Christoph von Schmid
Wie Heinrich von Eichenfels zur Erkenntnis Gottes kam
Christoph von Schmid

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Vierzehntes Kapitel.

Die getröstete Mutter.

Die gute, edle Gräfin lebte indes auf ihrem Schlosse Eichenfels voll Traurigkeit und Bekümmernis. Sie hatte die Friedensbotschaft sogleich vernommen, und hoffte nun ihren Gemahl bald zu sehen. Sie brach aber darüber in Thränen aus. »Ach, du mein Gott,« sprach sie, »ich bin doch recht unglücklich! Was alle Welt mit Freuden erfüllt, macht mir unaussprechlichen Jammer. Jede arme Söldnersfrau freut sich auf die Zurückkunft ihres Mannes – und ich kann an die Ankunft meines Gemahls nicht ohne Schrecken denken. Ach, welch ein Jammer wartet auf ihn: wie werde ich ihm die schreckliche Geschichte von dem Verluste des Kindes beibringen! O für uns beide schlägt in dieser Welt wohl keine freudige Stunde mehr!«

Es war ihr immer ganz unbeschreiblich bange. Sie fand nirgends Rast und Ruhe. Sie ging bald von einem Zimmer in das andere, bald in die Schloßkapelle, bald in den Garten. Wo sie ging und stand, betete sie in ihrem Herzen zu Gott. Im Gebete, in dem Gedanken, daß Gott alle Schicksale der Menschen lenke, und die verworrensten Begebenheiten zu einem glücklichen Ausgang leiten könne, fand sie allein Beruhigung.

»Du guter Gott,« sagte sie, da sie sich eben wieder in die dunkelste Laube des Gartens zurückgezogen und lange schmerzlich geweint hatte, »o erbarme dich doch meiner, erbarme dich meines Gemahls, mache du dieser meiner schrecklichen Qual ein Ende; denn du kannst es allein! O laß unser Wiedersehen in Freude sein. Du hast aus den weisesten Absichten Vater und Mutter und Kind von einander getrennt und weit in der Welt zerstreut; o schenke uns unser liebes Kind wieder und führe uns alle drei wieder zusammen! Du hast schon unzählige Thränen getrocknet; o trockne auch die meinigen! Du bist ja der Allbarmherzige, und Leid in Freude zu verwandeln, ist dein liebstes Geschäft. O Vater, Vater, liebster Vater! so sündig ich bin, so bin ich doch auch deine Tochter und darf dich Vater nennen, und nenne dich auf das Geheiß deines Sohnes getrost Vater. O du liebst mich gewiß mehr, als ich mein Kind! O höre, höre mich, und verstoße dein Kind, deine Tochter nicht, die keine andere Zuflucht hat, als dich.«

Indem sie so betete, hörte sie einen Fußtritt. Sie blickte auf, und sieh, Margareta, die eben mit der übrigen Gesellschaft angelangt war, kam den langen düstern Bogengang des Gartens herab, gerade auf die Laube zu. Ein Strahl der Hoffnung fiel in das Herz der Gräfin, als sie Margareta erkannte, und das heitere Gesicht des Mädchens erblickte; es war ihr, als sähe sie einen Engel des Himmels. »O beste, gnädige Gräfin,« fing Margareta an, »ich bringe Euch die fröhlichsten Nachrichten von Eurem lieben Heinrich. Er lebt – und bald werdet Ihr ihn wieder sehen.« Margareta hatte kaum angefangen zu erzählen, so trat Vater Menrad in die Laube, um die Gräfin auf die Ankunft ihres Sohnes und Gemahls vorzubereiten. Der kluge Mann wußte alles sehr weislich einzulenken. Die Gräfin war nun voll freudiger Hoffnung, ihren Gemahl und ihren Sohn in einigen Tagen zu sehen, und führte Vater Menrad in das Zimmer, das sie einst mit Heinrich bewohnt hatte.

Als sie nun die Thüre öffnete, sieh, da eilte ihr Gemahl mit ihrem Sohne Heinrich auf dem Arme ihr entgegen. Sie konnte nichts als die Worte hervorbringen: »O, mein Gemahl! O, mein Kind!« und sank dem Grafen in die Arme. Sie weinte lange sprachlos, und benetzte bald das Angesicht ihres Kindes, bald das ihres Gemahls mit den süßesten Thränen. »Nun will ich gern sterben,« sagte sie endlich, »da ich dies noch erlebt habe! O wie wunderbar weiß doch Gott alles zu lenken. Ich zitterte, dir, liebster Gemahl, ohne unsern lieben Heinrich entgegen kommen zu müssen, und nun bringst du im ersten Augenblick des Wiedersehens ihn mir auf deinen Armen entgegen! – O Gott, in meinem ganzen Leben kann ich dir nicht genug danken, daß du diese schreckliche Geschichte so freudig geendet hast. Mein Leben lang will ich in keinem Leiden mehr verzagen. Du weißt am Ende alles recht zu machen. – O mein Heinrich, was für ein lieber Knabe bist du indes geworden! O mein Gemahl, welch' ein seliges Wiedersehen hat Gott uns allen dreien bereitet! Er hat uns alle drei von einander getrennt; er hat uns wunderbar wieder zusammengeführt. Ihm sei Anbetung, Lob und Dank!« Alle drei weinten Thränen der Freude und des Dankes gegen Gott; Margareta weinte mit, und auch Vater Menrad konnte, innigst bewegt, sich der Thränen nicht enthalten.

Nachdem sich die erste ungestüme Freude etwas gelegt hatte, fing Heinrich an, der Mutter seine Geschichte zu erzählen. Er that es mit großer Lebhaftigkeit und die Mutter mußte bald weinen und bald lächeln. Besonders lebendig schilderte er den Augenblick, wie es ihm war, da er durch den Felsenriß das erste Mal in die Welt eintrat. Mit noch mehr Freude und Rührung sprach er aber von jenem unvergeßlichen Augenblicke, da Vater Menrad ihm das erste Mal von Gott sagte, und es standen ihm, während er redete, immer die hellen Thränen in den Augen.

»Wahrhaftig,« sprach der Graf, »ich wünschte bald, meine Kindheit auch in einer solchen Höhle zugebracht zu haben. Wir sind des Anblicks der herrlichen Werke Gottes zu gewohnt. – O, daß wir Gottes Werke auch so, wie Heinrich, auf einmal und nachdem wir bereits zur Vernunft gekommen, erblicken könnten, welchen übererwältigenden Eindruck würden sie auf uns machen! Du guter Gott, wie würden wir über deine Macht erstaunen, deine Weisheit bewundern, uns deiner Güte freuen! Wie würden wir es bei dem Anblicke deines schönen Himmels und deiner wundervollen Erde fühlen: Was so zu Herzen geht, muß aus irgend einem liebevollen Herzen kommen!«

Die Gräfin sagte: »Wie es dem guten Heinrich war, als er aus seinem unterirdischen Aufenthalte das erste Mal auf Gottes schöne Erde herauf kam, so wird es uns einmal sein, wenn wir aus diesem Erdenleben in den Himmel versetzt werden. Denn ich denke, wie Heinrichs Spielzeuge – jene Blumen und Lämmer und Bäume, an denen er in seiner Höhle doch manche Freude hatte – nur sehr unvollkommene Abbildungen dieser herrlichen Werke Gottes selbst waren, so mögen wohl alle sichtbaren Schönheiten und alle Freuden dieser Welt kaum ein Schatten gegen die Schönheiten und Freuden des Himmels sein. Nur die Freude auf Erden, unsere Geliebten nach langer schmerzlichen Trennung wiederzusehen, mag uns ein wahres Vorgefühl geben von jener Freude des Himmels, unsere verstorbenen Freunde dort wiederzusehen; denn wirklich fühle ich mich in dieser Stunde des Wiedersehens so selig, als wäre ich bereits in dem Himmel!«

Der ehrwürdige Vater Menrad sprach: »Ich finde die Empfindungen des edlen Herrn Grafen und der frommen Frau Gräfin schön und erbauend. Allein die eigentliche Lehre, die uns in Heinrichs Geschichte vor Augen gelegt wird, bleibt diese: Die Weisheit, Güte und Freundlichkeit Gottes leuchten aus Himmel und Erde so klar und deutlich hervor, daß sogar ein Kind die Spuren davon wahrnehmen und den Schöpfer in den Geschöpfen erkennen kann.«


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