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Das Lied

Unter den Sternen hin, hinter den dunklen Bäumen, ziehen Leute und singen ein Lied.

Ich lausche – mitleidig – schadenfroh – versonnen.

Denn in diesem Lied, in diesem schlichten Lied, ist ein Gift und eine heimlich fressende Flamme und die Schönheit einer fernen, fernen Heimat ...

Das wissen sie nicht in ihrer dunklen Fröhlichkeit; aber ich weiß es ...

Denn tief in mir zehrt dieses Gift und frißt diese Flamme und will hervor und leuchten. Und tief in mir ist ein Kreisen und Werden. – Wessen?

Ach Not, Not halbbewußter Fülle, endlos süße Not!

Ich lausche und sitze und warte, ahne; und meine Augen weiten sich einem köstlichen Gesicht entgegen, das naht und naht, von fern, ganz von fern ...

Denn noch gleitet um mich und in mir und wechselt, unbändig und ungebändigt, ein ewiger, trüber Wechsel des Einzigen.

Not, ewige Not! – Kommt das Ende? – Und welches?? ...

*

An den Sternen hin ziehen die weißen Wolken, und die Winde rauschen; raunen mit lieben, heimlichen Stimmen und kräuseln glitzerndes Laubwerk, schaukeln schwankes Geäst, gleiten mit blinkenden Schauern über die breiten Wasser. Und das Licht durch Nebel und zarten Dunst, durch millionenfältigen Widerstand plumpen Stoffes, nieder durch klare Höhen. – Das Licht – das Lied ...

Reimverbunden vier arme Verse und eine simple Weise; ungefüge Stimmen in rauher, unbewußter Andacht.

Aber es ist nichts in allen Nähen und Weiten, nichts, nichts als dieses Lied und eine heimatliche Welt, die nun offenbar wird, und alle die zahllosen Seelen und eine einzige, unendliche Seele.

Nun sind die Höhen und Tiefen und Breiten ein Spiel, und Minuten, Stunden, Tage, Jahre und Jahrtausende ein schelmischer Trug.

Und nur die offenbaren Seelen und im zeitlosen Selbstfrieden die eine, offenbare Seele.

Ich sehe das bunte Spiel der vielen, das die ewige Ruhe der einen ist. Und in mir leben die Schauer der Wiedergeburt ewiger Religion und ewiger Vereinigung.

Dieses zitternde Pappellaub, hoch, schlank, dunkel in das weiße Licht hinein, dieser schimmernde Birkenstamm, traulich geducktes Buschwerk, diese gleitenden Wellen, diese Hand, die ich gespreizt gegen das Licht halte, mit dem Geflecht ihrer Adern, mit ihren wunderlichen Linien, mit Sehnen, Muskeln und Knochen: alles, alles ist das ewige Spiel ihrer Kraft und ihr neckisches Versteck, hinter dem sie sich selbst sucht und jubelnd sich findet und immer, immer wieder findet.

So müde bin ich, so ahnend müde.

Will eine Schranke fallen? – Willst du mich finden? Will ich mich finden?

Und ein neues Spiel, und immer ein neues und ein schöneres, lustigeres immer?

Fern das Lied – verklingend mit sehnendem Jubel das Lied ...

Das Lied ...

*

Und alles wieder still und rauschende Ruhe. Ich fühle, wie jede Fiber in mir zuckt und sich spannt.

Das Ende? Und welches?

Welches auch immer: keins und nie und nimmer ein Ende. Eine Schranke, die fällt; ein Dunst, der verweht; ein jubelndes, lachendes Hervortauchen. – Wohin?

Weit, unendlich weit ist die Welt, und doch immer und überall einzig du, ich ...

*

Was wär ich, wär ich diese wilde, rastlose Lust und dieser unermeßliche Jammer? – Was wär ich, wär ich dieses hinfällige Gestell von Knochen, Fleisch, Muskeln, Sehnen und Nerven und nicht dieses ahnende Sehnen?

Wild ras' ich durch meine Erdenzeiten, durch Mord, Not, Blut, durch zahllose Greuel, durch diese und gegen diese meine fieberwache Endlichkeit.

Betrüge, lüge, morde, hasse; stürze mich in zorniger Verzweiflung in den Wahnsinn tausendfältiger Wollust; rase in meiner Finsternis und strecke mich gierig nach Erkenntnis durch meine Räume und Zeiten; verschlinge und gebäre meine tausend und abertausend schwankenden, entgleitenden, ewig wechselnden Täuschungen von sausenden Welten und ewig unbefriedigten Erkenntnissen; taumele durch die hastenden Zeitläufte meiner Vergänglichkeiten ewig von Jubel zu Verzweiflung, von Verzweiflung zu Jubel; bin blühende und welkende Völker und Reiche; krieche hin in dumpfer Befriedigung und klammere mich an karge, blöde Freuden; verschanze mich hinter Gesetzen, feige und weise gegen mich selbst; betrüge mich selbst und bin der Blödheit meiner engen Sinne ein zerfallender, faulender Haufe Schmutz und ein kleines jämmerliches Ende.

Was wär ich, erkargte sich mein sehnendes Ahnen nicht zwischen tauber Lust und taubem Leid ein paar stille Friedensblumen und wäre nicht der Preis und Sieg aller meiner Verzweiflung und meines heißen rasenden Ringens gegen mich selbst das Wissen von meinem wohlverbürgten Frieden und immer und immer wieder sein endlicher Besitz?

*

Gelassen seh ich jetzt das grausigste aller Rätsel und beantworte seine dunkle Frage. In unendlichen gelben Wüsten steh ich der uralten bösen Riesenfratze gegenüber und sehe lachend in ihre toten, starren Augen.

Und hier ist all meine Nichtigkeit, mein Stolz und meine hohe Würde:

Ich, ich selbst bin ihr großes, starres Schweigen. Ich selbst bin zu tiefst in mir eine große, weite, schweigende Ruhe, ein dunkel schlummerndes Können und Wissen und doch eine ewig bewegte, milliardenfältige Unrast. Dies beides und doch das eine, einzige: eine große, weite, schweigende Ruhe.

Meine Unrast aber und meine Verzweiflung schreit tausend trübe Fragen in mich selbst hinein, wieder und wieder, ihrer selbst gewiß zu werden und ihres endlosen Wandels, und sich zu finden, immer von neuem, in einer stillen, gefriedeten Einheit.

Meine Unrast aber seid ihr. Meine Unrast bin ich als das ewig und unendlich Vielfältige: als Elemente, Sonnen, Pflanzen, Tiere, Menschen und alle Wesen und Seelen: dies alles und seine unermeßlich zahllosen Einzelheiten und ihre unermeßlich zahllosen Schicksale.

Das alles schreit in mich hinein, findet Antwort und keine, findet ewig Antwort und als seligste Antwort ewig schweigende Ruhe.

Denn aus dem dunklen Urgrund meiner Ruhe und Nichtigkeit tönt ewig und ewig als Antwort auf die wilde Sehnsucht ewiger Frage ihr ewig gleicher Widerhall und nichts, nichts als ihr Widerhall.

*

Denn dann, wenn je und je am wildesten die alte Frage gellt und an dem uralten, mystischen Geheimnis rüttelt, dann – Frage und Antwort zugleich – tönt sie zurück aus den dunklen Weltenfernen ewigen Lichtes und ewiger Gewißheit, und einer wird geboren, der ihr Mund ist: einer, der ist der ewig Wiedergeborene, der Stille, unter dem ewigen Mysterium Duldende, in dem Endliches und Unendliches offenbar wird als das eine, das ewig liebend sich selbst umschließt.

Wo aber in aller Welt je und je er hineingeboren wird in die Endlichkeit, da erhebt sich ein neuer Tag und eine neue Zuversicht. Da jubelt die Freude, da lächelt der Friede, und da rüstet sich ein neuer, junger, todesmutiger Wille und hat eine neue Bahn und ein neues Ziel endloser Betätigung.

*

Das ist all meine Nichtigkeit, mein Stolz und meine hohe Würde. Denn wenn ich ein Wort vom Frieden weiß, so ist es nichts als eures Unfriedens Widerhall und die irre Frage eurer Verzweiflung. Die tön ich zurück, zu meinem Teil, in ewig stiller Gelassenheit; einer, der treu, schlicht, hingegeben hört, aufnimmt, zusammenfaßt, und der wiedergibt: treu, schlicht, hingegeben.

Das ist mein schauriges und unsagbar seliges Los! Nichts, nichts bin ich, nichts und alles.

Ihr seid ich, ihr! Und ich bin ihr! Du bist ich, ich bin du; und du und einzig du bist meine ganze Würde und meine ganze Nichtigkeit. Das ist die ewige, lachende Erkenntnis und ewig die Morgenröte eines neuen Tages ...

*

Zwischen mir aber und ihr dunkelt eine Nacht.

Schon bin ich hineingetaucht in ihr weites Grauen. In das Grauen zwischen Anfang und Ende. Sie ist der heimliche Tod, der mich verzehrt.

Sie kommt mit den kühlen Schauern einer schweren Müdigkeit. Sie ist die Feigheit, die bang und zaudernd am Überwundenen hängt. Liebe und Haß, die mich verfolgen, und hundert Gewohnheiten und tote Begriffe, die doch noch leben wollen, und hetzende Zweifel alter Begrenztheit. Und sie ist ein letzter, noch nicht ausgefochtener Kampf und das krasse Gesicht einer alten Lüge, die ewig und ewig wieder mich, den ewig Lebendigen, erschauern macht. Sie ist die grausige Starre eines Kadavers und seine dumpfe, gärende Fäulnis. Sie ist der wild verwirrte, trübe Tumult neuer, geahnter Welten, meiner Feigheit zu weit und zu herrlich, viel zu weit und viel zu herrlich.

Mein Tod ist diese Nacht, mein langes Sterben, der dunkle, trübe Wandel zweier Tage, zweier Tage ...

In diese Nacht und in diesen Kampf tauch ich hinein. Mit fröhlichem, wissendem Mute und mit einer stolzen, kräftigen Seele. Die ist ein Held geistiger Kämpfe, gewaltiger als alle Leibesgewaltigen der Vorzeit.

*

Langer, langer Weg! Dunkler Kampf! – Und sein Ziel? – Ach, Ohnmacht meines armen Wortes! – sein Ziel ist ein ungeheures Meer des Schweigens!

Da werd ich endlich hineinschwinden, ich und der Kreislauf aller Seelen und Sonnen und alle Unrast.

Ich und alle meine Unrast: Seelen und Sonnen: ich bin dieses Schweigen, und einst werd ich mich ganz als solches erfassen und in mir selbst ruhen.

Das ist mein ewiges Ende und mein ewiger Anfang ...

*

Wenn die Sterne strahlen, wenn die Lüfte raunen und die letzten, stillen Farben spielen: jetzt ...

Jetzt – o Qual der Qualen! – jetzt kenn ich meinen langen Weg, und meiner Blindheit dämmert rosig ein Ziel ...


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