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Nächste Folge des Friedensbruchs. – Der Dorfschulmeister. – Die Frau Amtmännin und die Frau Pastorin. – Die beiden Bälgentreterkandidaten.
Kaum hatte der Prediger den Amtshof verlassen, als der Amtmann den Schulmeister kommen ließ, dessen er sich schon oft als eines Kundschafters bedient hatte. Vor ihm ließ er seinem Hasse gegen den Prediger freien Lauf und machte, seiner Theorie vom Wehr- und Nährstand gemäß, kein Hehl aus der Ansicht, nach welcher man den geistlichen Herren, die sich im Leben nun einmal leider gewisse Rechte erschlichen und den Menschen von der Wiege bis zum Grabe verfolgten und belästigten, alle Höflichkeit erweisen und ihnen soviel wie möglich aus dem Wege gehen müsse, sie dafür aber auch nie hart genug fühlen lassen könne, daß sie Untertanen des Landesfürsten seien und sich in außerkirchliche Angelegenheiten nie ungeahndet mischen dürften.
Der Schulmeister war eine geschmeidige Natur. Den Mangel an gehaltvollem Wissen ersetzte bei ihm eine große Schlauheit. Er kannte die Kunst, den Mantel nach dem Winde zu tragen und es mit keiner Partei zu verderben. Seine Zunge hatte er im Zaum und seine Mienen nicht minder in der Gewalt. War er bei dem Pastor, so seufzte er und tat gar kläglich mitleidig, wenn von dem Verfall der priesterlichen Autorität, von dem Überhandnehmen zügelloser, verderbter Sitten, von der Abnahme der Frömmigkeit und der Anmaßung ruchloser, weltlicher Zweifler und Priesterfeinde die Rede war. Er konnte ein wahres Schafsgesicht machen, und man hätte darauf schwören mögen, daß er mit dem Pastor ein Herz und eine Seele sei. – Ließ ihn der Amtmann rufen, so strotzte sein Gesicht von einem Gemisch knechtischer Untertänigkeit und frecher Schadenfreude. Er schnappte die gottlosen Reden des Dorfrichters auf, belächelte und bewunderte sie und schien entzückt über den Witz und die Wahrheit der allergewöhnlichsten Gemeinplätze. Da der Prediger ihn in seinen Schulstunden oft eines Bessern belehrte, ihm seine Unwissenheit bewies und ihm stark auf die Finger paßte, fand er in der herablassenden Art, in welcher der Amtmann sich mit ihm über seinen Vorgesetzten lustig machte, eine geheime Rache gegen den Prediger. Er kicherte und rieb sich vergnügt die Hände, wenn der Dorfrichter recht tüchtig gegen die Pfaffen zu Felde zog, und lieferte nicht selten selbst den Stoff zu lieblosen und gehässigen Klatschereien. Der Schulmeister bildete sich nicht wenig darauf ein, mit dem Amtmann auf so vertrautem Fuß zu stehen, und rühmte sich dessen, wo er es angebracht glaubte, mit großer Aufgeblasenheit. Der Dorfschulmeister war eine jener niedern Naturen, mit denen sich einzulassen der schlimmste Fehler und das größte Unrecht vernünftiger, guter Menschen ist. Vor nichts im Leben muß man sich mehr hüten als vor der Berührung mit Geschöpfen, deren innere Hohlheit und Charakterlosigkeit sie zu jedem redlichen Geschäft untauglich machen, und die nur in der Welt zu sein scheinen, um einen erbärmlichen Schwindelhandel mit dem zu treiben, was andere gefühlt, gedacht oder getan haben. – Der Pastor und der Amtmann waren beide schwach genug, sich mit dem Schulmeister einzulassen und ihm ihr Vertrauen zu schenken, das er zu ihrem eigenen Nachteil auszubeuten verstand; sie waren beide gleich kurzsichtig, indem sie diesen Mann zu tief in ihre Karten sehen ließen.
Was der Amtmann zunächst zu wissen wünschte, war der Name des Kandidaten, welchen der Prediger zum neuen Bälgentreter ausersehen hatte. Dies sollte der Schulmeister vor allem in Erfahrung zu bringen suchen. Zugleich erhielt er den Auftrag, auch die Stimmung der Bauern auszukundschaften und alles etwa gegen den Kandidaten des Predigers in der Gemeinde bekannte Nachteilige sich genau zu merken, damit in dem Bericht an den Herrn von Eilersrode auch besonders darauf Gewicht gelegt werden könne, daß sich die Gemeinde selbst gegen das von dem Pastor in Vorschlag gebrachte Subjekt entschieden ausspreche.
Der Schulmeister ging mit dem Versprechen, sich seines Auftrags in möglichster Kürze und Genauigkeit zu erledigen, aber nicht ohne von dem Amtmann erfahren zu haben, welchen Mann dieser selbst zum Bälgentreter einzusetzen denke.
Um keinen Verdacht zu erregen, mußte der Schulmeister durch den Amtsgarten und eine Hintertür auf das Amt kommen und auf demselben Wege sich wieder entfernen.
Der Prediger war indes nach seiner Wohnung zurückgekehrt, wo die Frau Pastorin sehnsüchtig auf ihn und den Bescheid wartete, den er vom Amte mitbringen würde. Kaum wurde sie ihres Gatten ansichtig, als sie ihm erschrocken entgegenstürzte. »Mein Gott« – rief sie –, »Kind, wie siehst du aus! Gewiß hast du dich über den Amtmann geärgert. Komm, setz dich nieder, ruh dich aus; ich will dir ein niederschlagend Pulver geben und dann erzähle mir.«
In der Tat, der Pfarrer war ganz bleich vor Verdruß und bedurfte der Erholung, ehe er zu Worte kommen konnte. Nachdem er an der Seite seiner Frau Platz genommen und einen von ihr in Wasser eingerührten Löffel voll Cremor tartari Weinstein. verschluckt hatte, berichtete er das unerfreuliche Resultat seiner Unterredung mit dem Amtmann.
»Nun wirst du doch endlich einsehen«, sagte die erbitterte Frau, »daß der Amtmann ein schlechter Mensch ist und nicht verdient, von dir noch obendrein in Schutz genommen zu werden, was du doch oft tust, selbst mir gegenüber tust, weil du zu gut bist und von der Welt immer noch besser denkst als sie wirklich ist. Zu gut ist Nachbars Narr, und du hättest längst wissen sollen, mit wem du es auf dem Amte zu tun hast. – Ich habe es dir bis jetzt verschwiegen, aber nun magst du es erfahren. Weißt du, wer der Vater zu dem unehelichen Kinde ist, das vor vier Jahren von einer Magd geboren wurde, die auf dem Amte gedient hatte? Der Herr Amtmann selber und kein anderer. Wer nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, der kann sich das an den fünf Fingern abzählen. Umsonst haben der Herr Amtmann die saubere Jungfer nicht so hübsch ausgesteuert und an den Leineweber Christoph Heisert verheiratet; umsonst überschüttet er diesen nicht fortwährend mit neuen Gunstbezeugungen, indes verdienstvollere arme Leute mit ihren gerechten Bitten hart von ihm zurückgewiesen werden. Du sollst es noch erleben, daß er eben diesen Christoph zum Bälgentreter machen wird und daß beide dich mit deiner Gutmütigkeit verlachen werden.«
»Nimmermehr«, rief der Prediger, entrüstet sowohl über die ihm in bezug auf den Amtmann gemachte schwere Mitteilung als über den Gedanken, eine Kreatur seines Gegners den Sieg in diesem Kampfe davontragen sehen zu sollen.
Nachdem die erste Hitze des Unmuts und Ärgers verflogen war, beratschlagten die beiden Gatten die zur Verhinderung ihrer Befürchtungen zunächst einzuschlagenden Wege. Derselbe Wunsch, den der Amtmann dem Schulmeister mitgeteilt hatte, wurde auch bei seinem Gegner wach; der Pastor bedurfte vor allem Aufschluß über die Wahl, welche der Amtmann treffen würde oder im voraus schon getroffen hatte. Dies zu ermitteln war niemand geschickter als der Schulmeister. Ihm sollte sogleich ein Bote zugeschickt werden. Der Zufall schien sich, ganz wie gerufen, ins Mittel zu legen, als der Schulmeister an der Ecke des Kirchhofs gesehen ward und auf das Pfarrhaus zueilte. »Sieh, Kind« – rief die Pastorin, ohne zu ahnen, wieviel Wahrheit in ihren Worten liege –, »wenn man vom Wolf spricht, ist er nicht weit. Da kommt der Schulmeister.«
Der Pfarrer ging dem Kommenden freundlich entgegen, hieß ihn sich setzen und begann sogleich, ihn in die Lage der Dinge ausführlich einzuweihen und ihm darauf sein Anliegen kundzugeben. Der Schulmeister saß steif und stumm und horchte aufmerksam zu, als wisse er von der ganzen Sache, in der er eine so wichtige Rolle spielen sollte, noch kein sterblich Wörtlein und tat sehr erbittert über das Benehmen des Amtmanns gegen den Prediger.
»Der Herr Pastor« – sagte der Schulmeister – »werden am besten wissen, daß Sie sich in dieser Angelegenheit nichts vergeben dürfen. Das Recht ist offenbar einzig und allein auf des Herrn Pastors Seite. Ich werde mich sogleich aufs Horchen legen und zu erfahren suchen, wen der Amtmann für den offnen Dienst in petto hat. Wenn ich mich nicht gröblich irre, so fällt seine Wahl auf keinen andern als auf den Leineweber Christoph Heisert, dem der Herr Amtmann seit einigen Jahren ganz besonders gewogen zu sein scheint. Dieser soll selbst schon geäußert haben, er hätte Hoffnung, zum Nachfolger des verstorbenen Bälgentreters ernannt zu werden und rechne auf die mächtige Fürsprache des Herrn Amtmanns.«
»Nie hätte ich es für möglich gehalten« – sprach der Prediger schmerzlich erregt –, »daß sich in meiner Gemeinde solche Niederträchtigkeiten, wie ich sie jetzt erfahren muß, begeben könnten. Der, welcher als ein Muster guter Sitten allen übrigen vorangehen sollte, vergiftet die Gemüter durch sein strafbares Beispiel. Wie soll ich da Christi Lehre predigen und den Bösen abwehren, wo das Laster so schamlos vor den Augen der ganzen Welt dem Recht und der Sitte Hohn sprechen darf! Es wäre himmelschreiend, wenn des Amtmanns Intrige gelingen sollte; aber nein, das wird, das kann nicht stattfinden.«
»Es wird sich wohl ein anderer finden lassen, der würdiger zum Bälgentreter ist als der Leineweber!« sagte der schlaue Schulmeister und lauerte auf die Antwort des Pastors.
»Sehen Sie, mein Lieber« – sprach dieser –, »ich habe da einen braven guten Menschen, den Thomas Kunze, der von jeher einen christlichen Lebenswandel geführt und sich mir in vielen Fällen als treu und gottesfürchtig erwiesen hat. Der soll den Dienst erhalten; das ist ein Mann, wie wir ihn brauchen können. Als ehemaliger Nachtwächter hat er eine gute Stimme und kann im Fall der Not besser als ein anderer für Sie den Gesang leiten.«
»Der Herr Pastor haben eine sehr weise Wahl getroffen. Dieser Thomas Kunze ist wirklich der einzige in der ganzen Gemeinde, der sich zum Bälgentreter qualifiziert. Der Mann läßt es sich sauer werden; das Handwerk geht schlecht, und Weib und Kind wollen genährt und gekleidet sein. Es freut mich aufrichtig, daß der Herr Pastor diesem braven Manne unter die Arme zu greifen gesonnen sind.«
»Aber halten Sie reinen Mund. Niemand soll es wissen, solange es noch nicht gewiß ist.«
»Wo denken der Herr Pastor hin! Ich bin ja gewissermaßen selbst bedeutend bei dieser Angelegenheit beteiligt, da ich oft mit dem Bälgentreter persönlich in Berührung treten muß.«
Nachdem der Schulmeister versprochen, bald wiederzukommen und über seine anzustellenden Forschungen Bericht abzustatten, schlich er, wie die Katze vom Taubenschlage, davon. Er war jetzt im Besitze zweier Geheimnisse und wollte zuvörderst überlegen, wie er aus ihnen den größten Gewinn ziehen könnte. Deshalb ging er nicht geradezu aufs Amt zurück, sondern begab sich in den Krug, wo er die Stimmung der Bauern, nach dem Auftrage des Amtmanns, erforschen wollte.
Gleich nachdem der Schulmeister das Pfarrhaus verlassen, stellte sich Thomas Kunze daselbst ein. Er war bei der Frau Pastorin so gut angeschrieben wie bei dem Herrn Pastor; selten verging ein Tag, an welchem er sich bei seinen Gönnern nicht hätte sehen lassen, um seine Dienste anzubieten. Er half der Pastorin bei der Wäsche, spaltete Holz, trug Wasser, grub, säete und pflanzte im Garten und tat vielerlei Arbeiten, die der einzigen Magd im Pfarrhause zu schwer waren. Ursprünglich war Thomas ein Schuhflicker; in seiner Jugend hatte er in der nächsten Stadt ein paar Jahre als Lehrling bei einem Schustermeister verlebt, war dann aber zu seinen Eltern in Eilersrode zurückgekehrt, um mit ihnen und für sie als Tagelöhner im Felde zu arbeiten. So hatte er es in der Handhabung des Pfriems und des Pechdrahtes nicht weitergebracht als bis zur Flickarbeit, teils weil er weder völlig ausgelernt hatte noch auf die Wanderschaft gegangen war, teils weil er sieben Jahre hindurch als Soldat im Heere dienen mußte. Nach Beendigung seiner militärischen Laufbahn kehrte er abermals, und um sie nie wieder zu verlassen, in seine Heimat zurück, wo er sich aus dem spärlichen Erbe seiner verstorbenen Eltern eine kleine Werkstätte errichtete, sich einmietete, eine Wittfrau ehelichte und des Lebens Müh und Lasten auf seinem harten Dreifuß in reichem Maße ertrug. Viel Arbeit gab es im Dorfe für ihn nicht, denn die Bauern kauften ihre Stiefel und Schuh auf dem Markt in der Stadt und ließen sie von dem Dorfschuster nur flicken, höchstens einmal besohlen, und wenn dies geschah, mußte er so dickes, starkes Leder anwenden und die Spitzen und Hacken des Schuhwerks mit so viel breitköpfigen eisernen Pinnen beschlagen, daß es für die Ewigkeit war. Die beste und liebste Kundschaft im ganzen Dorf hatte der Schuhflicker in der Familie des Pfarrers gewonnen. Der Amtmann ließ bei Thomas nie die kleinste Arbeit anfertigen, sondern hatte einen Schuhmacher in der Stadt; der Pastor dagegen ließ bei ihm jahraus jahrein besohlen und flicken. Die Kinder des Pfarrers hatten den Schuster besonders lieb, denn er ließ sich von ihnen manchen Streich und manche Ungezogenheit gefallen, schnitt ihnen schlanke Haselstöcke, brachte ihnen dicke Holzborke für die kleinen Schiffchen, die sie auf dem Teich im Dorf umherfahren ließen, half ihnen Häuserchen bauen und kleine Schelmereien ausführen. Dafür gab ihm die Frau Pastorin manches Stück abgetragener Kleidung für seine eignen Kinder oder vielmehr für seine Stiefkinder, denn er selbst sollte in seinem Ehestande keine Vaterfreude erleben; auch manchen guten Bissen erhielt er aus der Küche des Pfarrers und tröstete sich in der heiteren Welt des Pfarrhauses oft über sein saures, freudekarges Dasein, das ihm eine zänkische, mürrische Frau und große ungezögerte Jungen nicht wenig erschwerten. Außerdem schien er in den Worten des Predigers, der sich oft mit ihm über Religion und Christentum unterhielt, Erhebung und Trost zu finden und las in freien Stunden fleißig in der Bibel; auch fehlte er nie in der Kirche und gehörte zu den Auserwählten in der Gemeinde, welche noch nie von der Kanzel herab namhaft gemacht und gezüchtigt waren. Den Eilersroder Krug besuchte er nie, weil es dort oft wild und ausgelassen zuging; aber von seiner Frau, die im Dorfe alle Leute kannte und ebenso neugierig als geschwätzig war, erfuhr er stets das Neueste aus der Tagsgeschichte der Gemeinde und hatte sich daran gewöhnt, dem Pfarrer alles treu zu berichten. Dieser munterte ihn beständig auf, ihm alles zu hinterbringen, was sich im Kruge oder in den Familien der Dorfbewohner Tadelnswertes ereignete, damit er den Leuten beweisen könnte, daß er stets ein wachsames Auge auf ihren Lebenswandel halte. Thomas war der spiritus familiaris Guter Hausgeist, Vertrauter der Familie. des Seelsorgers. Wie strahlte sein schmutzig blasses Gesicht, als er von der Frau Pastorin an dem erwähnten Tage mit besonderer Freundlichkeit empfangen wurde, einen Imbiß und das Versprechen von ihr erhielt: er solle Bälgentreter werden! Auch der Pastor teilte ihm das Glück mit, welches ihm bevorstehe, und verlangte nur von ihm, daß er es geheimhalten und fortfahren solle, ihm immer alle Neuigkeiten treu und schnell zu berichten. Thomas äußerte zwar in bezug auf seine Wahl zum Bälgentreter einige Bedenklichkeiten, ließ diese aber durch die Versicherung der beiden Gatten, seiner Beschützer, es werde nicht fehlen, kein anderer solle den Posten erhalten, gern zu Boden schlagen.
Von diesem Tage an verdoppelte der arme Mann seinen Eifer und seine Tätigkeit im Dienst der Frau Pastorin und ihres Gemahls; überglücklich eilte er nach Haus und teilte seiner Frau unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit die große Neuigkeit mit, stieß aber bei dieser auf dasselbe Bedenken, das er selbst getragen.
Auf dem Amte wie im Pfarrhause wurde den ganzen Tag von nichts anderem gesprochen als von der Bälgentreterangelegenheit, die nicht bloß zwischen dem Amtmann und dem Pastor den Frieden enden, sondern auch den freundschaftlich-nachbarlichen Verkehr zwischen beiden Familien abbrechen sollte. Der Amtmann erzählte bei Tisch, wie er den Prediger am Morgen abgefertigt hätte und was er gegen ihn und seine Pläne im Schilde führe; er war in der besten Laune von der Welt und schämte sich nicht, seine Freude über den Ärger erkennen zu lassen, welchen er diesem »Gottes Wort vom Lande« bereiten werde. Die Frau Amtmännin hatte stillschweigend zugehört; man sah es aber ihren Mienen an, daß ihr die schonungslosen Reden ihres Gemahls sehr mißfielen.
»Du solltest« – sagte die gute Frau endlich leise – »den armen Pastor schonen; er ist unser Seelsorger, hat den Kindern die Taufe gegeben und ist bei allen Schwächen, die er haben mag, ein herzlich guter Mensch, dem unsere Kinder, und deshalb wir selbst, Dank schuldig sind. Es ist nicht recht von dir, dich in Gegenwart der Kinder über einen Mann lustig zu machen, vor dem sie Respekt haben, den sie lieben und hochachten sollen. Besonders Aurora, die ihrer Konfirmation entgegengeht und von ihrem Lehrer bald das heilige Abendmahl gereicht haben soll, wird dir's nicht Dank wissen, auf den Pastor zu schelten.«
»Was diesen Punkt betrifft« – erwiderte der Amtmann gelassen –, »so wollen wir ihn zuvor noch gehörig überlegen. Aurora kann ebensogut anderswo konfirmiert werden als hier in Eilersrode. – Übrigens kann sich der Herr Pastor nicht beklagen, er hat in dir eine sehr warme Freundin, wie wenig die dummstolze, schnippische Frau Pastorin dir dafür auch dankbar sein wird.«
Der Amtmann schwieg so lange, bis die Kinder sich satt gegessen und Erlaubnis erhalten hatten, die Tafel zu verlassen. Als sie der Reihe nach zu den Eltern gingen, um dem Vater und der Mutter, der eingeführten Sitte gemäß, die Hände zu küssen, standen in den Augen der ältesten Tochter ein paar große Tränen. Die Mutter drückte ihr Kind zärtlich an die Brust.
»Es tut nicht gut« – sagte sie, als die Kinder das Eßzimmer verlassen hatten, zu ihrem Gatten –, »daß du dich immer so rücksichtslos über den Pastor ausläßt; glaube mir, lieber Mann, du setzest dich in den Augen deiner eigenen Kinder herab und versündigest dich an Gott.«
»Tu mir den Gefallen, liebes Weibchen, und gerate nicht wieder in deinen moralisierenden Ton, oder vielmehr laß ihn fallen« – unterbrach der Amtmann seine Frau –, »du weißt, ich kann das auf die Länge nicht vertragen. Der Pfarrer ist ein alter Geck, ein Pedant und Duckmäuser, der immer griesgrämlich drein sieht, wenn sich einer des Lebens freut, und es sehr übelnimmt, wenn man seine Predigten zu lang findet, darüber in der Kirche einmal einschläft oder sie ganz versäumt. Ich mag ihn nicht, würde ihn aber nach wie vor ertragen haben, wollte er seine Finger nicht eben jetzt in Dinge mischen, die seines Amts nicht sind. – Wer wird Bälgentreter? Das ist hier die Frage, von deren Antwort auch die wichtige Entscheidung über die Rechte eines Amtmanns und die eines Pfaffen abhängt.«
»Ihr werdet euch doch, als vernünftige Männer, einer so großen Kleinigkeit wegen nicht ernstlich entzweien? Was liegt denn daran, ob Hinz oder Kunz die Bälgen tritt?«
»Du sprichst, wie du's verstehst. Hier dreht sich der Streit um ein Prinzip, um ein Recht. Das Recht aber ist's, was überall, selbst in kleinen Dingen, aufrechterhalten werden muß. Die Leute im schwarzen Rock sind immer im stillen darauf bedacht, ihren Einfluß auf die Menschheit zu vermehren; wo ihnen ein Finger gegeben wird, da nehmen sie gleich eine Handbreit. Schlimm genug, daß man weder geboren werden noch heiraten, noch sterben kann, ohne ihnen einen höchst überflüssigen Tribut zu zahlen, für den sie es sich wahrhaftig nicht halb so sauer werden lassen als unsereins. Sind wir's doch, die überall im Lande auf Ordnung und Recht sehen müssen, ohne die kein Staat bestehen, kein König regieren kann. Und wir sollten uns zeitlebens mit dem Volk umherquälen, während die Pfaffen die Herren im Lande spielen dürften?«
»Meinetwegen mögt ihr euer Recht verteidigen, nur sollte dabei niemand den andern zu kränken suchen. Ich hoffe, daß, da du in dieser Angelegenheit auf deinem Kopf bestehst, der Pastor nachgeben wird.«
»Das wird er nicht, liebe Frau, glaube mir, ich kenne ihn viel zu gut. Er wird sich vielmehr mit Hand und Fuß meiner Wahl widersetzen, sich der Bestätigung derselben von Seiten des gnädigen Herrn selbst vielleicht widersetzen. Daraus kann ein Prozeß entstehen, der ihn zugrunde richten würde.«
»Das verhüte der Himmel; ich wünsche dem Pfarrer nichts Böses!«
»Und ich wünsche ihm nichts, als was ihm gebührt. Und nun noch eins: Kündige unserer Tochter an, daß sie nicht mehr in die Religionsstunde des Pfarrers gehen soll. Von heute an hört jede Gemeinschaft zwischen mir und den meinigen und dem Pfarrer auf; es möchte denn sein, daß er zu Kreuze kriechen und sich mir nicht ferner widersetzen wollte.«
»Wie« – rief die Frau des Amtmanns erschrocken –, »das wäre dein Ernst? Du wolltest Aurora –«
»In die Stadt schicken, wo es Leute gibt, die ihr weniger Frömmelei und Bibelsprüche einimpfen werden und das Konfirmieren so gut verstehn wie der Herr Gevatter. Sie kann zu meinem Bruder, der sie ja ohnehin längst gern zu sich nehmen wollte, und es sich ausbedungen hat, daß sie nach ihrer Konfirmation ein Jahr bei ihm und seiner Frau zubringen soll. Dort kann sie ihre Religionsstunden fortsetzen oder, wenn es sein muß, wieder von vorn anfangen. Der Prediger an der Hauptkirche ist keiner von den Orthodoxen, und ich werde ihm meine Instruktion geben, aus welcher ihm klarwerden soll, daß ich aus meinem Kinde keine Kopfhängerin gemacht wissen will.«
»Und du fragst weder mich noch Aurora bei einem so wichtigen Beschluß um Rat? Auch daran, daß du den Pfarrer aufs empfindlichste kränken würdest, indem du ihm seine liebste Schülerin nähmest, hast du wohl nicht gedacht; und vielleicht ebensowenig daran, daß du uns alle zum Gerede im Munde der Leute machen würdest.«
»Woran ich mich wahrhaftig nicht kehren werde. Du kannst als Mutter nichts gegen meinen Entschluß einzuwenden haben, denn dein Kind wird in der Stadt eine bessere Christin werden als hier in Eilersrode. Unserer Tochter selbst muß es in der Stadt besser gefallen als hier in unserm einsamen Amtshause; es ist Zeit, daß sie etwas von der Welt sieht und kennenlernt. Aurora ist ein großes, ansehnliches Mädchen, dem ein passender Umgang fehlt.«
»Sie hat sich über den Umgang mit ihrer Mutter noch nicht beschwert.«
»Und dem Pfaffen ist es eben recht, daß ihm einmal gezeigt wird, wie wenig man seiner bedarf und von ihm abhängt. Kurz, es bleibt bei meinem Willen, unsere Tochter geht in die Stadt. Triff die nötigen Anstalten, damit ich sie an einem der nächsten Tage selbst hineinbringen kann.«
Die Amtmännin war daran gewöhnt, sich in den Willen ihres Gatten geduldig zu fügen. Tausendmal hatte sie die Erfahrung gemacht, daß ihr Gatte keinen Widerspruch leiden konnte und nur in seltenen Fällen durch Sanftmut zur Nachgiebigkeit zu bringen war. Wie schmerzlich der Eindruck, den das eben gepflogene Gespräch auf sie gemacht hatte, auch sein mochte, wie überzeugt sie auch davon war, daß ihr Gemahl aus unlautern Gründen gegen einen Mann auftrat, den sie ehrte und hochschätzte; sie schwieg und preßte die Träne zurück, mit welcher Lieblosigkeit und Härte ihr Auge füllten. Im stillen aber dachte sie über die Mittel nach, welche sie anwenden könnte, um das Ungewitter, das sich gegen aller Häupter zusammenzog, abzuleiten, und das gute Einvernehmen zwischen den Männern wenigstens äußerlich wiederherzustellen. Daß ihr Gemahl in bezug auf den Bälgentreter nicht nachgeben werde, sah sie nur allzugut ein; aber sie hoffte, ihn von seinem Beschluß in betreff Aurorens abbringen zu können, wenn er seinen Willen bei jener Wahl durchsetzte. Um dahin zu wirken, entschloß sich die gute Frau, heimlich einen Besuch im Pfarrhause abzustatten. Als es zu dämmern anfing, hüllte sie sich in einen Mantel und schlich leise durch den Garten und zur Pforte hinaus. Die gute Seele, deren ganzes Glück in dem Frieden und der Freude anderer bestand, sie verdiente den Himmel auf Erden und fand doch so selten Anerkennung für ihre Aufopferung und Liebe, so selten Dank bei denen, die ihr so viel Gutes schuldig waren. Die Amtmännin war eine jener tugendhaften, liebenswürdigen Frauen, deren Vorzüge nicht in die Augen stechen, die, immer nur das Gute wollend, ihre Aufgabe in einem ununterbrochenen Streben nach Vermittlung der Gegensätze im Leben finden und selbst darüber leer auszugehen pflegen. Ihr ganzes Dasein war eine lange Kette von kleinen häuslichen Trübsalen und Kränkungen, durchflochten von spärlichen Blüten, die am Rande ihrer Dornenbahn aus dem Samen des Guten keimten, den sie stets mit vollen Händen ausstreute. Ihr häusliches Glück ward durch die Leidenschaften und den Leichtsinn ihres Gatten sehr getrübt. Niemand hatte indes je eine Klage über ihre Lippen kommen hören. Wieviel Ursache ihr in der Aufführung ihres Mannes zur Eifersucht, zur Kälte und zu Vorwürfen auch gegeben sein mochte, immer war sie voll Milde, Liebe und Nachsicht für ihn, der ihr an Tugend so weit nachstand. Geräuschlos und unverdrossen sah man sie in beständiger Tätigkeit, ein Muster allen Hausfrauen, von früh bis spät selbst Hand anlegen, überall selbst ordnen und schaffen. Sie war Mutter dreier Kinder, denen keine liebevollere, treuere Versorgerin hätte zuteil, kein besseres, lebendigeres Beispiel gegeben werden können. Sie sorgte für Leib und Seele der Kinder zugleich; sie war es, welche ihnen den ersten Unterricht erteilt hatte, die sie zur Sitte, in Züchten und zum Wohltun erzog; sie, die stets Zeit und Mittel übrig hatte, um auch außerhalb ihres Familienkreises Trost zu spenden. Mitleid strahlte stets aus ihren schönen Augen, wenn sie irgendwo Not und Elend erblickte; Freude malte sich in ihren Zügen, wenn sie Kummer und Sorgen lindern konnte. Alle Hilflosen und Armen in der ganzen Umgegend kannten sie und nannten ihren Namen stets mit einem: »Gottes Segen über sie!« Wenn es von ihr abgehangen hätte, sie würde die ganze Welt glücklich gemacht und für sich selbst nichts behalten haben als das Zusehn. Die Amtmännin war noch immer eine ganz hübsche Frau, obgleich sie die Dreißig schon längst hinter sich liegen hatte. Schlank und zierlich gebaut, behende und leicht in allen ihren Bewegungen, hätte man sie wohl für jünger ansehen können als sie war, hätte sich nicht in ihren Zügen ein Ausdruck jener Leiden eingebürgert, die nicht plötzlich, sondern langsam, aber um desto tiefer Furchen ziehn. An ihrer Stirn und ihren magern Wangen konnte man sehen, daß sie nicht in Freud und Wonne ihre Tage verlebt hatte.
Als die Amtmännin unangemeldet und hastig in der Pfarrerwohnung angekommen war, traf sie die Frau Pastorin allein im Wohnzimmer an. Der Pastor hatte sich in sein Studierzimmer begeben, wo er, da das Ende der Woche heranrückte, seine Predigt zum bevorstehenden Sonntag schrieb. In dieser Arbeit ließ er sich nie als in den allerdringendsten Fällen stören. Obgleich die Frau Amtmännin ihren Wunsch, den Herrn Pastor selbst zu sprechen, lebhaft zu erkennen gab, erklärte doch die Pastorin, das Verlangen derselben nicht erfüllen zu können.
»Die Frau Amtmännin werden sich mit mir begnügen müssen« – sagte die Pastorin mit schneidender Kälte in Blick und Stimme – »oder am Montag wieder vorzukommen belieben. Mein Mann würde mit mir schelten, wenn ich ihn wegen der Angelegenheit, die uns wahrscheinlich das Vergnügen verschafft, Sie noch so spät am Tage bei uns zu sehen, stören wollte. Er hat überdies heute im Hause der Frau Amtmännin so viel Ärger und Verdruß erdulden müssen, daß es meine Pflicht ist, als Frau, ihn vor allen neuen Unannehmlichkeiten zu bewahren, welche ihm die Bälgentretergeschichte zuziehen könnte.«
»Liebe Frau Nachbarin« – sagte des Amtmanns Frau –, »ich bitte Sie, lassen Sie uns gemeinschaftlich das Unsere zur Schlichtung dieser unangenehmen Sache beitragen. Suchen Sie Ihren guten, lieben Mann zur Nachgiebigkeit zu bewegen.«
»Wo denken Sie hin?« – platzte die Pastorin mit schlecht verhaltenem Ingrimm heraus – »Ich sollte meinem Manne raten, von seinem guten Rechte abzustehen und nach der Pfeife des Herrn Amtmanns zu tanzen, der ihn diesen Morgen noch so grob behandelt hat! Nein, darauf können Sie sich verlassen, Frau Amtmännin, niemand wird Bälgentreter in Eilersrode ohne des Herrn Pastors, meines Mannes, Einwilligung. Sind wir im Pfarrhause auch minder reich, wohnen wir auch minder prächtig und gehen wir schlichter einher als die Leute im Amthause, so lassen wir uns doch nicht mit Füßen treten, am wenigsten von dem Herrn Amtmann, der nicht mehr ist als mein eigener Mann.«
»So richte ich denn hier nichts aus!« sagte die Amtmännin schmerzlich bewegt und stand auf, ohne sich über die beleidigenden Reden der Pastorin verletzt zu zeigen, noch über den unartigen Empfang, der ihr zuteil geworden, zu beklagen. Kalt und gemessen ward ihr Gruß erwidert, mit dem sie sich verabschiedete; kein Geleit wurde ihr, obschon es dunkel war, angeboten. Die Bitterkeit und Kälte der Pfarrfrau hatten ihr ohnehin verwundetes Herz schmerzlich tief getroffen; ihre redliche Absicht war an der Heftigkeit und dem eitlen Stolz einer Frau gescheitert, mit der sie stets liebevoll und freundnachbarlich umgegangen. Sie konnte sich über solche Härte der Tränen nicht erwehren und weinte, während sie trostlos durch die Nacht zurückeilte, bittere Zähren der Wehmut. Als sie in das Amthaus trat, kam ihr Aurora entgegen, umfing sie liebevoll mit beiden Armen und küßte der Mutter feuchte Wimpern.
»Gräme dich nicht, lieb Mütterchen«, flüsterte Aurora und blickte die bekümmerte Frau mit einem lieblich lächelnden Gesichte an, in welchem alle Zuversicht einer schönen, lebensfrohen Jugend lag, daß der Zauber des süßen Kindes die trüben, schweren Gedanken von der Mutterbrust hob und beide endlich überlegten, was alles, wenn der Vater auf seinem Willen bestehe, getan werden müsse, um zur Reise gerüstet zu sein.