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Der Jäger kam gleichfalls wie träumend bei seinen Jagdgenossen an, die sich bei seinem Nahen sofort erhoben, ihn respektvoll begrüßten und seine Wünsche vernahmen, denn der Angekommene war Herzog Ferdinand selbst, des regierenden Herzog Wilhelm V. Bruder. Der hohe Herr hatte für heute keine Lust mehr, weiter des Weidwerks zu pflegen. Sein Herz war so freudig bewegt. Sagte ja Maria, das Leben sei so schön; da sollte sich auch das Wild des Waldes seines Lebens erfreuen. Er befahl, die Pferde vorzuführen, und bald ritt er an der Spitze der Gesellschaft dem turmreichen München zu. –
Dort warteten seiner ernste Dinge. Er ward in dringender Angelegenheit zu einer Konferenz in die Burg berufen. Sein jüngst zum Erzbischof und Kurfürsten von Köln gewählter Bruder Ernst, auch Bischof von Freising, verlangte die Hilfe seiner Brüder.
In Köln hatte sich nämlich der damalige Erzbischof und Kurfürst Gebhard Truchseß von Waldburg, zur reformierten oder calvinischen Religion bekannt und sich mit einer Gräfin von Mannsfeld verheiratet. Er hatte seine Religionsänderung nicht nur öffentlich bekannt gemacht, sondern auch diejenigen, welche seinem Beispiele folgten, besonders begünstigt. Trotzdem behielt er die erzbischöfliche Würde bei, obwohl er dieselbe bei seiner Wahl nur vertragsweise und nicht als erbliches Eigentum erhalten. 218 Das Domkapitel, mit welchem sich die Bürger von Köln vereinigten, säumte nicht, sich um die Erhaltung ihrer Rechte an den Papst und den Kaiser zu wenden. Die Folgen davon ließen nicht lange auf sich warten. Gebhard wurde vom Papste mit dem Banne belegt und vom Kaiser in die Reichsacht erklärt.
Nun hatte Bischof Ernst, der dritte der bayerischen Herzogsbrüder, nach dem kurfürstlichen Bischofsstuhle gestrebt, und war 1583 vom dortigen Domkapitel auch einstimmig zum Erzbischof erwählt worden. Er war damals bereits Bischof zu Freising, zu Hildesheim, zu Lüttich und nunmehr nahm er auch das Erzbistum Köln an.
Gebhard widersetzte sich dem. Er hatte sich nach Westfalen begeben und bereitete sich in Verbindung mit mehreren protestantischen Fürsten zum Kampfe vor. Sein Bruder Karl verwüstete bereits den katholischen Teil des Landes; ein Graf Guemar hauste im Süden, plünderte das flache Land und raubte die Schätze der katholischen Kirchen und Geistlichen. Der Streit wurde immer verderblicher, Gebhards Anhang unter den protestantischen Fürsten mehrte sich, sie drohten sogar dem Kaiser.
Nunmehr wandte sich der bedrängte Kurfürst Ernst an seinen Bruder, Wilhelm V. von Bayern, um Hilfe durch Uebersendung von Truppen und Geld, und hierüber sollte jetzt beraten werden. Man beschloß, die Werbetrommel zu rühren und dem bedrängten Wittelsbacher mit einem stattlichen Heere zu Hilfe zu kommen. Herzog Ferdinand ward als Feldherr bestellt.
»Wenn es gilt, für den Ruhm und die Ehre meines Hauses zu streiten, wird man mich alle Zeit bereit und an der Spitze finden,« erklärte Ferdinand seinem Bruder 219 Wilhelm. »Sobald mir der Auftrag wird, werde ich ein Heer aufstellen und damit unserm Bruder zu Hilfe ziehen.«
Herzog Wilhelm übertrug ihm sofort den Befehl über alle Truppen, die man gen Köln zu schicken hätte, und Ferdinand versprach, längstens in vierzehn Tagen auf dem Marsche dahin zu sein. Der Bruder sollte nicht lange seiner harren.
Nun ward die Werbetrommel durchs ganze Bayernland geschlagen, und von allen Seiten strömten Freiwillige herbei, sich anwerben zu lassen. Vor dem Schwabingerthore zu München ward ein Lager aufgeschlagen, das teils aus Zelten, teils aus Laubhütten bestand. Auf großen Wägen wurden Waffen und Kriegswerkzeuge herbeigeschafft und verteilt, jeder konnte sich aussuchen, was ihm behagte. In der Mitte standen die Kanonen aufgefahren, glatte, lange Kartaunen und Feldschlangen. Einzelne Rotten wurden eingeübt und marschierten in festem Schritte auf und ab. Als Bewaffnung sah man alles. Spieße und Flinten, Säbel und Streitkolben, Helm und Panzer mußten für den ersten Angriff schützen. Von einer gleichmäßigen Kleidung war bei den Söldnern und Landsknechten nichts zu sehen, nur die Leibwache des Herzogs, lauter ausgesuchte, meistenteils noch junge Männer, stachen in ihren dunkelbraunen Wämsern und eng anliegenden grauen Hosen vorteilhaft von den übrigen ab.
So sehr und mannigfaltig auch Herzog Ferdinand die Tage über in Anspruch genommen war, so schwebte doch in ruhigen Augenblicken stets das liebliche Bild der Pettenpeckerin vor seinen geistigen Augen, und es war ihm nachgerade zum Bedürfnisse geworden, das holde 220 Mädchen noch einmal, vielleicht zum letzten Male zu sehen und von ihm Abschied zu nehmen.
Er beschloß, eine Wallfahrt nach dem unweit Rosenheim gelegenen Tuntenhausen zu machen, und damit einen Abstecher nach Haag zu verbinden, und begab sich wenige Tage vor dem Ausmarsche nach der berühmten Wallfahrtskirche, um die Himmelsmutter um einen glücklichen Ausgang des Feldzuges anzuflehen. Ein einziger, getreuer Knecht begleitete ihn auf diesem Wallfahrtszuge. Nachdem Herzog Ferdinand seiner frommen Pflicht genüge gethan, sprengte er mit verhängtem Zügel gegen Haag zu. Dort ließ er den Knecht mit den Pferden im Walde zurück und begab sich allein zu jener Stelle, auf welcher er Marie das erste Mal begegnet. Es war um die Mittagszeit, als er wieder dort eintraf, und er hoffte, Maria würde noch immer ihre Samariterdienste üben, doch hierin täuschte er sich.
Er wartete lange Zeit, Marie erschien nicht. Dagegen trat aus der Hütte jener Witwe ein altes Weiblein und schritt, auf einen Stock sich stützend, langsam den Berg herauf. Ferdinand trat dem Weib entgegen und freundlich grüßend sprach er sie an:
»Sagt mir, liebe Frau, seid Ihr nicht vor etlichen Wochen krank gewesen?«
»Auf den Tod krank, jawohl,« erwiderte die Alte; »aber unser Herrgott hat mir noch ein weiteres kleines Ziel gesetzt.«
»Da habt Ihr wohl recht gute Pflege gehabt?« fragte der Herzog weiter.
»O ja,« entgegnete die Alte, »ein Engel war mein Arzt, ein wahrhaftiger Engel, das Schloßfräulein droben. 221 Ihr verdank ich meine Gesundheit, Gott lohn es ihr. Noch jeden Mittag bekomme ich im Schlosse zu essen.«
»Könnt Ihr denn den langen Berg allein hinaufsteigen?«
»Hinauf schon, da hab' ich meinen Stock. Aber herunter geht's schwer, wenigstens bis zu dieser Stelle, und da ist's wieder das Fräulein, das mich führt und unterstützt bis zu dieser Bank.«
»Und wird das heute auch geschehen?«
»Ich denke wohl, sie müßte denn verhindert sein.«
»Da könnt Ihr mir einen Gefallen thun. Sagt dem Fräulein, aber ganz insgeheim, der Jäger Ferdinand erwarte sie hier, um Abschied zu nehmen, bevor er in den Krieg zieht. Doch schweigt sonst gegen jedermann; versteht Ihr wohl? Da nehmt dies für den Dienst!«
Die Alte sah ganz verblüfft das funkelnde Goldstück an, dann warf sie einen langen, forschenden Blick auf den Geber.
»Lieber Herr,« sagte sie dann, »Ihr seht so ehrlich und brav aus, daß ich nicht fürchten muß, Ihr meint es nicht ganz ehrlich mit dem Fräulein. Ich thue nach Eurem Willen. Gott lohne Euch diese Gabe tausendmal! Ich will, so gut ich kann, Eurem Wunsch entsprechen.«
Der Herzog entließ sie mit einer gnädigen Gebärde. Die Alte entfernte sich gegen das Schloß zu, Ferdinand aber warf sich auf die Bank unter der Buche und harrte unter Furcht und Hoffen, ob Maria kommen würde.
Diese hatte des schmucken Jägers nicht vergessen; sein Bild stand Tag und Nacht vor ihrem Sinn. Daß Herzog Ferdinand zum Führer der Truppen bestimmt, war ihr bekannt, und daß der Jäger die Gefahren des Kriegszuges 222 mit ihm teilen müßte, war ja gewiß. Er hatte ihr ja selbst gesagt: »Wo Herzog Ferdinand weilt, da bin ich auch.« Es war ihr schon ein Trost, stets seinen Aufenthalt zu wissen; daß sie ihn nochmals sehen könnte, daß er Abschied von ihr nehmen würde, das hatte sie nicht zu hoffen gewagt. Was Wunder, wenn sie in diesen Tagen oft recht traurig war? Als aber die Alte, der man in der Küche ein Mittagsmahl vorgesetzt, einen Augenblick des Alleinseins mit ihr benützte, um ihr des Jägers Auftrag auszurichten, da leuchteten Mariens Augen auf, und ein verklärender Schimmer ging über ihr Gesicht. Sie war schnell entschlossen, dem Wunsche des Jägers nachzukommen.
Als die Alte nach eingenommenem Mahle sich entfernte, reichte sie ihr, wie sonst so oft, den Arm und verließ mit ihr in etwas schnellerer Gangart, als dies gewöhnlich der Fall, das Schloß. Nach wenigen Minuten stand sie dem ihrer sehnsuchtsvoll Harrenden schon gegenüber.
Ferdinand erhob sich eiligst und konnte einen Freudenruf nicht unterdrücken. Er reichte dem Mädchen die Hand, das ihn wie einen alten Bekannten begrüßte.
»Wie dank' ich Euch, Maria, daß Ihr mir noch die Freude gönnt, Euch ein Abschiedswort zu sagen!« sprach er, ihr die Hand warm drückend.
»So müßt Ihr wirklich in den Krieg?« fragte Maria, deren Augen sich mit Thränen füllten.
»Ja, holdes Kind, ich muß mit meinem Herzog ziehn. Die Thränen, die ich in Euren Augen schimmern sehe, sie machen mir den Abschied von der Heimat schwer. Mein Herz bleibt hier bei Euch zurück, denn ich habe seit unserm ersten Begegnen stets nur an Euch gedacht.«
223 »Gerade so erging es mir!« Maria errötete tief über ihre eigenen Worte, die ihr so unvorsichtig entschlüpft.
»So dachtet Ihr gerne meiner?« rief Ferdinand mit Wärme. »Wie dank' ich Euch dafür, Maria! Nun brauche ich die Gefühle meines Herzens nicht länger mehr zu bergen. Zwar ist die Blütezeit meiner Jugend mir schon entschwunden, doch eines edlen Mannes Herz birgt meine Brust, das ohne Hehl und Falsch ist. Maria, könntest du mich lieben?«
»Ja,« hauchte Maria, vertrauensvoll zu ihm aufblickend.
»So bist du mein auf ewig!« rief Ferdinand, das Mädchen stürmisch an seine Brust drückend.
Maria wand sich aus seiner Umarmung los.
»Erst wenn der Priester am Altare uns verbunden, will ich dein eigen sein. Wenn du mich wahrhaft liebst, wirst du meine Ehre nicht verletzen wollen.«
»Ich schwöre es dir im Angesichte des Himmels, bei meiner Ehre!« sprach Ferdinand feierlich. »Sobald ich aus dem Felde heimgekehrt, führ ich dich heim als meine Ehefrau. Bis dahin baue und vertrau' auf mich!«
»Ich werde dir ein treues, liebendes Weib sein,« versprach sie ihm. »Freud und Leid will ich mit dir teilen, wie es Gottes Wille über uns verfügt.« –
So ward der Bund ihrer Herzen rasch besiegelt, und keine Macht der Erde sollte mehr im stande sein, sie zu trennen. Maria versicherte dem Geliebten auf seine Frage, ob er auf ihre Treue bauen dürfe, ob sie nicht etwa lieber einem Edelmanne sich vermählte, daß sie sich glücklich fühle, eines Försters Frau zu werden, und nach Höherem nicht strebe. Der Vater, so meinte sie, würde sich auf ihre 224 Bitte hin beim Herzog Wilhelm wohl für ihn verwenden, wenn nicht des Herzogs Bruder selbst ihm eine solche Stelle verschaffe.
Der Augenblick der Trennung nahte schnell. Dem Entzücken folgte nun der Schmerz des Scheidens – vielleicht für immerdar.
Wieder füllten sich Mariens schöne Augen mit Thränen, und schmerzbewegt beklagte sie das harte Schicksal, das sie den Geliebten finden und zugleich verlieren ließ. Aber Ferdinand tröstete sie und zeigte ihr als erste Pflicht des Mannes die Treue gegen Fürst und Vaterland. Dann zog er ein feines goldenes Kettlein aus seinem Wams hervor, hing es ihr um den Hals und sprach:
»Trage diese Kette zum Unterpfande unseres Bundes und zum Gedächtnis dieser Stunde, trage sie verborgen auf deinem Herzen, damit das Geheimnis meiner Liebe keinem, der da lebt, vor der Zeit kund werde! Nun aber muß ich scheiden. Leb wohl, mein Lieb, vergiß nicht deines Ferdinand!«
»Leb wohl!« flüsterte sie in langer Umarmung, während seine heißen Küsse auf ihren Lippen brannten.
»Gott sei mit dir! Tröste dich!« Das waren seine letzten Worte, als er sie sanft auf die Bank niedergleiten ließ, noch einmal einen unendlich liebevollen Blick auf sie warf und dann den Hang hinab, dem Walde zueilte.
Sehnend streckte sie nach dem Davoneilenden die Arme aus, dann verhüllte sie ihr Gesicht mit den Händen und schritt wie betäubt dem Schlosse zu.
Von ferne drang der Hufschlag mehrerer Pferde an ihr Ohr, der bald verhallte. Sie schloß sich in ihr Kämmerlein ein, und erst als sie im Gebete Trost in ihrem Schmerze 225 suchte, wurde es ihr leichter ums Herz. Doch verstummt war ihr sonst so fröhlicher Gesang. Schweigsam und in sich gekehrt ging sie umher, am liebsten saß sie am Fenster im Erker oder unter der Buche am Hange und blickte hinaus in die Ferne, nach jener Himmelsrichtung, in der ihr Geliebter weilte, von tausend Gefahren umringt. Auf alle Fragen der um ihre Gesundheit besorgten Eltern und Paulanas hatte sie nur ausweichende Antworten. Nach des Geliebten Wunsch bewahrte sie sorgsam das Geheimnis ihrer Liebe. – 226