Hermann Harry Schmitz
Drei Fabeln ohne Moral
Hermann Harry Schmitz

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Der Hahn und der Wurm

An einem Freitag morgen sagte der Regenwurm nach dem Morgenkaffee zu seiner Frau: »Höre mal, Traudchen, es wird mir hier unten zu muffig, ich krieche ein wenig nach oben, um Luft zu schnappen.«

»Gott, Kaspar«, ängstigte sich die Regenwürmin, »gib nur bei Leibe acht, daß dir nichts passiert. Du weißt, speziell Hühner sind so unglaublich roh und rücksichtslos.«

»Ich bin Fatalist«, sagte der Regenwurm kurz und verabschiedete sich von seiner Frau. Leise vor sich hinweinend, schaute die Gute ihrem Gemahl nach, bis er an der Biegung des Ganges verschwand.

Im Hühnerstall krakeelte zur gleichen Zeit der Hahn mit den Hühnern.

»Ich bin den ewigen Körnerfraß leid. Wenn derartig nachlässig für mich gesorgt wird, suche ich mir draußen selbst etwas. Wann hatte ich den letzten Regenwurm?« fuhr er sein Lieblingshuhn Mathilde an. »Um Pfingsten«, stammelte dieses ganz zerknirscht. Der Hahn warf die Tür ins Schloß und ging auf den Hof. –

Der Regenwurm war mittlerweile oben angelangt und hatte gerade das Loch verlassen.

»O Schrecken! Ich bin verloren«, murmelte er entsetzt, als er den Hahn gewahrte, der soeben die ersehnte Delikatesse erspäht hatte und in eiligen Schritten auf ihn zukam.

Schon bückt sich der Hahn, um sein Opfer zu verschlingen; da richtet sich der Regenwurm in seiner ganzen Länge kerzengerade auf und schnarrt dem Hahn entgegen: »Verzeihen Sie, ich bin eine Stricknadel.«

Der Hahn prallte zurück. – Da er nicht gern Stricknadeln mochte, stammelte er verlegen: »Dann entschuldigen Sie, bitte«, machte eine leichte Verbeugung und ging weiter.

Der Wurm lachte sich ins Fäustchen.


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