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Eines Tages schickte der Förster den Anton mit ein paar Schnepfen in das benachbarte fürstliche Jagdschloß Felseck. Der Verwalter hatte eben einen Gast und wollte ihn damit bewirten. Anton kam, unterwegs an einem Wasserfalle vorbei, der zwischen schwarzgrünen Tannen, weiß wie Schnee, von einem hohen Felsen herabstürzte. Nicht weit davon saß ein fremder Herr in einem dunkelblauen Kleide, schaute über die Schulter des Fremden auf das Blatt, und konnte sich nicht enthalten, laut auszurufen: »O wie schön! Ja, das heißt gemalt!« Er bat um Erlaubnis, das schöne Gemälde näher besehen zu dürfen, und erhielt sie. »Mir ist’s,« sagte er, indem er es betrachtete, »als wäre das Blatt da ein Spiegel, in dem sich der Wasserfall, nebst Felsen und Bäumen, im kleinen abspiegelte. Wie silberhell das Wasser aus dem gespaltenen Felsen hervorschießt und wie schön sich der weiße Schaum unten zwischen den bemoosten Steinen kräuselt! Wie frisch und grün das zarte Moos an diesem Steine da ist! Man meint, man könne es wegrupfen. Wie keck diese rauhen Tannen emporstarren! Und da haben Sie überdies noch einen Hirsch hergemalt, der aus dem Bache trinkt. Wie leicht der auf den Füßen steht! Man sieht es ihm an, wie flüchtig er über Stock und Stein wegsetzen kann. Die Hirsche, die ich male, stehen so lahm da, als wollten sie alle Augenblicke umfallen. Ich weiß kein rechtes Leben in sie hinein zu bringen.«
Der Maler hatte an den ungeheuchelten Lobsprüchen des Knaben und noch mehr an dessen Gefühl für Kunst ein großes Wohlgefallen. Er sagte lächelnd: »Du bist also, wie ich merke, auch ein kleiner Maler?« » Ach,« sagte Anton, »bisher meinte ich wohl gar, ich sei kein kleiner, sondern ein großer Maler. Jetzt sehe ich aber wohl, daß ich gar keiner bin.« Der Maler sagte: »Ich wünschte deine Malereien doch zu sehen. Ich werde dich nächstens besuchen, und da mußt du sie mir zeigen. Wer sind deine Eltern und wo bist du zu Hause?« »Ach,« sprach Anton, »ich bin ein armer Waisenknabe. Der Herr Förster Grünewald hat mich aber an Kindesstatt angenommen.« »Nun,« sagte der Maler, »da bist du wohl mit ihm verwandt, ein Brudersohn oder ein Schwestersohn?« »Nein,« sagte Anton, »ich kam ganz landfremd in sein Haus; er und seine Frau nahmen mich aber sogleich auf und hielten mich wie ihr eigenes Kind.« »Das ist viel, sehr viel!« sagte der Maler. »Doch wie kam denn dies?« Anton erzählte seine Geschichte ausführlich. Der Maler hörte ihm aufmerksam zu und sagte am Ende: »Der Förster und seine Frau müssen sehr edle Menschen sein. Grüße sie mir, und sage ihnen, morgen des Tages werde ich sie besuchen, um ihnen im Namen der Menschheit für die Liebe, die sie dir erweisen, zu danken.«
Der Maler hieß Riedinger und war vor ein paar Tagen auf dem fürstlichen Jagdschlosse angekommen, um da einige alte Gemälde aufzufrischen. Er benützte diese Gelegenheit, eine und die andere Waldgegend, die ihm besonders gefiel, abzuzeichnen. Sogleich am Abende des folgenden Tages besuchte er den Förster. Beide biedere Männer fanden bald, daß sie eines Sinnes waren, und wurden Freunde. Der Maler wollte nun Antons Zeichnungen sehen. Die Försterin lobte sie ausnehmend. »Glauben Sie mir,« sagte sie, »sie sind unvergleichlich.« Allein Anton stand errötend an der Thür und sagte: »Herr Riedinger, Sie werden sehen, daß sie ganz und gar nichts heißen.« Der Maler ermunterte ihn aber, sie zu zeigen, und Anton brachte sie. Herr Riedinger betrachtete eine nach der andern sehr bedachtsam und lächelte einige Male. Wiewohl er vieles daran auszustellen hatte, so gefielen sie ihm dennoch sehr. »Wahrhaftig,« sagte er, »es steckt ein Maler in dem Knaben. Herr Grünewald, überlassen Sie ihn mir. Sie sollen Freude an ihm erleben.« »Topp!« sagte der Förster und schlug ein. »Ich habe schon lange nachgesonnen, was der Knabe werden solle. Er ist nun bereits im vierzehnten Jahre und in der Schule zu Äschenthal ist für ihn weiter nichts mehr zu lernen. Zu einem Jäger ist er zu zart und zu mitleidig. Er artet mehr seiner sanften Mutter nach, als seinem tapfern Vater. Wenn Sie also meinen er gebe einen guten Maler ab, so nehmen Sie ihn immerhin in die Lehre. Wie viel verlangen Sie Lehrgeld?« »Lehrgeld!« sagte der Maler. »Davon kann keine Rede sein. Sie gaben mir zuerst ein Beispiel, wie man sich armer Waisen annehmen müsse. Eine edle That zieht immer andere nach sich, wie eine Kerze andere anzündet. Das ergibt sich alles ganz natürlich. Lassen Sie es also gut sein. Sobald ich mit meiner Arbeit auf dem Schlosse fertig bin, fährt Anton, wenn er anders Lust hat, mit mir in die Stadt, und ich werde keine Mühe sparen, ihn zu einem Künstler zu bilden.«
Anton hüpfte fast vor Freude. Als indessen nach einigen Tagen der Maler in einer Kutsche vor das Haus gefahren kam, ihn mitzunehmen, weinte der gute Knabe doch recht herzlich. Allein der Förster sprach: »Weine nicht, Anton. Es ist ja nur ein Sprung in die Stadt. Wir besuchen dich öfter, und auch du kannst uns an Sonn- und Feiertagen leicht besuchen. – Ja, das bedinge ich mir noch aus,« sprach er zu Herrn Riedinger, »daß Anton uns manchmal besuchen, die Weihnachtsfeiertage aber allemal ganz bei uns zubringen dürfe. Sie müssen ihm das erlauben.« »O recht gern,« sagte der Maler, »recht gern: und wenn Sie und die Frau Försterin nichts dagegen haben, so komme ich allemal mit.« Sie gaben sich darauf die Hand. Anton dankte seinen Pflegeeltern. Sie ermahnten ihn, seinen Lehrmeister, der so vieles aus lauter Güte für ihn thun wolle, als seinen Vater zu ehren. Unter den besten Segenswünschen seiner Pflegeeltern und Geschwister stieg Anton in die Kutsche und fuhr mit dem Maler fort.
Der treffliche Maler hielt in allen Stücken Wort. Es war ihm eine Herzenslust, einen so fähigen Schüler zu unterrichten. Auch kam er mit ihm zu dem Förster öfter auf Besuch; ja manchmal blieben sie mehrere Tage, um in dem gebirgigen Walde schöne Gegenden abzuzeichnen. Der Meister konnte seinen Schüler jedesmal nicht genug loben. »Unter uns gesagt,« sprach er zum Förster, »er wird ein Künstler, dem ich das Wasser nicht bieten darf.«
Nach einigen Jahren kam Herr Riedinger mit Anton, der nun mehr ein blühender Jüngling war wieder einmal zu dem Förster in die Weihnachtsfeiertage. Herr Riedinger blieb nach dem Abendessen mit dem Förster und der Försterin etwas länger auf. Anton und die Kinder des Försters hatten sich längst zur Ruhe begeben. Der Förster und die Försterin merkten wohl, daß der Maler etwas auf dem Herzen habe, und es ihnen sagen möchte. Endlich fing er an: »Was Anton bei mir lernen konnte, hat er gelernt. Er muß nun reisen; er muß Italien sehen. Allerdings wird das nicht wenig kosten; allein es lohnt sich der Mühe. Kein Kapital könnte besser angelegt werden. Ich stehe Ihnen dafür, es wird auch reichlich Zinsen tragen und seiner Zeit wieder ersetzt werden. Was eine solche Reise kostet, übersteigt freilich das Vermögen eines Privatmannes. Allein ich habe mir die Sache so ausgedacht: Es versteht sich, daß Anton nicht ganz auf fremde Kosten reise. Er muß selbst etwas verdienen. Indes braucht er doch immer ansehnlichen Zuschuß; denn er muß auch für sich noch freie Zeit behalten, um in der Kunst weiter zu kommen. Was nun mich betrifft, so werde ich das meinige redlich dazu beitragen. Ich habe es mir, von Ihrem Beispiele ermuntert, nun einmal in den Kopf gesetzt, den Anton umsonst zu einem Maler zu bilden. Seine Arbeiten, die er bisher lieferte, sind mir sehr gut bezahlt worden. Dieses Geld habe ich zurückgelegt, und werde es zu seiner Reise verwenden. Allein es reicht bei weitem nicht zu. Wären Sie nun geneigt, das noch Fehlende, das freilich eine nicht geringe Summe betragen kann, daraufzulegen? Ein gutes Werk, das man angefangen hat, muß man auch vollenden.« Er bot dem Förster die Hand hin, erwartend, er werde einschlagen. Der Förster hatte an Antons Wohlverhalten und seinen Fortschritten in der Kunst hohe Freude. Er besaß ein ziemliches Vermögen. Er blickte seine Hausfrau an. Sie nickte. Der Förster schlug ein und sagte: »Nun wohl, wenn die Summe mein Vermögen nicht übersteigt, so will ich sie ausbezahlen.« Er wurde ein Überschlag gemacht, was die Reise kosten könnte, und einmütig beschlossen, Anton solle künftigen Frühling die Reise antreten.
Der Maler fuhr am nächsten Morgen mit Anton im Schlitten zurück in die Stadt. Der Förster und die Försterin machten aber den Winter über Anstalten zu Antons bevorstehender Reise. Der Förster kaufte Tuch ein, um seinen Pflegesohn hinreichend mit wohlanständiger Kleidung auszustatten. Auch suchte er seinen eigenen Reisekoffer hervor, und ließ ihn mit Rehfell neu überziehen. Die Försterin und ihre zwei Töchter nähten und strickten sehr emsig, den Anton reichlich mit Leinenzeug und Strümpfen zu versehen. Zu Anfang des Frühlings mußte Anton noch einige Tage bei seinen Pflegeeltern zubringen. Sein Pflegevater gab ihm in dieser Zeit noch viele gute Ermahnungen und Klugheitslehren, und war gegen ihn ganz ungemein liebreich. Der gute Mann nahm sich selbst die Mühe, den Koffer zu packen. So oft ihm die Försterin ein neues Kleidungsstück hinreichte, wurde Anton aufs neue gerührt. »Ach wie vieles – wie gar so vieles thun Sie an mir!« sagte er. »Meine eigenen Eltern, wenn sie noch lebten, könnten nicht mehr für mich thun!« Der Koffer wurde an einen berühmten Maler, dem der Herr Riedinger den Anton empfohlen hatte, vorausgeschickt. Denn Anton wollte die ganze Reise zu Fuß machen. Christian, Antons Herzensfreund, hatte aber noch für ein kleines Felleisen gesorgt, in dem Anton das Notwendigste zum täglichen Gebrauche mitnehmen konnte.
Endlich kam der Abschiedstag; Anton wollte nach Tische zu Herrn Maler Riedinger in die Stadt gehen, und von da aus dann weiter reisen. Die Försterin bereitete ein Abschiedsmahl, und alle speisten noch einmal miteinander zu Mittag. Es war ein freundliches, rührendes Familienfest. Der Förster blickte in dem kleinen Kreise umher. Es herrschte eine wehmütige Stille. »Nicht doch, meine Söhne und Töchter,« sprach er, »seid nicht so traurig; und auch du, gute Mutter, trockne diese Thräne da ab. Es ist nun einmal so! Die Söhne, zumal wenn sie bereits erwachsen sind, müssen hinaus in die Welt; und auch ihr, meine Töchter, seid bald in dem Alter, wo ihr vielleicht das väterliche Haus verlassen werdet. Doch, wenn uns auch Berg und Thal dem Leibe nach trennen, im Geiste bleiben wir immer vereinigt. Und so traurig der Abschied auch sein mag, das Wiedersehen, das uns hier oder dort nie ausbleibt, ist dann desto freudiger!« Der edle Mann wußte durch fröhliche Gespräche alle wieder zu erheitern. Er ließ eine Flasche guten Wein bringen, von dem er sonst nur an Festtagen trank. Er schenkte der Mutter und den beiden Töchtern, obwohl alle drei sich weigerten, davon ein. »Den Traurigen gib Wein!« sagte er lächelnd. Anton und Christian boten ihre Gläser her, ohne sich lange nötigen zu lassen. Am Ende der Mahlzeit nahm der Förster sein Glas und sagte: »Nun, Anton, stoß an – auf eine glückliche Wanderschaft und ein fröhliches Wiedersehen!« »Das gebe Gott!« sagte die Försterin, stieß an und trank ein klein wenig. Christian, Katharine und Luise stießen auch mit an. Allen standen die Thränen in den Augen. Anton war am gerührtesten. Er konnte die Thränen nicht mehr zurückhalten und sagte: »O meine liebsten Eltern, wie vielen Dank bin ich Ihnen schuldig! Was wäre ich ohne Sie! Ach, ewig kann ich es Ihnen nicht vergelten, was Sie an mir gethan haben. Gott wolle Ihr Vergelter sein! Er wolle mich einst instandsetzen, für das unaussprechlich viele Gute, das Sie an mir thaten, Ihnen und meinen lieben Geschwistern meinen Dank durch die That zu bezeigen.«
»Ja, lieber Anton,« sagte der Förster, »ich kann es dir nicht verhehlen, wir thun viel an dir; und wenn ich deine Geschwister hier so ansehe – so möchte ich fast sagen, zu viel. Denn was mich und meine geliebte Hausfrau betrifft, so brauchen wir wohl wenig mehr. Unsere Haare sind bereits grau. So lange wir noch leben, haben wir wohl noch Brot. Allein, mein lieber Anton, wenn eines oder das andere deiner Geschwister einmal in Not kommen sollte, so vergiß nicht, wie wir dir aus der Not geholfen haben, und laß sie nicht in der Not stecken. Gib mir die Hand darauf, Anton! Nicht wahr, du verlässest deine Geschwister nicht?« »O lieber Vater!« rief Anton, indem er dem Förster die Hand reichte, »ich müßte ja der undankbarste Mensch von der Welt sein, wenn ich Ihrer Wohlthaten je vergessen könnte. O gewiß! Ihre Liebe ist mir ewig unvergeßlich. Meine größte Glückseligkeit auf der Welt soll es sein, Ihnen, lieber Vater, meiner besten Pflegemutter oder meinen lieben Geschwistern Gutes erweisen zu können.«
»Ich glaube dir, Anton,« sagte der Förster; »doch – nun ist es Zeit, daß wir scheiden.« Er stand auf und sprach: »Knie nieder, lieber Sohn, damit ich dir noch den väterlichen Segen gebe.« Anton kniete nieder. Der Förster erhob seine Augen zum Himmel; es war etwas Ehrwürdiges und Feierliches in seinem Angesichte und seiner Gestalt. Er segnete den Jüngling und sprach: »Gott begleite dich auf allen deinen Wegen, bewahre dich vor Sünde, und führe dich gut und unverdorben wieder in unsere Arme zurück.« Die Mutter und die Kinder standen alle mit gefalteten Händen und weinenden Augen andächtig umher, und sagten mit gerührtem Herzen: »Amen!« Der Förster hob den Anton auf, schloß ihn in die Arme und sagte: »Nun – zieh hin und Gott sei mit dir! Habe ihn stets vor Augen – und vergiß nicht, daß sein allsehendes Auge dich überall sieht. Halte dich für zu gut, Böses zu thun. Die Güter und Lüste dieser Welt sind es nicht wert, daß wir ihrethalben unser Gewissen beschweren. Gedenke, daß wir nicht für diese kurze Zeit, die wir auf Erden zu leben haben, geschaffen sind, und daß eine Ewigkeit sei. Meide nicht nur das Böse, sondern auch jede Gelegenheit Böses zu thun. Besonders fliehe solche Menschen, die über den frommen Glauben unserer Voreltern spotten und sich über reine Sitten lustig machen. Noch einmal – lebe wohl und Gott sei mit dir.«
Die Försterin sagte mit Augen voll Thränen: »Anton! Sieh diese meine rotgeweinten Augen, diese meine nassen Wangen! Um dieser Thränen willen bleibe Gott ergeben, gut und rechtschaffen. Gedenke dieser Thränen, wenn du in Versuchung kommst, Böses zu thun. Bisher hast du uns nur Freude gemacht; betrübe uns nie. So herzlich ich jetzt weine, so fühle ich dabei doch vielen Trost! Aber wenn wir je etwas Unrechtes von dir hören sollten, dann würden ich und wir alle, die bittersten Thränen weinen. Vergiß unserer treuherzigen, väterlichen und mütterlichen Ermahnungen – und der letzten Ermahnungen deiner seligen Mutter – in deinem Leben nicht, und nun lebe wohl.«
Die ganze Familie begleitete den tief gerührten, traurigen Jüngling noch eine weite Strecke Weges, fast bis zu Ende des Waldes. Endlich sagten sie ihm alle noch einmal Lebewohl! Anton ging – sie aber blieben stehen. Er sah noch sehr oft um, und winkte ihnen mit dem Hute. Der Förster und Christian winkten ihm auch mit ihren Hüten, und die Försterin und die zwei Töchter mit ihren weißen Tüchern, bis er endlich mit seinem Wanderstab in der Hand und seinem Felleisen auf dem Rücken hinter einem waldigen Hügel verschwand.