Maximilian Schmidt
Der Tranklsimmet
Maximilian Schmidt

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IV.

Der Tranklsimmet hatte seit seiner gestrigen Unterredung mit dem Chevauleger all seinen Witz zusammengenommen, um dem jungen Liebespaare zu helfen, dem alten aber einen Schabernack zu spielen, und sein selbstgefälliges Lächeln zeigte, daß ihm in der That etwas eingefallen war. Was er sich in der Nacht zusammenstudiert, spann er auf seinen mit Sonnenaufgang begonnenen Krankengängen weiter aus, und er rieb sich öfters vergnügt die Hände, denn was er dachte, schien ihm gut zu sein. Dazwischen ordnete er für ein Pferd, das auf der Weide gestürzt und sich aufgeschlagen, einen Ueberschlag und Verband an, verordnete für eine Kuh, die nicht mehr fressen wollte, ein Trankei, oder machte bei einem kranken, gichtbehafteten Bäuerlein seinen Hokuspokus.

Das frühere Universalmittel des Landvolkes gegen Krankheiten war der Aderlaß und das Schröpfen; da jedoch diese Mittel nur durch den Bartscheerer oder Bader vollzogen werden durften, und Schmied, Schäfer und Schinder jeder Zeit mehr im Vertrauen standen, als die wirklichen Fachleute, so zog man die Kur dieser letzteren vor. Es ist aber nicht jedermanns Sache, die geheimen Kräfte der Natur auszuforschen. Solch ein bevorzugter Mensch ist gewöhnlich nur der Abdecker, an ihn lehnt sich noch der Hirte, der Schmied und hier und dort eine hochbetagte Ahne (die Halterin). Diese können helfen, wenn sie nur 231 wollen, was sich von dem Bader und dem Arzte wohl nicht erwarten läßt, denn vor der patentierten Wissenschaft an und für sich hat das Volk wenig Respekt. Verschreibt der »g'studierte Dokta« nur ganz geringe Dosen von Medikamenten, so ist er vollends nicht der richtige Mann. Die Arznei muß reichlich zugeführt werden, soll sie etwas wirken; am besten aber ist jedenfalls das Zauberhafte, Geheimnisvolle an gewissen Tagen Zubereitete, worüber der Arzt nicht verfügt. Nur was mit geheimen, dunklen Kräften im Zusammenhang steht, das flößt Achtung ein, und was die Hauptsache ist, das wirkt. In die »lateinische Küche« des Pharmazeuten ist der Einblick wohl gewährt, aber das Laboratorium der Frau Halterin, der Präparierstube des gefürchteten und gescheuten Abdeckers oder des erleuchteten Schäfers hat noch nicht leicht ein Auge erblickt. Nur hie und da wird von Helfershelfern einigermaßen aus der Schule geschwatzt.

So ist ein wichtiger Bestandteil der Volksmedizin die »alte Ehe«, von der wirkliche Pharmazeuten keine Ahnung haben, obwohl sie das beste Mittel gegen »die kalte Gicht« und »das brennende Reißen im Leib« ist.

Wenn nämlich fette Leute sterben, so setzt sich im Grabe von dem in Verwesung übergehenden Leibe das Fett in Gestalt eines Kuchens zusammen und dies bildet die »alte Ehe«, in deren Besitz die ländlichen Heilkünstler, niemand weiß, auf welche Art, gelangen. Kann man mit verborgenem Pech, das vom harzigen Nadelholze ausschwitzt, oder mit dem Safte des spitzigen Wegerd (Spitzwegerich) oder gar mit dem Einreiben von Igelfett gegen eine Wunde nichts mehr ausrichten, so wirkt die »alte Ehe« immer noch Wunder.

232 Ein weiteres Remedium ist ein auf dem Felde oder im Walde gefundener Aasknochen. Bestreicht man mit diesem bei abnehmendem Monde ein Ueberbein und spricht man dabei: »Luadaboa' votreib mir mei' Ueberboa'«, so ist dieses verschwunden, es weicht das verhärtetste Uebel, das dem Sackbändchen mit neun Knoten, ja selbst dem Kochlöffel der Bäuerin widerstanden hat. Das will viel heißen, denn wenn die Bäuerin Knödel kocht und mit dem Kochlöffel vom Hafen weg das Ueberbein dreimal klopft, so hilft das gewöhnlich.

Biel gerühmt wird auch das Oel, das aus in Branntwein angesetzten Regenwürmern, die bei abnehmendem Monde unter der »Schartrapfa« (Dachrinne) gesammelt werden, bereitet wird und welches alle Wunden schließt. Rosenkranzperlen, welche schon im Grabe gelegen, erweisen sich, in die Kleider eingenäht, besonders wohlthätig bei Kopfschmerz, ebenso wohlthätig wirken rostige, in Gräbern aufgefundene Nägel, die aber nicht mit bloßer Hand aufgelesen werden dürfen, gegen Zahnschmerz, wenn man damit in den Zahn »stürt«. Das in Lappen aufgefangene Blut eines Märzhäsleins ist sehr gesucht gegen Rotlauf; noch probatere Mittel aber bilden die Amulette. So vertreiben, in ein Leinwandsäckchen eingenäht, ein Pfennig, roter Schwefel und eine sogenannte Elephantenlaus den Rotlauf sofort. Bei hartnäckigeren Fällen verfehlt der Ohrknochen eines im abnehmenden Monde gestochenen Schweines, das Rotlaufbeinchen des Meerschweinchens oder der Kopf einer Blindschleiche, zu Maria Himmelfahrt gefangen, ebenso eine in eine Nußschale eingesperrte Kreuzspinne, um den leidenden Teil gebunden, seine Wirkung nie.

Getrocknetes Regenwurmerpulver harret der 233 Verwendung gegen die Abzehrung; Eidechsenpulver gegen das kalte Fieber; Eisvogelherzpulver gegen das Hinfallen; Auerhahnmagenpulver gegen den Bandwurm; Walburgi-Natterpulver gegen giftigen Biß.

Der Luft ausgesetzt hängen einige Bälge an der Schnur. Der Balg des Wiesels vor Georgi gefangen, ist für giftige Stiche reserviert, der Balg des schwarzen Katers, mit der haarigen Seite auf die Brust gelegt, bannt dann den Magenkrampf.

Diese und ähnliche Dinge enthält die Apotheke des ländlichen Quacksalbers, aber damit sind alle Hilfsmittel noch nicht erschöpft. Es giebt eben Krankheiten, welche allen natürlichen Dingen Trotz bieten. In solchen Fällen muß zum »Vorbeten«, zum »Segnen« und zur »Sympathie« Zuflucht genommen werden. Was vermöchte z. B. die Gelbsucht dagegen, wenn man dem Kranken mit dem Rasiermesser die Nasenspitze anschneidet, bis sie blutet? Die Gelbsucht muß unfehlbar weichen.

Und wenn das Blut unaufhaltsam hervorschießt und die Verblutung zu befürchten ist, so stockt es gewiß augenblicklich bei dem schönen und wahren Spruche:

»Blut stehe still,
Wie Richter und Schöppen in der Hüll (Hölle);
Wenn dies nicht wahr ist,
So laufe, bis es gar ist.«

Kaum sollte man glauben, daß bei so erprobten Mitteln der Tod noch seine Opfer zu fordern vermag, doch gegen den Tod giebt es leider kein Kräutlein. Aber es sind wenigstens untrügliche Zeichen vorhanden, welche dessen Nähe warnend verkünden. So muß jeder, der am Montag erkrankt und nach neun Tagen nicht gesund ist, sicher 234 sterben. Wer am Dienstag krank wird und sich nach drei Tagen nicht bessert, der stirbt sogar noch in derselben Woche. Ein am Mittwoch Erkrankter, der nach sieben Tagen noch keinen Schlaf verspürt, ist in weiteren drei Tagen dem Tode verfallen. Wer Donnerstag, Freitag oder Samstag erkrankt und binnen längerer oder kürzerer Zeit nicht gesundet, dem sind die Würfel des Todes ebenfalls gefallen. Das untrüglichste Mittel jedoch, den Ausgang der Krankheit mit Sicherheit zu erkennen, ist, wenn man einen Floh aus dem linken Ohr eines schwarzen Hundes, der kein farbiges Fleckchen besitzt, in der Hand hält, während man den Kranken um sein Befinden fragt. Antwortet dieser, so ist gute Hoffnung vorhanden, schweigt er jedoch, so ist er unfehlbar verloren.

Beim lieben Vieh wird die Sache natürlich noch viel bunter betrieben. Außer dem übrigens sehr gut geschriebenen Buche des Schäfers Thomas hält sich der Viehpfuscher auch das Taschenbuch der tierärztlichen Geheimmittellehre, einen Vorrat des berühmten Salzburgertrankes, oder er vermag es aus langjähriger Erfahrung, selbst wirksame Medikamente zu bereiten. Sympathie und Hokuspokus aber gehören zum »Klappern des Handwerks«, um seine Autorität zu bewahren.

»Der Glaube macht selig und gesund!« gilt als Hauptgrundsatz. »Der Glaube macht aber auch krank!« sagte der Tranklsimmet mit pfiffiger Miene, und als der junge Sieberer bei ihm eintrat, rief er erfreut:

»Hansl, i hab's! Dir und 'n Nannei is g'holfen!«

»Is's wahr?« fragte Hans erfreut.

»Wahr is's und g'wiß is's!« entgegnete der Quacksalber. »Frag mi nit, wie r i's im Sinn hon, aber i 235 hon's drin, und morgn, am Sunnta Nachmittag, wenn dei' Vata auf da Schießstadt wie sonst sein Vierer schiaßt und sein' Fünfa (Rausch) holt, fang i mei' Kur an.«

»Wenn er gar nit krank is, kannst ja nix kuriern.«

»Dessell is mei' Sach. I brauch aber an' etli Leut dazua, deine Nachbarn in Wackersberg helfen gern dazua, wenn i eana sag, daß 's zu dein' und dein' Vatan sein' Wohl is, du sorgst aber, daß morg'n, ehvor dei' Vata aufs Schiaßen geht, d' Muckn von seina Kuglbix verruckt is. Er hat scho' gestern sein Zeug und 's G'schau herg'richt und vermoant, es braucht nix mehr. Er soll aber morgn nixi treffa. Und no' was! Dö alt Traudl soll'n in der Fruah, wenn's eam d' Kaffeesuppen hinstellt, fragn, ob eam ebbas feihlt und soll eam recht an' schlechtn Kaffee macha, und du tauscht eam sein' Rauchtabak aus und thuast eam an' recht an' schlechten eini in sein' Beutl, und sorgst, daß gen Abend hin 's Nannei unterwegs is, leicht, daß ma's brauchen. So, all's andere laß mei' Sorg sei'! Daß d' aber glei woaßt, was i für an' Lohn will, wenn alles glückli geht, so sollst es aa wissen: drei herzhafte Bussein möcht i von dein' Nannei – es san meinoad die ersten in mein' Leben, die i von an' saubern Dirndl krieg und 's waar dengerst a Schand, wenn i sterbet und nit amal wißt, wie dö schmeckn thean.«

»I hon nix dageg'n,« antwortete Hans lachend. »Pfüat Gott iatz und zur Hozet bist mei' Gast.«

»Dös thaat si ja dengerst nit schicka für an' arma Schafhirten,« sagte Simmet, »aber g'freu'n thaat's mi. Kimm guat hoam, wenn 's d' mi brauchst, i bin bei der Hand.« 236


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