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Wenn wir im folgenden über den Krieg handeln, so wird uns vor allem interessieren, welche Stellung unsere Gegenwart ihm gegenüber einnimmt, und ferner was solche Stellungnahme etwa für die Zukunft des Krieges bedeuten könnte.
In solcher Hinsicht ist mir nun heute von jeher nichts bemerkenswerter gewesen, als das schroffe Aburteil Leo Tolstois und des modernen Sozialismus, die sich nicht scheuen, den Krieg als einen Mord zu bezeichnen.
Ich sage nicht zuviel, wenn ich ausspreche, daß mich dieses Aburteil, als ich ihm zum erstenmal begegnete, erschreckt hat; ja, daß ich es geradezu als eine frevelhafte Blasphemie empfand. Es begreift sich indessen Erscheinungen wie Tolstoi und dem modernen Sozialismus gegenüber von selbst, daß man sich von einer so schroffen, ja vielleicht sogar furchtbaren Form solchen Aburteils nicht verleiten lassen durfte, es von der Hand zu weisen, ohne zuvor seiner eigentlichen Meinung und den Ursachen seiner Formulierung auf den Grund gedrungen zu sein.
Ich fand einen solchen Grund zunächst in dem fast absoluten Mangel an historischem Sinn, der sowohl Tolstoi wie den bisherigen Formen des modernen Sozialismus eignet. Indessen, insofern beide genötigt sind, von unmittelbaren und zwingendsten praktischen Bedürfnissen, Nötigungen und gar Notständen auszugehen, wird man diesen Mangel, wenn schon nicht durchaus, aber doch vorderhand gelten lassen können. Auch die Ungerechtigkeit, ja die Blasphemie hat, wenn nicht gerade ihre Tugend, so doch sicherlich ihre Ratio und Notwendigkeit. Und wir dürfen vielleicht sogar sagen, daß diese Notwendigkeit und Ratio angesichts der hohen praktischen und entwicklungsfördernden Eigenschaften der Erscheinung des Sozialismus eine Zeitlang geradezu Tugend war. Historie ist ein sehr umschichtiger und beballasteter, und er ist gemeinhin ein viel zu einseitig, abstrakt theoretischer Begriff, als daß er nicht immer wieder durch die »ungerechte« Notwendigkeit des weiterrückenden Lebens, sagen wir nur geradezu: brüskiert werden müßte. – Also wird denn doch wohl jenes Aburteil Tolstois und des Sozialismus dem Krieg gegenüber etwas meinen; es wird auf einer praktischen, sehr aktuellen neuen Notwendigkeit des vorschreitenden Lebens beruhen, die sich so brüsk der Historie, ihrer Objektivität und leidenschaftslosen Gerechtigkeit entgegenzusetzen genötigt sieht. Wir werden sehen, daß es in der Tat etwas meint.
Indessen nicht bloß der Historie gegenüber bedeutet jenes Aburteil eine Blasphemie, ja geradezu einen Frevel, sondern nicht minder jeder Psychologie und Ethik, jedem wahrhaft religiösen Gedanken und Gefühl, jeder menschlichen Wesenheit und Bestimmung gegenüber. Und dies muß durchaus erkannt und ins klare gestellt werden; nicht weniger aber muß zugleich die neue Vernunft und Notwendigkeit erkannt werden, die jenem Aburteil zugrunde liegt und seine hohe Wahrheit und Bedeutsamkeit ausmacht. Und es muß gerade in einem Augenblick in Klarheit gestellt werden, wo gewisse Wertungen und Urteile des modernen Sozialismus durchaus unmöglich zu werden beginnen und zu den bedenklichsten Störungen des sozialen Lebens führen könnten; Störungen, bedenklicher vielleicht als selbst Kriege und blutige Revolutionen es sind; und zwar insofern, als sie die Sterilisierung, ja wohl ganz und gar eine totale Verkümmerung der zentralsten und lebenwirkendsten aller Empfindungen bedeuten: der religiösen.
Ich glaube, wenn ich im ersten Teil der folgenden Ausführungen auf diesen Punkt, auf jene frevelhafte Blasphemie Tolstois und des Sozialismus eingehe, und im anderen auf deren innere Vernunft und Notwendigkeit, werden wir zu einer Stellungnahme dem Krieg gegenüber gelangen können, die nicht etwa bloß so gerecht und objektiv ist, sondern die zugleich für die weitere organische Entwicklung menschheitlicher und moderner Kultur befreiend und fruchtbar sein wird.