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Quantentheorie und Erkennbarkeit der Natur.

(Zuerst erschienen in »Erkenntnis«, Bd. 6, Leipzig, 1937).


Wir stimmen wohl alle darin überein, daß Naturerkennen heißt: Naturgesetze aufstellen. Und wir sind wohl auch darin einig, daß wir unter einem Naturgesetz eine Formel verstehen, die uns erlaubt, Ereignisse vorauszusagen. Die Welt ist also genau so weit erkennbar oder begreifbar, als es möglich ist, gültige Prophezeiungen über ihr Verhalten zu machen. Wie immer man nun auch die Folgerungen formulieren möge, die sich aus der Quantentheorie für das Kausalprinzip ergeben, so ist es doch sicher, daß diese Theorie die Möglichkeit der Voraussagung physikalischer Vorgänge in ganz bestimmter Weise einschränkt. Die Quantenphysik lehrt unerbittlich: die exakte Vorausberechnung künftiger Ereignisse in allen Einzelheiten ist prinzipiell unmöglich. Sie setzt also der Erkennbarkeit der Natur eine unübersteigbare Grenze. Es ist eben die Grenze der Möglichkeit kausaler Vorherbestimmung.

Der Mensch ist ein merkwürdiges Wesen. Einerseits erfüllt jeder Fortschritt der Erkenntnis ihn mit hoher Freude und jede Möglichkeit eines weiteren Fortschritts begrüßt er hoffnungsvoll; anderseits aber verschafft es ihm auch oft eine geheime oder offene Befriedigung, wenn er erfährt, daß er nicht alles wissen kann, daß er auf eine restlose Erkenntnis der Welt verzichten muß. Er glaubt offenbar zu fühlen, daß die Lücken seiner Erkenntnis Platz lassen für seinen Glauben und gewissen Hoffnungen zugute kommen. In diesem Sinne hat z. B. Kant gesagt, daß er das Wissen aufheben mußte, um für den Glauben den Platz frei zu bekommen. Und in diesem Sinne haben auch einige moderne Autoren die von der neuen Physik aufgezeigten Lücken in der Kausalität begrüßt, weil sie meinten, dadurch Spielraum für gewisse metaphysische Lieblingsideen zu finden, wie die sogenannte Willensfreiheit oder die Annahme von geistigen Substanzen. Ich erwähne z. B. A. S. Eddington. Aber auch solche Forscher, die in gar keiner Weise zur Mystik oder Metaphysik neigen, haben gern und mit Nachdruck hervorgehoben, daß die Methoden und Ergebnisse der neuen Physik geeignet seien, Licht zu werfen auf gewisse Fragen, welche die Philosophen beunruhigten, nämlich auf die Probleme der Abgrenzung des Subjekts vom Objekt, des Psychischen vom Physischen, des Organischen vom Anorganischen. Und zwar ist es gerade die eingeschränkte Anwendbarkeit des Kausalbegriffs, und folglich die Einschränkung der Erkennbarkeit der Natur, aus der man Konsequenzen für jene philosophischen Fragen ziehen will. Wohlbekannt und berühmt sind bereits die – nach meiner Meinung wirklich tiefen – Gedanken von Bohr, durch die er uns darauf gefaßt machen möchte – wenn auch nur in ganz vorsichtiger Weise –, daß wir vielleicht auf ein völliges Verständnis des psychophysischen Verhältnisses und der Gesetze der lebendigen Substanz werden verzichten müssen. Es entsteht also der Anschein, als ob auch auf diese Weise der Erkennbarkeit der Natur eine unerwartete Grenze gezogen würde.

An diese Gedanken schließen sich die folgenden Betrachtungen an. Meine Absicht ist dabei nicht eigentlich, an den Gedanken selbst Kritik zu üben (obwohl ich z. B. glaube, daß die Frage nach der Beziehung des Psychischen zum Physischen zu Unrecht in die Überlegungen hineingezogen wird und jedenfalls mit der Beziehung von Beobachter und Beobachtetem, wie sie für die Quantentheorie wichtig ist, nichts zu tun hat); – sondern ich möchte nur den möglichen Sinn solcher Behauptungen recht deutlich machen, insbesondere die Bedeutung des Wortes »Unerkennbarkeit« in diesem Zusammenhange präzisieren und dadurch naheliegende Mißdeutungen abwehren. Dabei glaube ich ganz in Übereinstimmung zu bleiben mit den Schöpfern der in Frage kommenden Grundbegriffe, also besonders Niels Bohr, aber auch mit Heisenberg. Ich sehe also meine Aufgabe im Interpretieren, nicht im Korrigieren.

Wenn ein Philosoph der Vergangenheit von »Grenzen des Erkennens« sprach, so geschah das im Tone des Bedauerns oder der Resignation. Es bedeutete den Hinweis auf ein Rätsel, das zwar eine Lösung hat, aber eine solche, deren Auffindung dem Menschen versagt ist. Wenn z. B. Kant die Unerkennbarkeit der »Dinge an sich« behauptete, so war er der Meinung, daß die Frage nach dem Wesen der Dinge an sich ein sinnvolles Problem sei, dessen Lösung auch von anders organisierten Wesen prinzipiell gefunden werden könne (nämlich von Wesen, die, wie er sich ausdrückte, mit »intellektueller Anschauung« begabt wären). Für den Kantianer bestand also Grund zur Klage darüber, daß sein Erkenntnisvermögen zur Ergründung wichtiger Wahrheiten nicht ausreichte. Und dieselbe Klage findet man auch sonst bei vielen Denkern.

Von ganz anderer Art aber ist die »Unerkennbarkeit« der Natur, welche die Quantentheorie behaupten muß. Die Unmöglichkeit einer uneingeschränkten Anwendung des Kausalprinzips, welche sie lehrt, ist völlig unvergleichbar mit der von Kant behaupteten Unmöglichkeit, etwa Kausalaussagen über die »Dinge an sich« zu machen. Denn sie bedeutet nicht wie diese eine zu beklagende Begrenzung menschlicher Erkenntnisfähigkeit, sondern drückt eine objektiv bestehende Eigenschaft der Natur aus. Wenn die Quantentheorie die Vorausberechenbarkeit von Ereignissen innerhalb gewisser Grenzen prinzipiell leugnet, so heißt dies nicht, daß uns eine vollkommene Einsicht in bestehende Zusammenhänge im Prinzip verschlossen sei, sondern es heißt, daß gewisse Zusammenhänge eben nicht bestehen. Mit Recht hat man oft darauf hingewiesen, daß der Begriff der Wahrscheinlichkeit in der neuen Physik eine ganz andere Rolle spielt als etwa in der kinetischen Gastheorie. In der letzteren wird die Naturbeschreibung mit Hilfe statistischer Mittelwerte eingeführt sozusagen faute de mieux, weil wir nicht imstande sind, die Elementarvorgänge im einzelnen zu verfolgen (freilich auch, weil wir uns für sie nicht interessieren); wir verzichten also auf die Einsicht in die feineren Molekularprozesse, ohne natürlich deren Existenz zu bezweifeln. In die Quantentheorie dagegen wird die Wahrscheinlichkeitsbetrachtung nicht als Folge eines derartigen Verzichtes eingeführt, sondern hier ist sie die adäquate Beschreibungsmethode; es gibt nicht neben ihr noch eine selbständige Gesetzmäßigkeit der Elementarprozesse, die uns verborgen bliebe. Die Quantengesetze erheben den Anspruch auf eine vollständige, restlose Beschreibung der Natur in dem Sinne, daß sie im Prinzip alles sagen, was sich überhaupt in irgendeiner Sprache über irgendeinen Naturprozeß sagen läßt.

Und so ganz allgemein: Wenn wir sagen, daß nach den Prinzipien der Quantenphysik die Erkennbarkeit der Natur irgendwie begrenzt sei, so ist das niemals so zu verstehen, als ob jenseits der Grenze noch etwas liege, das uns nun ewig verborgen bleiben müsse. Es handelt sich nicht um eine Grenze zwischen bekannten und ewig unbekannten Naturgesetzen, sondern die Grenze der Erkennbarkeit ist zugleich die Grenze der Gesetzmäßigkeit der Natur.

Die Aussagen der Relativitätstheorie sind von Laien oft so mißverstanden worden, als würde durch sie eine Subjektivität im philosophischen Sinne in die Naturbeschreibung eingeführt, also eine Abhängigkeit der Gesetze vom Geiste oder von der Willkür des Beobachters, während natürlich in Wahrheit alle Aussagen der Theorie durch die Aufzeichnungen von Registrierapparaten zu verifizieren sind, also vollkommen objektiven Charakter haben. Genau das gleiche gilt auch für die Unbestimmtheitsrelationen der Quantentheorie. Auch sie sagen etwas über das objektive Verhalten der Natur, sie sind nicht der Ausdruck einer subjektiven Beschränktheit des Beobachters, einer Begrenztheit der Erkenntnisfähigkeit des Menschen, die für andere Wesen, etwa Maxwellsche Dämonen, nicht zu existieren brauchte. Dies geht ja schon daraus hervor, daß die zur Begründung und Bestätigung jener Relationen dienenden Erfahrungstatsachen immer durch photographische Registrierung fixiert sind, daß also die eigentliche »Beobachtung« im physiologischen Sinne des Wortes auf die Betrachtung eines photographischen Films oder einer Platte hinausläuft, auf einen Prozeß mithin, der in den entscheidenden Überlegungen keine Rolle spielt und gänzlich außer Betracht gelassen werden kann. Der Umstand, daß alle Beobachtungsprotokolle letzten Endes Ereignisse in dem gewöhnlichen Raume und der Zeit des täglichen Lebens beschreiben, ist mit Recht oft hervorgehoben worden, um die Unentbehrlichkeit der »klassischen« Begriffe darzutun. In diese müssen die Begriffe der Quantenphysik schließlich immer dort ausmünden, wo die Theorie mit den Tatsachen der Erfahrung verglichen wird, denn die klassischen Begriffe dienen gleichsam definitionsgemäß zur Darstellung der sinnlichen Erfahrungen, die ja im alltäglichen Raum und in der alltäglichen Zeit stattfinden.

Man braucht die quantentheoretischen Begriffe, um gewisse Erfahrungsdaten (nämlich die Versuchsbedingungen) mit gewissen anderen Erfahrungsdaten (nämlich den Versuchsresultaten) verknüpfen zu können. Dabei stellt sich heraus, daß diese Verknüpfung nicht in völlig eindeutiger Weise möglich ist, und eben dies drücken wir aus, wenn wir von einer Preisgabe der strengen Kausalität sprechen. Die Unbestimmtheitsrelationen legen für die Versuchsresultate, also für die Werte der gemessenen Größen, einen ganz bestimmten Spielraum fest, dem objektive Bedeutung zukommt; sie betreffen nicht ein subjektives Nichtwissen.

Die populären Erläuterungen, durch die man das Wesen jener Relationen klarzumachen sucht, werden vom Laien oft in subjektivistischem Sinne mißdeutet. Wenn er z. B. hört, daß es unmöglich sei, den Ort und den Impuls eines Elektrons gleichzeitig mit beliebiger Genauigkeit zu messen, so ist er geneigt zu glauben, daß das Elektron »in Wirklichkeit« wohl in jedem Augenblick einen ganz bestimmten Ort und Impuls besitze, daß man aber leider darauf verzichten müsse, beides genau kennen zu wollen. In der Tat pflegt man zu sagen, daß man, um den Ort einer Partikel möglichst genau zu ermitteln, möglichst kurzwelliges Licht zu ihrer Beleuchtung verwenden müsse, gerade hierdurch aber die Geschwindigkeit der Partikel sehr stark störe, weil ja der Impuls des benützten Photons seiner Wellenlänge umgekehrt proportional ist. Belichte man dagegen mit langwelligen Strahlen, so werde zwar der Impuls des Elektrons nur wenig beeinflußt und lasse sich daher genauer feststellen, dafür aber müsse man auf exakte Kenntnis des Ortes verzichten. – Aber diese Argumentation, die von der Voraussetzung auszugehen scheint, daß der Partikel ein Ort und eine Geschwindigkeit wirklich zukomme, ist natürlich so zu verstehen, daß eben diese Voraussetzung durch die Argumentation selber aufgehoben wird nach dem Prinzip, daß es in der Physik – und nicht nur in der Physik – sinnlos sei, von Größen zu sprechen, die grundsätzlich nicht feststellbar sind. Der Sinn des Argumentes ist also der, daß die Begriffe »Ort« und »Impuls« auf die Partikel überhaupt nicht anwendbar sind. Man sagt nun gewöhnlich, um dieser Sachlage gerecht zu werden, das Elektron an sich habe weder einen ganz bestimmten Ort noch eine bestimmte Geschwindigkeit, aber durch den Akt der Messung – z. B. mit Hilfe sehr kurzwelligen Lichtes – werde ihm nunmehr ein bestimmter Ort gegeben; oder allgemeiner, es werde durch eine bestimmte Versuchsanordnung oder Beobachtung gezwungen, sich sozusagen zu einem bestimmten Zustand zu bekennen. Jedoch auch diese Ausdrucksweise scheint mir unzweckmäßig. Denn was wirklich geschieht, ist z. B. nur, daß an einer gewissen Stelle einer photographischen Platte eine Schwärzung auftritt, und dies wird erst vermöge einer bestimmten Theorie des Meßvorganges im Instrument als Indizium dafür interpretiert, daß ein Elektron sich an einem ganz bestimmten Orte befunden habe (der von dem Ort der Schwärzung weit entfernt sein kann). Das ist aber natürlich eine nachträgliche Interpretation, die ebensogut durch eine andere Sprechweise ersetzt werden kann, die es nicht so scheinen läßt, als existiere ein gewisser physikalischer Zustand nur relativ zu einer später angestellten Beobachtung, als werde er erst durch diese bestimmt, während er vorher »unbestimmt« gewesen sei.

Welcher Sinn kann überhaupt mit dem Adjektiv »unbestimmt« verbunden werden, wenn es, wie dies in der Quantentheorie geschieht, zur Charakterisierung objektiver Verhältnisse verwendet wird? Es gibt Philosophen, welche behaupten, man könne von einer Unbestimmtheit der Wirklichkeit in dem Sinne sprechen, daß eine sinnvolle Frage über sie nicht mit Ja oder Nein zu beantworten sei, sondern höchstens durch eine Wahrscheinlichkeitsangabe. Das würde bedeuten, daß es sinnvolle Sätze über die Wirklichkeit gäbe, die weder wahr noch falsch sind: diese Auffassung würde also dem Satze vom ausgeschlossenen Dritten widersprechen und ist als gänzlich absurd zu verwerfen. Einen wirklichen Zustand in gewisser Hinsicht als objektiv »unbestimmt« zu erklären, kann vielmehr nur heißen, daß gewisse Sätze über ihn nicht wahr oder falsch, sondern sinnlos seien, und dies bedeutet, daß die in ihnen auftretenden Worte zur Bezeichnung jenes Zustandes überhaupt nicht in Betracht kommen, in bezug auf ihn der Bedeutung ermangeln. In unserem Falle heißt dies, daß es Unsinn wäre, zu sagen, einem Elektron komme wohl z. B. ein Ort zu, aber eben ein unbestimmter. Man muß vielmehr sagen, daß der Begriff des bestimmten Ortes auf die Partikel nicht anwendbar ist, er ist mit seiner Definition nicht verträglich, so wie der Begriff »1 kg schwer« auf den Begriff »Freude« nicht anwendbar ist. Die Nichtanwendbarkeit klassischer Begriffe bedeutet selbstverständlich keine Einschränkung der Erkennbarkeit der Naturvorgänge; wir haben ja statt ihrer die Quantenbegriffe, die eine restlose Naturbeschreibung liefern in dem Sinne, daß sie keine Lücken lassen, die eine Ergänzung zu einer kausalen Beschreibung im alten Sinne gestatten würden.

Nachdem wir uns überzeugt haben, daß die Unbestimmtheitsrelationen innerhalb der Physik nicht so aufgefaßt werden können, als ob sie einen undurchdringlichen Schleier bildeten, der uns dahinter liegende feinere Vorgänge verhüllte, wollen wir uns jetzt klarmachen, daß aus ihnen auch kein Schluß auf die Unerkennbarkeit irgendwelcher Gebiete der Natur gezogen werden kann. Es scheint aber, als ob in einigen Bemerkungen von Bohr ein derartiger Schluß enthalten wäre. Er scheint an einigen Stellen sagen zu wollen, daß eine volle Erkenntnis der Lebensvorgänge uns vielleicht versagt bleiben müsse, weil durch die zu solcher Erkenntnis nötigen feinen Beobachtungen die Lebensvorgänge selbst gestört werden würden. Der beobachtete Organismus würde getötet werden, unserer Erforschung des Lebendigen sei damit eine unüberschreitbare Grenze gezogen.

Diese Meinung stellt natürlich nur eine Vermutung dar und ist von Bohr nur als solche aufgestellt worden. Es ist hier nicht meine Aufgabe, zu untersuchen, ob irgendwelche empirischen Gründe zugunsten dieser Hypothese sprechen; aber ich möchte doch glauben, daß ein solcher Grund nicht erblickt werden kann in der in diesem Zusammenhang meist angeführten Tatsache, daß z. B. für die Entstehung einer Gesichtsempfindung schon einige wenige Lichtquanten als Reiz genügen, daß es also organische Reaktionen von der Größenordnung atomarer Prozesse gebe. Der Umstand, daß die organischen Substanzen meist aus sehr komplizierten Molekülen bestehen, die aus hunderten oder noch mehr Atomen zusammengesetzt sind, macht es wohl nicht gerade wahrscheinlich, daß lebende Zellen sozusagen durch bloßes scharfes Anschauen im allgemeinen abgetötet werden sollten. – Aber wie immer es mit der Richtigkeit der Hypothese stehen möge; wir fragen nur nach ihrem Sinne und danach, ob ihre Richtigkeit eine Erkenntnis der Lebensvorgänge unmöglich machen würde, so daß wir, wie Bohr es ausdrückt, darauf gefaßt sein müssen, »daß das Problem der Scheidung zwischen Belebtem und Unbelebtem sich einem Verständnis im gewöhnlichen Sinne des Wortes entziehen kann«.

Was kann es also heißen, wenn wir sagen, die Lebensprozesse würden durch Beobachtung, etwa mit Hilfe eines »γ-Strahl-Mikroskops«, entscheidend gestört? Bei Besprechung der physikalischen Deutung der Ungenauigkeitsrelationen erschien es uns als eine gefährliche Ausdrucksweise, zu sagen, daß durch eine Messung, die wir als genaue Ortsbestimmung einer Partikel interpretieren, die Bewegung dieser Partikel so »gestört« werde, daß eine Impulsbestimmung dadurch vereitelt sei; denn diese Sprechweise klingt so, als besitze die Partikel eigentlich schon zugleich einen bestimmten Ort und Impuls, nur sei es uns nicht vergönnt, beide wirklich kennenzulernen. Vorhin war uns klar, welche Formulierung in der Atomphysik an die Stelle der zurückgewiesenen Ausdrucksweise zu treten hat – wie aber steht es hier bei der Anwendung auf die Biologie? Die bloße Übertragung physikalischer Erkenntnis auf das Organische liefert nichts Neues; es wurde in der Tat schon öfter darauf hingewiesen (vgl. Ph. Frank, »Erkenntnis«, Bd. V, S. 184; Schlick, ebenda, S. 182), daß jede Anwendung physikalischer Gesetze – also auch der Quantentheorie – auf organische Prozesse nur als ein Schritt zur physikalischen Erklärung der Lebensvorgänge aufgefaßt werden kann, während doch hier gerade ein Schluß auf ihre Nichterklärbarkeit gezogen werden sollte. Niemand wird die Berechtigung der Voraussetzung bezweifeln, daß die Unbestimmbarkeitsrelationen auch für das atomare Geschehen in Organismen gelten und dieses daher nicht durch klassische Begriffe zu beschreiben ist. Die Gültigkeit dieser Voraussetzung kann also nicht den Inhalt der Bohrschen Annahme bilden; der Satz, daß die Lebensvorgänge durch genaue Beobachtung zerstört würden, muß mehr behaupten als Nichtanwendbarkeit der klassischen Physik auf solche Vorgänge; diese würde ja auch, wie vorhin festgestellt, durchaus nicht Unerkennbarkeit bedeuten.

Was also ist der Sinn der Hypothese, daß genaueste Beobachtung eines lebendigen Organismus diesen töten würde? Es ist klar, daß dieser Sinn sich ganz deutlich nur formulieren ließe, wenn man im Besitze einer Definition des Lebens wäre und anzugeben vermöchte, wodurch es sich vom Anorganischen unterscheidet. Solange wir nicht im Besitze eines strengen Kriteriums sind, ist noch gar keine ordentliche Fragestellung vorhanden, und es ist überhaupt keine sachliche Beziehung zur Quantentheorie sichtbar.

In der Tat ist jene Hypothese nur ein vager Ausdruck des vagen Gedankens, daß es in der belebten Natur irgendwie anders zugehe als in der unbelebten. Die sogenannten Vitalisten pflegten diesen Gedanken so auszusprechen, daß sie sagten, ein Organismus sei – im Gegensatz zu einem unbelebten System – eben keine »Maschine«. Auch Bohr erwähnt diese Formulierung; und er interpretiert sie, indem er sagt (»Atomtheorie und Naturbeschreibung«, 1931, S. 14): »Wenn wir dem üblichen Sprachgebrauch gemäß eine Maschine als tot bezeichnen, so bedeutet dies kaum etwas anderes, als daß wir eine für unsere Zwecke ausreichende Beschreibung ihres Funktionierens mit Hilfe der Begriffsbildungen der klassischen Mechanik geben können.« Da nun letzten Endes die klassische Beschreibung auch schon in der anorganischen Natur versagt, so gäbe es streng genommen auch in ihr keine reine Maschine, und dieser Versuch einer Unterscheidung beider Reiche fiele dahin, gerade als eine Folge der Quantentheorie. Wenn aber auch sachlich aus ihr für das Lebensproblem nichts geschlossen werden kann, so gibt sie uns doch – und dies ist offenbar der eigentliche Kern des Gedankens von Bohr – eine psychologische Anregung: sie bringt uns nämlich auf die Vermutung, daß die Situation, die zur Aufstellung der Quantentheorie geführt hat, sich möglicherweise ( Bohr meint sogar: wahrscheinlicherweise) an einer anderen Stelle wiederholen könnte. Wie zur Darstellung gewisser Vorgänge die klassischen Begriffe versagten, ebenso, meint er, könnten bei der Darstellung der Lebensprozesse sowohl die klassischen als auch die Quantenbegriffe versagen. Dann würde es Fragen in bezug auf die Lebensvorgänge geben, die, mit Hilfe jener Begriffe formuliert, sich als Scheinfragen herausstellen würden, ebenso wie in der Quantentheorie etwa die Frage nach dem genauen Ort und gleichzeitigem Impuls eines Elektrons.

Dieser Fall könnte zweifellos eintreten. Und da es immer ein Verdienst ist – und zwar ein philosophisches Verdienst – auf eine neue Denkmöglichkeit hinzuweisen, so haben wir allen Grund, Bohr für diesen Hinweis dankbar zu sein, der uns gewiß vor Dogmatismus und Beschränkung auf zu enge Horizonte schützen kann. Wenn jedoch Bohrs Gedanke so ausgelegt werden sollte, als ob wir darauf gefaßt sein müßten, bei der Erkenntnis des Organischen einem prinzipiell unlösbaren Problem gegenüberzustehen, so müßte diese Interpretation zurückgewiesen werden. Wenn er daher sagt, es könne vielleicht »das Problem der Scheidung zwischen Belebtem und Unbelebtem sich einem Verständnis im gewöhnlichen Sinne des Wortes entziehen« Atomtheorie und Naturbeschreibung, Berlin 1931, S. 77., so möchte ich glauben, daß diese Worte nicht mehr bedeuten sollen als der gleichfalls von ihm ausgesprochene Satz »die strenge Anwendung derjenigen Begriffsbildungen, welche der Beschreibung der leblosen Natur angepaßt sind, dürfte in einem ausschließenden Verhältnis stehen zu der Berücksichtigung der Gesetzmäßigkeiten der Lebenserscheinungen« Ebenda, S. 14, 15.. Denn dieser letzte Satz schließt die Erkenntnis der organischen Gesetzmäßigkeiten keineswegs aus, sondern behauptet nur, daß sie vielleicht mit spezifischen Begriffen formuliert werden müßten, die von den bekannten physikalischen Begriffen sich ähnlich unterscheiden wie die Quantenbegriffe von den klassischen. Und wir müßten zur Aufstellung der organischen Begriffe gelangen können auf einem analogen Wege wie zur Quantentheorie: die Erkenntnis der Unzulänglichkeit der alten Begriffe würde von selbst den Weg zur Konstruktion der neuen weisen.

Prinzipiell kann die Erkenntnismethode in der Biologie von derjenigen der Physik nicht verschieden sein. Auch alle Beobachtungen, die sich an Organismen machen lassen, können klassisch beschrieben werden, und die Aufgabe der Wissenschaft besteht darin, einen Formalismus zu finden, der es gestattet, aus dem beobachteten Verhalten eines Organismus so genau wie möglich sein künftiges Verhalten vorauszusagen (wobei das letztere natürlich auch nur klassisch beschrieben wird). Entweder es existiert ein solcher Formalismus – dann ist er auf dem Wege aller empirischen Forschung, nämlich durch induktives Erraten, auffindbar; oder er existiert nicht – dann würde dies bedeuten, daß keine Gesetzmäßigkeit vorhanden ist, nicht aber, daß eine vorhandene uns ewig verborgen bleiben müßte. Von Unerkennbarkeit der Lebensprozesse kann also keine Rede sein.

Die ganze Frage stellt ein schönes Beispiel für einen wichtigen Grundsatz des konsequenten Empirismus dar, wie er z. B. von der Wiener Schule vertreten wird, für den Grundsatz nämlich, daß nichts in der Welt prinzipiell unerkennbar sei. Es gibt zwar viele Fragen, die aus praktischen, technischen Gründen niemals werden beantwortet werden, aber prinzipiell unlösbar ist eine Frage nur in dem einzigen Falle, daß sie gar keine Frage ist, daß es sich also um ein falsch gestelltes Problem handelt. Die Grenze der Erkennbarkeit ist nur dort, wo nichts mehr da ist, worauf eine Erkenntnis sich richten könnte. Wo die Quantentheorie eine Grenze der Kausalerkenntnis setzt, wo sie uns das Suchen nach weiteren Ursachen aufgeben heißt, da bedeutet das nicht, daß die weiteren noch vorhandenen Gesetzmäßigkeiten uns unbekannt bleiben müßten, sondern es bedeutet, daß weitere Gesetzmäßigkeiten nicht bestehen und nicht gesetzt werden können, weil die Frage nach ihnen sinnlos wäre.

Genug, daß unserer Erkenntnis so viele praktische Schranken gesetzt sind; von einer prinzipiellen Grenze kann nicht gesprochen werden.

 


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