Maximilian Schmidt
Meister Martin
Maximilian Schmidt

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V.

Während dieser Vorgänge hatte sich ein toller Haufe, von Urschi angeeifert und mit Stöcken und Tremmeln bewaffnet, der Schleife genähert. Dort hatte niemand eine Ahnung von der drohenden Gefahr.

In der Mitte der Wohnung stand auf einem weiß gedeckten Tische der hell im Lichterglanz erstrahlende, prächtig geschmückte Weihnachtsbaum, dessen Spitze ein liebliches Christuskind in goldenem Gewande schmückte. Vergoldete und versilberte Nüsse, zierliches Konfekt, bunte Glaskugeln und Rauschgold hingen und zitterten an dem duftenden Tannenbaum, auf dessen Zweigen zahllose Lichtlein brannten. Rings um den Baum und auf nebenanstehenden Tischen lagen die Geschenke, womit die Kinder von ihren Eltern sowohl, wie von entfernten Verwandten reichlich bedacht worden waren. Es fehlte nicht an den verschiedensten Spielwaren und an den bekannten und beliebten Nürnberger Süßigkeiten.

Auf Meister Ehrmanns Arm saß sein jüngstes Töchterlein, welches, in einer Hand die neue Puppe, in der andern ein Stück Marzipan haltend, sprachlos vor Erstaunen nach den glitzernden Lichtern schaute, während die beiden älteren Kinder, an der Mutter Arm hängend, die schönen Geschenke bejubelten. Eltern und Kinder fühlten sich gleich glücklich. So hell, wie die Lichter am grünen 235 Baume, leuchtete die Freude aus aller Augen. Ein wahrer Himmelssegen lag über diesem Hause.

Da plötzlich wird die Thür aufgerissen; zehn, zwanzig und mehr Köpfe zeigen sich vor derselben. Aber der drohende Fluch, der auf den Lippen der Eindringlinge lag und sich soeben Luft machen wollte, verstummte. Wie mit einem Zauberschlage verwandelten sich die finsteren Mienen in solche der höchsten Ueberraschung, was sich durch ein allgemeines gedehntes »Aaah!« bemerkbar machte, dem ein mächtiges, starres Augen- und Mundaufreißen folgte.

Martin Ehrmann und die Seinigen sahen nichts Schlimmes in der Sache. Sie glaubten nicht anders, als Wastl hätte den Leuten von der hier zu Lande noch nie gesehenen Christbescherung erzählt und die Neugierde hätte sie hergetrieben.

»Tretet nur herein!« sagte der Meister freundlich zu den Leuten, »und seht euch unsern Christbaum an.«

Alle waren verblüfft. Fragend starrten sie bald nach dem geputzten Baume, bald sich selbst in die dummen Gesichter. Sie schienen die Ursache ihres Kommens ganz vergessen zu haben.

Wiederholt luden Ehrmann und seine Frau die Staunenden zum Eintreten ein und nun leisteten sie der Aufforderung auch Folge. Leise und auf den Zehen schlichen sie näher, ja viele von ihnen legten sogar die derben Holzschuhe ab, um den blankgescheuerten Boden nicht zu beschmutzen und bald drückten die zum Revoltieren Gekommenen ihre Bewunderung in Worten aus.

»Ui Gottes, ui Gottes!« rief ein Weib, das noch vor wenigen Minuten wie eine Megäre in das Haus gestürzt 236 war, »is dös a Pracht! Und dös schö' Christkindl im gulden G'wand!«

Und eine andere meinte:

»Wenn i jetzt nur meine Kinder da hätt', daß 's so was sehgn kaannten. Schüner kann's ja dennast im Paradies nöt sein!«

»So bringt eure Kinder!« sagte der Meister. »Morgen um diese Zeit zünden wir die Lichter wieder an. Wer Lust hat, den Christbaum zu sehen, ist eingeladen, zu kommen.«

»So san ma halt so grob!« versprach ein Bäuerlein, das vor Vergnügen seinen zahnlosen Mund nicht mehr zubrachte.

Frau Ehrmann hatte inzwischen einige Teller mit Süßigkeiten herbeigeholt und unter die Anwesenden verteilt.

»Ja, dös waar ja dennast aus!« riefen die Leute. »Aufs betteln san ma ja nöt kömma.«

Aber sie nahmen das Dargereichte doch und kauten lustig drauf los, während sie immer und immer wieder den Baum betrachteten.

Als einer der Beschenkten bald darauf aus dem Hause trat, rief ihm hier die des Ausganges harrende Urschi zu:

»Geht 's Losschlagen bald an?«

»Ja,« entgegnete der Bauer, »aber bei dir fang ma an. Wie kannst uns denn so an' Bär'n aufbinden und d' Leut a so aufwiegeln?«

»Wo ist die Aufwieglerin?« fragte jetzt ein herzukommender Gendarm, der dem Haufen nachgeeilt war, um Ruhe zu schaffen.

»Da steht's!« versetzte der Bauer. »Dö hat uns 'n Tuifi weiß g'macht und uns zu ara G'waltthat verleiten 237 woll'n. Alle san's Zeugen, die da san. Es is gottlob no' nix passiert. Wir wissen jetzt, wie ma mit dem Laster d'ran san.«

»Heiliger Gott!« rief Urschi. »Was muaß i hör'n? Verlaß dei' arme Dienerin nöt. I geh, um mi für d' Christmetten vorzubereiten.«

»Vorerst seid Ihr arretiert!« sagte der Gendarm streng, »'s Landg'richt wird 's weitere über Euch verhängen.«

»Hochwürdiger Herr!« schrie die Entsetzte dem ankommenden Pfarrer entgegen, »helfen Sie mir! Ich hab ja alles nur zur größern Ehre Gottes gethan.«

»So laßt Euch zur größern Ehre Gottes nur auch einsperren,« sagte der Pfarrer. »Ihr verdient es nicht besser, als daß Ihr bestraft werdet für Eure Bosheit und Scheinheiligkeit. Gott bewahre uns recht lange vor Euch!«

Dann erkundigte er sich, ob schon Schaden geschehen.

»Na', nix is passiert,« berichtete das Bäuerlein. »Geht's nur eini in d' Stuben, Hochwürden; da moanst ja fredi, du bist im Himmi.«

»Dann hab ich hier nichts mehr zu thun,« sagte der Gendarm. »Gute Feiertage, Herr Pfarrer!«

Letzterer grüßte.

»Und jetzt marsch in Arrest!« kommandierte der Gendarm die alte Megäre.

»Halt!« rief Wastl, der seinem Weibe das Kommando wieder abgenommen und Tieschke eben heranführte. »Wir ham aa r an' Arrestanten g'macht.« Er berichtete in Kürze, was vorgefallen.

»Du bist an mein' Unglück schuld, du Lump, du!« 238 schrie jetzt Urschi ihren Genossen an, der pudelnaß und schnatternd vor Kälte vor ihr stand.

»I wollt, i hätt' an' Schnaps!« seufzte dieser.

Aber der Gendarm machte ihrer Unterhaltung rasch ein Ende und bald verschwanden beide mit ihrem aufgedrungenen Begleiter im Dunkel der Nacht. Der Pfarrer aber trat mit Wastl und dessen Weib in die Stube.

»Ah, da schau her, d' Leckerln ham Wunder g'wirkt,« meinte Wastl, als er seine kauenden Landsleute erblickte.

»Ich kam in der Furcht hierher, Ihr schönes Fest möchte gestört werden,« sagte der Geistliche zu dem über diesen neuen Besuch sichtlich überraschten Meister. »Ich sehe aber zu meiner Freude, daß der Friede, den die Heerscharen des Himmels in der heiligen Nacht einst gesungen, auch hier in schönster Blüte ist.«

Jetzt erst erfuhr die Familie Ehrmann die wahre Ursache des Massenbesuches. Aber die Dörfler reichten dem Meister die Hand und baten ihn um Verzeihung, welche derselbe auch gern gewährte.

Dann betrachtete sich auch der Pfarrer den Christbaum. In gehobener Stimmung sprach er:

»Der Christbaum, welcher heute durch seinen freundlichen Anblick die tief bethörten Leute wieder in friedliche Menschen umwandelte, soll von nun an auch in den Häusern unserer Thalbewohner jedes Jahr ebenso schön erstrahlen, wie hier. Kein Streit soll mehr in diesem Thale sein in Sachen des Glaubens. Jeder soll den Glauben ehren, in dem er geboren, rechtschaffen handeln und thun, wie es einem tugendhaften Menschen geziemt, denn wer an die Tugend glaubt, der glaubt an Gott!«

239 Mit diesen Worten verließ der würdige Mann, begleitet von den Dörflern diese Stätte des Friedens.

»D' Nürnberger Leckerln ham's rogla (weich) g'macht,« behauptete Wastl wiederholt und er bekundete dadurch einen ziemlichen Scharfblick in Bezug auf seine Landsleute. Doch Meister Ehrmann war anderer Ansicht. Er meinte:

»Dieses Mal war es die Macht des Christbaumes und das versöhnende Wort aus dem Munde eines würdigen Priesters.«

Der Friede hatte auch Bestand. Meister Ehrmann kam zu bedeutendem Vermögen, erwarb später sogar die nahe Glasfabrik als Eigentum und wurde als Wohlthäter der ganzen Gegend allgemein verehrt, während Wastl aufs neue und noch lange Jahre als allgemein beliebter »Kuhfürst« verblieb.

Wie es der Pfarrer vorausgesagt, ward alle Weihnachten in diesem Gebirgsthale der Christbaum als die schönste Zierde dieses heiligen Festes der Liebe betrachtet und strahlte in jeder, selbst der kleinsten Hütte als ein leuchtendes Zeichen des Friedens. –


 << zurück