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Vorrede zur zweiten Auflage.

Ich befinde mich in dem seltenen Fall, ein Buch, welches ich vor vierzig Jahren geschrieben habe, zur zweiten Auflage nachbessern zu müssen. Wie nun zwar der Mensch, seinem Kern und eigentlichen Wesen nach, stets der selbe und unverändert bleibt, hingegen an seiner Schaale, also seinem Aussehn, Manieren, Handschrift, Stil, Geschmacksrichtungen, Begriffen, Ansichten, Einsichten, Kenntnissen u. s. w. im Laufe der Jahre große Veränderungen vorgehn; so ist. Dem analog, auch dieses Werkchen meiner Jugend im Wesentlichen ganz das selbe geblieben, weil eben sein Stoff und Inhalt heute noch so wahr ist, wie damals; aber an seiner Außenseite, Ausstattung und Form habe ich nachgebessert, so weit es angieng; wobei man indessen zu bedenken hat, daß die nachbessernde Hand vierzig Jahre älter ist, als die schreibende; daher hier der selbe Uebelstand nicht zu vermeiden war, den ich schon bei der zweiten Auflage der Abhandlung über den Satz vom Grunde habe beklagen müssen, daß nämlich der Leser zwei verschiedene Stimmen vernimmt, die des Alten und die des Jungen; so deutlich, daß wer ein feines Ohr hat, nie im Zweifel bleibt wer eben jetzt spreche. Dieses aber stand nicht zu ändern, ist auch im Grunde nicht meine Schuld, sondern kommt zuletzt daher, daß ein verehrtes deutsches Publikum vierzig Jahre braucht, um herauszufinden, wem es seine Aufmerksamkeit zuzuwenden wohlthäte.

Ich habe nämlich diese Abhandlung im Jahre 1815 abgefaßt, worauf Goethe das Manuskript länger behielt, als ich erwartet hatte, indem er es auf seiner damaligen Rheinreise mit sich führte: dadurch verzögerte sich die letzte Bearbeitung und der Druck, so daß erst zur Ostermesse 1816 das Werkchen an das Licht trat. – Seitdem haben weder Physiologen, noch Physiker es der Berücksichtigung würdig gefunden, sondern sind, davon ungestört, bei ihrem Text geblieben. Kein Wunder also, daß es, funfzehn Jahre später, den Plagiarius verlockte, nunmehr ( as a snapper-up of unconsidered trifles. Winter's tale, p. 489.) es zu eigenem Nutzen zu verwenden; worüber ich das Nähere beigebracht habe im »Willen in der Natur«, erste Aufl. S. 19 und zweite Aufl. S. 14.

Inzwischen habe ich vierzig Jahre Zeit gehabt, meine Farbentheorie auf alle Weise und bei mannigfaltigen Anlässen zu prüfen: jedoch ist meine Ueberzeugung von der vollkommenen Wahrheit derselben keinen Augenblick wankend geworden, und auch die Richtigkeit der Goethe'schen Farbenlehre ist mir noch eben so einleuchtend, als vor 41 Jahren, da er selbst mir seine Experimente vorzeigte. So darf ich denn wohl annehmen, daß der Geist der Wahrheit, welcher in größeren und wichtigeren Dingen auf mir ruhte, auch in dieser untergeordneten Angelegenheit mich nicht verlassen hat. Das macht, er ist dem Geiste der Ehrlichkeit verwandt und sucht sich die redlichen Häupter aus, – wobei er denn freilich keine sehr große Auswahl hat; zumal er eine Hingebung verlangt, welche weder die Bedürfnisse, noch die Ueberzeugungen, noch die Neigungen des Publikums, oder Zeitalters, irgend berücksichtigt, sondern, ihm allein die Ehre gebend, bereit ist, Goethe'sche Farbenlehre unter Neutonianern, wie asketische Moral unter modernen Protestanten, Juden und Optimisten zu lehren.

Bei dieser zweiten Auflage habe ich aus der ersten bloß ein Paar, nicht unmittelbar zur Sache gehöriger Nebenerörterungen ausfallen lassen, dagegen aber sie durch beträchtliche Zusätze bereichert. Zwischen der gegenwärtigen und der ersten Auflage dieser Abhandlung liegt nun aber noch meine lateinische Bearbeitung derselben, welche ich unter dem Titel: Theoria colorum physiologica, eademque primaria, im Jahre 1830, dem dritten Bande der von Justus Radius herausgegebenen Scriptores ophthalmologici minores einverleibt habe. Diese ist keine bloße Uebersetzung der ersten Auflage, sondern weicht schon in Form und Darstellung merklich von ihr ab und ist auch an Stoff ansehnlich bereichert. Obgleich ich daher sie bei der gegenwärtigen benutzt habe, behält sie noch immer ihren Werth, zumal für das Ausland. Ferner habe ich, im J. 1851, im zweiten Bande meiner »Parerga und Paralipomena« eine Anzahl Zusätze zu meiner Farbentheorie niedergelegt, um sie vor dem Untergange zu retten; indem, wie ich daselbst angegeben habe, mir, bei meinem vorgerückten Alter, wenig Hoffnung blieb, eine zweite Auflage gegenwärtiger Abhandlung zu erleben. Inzwischen hat es sich anders gefügt: die meinen Werken endlich zugewendete Aufmerksamkeit des Publikums hat sich auch auf diese kleine und frühe Schrift erstreckt, obwohl ihr Inhalt nur dem kleineren Theile nach der Philosophie, dem größern nach der Physiologie angehört. Jedoch wird dieser letztere auch dem bloß auf Philosophie gerichteten Leser keineswegs unfruchtbar bleiben, indem eine genauere Kenntniß und festere Ueberzeugung von der ganz subjektiven Wesenheit der Farbe beiträgt zum gründlicheren Verständniß der Kantischen Lehre von den ebenfalls subjektiven, intellektuellen Formen aller unserer Erkenntnisse, und daher eine sehr passende philosophische Vorschule abgiebt. Eine solche aber muß uns um so willkommener seyn, als, in diesen Zeiten Ueberhand nehmender Rohheit, Plattköpfe der seichtesten Art sich sogar erdreisten, den apriorischen und daher subjektiven Antheil der menschlichen Erkenntniß, welchen entdeckt und ausgesondert zu haben das unsterbliche Verdienst Kants ist, ohne Umstände abzuleugnen; während zugleich andererseits einige Chemiker und Physiologen ganz ehrlich vermeinen, ohne alle Transscendentalphilosophie das Wesen der Dinge ergründen zu können, und demnach mit dem unbefangensten Realismus täppisch Hand anlegen: sie nehmen eben das Objektive unbesehns als schlechthin gegeben, und fällt ihnen nicht ein, das Subjektive in Betracht zu ziehn, mittelst dessen allein jenes dasteht. Die Unschuld, mit welcher diese Leute, von ihrem Skalpel und Tiegel kommend, sich an die philosophischen Probleme machen, ist wirklich zum Erstaunen: sie schreibt sich jedoch daher, daß Jeder ausschließlich sein Brodstudium treibt, nachher aber von Allem mitreden will. Könnte man nur solchen Herren begreiflich machen, daß zwischen ihnen und dem wirklichen Wesen der Dinge ihr Gehirn steht, wie eine Mauer, weshalb es weiter Umwege bedarf, um nur einigermaaßen dahinter zu kommen; – so würden sie nicht mehr so dreist von »Seelen« und »Stoff« u. dgl. in den Tag hinein dogmatisiren, – wie die philosophirenden Schuster. Der ganze, im Jahre 1855-56 so laut gewordene Streit zwischen Materialisten und Spiritualisten ist bloß ein Beweis der unglaublichen Rohheit und schaamlosen Unwissenheit, zu welcher der gelehrte Stand herabgesunken ist, in Folge des Studiums Hegelschen Unsinns und Vernachlässigung Kantischer Philosophie.

Also die in Rede stehenden, in meinen »Parergis« einstweilen deponirten, daher aber auch wie in einer Rumpelkammer zusammengehäuften Zusätze habe ich nothwendigerweise der gegenwärtigen Auflage, an ihren gehörigen Stellen, einverleiben müssen; weil ich diese doch nicht unvollkommen lassen konnte, um, betreffenden Ortes, allemal den Leser auf jenes Kapitel der »Parerga« zu verweisen. Natürlich sollen dagegen die hier verwendeten Zusätze aus der zweiten Auflage der »Parerga« weggelassen werden.

Frankfurt am Main,
im November 1854.


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