer Sprachen zum Mißbrauch jenes Wortes verleitet hat, ist schlimm genug, aber nicht von Gewicht. Kants Mißbrauch des Wortes Idee, durch Unterschiebung einer neuen Bedeutung, welche am dünnen Faden des Nicht Objekt der Erfahrungseyns, die es mit Platons Ideen, aber auch mit allen möglichen Chimären gemein hat, herbeigezogen wird, ist also durchaus nicht zu rechtfertigen. Da nun der Mißbrauch weniger Jahre nicht in Betracht kommt gegen die Autorität vieler Jahrhunderte, so habe ich das Wort immer in seiner alten, ursprünglichen, Platonischen Bedeutung gebraucht.
Die Widerlegung der rationalen Psychologie ist in der ersten Auflage der »Kritik der reinen Vernunft« sehr viel ausführlicher und gründlicher, als in der zweiten und folgenden; daher man hier schlechterdings sich jener bedienen muß. Diese Widerlegung hat im Ganzen sehr großes Verdienst und viel Wahres. Jedoch bin ich durchaus der Meinung, daß Kant bloß seiner Symmetrie zu Liebe den Begriff der Seele aus jenem Paralogismus mittelst Anwendung der Forderung des Unbedingten auf den Begriff Substanz, der die erste Kategorie der Relation ist, als nothwendig herleitet und demnach behauptet, daß auf diese Weise in jeder spekulirenden Vernunft der Begriff von einer Seele entstände. Hätte derselbe wirklich seinen Ursprung in der Voraussetzung eines letzten Subjekts aller Prädikate eines Dinges, so würde man ja nicht allein im Menschen, sondern auch in jedem leblosen Dinge ebenso nothwendig eine Seele angenommen haben, da auch ein solches ein letztes Subjekt aller seiner Prädikate verlangt. Ueberhaupt aber bedient Kant sich eines ganz unstatthaften Ausdrucks, wenn er von einem Etwas redet, das nur als Subjekt und nicht als Prädikat existiren könne (z. B. »Kritik der reinen Vernunft«, S. 323; V, 412; »Prolegomena«, §. 4 und 47); obgleich schon in des Aristoteles »Metaphysik«, IV, Kap. 8, ein Vorgang dazu zu finden ist. Als Subjekt und Prädikat existirt gar nichts: denn diese Ausdrücke gehören ausschließlich der Logik an und bezeichnen das Verhältniß abstrakter Begriffe zu einander. In der anschaulichen Welt soll nun ihr Korrelat oder Stellvertreter Substanz und Accidenz seyn. Dann aber brauchen wir Das, was stets nur als Substanz und nie als Accidenz existirt, nicht weiter zu suchen, sondern haben es unmittelbar an der Materie. Sie ist die Substanz zu allen Eigenschaften der Dinge, als welche ihre Accidenzien sind. Sie ist wirklich, wenn man Kants eben gerügten Ausdruck beibehalten will, das letzte Subjekt aller Prädikate jedes empirisch gegebenen Dinges, nämlich Das, was übrig bleibt, nach Abzug aller seiner Eigenschaften jeder Art: und dies gilt vom Menschen, wie vom Thiere, Pflanze oder Stein, und ist so evident, daß, um es nicht zu sehen, ein determinirtes Nichtsehenwollen erfordert ist. Daß sie wirklich der Prototypos des Begriffs Substanz sei, werde ich bald zeigen. – Subjekt und Prädikat aber verhält sich zu Substanz und Accidenz vielmehr wie der Satz des zureichenden Grundes in der Logik zum Gesetz der Kausalität m der Natur, und so unstatthaft die Verwechselung oder Identifizirung dieser, ist es auch die jener Beiden. Letztere Verwechselung und Identifikation treibt aber Kant bis zum höchsten Grade in den »Prolegomenen«, §. 46, um den Begriff der Seele aus dem des letzten Subjekts aller Prädikate und aus der Form des kategorischen Schlusses entstehen zu lassen. Um die Sophistikation dieses Paragraphen aufzudecken, braucht man nur sich zu besinnen, daß Subjekt und Prädikat rein logische Bestimmungen sind, die einzig und allein abstrakte Begriffe, und zwar nach ihrem Verhältniß im Urtheil, betreffen: Substanz und Accidenz hingegen gehören der anschaulichen Welt uns ihrer Apprehension im Verstande an, finden sich daselbst aber nur als identisch mit Materie und Form oder Qualität: davon sogleich ein Mehreres.
Der Gegensatz, welcher Anlaß zur Annahme zweier grundverschiedener Substanzen, Leib und Seele, gegeben hat, ist in Wahrheit der des Objektiven und Subjectiven. Faßt der Mensch sich in der äußeren Anschauung objektiv auf, so findet er ein räumlich ausgedehntes und überhaupt durchaus körperliches Wesen; faßt er hingegen sich im bloßen Selbstbewußtseyn, also rein subjektiv auf, so findet er ein bloß Wollendes und Vorstellendes, frei von allen Formen der Anschauung, also auch ohne irgend eine der den Körpern zukommenden Eigenschaften. Jetzt bildet er den Begriff der Seele, wie alle die transscendenten, von Kant Ideen genannten Begriffe, dadurch, daß er den Satz vom Grunde, die Form alles Objekts, auf Das anwendet, was nicht Objekt ist, und zwar hier auf das Subjekt des Erkennens und Wollens. Er betrachtet nämlich Erkennen, Denken und Wollen als Wirkungen, deren Ursache er sucht und den Leib nicht dafür annehmen kann, setzt also eine vom Leibe gänzlich verschiedene Ursache derselben. Auf diese Weise beweist der erste und der letzte Dogmatiker das Daseyn der Seele: nämlich schon Platon im Phädros und auch noch Wolf: nämlich aus dem Denken und Wollen als den Wirkungen, die auf jene Ursache leiten. Erst nachdem auf diese Weise, durch Hypostasirung einer der Wirkung entsprechenden Ursache, der Begriff von einem immateriellen, einfachen, unzerstörbaren Wesen entstanden war, entwickelte und demonstrirte diesen die Schule aus dem Begriff Substanz. Aber diesen selbst hatte sie vorher ganz eigens zu diesem Behuf gebildet, durch folgenden beachtenswerthen Kunstgriff.
Mit der ersten Klasse der Vorstellungen, d. h. der anschaulichen, realen Welt, ist auch die Vorstellung der Materie gegeben, weil das in jener herrschende Gesetz der Kausalität den Wechsel der Zustände bestimmt, welche selbst ein Beharrendes voraussetzen, dessen Wechsel sie sind. Oben, beim Satz der Beharrlichkeit der Substanz, habe ich, mit Berufung auf frühere Stellen, gezeigt, daß diese Vorstellung der Materie entsteht, indem im Verstande, für welchen allein sie da ist, durch das Gesetz der Kausalität (seine einzige Erkenntnißform) Zeit und Raum innig vereinigt werden und der Antheil des Raumes an diesem Produkt als das Beharren der Materie, der Antheil der Zeit aber als der Wechsel der Zustände derselben sich darstellen. Rein für sich kann die Materie auch nur in abstracto gedacht, nicht aber angeschaut werden; da sie der Anschauung immer schon in Form und Qualität erscheint. Von diesem Begriff der Materie ist nun Substanz wieder eine Abstraktion, folglich ein höheres Genus, und ist dadurch entstanden, daß man von dem Begriff der Materie nur das Prädikat der Beharrlichkeit stehen ließ, alle ihre übrigen, wesentlichen Eigenschaften, Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Theilbarkeit u. s. w. aber wegdachte. Wie jedes höhere Genus enthält also der Begriff Substanz weniger in sich als der Begriff Materie: aber er enthält nicht dafür, wie sonst immer das höhere Genus, mehr unter sich, indem er nicht mehrere niedere genera, neben der Materie, umfaßt; sondern diese bleibt die einzige wahre Unterart des Begriffs Substanz, das einzige Nachweisbare, dadurch sein Inhalt realisirt wird und einen Beleg erhält. Der Zweck also, zu welchem sonst die Vernunft durch Abstraktion einen höhern Begriff hervorbringt, nämlich um in ihm mehrere, durch Nebenbestimmungen verschiedene Unterarten zugleich zu denken, hat hier gar nicht Statt: folglich ist jene Abstraktion entweder ganz zwecklos und müßig vorgenommen, oder sie hat eine heimliche Nebenabsicht. Diese tritt nun ans Licht, indem unter dem Begriff Substanz, seiner ächten Unterart Materie eine zweite koordinirt wird, nämlich die immaterielle, einfache, unzerstörbare Substanz, Seele. Die Erschleichung dieses Begriffs geschah aber dadurch, daß schon bei der Bildung des höhern Begriffs Substanz gesetzwidrig und unlogisch verfahren wurde. In ihrem gesetzmäßigen Gange bildet die Vernunft einen höhern Geschlechtsbegriff immer nur dadurch, daß sie mehrere Artbegriffe neben einander stellt, nun vergleichend, diskursiv, verfährt und, durch Weglassen ihrer Unterschiede und Beibehalten ihrer Uebereinstimmungen, den sie alle umfassenden, aber weniger enthaltenden Geschlechtsbegriff erhält: woraus folgt, daß die Artbegriffe immer dem Geschlechtsbegriff vorhergehen müssen. Im gegenwärtigen Fall ist es aber umgekehrt. Bloß der Begriff Materie war vor dem Geschlechtsbegriff Substanz da, welcher ohne Anlaß und folglich ohne Berechtigung, müßiger Weise aus jenem gebildet wurde, durch beliebige Weglassung aller Bestimmungen desselben bis auf eine. Erst nachher wurde neben den Begriff Materie die zweite unächte Unterart gestellt und so untergeschoben. Zur Bildung dieser aber bedurfte es nun weiter nichts, als einer ausdrücklichen Verneinung dessen, was man vorher stillschweigend schon im höhern Geschlechtsbegriff weggelassen hatte, nämlich Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Theilbarkeit. So wurde also der Begriff Substanz bloß gebildet, um das Vehikel zur Erschleichung des Begriffs der immateriellen Substanz zu seyn. Er ist folglich sehr weit davon entfernt für eine Kategorie oder nothwendige Funktion des Verstandes gelten zu können: vielmehr ist er ein höchst entbehrlicher Begriff, weil sein einziger wahrer Inhalt schon im Begriff der Materie liegt, neben welchem er nur noch eine große Leere enthält, die durch nichts ausgefüllt werden kann, als durch die erschlichene Nebenart immaterielle Substanz, welche aufzunehmen er auch allein gebildet worden: weswegen er, der Strenge nach, gänzlich zu verwerfen und an seine Stelle überall der Begriff der Materie zu setzen ist.
Die Kategorien waren für jedes mögliche Ding ein Bett des Prokrustes, aber die drei Arten der Schlüsse sind es nur für die drei sogenannten Ideen. Die Idee der Seele war gezwungen worden in der kategorischen Schlußform ihren Ursprung zu finden. Jetzt trifft die Reihe die dogmatischen Vorstellungen über das Weltganze, sofern es, als Objekt an sich, zwischen zwei Gränzen, der des Kleinsten (Atom) und der des Größten (Weltgränzen in Zeit und Raum) gedacht wird. Diese müssen nun aus der Form des hypothetischen Schlusses hervorgehen. Dabei ist an sich kein sonderlicher Zwang nöthig. Denn das hypothetische Urtheil hat seine Form vom Satze des Grundes, und aus der besinnungslosen, unbedingten Anwendung dieses Satzes und sodann beliebiger Beiseitelegung desselben entstehen in der That alle jene sogenannten Ideen, nicht die kosmologischen allein: nämlich dadurch daß, jenem Satze gemäß, immer nur die Abhängigkeit eines Objekts vom andern gesucht wird, bis endlich die Ermüdung der Einbildungskraft ein Ziel der Reise schafft: wobei aus den Augen gelassen wird, daß jedes Objekt, ja die ganze Reihe derselben und der Satz vom Grunde selbst in einer viel nähern und größern Abhängigkeit steht, nämlich in der vom erkennenden Subjekt, für dessen Objekte, d. h. Vorstellungen, jener Satz allein gültig ist, indem deren bloße Stelle in Raum und Zeit durch ihn bestimmt wird. Da also die Erkenntnißform, aus welcher hier bloß die kosmologischen Ideen abgeleitet werden, nämlich der Satz vom Grunde, der Ursprung aller vernünftelnden Hypostasen ist: so bedarf es dazu diesmal keiner Sophismen; desto mehr aber, um jene Ideen nach den vier Titeln der Kategorien zu klassifiziren.
1)Die kosmologischen Ideen in Hinsicht auf Zeit und Raum, also von den Gränzen der Welt in beiden, werden kühn angesehen als bestimmt durch die Kategorie der Quantität, mit der sie offenbar nichts gemein haben, als die in der Logik zufällige Bezeichnung des Umfangs des Subjektbegriffes im Urtheil durch das Wort Quantität, einen bildlichen Ausdruck, statt dessen ebenso gut ein anderer hätte gewählt werden können. Aber für Kants Liebe zur Symmetrie ist dies genug, um den glücklichen Zufall dieser Namengebung zu benutzen und die transscendenten Dogmen von der Weltausdehnung daran zu knüpfen.
2)Noch kühner knüpft Kant an die Qualität, d. i. die Bejahung oder Verneinung in einem Urtheil, die transscendenten Ideen über die Materie, wobei nicht einmal eine zufällige Wortähnlichkeit zum Grunde liegt: denn gerade auf die Quantität und nicht auf die Qualität der Materie bezieht sich ihre mechanische (nicht chemische) Theilbarkeit. Aber, was noch mehr ist, diese ganze Idee von der Theilbarkeit gehört gar nicht unter die Folgerungen nach dem Satze vom Grunde, aus welchem, als dem Inhalt der hypothetischen Form, doch alle kosmologischen Ideen fließen sollen. Denn die Behauptung, auf welcher Kant dabei fußet, daß das Verhältniß der Theile zum Ganzen das der Bedingung zum Bedingten, also ein Verhältniß gemäß dem Satz vom Grunde sei, ist ein zwar seines, aber doch grundloses Sophisma. Jenes Verhältniß stützt sich vielmehr auf den Satz vom Widerspruch. Denn das Ganze ist nicht durch die Theile, noch diese durch jenes: sondern beide sind nothwendig zusammen weil sie Eines sind und ihre Trennung nur ein willkürlicher Akt ist. Darauf beruht es, nach dem Satz vom Widerspruch, daß, wenn die Theile weggedacht werden, auch das Ganze weggedacht ist, und umgekehrt; keineswegs aber darauf, daß die Theile als Grund das Ganze als Folge bedingten und wir daher, nach dem Satz vom Grunde, nothwendig getrieben würden, die letzten Theile zu suchen, um daraus, als seinem Grunde, das Ganze zu verstehen. – So große Schwierigkeiten überwältigt hier die Liebe zur Symmetrie.
3) Unter den Titel der Relation würde nun ganz eigentlich die Idee von der ersten Ursache der Welt gehören. Kant muß aber diese für den vierten Titel, den der Modalität, aufbewahren, für den sonst nichts übrig bliebe und unter welchen er jene Idee dann dadurch zwängt, daß das Zufällige (d. h. nach seiner, der Wahrheit diametral entgegengesetzten Erklärung, jede Folge aus ihrem Grunde) durch die erste Ursache zum Nothwendigen wird. – Als dritte Idee tritt daher, zu Gunsten der Symmetrie, hier der Begriff der Freiheit auf, womit aber eigentlich doch nur die nun einmal allein hieher passende Idee von der Weltursache gemeint ist, wie die Anmerkung zur Thesis des dritten Widerstreits deutlich aussagt. Der dritte und vierte Widerstreit sind im Grunde tautologisch.
Ueber alles dieses aber finde und behaupte ich, daß die ganze Antinomie eine bloße Spiegelfechterei, ein Scheinkampf ist. Nur die Behauptungen der Antithesen beruhen wirklich auf den Formen unsers Erkenntnißvermögens, d. h., wenn man es objektiv ausdrückt, auf den nothwendigen, a priori gewissen, allgemeinsten Naturgesetzen. Ihre Beweise allein sind daher aus objektiven Gründen geführt. Hingegen haben die Behauptungen und Beweise der Thesen keinen andern als subjektiven Grund, beruhen ganz allein auf der Schwäche des vernünftelnden Individuums, dessen Einbildungskraft bei einem unendlichen Regressus ermüdet und daher demselben durch willkürliche Voraussetzungen, die sie bestens zu beschönigen sucht, ein Ende macht, und dessen Urteilskraft noch überdies durch früh und fest eingeprägte Vorurtheile an dieser Stelle gelähmt ist. Dieserwegen ist der Beweis für die Thesis in allen vier Widerstreiten überall nur ein Sophisma; statt daß der für die Antithesis eine unvermeidliche Folgerung der Vernunft aus den uns a priori bewußten Gesetzen der Welt als Vorstellung ist. Auch hat Kant nur mit vieler Mühe und Kunst die Thesis aufrecht erhalten können und sie scheinbare Angriffe auf den mit ursprünglicher Kraft begabten Gegner machen lassen. Hiebei nun ist sein erster und durchgängiger Kunstgriff dieser, daß er nicht, wie man thut, wenn man sich der Wahrheit seines Satzes bewußt ist, den nervus argumentationis hervorhebt und so isolirt, nackt und deutlich, als nur immer möglich, vor die Augen bringt; sondern vielmehr führt er auf beiden Seiten denselben unter einem Schwall überflüssiger und weitläufiger Sätze verdeckt und eingemengt ein.
Die hier nun so im Widerstreit auftretenden Thesen und Antithesen erinnern an den διϰαιος und αδιϰος λογο welche Sokrates in den Wolken des Aristophanes streitend austreten läßt. Jedoch erstreckt sich diese Aehnlichkeit nur auf die Form, nicht aber aus den Inhalt, wie wohl Diejenigen gern behaupten möchten, welche diesen spekulativesten aller Fragen der theoretischen Philosophie einen Einfluß auf die Moralität zuschreiben und daher im Ernste die These für den διϰαιος, die Antithese aber für den αδιϰος λογος halten. Auf solche beschränkte und verkehrte kleine Geister Rücksicht zu nehmen, werde ich mich hier jedoch nicht bequemen und nicht ihnen, sondern der Wahrheit die Ehre gebend, die von Kant geführten Beweise der einzelnen Thesen als Sophismen aufdecken, während die der Antithesen ganz ehrlich, richtig und aus objektiven Gründen geführt sind. – Ich setze voraus, daß man bei dieser Prüfung die Kantische Antinomie selbst immer vor sich habe.
Wollte man den Beweis der Thesis im ersten Widerstreit gelten lassen; so bewiese er zu viel, indem er eben so gut auf die Zeit selbst, als auf den Wechsel in ihr anwendbar wäre und daher beweisen würde, daß die Zeit selbst angefangen haben muß, was widersinnig ist. Uebrigens besteht das Sophisma darin, daß statt der Anfangslosigkeit der Reihe der Zustände, wovon zuerst die Rede, plötzlich die Endlosigkeit (Unendlichkeit) derselben untergeschoben und nun bewiesen wird, was Niemand bezweifelt, daß dieser das Vollendeten logisch widerspreche und dennoch jede Gegenwart das Ende der Vergangenheit sei. Das Ende einer anfangslosen Reihe läßt sich aber immer denken, ohne ihrer Anfangslosigkeit Abbruch zu thun: wie sich auch umgekehrt der Anfang einer endlosen Reihe denken läßt. Gegen das wirklich richtige Argument der Antithesis aber, daß die Veränderungen der Welt rückwärts eine unendliche Reihe von Veränderungen schlechthin nothwendig voraussetzen, wird gar nichts vorgebracht. Die Möglichkeit, daß die Kausalreihe dereinst in einen absoluten Stillstand endige, können wir denken; keineswegs aber die Möglichkeit eines absoluten Anfangs Daß die Annahme einer Gränze der Welt in der Zeit keineswegs ein nothwendiger Gedanke der Vernunft sei, läßt sich sogar auch historisch nachweisen, indem die Hindu nicht einmal in der Volksreligion, geschweige in den Veden, eine solche lehren; sondern die Unendlichkeit dieser erscheinenden Welt, dieses bestand- und wesenlosen Gewebes der Maja, mythologisch durch eine monströse Chronologie auszusprechen suchen, indem sie zugleich das Relative aller Zeitlängen in folgendem Mythos sehr sinnreich hervorheben ( Polier, Mythologie des Indous, Vol. 2, p. 585). Die vier Zeitalter, in deren letztem wir leben, umfassen zusammen 4,820,000 Jahre. Solcher Perioden von vier Zeitaltern hat jeder Tag des schaffenden Brahma 1000 und seine Nacht wieder 1000. Sein Jahr hat 365 Tage und ebenso viele Nächte. Er lebt, immer schaffend, 100 seiner Jahre: und wenn er stirbt, wird sogleich ein neuer Brahma geboren, und so von Ewigkeit zu Ewigkeit. Die selbe Relativität der Zeit drückt auch die specielle Mythe aus, welche in Poliers Werk, Bd. 2, S. 594, den Puranas nacherzählt ist, wo ein Rajah, nach einem Besuch von wenigen Augenblicken bei Wischnu in dessen Himmel, bei seiner Rückkehr auf die Erde mehrere Millionen Jahre verstrichen und ein neues Zeitalter eingetreten findet, weil jeder Tag des Wischnu gleich ist 100 Wiederkehren der vier Zeitalter..
In Hinsicht auf die räumlichen Gränzen der Welt wird bewiesen, daß wenn sie ein gegebenes Ganzes heißen soll, sie nothwendig Gränzen haben muß: die Konsequenz ist richtig, nur war eben ihr vorderes Glied das, was zu beweisen war, aber unbewiesen bleibt. Totalität setzt Gränzen, und Gränzen setzen Totalität voraus: beide zusammen werden hier aber willkürlich vorausgesetzt. – Die Antithesis liefert für diesen zweiten Punkt jedoch keinen so befriedigenden Beweis, als für den ersten, weil das Gesetz der Kausalität bloß in Hinsicht auf die Zeit, nicht auf den Raum, nothwendige Bestimmungen an die Hand giebt und uns zwar a priori die Gewißheit ertheilt, daß keine erfüllte Zeit je an eine ihr vorhergegangene leere gränzen und keine Veränderung die erste seyn konnte, nicht aber darüber, daß ein erfüllter Raum keinen leeren neben sich haben kann. Insofern wäre über Letzteres keine Entscheidung a priori möglich. Jedoch liegt die Schwierigkeit, die Welt im Raume als begränzt zu denken, darin, daß der Raum selbst nothwendig unendlich ist, und daher eine begränzte endliche Welt in ihm, so groß sie auch sei, zu einer unendlich kleinen Größe wird; an welchem Mißverhältniß die Einbildungskraft einen unüberwindlichen Anstoß findet; indem ihr danach nur die Wahl bleibt, die Welt entweder unendlich groß, oder unendlich klein zu denken. Dies haben schon die alten Philosophen eingesehen: Μητροδωρος ὁ καθηγητης Επικουρου, φησιν ατοπον ειναι εν μεγαλφ πεδιῳ ἑνα σταχυν γεννηθηναι, και ἑνα κοσμον εν τῳ απειρῳ ( Metrodorus, caput scholae Epicuri, absurdum ait, in magno campo spicam unam produci, et unum in infinitum mundum). Stob. Ecl., I, c. 23. Daher lehrten Viele von ihnen (wie gleich darauf folgt), απειρους κοσμους εν τῳ απειρῳ ( infinitos mundos in infinito). Dieses ist auch der Sinn des Kantischen Arguments für die Antithese; nur hat er es durch einen scholastischen, geschrobenen Vortrag verunstaltet. Das selbe Argument könnte man auch gegen die Gränzen der Welt in der Zeit gebrauchen, wenn man nicht schon ein viel besseres am Leitfaden der Kausalität hätte. Ferner entsteht, bei der Annahme einer im Raume begränzten Welt, die unbeantwortbare Frage, welches Vorrecht denn der erfüllte Theil des Raumes vor dem unendlichen, leer gebliebenen gehabt hätte. Eine ausführliche und sehr lesenswerthe Darlegung der Argumente für und gegen die Endlichkeit der Welt giebt Jordanus Brunus im fünften Dialog seines Buches » Del infinito, universo e mondi«. Uebrigens behauptet Kant selbst im Ernst und aus objektiven Gründen die Unendlichkeit der Welt im Raum, in seiner »Naturgeschichte und Theorie des Himmels«, Theil II, Kap. 7. Zu derselben bekennt sich auch Aristoteles, » Phys.« III, Kap. 4, welches Kapitel nebst den folgenden, in Hinsicht auf diese Antinomie sehr lesenswerth ist.
Beim zweiten Widerstreit begeht die Thesis sogleich eine gar nicht feine petitio principii, indem sie anhebt: » Jede zusammengesetzte Substanz besteht aus einfachen Theilen.« Aus dem hier willkürlich angenommenen Zusammengesetztseyn beweist sie nachher freilich die einfachen Theile sehr leicht. Aber eben der Satz »alle Materie ist zusammengesetzt«, auf welchen es ankommt, bleibt unbewiesen, weil er eben eine grundlose Annahme ist. Dem Einfachen steht nämlich nicht das Zusammengesetzte, sondern das Extendirte, das Theilehabende, das Theilbare gegenüber. Eigentlich aber wird hier stillschweigend angenommen, daß die Theile vor dem Ganzen da waren und zusammengetragen wurden, wodurch das Ganze entstanden sei: denn Dies besagt das Wort »zusammengesetzt«. Doch läßt sich Dieses so wenig behaupten, wie das Gegentheil. Die Theilbarkeit besagt bloß die Möglichkeit, das Ganze in Theile zu zerlegen; keineswegs, daß es aus Theilen zusammengesetzt und dadurch entstanden sei. Die Theilbarkeit behauptet bloß die Theile a parte post; das Zusammengesetztseyn behauptet sie a parte ante. Denn zwischen den Theilen und dem Ganzen ist wesentlich kein Zeitverhältniß: vielmehr bedingen sie sich wechselseitig und sind insofern stets zugleich: denn nur sofern Beide da sind, besteht das räumlich Ausgedehnte. Was daher Kant in der Anmerkung zur Thesis sagt: »den Raum sollte man eigentlich nicht Compositum, sondern Totum nennen u. s. w.«, dies gilt ganz und gar auch von der Materie, als welche bloß der wahrnehmbar gewordene Raum ist. – Dagegen folgt die unendliche Theilbarkeit der Materie, welche die Antithese behauptet, a priori und unwidersprechlich aus der des Raumes, den sie erfüllt. Dieser Satz hat gar nichts gegen sich: daher ihn auch Kant, S. 513; V, 541, wo er ernstlich und in eigener Person, nicht mehr als Wortführer des αδικος λογος spricht, als objektive Wahrheit darstellt: desgleichen in den »Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft« (S. 108, erste Ausgabe) steht der Satz, »die Materie ist ins Unendliche theilbar«, als ausgemachte Wahrheit an der Spitze des Beweises des ersten Lehrsatzes der Mechanik, nachdem er in der Dynamik als vierter Lehrsatz aufgetreten war und bewiesen worden. Hier aber verdirbt Kant den Beweis für die Antithese, durch die größte Verworrenheit des Vortrags und unnützen Wortschwall, in der schlauen Absicht, daß die Evidenz der Antithese die Sophismen der These nicht zu sehr in Schatten stelle. – Die Atome sind kein nothwendiger Gedanke der Vernunft, sondern bloß eine Hypothese zur Erklärung der Verschiedenheit des specifischen Gewichts der Körper. Daß wir aber auch dieses anderweitig und sogar besser und einfacher, als durch Atomistik erklären können, hat Kant selbst gezeigt, in der Dynamik seiner »Metaphysischen Anfangsgründe zur Naturwissenschaft«; vor ihm jedoch Priestley, » On matter and Spirit.« sect. 1. Ja, schon im Aristoteles, » Phys.«, IV, 9, ist der Grundgedanke davon zu finden.
Das Argument für die dritte Thesis ist ein sehr seines Sophisma und eigentlich Kants vorgebliches Princip der reinen Vernunft selbst, ganz unvermischt und unverändert. Es will die Endlichkeit der Reihe der Ursachen daraus beweisen, daß eine Ursache, um zureichend zu seyn, die vollständige Summe der Bedingungen enthalten muß, aus denen der folgende Zustand, die Wirkung, hervorgeht. Dieser Vollständigkeit der in dem Zustand, welcher Ursach ist, zugleich vorhandenen Bestimmungen schiebt nun das Argument die Vollständigkeit der Reihe von Ursachen unter, durch die jener Zustand selbst erst zur Wirklichkeit gekommen ist: und weil Vollständigkeit Geschlossenheit, diese aber Endlichkeit voraussetzt, so folgert das Argument hieraus eine erste, die Reihe schließende, mithin unbedingte Ursache. Aber die Taschenspielerei liegt am Tage. Um den Zustand A als zureichende Ursache des Zustandes B zu begreifen, setze ich voraus, er enthalte die Vollständigkeit der hiezu erforderlichen Bestimmungen, durch deren Beisammenseyn der Zustand Bunausbleiblich erfolgt. Hiedurch ist nun meine Anforderung an ihm als zureichende Ursache gänzlich befriedigt und sie hat keine unmittelbare Verbindung mit der Frage, wie der Zustand A selbst zur Wirklichkeit gekommen sei: vielmehr gehört diese einer ganz anderen Betrachtung an, in der ich den nämlichen Zustand A nicht mehr als Ursache, sondern selbst wieder als Wirkung ansehe, wobei ein anderer Zustand sich zu ihm wieder eben so verhalten muß, wie er selbst sich zu B verhielt. Die Voraussetzung der Endlichkeit der Reihe von Ursachen und Wirkungen, und demnach eines ersten Anfanges, erscheint dabei aber nirgends als nothwendig, so wenig wie die Gegenwart des gegenwärtigen Augenblicks einen Anfang der Zelt selbst zur Voraussetzung hat; sondern jene wird erst hinzugethan von der Trägheit des spekulirenden Individuums. Das jene Voraussetzung in der Annahme einer Ursache als zureichenden Grundes liege, ist also erschlichen und falsch; wie ich dieses oben, bei Betrachtung des Kantischen, mit dieser Thesis zusammenfallenden Princips der Vernunft ausführlich gezeigt habe. Zur Erläuterung der Behauptung dieser falschen Thests entblödet sich Kant nicht, in der Anmerkung zu derselben, sein Aufstehen vom Stuhl als Beispiel eines unbedingten Anfangs zu geben: als ob es ihm nicht so unmöglich wäre, ohne Motiv aufzustehen, wie der Kugel ohne Ursache zu rollen. Die Grundlosigkeit seiner vom Gefühl der Schwäche eingegebenen Berufung auf die Philosophen des Alterthums brauche ich wohl nicht erst aus dem Otellos Lukanos, den Eleaten u. s. w. nachzuweisen; der Hindu gar zu geschweigen. Gegen die Beweisführung der Antithese ist, wie bei den vorhergehenden, nichts einzuwenden.
Der vierte Widerstreit ist, wie ich schon bemerkt habe, mit dem dritten eigentlich tautologisch. Auch ist der Beweis der These im Wesentlichen wieder derselbe, wie der der vorhergehenden. Seine Behauptung, daß jedes Bedingte eine vollständige und daher mit dem Unbedingten sich endende Reihe von Bedingungen voraussetze, ist eine petitio principii, die man geradezu ableugnen muß. Jedes Bedingte setzt nichts voraus, als seine Bedingung: daß diese wieder bedingt sei,, hebt eine neue Betrachtung an, welche in der ersten nicht unmittelbar enthalten ist.
Eine gewisse Scheinbarkeit ist der Antinomie nicht abzusprechen: dennoch ist es merkwürdig, daß kein Theil der Kantischen Philosophie so wenig Widerspruch erfahren, ja, so viel Anerkennung gefunden hat, wie diese so höchst paradoxe Lehre. Fast alle philosophische Parteien und Lehrbücher haben sie gelten gelassen und wiederholt, auch wohl bearbeitet; während beinahe alle andern Lehren Kants angefochten worden sind, ja, es nie an einzelnen schiefen Köpfen gefehlt hat, welche sogar die transscendentale Aesthetik verwarfen. Der ungetheilte Beifall, den hingegen die Antinomie gefunden, mag am Ende daher kommen, daß gewisse Leute mit innerlichem Behagen den Punkt betrachten, wo so recht eigentlich der Verstand stille stehen soll, indem er auf etwas gestoßen wäre, was zugleich ist und nicht ist, und sie demnach das sechste Kunststück des Philadelphia, in Lichtenbergs Anschlagszettel, hier wirklich vor sich hätten.
Kants nun folgende Kritische Entscheidung des kosmologischen Streites ist, wenn man ihren eigentlichen Sinn erforscht, nicht Das, wofür er sie giebt, nämlich die Auflösung des Streites durch die Eröffnung, daß beide Theile, von falschen Voraussetzungen ausgehend, un ersten und zweiten Widerstreit beide Unrecht, aber im dritten und vierten beide Recht haben; sondern sie ist in der That die Bestätigung der Antithesen durch die Erläuterung ihrer Aussage.
Zuerst behauptet Kant in dieser Auslösung, mit offenbarem Unrecht, beide Theile giengen von der Voraussetzung, als Obersatz, aus, daß mit dem Bedingten auch die vollendete (also geschlossene) Reihe seiner Bedingungen gegeben sei. Bloß die Thesis legte diesen Satz, Kants reines Vernunftsprincip, ihren Behauptungen zum Grunde: die Antithesis hingegen leugnete ihn ja überall ausdrücklich, und behauptete das Gegentheil. Ferner legt Kant beiden Theilen noch diese Voraussetzung zur Last, daß die Welt an sich selbst, d. h. unabhängig von ihrem Erkanntwerden und den Formen dieses, da sei: aber auch diese Voraussetzung ist abermals bloß von der Thesis gemacht; hingegen liegt sie den Behauptungen der Antithesis so wenig zum Grunde, daß sie sogar mit ihnen durchaus unvereinbar ist. Denn dem Begriff einer unendlichen Reihe widerspricht es geradezu, daß sie ganz gegeben sei: es ist ihr daher wesentlich, daß sie immer nur in Beziehung auf das Durchgehen derselben, nicht aber unabhängig von ihm, da sei. Hingegen liegt in der Voraussetzung bestimmter Gränzen auch die eines Ganzen, welches für sich bestehend und unabhängig von dem Vollziehen seiner Ausmessung da ist. Also nur die Thesis macht die falsche Voraussetzung von einem an sich bestehenden, d. h. vor aller Erkenntniß gegebenen Weltganzen, zu welchem die Erkenntniß bloß hinzukäme. Die Antithese streitet durchaus schon ursprünglich mit dieser Voraussetzung: denn die Unendlichkeit der Reihen, welche sie bloß nach Anleitung des Satzes vom Grunde behauptete, kann nur da seyn, sofern der Regressus vollzogen wird, nicht unabhängig von diesem. Wie nämlich das Objekt überhaupt das Subjekt voraussetzt, so setzt auch das als eine endlose Kette von Bedingungen bestimmte Objekt nothwendig die diesem entsprechende Erkenntnißart, nämlich das beständige Verfolgen der Glieder jener Kette, im Subjekt voraus. Dies ist aber eben was Kant als Auflösung des Streites giebt und so oft wiederholt: »Die Unendlichkeit der Weltgröße ist nur durch den Regressus, nicht vor demselben.« Diese seine Auflösung des Widerstreits ist also eigentlich nur die Entscheidung zu Gunsten der Antithese, in deren Behauptung jene Wahrheit schon liegt, so wie dieselbe mit den Behauptungen der These ganz unvereinbar ist. Hätte die Antithese behauptet, daß die Welt aus unendlichen Reihen von Gründen und Folgen bestehe und dabei doch unabhängig von der Vorstellung und deren regressiver Reihe, also an sich existire und daher ein gegebenes Ganzes ausmache; so hatte sie nicht nur der These, sondern auch sich selber widersprochen: denn ein Unendliches kann nie ganz gegeben seyn, noch eine endlose Reihe daseyn, als sofern sie endlos durchlaufen wird, noch ein Gränzenloses ein Ganzes ausmachen. Nur der Thesis also kommt jene Voraussetzung zu, von der Kant behauptet, daß sie beide Theile irre geführt hätte.
Es ist schon Lehre des Aristoteles, daß ein Unendliches nie actu, d. h. wirklich und gegeben seyn könne, sondern bloß potentiâ. Ονϰ ε στ ιν ενεϱγε ια ε ιν αι τ ο απε ιϱ ον – – – – – αλλ' αδυν ατ ον τ ο εντελεχε ιᾳ ον απειϱ ον ( infinitum non potest esse actu:– – – – – sed impossibile, actu esse infinitum). Metaph. K, 10. – Ferner: ϰατ' ενεϱ γειαν μεν γαϱ ουδεν εστιν απειϱ ον, δυναμει δε επι την διαιϱ εσιν ( nihil enim actu infinitum est, sed potentia tantum, nempe divisione ipsa). De generat. et corrupt., I, 3. – Dies führt er weitläuftig aus, Phys. III, 5 u. 6, woselbst er gewissermaaßen die ganz richtige Auflösung sämmtlicher antinomischer Gegensätze giebt. Er stellt, in seiner kurzen Art, die Antinomien dar und sagt dann: »eines Vermittlers (διαιτητου) bedarf es«: wonach er die Auflösung giebt, daß das Unendliche, sowohl der Welt im Raum, als in der Zeit und in der Theilung, nie vor dem Regressus, oder Progressus, sondern in demselben ist. – Also liegt diese Wahrheit schon im richtig gefaßten Begriff des Unendlichen. Man mißversteht sich also selbst, wenn man das Unendliche, welcher Art es auch sei, als ein objektiv Vorhandenes und Fertiges, und unabhängig vom Regressus zu denken vermeint.
Ja, wenn man, umgekehrt verfahrend, zum Ausgangspunkt Dasjenige nimmt, was Kant als die Auflösung des Widerstreits giebt; so folgt eben schon aus demselben geradezu die Behauptung der Antithese. Nämlich: ist die Welt kein unbedingtes Ganzes und existirt nicht an sich, sondern nur in der Vorstellung, und sind ihre Reihen von Gründen und Folgen nicht vor dem Regressus der Vorstellungen davon da, sondern erst durch diesen Regressus; so kann die Welt nicht bestimmte und endliche Reihen enthalten, weil deren Bestimmung und Begränzung unabhängig von der dann nur hinzukommenden Vorstellung seyn müßte: sondern alle ihre Reihen müssen endlos, d. h. durch keine Vorstellung zu erschöpfen seyn.
S. 506; V, 534, will Kant aus dem Unrechthaben beider Theile die transscendentale Idealität der Erscheinung beweisen, und hebt an: »Ist die Welt ein an sich existirendes Ganzes, so ist sie entweder endlich oder unendlich.« – Dies ist aber falsch: ein an sich existirendes Ganzes kann durchaus nicht unendlich seyn. – Vielmehr ließe sich jene Idealität aus der Unendlichkeit der Reihen in der Welt folgendermaaßen schließen: Sind die Reihen der Gründe und Folgen in der Welt durchaus ohne Ende; so kann die Welt nicht ein unabhängig von der Vorstellung gegebenes Ganzes seyn: denn ein solches setzt immer bestimmte Gränzen, so wie hingegen unendliche Reihen unendlichen Regressus voraus. Daher muß die vorausgesetzte Unendlichkeit der Reihen durch die Form von Grund und Folge, und diese durch die Erkenntnißweise des Subjekts bestimmt seyn, also die Welt, wie sie erkannt wird, nur in der Vorstellung des Subjekts daseyn.
Ob nun Kant selbst gewußt habe, oder nicht, daß seine kritische Entscheidung des Streits eigentlich ein Ausspruch zu Gunsten der Antithese ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Denn es hängt davon ab, ob dasjenige, was Schelling irgendwo sehr treffend Kants Akkomodationssystem genannt hat, sich so weit erstrecke, oder ob Kants Geist hier schon in einer unbewußten Akkommodation zum Einfluß seiner Zeit und Umgebung befangen ist.
Die Auflösung der dritten Antinomie, deren Gegenstand die Idee der Freiheit war, verdient eine besondere Betrachtung, sofern es für uns sehr merkwürdig ist, daß Kant vom Ding an sich, das bisher nur im Hintergrunde gesehen wurde, gerade hier, bei der Idee der Freiheit, ausführlicher zu reden genöthigt wird. Dies ist uns sehr erklärlich, nachdem wir das Ding an sich als den Willen erkannt haben. Ueberhaupt liegt hier der Punkt, wo Kants Philosophie auf die meinige hinleitet, oder wo diese aus ihr als ihrem Stamm hervorgeht. Hievon wird man sich überzeugen, wenn man in der Kritik der reinen Vernunft, S. 536 und 537; V, 564 und 565, mit Aufmerksamkeit liest: mit dieser Stelle vergleiche man noch die Einleitung zur Kritik der Urtheilskraft, S. XVIII und XIX der dritten, oder S. 13 der Rosenkranzischen Ausgabe, wo es sogar heißt: »Der Freiheitsbegriff kann in seinem Objekt (das ist denn doch der Wille) ein Ding an sich, aber nicht in der Anschauung, vorstellig machen; dagegen der Naturbegriff seinen Gegenstand zwar in der Anschauung, aber nicht als Ding an sich vorstellig machen kann.« Besonders aber lese man über die Auflösung der Antinomien den §. 53 der Prolegomena und beantworte dann aufrichtig die Frage, ob alles dort Gesagte nicht lautet wie ein Räthsel, zu welchem meine Lehre das Wort ist. Kant ist mit seinem Denken nicht zu Ende gekommen: ich habe bloß seine Sache durchgeführt. Demgemäß habe ich was Kant von der menschlichen Erscheinung allein sagt aus alle Erscheinung überhaupt, als welche von jener nur dem Grade nach verschieden ist, übertragen, nämlich daß das Wesen an sich derselben ein absolut freies, d. h. ein Wille ist. Wie fruchtbar aber diese Einsicht im Verein mit Kants Lehre von der Idealität des Raumes, der Zeit und der Kausalität ist, ergiebt sich aus meinem Werk.
Kant hat das Ding an sich nirgends zum Gegenstand einer besondern Auseinandersetzung oder deutlichen Ableitung gemacht. Sondern, so oft er es braucht, zieht er es sogleich herbei durch den Schluß, daß die Erscheinung, also die sichtbare Welt, doch einen Grund, eine intelligibele Ursache, die nicht Erscheinung wäre und daher zu keiner möglichen Erfahrung gehöre, haben müsse. Dies thut er, nachdem er unablässig eingeschärft hat, die Kategorien, also auch die der Kausalität, hätten einen durchaus nur auf mögliche Erfahrung beschränkten Gebrauch, wären bloße Formen des Verstandes, welche dienten, die Erscheinungen der Sinnenwelt zu buchstabiren, über welche hinaus sie hingegen gar keine Bedeutung hätten u. s. w., daher er ihre Anwendung auf. Dinge jenseit der Erfahrung aufs strengste verpönt und aus der Verletzung dieses Gesetzes, mit Recht, allen frühern Dogmatismus erklärt und zugleich umwirft. Die unglaubliche Inkonsequenz, welche Kant hierin begieng, wurde von seinen ersten Gegnern bald bemerkt und zu Angriffen benutzt, denen seine Philosophie keinen Widerstand leisten konnte. Denn allerdings wenden wir zwar völlig a priori und vor aller Erfahrung das Gesetz der Kausalität an aus die in unsern Sinnesorganen empfundenen Veränderungen: aber gerade darum ist dasselbe ebenso subjektiven Ursprungs, wie diese Empfindungen selbst, führt also nicht zum Dinge an sich. Die Wahrheit ist, daß man auf dem Wege der Vorstellung nie über die Vorstellung hinaus kann: sie ist ein geschlossenes Ganzes und hat in ihren eigenen Mitteln keinen Faden, der zu dem von ihr toto genere verschiedenen Wesen des Dinges an sich führt. Wären wir bloß vorstellende Wesen, so wäre der Weg zum Dinge an sich uns gänzlich abgeschlossen. Nur die andere Seite unseres eigenen Wesens kann uns Aufschluß geben über die andere Seite des Wesens an sich der Dinge. Diesen Weg habe ich eingeschlagen. Einige Beschönigung gewinnt Kants von ihm selbst verpönter Schluß auf das Ding an sich jedoch durch Folgendes. Er setzt nicht, wie es die Wahrheit verlangte, einfach und schlechthin das Objekt als bedingt durch das Subjekt, und umgekehrt; sondern nur die Art und Weise der Erscheinung des Objekts als bedingt durch die Erkenntnißformen des Subjekts, welche daher auch a priori zum Bewußtseyn kommen. Was nun aber, im Gegensatz hievon, bloß a posteriori erkannt wird, ist ihm schon unmittelbare Wirkung des Dinges an sich, welches nur im Durchgang durch jene a priori gegebenen Formen zur Erscheinung wird. Aus dieser Ansicht ist es einigermaaßen erklärlich, wie es ihm entgehen konnte, daß schon das Objektseyn überhaupt zur Form der Erscheinung gehört und durch das Subjektseyn überhaupt eben so wohl bedingt ist, als die Erscheinungsweise des Objekts durch die Erkenntnißformen des Subjekts, daß also, wenn ein Ding an sich angenommen werden soll, es durchaus auch nicht Objekt seyn kann, als welches er es jedoch immer voraussetzt, sondern ein solches Ding an sich in einem von der Vorstellung (dem Erkennen und Erkanntwerden) toto genere verschiedenen Gebiet liegen müßte, und es daher auch am wenigsten nach den Gesetzen der Verknüpfung der Objekte untereinander erschlossen werden könnte.
Mit der Nachweisung des Dinges an sich ist es Kanten gerade so gegangen, wie mit der der Apriorität des Kausalitätsgesetzes: Beide Lehren sind richtig, aber ihre Beweisführung falsch: sie gehören also zu den richtigen Konklusionen aus falschen Prämissen. Ich habe Beide beibehalten, jedoch sie auf ganz andere Weise und sicher begründet.
Das Ding an sich habe ich nicht erschlichen noch erschlossen, nach Gesetzen die es ausschließen, indem sie schon seiner Erscheinung angehören; noch bin ich überhaupt auf Umwegen dazu gelangt: vielmehr habe ich es unmittelbar nachgewiesen, da, wo es unmittelbar liegt, im Willen, der sich Jedem als das Ansich seiner eigenen Erscheinung unmittelbar offenbaret.
Und diese unmittelbare Erkenntniß des eigenen Willens ist es auch, aus der im menschlichen Bewußtseyn der Begriff von Freiheit hervorgeht; weil allerdings der Wille als Weltschaffendes, als Ding an sich, frei vom Satz des Grundes und damit von aller Nothwendigkeit, also vollkommen unabhängig, frei, ja allmächtig ist. Doch gilt dies, der Wahrheit nach, nur vom Willen an sich, nicht von seinen Erscheinungen, den Individuen, die schon, eben durch ihn selbst, als seine Erscheinungen in der Zeit, unveränderlich bestimmt sind. Im gemeinen, nicht durch Philosophie geläuterten Bewußtseyn wird aber auch sogleich der Wille mit seiner Erscheinung verwechselt und was nur ihm zukommt, dieser beigelegt: wodurch der Schein der unbedingten Freiheit des Individuums entsteht. Spinoza sagt eben deswegen mit Recht, daß auch der geworfene Stein, wenn er Bewußtseyn hätte, glauben würde freiwillig zu fliegen. Denn allerdings ist das Ansich auch des Steines der alleinige freie Wille, aber, wie in allen seinen Erscheinungen, auch hier, wo er als Stein erscheint, schon völlig bestimmt. Doch von dem allen ist im Haupttheile dieser Schrift schon zur Genüge geredet.
Kant, indem er diese unmittelbare Entstehung des Begriffs von Freiheit in jedem menschlichen Bewußtseyn verkennt und übersieht, setzt nun, S. 533; V, 561, den Ursprung jenes Begriffs in eine sehr subtile Spekulation, durch welche nämlich das Unbedingte, auf welches die Vernunft immer ausgehen soll, die Hypostasirung des Begriffs von Freiheit veranlaßt, und auf diese transscendente Idee der Freiheit soll sich allererst auch der praktische Begriff derselben gründen. In der Kritik der praktischen Vernunft, §. 6, und S. 185 der vierten, S. 235 der Rosenkranzischen Ausgabe, leitet er diesen letztern Begriff jedoch wieder anders ab, daraus, daß der kategorische Imperativ ihn voraussetze: zum Behuf dieser Voraussetzung sei sonach jene spekulative Idee nur der erste Ursprung des Begriffs von Freiheit; hier aber erhalte er eigentlich Bedeutung und Anwendung. Beides ist jedoch nicht der Fall. Denn der Wahn einer vollkommenen Freiheit des Individuums in seinen einzelnen Handlungen ist am lebendigsten in der Ueberzeugung des rohesten Menschen, der nie nachgedacht hat, ist also auf keine Spekulation gegründet, wiewohl oft dahin hinübergenommen. Frei davon sind hingegen nur Philosophen und zwar die tiefsten, ebenfalls sind es auch die denkendesten und erleuchtetesten Schriftsteller der Kirche.
Allem Gesagten zufolge ist also der eigentliche Ursprung des Begriffs der Freiheit auf keine Weise wesentlich ein Schluß, weder aus der spekulativen Idee einer unbedingten Ursache, noch daraus, daß ihn der kategorische Imperativ voraussetze; sondern er entspringt unmittelbar aus dem Bewußtseyn, darin sich Jeder selbst, ohne Weiteres, als den Willen, d. h. als dasjenige, was als Ding an sich nicht den Satz vom Grunde zur Form hat und das selbst von nichts, von dem vielmehr alles andere abhängt, erkennt, nicht aber zugleich mit philosophischer Kritik und Besonnenheit sich, als schon in die Zeit eingetretene und bestimmte Erscheinung dieses Willens, man könnte sagen Willenskraft, von jenem Willen zum Leben selbst unterscheidet, und daher, statt sein ganzes Daseyn als Akt seiner Freiheit zu erkennen, diese vielmehr in seinen einzelnen Handlungen sucht. Hierüber verweise ich auf meine Preisschrift von der Freiheit des Willens.
Hätte nun Kant, wie er hier vorgiebt und auch scheinbar bei früheren Gelegenheiten that, das Ding an sich bloß erschlossen und dazu mit der großen Inkonsequenz eines von ihm selbst durchaus verpönten Schlusses; – welch ein sonderbarer Zufall wäre es dann, daß er hier, wo er zum ersten Mal näher an das Ding an sich herangeht und es beleuchtet, in ihm sogleich den Willen erkennt, den freien, in der Welt sich nur durch zeitliche Erscheinungen kund gebenden Willen! – Ich nehme daher wirklich an, obwohl es nicht zu beweisen ist, daß Kant, so oft er vom Ding an sich redete, in der dunkelsten Tiefe seines Geistes, immer schon den Willen undeutlich dachte. Einen Beleg hiezu giebt, in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, S. XXVII und XXVIII, in der Rosenkranzischen Ausgabe S. 677 der Supplemente.
Uebrigens ist es eben diese beabsichtigte Auflösung des vorgeblichen dritten Widerstreits, welche Kanten Gelegenheit giebt, die tiefsten Gedanken seiner ganzen Philosophie sehr schön auszusprechen. So im ganzen »sechsten Abschnitt der Antinomie der reinen Vernunft«; vor allem aber die Auseinandersetzung des Gegensatzes zwischen empirischem und intelligibelem Charakter, S. 534-550; V, 562-578, welche ich dem Vortrefflichsten beizähle, das je von Menschen gesagt worden (als ergänzende Erläuterung dieser Stelle ist anzusehen eine ihr parallele in der »Kritik der praktischen Vernunft«, S. 169-179 der vierten, oder S. 224-231 der Rosenkranzischen Ausgabe). Es ist jedoch um so mehr zu bedauern, daß solches hier nicht am rechten Orte steht, sofern nämlich, als es theils nicht auf dem Wege gefunden ist, den die Darstellung angiebt und daher auch anders, als geschieht, abzuleiten wäre, theils auch nicht den Zweck erfüllt, zu welchem es dasteht, nämlich die Auflösung der vorgeblichen Antinomie. Es wird von der Erscheinung auf ihren intelligibeln Grund, das Ding an sich, geschlossen, durch den schon genugsam gerügten inkonsequenten Gebrauch der Kategorie der Kausalität über alle Erscheinung hinaus. Als dieses Ding an sich wird für diesen Fall des Menschen Wille (den Kant höchst unstatthaft, mit unverzeihlicher Verletzung alles Sprachgebrauchs, Vernunft betitelt) aufgestellt, mit Berufung auf ein unbedingtes Sollen, den kategorischen Imperativ, der ohne Weiteres postulirt wird.
Statt alles diesen nun wäre das lautere, offene Verfahren gewesen, unmittelbar vom Willen auszugehen, diesen nachzuweisen als das ohne alle Vermittelung erkannte Ansich unserer eigenen Erscheinung, und dann jene Darstellung des empirischen und intelligibeln Charakters, zu geben, darzuthun, wie alle Handlungen, obwohl durch Motive necessitirt, dennoch, sowohl von ihrem Urheber, als vom fremden Beurtheiler, jenem selbst und allein, nothwendig und schlechthin zugeschrieben werden, als lediglich von ihm abhängend, dem sonach Schuld und Verdienst ihnen gemäß zuerkannt werden. – Dieses allein war der gerade Weg zur Erkenntniß Dessen, was nicht Erscheinung ist, folglich auch nicht nach den Gesetzen der Erscheinung gefunden wird, sondern Das ist, was durch die Erscheinung sich offenbart, erkennbar wird, sich objektivirt, der Wille zum Leben. Derselbe hätte sodann, bloß nach Analogie, als das Ansich jeder Erscheinung dargestellt werden müssen. Dann hätte aber freilich nicht (S. 546; V, 574) gesagt werden können, bei der leblosen, ja der thierischen Natur, sei kein Vermögen anders als sinnlich bedingt zu denken; womit in Kants Sprache eigentlich gesagt ist, die Erklärung nach dem Gesetze der Kausalität erschöpfe auch das innerste Wesen jener Erscheinungen, wodurch sodann, sehr inkonsequent, das Ding an sich bei ihnen wegfällt. – Durch die unrechte Stelle und die ihr gemäße umgehende Ableitung, welche die Darstellung des Dinges an sich bei Kant erhalten hat, ist auch der ganze Begriff desselben verfälscht worden. Denn, durch Nachforschung einer unbedingten Ursache gefunden, tritt hier der Wille, oder das Ding an sich, zur Erscheinung in das Verhältniß der Ursache zur Wirkung. Dieses Verhältniß findet aber nur innerhalb der Erscheinung Statt, setzt diese daher schon voraus und kann nicht sie selbst mit dem verbinden, was außer ihr liegt und toto genere von ihr verschieden ist.
Ferner wird der vorgesetzte Zweck, die Auflösung der dritten Antinomie, durch die Entscheidung, daß beide Theile, jeder in einem andern Sinne, Recht haben, gar nicht erreicht. Denn sowohl Thesis als Antithesis reden keineswegs vom Dinge an sich, sondern durchaus von der Erscheinung, der objektiven Welt, der Welt als Vorstellung. Diese und durchaus nichts Anderes ist es, von der die Thesis durch das aufgezeigte Sophisma darthun will, daß sie unbedingte Ursachen enthalte, und diese auch ist es, von der die Antithesis dasselbe, mit Recht, leugnet. Daher ist die ganze zur Rechtfertigung der Thesis hier gegebene Darstellung von der transscendentalen Freiheit des Willens, sofern er Ding an sich ist, so vortrefflich an sich auch solche ist, hier doch ganz eigentlich eine μεταβασις εις αλλο γενος. Denn die dargestellte transscendentale Freiheit des Willens ist keineswegs die unbedingte Kausalität einer Ursache, welche die Thesis behauptet, weil eine Ursache wesentlich Erscheinung seyn muß, nicht ein jenseit aller Erscheinung liegendes toto genere Verschiedenes.
Wenn von Ursach und Wirkung geredet wird, darf das Verhältniß des Willens zu seiner Erscheinung (oder des intelligibeln Charakters zum empirischen) nie herbeigezogen werden, wie hier geschieht: denn es ist vom Kausalverhältniß durchaus verschieden. Inzwischen wird auch hier, in dieser Auflösung der Antinomie, der Wahrheit gemäß gesagt, daß der empirische Charakter des Menschen, wie der jeder andern Ursache in der Natur, unabänderlich bestimmt ist, und demgemäß aus ihm, nach Maaßgabe der äußeren Einwirkungen, die Handlungen nothwendig hervorgehen; daher denn auch, ohngeachtet aller transscendentalen Freiheit (d. i. Unabhängigkeit des Willens an sich von den Gesetzen des Zusammenhangs seiner Erscheinung), kein Mensch das Vermögen hat, eine Reihe von Handlungen von selbst zu beginnen, welches Letztere hingegen von der Thesis behauptet wurde. Also hat auch die Freiheit keine Kausalität: denn frei ist nur der Wille, welcher außerhalb der Natur oder Erscheinung liegt, die eben nur seine Objektivation ist, aber nicht in einem Verhältniß der Kausalität zu ihm steht, als welches Verhältniß erst innerhalb der Erscheinung angetroffen wird, also diese schon voraussetzt, nicht sie selbst einschließen und mit Dem verbinden kann, was ausdrücklich nicht Erscheinung ist. Die Welt selbst ist allein aus dem Willen (da sie eben er selbst ist, sofern er erscheint) zu erklären und nicht, durch Kausalität. Aber in der Welt ist Kausalität das einzige Princip der Erklärung und geschieht Alles lediglich nach Gesetzen der Natur. Also liegt das Recht ganz auf der Seite der Antithese, welche bei Dem bleibt, wovon die Rede war, und das Princip der Erklärung gebraucht, das davon gilt, daher auch keiner Apologie bedarf; da hingegen die These durch eine Apologie aus der Sache gezogen werden soll, die erstlich zu etwas ganz anderem, als wonach die Frage war, überspringt und dann ein Princip der Erklärung hinüber nimmt, das daselbst nicht anzuwenden ist.
Der vierte Widerstreit ist, wie schon gesagt, seinem innersten Sinn nach, mit dem dritten tautologisch. In der Auflösung dazu entwickelt Kant noch mehr die Unhaltbarkeit der Thesis: für ihre Wahrheit hingegen und ihr vorgebliches Zusammenbestehen mit der Antithesis bringt er keinen Grund vor, so wie er umgekehrt keinen der Antithese entgegenzustellen vermag. Nur ganz bittweise führt er die Annahme der Thesis ein, nennt sie jedoch selbst (S. 562; V, 590) eine willkürliche Voraussetzung, deren Gegenstand an sich wohl unmöglich seyn möchte, und zeigt bloß ein ganz ohnmächtiges Bestreben, demselben vor der durchgreifenden Macht der Antithese irgendwo ein sicheres Plätzchen zu verschaffen, um nur die Nichtigkeit des ganzen ihm einmal beliebten Vorgebens der nothwendigen Antinomie in der menschlichen Vernunft nicht aufzudecken.
Es folgt das Kapitel vom transscendentalen Ideale, welches uns mit einem Mal in die starre Scholastik des Mittelalters zurückversetzt. Man glaubt den Anselmus von Kanterbury selbst zu hören. Das ens realissimum, der Inbegriff aller Realitäten, der Inhalt aller bejahenden Sätze, tritt auf und zwar mit dem Anspruch ein nothwendiger Gedanke der Vernunft zu seyn! – Ich meinerseits muß gestehen, daß meiner Vernunft ein solcher Gedanke unmöglich ist, und daß ich bei den Worten, die ihn bezeichnen, nichts Bestimmtes zu denken vermag.
Ich zweifle übrigens nicht, daß Kant zu diesen: seltsamen und seiner unwürdigen Kapitel bloß durch seine Liebhaberei zur architektonischen Symmetrie genöthigt wurde. Die drei Hauptobjekte der Scholastischen Philosophie (welche man, wie gesagt, im weitem Sinn verstanden, bis auf Kant gehn lassen kann), die Seele, die Welt und Gott sollten aus den drei möglichen Obersätzen von Schlüssen abgeleitet werden; obwohl es offenbar ist, daß sie einzig und allein durch unbedingte Anwendung des Satzes vom Grunde entstanden sind und entstehen können. Nachdem nun die Seele in das kategorische Urtheil gezwängt worden, das hypothetische für die Welt verwendet war, blieb für die dritte Idee nichts übrig, als der disjunktive Obersatz. Glücklicherweise fand sich in diesem Sinn eine Vorarbeit, nämlich das ens realissimum der Scholastiker, nebst dem ontologischen Beweise des Daseyns Gottes, rudimentarisch von Anselm von Kanterbury aufgestellt und dann von Cartesius vervollkommnet. Dieses wurde von Kanten mit Freuden benutzt, auch wohl mit einiger Reminiscenz einer frühern lateinischen Jugendarbeit. Indessen ist das Opfer, welches Kant seiner Liebe zur architektonischen Symmetrie durch dieses Kapitel bringt, überaus groß. Aller Wahrheit zum Trotz wird die, man muß sagen grotteske Vorstellung eines Inbegriffs aller möglichen Realitäten zu einem der Vernunft wesentlichen und nothwendigen Gedanken gemacht. Zur Ableitung desselben ergreift Kant das falsche Vorgeben, daß unsere Erkenntniß einzelner Dinge durch eine immer weiter gehende Einschränkung allgemeiner Begriffe, folglich auch eines allerallgemeinsten, der alle Realität in sich enthielte, entstehe. Hierin steht er eben so sehr mit seiner eigenen Lehre, wie mit der Wahrheit in Widerspruch; da gerade umgekehrt unsere Erkenntniß, vom Einzelnen ausgehend, zum Allgemeinen erweitert wird, und alle allgemeinen Begriffe durch Abstraktion von realen, einzelnen, anschaulich erkannten Dingen entstehen, welche bis zum allerallgemeinsten Begriff fortgesetzt werden kann, der dann Alles unter sich, aber fast nichts in sich begreift. Kant hat also hier das Verfahren unseres Erkenntnißvermögens gerade auf den Kopf gestellt und könnte deshalb wohl gar beschuldigt werden, Anlaß gegeben zu haben zu einer in unsern Tagen berühmt gewordenen philosophischen Charlatanerie, welche, statt die Begriffe für aus den Dingen abstrahirte Gedanken zu erkennen, umgekehrt die Begriffe zum Ersten macht und in den Dingen nur konkrete Begriffe sieht, aus diese Weise die verkehrte Welt, als eine philosophische Hanswurstiade, die natürlich großen Beifall finden mußte, zu Markte bringend. –
Wenn wir auch annehmen, jede Vernunft müsse, oder wenigstens könne, auch ohne Offenbarung zum Begriff von Gott gelangen; so geschieht dies doch offenbar allein am Leitfaden der Kausalität: was so einleuchtend ist, daß es keines Beweises bedarf. Daher sagt auch Chr. Wolf ( Cosmologia generalis, praef. p. 1): Sane in theologia naturali existentiam Numinis e principiis cosmologicis demonstramus. Contingentia universi et ordinis naturae, una cum impossibilitate casus, sunt scala, per quam a mundo hoc a adspectabili a Deum ascenditur. Und vor ihm sagte schon Leibnitz, in Beziehung auf das Kausalitätsgesetz: Sans ce grand principe nous ne pourrions jamais prouver l'existence de Dieu ( Théod., §. 44). Und eben so in seiner Kontroverse mit Clarke, §. 126: J'ose dire que sans ce grand principe on ne saurait venir à la preuve de l'existence de Dieu. Hingegen ist der in diesem Kapitel ausgeführte Gedanke so weit davon entfernt, ein der Vernunft wesentlicher und nothwendiger zu seyn, daß er vielmehr zu betrachten ist als ein rechtes Meisterstück von den monströsen Erzeugnissen eines durch wunderliche Umstände aus die seltsamsten Abwege und Verkehrtheiten gerathenen Zeitalters, wie das der Scholastik war, das ohne Aehnliches in der Weltgeschichte dasteht, noch je wiederkehren kann. Diese Scholastik hat allerdings, als sie zu ihrer Vollendung gediehen war, den Hauptbeweis für das Daseyn Gottes aus dem Begriff des ens realissimum geführt und die andern Beweise nur daneben gebraucht, accessorisch: dies ist aber bloße Lehrmethode und beweist nichts über den Ursprung der Theologie im menschlichen Geist. Kant hat hier das Verfahren der Scholastik für das der Vernunft genommen, welches ihm überhaupt öfter begegnet ist. Wenn es wahr wäre, daß, nach wesentlichen Gesetzen der Vernunft, die Idee von Gott aus dem disjunktiven Schlusse hervorgienge, unter Gestalt einer Idee vom allerrealsten Wesen; so würde doch auch bei den Philosophen des Alterthums diese Idee sich eingefunden haben: aber vom ens realissimum ist nirgends eine Spur, bei keinem der alten Philosophen, obgleich einige derselben allerdings einen Weltschöpfer, aber nur als Formgeber der ohne ihn vorhandenen Materie, δημιονϱος, lehren, den sie jedoch einzig und allein nach dem Gesetz der Kausalität erschließen. Zwar führt Sextus Empirikus ( adv. Math., IX, §. 88) eine Argumentation des Kleanthes an, welche Einige für den ontologischen Beweis halten. Dies ist sie jedoch nicht, sondern ein bloßer Schluß aus der Analogie: weil nämlich die Erfahrung lehrt, daß auf Erden ein Wesen immer vorzüglicher, als das andere ist, und zwar der Mensch, als das vorzüglichste, die Reihe schließt, er jedoch noch viele Fehler hat; so muß es noch vorzüglichere und zuletzt ein allervorzüglichstes ϰϱατιστον, αϱιστον geben, und dieses wäre der Gott.
Ueber die nunmehr folgende ausführliche Widerlegung der spekulativen Theologie habe ich nur in der Kürze zu bemerken, daß sie, wie überhaupt die ganze Kritik der drei sogenannten Ideen der Vernunft, also die ganze Dialektik der reinen Vernunft, zwar gewissermaaßen das Ziel und der Zweck des ganzen Werkes ist, dennoch aber dieser polemische Theil nicht eigentlich, wie der vorhergehende doktrinale, d. i. die Aesthetik und Analytik, ein ganz allgemeines, bleibendes und rein philosophisches Interesse hat; sondern mehr ein temporelles und lokales, indem derselbe in besonderer Beziehung steht zu den Hauptmomenten der bis auf Kant in Europa herrschenden Philosophie, deren völliger Umsturz durch diese Polemik jedoch Kanten zum unsterblichen Verdienst gereicht. Er hat aus der Philosophie den Theismus eliminirt, da in ihr, als einer Wissenschaft, und nicht Glaubenslehre, nur Das eine Stelle finden kann, was entweder empirisch gegeben, oder durch haltbare Beweise festgestellt ist. Natürlich ist hier bloß die wirkliche, ernstlich verstandene, aus Wahrheit und nichts Anderes gerichtete Philosophie gemeint, und keineswegs die Spaaßphilosophie der Universitäten, als in welcher, nach wie vor, die spekulative Theologie die Hauptrolle spielt; wie denn auch daselbst die Seele, als eine bekannte Person, nach wie vor, ohne Umstände auftritt. Denn sie ist die mit Gehalten und Honoraren, ja gar noch mit Hofrathstiteln ausgestattete Philosophie, welche, von ihrer Höhe stolz herabsehend, Leutchen, wie ich bin, vierzig Jahre hindurch, gar nicht gewahr wird, und den alten Kant, mit seinen Kritiken, auch herzlich gern los wäre, um den Leibnitz aus voller Brust hoch leben zu lassen. – Ferner ist hier zu bemerken, daß, wie Kant zu seiner Lehre von der Apriorität des Kausalitätsbegriffes eingeständlich veranlaßt worden ist durch Humes Skepsis in Hinsicht auf jenen Begriff, vielleicht eben so Kants Kritik aller spekulativen Theologie ihren Anlaß hat in Humes Kritik aller populären Theologie, welche dieser dargelegt hatte in seiner so lesenswerthen » Natural history of religion«, und den » Dialogues on natural religion«, ja, daß Kant diese gewissermaaßen ergänzen gewollt. Denn die zuerst genannte Schrift Humes ist eigentlich eine Kritik der populären Theologie, deren Erbärmlichkeit sie zeigen und dagegen auf die rationale oder spekulative Theologie, als die ächte, achtungsvoll hinweisen will. Kant aber deckt nun das Grundlose dieser letztern auf, läßt hingegen die populäre unangetastet und stellt sie sogar in veredelter Gestalt auf, als einen auf moralisches Gefühl gestützten Glauben. Diesen verdrehten späterhin die Philosophaster zu Vernunftvernehmungen, Gottesbewußtseynen, oder intellektuellen Anschauungen des Uebersinnlichen, der Gottheit u. dgl. m.; während vielmehr Kant, als er alte, ehrwürdige Irrthümer einriß und die Gefährlichkeit der Sache kannte, nur hatte, durch die Moraltheologie, einstweilen ein Paar schwache Stützen unterschieben wollen, damit der Einsturz nicht ihn träfe, sondern er Zeit gewönne, sich wegzubegeben.
Was nun die Ausführung betrifft, so war zur Widerlegung des ontologischen Beweises des Daseyns Gottes gar noch keine Vernunftkritik von Nöthen, indem auch ohne Voraussetzung der Aesthetik und Analytik es sehr leicht ist deutlich zu machen, daß jener ontologische Beweis nichts ist, als ein spitzfündiges Spiel mit Begriffen, ohne alle Ueberzeugungskraft. Schon im Organon des Aristoteles steht ein Kapitel, welches zur Widerlegung des ontotheologischen Beweises so vollkommen hinreicht, als ob es absichtlich dazu geschrieben wäre: es ist das siebente Kapitel des zweiten Buches der Analyt. post.: unter Anderm heißt es dort ausdrücklich: το δε ειναι ουκ ουσια ουδενι: d. h. existentia nunquam ad essentiam rei pertinet.
Die Widerlegung des kosmologischen Beweises ist eine Anwendung der bis dahin vorgetragenen Lehre der Kritik auf einen gegebenen Fall, und nichts dagegen zu erinnern. – Der physikotheologische Beweis ist eine bloße Amplifikation des kosmologischen, den er voraussetzt, und findet auch seine ausführliche Widerlegung erst in der Kritik der Urtheilskraft. Meinen Leser verweise ich in dieser Hinsicht auf die Rubrik »Vergleichende Anatomie« in meiner Schrift über den Willen in der Natur.
Kant hat es, wie gesagt, bei der Kritik dieser Beweise bloß mit der spekulativen Theologie zu thun und beschränkt sich auf die Schule. Hätte er hingegen auch das Leben und die populäre Theologie im Auge gehabt, so hätte er zu den drei Beweisen noch einen vierten fügen müssen, der bei dem großen Haufen der eigentlich wirksame ist und in Kants Kunstsprache wohl am passendsten der keraunologische zu benennen wäre: es ist der, welcher sich gründet auf das Gefühl der Hülfsbedürftigkeit, Ohnmacht und Abhängigkeit des Menschen, unendlich überlegenen, unergründlichen und meistens unheildrohenden Naturmächten gegenüber; wozu sich sein natürlicher Hang Alles zu personifiziren gesellt und endlich noch die Hoffnung kommt, durch Bitten und Schmeicheln, auch wohl durch Geschenke, etwas auszurichten. Bei jeder menschlichen Unternehmung ist nämlich etwas, das nicht in unserer Macht steht und nicht in unsere Berechnung fällt: der Wunsch, dieses für sich zu gewinnen, ist der Ursprung der Götter. Primus in orbe Deos fecit timor ist ein altes Wahrwort des Petronius. Diesen Beweis hauptsächlich kritisirt Hume, der durchaus als Kants Vorläufer erscheint, in den oben erwähnten Schriften. – Wen nun aber Kant durch seine Kritik der spekulativen Theologie in dauernde Verlegenheit gesetzt hat, das sind die Philosophieprofessoren: von Christlichen Regierungen besoldet dürfen sie den Hauptglaubensartikel nicht im Stich lassen Kant hat gesagt: »Es ist sehr was Ungereimtes, von der Vernunft Aufklärung zu erwarten, und ihr doch vorher vorzuschreiben, auf welche Seite sie nothwendig ausfallen müsse«. (Kritik der reinen Vernunft, S. 747; V, 775.) Hingegen ist folgende Naivetät der Ausspruch eines Philosophieprofessors in unserer Zeit: »Leugnet eine Philosophie die Realität der Grundideen des Christenthums, so ist sie entweder falsch, oder, wenn auch wahr, doch unbrauchbar –« scilicet für Philosophieprofessoren. Der verstorbene Professor Bachmann ist es gewesen, welcher, in der Jena'schen Litteraturzeitung vom Juli 1840, Nr. 126, so indiskret die Maxime aller seiner Kollegen ausgeplaudert hat. Inzwischen ist es für die Charakteristik der Universitätsphilosophie bemerkenswerth, wie hier der Wahrheit, wenn sie sich nicht schicken und fügen will, so ohne Umschweife die Thüre gewiesen wird, mit: »Marsch, Wahrheit! wir können dich nicht brauchen. Sind wir dir etwas schuldig? Bezahlst du uns? – Also, Marsch!«. Wie helfen sich nun die Herren? – Sie behaupten eben, das Daseyn Gottes verstände sich von selbst. – So! nachdem die alte Welt, auf Kosten ihres Gewissens, Wunder gethan hat, es zu beweisen, und die neue Welt, auf Kosten ihres Verstandes, ontologische, kosmologische und physikotheologische Beweise ins Feld gestellt hat, – versteht es sich bei den Herren von selbst. Und aus diesem sich von selbst verstehenden Gott erklären sie sodann die Welt: das ist ihre Philosophie.
Bis auf Kant stand ein wirkliches Dilemma fest zwischen Materialismus und Theismus, d. h. zwischen der Annahme, daß ein blinder Zufall, oder daß eine von außen ordnende Intelligenz nach Zwecken und Begriffen, die Welt zu Stande gebracht hätte, neque dabatur tertium. Daher war Atheismus und Materialismus das Selbe: daher der Zweifel, ob es wohl einen Atheisten geben könne, d. h. einen Menschen, der wirklich die so überschwänglich zweckmäßige Anordnung der Natur, zumal der organischen, dem blinden Zufall zutrauen könne: man sehe z. B. Bacon's essays sermones fideles, essay 16, on Atheism. In der Meinung des großen Haufens und der Engländer, welche in solchen Dingen gänzlich zum großen Haufen ( mob) gehören, steht es noch so, sogar bei ihren berühmtesten Gelehrten: man sehe nur des R. Owen Ostéologie comparée, von 1855, préface p. 11, 12, wo er noch immer vor dem alten Dilemma steht zwischen Demokrit und Epikur einerseits und einer intelligence andererseits, in welcher la connaissance d'un être tel que l'homme a existé avant que l'homme fit son apparition. Von einer Intelligenz muß alle Zweckmäßigkeit ausgegangen seyn: daran zu zweifeln ist ihm noch nicht im Traume eingefallen. Hat er doch in der am 5. Sept. 1853 in der Académie des sciences gehaltenen Vorlesung dieser hier etwas modificirten préface, mit kindlicher Naivetät gesagt: la téléologie, ou la théologie scientifique ( Comptes rendus, Sept. 1853), das ist ihm unmittelbar Eins! Ist etwas in der Natur zweckmäßig; nun so ist es ein Werk der Absicht, der Ueberlegung, der Intelligenz. Nun freilich, was geht so einen Engländer und die Académie des sciences die Kritik der Urtheilskraft an, oder gar mein Buch über den Willen in der Natur? So tief sehen die Herren nicht herab. Diese illustres confréres verachten ja die Metaphysik und die philosopie allemande: – sie halten sich an die Rockenphilosophie. Die Gültigkeit jenes disjunktiven Obersatzes, jenes Dilemmas zwischen Materialismus und Theismus, beruht aber auf der Annahme, daß die vorliegende Welt die der Dinge an sich sei, daß es folglich keine andere Ordnung der Dinge gebe, als die empirische. Nachdem aber, durch Kant, die Welt und ihre Ordnung zur bloßen Erscheinung geworden war, deren Gesetze hauptsächlich auf den Formen unseres Intellekts beruhen, brauchte das Daseyn und Wesen der Dinge und der Welt nicht mehr nach Analogie der von uns wahrgenommenen, oder bewirkten Veränderungen in der Welt erklärt zu werden, noch Das, was wir als Mittel und Zweck auffassen, auch in Folge einer solchen Erkenntniß entstanden zu seyn. Indem also Kant, durch seine wichtige Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich, dem Theismus sein Fundament entzog, eröffnete er andererseits den Weg zu ganz anderartigen und tiefsinnigeren Erklärungen des Daseyns.
Im Kapitel von den Endabsichten der natürlichen Dialektik der Vernunft wird vorgegeben, die drei transscendenten Ideen seien als regulative Principien für die Fortschreitung der Kenntniß der Natur von Werth. Aber schwerlich kann es Kanten mit dieser Behauptung Ernst gewesen seyn. Wenigstens wird ihr Gegentheil, daß nämlich jene Voraussetzungen für alle Naturforschung hemmend und ertödtend sind, jedem Naturkundigen außer Zweifel seyn. Um dies an einem Beispiel zu erproben, überlege man, ob die Annahme einer Seele, als immaterieller, einfacher, denkender Substanz, den Wahrheiten, welche Cabanis so schön dargelegt hat, oder den Entdeckungen Flourens', Marshall Halls, und Ch. Bells hätte förderlich, oder im höchsten Grade hinderlich seyn müssen. Ja, Kant selbst sagt (Prolegomena, § 44), »daß die Vernunftideen den Maximen der Vernunfterkenntniß der Natur entgegen und hinderlich sind«. –
Es ist gewiß keines der geringsten Verdienste Friedrichs des Großen, daß unter seiner Regierung Kant sich entwickeln konnte und die »Kritik der reinen Vernunft« veröffentlichen durfte. Schwerlich würde unter irgend einer andern Regierung ein besoldeter Professor so etwas gewagt haben. Schon dem Nachfolger des großen Königs mußte Kant versprechen, nicht mehr zu schreiben.
Der Kritik des ethischen Theils der Kantischen Philosophie könnte ich mich hier entübrigt erachten, sofern ich eine solche ausführlicher und gründlicher, 22 Jahre später, als die gegenwärtige, geliefert habe, in den »beiden Grundproblemen der Ethik«. Indessen kann das aus der ersten Auflage hier Beibehaltene, welches schon der Vollständigkeit wegen nicht wegfallen durfte, als zweckmäßige Prolusion zu jener spätern und viel gründlichern Kritik dienen, auf welche ich demnach, in der Hauptsache, den Leser verweise.
Gemäß der Liebe zur architektonischen Symmetrie mußte die theoretische Vernunft auch einen Pendant haben. Der intellectus practicus der Scholastik, welcher wieder abstammt vom νους πρακτικος des Aristoteles ( De anima, III, 10, und Polit., VII, c. 14: μεν γαρ πρακτικος εστι λογος, ὁ δε θεωρητικος giebt das Wort an die Hand. Jedoch wird hier etwas ganz Anderes damit bezeichnet, nicht wie dort die auf Technik gerichtete Vernunft; sondern hier tritt die praktische Vernunft auf als Quell und Ursprung der unleugbaren ethischen Bedeutsamkeit des menschlichen Handelns, so wie auch aller Tugend, alles Edelmuths und jedes erreichbaren Grades von Heiligkeit. Dieses Alles demnach käme aus bloßer Vernunft und erforderte nichts, als diese. Vernünftig handeln und tugendhaft, edel, heilig handeln wäre Eines und dasselbe: und eigennützig, boshaft, lasterhaft handeln wäre bloß unvernünftig handeln. Inzwischen haben alle Zeiten, alle Völker, alle Sprachen beides immer sehr unterschieden und gänzlich für zweierlei gehalten, wie auch noch bis auf den heutigen Tag alle Die thun, welche von der Sprache der neuern Schule nichts wissen, d. h. die ganze Welt mit Ausnahme eines kleinen Häufchens Deutscher Gelehrten: jene alle verstehen unter einem tugendhaften Wandel und einem vernünftigen Lebenslauf durchaus zwei ganz verschiedene Dinge. Daß der erhabene Urheber der Christlichen Religion, dessen Lebenslauf uns als das Vorbild aller Tugend aufgestellt wird, der allervernünftigste Mensch gewesen wäre, würde man eine sehr unwürdige, wohl gar eine blasphemirende Redensart nennen, und fast eben so auch, wenn gesagt würde, daß seine Vorschriften nur die beste Anweisung zu einem ganz vernünftigen Leben enthielten. Ferner daß, wer diesen Vorschriften gemäß, statt an sich und seine eigenen zukünftigen Bedürfnisse zum voraus zu denken, allemal nur dem größern gegenwärtigen Mangel Anderer abhilft, ohne weitere Rücksicht; ja, seine ganze Habe den Armen schenkt, um dann, aller Hülfsmittel entblößt, hinzugehen, die Tugend, welche er selbst geübt, auch Anderen zu predigen; dies verehrt Jeder mit Recht: wer aber wagt es als den Gipfel der Vernünftigkeit zu preisen? Und endlich, wer lobt es als eine überaus vernünftige That, daß Arnold von Winkelried, mit überschwänglichem Edelmuth, die feindlichen Speere zusammenfaßte, gegen seinen eigenen Leib, um seinen Landsleuten Sieg und Rettung zu verschaffen? – Hingegen, wenn wir einen Menschen sehen, der von Jugend an, mit seltener Ueberlegung darauf bedacht ist, sich die Mittel zu einem sorgenfreien Auskommen, zur Unterhaltung von Weib und Kindern, zu einem guten Namen bei den Leuten, zu äußerer Ehre und Auszeichnung zu verschaffen, und dabei sich nicht durch den Reiz gegenwärtiger Genüsse, oder den Kitzel dem Uebermuth der Mächtigen zu trotzen, oder den Wunsch erlittene Beleidigungen oder unverdiente Demüthigung zu rächen, oder die Anziehungskraft unnützer ästhetischer oder philosophischer Geistesbeschäftigung und Reisen nach sehenswerthen Ländern, – der sich durch alles Dieses und dem Aehnliches nicht irre machen, noch verleiten läßt, jemals sein Ziel aus den Augen zu verlieren; sondern mit großer Konsequenz einzig darauf hinarbeitet: wer wagt es zu leugnen, daß ein solcher Philister ganz außerordentlich vernünftig sei? sogar auch dann noch, wenn er sich einige nicht lobenswerthe, aber gefahrlose Mittel erlaubt hätte. Ja, noch mehr: wenn ein Bösewicht mit überlegter Verschmitztheit, nach einem wohldurchdachten Plane, sich zu Reichthümern, zu Ehren, ja zu Thronen und Kronen verhilft, dann mit der feinsten Arglist benachbarte Staaten umstrickt, sie einzeln überwältigt und nun zum Welteroberer wird, dabei sich nicht irre machen läßt durch irgend eine Rücksicht auf Recht, oder Menschlichkeit, sondern mit scharfer Konsequenz Alles zertritt und zermalmt, was seinem Plane entgegensteht, ohne Mitleid Millionen in Unglück jeder Art, Millionen in Blut und Tod stürzt, jedoch seine Anhänger und Helfer königlich belohnt und jederzeit schützt, nichts jemals vergessend, und dann so sein Ziel erreicht: wer sieht nicht ein, daß ein solcher überaus vernünftig zu Werk gehen mußte, daß, wie zum Entwurf der Pläne ein gewaltiger Verstand, so zu ihrer Ausführung vollkommene Herrschaft der Vernunft, ja recht eigentlich praktische Vernunft erfordert war? – Oder sind etwan auch die Vorschriften, welche der kluge und konsequente, überlegte und weitsehende Machiavelli dem Fürsten giebt, unvernünftig? Beiläufig: Machiavells Problem war die Auflösung der Frage, wie sich der Fürst unbedingt auf dem Thron erhalten könne, trotz inneren und äußeren Feinden. Sein Problem war also keineswegs das ethische, ob ein Fürst als Mensch dergleichen wollen solle, oder nicht; sondern rein das politische, wie er, wenn er es will, es ausführen könne. Hiezu nun giebt er die Auflösung, wie man eine Anweisung zum Schachspielen schreibt, bei der es doch thöricht wäre, die Beantwortung der Frage zu vermissen, ob es moralisch räthlich sei, überhaupt Schach zu spielen. Dem Machiavell die Immoralität seiner Schrift vorwerfen, ist eben so angebracht, als es wäre, einem Fechtmeister vorzuwerfen, daß er nicht seinen Unterricht mit einer moralischen Vorlesung gegen Mord und Todschlag eröffnet.
Wie Bosheit mit Vernunft sehr gut beisammen besteht, ja erst in dieser Vereinigung recht furchtbar ist; so findet sich umgekehrt auch bisweilen Edelmuth verbunden mit Unvernunft. Dahin kann man die That des Koriolanus rechnen, der, nachdem er Jahrelang alle seine Kraft aufgewendet hatte, um sich Rache an den Römern zu verschaffen, jetzt, nachdem die Zeit endlich gekommen ist, sich durch das Flehen des Senats und das Weinen seiner Mutter und Gattin erweichen läßt, die so lange und so mühsam vorbereitete Rache aufgiebt, ja sogar, indem er dadurch den gerechten Zorn der Volsker auf sich ladet, für jene Römer stirbt, deren Undankbarkeit er kennt und mit so großer Anstrengung strafen gewollt hat. – Endlich, der Vollständigkeit wegen sei es erwähnt, kann Vernunft sehr wohl mit Unverstand sich vereinigen. Dies ist der Fall, wann eine dumme Maxime gewählt, aber mit Konsequenz durchgeführt wird. Ein Beispiel der Art gab die Prinzessin Isabella, Tochter Philipp's II., welche gelobte, so lange Ostende nicht erobert worden, kein reines Hemd anzuziehen, und Wort hielt, drei Jahre hindurch. Ueberhaupt gehören alle Gelübde hieher, deren Ursprung Mangel an Einsicht gemäß dem Gesetz der Kausalität, d. h. Unverstand ist; nichts desto weniger ist es vernünftig, sie zu erfüllen, wenn man einmal von so beschränktem Verstande ist, sie zu geloben.
Dem Angeführten entsprechend sehen wir auch die noch dicht vor Kant auftretenden Schriftsteller das Gewissen, als den Sitz der moralischen Regungen, mit der Vernunft in Gegensatz stellen: so Rousseau im vierten Buche des Emile: La raison nous trompe, mais la conscience ne trompe jamais; und etwas weiterhin: il est impossible d'expliquer par les conséquences de notre nature le principe immédiat de la conscience indépendant de la raison même. Noch weiter: Mes sentimens naturels parlaient pour l'intérêt commun, ma raison rapportait tout à moi. – – – On a beau vouloir établir la vertu par la raison seule, quelle solide base peut-on lui donner? – In den Rêveries du promeneur, prom. 4ème, sagt er: Dans toutes les questions de morale difficiles je me suis toujours bien trouvé de les résoudre par le dictamen de la conscience, plutôt que par les lumières de la raison. – Ja, schon Aristoteles sagt ausdrücklich ( Eth. magna, I, 5), daß die Tugenden ihren Sitz im αλογω μοϱιῳ της φυχης ( in parte irrationali animi) haben und nicht im λογον ( in parte rationali). Diesem gemäß sagt Stobäus ( Ecl., II, c. 7), von den Peripatetikern redend: Την ηϑιϰην αϱετην ὑπολαμβανουσι πεϱι το αλογον μεϱος γιγνεσϑαι της φυχης, επειδη διμεϱη πϱος την παϱουσαν ὑπεϑεν το την φυχην, το μεν λογιϰον εχουσαν , το δ ' αλογον . Και πεϱι μεν το λογιϰον την ϰαλοϰᾳγαϑιαν γιγνεσϑαι , ϰαι την ρϱονησιν, ϰαι την αγχινοιαν , ϰαι σοφιαν, ϰαι ευμαϑειαν , ϰαι μνημην, ϰαι τας ὁμοιους πεϱι δε το αλογον , αωφοσυνην , ϰαι διϰαιοσυνην , ϰαι ανδϱειαν, ϰαι τας αλλας τας ηϑιϰας ϰαλουμενας. ( Ethicam virtutem circa partem, animae ratione carentem versari putant, cum duplicem, ad hanc disquisitionem, animam ponant, ratione praeditam, et ea carentem. In parte vero ratione praedita collocant ingenuitatem, prudentiam, perspicacitatem, sapientiam, docilitatem, memoriam et reliqua; in parte vero ratione destituta temperantiam, justitiam, fortitudinem, et reliquas virtutes, quas ethicas vocant.) Und Cicero setzt ( De nat. Deor., III, c. 26-31) weitläuftig auseinander, daß Vernunft das nothwendige Mittel und Werkzeug zu allen Verbrechen ist.
Für das Vermögen der Begriffe habe ich die Vernunft erklärt. Diese ganz eigene Klasse allgemeiner, nicht anschaulicher, nur durch Worte symbolisirter und fixirter Vorstellungen ist es, die den Menschen vom Thiere unterscheidet und ihm die Herrschaft auf Erden giebt. Wenn das Thier der Sklave der Gegenwart ist, keine andere, als unmittelbar sinnliche Motive kennt und daher, wenn sie sich ihm darbieten, so nothwendig von ihnen gezogen oder abgestoßen wird, wie das Eisen vom Magnet; so ist dagegen im Menschen durch die Gabe der Vernunft die Besonnenheit aufgegangen. Diese läßt ihn, rückwärts und vorwärts blickend, sein Leben und den Lauf der Welt leicht im Ganzen übersehen, macht ihn unabhängig von der Gegenwart, läßt ihn überlegt, planmäßig und mit Bedacht zu Werke gehen, zum Bösen wie zum Guten. Aber was er thut, thut er mit vollkommnem Selbstbewußtseyn: er weiß genau, wie sein Wille sich entscheidet, was er jedesmal erwählt und welche andere Wahl, der Sache nach, möglich war, und aus diesem selbstbewußten Wollen lernt er sich selbst kennen und spiegelt sich an seinen Thaten. In allen diesen Beziehungen auf das Handeln des Menschen ist die Vernunft praktisch zu nennen: theoretisch ist sie nur, sofern die Gegenstände, mit denen sie sich beschäftigt, auf das Handeln des Denkenden keine Beziehung, sondern lediglich ein theoretisches Interesse haben, dessen sehr wenige Menschen fähig sind. Was in diesem Sinne praktische Vernunft heißt, wird so ziemlich durch das Lateinische Wort prudentia, welches, nach Cicero ( De nat. Deor., II, 22), das zusammengezogene providentia ist, bezeichnet; da hingegen ratio, wenn von einer Geisteskraft gebraucht, meistens die eigentliche theoretische Vernunft bedeutet, wiewohl die Alten den Unterschied nicht strenge beobachten. – In fast allen Menschen hat die Vernunft eine beinahe ausschließlich praktische Richtung: wird nun aber auch diese verlassen, verliert das Denken die Herrschaft über das Handeln, wo es dann heißt: scio meliora, proboque, deteriora sequor, oder » le matin je fais des projets, et le soir je fais des sottises«, läßt also der Mensch sein Handeln nicht durch sein Denken geleitet werden, sondern durch den Eindruck der Gegenwart, fast nach Weise des Thieres, so nennt man ihn unvernünftig (ohne dadurch ihm moralische Schlechtigkeit vorzuwerfen), obwohl es ihm eigentlich nicht an Vernunft, sondern an Anwendung derselben auf sein Handeln fehlt, und man gewissermaaßen sagen könnte, seine Vernunft sei lediglich theoretisch, aber nicht praktisch. Er kann dabei ein recht guter Mensch seyn, wie Mancher, der keinen Unglücklichen sehen kann, ohne ihm zu helfen, selbst mit Aufopferungen, hingegen seine Schulden unbezahlt läßt. Der Ausübung großer Verbrechen ist ein solcher unvernünftiger Charakter gar nicht fähig, weil die dabei immer nöthige Planmäßigkeit, Verstellung und Selbstbeherrschung ihm unmöglich ist. Zu einem sehr hohen Grade von Tugend wird er es jedoch auch schwerlich bringen: denn, wenn er auch von Natur noch so sehr zum Guten geneigt ist; so können doch die einzelnen lasterhaften und boshaften Aufwallungen, denen jeder Mensch unterworfen ist, nicht ausbleiben und müssen, wo nicht Vernunft sich praktisch erzeigend, ihnen unveränderliche Maximen und feste Vorsätze entgegenhält, zu Thaten werden.
Als praktisch zeigt sich endlich die Vernunft ganz eigentlich in den recht vernünftigen Charakteren, die man deswegen im gemeinen Leben praktische Philosophen nennt, und die sich auszeichnen durch einen ungemeinen Gleichmuth bei unangenehmen, wie bei erfreulichen Vorfällen, gleichmäßige Stimmung und festes Beharren bei gefaßten Entschlüssen. In der That ist es das Vorwalten der Vernunft in ihnen, d. h. das mehr abstrakte, als intuitive Erkennen und daher das Ueberschauen des Lebens, mittelst der Begriffe, im Allgemeinen, Ganzen und Großen, welches sie ein für alle Mal bekannt gemacht hat mit der Täuschung des momentanen Eindrucks, mit dem Unbestand aller Dinge, der Kürze des Lebens, der Leerheit der Genüsse, dem Wechsel des Glücks und den großen und kleinen Tücken des Zufalls. Nichts kommt ihnen daher unerwartet, und was sie in abstracto wissen, überrascht sie nicht und bringt sie nicht aus der Fassung, wann es nun in der Wirklichkeit und im Einzelnen ihnen entgegentritt, wie dieses der Fall ist bei den nicht so vernünftigen Charakteren, auf welche die Gegenwart, das Anschauliche, das Wirkliche solche Gewalt ausübt, daß die kalten, farblosen Begriffe ganz in den Hintergrund des Bewußtseyns treten und sie, Vorsätze und Maximen vergessend, den Affekten und Leidenschaften jeder Art preisgegeben sind. Ich habe bereits am Ende des ersten Buches auseinandergesetzt, daß, meiner Ansicht nach, die Stoische Ethik ursprünglich nichts, als eine Anweisung zu einem eigentlich vernünftigen Leben, in diesem Sinne, war. Ein solches preiset auch Horatius wiederholentlich an sehr vielen Stellen. Dahin gehört auch sein Nil admirari und dahin ebenfalls das Delphische Μηδεν αγαν. Nil admirari mit »Nichts bewundern« zu übersetzen, ist ganz falsch. Dieser Horazische Ausspruch geht nicht sowohl auf das Theoretische, als auf das Praktische, und will eigentlich sagen: »Schätze keinen Gegenstand unbedingt, vergaffe dich in nichts, glaube nicht, daß der Besitz irgend einer Sache Glücksäligkeit verleihen könne: jede unsägliche Begierde aus einen Gegenstand ist nur eine neckende Chimäre, die man eben so gut, aber viel leichter, durch verdeutlichte Erkenntniß, als durch errungenen Besitz, los werden kann.« In diesem Sinne gebraucht das admirari auch Cicero, De divinatione, II, 2. Was Horaz meint, ist also die αϑαμβια und αϰαταπληξις, auch αϑαυμασια, welche schon Demokritos als das höchste Gut pries (siehe Clem. Alex. Strom. II, 21, und vgl. Strabo, I, S. 98 und 105). – Von Tugend und Laster ist bei solcher Vernünftigkeit des Wandels eigentlich nicht die Rede, aber dieser praktische Gebrauch der Vernunft macht das eigentliche Vorrecht, welches der Mensch vor dem Thiere hat, geltend, und allein in dieser Rücksicht hat es einen Sinn und ist zulässig von einer Würde des Menschen zu reden.
In allen dargestellten und in allen erdenklichen Fällen läuft der Unterschied zwischen vernünftigem und unvernünftigem Handeln daraus zurück, ob die Motive abstrakte Begriffe, oder anschauliche Vorstellungen sind. Daher eben stimmt die Erklärung, welche ich von der Vernunft gegeben, genau mit dem Sprachgebrauch aller Zeiten und Völker zusammen, welchen selbst man doch wohl nicht für etwas Zufälliges oder Beliebiges halten wird, sondern einsehen, daß er eben hervorgegangen ist aus dem jedem Menschen bewußten Unterschiede der verschiedenen Geistesvermögen, welchem Bewußtseyn gemäß er redet, aber freilich es nicht zur Deutlichkeit abstrakter Definition erhebt. Unsere Vorfahren haben nicht die Worte, ohne ihnen einen bestimmten Sinn beizulegen, gemacht, etwan damit sie bereit lägen für Philosophen, die nach Jahrhunderten kommen und bestimmen möchten, was dabei zu denken seyn sollte; sondern sie bezeichneten damit ganz bestimmte Begriffe. Die Worte sind also nicht mehr herrenlos, und ihnen einen ganz andern Sinn unterlegen, als den sie bisher gehabt, heißt sie mißbrauchen, heißt eine Licenz einführen, nach der Jeder jedes Wort in beliebigem Sinn gebrauchen könnte, wodurch gränzenlose Verwirrung entstehen müßte. Schon Locke hat ausführlich dargethan, daß die meisten Uneinigkeiten in der Philosophie vom falschen Gebrauch der Worte kommen. Man werfe, der Erläuterung halber, nur einen Blick auf den schändlichen Mißbrauch, den heut zu Tage gedankenarme Philosophaster mit den Worten Substanz, Bewußtseyn, Wahrheit u. a. m. treiben. Auch die Aeußerungen und Erklärungen aller Philosophen, aus allen Zeiten, mit Ausnahme der neuesten, über die Vernunft stimmen nicht weniger, als die unter allen Völkern herrschenden Begriffe von jenem Vorrecht des Menschen, mit meiner Erklärung davon überein. Man sehe, was Platon, im vierten Buche der Republik und an unzähligen zerstreuten Stellen, das λογιμον oder λογιστιϰον της ψυχης nennt, was Cicero sagt, De nat. Deor., III, 26-31, was Leibnitz, Locke in den im ersten Buch bereits angeführten Stellen hierüber sagen. Es würde hier der Anführungen gar kein Ende seyn, wenn man zeigen wollte, wie alle Philosophen vor Kant von der Vernunft im Ganzen in meinem Sinn geredet haben, wenn sie gleich nicht mit vollkommener Bestimmtheit und Deutlichkeit das Wesen derselben, durch dessen Zurückführung auf einen Punkt, zu erklären wußten. Was man kurz vor Kants Auftreten unter Vernunft verstand, zeigen im Ganzen zwei Abhandlungen von Sulzer, im ersten Bande seiner vermischten philosophischen Schriften: die eine, »Zergliederung des Begriffes der Vernunft«. die andere, »Ueber den gegenseitigen Einfluß von Vernunft und Sprache«. Wenn man dagegen liest, wie in der neuesten Zeit, durch den Einfluß des Kantischen Fehlers, der sich nachher lawinenartig vergrößert hat, von der Vernunft geredet wird; so ist man genöthigt anzunehmen, daß sämmtliche Weisen des Alterthums, wie auch alle Philosophen vor Kant ganz und gar keine Vernunft gehabt haben: denn die jetzt entdeckten unmittelbaren Wahrnehmungen, Anschauungen, Vernehmungen, Ahndungen der Vernunft sind ihnen so fremd geblieben, wie uns der sechste Sinn der Fledermäuse ist. Was übrigens mich betrifft, so muß ich bekennen, daß ich ebenfalls jene das Uebersinnliche, das Absolutum, nebst langen Geschichten, die sich mit demselben zutragen, unmittelbar wahrnehmende, oder auch vernehmende, oder intellektual anschauende Vernunft mir, in meiner Beschränktheit, nicht anders faßlich und vorstellig machen kann, als gerade so, wie den sechsten Sinn der Fledermäuse. Das aber muß man der Erfindung, oder Entdeckung, einer solchen Alles was beliebt sogleich unmittelbar wahrnehmenden Vernunft nachrühmen, daß sie ein unvergleichliches expédient ist, um allen Kanten mit ihren Vernunftkritiken zum Trotz sich und seine fixirten Favoritideen aus die leichteste Weise von der Welt aus der Affäre zu ziehen. Die Erfindung und die Ausnahme, welche sie gefunden, macht, dem Zeitalter Ehre.
Wenngleich also das Wesentliche der Vernunft (το λογιμον ἡ φϱονησις, ratio, raison, reason) von allen Philosophen aller Zeiten im Ganzen und Allgemeinen richtig erkannt, obwohl nicht scharf genug bestimmt, noch auf einen Punkt zurückgeführt wurde; so ist hingegen was der Verstand (νους, διανοια, intellectus, esprit, intellect, understandig) sei, ihnen nicht so deutlich geworden; daher sie ihn oft mit der Vernunft vermischen und eben dadurch auch zu keiner ganz vollkommen, reinen und einfachen Erklärung des Wesens dieser gelangen. Bei den Christlichen Philosophen erhielt nun der Begriff der Vernunft noch eine ganz fremdartige Nebenbedeutung, durch den Gegensatz zur Offenbarung, und hievon ausgehend behaupten dann Viele, mit Recht, daß die Erkenntniß der Verpflichtung zur Tugend auch aus bloßer Vernunft, d. h. auch ohne Offenbarung, möglich sei. Sogar auf Kants Darstellung und Wortgebrauch hat diese Rücksicht gewiß Einfluß gehabt. Allein jener Gegensatz ist eigentlich von positiver, historischer Bedeutung und daher ein der Philosophie fremdes Element, von welchem sie frei gehalten werden muß.
Man hätte erwarten dürfen, daß Kant in seinen Kritiken der theoretischen und praktischen Vernunft ausgegangen seyn würde von einer Darstellung des Wesens der Vernunft überhaupt und, nachdem er so das Genus bestimmt hätte, zur Erklärung der beiden Species geschritten wäre, nachweisend, wie die eine und selbe Vernunft sich auf zwei so verschiedene Weisen äußert und doch, durch Beibehaltung des Hauptcharakters, sich als die selbe beurkundet. Allein von dem allen findet sich nichts. Wie ungenügend, schwankend und disharmonirend die Erklärungen sind, die er in der Kritik der reinen Vernunft von dem Vermögen, welches er kritisirt, hin und wieder beiläufig giebt, habe ich bereits nachgewiesen. Die praktische Vernunft findet sich schon in der Kritik der reinen Vernunft unangemeldet ein und steht nachher in der ihr eigens gewidmeten Kritik, als ausgemachte Sache da, ohne weitere Rechenschaft und ohne daß der mit Füßen getretene Sprachgebrauch aller Zeiten und Völker, oder die Begriffsbestimmungen der größten früheren Philosophen ihre Stimmen erheben dürfen. Im Ganzen kann man aus den einzelnen Stellen abnehmen, daß Kants Meinung dahin geht: das Erkennen von Principien a priori sei wesentlicher Charakter der Vernunft: da nun die Erkenntniß der ethischen Bedeutsamkeit des Handelns nicht empirischen Ursprungs ist; so ist auch sie ein principium a priori und stammt demnach aus der Vernunft, die dann insofern praktisch ist. – Ueber die Unrichtigkeit jener Erklärung der Vernunft habe ich schon genugsam geredet. Aber auch hievon abgesehen, wie oberflächlich und ungründlich ist es, hier das einzige Merkmal der Unabhängigkeit von der Erfahrung zu benutzen, um die heterogensten Dinge zu vereinigen, ihren übrigen, grundwesentlichen, unermeßlichen Abstand dabei übersehend. Denn auch angenommen, wiewohl nicht zugestanden, die Erkenntniß der ethischen Bedeutsamkeit des Handelns entspringe aus einem in uns liegenden Imperativ, einem unbedingten Soll; wie grundverschieden wäre doch ein solches von jenen allgemeinen Formen der Erkenntniß, welche er in der Kritik der reinen Vernunft als a priori uns bewußt nachweist, vermöge welches Bewußtseyns wir ein unbedingtes Muß zum voraus aussprechen können, gültig für alle uns mögliche Erfahrung. Der Unterschied aber zwischen diesem Muß, dieser schon im Subjekt bestimmten nothwendigen Form alles Objekts, und jenem Soll der Moralität, ist so himmelweit und so augenfällig, daß man das Zusammentreffen beider im Merkmal der nichtempirischen Erkenntnißart wohl als ein witziges Gleichniß, nicht aber als eine philosophische Berechtigung zur Identifizirung des Ursprungs beider geltend machen kann.
Uebrigens ist die Geburtsstätte dieses Kindes der praktischen Vernunft, des absoluten Solls oder kategorischen Imperativs, nicht in der Kritik der praktischen, sondern schon in der der reinen Vernunft, S. 802; V, 830. Die Geburt ist gewaltsam und gelingt nur mittelst der Geburtszange eines Daher, welches keck und kühn, ja man möchte sagen unverschämt, sich zwischen zwei einander wildfremde und keinen Zusammenhang habende Sätze stellt, um sie als Grund und Folge zu verbinden. Nämlich, daß nicht bloß anschauliche, sondern auch abstrakte Motive uns bestimmen, ist der Satz, von dem Kant ausgeht, ihn folgendermaaßen ausdrückend: »Nicht bloß was reizt, d.i. die Sinne unmittelbar affizirt, bestimmt die menschliche Willkür; sondern wir haben ein Vermögen, durch Vorstellungen von dem, was selbst auf entferntere Art nützlich oder schädlich ist, die Eindrücke auf unser sinnliches Begehrungsvermögen zu überwinden. Diese Ueberlegungen von dem, was in Hinsicht unsers ganzen Zustandes begehrungswerth, d.i. gut und nützlich, ist, beruhen auf der Vernunft.« (Vollkommen richtig: spräche er nur immer so vernünftig von der Vernunft!) »Diese giebt daher! auch Gesetze, welche Imperativen, d. i. objektive Gesetze der Freiheit sind und sagen was geschehen soll, ob es gleich vielleicht nie geschieht.« –! So, ohne weitere Beglaubigung, springt der kategorische Imperativ in die Welt, um daselbst das Regiment zu führen mit seinem unbedingten Soll, – einem Scepter aus hölzernem Eisen. Denn im Begriff Sollen liegt durchaus und wesentlich die Rücksicht auf angedrohte Strafe, oder versprochene Belohnung, als nothwendige Bedingung, und ist nicht von ihm zu trennen, ohne ihn selbst aufzuheben und ihm alle Bedeutung zu nehmen: daher ist ein unbedingtes Soll eine contradictio in adjecto. Dieser Fehler mußte gerügt werden, so nahe er übrigens mit Kants großem Verdienst um die Ethik verwandt ist, welches eben darin besteht, daß er die Ethik von allen Principien der Erfahrungswelt, namentlich von aller direkten oder indirekten Glücksäligkeitslehre frei gemacht und ganz eigentlich gezeigt hat, daß das Reich der Tugend nicht von dieser Welt sei. Dieses Verdienst ist um so größer, als schon alle alten Philosophen, mit Ausnahme des einzigen Platon, nämlich Peripatetiker, Stoiker, Epikureer, durch sehr verschiedene Kunstgriffe, Tugend und Glücksäligkeit bald nach dem Satz vom Grunde von einander abhängig machen, bald nach dem Satz vom Widerspruch identifiziren wollten. Nicht minder trifft derselbe Vorwurf alle Philosophen der neuern Zeit, bis auf Kant. Sein Verdienst hierin ist daher sehr groß: jedoch fordert die Gerechtigkeit auch hiebei zu erinnern, daß theils seine Darstellung und Ausführung der Tendenz und dem Geist seiner Ethik oft nicht entspricht, wie wir sogleich sehen werden, theils auch, daß er, selbst so, nicht der allererste ist, der die Tugend von allen Glücksäligkeitsprincipien gereinigt hat. Denn schon Platon, besonders in der Republik, deren Haupttendenz eben dieses ist, lehrt ausdrücklich, daß die Tugend allein ihrer selbst wegen zu wählen sei, auch wenn Unglück und Schande unausbleiblich mit ihr verknüpft wäre. Noch mehr aber predigt das Christenthum eine völlig uneigennützige Tugend, welche auch nicht wegen des Lohnes in einem Leben nach dem Tode, sondern ganz unentgeltlich, aus Liebe zu Gott, geübt wird, sofern die Werke nicht rechtfertigen, sondern allein der Glaube, welchen, gleichsam als sein bloßes Symptom, die Tugend begleitet und daher ganz unentgeltlich und von selbst eintritt. Man lese Luther, De libertate Christiana. Ich will gar nicht die Inder in Rechnung bringen, in deren heiligen Büchern überall das Hoffen eines Lohnes seiner Werke als der Weg der Finsterniß geschildert wird, der nie zur Säligkeit führen kann. So rein finden wir Kants Tugendlehre doch nicht: oder vielmehr die Darstellung ist hinter dem Geiste weit zurückgeblieben, ja, in Inkonsequenz verfallen. In seinem nachher abgehandelten höchsten Gut finden wir die Tugend mit der Glücksäligkeit vermählt. Das ursprünglich so unbedingte Soll postulirt sich hinterdrein doch eine Bedingung, eigentlich um den innern Widerspruch los zu werden, mit welchem behaftet es nicht leben kann. Die Glücksäligkeit im höchsten Gut soll nun zwar nicht eigentlich das Motiv zur Tugend seyn: dennoch steht sie da, wie ein geheimer Artikel, dessen Anwesenheit alles Uebrige zu einem bloßen Scheinvertrage macht: sie ist nicht eigentlich der Lohn der Tugend, aber doch eine freiwillige Gabe, zu der die Tugend, nach ausgestandener Arbeit, verstohlen die Hand offen hält. Man überzeuge sich hievon durch die »Kritik der praktischen Vernunft« (S. 223-266 der vierten, oder S. 264-295 der Rosenkranzischen Ausgabe). Die selbe Tendenz hat auch seine ganze Moraltheologie: durch diese vernichtet eben deshalb eigentlich die Moral sich selbst. Denn, ich wiederhole es, alle Tugend, die irgendwie eines Lohnes wegen geübt wird, beruht auf einem klugen, methodischen, weitsehenden Egoismus.
Der Inhalt des absoluten Solls, das Grundgesetz der praktischen Vernunft, ist nun das Gerühmte: »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.« – Dieses Princip giebt Dem, welcher ein Regulativ für seinen eigenen Willen verlangt, die Aufgabe gar eines für den Willen Aller zu suchen. – Dann frägt sich, wie ein solches zu finden sei. Offenbar soll ich, um die Regel meines Verhaltens aufzufinden, nicht mich allein berücksichtigen, sondern die Gesammtheit aller Individuen. Alsdann wird, statt meines eigenen Wohlseyns, das Wohlseyn Aller, ohne Unterschied, mein Zweck. Derselbe bleibt aber noch immer Wohlseyn. Ich finde sodann, daß Alle sich nur so gleich wohl befinden können, wenn Jeder seinem Egoismus den fremden zur Schranke setzt. Hieraus folgt freilich, daß ich Niemanden beeinträchtigen soll, weil, indem dies Princip als allgemein angenommen wird, auch ich nicht beeinträchtigt werde, welches aber der alleinige Grund ist, weshalb ich, ein Moralprincip noch nicht besitzend, sondern erst suchend, dieses zum allgemeinen Gesetz wünschen kann. Aber offenbar bleibt, auf diese Weise, Wunsch nach Wohlseyn, d. h. Egoismus, die Quelle dieses ethischen Princips. Als Basis der Staatslehre wäre es vortrefflich, als Basis der Ethik taugt es nicht. Denn zu der in jenem Moralprincip ausgegebenen Festsetzung eines Regulativs für den Willen Aller, bedarf, der es sucht, nothwendig selbst wieder eines Regulativs, sonst wäre ihm ja Alles gleichgültig. Dies Regulativ aber kann nur der eigene Egoismus seyn, da nur auf diesen das Verhalten Anderer einfließt, und daher nur mittelst desselben und in Rücksicht auf ihn, Jener einen Willen in Betreff des Handelns Anderer haben kann und es ihm nicht gleichgültig ist. Sehr naiv giebt Kant dieses selbst zu erkennen, S. 123 der »Kritik der praktischen Vernunft« (Rosenkranzische Ausgabe, S. 192), wo er das Aufsuchen der Maxime für den Willen also ausführt: »Wenn Jeder Anderer Noth mit völliger Gleichgültigkeit ansähe, und du gehörtest mit zu einer solchen Ordnung der Dinge, würdest du darin willigen?« – Quam temere in nosmet legem sancimus iniquam! wäre das Regulativ der nachgefragten Einwilligung. Eben so in der »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«, S. 56 der dritten, S. 50 der Rosenkranzischen Ausgabe: »Ein Wille, der beschlösse, Niemanden in der Noth beizustehen, würde sich widerstreiten, indem sich Fälle ereignen können, wo er Anderer Liebe und Theilnahme bedarf« u. s. w. Dieses Princip der Ethik, welches daher, beim Licht betrachtet, nichts Anderes, als ein indirekter und verblümter Ausdruck des alten, einfachen Grundsatzes, quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris ist, bezieht sich also zuerst und unmittelbar auf das Passive, das Leiden, und dann erst vermittelst dieses auf das Thun: daher wäre es, wie gesagt, als Leitfaden zur Errichtung des Staats, welcher auf die Verhütung des Unrechtleidens gerichtet ist, auch Allen und Jedem die größte Summe von Wohlseyn verschaffen möchte, ganz brauchbar; aber in der Ethik, wo der Gegenstand der Untersuchung das Thun als Thun und in seiner unmittelbaren Bedeutung für den Thäter ist, nicht aber seine Folge das Leiden, oder seine Beziehung auf Andere, ist jene Rücksicht durchaus nicht zulässig, indem sie im Grunde doch wieder auf ein Glücksäligkeitsprincip, also auf Egoismus, hinausläuft.
Wir können daher auch nicht Kants Freude theilen, die er daran hat, daß sein Princip der Ethik kein materiales, d. h. ein Objekt als Motiv setzendes, sondern ein bloß formales ist, wodurch es symmetrisch entspricht den formalen Gesetzen, welche die Kritik der reinen Vernunft uns kennen gelehrt hat. Es ist freilich statt eines Gesetzes, nur die Formel zur Auffindung eines solchen: aber theils hatten wir diese Formel schon kürzer und klarer in dem quot tibi fieri non vis, alteri ne feceris; theils zeigt die Analyse dieser Formel, daß einzig und allein die Rücksicht auf eigene Glücksäligkeit ihr Gehalt giebt, daher sie nur dem vernünftigen Egoismus dienen kann, dem auch alle gesetzliche Verfassung ihren Ursprung verdankt.
Ein anderer Fehler, der, weil er dem Gefühl eines Jeden Anstoß giebt, oft gerügt und von Schiller in einem Epigramm persiflirt ist, ist die pedantische Satzung, daß eine That, um wahrhaft gut und verdienstlich zu sein, einzig und allein aus Achtung vor dem erkannten Gesetz und dem Begriff der Pflicht, und nach einer der Vernunft in abstracto bewußten Maxime vollbracht werden muß, nicht aber irgend aus Neigung, nicht aus gefühltem Wohlwollen gegen Andere, nicht aus weichherziger Theilnahme, Mitleid oder Herzensaufwallung, welche (laut »Kritik der praktischen Vernunft«, S. 213; Rosenkranzische Ausgabe, S. 257) wohldenkenden Personen, als ihre überlegten Maximen verwirrend, sogar sehr lästig sind; sondern die That muß ungern und mit Selbstzwang geschehen. Man erinnere sich, daß dabei dennoch Hoffnung des Lohnes nicht einfließen soll, und ermesse die große Ungereimtheit der Forderung. Aber, was mehr sagen will, dieselbe ist dem ächten Geiste der Tugend gerade entgegen: nicht die That, sondern des Gernthun derselben, die Liebe, aus der sie hervorgeht und ohne welche sie ein todtes Werk ist, macht das Verdienstliche derselben aus. Daher lehrt auch das Christenthum mit Recht, daß alle äußeren Werke werthlos sind, wenn sie nicht aus jener ächten Gesinnung, welche in der wahren Gernwilligkeit und reinen Liebe besteht, hervorgehen, und daß nicht die verrichteten Werke ( opera operata), sondern der Glaube, die ächte Gesinnung, welche allein der heilige Geist verleiht, nicht aber der freie und überlegte, das Gesetz allein vor Augen habende Wille gebiert, sälig mache und erlöse. – Mit jener Forderung Kants, daß jede tugendhafte Handlung aus reiner, überlegter Achtung vor dem Gesetz und nach dessen abstrakten Maximen, kalt und ohne, ja gegen alle Neigung geschehen solle, ist es gerade so, wie wenn behauptet wurde, jedes ächte Kunstwerk müßte durch wohl überlegte Anwendung ästhetischer Regeln entstehen. Eines ist so verkehrt wie das Andere. Die schon von Platon und Seneka behandelte Frage, ob die Tugend sich lehren lasse, ist zu verneinen. Man wird sich endlich entschließen müssen einzusehen, was auch der Christlichen Lehre von der Gnadenwahl den Ursprung gab, daß, der Hauptsache und dem Innern nach, die Tugend gewissermaaßen wie der Genius angeboren ist, und daß eben so wenig, als alle Professoren der Aesthetik, mit vereinten Kräften, irgend Einem die Fähigkeit genialer Produktionen, d. h. ächter Kunstwerke beibringen können, eben so wenig alle Professoren der Ethik und Prediger der Tugend einen unedeln Charakter zu einem tugendhaften, edeln umzuschaffen vermögen, wovon die Unmöglichkeit sehr viel offenbarer ist, als die der Umwandlung des Bleies in Gold; und das Aufsuchen einer Ethik und eines obersten Princips derselben, die praktischen Einfluß hätten und wirklich das Menschengeschlecht umwandelten und besserten, ist ganz gleich dem Suchen des Steines der Weisen. – Von der Möglichkeit jedoch einer gänzlichen Sinnesänderung des Menschen (Wiedergeburt) nicht mittelst abstrakter (Ethik), sondern mittelst intuitiver Erkenntniß (Gnadenwirkung), ist am Ende unseres vierten Buches ausführlich geredet; der Inhalt welches Buches mich überhaupt der Nothwendigkeit überhebt, hiebei länger zu verweilen.
Daß Kant in die eigentliche Bedeutung des ethischen Gehaltes der Handlungen keineswegs eingedrungen sei, zeigt er endlich auch durch seine Lehre vom höchsten Gut als der nothwendigen Vereinigung von Tugend und Glücksäligkeit und zwar so, daß jene die Würdigkeit zu dieser wäre. Schon der logische Tadel trifft ihn hier, daß der Begriff der Würdigkeit, der hier den Maaßstab macht, bereits eine Ethik als seinen Maaßstab voraussetzt, also nicht von ihm ausgegangen werden durfte. In unserm vierten Buche hat sich ergeben, daß alle ächte Tugend, nachdem sie ihren höchsten Grad erreicht hat, zuletzt hinleitet zu einer völligen Entsagung, in der alles Wollen ein Ende findet: hingegen ist Glücksäligkeit ein befriedigtes Wollen, Beide sind also vom Grund aus unvereinbar. Für Den, welchem meine Darstellung eingeleuchtet hat, bedarf es weiter keiner Auseinandersetzung der gänzlichen Verkehrtheit dieser Kantischen Ansicht vom höchsten Gut. Und unabhängig von meiner positiven Darstellung habe ich hier weiter keine negative zu geben.
Kants Liebe zur architektonischen Symmetrie tritt uns denn auch in der »Kritik der praktischen Vernunft« entgegen, indem er dieser ganz den Zuschnitt der »Kritik der reinen Vernunft« gegeben und die selben Titel und Formen wieder angebracht hat, mit augenscheinlicher Willkür, welche besonders sichtbar wird an der Tafel der Kategorien der Freiheit.
Die Rechtslehre ist eines der spätesten Werke Kants und ein so schwaches, daß, obgleich ich sie gänzlich mißbillige, ich eine Polemik gegen dieselbe für überflüssig halte, da sie, gleich als wäre sie nicht das Werk dieses großen Mannes, sondern das Erzeugniß eines gewöhnlichen Erdensohnes, an ihrer eigenen Schwäche natürlichen Todes sterben muß. Ich begebe mich also in Hinsicht auf die Rechtslehre des negativen Verfahrens, und beziehe mich aus das positive, also auf die kurzen Grundzüge derselben, die in unserm vierten Buche aufgestellt sind. Bloß ein Paar allgemeine Bemerkungen über Kants Rechtslehre mögen hier stehen. Die Fehler welche ich, als Kanten überall anhängend, bei der Betrachtung der »Kritik der reinen Vernunft« gerügt habe, finden sich in der Rechtslehre in solchem Uebermaaß, daß man oft eine satirische Parodie der Kantischen Manier zu lesen, oder doch wenigstens einen Kantianer zu hören glaubt. Zwei Hauptfehler sind aber diese. Er will (und Viele haben es seitdem gewollt) die Rechtslehre von der Ethik scharf trennen, dennoch aber erstere nicht von positiver Gesetzgebung, d. h. willkürlichem Zwange, abhängig machen, sondern den Begriff des Rechts rein und a priori für sich bestehen lassen. Allein dieses ist nicht möglich; weil das Handeln, außer seiner ethischen Bedeutsamkeit und außer der physischen Beziehung auf Andere und dadurch auf äußern Zwang, gar keine dritte Ansicht auch nur möglicherweise zuläßt. Folglich wenn er sagt: »Rechtspflicht ist die, welche erzwungen werden kann«; so ist dieses Kann entweder physisch zu verstehen: dann ist alles Recht positiv und willkürlich, und wieder auch alle Willkür, die sich durchsetzen läßt, ist Recht: oder das Kann ist ethisch zu verstehen, und wir sind wieder auf dein Gebiet der Ethik. Bei Kant schwebt folglich der Begriff des Rechts zwischen Himmel und Erde, und hat keinen Boden, auf dem er fußen kann: bei mir gehört er in die Ethik. Zweitens ist seine Bestimmung des Begriffs Recht ganz negativ und dadurch ungenügend Wenn gleich der Begriff Recht eigentlich ein negativer ist, im Gegensatz des Unrechts, welches der positive Ausgangspunkt ist; so darf deshalb doch die Erklärung dieser Begriffe nicht durch und durch negativ seyn.: »Recht ist das, was sich mit dem Zusammenbestehen der Freiheiten der Individuen neben einander nach einem allgemeinen Gesetze verträgt.« – Freiheit (hier die empirische, d. i. physische, nicht die moralische des Willens) bedeutet das Nichtgehindertseyn, ist also eine bloße Negation: ganz dieselbe Bedeutung hat das Zusammenbestehen wieder: wir bleiben also bei lauter Negationen und erhalten keinen positiven Begriff, ja erfahren gar nicht, wovon eigentlich die Rede ist, wenn wir es nicht schon anderweitig wissen. – In der Ausführung entwickeln sich nachher die verkehrtesten. Ansichten, wie die, daß es im natürlichen Zustande, d. h. außer dem Staat, gar kein Recht auf Eigenthum gebe, welches eigentlich heißt, daß alles Recht positiv sei, und wodurch das Naturrecht auf das positive gestützt wird, statt daß der Fall umgekehrt seyn sollte; ferner die Begründung der rechtlichen Erwerbung durch Besitzergreifung; die ethische Verpflichtung zur Errichtung der bürgerlichen Verfassung; der Grund des Strafrechts u. s. w., welches alles ich, wie gesagt, gar keiner besondern Widerlegung werth achte. Inzwischen haben auch diese Kantischen Irrthümer einen sehr nachtheiligen Einfluß bewiesen, längst erkannte und ausgesprochene Wahrheiten wieder verwirrt und verdunkelt, seltsame Theorien, viel Schreibens und Streitens veranlaßt. Von Bestand kann das freilich nicht seyn, und schon sehen wir, wie Wahrheit und gesunde Vernunft sich wieder Bahn machen: von letzterer zeugt, im Gegensatz so mancher verschrobenen Theorie, besonders I. C. F. Meisters Naturrecht, obgleich ich dieses darum nicht als Muster erreichter Vollkommenheit ansehe.
Auch über die Kritik der Urtheilskraft kann ich, nach dem Bisherigen, sehr kurz seyn. Man muß es bewundern, wie Kant, dem die Kunst wohl sehr fremd geblieben ist, und der, allem Anschein nach, wenig Empfänglichkeit für das Schöne hatte, ja der zudem wahrscheinlich nie Gelegenheit gehabt, ein bedeutendes Kunstwerk zu sehen, und der endlich sogar von seinem, sowohl im Jahrhundert als in der Nation, allein ihm an die Seite zu stellenden Riesenbruder Goethe keine Kunde gehabt zu haben scheint, – es ist, sage ich, zu bewundern, wie bei diesem Allen Kant sich um die philosophische Betrachtung der Kunst und des Schönen ein großes und bleibendes Verdienst erwerben konnte. Dieses Verdienst liegt darin, daß, so viel auch über das Schöne und die Kunst waren Betrachtungen angestellt worden, man doch eigentlich die Sache immer nur vom empirischen Standpunkt aus betrachtet hatte und auf Thatsachen gestützt untersuchte, welche Eigenschaft das schön genannte Objekt irgend einer Art von andern Objekten derselben Art unterschied. Auf diesem Wege gelangte man Anfangs zu ganz speciellen Sätzen, dann zu allgemeineren. Man suchte das ächte Kunstschöne vom unächten zu sondern und Merkmale dieser Aechtheit aufzufinden, die dann eben auch wieder als Regeln dienen konnten. Was als schön gefalle, was nicht, was daher nachzuahmen, anzustreben, was zu vermeiden sei, welche Regeln, wenigstens negativ, festzustellen, kurz, welches die Mittel zur Erregung des ästhetischen Wohlgefallens, d. h. welches die im Objekt liegenden Bedingungen hiezu seien, das war fast ausschließlich das Thema aller Betrachtungen über die Kunst. Diesen Weg hatte Aristoteles eingeschlagen, und auf demselben finden wir noch in der neuesten Zeit Home, Burke, Winkelmann, Lessing, Herder u. a. m. Zwar führte die Allgemeinheit der aufgefundenen ästhetischen Sätze zuletzt auch auf das Subjekt zurück, und man merkte, daß, wenn die Wirkung in diesem gehörig bekannt wäre, man alsdann auch die im Objekt liegende Ursache derselben würde a priori bestimmen können, wodurch allein diese Betrachtung zur Sicherheit einer Wissenschaft gelangen könnte. Dieses veranlaßte hin und wieder psychologische Erörterungen, besonders aber stellte in dieser Absicht Alexander Baumgarten eine allgemeine Aesthetik alles Schönen auf, wobei er ausging vom Begriff der Vollkommenheit der sinnlichen, also anschaulichen Erkenntniß. Mit der Aufstellung dieses Begriffs ist bei ihm aber auch der subjektive Theil sogleich abgethan, und es wird zum objektiven und dem sich darauf beziehenden Praktischen geschritten. – Kanten aber war auch hier das Verdienst aufbehalten, die Anregung selbst, in Folge welcher wir das sie veranlassende Objekt schön nennen, ernstlich und tief zu untersuchen, um, wo möglich, die Bestandteile und Bedingungen derselben in unserm Gemüth aufzufinden. Seine Untersuchung nahm daher ganz die subjektive Richtung. Dieser Weg war offenbar der richtige: weil, um eine in ihren Wirkungen gegebene Erscheinung zu erklären, man, um die Beschaffenheit der Ursache gründlich zu bestimmen, erst diese Wirkung selbst genau kennen muß. Viel weiter jedoch, als den rechten Weg gezeigt und durch einen einstweiligen Versuch ein Beispiel gegeben zu haben, wie man ungefähr ihn gehen müsse, erstreckt sich Kants Verdienst hierin eigentlich nicht. Denn was er gab, kann nicht als objektive, Wahrheit und realer Gewinn betrachtet werden. Er gab die Methode dieser Untersuchung an, brach die Bahn, verfehlte übrigens das Ziel.
Bei der Kritik der ästhetischen Urtheilskraft wird zuvörderst sich uns die Bemerkung aufdringen, daß er die Methode, welche seiner ganzen Philosophie eigen ist und welche ich oben ausführlich betrachtet habe, beibehielt: ich meyne das Ausgehen von der abstrakten Erkenntniß, zur Ergründung der anschaulichen, so daß ihm jene gleichsam als camera obscura dient, um diese darin aufzufangen und zu übersehen. Wie, in der Kritik der reinen Vernunft, die Formen der Urtheile ihm Aufschluß geben sollten über die Erkenntniß unserer ganzen anschaulichen Welt; so geht er auch in dieser Kritik der ästhetischen Urtheilskraft nicht vom Schönen selbst, vom anschaulichen, unmittelbaren Schönen aus, sondern vom Urtheil über das Schöne, dem sehr häßlich sogenannten Geschmacksurtheil. Dieses ist ihm sein Problem. Besonders erregt seine Aufmerksamkeit der Umstand, daß ein solches Urtheil offenbar die Aussage eines Vorgangs im Subjekt ist, dabei aber doch so allgemein gültig, als beträfe es eine Eigenschaft des Objekts. Dies hat ihn frappirt, nicht das Schöne selbst. Er geht immer nur von den Aussagen Anderer aus, vom Urtheil über das Schöne, nicht vom Schönen selbst. Es ist daher, als ob er es ganz und gar nur von Hörensagen, nicht unmittelbar kennte. Fast eben so könnte ein höchst verständiger Blinder, aus genauen Aussagen, die er über die Farben hörte, eine Theorie derselben kombiniren. Und wirklich dürfen wir Kants Philosopheme über das Schöne beinahe nur in solchem Verhältniß betrachten. Dann werden wir finden, daß seine Theorie sehr sinnreich ist, ja, daß hin und wieder treffende und wahre allgemeine Bemerkungen gemacht sind: aber seine eigentliche Auflösung des Problems ist so sehr unstatthaft, bleibt so tief unter der Würde des Gegenstandes, daß es uns nicht einfallen kann, sie für objektive Wahrheit zu halten; daher ich sogar einer Widerlegung derselben mich überhoben achte und auch hier auf den positiven Theil meiner Schrift verweise.
In Hinsicht auf die Form seines ganzen Buches ist zu bemerken, daß sie aus dem Einfall entsprungen ist, im Begriff der Zweckmäßigkeit den Schlüssel zum Problem des Schönen zu finden. Der Einfall wird deducirt, was überall nicht schwer ist. wie wir aus den Nachfolgern Kants gelernt haben. So entsteht nun die barocke Bereinigung der Erkenntniß des Schönen mit der des Zweckmäßigen der natürlichen Körper, in ein Erkenntnißvermögen, Urtheilskraft genannt, und die Abhandlung beider heterogenen Gegenstände in einem Buch. Mit diesen drei Erkenntnißkräften, Vernunft, Urtheilskraft und Verstand, werden nachher mancherlei symmetrisch-architektonische Belustigungen vorgenommen, die Liebhaberei zu welchen überhaupt in diesem Buch sich vielfältig zeigt, schon in dem, dem Ganzen gewaltsam angepaßten Zuschnitt der Kritik der reinen Vernunft, ganz besonders aber in der bei den Haaren herbeigezogenen Antinomie der ästhetischen Urtheilskraft. Man könnte auch einen Vorwurf großer Inkonsequenz daraus nehmen, daß, nachdem in der Kritik der reinen Vernunft unablässig wiederholt ist, der Verstand sei das Vermögen zu urtheilen, und nachdem die Formen seiner Urtheile zum Grundstein aller Philosophie gemacht sind, nun noch eine ganz eigenthümliche Urtheilskraft auftritt, die von jenem völlig verschieden ist. Was übrigens ich Urtheilskraft nenne, nämlich die Fähigkeit, die anschauliche Erkenntniß in die abstrakte zu übertragen und diese wieder richtig auf jene anzuwenden, ist im positiven Theil meiner Schrift ausgeführt.
Bei weitem das Vorzüglichste in der Kritik der ästhetischen Urtheilskraft ist die Theorie des Erhabenen: sie ist ungleich besser gelungen, als die des Schönen, und giebt nicht nur, wie jene, die allgemeine Methode der Untersuchung an, sondern auch noch ein Stück des rechten Weges dazu, so sehr, daß wenn sie gleich nicht die eigentliche Auflösung des Problems giebt, sie doch sehr nahe daran streift.
In der Kritik der teleologischen Urtheilskraft kann man, wegen der Einfachheit des Stoffs, vielleicht mehr als irgendwo Kants seltsames Talent erkennen, einen Gedanken hin und her zu wenden und auf mannigfaltige Weise auszusprechen, bis daraus ein Buch geworden. Das ganze Buch will allein dieses: obgleich die organisirten Körper uns nothwendig so erscheinen, als wären sie einem ihnen vorhergegangenen Zweckbegriff gemäß zusammengesetzt; so berechtigt uns dies doch nicht, es objektiv so anzunehmen. Denn unser Intellekt, dem die Dinge von außen und mittelbar gegeben werden, der also nie das Innere derselben, wodurch sie entstehen und bestehen, sondern bloß ihre Außenseite erkennt, kann sich eine gewisse, den organischen Naturprodukten eigentümliche Beschaffenheit nicht anders faßlich machen, als durch Analogie, indem er sie vergleicht mit den von Menschen absichtlich verfertigten Werken, deren Beschaffenheit durch einen Zweck und den Begriff von diesem bestimmt wird. Diese Analogie ist hinreichend, die Uebereinstimmung aller ihrer Theile zum Ganzen uns faßlich zu machen und dadurch sogar den Leitfaden zu ihrer Untersuchung abzugeben: aber keineswegs darf sie deshalb zum wirklichen Erklärungsgrunde des Ursprungs und Daseyns solcher Körper gemacht werden. Denn die Nothwendigkeit sie so zu begreifen ist subjektiven Ursprungs. – So etwan würde ich Kants Lehre hierüber resumiren. Der Hauptsache nach hatte er sie bereits in der Kritik der reinen Vernunft, S. 692-702; V, 720-730, dargelegt. Aber auch in der Erkenntniß dieser Wahrheit finden wir den David Hume als Kants ruhmwürdigen Vorläufer: auch er hatte jene Annahme scharf bestritten, in der zweiten Abtheilung seiner Dialogues concerning natural religion. Der Unterschied der Hume'schen Kritik jener Annahme von der Kantischen ist hauptsächlich dieser, daß Hume dieselbe als eine auf Erfahrung gestützte, Kant hingegen sie als eine apriorische kritisirt. Beide haben Recht und ihre Darstellungen ergänzen einander. Ja das Wesentliche der Kantischen Lehre hierüber finden wir schon ausgesprochen im Kommentar des Simplicius zur Physik des Aristoteles: ἡ δε πλανη γεγονεν αυτοις απο του ἡγεισαι, παντα τα ἑνεϰα του γινομενα ϰατα πϱοαιϱεσιν γενεσται ϰαι λογσμον, τα δε φυσει μη οὑτως ὁϱαν γινομενα. ( Error iis ortus est ex eo, quod credebant, omnia, quae propter finem aliquem fierent, ex proposito et ratiocinio fieri, dum videbant, daturae opera non ita fieri.) Schol. in Arist. ex. edit. Berol. p. 354. Kant hat in der Sache vollkommen Recht: auch war es nöthig, daß, nachdem gezeigt war, daß auf das Ganze der Natur überhaupt, ihrem Daseyn nach, der Begriff von Wirkung und Ursache nicht anzuwenden, auch gezeigt wurde, daß sie ihrer Beschaffenheit nach nicht als Wirkung einer von Motiven (Zweckbegriffen) geleiteten Ursache zu denken sei. Wenn man die große Scheinbarkeit des physikotheologischen Beweises bedenkt, den sogar Voltaire für unwiderleglich hielt; so war es von der größten Wichtigkeit, zu zeigen, daß das Subjektive in unserer Auffassung, welchem Kant Raum, Zeit und Kausalität vindicirt hat, sich auch auf unsere Beurtheilung der Naturkörper erstreckt, und demnach die Nöthigung, welche wir empfinden, sie uns als prämeditirt, nach Zweckbegriffen, also auf einem Wege, wo die Vorstellung derselben ihrem Daseyn vorangegangen wäre, entstanden zu denken, eben so subjektiven Ursprungs ist, wie die Anschauung des so objektiv sich darstellenden Raums, mithin nicht als objektive Wahrheit geltend gemacht werden darf. Kants Auseinandersetzung der Sache ist, abgesehen von der ermüdenden Weitschweifigkeit und Wiederholung, vortrefflich. Mit Recht behauptet er, daß wir nie dahin gelangen werden, die Beschaffenheit der organischen Körper aus bloß mechanischen Ursachen, worunter er die absichtslose und gesetzmäßige Wirkung aller allgemeinen Naturkräfte versteht, zu erklären. Ich finde hier jedoch noch eine Lücke. Er läugnet nämlich die Möglichkeit einer solchen Erklärung bloß in Rücksicht auf die Zweckmäßigkeit und anscheinende Absichtlichkeit der organischen Körper. Allein wir finden, daß, auch wo diese nicht Statt hat, die Erklärungsgründe aus einem Gebiet der Natur nicht in das andere hinübergezogen werden können, sondern uns, sobald wir ein neues Gebiet betreten, verlassen, und statt ihrer neue Grundgesetze auftreten, deren Erklärung aus denen des vorigen gar nicht zu hoffen ist. So herrschen im Gebiet des eigentlich Mechanischen die Gesetze der Schwere, Kohäsion, Starrheit, Flüssigkeit, Elasticität, welche an sich (abgesehen von meiner Erklärung aller Naturkräfte als niederer Stufen der Objektivation des Willens) als Aeußerungen weiter nicht zu erklärender Kräfte dastehen, selbst aber die Principien aller fernern Erklärung, welche bloß in Zurückführung auf jene besteht, ausmachen. Verlassen wir dieses Gebiet und kommen zu den Erscheinungen des Chemismus, der Elektricität, Magnetismus, Krystallisation; so sind jene Principien durchaus nicht mehr zu gebrauchen, ja, jene Gesetze gelten nicht mehr, jene Kräfte werden von anderen überwältigt und die Erscheinungen gehen in geradem Widerspruch mit ihnen vor sich, nach neuen Grundgesetzen, die, eben wie jene ersteren, ursprünglich und unerklärlich, d. h. auf keine allgemeineren zurückzuführen sind. So z. B. wird es nie gelingen, nach jenen Gesetzen des eigentlichen Mechanismus auch nur die Auflösung eines Salzes im Wasser zu erklären, geschweige die komplicirteren Erscheinungen der Chemie. Im zweiten Buch gegenwärtiger Schrift ist dieses Alles bereits ausführlicher dargestellt. Eine Erörterung dieser Art würde, wie es mir scheint, in der Kritik der teleologischen Urtheilskraft von großem Nutzen gewesen seyn und viel Licht über das dort Gesagte verbreitet haben. Besonders günstig wäre eine solche seiner vortrefflichen Andeutung gewesen, daß eine tiefere Kenntniß des Wesens an sich, dessen Erscheinung die Dinge in der Natur sind, sowohl in dem mechanischen (gesetzmäßigen) als in dem scheinbar absichtlichen Wirken der Natur, ein und dasselbe letzte Princip wiederfinden würde, welches als gemeinschaftlicher Erklärungsgrund beider dienen könnte. Ein solches hoffe ich durch Aufstellung des Willens als des eigentlichen Dinges an sich gegeben zu haben, demgemäß überhaupt, in unserm zweiten Buch und dessen Ergänzungen, zumal aber in meiner Schrift »Ueber den Willen in der Natur«, die Einsicht in das innere Wesen der anscheinenden Zweckmäßigkeit und der Harmonie und Zusammenstimmung der gesammten Natur vielleicht Heller und tiefer geworden ist. Daher ich hier nichts weiter darüber zu sagen habe. –
Der Leser, welchen diese Kritik der Kantischen Philosophie interessirt, unterlasse nicht, in der zweiten Abhandlung des ersten Bandes meiner Parerga und Paralipomena die unter der Ueberschrift »Noch einige Erläuterungen zur Kantischen Philosophie« gelieferte Ergänzung derselben zu lesen. Denn man muß erwägen, daß meine Schriften, so wenige ihrer auch sind, nicht alle zugleich, sondern successiv, im Laufe eines langen Lebens und mit weiten Zwischenräumen abgefaßt sind; demnach man nicht erwarten darf, daß Alles, was ich über einen Gegenstand gesagt habe, auch an Einem Orte zusammen stehe.