Carl Ludwig Schleich
Das Ich und die Dämonien
Carl Ludwig Schleich

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Die physiologischen Grundlagen zur Erkenntnistheorie

Wir dürften nunmehr weit genug in die Werkstätten geistigen Geschehens eingedrungen sein, um uns daran machen zu können, die größte Zahl allgemeingültiger psychophysischer Definitionen auf hirnmechanistischer Grundlage kurz besprechen zu können, und es wagen zu dürfen, die landläufigen Begriffe dafür in funktionelle Ein- und Umschaltungsprozesse des Schaltwerks der Gedanken aufzulösen. Wobei wir hoffen, daß diesen neuen Definitionen ein besseres Geschick beschieden sein möge, als bisherigen Versuchen der Art. Wir haben aber auch vor den früheren Anläufen zur Einigung über die philosophischen Wortgebräuche für sogenannte Seelenzustände einen gewichtigen Vorsprung, nämlich den einer anatomisch-physiologischen, in den vorherigen Teilen dieses Werkes niedergelegten sicheren Basis einer ganz neuen Betrachtungsweise, die an sich gewiß nicht mehr Wert beanspruchte als irgendeine andere Fiktion oder Hypothese, wenn ihre Brauchbarkeit nicht zu höchst wichtigen Resultaten auf dem Gebiete der praktischen, chirurgischen Betätigung geführt hätte, nämlich der Auffindung neuer Formen der Narkose und der örtlichen Betäubung, welche beide längst die Anerkennung in der Praxis unzähliger Chirurgen gefunden haben. Meine Methode der örtlichen Schmerzlosigkeit ist direkt abstrahiert von meiner Neurogliatheorie, wie ich das oft bekannt habe, sie fußt auf meiner Anschauung von den Hemmungs- und Einschaltungsgesetzen der Flüssigkeiten gegenüber dem Nervensystem. Meine Narkose mit Siedegemischen konnte nicht gefunden werden, bei der unter mir gemeldeten 60 000 Narkosen kein Todesfall sich befand, ohne die Theorie von der Wirkung der narkotischen Substanzen auf die Neurogliafunktion. Daraus resultierten ganz neue Anschauungen über die Natur des Schmerzes als Kurzschlußvorgang sowohl im Nervenleitungs- als im Gangliengebiet der Zentralapparate, eine zum ersten Male schlußkräftige Vereinigung des seelischen wie leiblichen Schmerzes unter einem einheitlichen Gesichtspunkt; daraus erwuchs eine klare Erkenntnis über die Natur des Schlafes und aller schlafähnlichen Zustände, die Erkenntnis vom Wesen des Ichs und vieler seiner Perversionen.Diese Theorie enthüllte ferner das Wesen der Hysterie, das der Jesuitenschulung und des Drilles, und führte zur Auffindung des Bendaschen Hirnmuskels und damit zu ganz neuen therapeutischen Perspektiven zur Heilung der Hysterien, Neurasthenien, Angstneurosen usw. usw. Das ist wohl nur in kurzen Zügen angedeutet – praktisch bahnbrechende Konsequenzen und neue theoretische Erkenntnisse in Hülle und Fülle – Resultat genug, um diese neue mir eigentümliche Denkform zu legitimieren und mir die Berechtigung, nun auch den Versuch einer Neuformung von Denkbegriffen zu wagen, nicht zu bestreiten.

Meine Vorschläge für die neue Postmarkenkonvention philosophischer Terminologie wären also folgende:

Wir wollen fortan den Begriff der Seele aus der Diskussion über die realen psychophysischen Aktionen des Gehirns völlig ausschalten. Sie, die Erbauerin meines leiblich-geistigen Apparates, die unsichtbare, unerkennbare Lenkerin aller Richtungen und Ziele meines individuellen Lebenssteuerrads, die Weberin, welche das goldene Band meiner Lebenseinheit in der Hand hat und allein weiß, wie und in welcher Weise es mich mit dem ewigen Teppich der Allheit verknüpft – sie ist metaphysisch und gehört der dunklen Nachtseite der Erscheinungen an, welche allem Weltgeschehen und -bewegen nun einmal eigen ist, genau so, sagt H. Fricke, der junge geniale Physiker, der kühn genug war, um erfolgreich gegen einen Einstein in die Schranken zu treten, genau so wie der Mond nur eine uns betrachtbare Seite hat. Die andere Hälfte ist okkult für Menschensinne – nicht für seine Ahnung und seinen Glauben – in ewige Nacht gehüllt. So ist auch die Seele metaphysisch und wissenschaftlich ebenso unbetastbar oder unbeweisbar wie Gott. Nur unter Ausschaltung alles dessen, was sie nicht sein kann, wo sie nicht ihren Thron im Leibe oder in allem Organischen oder Unorganischen aufgeschlagen hat, können wir uns den Tempelpforten nähern, hinter denen wir sie vermuten dürfen. Aber der Wissenschaftler muß mit seinen Meß- und Zählapparaten, mit Mikroskop und Mikrotomen, mit Röntgen- und Radiumlaternenschein beiseite schleichen, denn die Tore des Unbekannten springen nicht auf, dessen Türschließer der Tod ist, der jeden einzelnen erst passieren läßt, wenn er selbst sein metaphysisches Teil geworden ist, d. h. als Seele ohne alle Hüllen ihrer einst leiblichen Manifestierung und Inkarnation zu einem diesseits lebenden Individuum.

Gewiß ist sie da. Sie lebt. Sie stieg herab aus den wallenden Dunstschleiern des glühenden Erdballs, ja herab aus den ungeheuren Kristallhallen des Äthers und seiner ewigen Residenz im All, um an dem großen Werke der Vergeistigung der sogenannten Materie, die nichts ist als Partialwirbel, Quantenstrudel, Schaumtröpfchen oder Ursubstanz des Äthers, bestimmt, die tausendfältig hier innewohnenden Ideen einer gewaltigen Künstler-All-Seele mit reinster, höchster Geistigkeit zu erfüllen und sich zu offenbaren, bis alle Wirbel, alle Strudel, alle dem Äther entglittenen luziferischen und mephistophelischen Zusammenrottungen, alles prometheische Fäusteballen gegen die Urmacht wieder einmündet in die unausdenkbar grandiose Ruhe des ewigen Stroms von Ätherflut, die nur rhythmisch ab- und aufschwillt wie der Odem eines schlafenden Gottes. Dieser Schlaf Gottes und seine Träume sind gewiß real, realer als alles, was wir tasten, sehen und wahrnehmen können, aber wir sind nicht Götter, die den Gigantischen, den Ungeheuren, den Urgewaltigen auch nur am Gewandsaume berühren könnten, uns sind seine Sterne, seine Sonnen, seine Welten, seine Erden nur Symbole seiner nur ahnbaren Größe und Macht. Aber das ist Ahnung, Poesie, Religion – ist andres Gebiet als Wissenschaft, obwohl es die großen Naturen unter den Forschern im Leben nie unbetreten gelassen, im Gegenteil frei bekannt haben, daß hier die eigentliche Heimat ihres vollen Menschentums ist.

Das einzige, was wir tun können, um den Einschlag dieser Seele festzustellen und zu erweisen, ist die sorgfältige Aufspürung von Zuständen und Vorgängen im Körperlichen, die nur durch eine metaphysische Richtunggebung und ein dem Körper unmöglich zuzuschreibendes Zweckbewußtsein seiner kleinsten Bestandteile, der Zellen, in einer Weise agieren, daß sie offenbar von einem geheimen Zügelfädchen der allgemeinen Weltrhythmen mit ihrer unahnbaren Bestimmung zusammengehalten und geleitet werden. Mit andern Worten, da die mechanischen Erklärungen sowie die aus Zufall und Gesetzen der »Natur« (welche Gegensätze!) hier völlig versagen, sind wir gezwungen, mit den Gebrüdern Reinke die Existenz und das ständige Eingreifen einer »Richtung« gebenden, gestaltenden Gewalt im Organischen zuzugeben, eine Kraft, die, wie wir sahen, als eine Idee, als Idea plastica, formativa, als ideoplastische Substanz, also als einen geistigen Urgrund der Dinge dargestellt haben. Die Beweise für die Möglichkeit des Entstehens der Welt aus Ideen haben wir in unserm Buche »Gedankenmacht und Hysterie« sowie aus dem »Die Hysterie, ein metaphysisches Problem«, sowie an zahlreichen andern Stellen niedergelegt. Hier soll nur noch einmal betont werden, daß die Brücke, auf welcher für die belebten Wesen der Zauberfuß der Individualseele die Gehege des Körpers betreten hat, der Nervus sympathicus ist, welcher dementsprechend noch die unmittelbarsten Motive des Weltgedankens in sich enthält und sie auf alle Organsysteme überträgt. Er ist der Vermittler des Weltwillens schließlich zum Willen des einzelnen; er weiß um höchste Mathematik, Optik, Chemie, Kunst, Architektur, Dinge die kein noch so gelehrtes Ich bei sich je aufzubringen vermag.

Nach diesen Vorbemerkungen wollen wir nacheinander vom Standpunkte gleichsam eines Gehirningenieurs folgende Fragen zu beantworten suchen: Was ist Geist? Was ist Verstand? Was ist Vernunft? Was ist Sinn? Was ist Gefühl? Was ist Gemüt? Was heißt es: Mit dem Herzen denken? Was sind Stimmungen? Was ist Ethik? Was ist Gewissen?

Die Funktionen der Logik, der Phantasie, des Humors haben wir schon andrenorts besprochen, und es soll das dort gewonnene Resultat den folgenden Definitionen zugrunde gelegt werden. Bei der Definition dessen, was wir Geist nennen wollen, müssen wir einmal für den Augenblick absehen davon, was außerhalb des einzelnen Individuums alles noch als Geist bezeichnet wird, so der Geist einer Nation, einer Versammlung, einer völkischen Einheit, einer Sprache. Ferner von Begriffen, wie Geist der Natur, der Wasser, der Wolken usw. und von den metaphysischen Anerkennungen von Geistern aller Art. Jedoch bedarf der Begriff des Allgeistes, der fast stets gleichbedeutend mit Allseele gebraucht wird, besonderer Berücksichtigung. Wir wollen den Begriff Geist aber zuvörderst streng als den Geist eines einzelnen Menschen, als unsern eigenen Geist, den Geist, den wir begreifen, weil er uns selbst gehört, abgrenzen gegen dasjenige, was wir unsre eigene Seele nennen. Da wir die Seele als etwas Metaphysisches bezeichnet haben, schlagen wir vor, diesen Begriff für die physiologischen Definitionen überhaupt zu streichen und an seine Stelle die Begriffe Gefühl, inneres Gefühl, innere Stimme, besseres Ich, mein Gemüt, mein Herz usw. zu setzen, dessen funktioneller Sinn dann der scharfen Umrahmung bedarf. Denn offenbar kann unsre Individualseele nur ein Teil der Allseele sein, die identisch ist mit der Gesamtidee der Schöpfung, welche jedem Belebten einen goldenen Faden zusendet, an dem die Individualität, als sein Strahlenbündel gleichsam, angeschmolzen erscheint, und welcher der eigentliche Baumeister der Persönlichkeit genannt werden muß. Nach dieser Anschauung ist die Idee jedes Individuums im Schöpfungsplane des Alls stets vorhanden gewesen, im fliehenden Ozeane der Ursubstanz ebenso wie in seinen Wirbelkonzentrationen aller Kräfte, in den Sphären der Gestirne ebenso wie in den Metalldämpfen, die über der schwebenden Urerde lagen. Die konstruktive Idee meines Ichs, meiner Individualität, meiner Persönlichkeit, Leiblichkeit und Geistigkeit muß stets vorhanden gewesen sein, wenn es wahr ist, daß nichts entstehen kann, dessen Idee vorher nicht irgendwie voraus existiert hätte; das ist ja der Platonische Kernsatz, für welchen wir eben den realen Beweis in der Pathologie der Hysterie erstmalig aufgedeckt haben. Von Anbeginn der Welt war mein Geist und Leib gedacht, und die Idee hat sich langsam durch die mittels der Entwicklung immer komplizierter gewordenen Hemmungen hindurchgerungen: sei es nun, daß ich ein Traum eines ruhenden Gottes bin, dessen Zellen die Sterne sein mögen, sei es, daß ein völlig bewußter Geist diese Wunderwelt mit ihrem Zauber und ihrer Qual erschaffen hat. Im ersten Falle wäre das Schlechte, das die Welt aufweist, ihre dunkelböse Nachtseite, die Macht des Widergeistes resp. des Teufels, vielleicht ein Gott beängstigender Traum, wie auch wir und unser Geschick. Was Götter träumen, wird Gestalt, ein phantastischer Einfall Gottes kann die Phänomene des Seins realisiert haben. Im anderen Falle enthält alles Böse einen uns unerklärlichen Plan der Allmacht, falls wir nicht von vornherein zwei miteinander ringende Mächte anerkennen wollen, Gott und Teufel, was logisch die absolute Allmacht Gottes (aber auch des Teufels) antasten würde. Immerhin würde diese Anschauung menschlich dualistisch denkbarer sein als die monistische. Wenn Gott und Teufel um die Suprematie der Weltherrschaft ringen, so wäre die Folge, daß alle Ethik sich auflöste in eine Verpflichtung des Menschen, Gott in diesem Kampfe mit allen Kräften beizustehen. Nicht wir können uns erkühnen, ihn um Hilfe anzurufen, sondern er ersehnt, hofft, verlangt unsern Beistand, weil sein Widerpart (physikalisch gesagt: die Hemmung) dauernd am Werke ist, seine Pläne (die Vorwärtsrichtung der Kraft) dauernd zu durchkreuzen. Nur der Wille der schon durchgeisteten Materie kann ihm helfen, den Sieg zu beschleunigen. Der ungeheure Gedanke des Mitleids mit Gott, das wir empfinden, enthält doch unsre ganze sittliche Bindung, es ist die eigentliche Quelle des kategorischen Imperativs. Denn eine kleine Arena dieses gigantischen Ringens der bösen Mächte ist jede Menschenbrust, der Entscheidungskampf fällt in die riesenhafte Arena des ganzen Weltalls. Wer jeden kleinen Kampftrick des bösen Fechters in sich, seine Finten, seine Verlockungen mit stets wachem Auge zu parieren sucht, der ist ein Faust, um den Gott mit Mephisto gewettet hat. Lernen wir es langsam, den guten Geist des Alls an keiner Kampfstätte die Wette verlieren zu lassen, so haben wir unsre Erdenpflicht erfüllt, und dieser Entschluß kann jeden Augenblick einsetzen, dann helfen wir Gott und dem All!

Dasjenige organische System nun, welches uns die Impulse, den Willen des Alls, seinen Rhythmus übermittelt, die Strombahn, auf welcher Richtung und Ziel der Welt unbewußt ihre Marconi-Weisungen im konstanten Wechselstrom dem geistigen Apparat übermittelt, ist, wir wiederholen es immer wieder, der Sympathikus, der diese Weltallstendenz in feinsten Filigranzweigchen bis in jede Zelle jeden Gewebes, auch zu den Ganglien des Gehirns gelangen läßt. Der Nervus sympathicus und seine Zentrale im Plexus solaris (Sonnengeflecht unter dem Zwerchfell in der Tiefe der Eingeweide). Der Konflikt der individual-egoistischen Vorderhirntätigkeit mit ihren Bestrebungen, nur dem Ich, dieser leicht abschweifenden Synkope des Gesamttaktes des Lebens, zu nutzen und zu dienen, mit dem Grundrhythmus des Alls und seiner Hochspannung zum ewigen Steigern alles Erreichten, dieser Konflikt ist das Gewissen: ein Kurzschluß zwischen dem Zerebrospinalapparat und dem Sympathikus. Hier liegt der feine Mechanismus aller sittlichen Steuerung klar zutage. Denn nicht nur die Naturgesetze binden uns an die Harmonien der Weltsymphonie, auch menschliche Gesetze sollten nie etwas anderes sein als eine Kristallisation, als eine Art Kontrapunktik jener ewigen. Wo sie es nicht sind, kann gerade aus einem reinen Gewissen heraus der Konflikt mit den Gesetzen eine sittliche Pflicht sein: das ist die Tragik der Märtyrer.

Nach dieser unerläßlichen Abschweifung gleichsam in die Physiologie der Ethik, die also im Weltallsrhythmus verankert ist, dessen Metronom (Taktmesser) gleichsam die Pendelschläge des Sympathikus sind, wenden wir uns dem Geistbegriffe wieder zu.

Unser Geist ist danach – im Gegensatz zur Seele – an einen absolut uns bewußten, zum Teil sogar steuerbaren Apparat gebunden. Er ist das Resultat der Gesamtarbeit aller Ganglien- und Nerventätigkeit, sein Wesen ist eine erkennbare Funktion nicht allein des Gehirns, sondern aller nervösen Aktionen, die in der Ichzone der Ganglien besonders kristallisiert erscheinen. Auch der sogenannte Weltgeist hat eine solche uns zugekehrte, belichtete, erkennbare Tagesseite, in der sich Mechanismen abspielen (sämtliche Kräfte, Umlauf der Sterne, Funktion der Naturgesetze), und unser Ganglienapparat ist nichts als eine Vereinigung spezifischer Hemmungen, Widerstände, Prismen und Äolsharfen, in welchen der Geist aller Dinge, ihre offenbarte Idee, zu unserm Geiste spricht, in denen das Geistige der Erscheinungswelt, in die Geistigkeit der menschlichen Empfindungswelt umgesetzt, transformiert wird. Auch hier stellen wir also die Allseele über den Allgeist, auch Allgeist ist schon eine Ideenkonzentration, Ätherwirbel der Ursubstanz, wie unser Geist eine durch den Sympathikus gelieferte Inkarnation unsrer Individualseele ist. Der Sympathikus hat eben aus seinen Gangliensprossen, als Urgehirn, unsre Gehirnzellen entwicklungsgemäß herausgebildet.

Als erstes schuf sich die Seele den Sympathikus, ein unbewußtes Gehirn mit dem Willen des Allgeistes begabt, dieses Gehirnes Abkömmling sein Sproß ist das Schädelhirn, und von ihm stülpte sich das Hautsinneshirn polypenfasernartig in das All zurück.

Auf Grund nachfolgender Tabelle nun können wir folgende Analysen vornehmen:

Die Allseele ist der Urquell alles Geschehens. Er ist metaphysisch. Seine Er-Ahnbarkeit ist Sache der Religion und Kunst. Alles, was diesseitig, menschenzugänglich an ihr ist, ist Allgeist, ist der Beginn rhythmischer Strudel und Wirbel, welche die Kräfte und ihre Widerstände, den Stoff, erzeugen. Der Geist der Welt entsteht durch Bewegung im ruhenden Äther. Von diesem Geiste kann die Wissenschaft nur insofern etwas sagen, als sie die sogenannten Bedingungen studieren kann, unter denen sich der Allgeist, die Urkraft äußert, manifestiert Geist ist gewissermaßen der Apparat des Äthers, wie unser der der Seele ist. Alle Kraft ist durch Widerstände gehemmte Bewegung. Leben ist auch eine, und zwar spezifische Hemmung in der organisierten Eiweiß- und in der Nukleinsubstanz, gegen welche die Ideenwelt des Allgeists anbrandet. Von der Allseele können wir auf der andern Seite ihre Zersplitterung in Milliarden von Teilseelen, Individualseelen ableiten, gleich einem ungeheuren Büschel von goldnen Gespinsten, deren jedes auf eine Wesenheit den Strom der Allseele in die einzelnen Moleküle oder Zellgebiete, in Substanz oder Organisation hineinleitet. Das ist die präformierte Idee vom Stoff und von der Individualität eines jeden, welche sich die leiblichen Widerstände erst erschaffen hat und vermöge ihrer Manifestation durch den Sympathikus das Oberkommando über alles Geschehen im Organismus vorbehält. So ist das Gehirn und so in ihm das Bewußtsein entstanden. Das Bewußtsein ist das Innewerden des Ichgefühls, wobei die aufglühende, gereizte Zone des »Ichempfindens« von den unbeteiligt gebliebenen (Ganglienzellen und Gesamt-) Gehirnteilen fixiert wird als eine innen betrachtbare Quelle von Lichtreizen, als ein Objekt, welches analysierbar und beurteilbar ist. Bewußtsein ist also ein Lautsymbol für einen innern Vorgang, wie schließlich jedes Wort ein Versuch ist, den innern Vorgang andern mitteilbar zu machen. Das geschieht mittels einer Überleitung erregter Zellgruppenströme auf das Sprachzentrum. Hier wird das entsprechende Symbol für diesen innern Vorgang durch Mischung von Konsonanten und Vokalen gesucht. Man sagt etwas »aus«, her»aus«, was innen physiologisch vorgegangen ist; darum ist die Sprache oft so verräterisch für die geheimsten innern Geschehnisse im Hirnapparat. Wir haben schon oft darauf aufmerksam gemacht und erinnern uns hier nur an den Sinn der Worte »Gegenwart« (die Ichzone wartet einem Reize entgegen), »Begriff« (die Umdeutung körperlichen Eingreifens in die Phantasiezone), »Gegenstand«, »Objekt« (das der Betrachtung Entgegenstehende, Entgegengeworfene), »Augenblick« (die Auflösung der Zeit in Sekundenwerte, d. h. der Spanne Zeit, in welcher das Ich seine Einzelblitze erhält), »Eindruck« (eine Prophetie dessen, was man eine Filmaufnahme in der Nukleinsubstanz der Ganglien, eine Photographie der Erlebnisse nennen könnte), »Vergangenheit« (die Zeit, die sich in die Ewigkeit verloren, verirrt, vergangen hat), »Zukunft« (die Zeit, die sich auf uns herabsenken, herzukommen wird zu unserem Erinnerungsfond) usw. Es hat einen eigenen Reiz, diesen Dingen ohne gewalttätige Konstruktionen nachzusinnen, und ich gestehe offen, daß vielfach, wo mir Erfahrung und gleichsam eine innere Anatomie der Ganglienapparate keinen Aufschluß gaben, das einfache Wort mit seinem verborgenen Sinn den Aufschluß über den physiologischen Mechanismus eröffnet hat. In jedem Worte muß schließlich so die kurze Symbolisierung und Beschreibung eines innern geistigen Geschehens eingelassen sein, wie in unsre Brust ein Herz, wie in unsern Zellen das Herz des organisierten Eiweißes, der Kern. Daß es nicht bei jedem Wort mehr möglich ist, diesen Kern auszuschälen, liegt an unsrer konventionellen Durchmanschung der Sprache mit Entlehnungen, Verstümmelungen, Verschiebungen aus Lässigkeit und Bequemlichkeit, so z. B., wenn aus dem Moorgebiet echt berlinerisch »Moabit« nach den Regeln des Grimmschen Lautverschiebungsgesetzes geworden ist. Es gibt eine Psychologie der Sprache und eine Lehre von der Geburt der Worte, welche zu analysieren ein Menschenleben allein ausfüllen könnte.

Es ist ja ein Teil der Absicht dieses Werkes, an die Stelle der Wortsymbole physiologisch-elektrische Prozesse zu setzen und zu erkunden, inwieweit die anatomisch gegebenen Ganglienapparate ausreichen, ihre Lichtsignale als die offenbaren Quellen allen geistigen Geschehens aufzufassen und umzudeuten. – So hat sich also unsere Individualseele zu ihrer Manifestation das Geflecht des Nervus sympathicus geschaffen, und aus diesem ist in langer organischer Entwicklungsreihe der Ganglienapparat geworden, an den nun alles geistige Geschehen gebunden ist, der Denkvorgang nicht weniger wie der Sinnesvorgang. Man kann also sagen, der ganze geistige Apparat wird zusammengesetzt aus drei großen Gehirnen, sofern wir eine organisatorische Anhäufung von Ganglienzellen, gleichsam von drei großen Maiglöckchenwiesen oder Ganglienkornfeldern Gehirn nennen wollen, ein Schädelgehirn mit Rückenmarkswurzeln, ein Sinnesgehirn mit Wurzeln im Schädelgehirn und ein sympathisches Gehirn, welches die Brücke bildet und jede Zellorganisation umspinnt. Diese drei Gehirne funktionieren, wie wir sehen, wenn die Ichzone phasisch aufleuchtet, und der Registrator dieses Aufleuchtens ist das Bewußtsein eines Individuums. Die geistigen Mittel unseres Ichbewußtseins, gleichsam das Handwerkzeug unseres Geistes, sind Phantasie und Logik, deren Funktion wir schon im Werke »Gedankenmacht« gegeben haben.

Ist die Funktion der Phantasie tief gegründet in den rhythmischen Grundstimmungen unserer ganzen geistigen Existenz, mit den Urgefühlen des Sympathikus, dem Träger des Weltwillens, der Richtung des Sinns des Alls, dem Künder der Ziele der Welt ohne Worte, dieser Steuerung des Einzelnen im Ozean der Ewigkeit, so erhält die Phantasie auch Einschlag vom schönen, hohen, idealen Rhythmus der Allseele, unser Sinnen wird zum Gefühl, zum Gemüt, zum »Herzen«, welche alles Ausdrücke sind dafür, daß beim Rückkonstruieren der Welt und ihrer Erscheinungen ein leiser Zug von Wehmut in die rauschenden Akkorde der kalten Betrachtungen fällt, eine Empfindung von tiefinnerster Bedrohung und Gefährdung des armen kleinen Ichs im ungeheuren Meer der Schicksalsmöglichkeiten, eine Art Schauer vor dem ungeheuren Mißverhältnis zwischen dem Ich und dem All und eine Tönung von Mitgefühl und Mitleid mit allem Geschaffenen. Es ist, als wenn wir, die andern, das Fremde und die ganze Welt uns ein wenig leid tun, wenn unser Herz spricht und wir darum alles daransetzen müssen, jedem Wesen, von der Geliebten bis zum Feinde, von der Blume bis zum Stern, etwas von Güte, Verständnis, Hingabe und Opfer zu zeigen. Das heißt »das mit dem Herzen denken«.

Da, wo unser geistiger Apparat wesentlich mit den Betriebsstätten beider Hirnhälften durch Vermittlung des Querkabels ohne gewöhnlichen Anteil dieser Urgefühle und Grundgefühle des Sympathikus arbeitet, funktioniert der »kalte« (wie bezeichnend diese Entlehnung aus dem Hautgefühl für geistige Wesenheit!) Verstand ohne Gemütseinschlag. Die Vorderhirn-Mentalität ist allein am Werke, so bedrohlich, weil sie ermöglicht, die Welt nur real-egoistisch zu betrachten und das eigentliche Sprungbrett zum Wahnsinn des Einzelnen und der völkischen Gesamtheit darstellt, denn ein Herausheben des »Ichs« aus seinen Verpflichtungen dem All gegenüber, die Auffassung, man persönlich sei die Hauptsache des gesamten Lebensumkreises, unser Glücksgefühl oder Unglück entscheide die Weltlage, ist phantastische Denkentartung. Die Rückeinspannung des »Ichs« in die ungeheuren Weberspulen einer Weltgemeinschaft und ihre Ziele besorgt der Sympathikus, der hemmend dem größenwahnsinnigen egozentrischen Drange sich entgegenstemmt, mahnt, warnt, die Gefahr des rhythmischen Herausgeschleudertwerdens aus dem Takt der Weltsymphonie anzeigt. Der Konflikt zwischen diesem isolierten Egoismus und der Steuerung des Alls macht das Gewissen aus, und die Durchspinnung des Teppichs des Verstandes mit den webenden, sichernden und erhebenden Fäden, die Bindung an die höchste Macht, welche das Ziel aller Dinge im unbewußten Busen trägt, ist die Vernunft.


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