Maximilian Schmidt
Die Ameisenhexe
Maximilian Schmidt

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I.

Die ausgedehnte Berggruppe, welche mit dem Namen »Karwendelgebirg« bezeichnet wird, gehört zu den wildesten Partien der nördlichen Kalkalpen und umfaßt vier mächtige, durch kurze Querriegel verbundene Parallelketten, von denen die südlichste an der linken Seite des Innthales zwischen Zirl und Hall aufragt, während die nördlichste, der eigentliche Karwendel, zugleich Landesgrenze zwischen Bayern und Tirol, im Thale der wildromantischen Riß ihren Abschluß findet. Dazwischen liegen die Hinterauthaler- und Gleirschthalerketten. Sie umfassen das Quellgebiet der Isar, deren Ursprung im obersten Winkel des Hinterauthales liegt. Die Felsspitzen und scharfen Grate dieses Gebirges zeichnen sich durch wilde, zum Teil phantastische Formen aus, deren Kühnheit den berühmten Gipfeln der sogenannten Dolomiten kaum nachsteht.

Innerhalb dieses weiten Berggebietes giebt es, wenn man von den am Außenrande befindlichen Wohnorten absieht, keine ständigen Wohnsitze und nur während der Sommermonate sind die einsamen Thäler durch Sennen, Hirten und Jäger einigermaßen belebt; desto ausgedehnter sind die Felswüsten und Schuttkarre. Dieses wilde Gebirge birgt aber einen ausgedehnten Wildstand und enthält ausgedehnte 215 Jagdgebiete und Waldgehege, besonders gegen das Thal der Riß zu, woselbst der Herzog von Koburg Jagdherr ist.

Um Jagd, Jäger, Wildschützen, Forst und Holzgewinnung dreht sich da, wie überhaupt im oberen Isarthale, das ganze Leben der wenigen Bewohner. So abgelegen und wild das Rißthal auch erscheint, so bietet es wegen seiner herrlichen Waldbestände, der kühn geformten Gebirge und wegen seines zahlreichen Wildes eines der interessantesten Standpunkte im Bereiche der deutschen Alpen.

Hoch über der Einmündung des schäumenden Rißbaches in die Isar steht das dem bayerischen Königshaus gehörige Jagdschlößchen Vorderriß, daneben befindet sich das Forsthaus, zugleich Post und Einkehrhaus und eine kleine, schön gebaute Kapelle, ringsum eingeschlossen von dunklen Waldbergen und darüber emporragenden Felsengraten. Tief unten braust das Wasser über das Wehr und rasselt die Schneidsäge, vor welcher viele Tausende von Stämmen lagern, um ihrer Verarbeitung zu Brettern gewärtig zu sein.

Es ist ein prächtiger Sommer-Sonntagsmorgen, heller Sonnenschein liegt auf Wald und Bergen und ein tiefblauer Himmel wölbt sich über dieser prächtigen Bergwelt. Vor dem Einkehrhause steht ein sogenanntes Schweizerwägelchen. Die braune Stute verzehrt mit Wohlbehagen den ihr im Holzbarren eingeschütteten, mit Wasser vermischten Haber. Das Pferd hatte schon den beschwerlichen Weg von Lenggries hierher gemacht und seinen Herrn und Besitzer, den Angerbauern, mit Sohn und Tochter hierher befördert. Diese tranken mit mehr oder weniger Wohlbehagen in der Wirtsstube soeben ihren Kaffee.

Dem Vater sah man auf den ersten Blick den 216 Bauernwirt an. Er war ein großer Mann, etwa im Anfange der fünfziger Jahre stehend, mit einem vollen, rötlichen, glattrasierten Gesicht und starkem Doppelkinn. Seine Kleidung bestand in einem weichen Filzhute aus Seidenhaaren, mit dem er selbst in der Stube gern sein an Haaren mageres Haupt bedeckte, in einem langen Tuchrock, Lederhosen, langen Stiefeln, buntseidener Weste mit doppelreihigen Münzknöpfen und einem schwarzseidenen Halstuch, über welchem der weiße Hemdkragen umgelegt war. Hinter dem Ohr hatte er eine rote Nelke stecken.

Der fünfundzwanzigjährige, mittelgroße Sohn war ähnlich gekleidet, nur trug er statt der ledernen eine lange, dunkle Tuchhose und der Nelkenstrauß prangte auf seinem Hute. Eine neue, lederne, vollgepfropfte Reisetasche mit grünem Tragzeug lag neben ihm. Er hatte üppige, blonde Haare und ein sehr einnehmendes, fast mädchenhaftes Gesicht mit sanften Zügen und blaßblauen Augen. Fast zum Sprechen ähnlich war ihm die Schwester, welche die dicken, blonden Zöpfe schön um den Kopf gewunden hatte, den ein kleines, schwarzes, mit Goldschnur und Blumenstrauß geziertes Chiemgauerhütl bedeckte. Rock und Aermel von blauem Stoffe, ein reichverziertes Mieder und ein bunt geblumtes Brusttuch machten ihren sehr wohlgefälligen Anzug aus.

Der Angerbauer, Georg Leitermann von Lenggries, war erst im Auswärts (Frühjahr) ins Isarthal gezogen, um den ihm erbschaftsweise angefallenen, prächtigen Angerhof zu übernehmen. Er hatte früher im Chiemgau eine Wirtschaft an der Straße, benannt »das goldene Rößl«, die wegen ihrer Güte weit und breit im besten Rufe stand. Hoch und nieder kehrte dort ein und unter anderen sprach 217 auch besonders gerne der Erzbischof von München auf seiner Firmungsreise im »goldenen Rößl« zu.

Dieser Umstand ermutigte den Wirt einst, den hohen Kirchenfürsten um die Ehre zu bitten, der Firmpate seines Sohnes, des Friedl, zu werden. Diese Gunst ward ihm gerne bezeugt und der ehrgeizige Wirt that sich viel darauf zu Gute. Friedl sollte studieren und ein großer Staatsmann oder ein Prälat werden. So wünschte es der Vater. Aber Friedl hatte eine ausgesprochene Abneigung vor dem Lateinischen und eine solche Vorliebe für die erste Klasse der Lateinschule, daß er nach zweijährigem Besuche derselben ihr auch noch ein drittes Jahr opfern wollte, was den wohlmeinenden Rat des hohen Paten zur Folge hatte, Friedl nicht weiter mit Studium zu plagen, sondern aus ihm einen Wirt und Landmann zu machen.

Dies war denn auch der Fall. Für das »goldene Rößl« traten aber mit der Zeit magere Jahre ein. Durch die Eisenbahn ward der Verkehr auf der Landstraße brach gelegt und der Wirt ergriff gerne die Gelegenheit, den von seinem Vetter, dem Angerbauern in Lenggries, ererbten Hof zu beziehen, dagegen sein Wirtshaus zu verkaufen. Der erzbischöfliche Pate Friedls war inzwischen Kardinal in Rom geworden und der junge Bursche war soeben im Begriffe, die weite Reise dorthin zu unternehmen.

Friedl sollte nämlich, dem Wunsche seiner Mutter entsprechend, eine ihm blutsverwandte, sehr vermögliche Base aus dem Chiemgau heiraten, wozu der päpstliche Dispens nötig war. Da nun die Mutter nicht ohne Grund befürchtete, daß das Bäschen, welches wegen seiner Schönheit und seines Reichtums viel begehrt war, leicht den Sinn ändern könnte, so sollte, um Zeit zu ersparen, Friedl selbst nach 218 Rom reisen, um durch seinen hohen Paten, den Kardinal, den Dispens möglichst rasch erwirken zu lassen.

Heute nun begann er seine Romfahrt. Die Mutter segnete ihn und füllte ihm die Reisetasche mit Nudeln, Geselchtem und Wäsche; Vater und Schwester aber gaben ihm das Geleite. Auf ausdrücklichen Wunsch der Mutter sollte jedoch damit ein Besuch des Wallfahrtskirchleins in Hinterriß verbunden werden, damit die Himmlische den Sohn während der großen Reise in ihren Schutz nehmen möchte.

Und so ward in Vorderriß Rast gemacht, um sich für den Weiterweg stärken zu können.

Der Vater betrachtete den Sohn mit Wohlgefallen und ward nicht müde, ihm fortwährend Verhaltungsmaßregeln für die Reise zu geben. Besonders warnte er ihn vor den prellenden Wirten, die er mit allen möglichen Titeln belegte, doch freilich immer hinzufügte, daß die bayerischen Wirte, besonders jene im Chiemgau, mit gewissen fremdländischen gar nicht zu vergleichen wären. Dann sprach er mit ihm von Reiseabenteuern, die von selbst kämen und bei denen er immer seine Klugheit zu Rate ziehen solle.

Friedl hörte schweigend zu. Der Kaffee wollte ihm nicht schmecken; war die altgebackene Semmel daran Schuld oder ein infolge der frühen Abreise geschwächter Magen – der Vater wußte es nicht, aber die Schwester, die Mirl, wollte es wissen.

»Ge', iß dengerst die Kaffeesuppen,« sagte sie, »oder is dir unguat?«

»Mei', mir steckt halt d' Roas' im Mag'n,« erwiderte Friedl. »Auf Rom zua, dös is koa' Kloanigkeit.«

»Aber stolz kannst drauf sei', wenn's d' sagen kannst, du bist in Rom gwen bei Seiner Eminenz, dein 219 Firmgöden, und hast'n Papst gsehgn,« fiel der Vater ein. »Jessas, was gebet i drum, wenn i so a Glück hätt'.«

»Woaßt was, Vater?« versetzte Friedl. »Geh' du für mi; i kehr mit Freuden wieder um. I hon gar koan Gusta zu die zerlumpten Italiener; i hon 's dick kriegt beim Eisenbahnbau.«

»Du Patschi, du,« erwiderte der Alte. »In Italien selber is dös ganz anders, da giebt 's schöne Leut', und Lemoni und Pomeranzen wachsen auf die Alleebaam. Bua, da kannst Lemoniwasser trinka, daß 's a Freud is, und an' Wei' kriagst um an' Vergelt's Gott. Und kimmst nacha auf Rom zua, so richt' di fei' schö' zam, nimm a frisch's Schneuztüachl und sei manierli mit Seiner Eminenz, dein Firmgöd, daß er si' nit schaama muaß, wenn er mit dir zum Papsten geht.«

»No', dumm gnua wer i mi stell'n!« versetzte Friedl, »b'sunders, wenn i d' Wahret verleugna muaß, wenn mi der Göd fragt, ob i 's Basl zum Fressen gern hon –«

»So wirst»ja« sag'n!« fiel der Vater ein.

»I sag scho' ja, aber denken thua i mir, was i will. Wenn der Dispens schwieri wird, laß i'n liaba ganz hint', denn gar z' viel möcht' i 'n Herrn Göd nit anstrenga.«

»Da hat der Friedl recht,« versetzte die Schwester, die überhaupt in allem die Gesinnungen des Bruders teilte.

»Was Anstrengung!« rief der Vater. »Dös geht alles sein g'weisten Weg; d' Hauptsach is, daß d' glei wieder hoamfahrst, wenn 's in Ordnung is, denn d' Muatta hat recht, 's Basl is a Goldvögerl, dös gar viel fanga möchten und 's waar mentisch schad, wenn 's dir davonfludern thaat. Woaßt Friedl, es is scho' recht schö', wenn's d' 'n Kasten voll Geld hast. Da hab'n d' Leut' an' Respekt vor 220 dir! A Bauer, der a Geld hat, is a Küni. Also tracht', daß d' a Küni wirst.«

»O mei',« meinte Mirl, »'s Geld macht aa nit allemal glückli; a guats Gmüat is aa r a Reichtum, gelt Friedl?«

»Aber a guats Gmüat kriagst nur, wenn d' 'n Beutel voll Geld hast,« warf der Vater ein.

»Dös is nit richti,« sagte Mirl. »Wenn i in der Kircha andächti beten kann, so hon i a guats Gmüat; wenn i außi schaug zu die Berg und alles um mi so voller Pracht is, wenn d' Bleamln in der Blüat san, wenn d' Lercherln in der Luft jubiliern, wenn d' Sunna auffasteigt aus ihran guldan Bett oder wenn i nachts auffischaug zu die glanzeten Stern; da wird's mir wohl im Gmüat, da denk i an koa' Geld, Vata, und grad a so is's 'n Friedl z' Muat.«

»Ja, ja, 's Mirl hat recht,« versicherte der Bursche.

»Oes seid's halt dumme Patschi!« versetzte der Alte. »Moants denn, all die Pracht gfallet enk so guat, wenn's bettelarm wär'ts? Moants denn, 's Beten gaang enk so guat vom Herzen, wenn enk der Hunger martern thaat? Und d' Bleamln, d' Sunn und d' Stern, die macheten enk nur a halbe Freud, wenn's Kümmernis und Not am Herzen hätt's. I woaß's in unserm »golden Rößl« hab'n viel Maler zuakehrt und von dene habt's all die Faxen g'hört und g'lernt. No' ja, mir is 's ja recht; aber a Kasten voll Geld is mir alleweil liaba, als die schönsten Bleameln. Drum Bua, mach, daß d' auf Rom kimmst. Zeit is's, daß ma in d' Hinterriß fahrn, sunst kriegn ma' koa' Meß mehr. Also richts enk zam!«

221 Die Zeche ward beglichen und gleich darauf befanden sie sich auf dem Wege nach dem Klösterl.

An Klammen und Wasserfällen vorüber, führt das schmale Sträßchen in dem engen, vom Scharfreiter einer- und dem Karwendel anderseits beherrschten Thale nach dem schönen Thalkessel der Hinterriß, woselbst sich das Franziskanerklösterl mit dem vielbesuchten Wallfahrtskirchlein »Maria von der Schmelz« befindet, so benannt, weil wahrscheinlich früher zu Hinterriß das aus der Erzklamm gewonnene Erz geschmolzen wurde.

Etwas erhöht vom Klösterl steht das in gotischem Stile erbaute Jagdschloß des Herzogs von Koburg. Es ist ein wunderbarer Fleck Erde, dieses Hinterriß, fernab vom Getriebe der Welt, aber rings umgeben von der Majestät einer großartigen Natur, von der gewaltigen Masse des Karwendelzuges, aus welchem die wildschönen plattengepanzerten beiden »Falken« und das Gamsjoch vorspringen, dem Compar und thalabschließend dem Bettelkar und der Löffelspitze.

Die Woche über herrscht hier die tiefste Stille, die beiden Franziskaner lesen ihre Messen meistenteils ohne Teilnehmer und auch das ans Klösterl angebaute Wirtshaus erfreut sich nur weniger Besucher, bestehend in Jägern, Waldbodenhütern und durchwandernden Touristen, die überdies lieber den eine halbe Stunde weiter aufwärts gelegenen, sogenannten »Alpenhof« aufsuchen, welcher dem Wildmeister des Herzogs gehört. An Sonn- und Feiertagen hingegen ist es sehr belebt in diesem sonst so stillen Winkel. Da kommen die Holzarbeiter aus ihren Holzstuben heran, die Sennen und Sennerinnen steigen zu Thal, und von außen her kommen Wallfahrer, so von der Jachenau, Lenggries, 222 Wallgau, Krün, Mittenwald, welch letztere über die Joche des Karwendels herübersteigen, und insofern die Herreise schon Tags vorher geschieht, so haben oft die zwei von einander entfernt gelegenen Gasthäuser nicht Raum genug, alle die Herbergesuchenden unterzubringen.

Am frühesten Morgen eilt dann alles zum kleinen Kirchlein. Die verschiedenen Trachten zaubern ein heiteres, lebendiges Bild in diese Weltabgeschiedenheit.

Der Angerbauer kam mit seinen Kindern gerade noch rechtzeitig zum Beginn des sonntäglichen Hochamtes und nachdem das Gefährt im Klösterlwirtshaus untergebracht, begaben sie sich ohne Säumnis in das kleine Kirchlein, woselbst sie der Gnadenmutter ihre Wünsche und Hoffnungen mitteilten.

Es ist eine eigentümliche Stimmung, welche den Gläubigen in diesem von der Welt fast abgeschiedenen Kirchlein überkommt. Die hehre Großartigkeit der Natur, die tiefe Stille, der wohlthuende Friede, der sich sofort dem empfindsamen Herzen mitteilt, versetzen ihn in eine andere Sphäre. Es deucht ihm eine erquickende Rast im Kampfe des Lebens, und solch eine Stunde seelischen Friedens stärkt ihm Geist und Herz mit neuem Mut und frischer Kraft. Friedl dachte sich auch, wie viel angenehmer es für ihn wäre, wenn er nicht die beschwerliche Reise machen, sondern in der Heimat bleiben dürfte. Aber er hatte sich wohl oder übel dem Wunsche der Eltern zu fügen und so fing er denn für eine glückliche Reise zu beten an.

Doch schon seit Beginn der Messe richteten sich Friedls Augen mehr, als es seine fromme Beschäftigung erlaubte, auf ein junges Mädchen, das in seiner Nähe kniete und ihm durch die wohlgefällige Tirolerkleidung mit dem dunklen 223 Bandhute, unter welchem ein paar dichte, schwarze Flechten hervorschauten, auffiel. Beim Evangelium, wobei sie sich erhob, bewunderte er ihren prächtigen Wuchs und ihr schönes, von der Sonne dunkelgebräuntes Gesicht. Und als sie sich beim »Ite missa est« zum Gehen anschickte und der Blick ihrer schönen, dunklen Augen sich mit dem seinen kreuzte, da fühlte er, daß das Ende der Messe der Anfang eines neuen Lebens für ihn war. Er vergaß sein Basl, den Kardinal und Papst in Rom und dachte nur an die schöne, schwarzäugige Tirolerin.

Beim Verlassen der Kirche suchte er neben ihr zu gehen, und außer der Kapelle wagte er es sogar, von seinen Angehörigen unbemerkt, dem fremden Mädchen das rote Nagerlsträußl (Nelkensträußchen) zu geben, das seinen grünen Hut schmückte. Und es war ihm ganz sonderbar zu Mute, als die Beschenkte das Sträußchen an ihre Brust steckte mit den Worten:

»I hon d' Bleamln fürs Leben gern.«

»So därf i dir öfter oa bringa?« fragte der Bursche.

Das Mädchen errötete und wußte nicht, was es antworten sollte. Aber sie sah Friedl mit wohlgefälligem Blicke an.

»Wo bist denn her, schön's Deandl?« fragte dieser, nicht ohne sichtliche Befangenheit.

»Von Seefeld draus,« entgegnete das Mädchen. »Aber auf etli Wochen bin i mit mein' alten Oedl da herin in die Waldungen vom Scharfreiter; i bin eam behilfli bei sein' G'schäft. Er ischt an' Amoasla und Pechler. Durt kimmt er grad aus der Kirch'n. No'mals schön' Dank für die Nagerln!«

Sie eilte dem aus dem Kirchlein tretenden und sich 224 auf seinen Bergstock stützenden alten Mann entgegen und begab sich mit ihm zu dem wenige Schritte entfernten Wirtshaus, vor welchem beide auf einer Bank unter schattigen Bäumen Platz nahmen. Der Ameiser war ein schon betagter Mann von auffallender Größe, welche aber durch die beträchtliche Rundung seines Rückgrates vermindert wurde. Ein verwitterter, großer, grüner Hut bedeckte sein sonst kahles, nur mit wenigen Haarbüscheln am Hinterkopfe bewachsenes Haupt. Sein mit weißlichgelbem Schnurr- und Vollbart versehenes Gesicht war grobknochig und hatte scharf ausgeprägte Züge, und die dunklen Augen lagen tief in ihren Höhlen. Seine Kleidung bestand in einer reinlichen, rupfenen Pfoad (Hemd), die Hals und Brust, von Sonne und Wetter gebräunt, frei ließ, in einer alten, grauen Joppe, kurzer Lederhose, Wadenstrümpfen und Schnürschuhen.

Dieser Alte und seine Enkelin waren ein lebendiges Bild von Winter und Frühling und beim Anblicke des schönen Mädchens fühlte nun Friedl, wie wahr heute seine Schwester in der Vorderriß gesprochen und er ergänzte deren Rede in Gedanken dahin, daß auch der Anblick eines schönen Mädchens, gleich Sonne, Mond und Sternen, Blumen und Vogelsang, das Herz erfreuen und beglücken könne.

Während die Tirolerin ihrem Großvater Brot zu Bierbrocken in den Maßkrug schnitt, blickte sie wohl öfter zu dem hübschen Burschen hin, der zu seinem größten Leidwesen, weil es dem Vater ungemein pressierte, auf dem Wägelchen Platz nehmen und wieder weiterfahren mußte. Doch grüßte er das Mädchen noch einmal im Vorüberfahren und da war es ihm, als zöge ihn ihr Blick zu sich, 225 als könnte er sich nimmer von ihr trennen. Aber der Gaul begann einen Trab und – Klösterl, Tirolerin und die schwarzen, feurigen Augen waren entschwunden. Letztere sah er zwar noch immer vor sich im Geiste, er blickte weder nach rechts, noch nach links, nur still vor sich hin, und die Reise nach Rom hatte er ganz vergessen.

»Dös war a saubers Deandl, dös d' grüaßt hast,« sagte endlich Mirl leise zu dem neben ihr sitzenden Bruder, während der Vater vom Bocke aus kutschierte. »Hast ihr ge gar deine Nagerln g'schenkt, dös 's im Leibl stecken g'habt hat?«

»I hon mir denkt, was thua i mit die Nagerln in Rom! I hon ihr's geb'n, weil 's mir so guat g'fall'n hat.«

»Aber dös wenn 's Basl inna wird?« warf die Schwester ein.

»So frag i gar nix darnach,« lautete die Antwort. »Warum hat's koane so schön' Aug'n und koa' so schöne G'stalt und so a liab's G'sicht, so a freundlichs und so –«

»Hör auf – der Vater hört's!« mahnte die Schwester.

»Was hör i?« fragte dieser. »Was soll i nit hör'n?«

»Wir hab'n grad von der Roas' g'red't,« erwiderte Mirl.

»Und i hon dran denkt,« versetzte der Vater. »Wir machen's ge so. In Vorderriß halt ma' Mittag und wenn die ärngst' Hitz vorbei is, geht der Friedl Mittenwald zua und wir fahr'n wieder hoam. Z' Mittenwald bleibst beim Posthalter über Nacht,« belehrte er hierauf den Sohn, »und fahrst morg'n mit 'n Postwag'n auf Innsbruck, und nacha laßt d' Eisenbahn nimmer aus. Geld hast und d' Himmelsmuatta wird di aa b'schützen, um dös hab'n ma' 's im Klösterl ja bitt'. In vier Wochen wallfahrten ma' wieder 226 hin, wenn alles guat ganga is, und i hon g'lobt, a prächtige Kirzen z' opfern. Du siehgst, an mir feit 's nit, mach du dös dei', und in sechs Wocha is Hozet. Juchaz, Friedl!«

Friedl nahm sich wohl einen Anlauf zum Juchzen, aber der Laut blieb ihm in der Kehle stecken.

»Du bist a trauriger Bua!« lachte der Alte, »hör mir zua!« Und er juchzte aus voller Brust. Im prächtigen Echo hallte es wieder von den Felsenwänden zur Rechten und zur Linken.

Der bereits müde Gaul spitzte die Ohren und wie neubelebt und in rascherem Tempo ging es der Vorderriß zu.

Nach eingenommenem Mittagsmahl erfolgte sodann der Abschied Friedls von Vater und Schwester, die ihm noch bis zur Isarbrücke das Geleite gaben. Die beiden letzteren weinten. Es schmerzte sie, den Sohn und Bruder so allein in die weite Welt ziehen lassen zu müssen. Aber Friedl war auffallend gefaßt.

»Schreib mir glei' von Rom aus, ob 's d' guat hinkomma bist,« schluchzte Mirl.

»Und grüaß mir halt Seine Eminenz, dein Göden, und 'n Papsten thuast mi aa höfli empfehl'n,« sagte der Vater.

»I werd's ausrichten,« versprach der Sohn, »und also b'hüat enk Gott. Grüaßt's d'Muatta dahoam! I bring enk scho' was mit, daß 's a Freud habt's.«

Dann umarmten sie sich, winkten sich gegenseitig zu, und als sie sich nicht mehr sehen konnten, stiegen Vater und Tochter mit nassen Augen wieder zur Vorderriß empor, Friedl aber eilte der rauschenden Isar entlang – Rom zu. 227



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