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Herrschaften! rief der Küper und riß schnell den Thorweg auf. Die Wirthin schob ihre Haube zurecht und ihr Suschen vor den Heerd, denn der Rahm stand am Feuer und sie mußte ja die Gäste begrüßen. Suschen aber zog den Topf hinter der Mutter Rücken in's Kühle und sah durch die Thür-Spalte. Zwey junge Herren sprangen aus dem Wagen und lachten ihrer tief verbeugten Mutter in's Gesicht.
Im Bock? rief der eine und gebehrdete sich ganz seltsam zu dem Ausruf, sagen Sie mir was dieß Haus mit einem solchen gemein hat? Kann man in einem Bocke wohnen? essen, schlafen? seinem Gott dienen und fröhlich seyn?
Trug uns doch eine Schwalbe über's Meer! entgegnete sein Gefährte, und schlich hinter der überraschten Wirthin weg, zu Suschen hin, die jetzt lauschend am Pfeiler lehnte und sich mit einem »Willkommen mein Schwesterchen!« von ihm umfangen sah.
Schon mancher Passagier hatte in Susannen eine nahe Verwandtin erkannt: mehr um der Mutter als um der Näherung willen, drängte sie daher den neuen Bruder ganz sanft von ihrem Herzen weg und bemerkte im Laufe dieser Arbeit daß sie wirklich nur ein schwesterliches zurückweise.
Komm Gustel! rief jener, und Auguste hüpfte ihm in das geöffnete Zimmer nach.
Befehlen Sie? fragte der Küper und bot ihm den Küchenzettel.
Befehlen thue ich gern, erwiederte Gustav, aber schlimm ist's immer, daß es so viel Menschen giebt die gehorchen müssen. Ich wollte wir wären alle meines Gleichen.
Ich auch! erwiederte der Küper der gern mit sich spaßen ließ und lächelte affenartig. Die Wirthin rief ihn ab.
Das sind seltsame Leute, sprach sie, Engländer, glaub' ich, oder Verrückte, was denkt er denn, Anton?
Oder Comödianten? fiel Suschen ein, die jetzt auf beide schlecht zu sprechen war.
Da schießen Sie gänzlich fehl! entgegnete Anton, Er trägt Uniform und ein Ordenskreuz an der Brust und Sie zwey Uhren mit goldenen Zifferblättern.
Allen Respekt! wisperte die Mutter, was beliebt ihnen denn?
Nichts vor der Hand! erwiederte Gustavs herabkommender Bedienter und setzte sich auf die Bank vor dem Hause. Mit der Spicknadel in der Hand nahm die Wirthin zu seiner Rechten, Suschen mit dem Strickzeuge zu seiner Linken Platz, Anton öffnete hinter ihnen das Fenster. Vor allem mußte sie wissen – woher?
Aus Herjedalen! sagte der Kammerdiener.
Aus Herjedalen? Zu Gunsten einiger Leser, deren das Titelblatt gedenkt, bemerkt der Setzer, daß Herjedalen, eine der ödesten und menschenleersten Provinzen des nördlichen Schwedens ist. rief die Mutter.
Der Tausend! sprach Suschen, das muß weit seyn?
Viel tausend Meilen! entgegnete Karl, wir hatten nur einen Büchsenschuß bis zu den Lappen. Den Nordpol konnt' ich aus meinem Fenster sehn.
Das ist stark! rief der Küper, welcher in Versuchung gerieth, ihn für einen Windbeutel zu halten. Der Bediente aber gab ihm sein Ehrenwort drauf.
Sie kamen wirklich aus Herjedalen. Von Freunden betrogen, vom Reichsrath verfolgt, von dem Verlust einer Gattin erschüttert, die ihm diese Zwillinge gebar, vertauschte der Freiherr von Rosenwall den Hof zu Stockholm mit einem Hofe den er in dieser unwirthlichen Gegend besaß und bis dahin selbst noch nie gesehen hatte. Herr Karl, seine Zwillinge und eine alternde Schwester begleiteten ihn in diesen freuden- und menschenleeren Versteck, wo er jene entbehren, diese vergessen zu lernen hofte. Die Kinder wuchsen zwischen See und Ur-Granit, entfernt von allen Gespielen, dem Plane des Vaters gemäß, der an den Folgen der Ueberbildung litt, als Natur-Menschen auf, und sahen außer ihm und der blödsinnigen Tante und dem unwissenden Karl oft Jahre lang kein denkendes Wesen; denn an Nachbarschaft war in einer Gegend, welche auf der Quadrat-Meile kaum zehn Menschen trug, nicht zu denken, und des Vaters düstere und feindselige Stimmung verscheuchte jeden der etwa aus der Ferne her einsprach.
Sie standen bereits im achtzehenten Jahre als die Tante starb, der nach wenigen Wochen auch der Freiherr folgte.
Gustel, rief Gustav, als sie auf dem einsamen Grabe ihrer Wohlthäter saßen, und das Mädchen es mit ihren Thränen begoß, ich bitte Dich, weine nicht mehr. Sie sind ja im Himmel und die Tante ist wieder so hübsch wie Du. Darum bat sie Gott täglich. Und dem Vater kann nun kein Oberster und kein Reichs-Rath mehr etwas anhaben. Laß Dir's lieb seyn, daß wir nicht gestorben und nun unsere eigenen Herren sind.
Ach wär' ich ein Herr! sprach sie schluchzend!
Das kannst du noch werden! erwiederte der Tröstende. Gustel schüttelte zweifelhaft den kleinen Kopf.
Dank sey dem Vater, fuhr er fort, daß wir rechnen und schreiben können, deutsch wie schwedisch sprechen, fromm und bibelfest und auf zehen Meilen weit die gelehrtesten Leute sind.
Und die einzigen! setzte sie seufzend hinzu.
Herjedalen ist zwar ein herrliches Land, entgegnete er und die Tante betheuerte oft daß der Weg zur Seligkeit mitten hindurch laufe, aber selig werden wir Zeit genug, und Karl meint, es sey gut, sich erst auf Erden umzusehn. Tag und Nacht könnt' ich ihm zuhören, wenn er erzählt wo er war und was er alles genossen hat. Das wollen wir auch genießen, Schwester, und mehr. Speise und Trank soll dort unten auf den Bäumen wachsen, und wer Geld hat, wie im Himmel leben. Oben stehn ganze Säcke voll. Wir würden da viel tausend Schwestern finden, betheuert er, schön wie Du, und viel tausend Brüder, die Dich alle noch lieber haben würden als ich. Aber das lügt er!
Der alte Karl, entgegnete die Erheiterte, spricht kein unwahres Wort und gern will ich mir ihre Liebe gefallen lassen. Ich aber werde keinem so gut seyn als Dir und Du darfst mir auch keine vorziehn wenn ich nicht sterben soll.
Sey außer Sorgen, rief er und mache Dich zur Reise bereit. Martin versorgt das Gut und führt uns bis ans Meer. Dort spielen große und kleine Fische und Schiffe liegen da, wie Berge groß, die fliegen wie Vögel und bringen uns zu den Brüdern und Schwestern. Getröstet standen sie von dem Grab-Hügel auf, und Herr Karl welcher sich aus diesen Felsen in die Heymath zurücksehnte, bestärkte sie in dem Vorsatz und gab ihnen manche gute Lehre. Gustav kleidete sich in die Uniform seines Vaters, behielt dessen Verdienstkreuz im Knopfloche, und Auguste eignete sich, an die Männertracht gewöhnt, des Bruders Kleider zu. Entzückt von den Erscheinungen der Landreise kamen sie an den Bord der Schwalbe. Neue Wunder! Die See ging hohl. Sie sahen unter Schauern den Abgrund und in jeder schäumenden Welle den Tod. Lärmend bereiteten sich die Matrosen, dem Sturm zu begegnen. Die Wogen spritzten aufs Verdeck und benetzten das Mädchen. Ihre Locken schlug der heulende Wind, angsthaft umschlang sie den hohen Mast. Sey ruhig, Gustel, rief ihr der Bruder zu, Gott der Herr wird sein Ebenbild nicht den Fischen zur Speise geben. Selbst die Löwen ließen den Daniel ungegessen und drey Männer sangen im Feuerofen ihr Kyrie.
Poseidon gebot jetzt den Wellen. Das Mädchen kam von ihrer Betäubung zurück, und statt des Mastes, hielt sie einen jungen, blühenden Mann in den Armen, der vorhin, als die Wogen das Schiff bedeckten, die Gleitende auffing. Gustav, welcher der Rettung froh, einen Matrosen zum Mastkorb begleitet hatte, sah jubelnd zu ihr herab, und die blauen, dankvollen Augen des Mädchens fielen vom Himmel auf ihn, und von ihm auf den schönen Jüngling herab, dem sie noch kraftlos an der Brust lag. Zärtlich, wie sie den Bruder küßte, küßte sie diesen, und er erröthete unter der süßen Berührung. Gustel, rief der Bruder vom Mastkorb herab, ich habe dich lieber! Auguste überhörte die Versicherung, denn so wie ihr dieser Fremdling erschien, hatte sie sich die Engel gedacht.
Das war ein Wetter! lispelte sie und drückte in banger Verlegenheit ihre goldenen, triefenden Locken aus.
Diese Wogenkämpfe, erwiederte jener, sind treffende Bilder der Lebensstürme. Mürrische Freunde die uns mitten im Zorne wohlthun.
Wie mein Vater! entgegnete sie, und sah gen Norden. Aber hat dieser Sturm Ihnen wohlgethan?
Unendlich wohl! Der Sage nach entwand sich Adonide dem Mittel-Meer. Aber die heilige Sage log, das baltische trug sie an meine Brust. Lob sey der Göttin!
Bruder, rief Auguste und entzog sich dem Arm ihres Schutzgeistes, komm herab, da ist ein Heide. Er hat andre Götter neben Ihm! Göttinnen vielmehr! Mich dauert er!
Herr, rief Gustav, und sprang mit Ungestüm aus der Tackellage, was haben Sie gegen das erste Gebot?
In der Welt nichts! entgegnete der Erstaunte. Von den schönen Wesen der Fabelwelt war die Rede. Von den Göttern Griechenlands, die göttlichen Dichtern ihre Unsterblichkeit danken.
Meinen Sie den Beel zu Babel? fragte Gustav, und ließ, entwafnet von der Anmuth des Heiden, die Arme sinken.
Laß es gut seyn! bat seine Schwester, auf welche diese Anmuth noch drastischer wirkte und trat versöhnend zwischen ihn und den Grafen.
Sind Sie ein Krist? fragte jener, als auf den Beel zu Babel keine Antwort erfolgte.
Ein Praktischer! entgegnete dieser, wenn das anders nicht zu prahlerisch klänge.
Ein Praktischer? murmelte Gustav mit starren Augen, denn das Wort war ihm fremd.
Was glauben denn diese? fragte das gespannte Mädchen.
Sie glauben, erwiederte er und drückte ihre Hand an sein Herz, an die ewige Religion der Liebe, glauben daß wir alle, von Pol zu Pole, Brüder und Schwestern, Kinder des himmlischen Vaters sind, in die Fremde gesandt um weiser zurückzukehren.
Hörst Du wohl? rief sie! Brüder und Schwestern! O ich hab ihm Unrecht gethan.
Ich bin ihr Bruder! sprach Gustav und riß die Schwester an seine Brust.
Ein Beneidenswerther! entgegnete der Graf.
Und ich Ihre Schwester! lispelte sie, und zog den Fremdling an sich. Er neigte sich in reizender Verlegenheit zu der Gruppe. Jetzt fiel der Anker, die Schwalbe war am Ziele. Ein wildes Hurrah schreckte die Vereinten auf, und vergebens sah Auguste sich am Strande nach dem zweyten Bruder um, den ihr Herz dem ältern weit vorzog.
Ob wohl die Praktischen alle so schön sind? sprach sie im Wagen zu diesem und eben flog der Graf auf einem edlen Rosse vorüber und grüßte freundlich. Seh ich Sie wieder? rief die Erheiterte. Er hofte so glücklich zu seyn und jagte davon.
Hörst Du? Glücklich! sprach die Schwester.
Der Götzendiener! brummte dieser.
Hätt' ich Dich nur im Korbe gelassen, fiel sie ein, denn mit der Göttin war doch am Ende Niemand als ich gemeint. Weißt Du was neues, Gustav? Das ist mein Reise-Engel. Verlaß Dich drauf! Ergriff er mich nicht, als ich in's Meer fallen wollte? Du hingst wie tod in den Tauen und fragtest mit keinem Hauch nach mir. Er stand wie ein Fels im Sturme und hielt mich liebend über dem Abgrunde.
Wie Du auch schwatzest. Ritt er nicht? Und steht wohl ein Wort von reitenden Engeln in der Bibel? Selbst unser Herr nahm mit einem Esel vorlieb. Es ist der Böse! Glaube mir! Kömmt er wieder, so verschlingt er Dich.
Schweig! Versündige Dich nicht. Ach, und verschläng er mich selbst, es könnte nicht schmerzen. Zürnend verwies ihr der Bruder den Frevel, als ihm der Bock des Gasthauses ins Auge sprang. Er lachte laut, und wir sahen sie aussteigen.
Suschen verlohr kein Wort von Herrn Karls Erzählung. Sie sah in dem schönen Neuling einen willkommenen Schicksals-Boten, gesandt die Geschichte ihrer Schwächen zu bedecken. Schon manchen gewitzigtern Jüngling hatte sie in ihr Netz verstrickt, aber immer hatten bis jetzt Eltern und Vormünder die Gefangenen befreit, und sie selbst sich manch Herz verscherzt das redlicher liebte als es geliebt ward. Gedankenvoll kehrte die Sinnende in ihr Stübchen zurück, trat vor den Spiegel, ordnete die braunen Locken, seufzte über den Schattenzug um die rollenden Augen, warf sie zum Himmel und sprach –
Ach Gott, wenn du wolltest! Wenn der früheste und süßeste meiner Träume noch ausginge! Wenn ich zur schwedischen Gräfin würde, und alle sich krank ärgerten! Ach, lieber wollt' ich mit einem solchen Manne nach Herjedalen ziehn, als hier ohne Mann auf alle Bälle. Lieber in Lappland gnädige Frau heißen, als Jungfer Suschen im Paradiese. Er ist blühend, er ist reich, er ist albern! Ganz der Mann wie er seyn soll, um ein Mädchen wie sie jetzt sind, zu beglücken. Es gilt die Probe!
Vergebens suchte der Baron am folgenden Morgen den alten Karl, welcher sich eben das seltsame Wahrzeichen der Stadt besah. Suschen hörte ihn kommen und flog zum Klaviere. Sein Ohr ward von ihren Tönen erreicht, und mächtig wirkte das Geklimper der Stümperin auf den staunenden Horcher, der bis dahin nur die Töne Herjedalischer-Hirten-Hörner vernommen hatte. Sie sang. Die schmelzende Weise rührte sein Innerstes, er stürzte herein. Betroffen stand sie auf. Sich vor einem Kenner hören zu lassen, wagte sie nicht. Vergebens schwor er die Kennerschaft ab; schlug, als seine Bitten nichts fruchteten, jetzt selbst mit roher Hand die Klaven und glaubte Engels-Harmonieen zu vernehmen. Mein Vater hatte Recht, rief er entzückt, der Mensch kann alles was er will.
O, Ihr Spiel ist bezaubernd, versicherte Suschen und lehnte sich sanft auf seine Schulter. Dankende Blicke begegneten der Quelle des Beyfalls; er sah in die glühenden Augen, auf den üppigen Mund, in den gürtellosen Busen und seine Hände erstarrten auf dem verstummenden Saitenspiele.
Holdselig lächelte die Betrachtete.
Schöne Schwester! stammelte er, und hörte sein Herz schlagen – O, Allerschönste! rief er und zog die Sträubende zu sich hin.
Guter Mann! lispelte sie und entwand sich doch seinen stürmischen Liebkosungen.
Reise mit uns! bat er und streichelte ihre glühende Wange.
Sie vergessen, erwiederte Suschen, daß ein edles Mädchen nur mit dem Vater oder mit dem Bräutigam reisen darf – Ach, kaum mit diesem!
Und mit Brüdern –
Mit leiblichen nur.
Mit dem Bräutigam, sagst Du? Wie versteh ich das, Liebe?
Mit dem künftigen Gatten.
Da muß ich Dich heyrathen? Nicht wahr, man heyrathet hier auch? Warum erröthest Du?
Ich hätte nicht geglaubt, daß selbst der Unschuld engelreine Frage ein zartes Mädchen-Ohr verletzen würde.
Laß mich reden wie mir's ums Herz ist. Vom Heyrathen sprachen wir? Ach Liebe, das Wort hat mich schon oft beschäftigt. Von Jugend auf. Es liegt ein tiefer Sinn in ihm, den ich nie ergründete. Die Tante verwarf es gerade zu. Der Vater war billiger und verdammte nur die Mißbündnisse. Karl hingegen sprach immer mit Wärme davon und mahlte mir's so süß, daß mir schon oft das Herz klopfte, wie jetzt.
Erklärte sich denn Ihr Herr Vater über das, was er unter Mißbündnissen verstand?
Nur zu deutlich, meine Liebe! Sieh, ich bin adelich gebohren. Bist Du das auch, so werde ich heute noch Dein Mann und um eine Erfahrung reicher die ich gern mit tausend schwedischen Thalern bezahlte.
Herr Baron, sprach Suschen, von der Prämie ermuntert, Sie müssen wissen, daß schon das erste Weib geadelt aus der Hand des Schöpfers hervorging, denn er schuf sie ja, ein Männlein und ein Fräulein. Was unsere Ahnfrau war, sind wir auch.
Zuverlässig! rief Gustav, laß sehn, was meine Schwester dazu sagt?
Armer Mann! Hängen Sie von dieser ab?
O nein! Ach nein! Wir hängen so – beide von einander ab, und Gustel will sterben, wenn ich ihr irgend eine andre vorziehe.
Die zärtliche Schwester!
Ja, das ist sie. Ueber die Maße. Gewesen vielmehr, denn seit Stunden spricht sie nur von einem, den sie ganz roth geküßt hat.
Ich erschrecke!
Ich erschrack auch. Ich wäre fast aus dem Mastkorb gefallen als sie um Hülfe rief, weil ein Heide sie im Arme hielt. Aber es war nur ein Praktischer.
Liebt sie ihn denn?
Er ist ihr Nächster, und hübsch dazu. Ach, schöner als ich, drauf schwor sie und schmollte als ich vom bösen Feinde sprach.
Wie sah er denn aus?
Das will ich Dir sagen. Wie der Versucher in Gustels Bilder-Bibel, dem ich einstmals die Augen ausstach. Er aber hat die seinen noch und sie funkeln wie die Sterne des Wagens über der nordischen Felsen-Wand. Das sind Berge! Stünd' ein solcher auf dieser Sandfläche hier, man könnte die ganze Welt übersehen.
Ach! seufzte Suschen.
Was fehlt Dir? fragte er schnell bekümmert, was beseufzest Du?
Diesen Sand! fiel sie wehmüthig ein. Von Jugend auf sehnt' ich mich zu den Gipfeln. Als Kind in die Kronen der Bäume, als Jungfrau zur Höhe des Lebens. Aber mein finsteres Geschick wollt' es anders und trauernd wandle ich im Staube fort.
Ja, staubig ists hier! fiel er treuherzig ein und eigentlich nirgends wie es seyn könnte. Das Meer z. B. war offenbar zu naß, und wenn in Herjedalen diese Sonne schiene, so frör' uns den ganzen Winter nicht. Unbillig ist es –
Dann wär es auch unbillig, sprach Suschen, die sich durch diese Kritik der Schöpfung von der Verfolgung ihres Plans entfernt sah, mehr als unbillig, daß die Natur mich zur Dienerin erniedrigte, Sie zum Herrn erhob.
Zum Freiherrn! fiel Gustav ein und trommelte hoffärtig auf den Klaven.
Zwar versöhnt ein Mann wie Sie, die Mehrheit mit dem Zufall.
O ja! Gut bin ich. Das kann mir die Gustel bezeugen.
Und dieser Orden verbürgt Ihr frühes Verdienst.
Gefällt er Dir, Suschen? Willst Du ihn haben? Nimm, nimm! Häng ihn an Deine Kette, er muß sich herrlich auf diesem weißen Halse ausnehmen.
Wie? Mir wollten Sie verehren, was Ihnen ein König gab?
Das ist ein Erbstück von dem Vater. Nimm, ich kaufe mir gelegentlich einen andern. Er befestigte ihn selbst an ihre Kette. Die Arbeit führte zu Berührungen die ihm das Blut an's Herz, Flammen in die Augen, und seine Lippen in den Himmel drängten, an welchem jetzt der Nordstern glomm.
Sanft schmälend wehrte die neue Ritterin seinem Fleiße, und der spielende Kampf ward zum ernstlichen als Suschen hart an der Thüre weibliche Tritte vernahm.
O lassen Sie mich! rief sie nun laut, denn Auguste sah herein.
Was beginnst Du? sprach die Erröthende und zog den Bruder mit Heftigkeit von dem Nordsterne weg. Glühend, bebend und odemlos stand er vor dem Genius der Unschuld, stammelte einige unvernehmliche Worte und floh aus dem Zimmer. Sie warf einen vernichtenden Blick auf Susannen, riß das Ordenskreuz von ihrem Halse und folgte jetzt, bedrängt von bittern Thränen dem Bruder, auf den der schmetternde Schall der Trompeten wie ein Lethe-Trank gewirkt hatte. Mit offenem Munde und verschlungenen Armen sah er dem reitenden Jäger-Regimente nach, das vom Exerziren zurückkam. Auch Gustels Augen wurden bei diesem Schauspiel wieder trocken, und mit klopfendem Herzen verfolgte sie die jungen Helden, welche, Centauern gleich, vor den Zügen stolzirten.
Gustel, rief er, als der letzte aus seinem Gesichte verschwand und hieb mit dem väterlichen Säbel um sich her, es ist beschlossen, ich werd' ein Soldat. Oberster, wenn es möglich ist, oder auch weniger, das sind furchtbare Leute. Gott gebe, daß sie nicht in Schweden einfallen, die hieben uns kurz und klein. Es ist doch herrlich, wenn so alles was Odem hat, vor einem zittert und kleinlaut wird. Und was sie für Hüthe trugen! Es ginge keiner zur Hausthür herein. Freilich, freilich, da muß man sich fürchten. Und die Pallasche! Wie vielen mag wohl ein jeder schon den Garaus gemacht haben?
Ich bin böse! sprach Gustel und entzog ihm die Hand. Was hast Du gethan? Da ist Dein Orden, schäme Dich!
Hast Du ihn wieder? O, gieb her. Sie trugen auch welche. Ob geerbte oder geschenkte, mag Gott wissen. Meine Braut soll was anders bekommen. Ich laß ihr einen Berg in den Garten machen, sie liebt das Gebirge. Die Offiziere sind ihr alle gut. Sie nickten ihr zu, und einer stach sogar mit dem Degen nach ihr. Zum Spaße nur. Aber Suschen fürchtete sich auch nicht ein bischen –
Ein Offizier trat jetzt ins Haus. Er sprang hinab; Susanne kam ihm in den Weg.
Du sollst einen Berg haben! sprach er und drückte ihr die Hand.
Fort Unglücklicher! lispelte sie und entriß sich ihm.
Unglücklicher? rief er ihr nach. Warum das? Niemand ist glücklicher als ich.
Gustav verbeugte sich ehrerbietig, als er, bestürzt von Suschens Benehmen, ins Zimmer trat wo der Kriegsmann hinter einem Kelchglas am Tische saß und in den Zeitungen blätterte. Dieser schloß, kraft der Uniform, auf einen schwedischen Offizier und dankte mit kameradschaftlicher Wärme. Der Orden den Gustel ihm wieder ins Knopfloch geschlungen hatte, ließ auf Rang oder Verdienst schließen und veranlaßte den Jäger-Hauptmann, ihm näher zu rücken.
Ich hab' auch einst die Ehre gehabt, sprach er, gegen Ihre Landsleute zu fechten. Unter Belling in Pommern, es war mein erstes Probejahr.
Ah so! rief Gustav mit erwachendem Patriotismus, gewiß bei Lützen, wo Gustav Adolf blieb?
Der Hauptmann maß ihn mit einem ernsten Blick.
Mein Vater, fuhr er fort, hat mir davon erzählt, so oft er bei guter Laune war.
Suschen trat in's Zimmer, begrüßte traulich den Herrn von Welling und setzte sich mit ihrer Arbeit an seine Seite.
Ist das ein Wahnsinniger? fragte er sie leise.
Ein Lappländer! flisterte sie ihm in's Ohr.
Ein Lappländer? sprach der Erstaunte und faßte den Baron in's Auge.
Mein Herr! rief dieser von Suschens Gelächter empört und sprang auf, ich bin ein edler, freier Schwede.
Vergeben Sie! erwiederte Welling und leerte sein Glas.
Von Herzen gern! erwiederte Gustav und bot ihm die Hand, die Lappen sind ja auch unsere Brüder.
W. Ist das Infanterie-Uniform?
G. Nein, meines Vaters Rock.
Dem Hauptmann schwoll noch gerade der Kamm.
Dienen Sie? rief er und wem? und wo?
Mit Freuden! erwiederte Gustav nach kurzer Besinnung. Meinem Nächsten, wo ich kann.
Sind Sie ein Kind oder ein Geck?
Nur Geduld. So will ich auch thun! Ich werde was Sie sind, drum kam ich herunter.
Hanswurst! rief Welling der sich von dem Milchbart gefoppt glaubte und griff zum Degen.
Pfuy, Pfuy! fiel Gustav ein. Red ihm doch zu, Suschen.
Er ist Baron! versicherte diese.
Desto besser! sprach Welling, also Genugthuung.
Duelliren? fragte Gustav, den sein Vater mit dieser Sitte bekannt gemacht hatte.
Auf Hieb oder Stoß. Sie haben die Wahl.
Auf keins von beiden, entgegnete jener. Lieber, böser Mann, das wäre ja sündlich.
Erstens hab ich Ihnen nichts gethan, zweitens könnt' ich Sie tod machen und dann wär ich ein Kain. Drittens könnten Sie mich in Stücken hauen, dann stürbe die Gustel vor Gram, und suchte mich selbst im Himmel vergebens, denn Bruder-Mörder sehn Gott nicht. Viertens endlich sprach unser Herr »Vergebt dem Beleidiger!« Da ist meine Hand. Sie dauern mich. Morgen wird die Reue Ihr Herz ergreifen, und Sie werden bittre Thränen weinen und es wird Sie anfallen wie mich, wenn ich dem alten Martin, oder Karln, oder gar der guten Gustel zu nahe trat. Es ist so hübsch im Bocke, seyn Sie doch auch hübsch!
Der Hauptmann sah bald ihn, bald Susannen an und die stille Gewalt der Unschuld löste seinen Zorn allmählig in Rührung auf. Entwafnet ließ er das Schwert sinken.
Ich habe nie unter Menschen gelebt und bedarf daher menschlicher Nachsicht, denn überall thürmen sich Räthsel auf Räthsel. Vorhin wollt' ich Suschen heyrathen und sie wollte auch. Jetzt nannte sie mich einen Unglücklichen und eilte zu Ihnen. Sie rühmen sich, gegen mein Vaterland gefochten zu haben und nennen mich einen Lappländer als ich das glaube. Fragen mich, wessen Diener ich sey und schimpfen als ich mich zu dem Ihren bekenne. Wahrlich, mir ist wie an dem Tage wo ich die Blattern bekam, und geht mir's überall wie hier, so reisen wir noch heute zurück. Ach zwischen unsern Felsen ist es besser. Da wohnt die Eintracht und die Ruhe. Eins kennt und liebt und erträgt dort das andere. Gott ehre mein Vaterland!
Welling zog ihn jetzt an seine Brust.
Sind Sie wieder gut? fragte Gustav und zerdrückte zwei große Thränen im Auge.
Wie sollt' ich nicht?
Hätten wir nun duellirt, so wäre einer von uns in Verzweiflung und der andere mit Stock und Degen im Reich der Finsterniß.
O reisen Sie zurück. Sie sind kein Mensch für diese Erde. Dieß Gepräge gilt hier nicht, es kann nur verlieren.
Die Mutter rief Susannen ab.
Als ich vorhin am Hause vorüber ritt, fuhr der Hauptmann fort, stand eine junge Dame in Männertracht neben Ihnen.
Meine Schwester. Gefiel Sie Ihnen? O die ist viel besser als ich, manchmal auch klüger. Wir sind Zwillinge.
Und die begleitet Sie? So ohne Aufsicht? Sich selbst übergeben? Verlassen von allen Schutzgeistern weiblicher Unschuld?
Einen hatte sie, dem aber trau' ich kaum. Es war ein Praktischer. Ich kenne die Sekte nicht. Sein Jäger nannte ihn Herr Graf. Plötzlich trat er auf der Schwalbe aus den Wellen hervor, erhaschte die Fallende, sprach von Göttinnen, von Windsbräuten und ewiger Liebe. Kennen Sie ihn? Er trägt ein weißes Kreuz an der linken Brust, eine Vogelnase und feurige Augen.
In der Regel, mein Freund, sind das eben keine Kennzeichen der Schutzgeister. O, wachen Sie über dem Mädchen.
Das versprech' ich Ihnen. Sie soll mir so leicht nicht zu Schaden kommen, aber wer konnte dem Sturme gebieten?
Noch mancher, fürcht' ich, wird ihr bevorstehn!
Nein, uns bringt kein Mensch wieder aufs Schiff, und läßt sich der Graf sehn, so ist sie versorgt, wenn ichs gestatte. Sie will ihn heyrathen.
Sie ihn?
O ja. Sie küßten sich und er entschuldigte das mit seiner Religion die aus lauter Liebe bestehn soll. Nur von ihm spricht Gustel seitdem, und geht es so fort, so entsagt sie dem Lutherthum und wird eine Praktische. Das wäre doch schrecklich! Ich glaube, es mag ihr ums Herz seyn wie mir, als ich Susannen den Nordstern anhing.
Verachten Sie diese!
Verachten? Warum denn? Ich bin ihr so gut. O, ich möchte sie essen!
Das ist der Trieb roher Sinnlichkeit.
So? Ja! Roh bin ich!
Sie begehren nur, stürmisch, glühend, mit ungeschwächter, rascher Jugendkraft, doch diese Leidenschaft führt zum Verderben. Nur wer sie zügelt ist ein Mann! Verwerfen Sie die Buhlerin.
Ein Mann will ich werden. Ich verwerfe sie. Aber was ist eine Buhlerin?
Ein Geschöpf das allen Liebe heuchelt und nur sich selbst liebt. Das den göttlichen Beruf seines Lebens entheiligt, und die heiligen Schätze der Weiblichkeit Preis giebt.
Hm! brummte der Sinnende. Woher wissen Sie das?
Aus Erfahrung! sprach der Erröthende. Soldaten sind Weiberkenner.
Soldat will ich auch werden. Beides, wo möglich. Ihr Regiment hat mich entzückt.
Sind Sie reich?
Steinreich. Und überdem nahm ich drey Säcke voll Species mit, die in des Vaters Schlafkammer standen.
Wir werden bald Krieg haben.
Da will ich säbeln!
Wie reimt sich das zu Ihren Grundsätzen?
Mein Vater hatte dieselben, und doch gegen die Russen gefochten. Tüchtig, das schwör' ich Ihnen.
Er stritt für sein Vaterland. Ist hier das Ihre? Sparen Sie für jenes Muth und Geld und Kraft.
Sie haben Recht. Es war so ein Einfall. So ein Trieb wie der Trieb nach Suschen. Ein roher. Ich will ihn bekämpfen.
Und diesen Rock, mein Freund, und diesen Orden legen Sie ab. Suum cuique! An Ihnen waren das nur Kennzeichen eines Glücksritters und Sie haben eigenen Werth.
Ach, kommen Sie doch mit zur Gustel hinauf, bat der Geschmeichelte und zog schnell die Uniform vom Leibe, hört die Sie reden, so wird sie gewiß den Grafen vergessen und lutherisch bleiben.
Dienst-Geschäfte nöthigten Wellingen, sich dieses verdienstlichere Geschäft vorzubehalten.
Begeistert von dem neuen Freunde theilte Gustav der Schwester die Unterhaltung mit. Diese dachte sich einen zweiten Grafen in ihm, schalt, daß er ihn habe gehn lassen, konnte die Stunde seiner Rückkehr kaum erwarten, und ward plötzlich sehr kleinlaut als der Bruder bedauerte daß Welling so ein kleiner, unansehnlicher Mensch sey. Sie erinnerte sich jetzt, im Gefolge der Beschreibung, daß sie ihn bei der Rückkehr des Regiments zwischen zwei engelschönen Jünglingen hatte reiten sehn, daß er schief und sein Gesicht mit Narben bedeckt war, und dachte sehnlicher als je an den narbenlosen Schutzgeist.
Mit dem Berg ist es nichts! sprach ihr Bruder zu Suschen, als er sie am Abend im reizenden Nachtkleid allein in der Gaststube traf, aber das Kreuz schenk ich Dir weil ich kein Glücksritter seyn mag.
Schwermüthig erhob sie die großen Augen, seufzte tief, führte langsam das weiße Tuch zum Gesicht und brach in helle Thränen aus.
Es wäre ja ohnehin nur ein Gedächtniß von einem Berge geworden, sprach er tröstend, denn der Sand steht nicht und Dein Gärtchen ist viel zu klein. Das Kreuz kannst Du anhängen, jenen nicht. Da, nimm es und sey vergnügt.
Wie unglücklich haben Sie mich gemacht, sprach sie schluchzend, und wies das Geschenk zurück, wie unverdient mich erniedrigt.
Fängst Du auch an wo es der Hauptmann ließ? rief er verblassend. Was seyd ihr für Menschen! Was hab' ich denn Dir gethan?
Sich an mich gedrängt, fuhr sie fort, mich dem Gifte der Verläumdung und den Mißhandlungen Ihrer Schwester Preis gegeben.
Mißhandlungen? sprach er zweifelhaft.
Mein Zartgefühl verletzt, klagte sie mit steigendem Affekt, dieß ruhige Herz aufgewiegelt, und eine verzehrende Gluth in meinem Innersten entzündet.
Die fühl ich auch! rief er erschüttert, aber wenn Du ein Mann seyn willst, so bekämpfe sie.
Mit lockendem Geschwätz von Liebe und Ehe mich Arme gekirrt, getäuscht, betrogen. Das alles haben Sie gethan und spotten nun des weinenden Opfers.
Wie könnt' ich das, armes Suschen. Ich beklage Dich. Aber wer heißt Dir auch, Liebe heucheln und dennoch niemanden als Dich selbst lieben?
Ich eine Heuchlerin?
Leugne nicht. Ich weiß alles, und daß Du den göttlichen Beruf Deines Lebens entheiligtest –
Und die heiligen Schätze der Weiblichkeit Preis gabst. Doch möchte das hingehen, wenn sie an Bedürftige kamen, aber eine Buhlerin bist Du doch!
Abscheulicher! rief die Glühende, wer sagt Ihnen das?
Ein Weiberkenner, der aus Erfahrung sprach.
Ach der Elende! Ach ich Unglückliche! rief sie und sank in Ohnmacht.
Wärst Du gut, so wärst Du auch glücklich, entgegnete er und nahm jetzt mit Erschrecken wahr, daß sie ganz starr ward.
Er neigte sich zu ihr, er trug sie aufs Sopha, und rief um Hülfe. Aber die Mutter saß neben Anton bei dem erzählenden Karl im Garten, und Gustel träumte sich oben in des Grafen Arm. Die leichten Zuckungen der Ohnmächtigen wirkten auf ihr loses Gewand das unter den Händen des Helfers zu zerfließen schien und Gustav vergaß die Bedingung der Männlichkeit welche ihm Welling ans Herz legte.
Wo sind Sie? sprach eine Stimme, er fühlte seine Schulter berührt. O stehn Sie mir bei! rief er dem Hauptmann zu, der leis hereingetreten war, Suschen stirbt mir unter den Händen.
Es ist Feuer! entgegnete dieser, hart neben an.
Neben an? rief die Scheintode, sprang hastig auf und aus der Thüre.
Da sehn Sie nun! rief Welling und lachte laut.
So helfen wir löschen! sprach Gustav und eilte fort.
Ich hab es hoffentlich gelöscht, entgegnete dieser, und jetzt erst verstand ihn der Erschrockene.
Gustel saß indeß, verlohren in das Schauspiel ihrer Phantasie vor den ungeputzten Lichtern, als die Thüre sich öffnete und der Heide von gestern in's Zimmer sah. Sie raffte sich auf und trat zitternd zurück, als er unter Verbeugungen näher kam, denn sanfte Schauer durchströmten ihr Herz. Mit schonender Achtung drückte der Graf ihre bebende Hand an die Lippen und entschuldigte sein Erscheinen zu einer so späten Stunde mit der Pflicht sie vor einem Gasthause zu warnen, das für Damen ihres Ranges nicht geeignet sey.
Augustens Bänglichkeit wuchs mit jedem seiner Worte, und dieses seltsame, nie empfundene Gefühl setzte sie außer Stand ihm zu antworten.
Da ist er! rief der Hauptmann der jetzt an Gustavs Hand in's Zimmer trat.
Mein Vetter, sprach der Schutzgeist zu Augusten, Hauptmann von Welling.
Mein Vetter, erwiederte der Hauptmann, Graf Welling, Gesandtschafts-Cavalier am Hof Ihres Königs.
Ein Vogel trug uns über die See! fuhr jener fort.
Fast in die See! lispelte Auguste.
Wie schön wär' ich gestorben. Die Seele die ich hielt, hätte mir in den Himmel geholfen!
Da zweifle ich doch, fiel Gustav ein, nur der Glaube macht selig.
Gnädiges Fräulein, sprach der Hauptmann, mein Vetter hegt den Plan, Sie zu entführen.
Nur aus dem Bock, entgegnete der Graf, vielleicht würden Sie mir danken. Ich wenigstens wär' in diesem Falle des Dankes meiner Schwestern gewiß, die Sie erwarten.
Auguste sah den Bruder an. Wozu rathen Sie? fragte Gustav den Hauptmann.
Ew. Gnaden, sprach dieser zu Augusten, würden gut aufgehoben seyn. Die Gräfin Mutter ist eine treffliche Frau und das Kleeblatt ihrer Töchter die Gruppe der Grazien. Häßlich wie ich, wird der Graf neben diesen.
Sie haben drei Schwestern? sprach Auguste schnell erheitert, o da reis' ich mit.
Drei Schwestern? rief Gustav. Da reis' ich auch mit. Es ist doch kein Suschen unter ihnen?
Wer ist Suschen? fragte der Graf –
Keine – Ohnmächtige? Keine die man nicht heyrathen darf? Die den göttlichen Beruf ihres Lebens –
St! rief der Hauptmann und zog ihn bei Seite.
Ehren Sie, bat er ihn, ehren Sie das Ohr der Damen. Selbst der geübte Weltmann wiegt und wählt in ihrem Kreise die Worte seiner Rede und verzeiht sich das verletzende nicht.
Ein Wort ist kein Pfeil! entgegnete Gustav, aber viel lieber will ich doch im Bocke bleiben als dort ewig auf den Zehen gehn.
Der Anfang ist lästig, erwiederte Welling, aber die Uebung führt überall der Gewohnheit zu. Wir Männer sind gebohrne Wilde, nur das feinere Geschlecht betritt im Geiste seiner Rolle die Erde und hebt uns mit zarter Hand zur Sphäre der Menschlichkeit.
Was gilt's, rief jener, der Graf hat die Gustel auch verletzt? Sehn Sie nur wie roth sie wird.
W. Von einem Unglück sprach er wie mich deucht?
G. Sie reden so heimlich als schliefen wir.
W. Und jetzt von der Güte seiner Mutter und den Eigenschaften seiner Schwestern.
G. Vor diesen bangt mir. Wissen die auch schon daß wir als Wilde gebohren werden, so gnade mir Gott.
W. Fürchten Sie nichts. Die Naivetät ist eine geltende Vorsprecherin.
G. Wer ist das? rief er. Find' ich die auch dort? Sie machen mich neugierig?
Der Zapfenstreich ersparte dem Hauptmann die Erklärung. Gustav sprang vergessend zum Fenster, Auguste neigte das betäubte Ohr zum Munde des Grafen.
Das Fräulein sprach dieser, als das Getöse der Trommeln verhallt war, zu dem zurückkehrenden Bruder, das Fräulein erlaubt mir, Ihnen morgen den Wagen zu senden.
Ich auch! erwiederte Gustav und wiederholte mit Hand und Mund den Zapfenstreich.
Nur kein Schiff! bat Auguste.
Einen Phaeton, entgegnete er lächelnd, den Venus selbst nicht verschmähn würde. Bestürzt, ihn wieder auf seine Göttinnen kommen zu sehn, brach sie schnell ab und eilte zum Licht, ihre Börse zu öffnen. Wohlthätige Fee! lispelte der Graf und trat ihr zur Seite.
Der bettelt! sprach Gustav zum Hauptmann. Was beginnst Du da, Gustel? Weißt Du nicht, wie es Suschen ging die auch ihre Schätze hingab?
O lassen Sie, fiel der Graf ein, lassen Sie die Edle gewähren. Das Fräulein unterhielt mich vorhin von der Schönheit des Regiments das sie am Morgen vom Exerziren zurückkehren sah. Nun ist bei dieser Uebung, wie mir der Hauptmann sagt, ein Reiter gestürzt. Seine schwangere Frau und vier verwaiste Kinder beweinen den Toden. Ich gedachte der armen Verlassenen, und dieser Engel eilt ihnen beizustehn.
Todt? fragte der Theilnehmende.
Auf der Stelle! sprach sein Hauptmann, das Pferd zerdrückte ihm die Brust.
Genug! Genug! rief der Graf und hielt ihr die gebende Hand.
Die ganze Börse! bat ihr Bruder, und wenn Dich auch keiner nun heyrathen möchte. Freue dich alsdann und hüpfe, denn siehe unser Lohn ist groß im Himmel. Das ist herrlich! Nicht um des Lohns willen, aber es steht in der Berg-Predigt und die las ich nie ohne Thränen.
Sie stürzten aus der Schwester Augen. Wie ein seliger Geist neigte sie sich zu dem Grafen und ließ den Rest in seine Hand sinken. Tief bewegt, versank er in den Anblick der Lieblichen.
Das ist zuviel, sprach der Hauptmann, die Klugheit muß die Güte leiten. So viel giebt selbst der Monarch nicht.
O lassen Sie uns! rief der Baron, hier stand es müssig, dort wird es nützen, und wie müßten wir thun, wenn das Geld und die Gustel Huckepack auf dem Grunde des Meers lägen?
Lieber, sprach Gustel, will ich barfuß und einfältig, als klug und lieblos zurückkehren.
Der Graf drückte gerührt ihre Hand, sie sah in sein Auge. Ihr war als sähe sie in die Augen des Himmlischen der die Einfältigen selig pries und zu dem Tadler sprach Gustav:
Den Samariter hab' ich immer beneidet. Das ist auch so eine Seele gewesen, wie Gustels Seele. Ach, als Knabe schlug ich Böswicht einst nach ihr und fiel, als sie auswich, in die Dornen. Da weinte sie bitterlich und zog die Dornen aus meiner Hand und küßte mir die blutenden Wunden.
O Auguste! rief der Graf, hob die Börse hoch empor und verschwand.
Sagen Sie ihm doch, bat sie den Hauptmann, welcher sich nun auch beurlaubte, daß ich es damahls an dem Bruder erhohlte, und er, nicht ich jetzt der Geber sey.
Beides ist unwahr! fiel der Bruder mit Heftigkeit ein, denn sie wollte nicht Haschemann spielen und dieses Geld hat ihr die Tante vermacht.
Der Hauptmann lächelte, und in seinen Narben hing eine Thräne.
Ich wollte daß es noch Apostel gäbe, sprach Gustav jetzt, und daß Er mich auch wie jene Lämmer unter die Wölfe sendete und Wunder thun ließe. Wenn sie den armen Reiter hinaustrügen, so trät' ich zum Sarge und spräche: Wach auf! und gäb' ihn der weinenden Frau und den jammernden Kleinen zurück, wie der Mutter des Jünglings zu Nain geschah. Jüngling, sprach Er, ich sage Dir, stehe auf. Ach liebe Gustel und der Tode stand auf und er gab ihn seiner Mutter! Nun denke Dir das Mutterherz in seiner Wonne, und die Seligkeit des Erweckers.
Andächtig faltete das Mädchen die Hände.
Ach, fuhr er fort, jetzt wandelt kein Heiliger mehr zwischen den Sterbehäusern und Gottes-Aeckern und vergebens rufen die Weinenden – Wach auf! Wach auf! am Sarg ihrer Todten. Nach wie vor wird der Eltern Hofnung, des Hauses Stütze, Mutter und Kind, manche blühende Gustel hinausgetragen, hinabgesenkt, aber kein Wunderthäter rühret sie an. Stirb Du mir nur nicht, gute Schwester!
Liebend umschlang sie ihn. Daheim, sprach Sie, sehnt' ich mich oft in's Grab, jetzt sehn' ich mich nach der Heymath. Seit Tagen schon. Seit ich ihn sah. O säß er mit uns auf des Vaters Grabe oder am hallenden See, auf dem rauhen Moos der Klippe die gegen Norden sah, wo wir am Abend vor der Abreise weilten, als der Vollmond über den Skölen Die nordischen Grenzberge. hing und ihre silbernen Gipfel beglänzte. Der Sturm trieb uns in's Thal hinab, aber glaube mir Gustav, er war nur ein Wehen gegen den Sturm meines Herzens.
Ich weiß es wohl daß er Dir alles ist – Alles! Wär' ich doch aus dem Mastkorb gefallen! Zwar müßt' ich dort wieder mit der Tante beten, aber Du hättest Ihn und wärst glücklich.
Das könnt' ich ohne Dich nicht seyn.
So lieb' uns doch beide!
Aber versprach ich Dir nicht –
Wir waren Kinder. Ach, ich merk' es wohl, viel anders als daheim geht es auf dem Rest der Erde her. Noch manches wovon uns nichts träumte, werden wir erfahren, noch manches Opfer bringen, manches Gelübde bereuen müssen. Nur am Glauben halte fest, liebe Gustel, und hüte Dich, daß Du kein Suschen wirst.
Sie versprach ihm das und ging in ihre Kammer. Lange lag sie dort betend auf den Knieen und sah jetzt im Traume Roderichs Bild über dem Gipfel der Klippe.
Gustav konnte nicht schlafen. Er fand einige Bücher im Fenster, die ein durchreisender Gelehrter dort vergaß und trug sie neugierig zum Lichte hin, denn bis jetzt hatte er außer der Bibel und dem Gesangbuch nur deutsche und schwedische Kirchenlehrer des vorigen Jahrfunfzigs, vertraute Gefährten seines orthodoxen Vaters gelesen.
Nach dem dicksten griff er zuerst. Seine Augen wurzelten an dem seltsamen Inhalt und zum ersten Mal in seinem Leben vernahm er jetzt, daß der Verstand das Vermögen sey, aus den mannigfaltigen Prädikaten der Sinnlichkeit Begriffe zu sammeln; daß das rein, a priori Vorhandene dieses Vermögens die Kategorieen gebe, welche die Anschauungs-Arten, Quantität, Qualität, Modalität und Relazion begriffen, aus denen dann Einheit und Zusammenhang in den Stoff unserer Anschauungen stieße und so die Erfahrung hervorbringe.
Sein Verstand blieb ihm stehen. Ich sehe deutlich, rief er, daß ich gar keinen habe; nun wundert mich nichts mehr. – Schläfst Du schon Gustel?
Gustel, die jetzt den Felsen erstiegen hatte, hielt eben den Grafen im Arme als des Bruders Stimme sie zur Erde niederzog. Fehlt Dir was? fragte sie seufzend, richtete sich auf und sah ihn durch die Spalte der offenen Kammerthür, blaß und entstellt vor dem Buche sitzen.
Er fehlt uns Beiden! sprach er und das tröstet mich noch – und allen Herjedalen neben uns, denn dort galten wir ja für die Klügsten.
Lauschend warf sie Tuch und Röckchen um.
Aber Thiere – o mein Gott! Thiere sind wir denn doch nicht! Wir können ja beten, und weinen, und barmherzig seyn wie es unser Vater im Himmel ist!
Was hast Du aber? sprach sie zu ihm eilend, und streichelte ihn.
Keinen Verstand! Sonst fehlt mir nichts. Nur erschrocken bin ich. Keinen Priori und nicht eine Kategorie. Auch der Vater hatte keine. Es ist gewiß ein Familien-Fehler.
Oder sie finden sich noch? tröstete Gustel.
Bei Dir vielleicht, wenn Du Frau wirst, denn dann soll sich, wie Karl behauptet, der Mädchen ganzes Naturell verändern. Aber ich? Was ich werden sollte bin ich schon. Höre nur an. Wenn ich Dich ansehe so ist das doch eine Anschauungs-Art? Ob von vorn oder schielend, mit Quantität oder Relazion, das ist gleichgültig. Narrenpossen sind das, nicht reine Verstandes-Begriffe. Und doch sollen sie die Erfahrung hervorbringen!
Der Verfasser hat nur gespaßt! entgegnete Gustel.
Ach Gott nein! rief er, sein bitterster Ernst ist's, es steht ja ein Privilegium vor dem Buche und L. S. in einem Ringe darunter. Was das nur bedeuten mag?
»Loser Schelm« vielleicht, sprach sie rächend, oder »Lauter Satyre?« und nahm ihm das Buch. Hastig griff er nach dem zweiten, welches bewies, daß sich die Abszissen wie die Quadrate ihrer korrespondirenden Ordinate verhalten.
Das will ich zugeben! rief er, denn Gott weiß was Abszissen sind und der Vater korrespondirte ja auch einst mit dem Ordinarius in Greifswalde.
Er öffnete das dritte und lachte laut als der Verfasser um die geozentrische Länge eines Planeten im Thierkreis zu finden, eine Gesichts-Linie von der Erde nach ihm hinzog und dann das Lineal mit der gezogenen Linie parallel, am Mittelpunkt der Sonne anlegte.
Du hast Recht, rief er, L. S. lauter Spaß, lauter Satyren! Spaßvögel sind's! Dieser läuft sogar mit einem Lineal in die Sonne. In den Mittelpunkt! Närrische Streiche! Geh zu Bette, Gustel, mir ist wieder wohl und Du erkältest Dich sonst.
Sieh, o sieh! sprach Gustel jetzt und wies auf das Titelkupfer des vierten, so möcht' ich aussehn! so mich tragen!
O welche Schwester! rief der Betrachtende, versank in Anschaun, schlug dann das Blatt um und las –
Die schönen Tage in Aranjuez
Sind nun zu Ende –
Zu Herjedalen auch! sprach die Seufzende und schlich in ihr Bettchen zurück.
Wir sind vergebens hier gewesen!
Nein! brummte der Leser das ist unwahr. Der armen Wittwe ward geholfen und ich weiß nun was eine Buhlerin ist. Aber je weiter er las, je mehr vergaß er sein Hierseyn und die Morgensonne fand den Bezauberten am Schlusse des Meisterwerks.
Tief in sich selbst verlohren, stieg er zu dem Garten hinab und weckte Karln. Suschen, deren Fenster dahin sah, erwachte, glaubte, er wandle noch in der gestrigen Befangenheit um ihretwillen dort, schob leise den Vorhang auf und griff in die Claven. Er hörte nicht. Sie öffnete das Fenster, er sah noch immer vor sich nieder und schien in einem Selbstgespräch begriffen.
Leis und schmelzend bot sie ihm jetzt den guten Morgen.
Er sah empor! Du – Eboli! rief er und sprang um die Ecke und in sein Zimmer zurück. Eben war Auguste aufgestanden. Denke Dir's nur, rief sie und hielt ihm den Carlos entgegen, unseres Karls Lebensbeschreibung. Davon hat er doch nie ein Wort gesagt.
Gieb, gieb! rief der Erröthende schnell und senkte das Buch in die Tasche, denn ihm lag daran, es vor Augusten zu verheimlichen. Das ist ein ganz anderer Karl, fuhr er fort und alles was wir haben, gäb' ich drum, wenn Du meine Elisabeth seyn wolltest. Damit kehrte er in die dunkle Laube des Gärtchens zurück, und las bis zum Mittag alle Stellen die sein Herz ergriffen hatten, zu wiederhohlten Malen durch. – Sein ganzes Wesen war in Aufruhr und dreymal mußte ihn Karl zu Tische rufen. Er aß nicht und blieb stumm. Gustel setzte diesen Zustand auf Rechnung der gestrigen Lektüre und dann zerstreute sie das Einpacken, und endlich der Graf, welcher ins Haus sprengte. Vier Mohrenköpfe folgten ihm mit dem englischen Wagen.
Der Wagen war zweisitzig und Gustav wünschte zu reiten, denn das edle Roß zog ihn an und er hatte bis dahin nur den steinalten Klepper des Vaters bestiegen. Der Graf hatte nichts dawider und Gustel beruhigte sich schnell, als ihr dieser betheuerte daß es lammfromm sey.
Sie flogen davon; Auguste von dem ungewohnten Glanz geblendet, der sie jetzt, an der Seite ihres Schutzgeistes umgab, Roderich von der Nachbarin entzückt, Gustav als Carlos, stolz auf den Britten der die Mohrenköpfe überhohlte und zurückließ. Was ihm an Kunst gebrach ersetzte die jugendliche Stärke und das kühne Roß empfand die Gewalt des Mächtigeren. Immer noch glühte sein Innerstes in der Flamme, die das Schicksal des edlen Infanten entzündete. Ergrimmt gegen das mosaische Gesetz, hofte er der Schwester getheiltes Herz durch so manche bezaubernde Stelle des Werks, die er bereits aufgefaßt hatte, und den Grafen durch das Beispiel des Markis, das er ihm vorhalten wollte, für seine Liebe zu gewinnen; denn seit dieser Nacht sah er in der ruhigen, natürlichen Neigung zu Augusten die Leidenschaft, welche in Carlos Herzen für die Mutter flammte, in Roderich seinen Posa, in Suschen die Eboli, und Damen und Granden glaubte er auf dem Gute der Gräfin zu finden. Allenfalls konnte auch sein Vertrauter, der alte Karl, zum Lerma dienen.
Sehnsuchtsvoll sah er sich jetzt nach dem Wagen um, der weit hinter ihm rollte. Die neue Elisabeth schien nur für ihren Nachbar Sinn zu haben und Lerma nickte von aller Grandezza verlassen, auf dem Bocke. Vergebens arbeitete sein Herr, den Britten zur Rückkehr an den Wagen, und als er sich sträubte, nur zum Stillstehn zu bewegen, aber das Pferd war des Heimwegs froh und in so ungewöhnlichen Fällen nur kunstmäßigen Reitern gehorsam. Es flog davon, und der Baron vergaß in diesem Augenblick Karls Verhängniß und Posas Tod.
Erst im Hofe des Schlosses stand es still, odemlos sprang der Erschöpfte herab. Ein Kammerdiener führte ihn in den Salon, und der volle Kreis der Damen erhob sich für einen Augenblick, seinen Gruß zu erwiedern.
Ich heiße Sie willkommen, Herr Baron, in meinem Hause! sprach die ältliche Gräfin – So ohngefähr, sprach er zu sich selbst, bewillkommt im vierten Auftritt die Königin den Markis und über dieser Erinnerung blieb er ihr die Antwort schuldig.
Der Baron Rosenwall, fuhr sie, sich zu den Damen kehrend fort, den am Hofe zu Stockholm sein Onkel meinem Sohn empfahl.
Sie redet in Versen, wie jene, dacht' er und strebte vergebens der dürftigen Erwiederung denselben Takt zu geben.
Meine Töchter, sprach sie jetzt und führte ihn zu dem blühenden Kleeblatt, Amalie, Rosemunde, Caroline. Leicht aber freundlich begrüßten ihn diese, er stand in seiner Jugend-Schöne wie der Sonnengott unter den Töchtern der Eurynome.
Sie bringen uns eine liebe Gespielin mit? fragte die kleine Lina und sah traulich zu ihm empor. Eben wollt' er das bejahen, als Amalie ihn einlud, sie in den Garten zu begleiten und Rosemunde ihm den Arm gab. Er folgte schweigend. Alle sprachen zugleich und alle mir ihm und aus ihren Zügen sprach die zarte Theilnahme an seiner Blödigkeit, und das wohlwollende Streben sie zu verscheuchen. Bald gelang es der Feen-Gewalt. Von einer Lippe, einer Locke, einem Auge zum andern flog das seine. – O Ihr Himmlischen! rief in frommer Einfalt der Ergriffene. Schnell errötheten die drei Schwestern. Alle Schmeicheleien ihrer Anbeter sanken neben dieser Huldigung der reinen Natur in schnödes Nichts zurück; ihre schwellende Herzen empfanden das ganze Gewicht seines Ausrufs und des Jünglings Verlegenheit ging nun im magischen Wechsel auf die Jungfrauen über.
Reden Sie doch, bat er, als sie jetzt verstummt neben ihm hinwandelten, Sie reden so schön.
Mein Bruder, erwiederte Amalie, deren Töne jeden Hörer bezauberten, spricht mit feierlicher Wärme von dem Fräulein von Rosenwall und gestern schon haben wir uns auf die Stunde ihrer Ankunft gefreut.
Jetzt sah er Rosemunden an. Der Graf versicherte, setzte diese hinzu, daß wir neben ihr wie tobte Gemälde neben dem lebenden Meisterwerk stehn würden.
Da hat er Recht! erwiederte Gustav,
Mit festem Helden-Schritte wandelt sie
Die schmale Mittelbahn des
Schicklichen,
Unwissend daß sie Anbetung erzwungen
Wo sie von eignem Beifall nie geträumt.
Die Gräfinnen standen verwundert still. Das ging auf den Zehen! dachte er und nickte sich Beifall zu.
Liest man auch bei Ihnen den Carlos? fragte Lina.
Gefällt er Ihnen? fragte der Baron.
Unaussprechlich! rief das Kleeblatt.
G. Das mein' ich auch!
A. Der große Posa –
N. Die edle Königin –
C. Der arme Carlos!
G. Ich beweinte sein Schicksal.
A. O, auch wir!
E. Wirklich? Das ist schön. Ich bin selbst einer. Auch über mich werden Sie weinen. Was diesem Carlos Elisabeth war, ist Gustel mir. Er betete die Mutter an, ich die Schwester.
Eben trat der Graf mit Augusten unter sie. Das Erschrecken welches im Gefolge dieses Geständnisses aus ihren Zügen sprach, befremdete, der kalte, festliche Empfang beleidigte ihn, und auf Augustens Lippe starb der fröhliche Gruß. Mein Rodrigo! rief Gustav und drückte sich an seine Brust; Rodrigo warf einen strafenden Blick auf die versteinerten Schwestern welche die Bestürzte nun mit erzwungener Freundlichkeit umfingen und sie unter aufmunterndem Geschwätz zu der Gräfin geleiteten. Die Demuth mit welcher sie dieser, wie ehedem der Tante, die Hand küßte, gewann ihr das Wohlwollen der stolzen Generalin, aber die Töchter spöttelten, während dem jene die willkommene Unterwerfung mit einem Kuß auf des Mädchens Stirn vergalt, über Gustavs Wahnsinn und das alberne Benehmen der Schwester.
Verblassend zitterte Auguste unter den Gunstbezeugungen der neuen Gönnerin. Ihr leises Ohr vernahm die Glossen der Gräfinnen, und viel wohler als jetzt, war ihr mitten im Seesturm gewesen. Zwar verschwanden die Spötterinnen, und die Gräfin selbst führte die Unpäßliche an der Hand in die glänzenden Gastzimmer, aber lange noch stand sie, als diese jetzt abgerufen ward, in Heimweh versunken; sah in dem hohen Spiegel eine weinende Waise, sich zum erstenmal allein in der Welt, verlassen, verrathen und unglücklich.
Roderich war indeß von ihrem Bruder weit abwärts geführt worden. Von neuem benutzte er, doch in Prosa jetzt, die Ausdrücke des Infanten. Beschäftigt mit seiner Leidenschaft, vernahm der Graf, den die Genüsse der Herfahrt berauschten, nur Worte ohne Sinn, sprach fast immer mit ihm zugleich und wie jener, die Sprache des feurigsten Liebhabers. Keiner hatte bis jetzt, Kraft dieses Wortkampfes den andern vernommen, als Gustav plötzlich seine Hand ergriff, sie hoch emporhob und ihn, bei allem was einem Praktischen heilig sey, beschwor, sein Wort bei der Schwester zu führen.
Freudig gelobte das der Graf welcher Amalien oder Rosemunden gemeint glaubte und sich der schnellen Wirkung der schwesterlichen Reize freute. Arm in Arm traten jetzt diese vor die Begeisterten.
Gustav vermißte Augusten, hörte, daß sie noch oben im Zimmer sey, eilte dahin und fand sie in Thränen.
Wohl mir, daß Du da bist! sprach die Betrübte und umschlang ih« mit Feuer.
Wohl mir daß Du mein bist! entgegnete er, warum weinst Du denn?
Die Falschen! rief sie, o wie hat er mich getäuscht!
Wer? Rodrigo? Ist's wahr? Das freut mich sehr!
Ungemein! Denn nun steht nichts mehr zwischen uns.
Unter Schlangen warf er mich, die hinter meinem Rücken mich belachten; mich ein Schäflein auf der Weide, Dich einen Böswicht nannten, und nicht begriffen wie sich der Graf für so platte Ignoranten verwenden könne.
Gustav erglühte. O, die Eboli's! rief er, die höllischen Susannen, auch mich werden sie verrathen – Ignoranten mögen wir seyn, denn auch der Vater hies uns so, ich bin aber noch lange kein Böswicht. Zwar will ich Dich heyrathen, doch Adams Kinder heyratheten sich auch und der Graf fand das natürlich und hat mir sein Vorwort versprochen.
Der Graf? O der Elende! – Geh, du bist verrückt. Mich heyrathen? Hast Du vergessen was die Tante einst über diesen Gegenstand äusserte?
Vergebens sann er einen Augenblick auf den Gegen-Beweis und sprach, als keine passende Stelle des Carlos ihm beifiel – Pack ein, Gustel! Wir schleichen uns fort, zurück in den Bock, dort lies das Komödien-Buch und hast Du ein Herz so wirst Du mit Freuden Ja sagen.
Es wäre Dein Ernst? fragte Gustel. Er schwor. Geh, fuhr sie fort und stieß ihn zurück, geh Du elender, gottloser Mensch! Die Gräfinnen hatten Recht, Du bist ein Böswicht. Geh!
Er ging. Der Graf trat ins Zimmer. Eben als er vorhin seine Schwestern, noch unwissend welcher es gelte, von Gustavs Flammen unterhielt, öffneten ihm diese das Verständniß und machten dem Erstaunenden bittre Vorwürfe über den Fehlgriff in der Wahl seiner Schützlinge. Auguste weinte bitterlich als er eintrat und beschwor ihn, im Wahne er komme als Brautwerber für den Bruder, kein Wort zu verlieren! Gustav hatte Recht, sprach Auguste, als er den Bösen in Ihnen sah, und gern verzeih ich Ihren Schwestern nun, daß sie mich für Schäflein auf der Weide erklärten.
Das thaten sie? sprach der Bestürzte.
Und die platte Ignorantin verspotteten.
Ists möglich? rief er und erblaßte.
Dennoch sind diese besser als Sie, der mich verderben, mich beschwatzen will gegen Gottes Gebot meinen leiblichen Bruder zu heyrathen. Da lächelte er wieder und bald gelang es ihm, sie aufzuklären. Ein lautes Geräusch scholl plötzlich aus dem Saal herauf und die Verweinte eilte jetzt, von ihm mit neuem Muth begabt, an seinem Arm hinab.
Gräfinnen belachten eben das seltsame Menschen-Paar, als Gustav, von seiner Schwester verwiesen, sich wie Carlos, in die Niederlande wünschte und auf sie traf. Das Gelächter schnitt in sein Innerstes und die Lehren der Berg-Predigt vergessend, warf er auch hier mit falschen Schlangen und höllischen Susannen um sich. Die Damen, welche noch, wie bei seinem Eintritt, im Kreis um die harthörige Mutter saßen, machten lange Hälse, errötheten für ihn und nahmen ein Prischen über das andere; die Gräfinnen aber wurden bald bleich, bald roth, und griffen jetzt, in Thränen ausbrechend, zu ihren Tüchern, denn eben trat der Graf mit Augusten in den Saal.
Weinende Grazien entwaffnen selbst den Grimm des Wilden, Gustav aber war ja ein Krist und ohne sein Wissen ein praktischer.
Ich bin wieder gut! sprach er leise, und faßte Amaliens reizenden Arm den sie ihm stürmisch entzog und das Zimmer verließ.
Seyn Sie nicht böse! bat er Rosemunden, die des Grafen zürnender Blick schnell mit ihm aussöhnte. Dankbar bedeckte er die feinste aller Hände mit Küssen.
Lina schlich sich hinter ihm weg, der Geflüchteten nach. Auch sie war diesem Blicke begegnet, und mußte der Schwester verkündigen daß ihre Kritik der neuen Gurli ganz ohnfehlbar dem Bruder zu Ohren gekommen sey, welchen sie fürchteten.
Der Graf hatte indeß Augusten bei den Damen aufgeführt, ihr einen Stuhl geboten und sie tausend Fragen Preis gestellt, deren Beantwortung ihr, wie er hofte, den Beifall der Mutter und das Interesse des Kreises gewinnen würde. Eben wollte auch Rosemunde wieder zu dem verlassenen Platz eilen, als er ihre Hand ergriff, sie in ein entferntes Fenster führte und zu ihr sprach – Wenn werdet ihr endlich dem elenden, wegwerfenden, empörenden Geist Eures Standes und Eures Alters entsagen? Diese widrige Spottsucht, dieses spröde Herabsehn, dieser eckelhafte Dünkel in dem der rohe Hochmuth sich gefällt, würdigt zu dem Affen der Wildniß herab der doch am Ende das Schäfchen auf der Weide beneidet. Die Glorie der Unschuld, der Anmuth Strahlenkranz, der schöne Stern der Weiblichkeit glimmt über Augusten, Ihr seyd nur Puppen des Krist-Markts, mit Rauschgold ausgestattet; geistlose Symbole der weiblichen Verzogenheit.
Rosemunde griff von neuem zum Tuche, weinte viel bitterer als vorhin und schlich nun auch zu den Schwestern hinüber.
Viel angenehmer wurden die Damen von Augusten unterhalten. Roderichs Mutter führte, wie billig, das Gespräch auf ihr Vaterland mit welchem sie Küttners Reisen bekannt gemacht hatten. Dankbar führte Augustens feurige Darstellung sie dafür zu den Wundern der nordischen Natur.
Aber sehnten Sie sich denn nie, fragte ihre jugendliche Nachbarin, nach den Freuden Ihres Geschlechts und Ihres Alters?
Die hab' ich täglich genossen, entgegnete Gustel.
Wie? gab es dort auch Bälle, Schauspiele und Gesellschaften?
Von allen diesen hat mir der Vater erzählt, der sie verwarf. Du kannst, sprach er oft, ohne Tanz, ohne Schauspiel, ohne Gesellschaft, aber nicht ohne Seelen-Ruhe glücklich seyn; jenes aber sind Quellen der Unruhe und nicht selten auch des Unglücks.
Dann wären wir alle sehr unglücklich! erwiederte diese und verzog den schönen Mund. Der Tanz entwickelt die Grazie, das Schauspiel die mimischen Anlagen und die Geselligkeit unser Selbstgefühl. Sie allein führt zur Menschenkunde. Aber womit verkürzten Sie sich denn die Zeit, meine Gute?
Ich tanzte auch! sprach sie leis' und erröthete; hinter den Büschen am See, mit dem Bruder. Komödie haben wir selbst gespielt. Adam und Eva. Der alte Carl machte den Herr Gott und die Tante den Baum der Erkenntniß. Immer hielt sie statt des Apfels ein kleines Geschenk in der Hand. Unzählige Male hab' ich da den Adam verführt, denn selten verschmähte Gustav, so heftig ihn auch der Baum dann schalt, die verbotene Frucht. Mir gnügte an dem Siege.
Auch Ihren Schwestern! sprach der Graf der von seinem Straf-Amt zurückgekehrt, hinter Gustels Stuhle lauschte. Sie sah sich betroffen um, nahm ihn wahr und verstummte.
Die Damen brachen auf. Gern zwar hätten sie sich noch an Gustels harmloser Offenheit geweidet, aber man fürchtete jetzt den Beobachter der bei allen seinen Vorzügen das Schrecken der Mehrheit dieses Kreises war: der von Weibern gebildet, geliebt und gemißhandelt, die tauschenden Masken alle kannte, unter denen die Eitelkeit und die Gefallsucht, die Mißgunst und die Hoffahrt, der lächelnde Grimm und der schmeichelnde Verrath einhertritt. Ach, vergebens hatte Graf Roderich bis jetzt, hier so wohl als im Norden, wohin sein Beruf ihn führte, das Weib von dem ihm träumte, gesucht, und die bedeutenden seiner Bekanntschaft erforscht. Diese war schön, aber die Schönheit ihr Fluch – Jene lieblich, aber lieblos. Eine dritte ohne Flecken wie ohne Geist; die vierte geistvoll ohne Herz: die fünfte Philosophin. Wer hätt' es bei dieser ausgehalten? Eine sechste endlich der böse Geist mit einem Heiligen-Scheine.
Müssig lehnte Roderich am hohen Mast der Schwalbe als sie die Anker lichteten. Vor ihm saßen die Geschwister. Des Mädchens Aeußerungen zogen ihn an: sie sagte den Felsen der Heymath ein rührendes Lebewohl und ihre sanften, thränenvollen Augen hingen an ihnen, bis der letzte Gipfel hinter schwellenden Wogen versank. Dann sank sie zärtlich an des Bruders Brust, sprach von den Freuden ihrer Jugend und von der Liebe des ewigen Vaters. Der Sturm begann, aber aus ihrem Antlitz strahlte die Ruhe des Himmels, und nur für den Bruder schien sie zu beben.
Des Grafen Kammerdiener hatte indeß den alten Karl verhört, und was er von diesem vernahm, erhöhete seine Theilnahme an dem seltenen Geschöpfe, das jetzt die begehrlichen Wogen umarmten. Leise faßt' er ihr fliegendes Haar, die weichen goldenen Locken schmiegten sich willig um seine Hand, und mitten im Sturm sah er nur sie und hielt nun die Gleitende. Eine Welle drückte sie fest an sein Herz, er glaubte mit ihr in den Abgrund zu sinken. Aber die Welle verrann und sie athmete noch und umschlang ihn. Laut segnete sein Herz den Sturm und den Gott den sie preisen.
Das, lieber Roderich, sprach Frau von Silfen die er ehrte und bei dem Aufbruch der Damen zum Wagen führte, das glaub' ich, ist ein Wesen nach Ihrem Sinne?
Sie scherzen! erwiederte die Mutter welche neben ihnen ging, solche Natürlichkeit stößt zurück.
Sein Händedruck bejahte die Frage. Als er zurückkam, stand sie unter den Töchtern und Auguste mit dem Bruder am Fenster ihres Wohnzimmers. Dahinauf zog ihn sein Herz, dorthinab der Mutter Wink.
Du siehst wie ich zittre! sprach die Gräfin; gemißhandelt hat der rohe Mensch Deine Schwestern. Vor allen Damen! Und ich bemerkte nichts? Sieh sie nur an. Legt kaltes Wasser auf, meine Töchter, man erkennt Euch kaum. Und uns verschone künftig mit solchen Gästen.
Amalie wiederhohlte weinend die Anklage und fügte Gustavs Geständniß, kraft dessen er sich dem Infanten gleich stellte, hinzu. Die wollte ihren Ohren nicht trauen und rang, von Entsetzen ergriffen, die Hände. Roderich entschuldigte, so gut es sich thun liess den Mißgriff des Herjedalen, erklärte jene Beichte für Scherz und Augusten für seine Braut. Die Gräfin rief nach Salz und warf seine Hand zurück, die er küssen wollte. Morgen, sprach sie, gehst Du auf Deinen Posten zurück und ich werde Sorge tragen, daß der Gesandte Dich kürzer halte.
Der Gesandte, erwiderte ihr beleidigter Sohn, wird diesen Wink um so leichter entbehren, da ich schon dort den gesuchten Abschied empfing. Hier ist er.
Wie? rief die Gräfin, ohne mein Wissen? Geh mir aus den Augen, Du Undankbarer!
Ich wußte nur zu gut, entgegnete Roderich, daß meine Mutter mir den Weg vertreten haben würde. Sie will meinen Namen im Laufe der Staatshändel genannt hören und den Minister in mir sehn. Das war mein Vater, und Feldherr dazu. Bey der Nachwelt zu leben, gab er das Leben hin, ich aber habe keinen Sinn für ein Phantom das mich dann erst beglücken soll, wenn uns nichts irrdisches mehr erreicht.
Unnatürlicher Sohn! rief die Mutter und weinte laut, wie verläugnest Du das edle Blut Deiner Vorfahren! Aber dieß Gut ist Dein. Morgen verlaß ich es, wenn uns diese nicht noch heute verlassen.
Vater und Mutter, entgegnete der Graf, Heymath und Gespielen, Ansprüche und Vorrechte, Banden der Freundschaft und des Bluts, alles was ihm süß und theuer war, verläßt der Liebende um dem Weibe seines Herzens zu folgen. Ich folg' ihm auch. Nach Herjedalen – Zu den Lappen – In des Meeres Grund wenn es seyn muß!
Sie winkte ihm, sich zu entfernen.
Die Flügel standen auf. Hart über diesen sah das Zwillings-Paar aus dem Fenster und verlohr nur einzelne Worte dieses Streites, der laut und vernehmbar genug geführt ward, um den wißbegierigen Kammerdiener, wie von ohngefähr in's Zimmer zu führen.
Keine Tafel! rief ihm die Gräfin zu und eilte in ihr Kabinet.
Keine Tafel? wiederhohlte die kleine Lina und seufzte tief.
Wir essen im Pavillon! sprach Amalie zu dem Verbeugten, sechs Couverts!
Sie zogen nach dem Pavillon. Dort ging der Graf, als sie eintraten, in sich selbst verlohren auf und nieder.
Du warst sehr hart gegen die Mutter! sprach Amalie und warf sich unmuthig in das Sopha.
Ich fürchte die Rückkehr ihrer Krämpfe, setzte Rosemunde hinzu.
Wenn nur gedeckt würde! lispelte Caroline.
Schweigend verließ er das Zimmer, sie sahen ihm nach.
Was wird das noch geben? fragte Rosette.
Gewaltschritte! entgegnete Amalie, noch ist es Zeit, sie zu verhindern. Man ging ihm nach. Lina blieb, des Tafeldeckers harrend, allein zurück. Er bringt sich selbst um sein Leib-Essen, »der thörichte Mensch!« dachte sie, »mich dauert nur die Aal-Pastete.«
O, schaffen Sie uns Pferde! bat sie Gustav, der in hoher Bewegung hereinstürzte, wäre Gustel nicht unpaß, wir zögen noch heute zu Fuß unseres Weges.
Pferde? fragte Lina, ja, ja! Herzlich gern. Aber den Bruder müssen Sie da lassen.
Daß ich meine Schwester heyrathen wollte, war nur so ein Einfall. Ein roher Trieb. Ihr Wetter, der Hauptmann weiß, wie es damit ist. Aus Erfahrung, behauptet er. – Aber heyrathen will ich; denn Roderich will das auch und er hat Recht. Die Praktischen sind meine Leute. Eine von Ihnen nehm' ich zur Frau: noch weiß ich nicht welche, denn Sie sind alle drei engelschön.
Ach, seufzte Lina, wenn die Mutter nicht wäre! Und ich stehe zum Unglück erst im dreizehnten Jahre.
Drei oder dreizehn, das gälte mir gleich, und daß die Mutter nicht will, wär' erwünscht. Des Grafen männlicher Widerstand hat mich entzückt, denn die Ehe ist ja von Gott verordnet. Gern stritt ich auch für die gerechte Sache. Wie er! Mit diesem Feuer-Eifer, dieser Standhaftigkeit. Für die Braut. Für Sie! Sie sind viel reizender als Gustel und so nußbraun. An Haaren, heißt das. Suschen hat auch solches.
Schön sind Sie Baron, erwiederte Lina mit traulicher Herzlichkeit, interessant sogar, nur wie Sie selbst gestanden, roh. Ein rohes Juwel vielleicht, aber –
Ja, ein Juwel, das fühl' ich lebhaft. Die Gustel hatte deren auch. O, schleifen Sie – Lieben Sie, heyrathen Sie mich! Dann kann ich den Grafen unterstützen und werde sein Schwager. Nicht wahr? Und Gustel darf hier bleiben, und wenn Ihrer Mutter am Minister gelegen ist, so werd' ich einer. Was kostet das? Ich bin reich! Oder Gesandter? Was sie will, wenn Gustel nur glücklich wird.
Wir wollen sehn! entgegnete Caroline, aber schimpfen laß ich mich nicht. Und den Schwestern, guter Baron, denen sagen Sie kein Wort.
Keine Silbe! versicherte er, und hob sie zu sich empor.
Das nicht! bat die Kleine und sträubte sich sanft, nicht eher bis die Mutter versöhnt ist. Er ließ sich zureden und sie eilte des frühen Triumphes froh, die Pastete vergessend, zu der Gräfin hinüber.
Sacht! Sanft! Sittsam! rief ihr die Unmuthige aus dem Sopha entgegen, wie glühst Du wieder!
Ach! sprach sie seufzend und sah in ihre kleine Hand.
Nun? fragte die Gespannte.
Ach! wiederhohlte sie und streichelte der Mutter Arm.
Kömmst Du vorzubitten, gute Seele? Geh! Mit Dir hab' ich Friede, bleibe so und Du wirst meine Freude seyn.
Sie könnten mich auch erfreun, meine Mutier! Sehr glücklich könnten Sie mich machen. Ja!
Ey, laß doch hören, wie?
Man kömmt nun in die Jahre. Man ist nicht häßlich, nicht dürftig, ist Gräfin, hat Gefühl –
Man ist ein Kind, fiel die Mutter ein, eine Närrin, hat alberne Einfälle und geht auf der Stelle zu der Ma bonne hinauf und hungrig zu Bette.
Ma bonne fiele dann ganz weg? entgegnete Caroline, und alles wäre wieder gut, wenn ich Ihn heyrathen dürfte –
Der Gräfin entging die Geduld. Sie führte Linen selbst zur Ma bonne hinauf, und das Verhör welches sich hier entspann, brachte die Braut um den Mitgenuß der Aal-Pastete und den Bräutigam, in dem die Mutter jetzt einen schnöden Verführer der Unschuld sah, um den Rest ihrer Achtung.
Eben als die Kleine ihn verließ, kam Rosemunde, die den Bruder nirgends auffand, in den Pavillon zurück. Erbittert gegen den Friedenstörer welcher ihr die brüderliche Strafpredigt zuzog, kehrte sie ihm schnell den Rücken zu und trat zum Flügel. Man übersah von diesem Punkt, kraft eines Spiegels, der ihm schief gegen über hing, den ganzen Saal. Auch Rosemunde sah hinein, und den Baron horchend im Fenster lehnen. Ihr meisterhaftes Spiel schien die Geister der Sehnsucht und der Schwermuth in seinem Herzen aufzuwecken und täuschte sie nicht alles, so galten diese Seufzer der Spielerin, die jetzt, trotz ihres Zorns, viel anders als Suschen, mit Feen-Hand in die Saiten griff und dem Instrumente einen Strom von Harmonie entlockte. Gustav zerfloß in nie empfundenen Gefühlen, auch um ihren Busen spielte die schmeichelnde Welle und der Groll von vorhin erstarb. – Leise gestand sie sich jetzt, nie einen reizendern Kopf, nie eine vollendetere Gestalt erblickt zu haben. Reich ist er auch, fuhr sie fort, und lenksam wie ein Kind. Goldne Tage stehn an eines solchen Mannes Hand der künftigen Gattin bevor. Nur von dir, sprach ihr Selbstgefühl, hängt es ab, eine schwedische Freifrau zu werden und selbst in Stockholm zu glänzen, denn sein Geschlecht ist das edelste.
Er trat hinter ihren Stuhl. Die Musik hatte seinen Geist erhoben, sein Herz in Melodieen aufgelöst, und die glühenden Augen hingen an dem glänzenden Nacken der Huldin, die diesem Wohlklange gebot, und mit jeder Clave die sie schlug, sein Innerstes berührte. Jetzt sang sie auch.
So, rief er und faßte ihre schöne, geschäftige Hand, so denk' ich mir das Halleluja der Engel. Ach, wenn Sie nur die höllische Susanne vergessen wollten, der ich Besessener Sie verglich.
Das ist ja verziehn! entgegnete die Gräfin und ein sanfter Blick ihrer angenehmen Augen bestätigte die Versicherung.
Ich bin gleich wieder hier! sprach er hastig, und eilte hinaus, dem Schlosse zu. Weinend stand Lina, von der Mutter verurtheilt, von der Hofmeisterin verhaftet, am Fenster der Schlafkammer, und winkte jetzt aus allen Kräften ihm, der sie aufsuchte. Er flog dahin.
Ich bleibe die Ihre! rief sie hinab, keine Gewalt soll uns trennen!
Seyn Sie nicht bös', entgegnete er mit gefalteten Händen, ich habe mich anders besonnen.
Die Kleine erblaßte und verschwand, er kehrte beruhigt in den Pavillon, hinter Rosemundens Stuhl zurück. Sie spielte jetzt ein Lied der Liebe, neigte sanft den wunderschönen Hals zurück und blickte schmachtend zu ihm auf. Die Anschauungs-Arten fielen ihm bei. Schielen Sie, bat er besorgt, schielen Sie nicht so, meine Theure. Die Augen könnten Ihnen stehn bleiben, man hat der Exempel.
Lachend nannte sie ihn eine heilige Einfall. Von dem Ausdruck geschmeichelt, aufgemuntert von ihren Blicken, gestand er ihr jetzt in ungewählten Worten was er fühle und beschwor sie mit bezaubernder Anmuth um ihre Gegengunst und ihre Hand. Die Gräfin erröthete. Ihr Herz sprach Ja und Nein zugleich. Gestalt und Adel, Charakter und Lage redeten für ihn, aber wie konnte sie es wagen, sich einem Mann hinzugeben der geeignet schien sie lebenslang in diesem Erröthen zu erhalten: wie mit ihm ohne Zittern in den Kreis der Spötter treten, wie endlich ihre Mutter für einen Frevler gewinnen an welchen diese jetzt nur mit Entsetzen dachte.
Auch ihr genügte vor der Hand, wie einst Augusten, an dem Siege und schnell ermannt, sprach sie zu dem Glühenden: Schon eine Unart vergab' ich Ihnen heute, mißbrauchen Sie die Güte meines Herzens nicht. Ich will vergessen.
Vergessen? Ey das wäre traurig! Vergessen daß ich Sie an Gustels Statt annehme?
Taisès Vous! Diese Sprache verletzt des Mädchens Ohr.
Da haben wir's. Der Hauptmann hat mir's wohl gesagt. Ich aber kann nicht vergessen wie und was ich will und Sie am wenigsten. Solche Augen hat keine. Wir wollen recht glücklich seyn. Ich höre nichts lieber als Ihr Spiel und sehe nichts lieber als den Wechseltanz dieser Finger auf dem Flügel. Tagelang sollen Sie spielen; dann tret' ich, wie heute, hinter den Stuhl und sehe dem Falle dieser Finger und dem Steigen dieses Halses zu – Und dann beugen Sie sich schmachtend zurück und zeigen mir Ihr himmlisches Antlitz und machen verliebte Augen wie vorhin. Nicht wahr, die machten Sie der Suschen nach?
Schamroth warf sie den Flügel zu und verließ das Zimmer.
Die Speisen standen bereits auf der Tafel, die Bedienten hinter den leeren Stühlen, aber vergebens suchte der Tafeldecker in allen Zimmern des Schlosses und allen Lauben des Gartens die Gäste.
Der Graf kannte die Festigkeit seiner Mutter und wußte wohl daß sie eher dieses ihm zuständige, von ihr geliebte Gut verlassen als den ungebetenen, ihr plötzlich so verhaßt wordenen Zuspruch in ihm dulden würde. Er aber war, trotz seiner auf der Schwalbe gegebenen Versicherung, nicht praktischer Krist genug, das Idol seines Herzens und das Glück seiner Zukunft, den Launen einer Mutter aufzuopfern die sich gern den Sohn unterworfen hätte wie sie sich einst den Gatten unterwarf. Aber der Gatte war schwach und der Sohn ein Mann, der neben dem lebhaften Gefühle der Pflicht auch das Gefühl seiner Selbstständigkeit ehrte, und lieber ein ungehorsamer Sohn scheinen als ein unmündiges Kind bleiben wollte.
Die Vorwürfe der Schwestern trieben ihn vorhin aus dem Pavillon. Er eilte zu Augusten hinauf die mit Einpacken beschäftigt war, zog sie an sein Herz und sprach –
Willst Du mir folgen?
Du sollst Deine Mutter ehren! entgegnete sie, auf daß es Dir wohl gehe. – Es gehe Dir wohl! setzte sie feurig hinzu und umschlang ihn.
Ich ehre sie durch diese Flucht! sprach der Gerührte um des Mädchens Zweifel zu vertilgen und schwor, von ihrem Segensspruch im Innersten bewegt, daß sie die Seine werden müsse.
Das Mädchen trug noch bange Zweifel. Sie hatte ja vernommen wie bestimmt die Gräfin gegen seine Neigung war, und unter heissen Thränen fest beschlossen ihn aufzugeben. Doch, unterstützt von der Gewalt der ersten Liebe, die in ihrem Herzen für ihn brannte, gelang es ihm, die bange Rücksicht in diesem Herzen zu ersticken und sie für seine Zwecke zu gewinnen. Unter berauschenden Umarmungen gelobte sich ihm jetzt die Gewonnene und sah während dieser Küsse den Himmel offen und die Schaaren der Cherubim, denn noch hatte kein ähnlicher ihre Lippe berührt. Er ging nun, die nöthigen Anstalten zu treffen und führte Augusten, als es dunkel ward über eine Seiten-Treppe, unbemerkt in den Hof des Wirthschafts-Gebäudes, wo sein treuer Bediener den Phaeton bereit hielt. Frau Zeibig, des jüngst verstorbenen Pastors Wittwe war von dem Grafen zur Begleitung vermocht worden. Da die Pastorin ohnehin im Begriff stand das Gut zu verlassen, wo sie aus mancherlei Gründen von der Gräfin und ihren Töchtern sehr kalt und fast abstoßend behandelt worden war, so ergriff sie mit Freuden die willkommene Gelegenheit, ihren geheimen Wohlthäter zu verpflichten und nebenher auch der stolzen Patronin weh zu thun, die doch über lang oder kurz erfahren mußte, daß sie bei Nacht und Nebel mit dem Grafen abgereist sey.
Dieser nahm, da der Wagen ohne Rücksitz war, unbedenklich zwischen der Braut und der Wittwe Platz und sprach von tausend gleichgültigen Dingen. Je schläfriger nun die Wittwe im Gefolge dieser narkotischen Rede ward, je munterer ward die Braut, und als jene, von den englischen Federn gewiegt, im Arm des Schlummers lag oder doch zu liegen schien, lag Gustel in den seinen und trank, magnetisch angezogen, vom seligen Kelche der Vergessenheit.
Vergebens hatten indeß die Schwestern den Grafen gesucht. Selbst Lina ward, um ihn aus Gustels Zimmer abzurufen, wohin ihn diese gehen sah und wohin keine andere jetzt gehen mochte, für einen Augenblick ihrer Haft entlassen und brachte nur die Versicherung, es verschlossen gefunden zu haben zurück.
Gustav hatte, als sie ausblieben, vom Hunger angefallen, hingerissen von dem süßen Duft der Speisen, hinter der Aal-Pastete Platz genommen und zum großen Spaße der aufwartenden Bedienten ihren gewaltigen, in der Regel uneßbaren Deckel verzehrt, als die beiden ältesten Gräfinnen in's Zimmer traten und die lachenden Zuschauer entfernten. Amalie brach in Thränen aus, Rosemunde gab dem Baron einen Brief, den ihnen so eben der Knabe des Hirten überbracht hatte. Er war an den Freiherrn gerichtet; ein zweiter an die Gräfin Mutter lag bei.
»Am Brunnen vor dem Schlosse,« schrieb ihm Roderich, »erwartet mein Reitknecht Dich mit den Pferden; wir aber erwarten Dich mit dem Morgen im Erbprinzen zu ** Innliegenden Brief gieb dem Kammerdiener und zaudre dann nicht, uns zu folgen.«
Aus dem Bock in den Erbprinzen? sprach Gustav und wendete sich wieder zu der Pastete, der Sprung ist bedeutend, aber ich bleibe. Er mag mit der Gustel vorlieb nehmen die ich, nach Gottes Gebot, verlassen habe, um an Rosemunden zu hängen.
Im Erbprinzen? rief Amalie die in den Brief geschielt hatte, erbot sich zur Besorgung des beigelegten Schreibens und eilte damit in der Mutter Zimmer.
Nun gehn wir nach Schweden zurück, sprach Gustav zu Rosemunden, denn meine Schwester ist versorgt, und ich weiß nun was eine Buhlerin ist, und wen ich heyrathe. Daran lag mir vorzüglich. Wenn Sie mich lieb hatten, so reisten Sie mit. Es würde Ihnen bei mir gefallen. Der Hof ist nun mein mit allen Felsen rund herum und auch der See den sie einschließen. Ich weiß einen herrlichen Bade-Platz, und dann angelten wir. Fische sind drinn, so lang wie mein Arm. Wir büken sie auch in Pasteten wie diese. O, und im Winter legt' ich mir Rennthiere zu und führte Sie, und der Graf führte die Gustel, weit hinaus, so weit sie nur laufen könnten. Zwar ist dann fortwährend Nacht, aber die Nordscheine heitern sie auf und unsere Sterne glänzen viel heller.
Mit des Bruders übereilter Flucht beschäftigt, überhörte Rosemunde sein Geschwätz und sann nur auf ein Mittel, ihn zur Rückkehr zu bewegen, denn heillose Tage standen ihnen, wenn er dem gefaßten Entschlusse treu blieb, bei der Mutter bevor. Gustav aber ging, beleidigt von dieser Geringschätzung und benebelt von dem Weine, den die Bedienten ihm, zu Erhöhung ihres Spaßes, in Wasser-Gläsern kredenzt hatten, taumelnd nach seinem Zimmer zurück und klagte dem wartenden Karl wie es ihm gehe.
Gnädiger Herr, sagte Karl, diesen Vogel dürfen Sie nicht aus dem Garn lassen. Das Fräulein ist reich wie ich höre und in Schweden nichts seltner als das Geld. Daß Sie geliebt werden, ist keinem Zweifel unterworfen, denn so schöne Herren sind überall selten. Fort müssen wir ehestens; die Alte tobt gleich dem leibhaftigen Satanas. Greifen Sie die Sache mit Feuer an.
Mit Feuer? rief Gustav. Ich habe gefeuert. Aber das will sie vergessen und vergessen seyn. Was bleibt da noch übrig?
Sie müssen knieen, gnädiger Herr! schwören, weinen, ihr keine Ruhe lassen, und wenn das nicht hilft, ein bischen verzweifeln. Die Mädchen sehn uns gern verrückt wenn sie hoffen dürfen die Quelle unseres Wahnsinns zu seyn. Vielleicht auch will sie überrascht seyn. Spät des Abends etwa, oder bei früher Tages-Zeit, denn nur die geputzten sind spröde. Das ist ohnfehlbar der Kleider Schuld, die sie viel lieber als uns haben.
Spät Abends? unterbrach ihn sein Herr, oder bei früher Tages-Zeit? Ich fürchte, sie werden uns früh genug aus dem Schlosse jagen.
So viel weiß ich, entgegnete Karl, daß ich nicht ohne die Gräfin ginge.
Aber was soll denn nun mit dieser Ueberraschung gesagt seyn? Was sie am Flügel abweist, wird sie auch hinter dem Schirme verschmähen, denn ich bin ihr zu roh und sie trachten hier alle nach geschliffenen.
Karl ist ein Deutscher, sprach Gustav jetzt zu sich selbst, und die Mädchen sind ihm, wie er oft rühmte, zu Schaaren nachgezogen, also muß er wohl wissen was er spricht. Hier ist keine Zeit zu verlieren, es gilt den Versuch. Damit taumelte er nach dem Zimmer der Gräfin, welches, wie er wußte, an Augustens nun verlassene Wohnung stieß. Ihre Jungfer hatte so eben das Bette bereitet und trat aus der Thüre die sie, im Begriff sogleich zurück zu kehren, offen ließ. Er benutzte den Zufall und flüchtete sich in die Garderobe. Rosemunde kam erst nach einer Stunde aus dem Staats-Rath, den die Mutter im Gefolge der Zuschrift ihres Sohnes, mit den Töchtern hielt, sehr verstimmt zurück. Der Groll welchen jene gegen den Grafen im Busen trug, hatte sich über die Mädchen ergossen und mit stürmischer Hast warf sie die Kleider ab und schickte ihre Zofe zu Bette.
Da sitzen die Kammerherrn, sprach sie, die Obersten, und die geheimen Räthe. Ich ward achtzehn Jahr und noch keiner kam, mich zu erlösen. Die schönsten Cornets, die blühendsten Jagdjunker hab' ich abweisen müssen, weil sie güterlos waren und Reiz und Jugend, alle Schätze des Lebens wurden vielleicht für eine Karrikatur aufgespart, die mich vornehm aber elend macht.
Aufgespart? dachte Gustav, das ist herrlich! Die kommen an mich!
Wenn er Bildung hätte, sprach sie und zog hie Nadeln aus dem Tuche – nur Mutterwitz! fuhr sie fort und warf es auf den Nachttisch – sich nicht von Minute zu Minute lächerlich machte, setzte sie nach der Schlafhaube greifend hinzu, ich würde lieber heut als morgen die Seine.
Morgen? sprach der Erröthende zu sich selbst, und sah starr durch die willkommene Spalte.
Den Mann kann man lenken, versicherte sich Rosemunde, die Mutter nicht. Zärtlichkeit und Trotz entwaffnen den Gebieter, die Mütter sehn in jener nur die Aeußerung der Pflicht und in diesem eine kaum zu vergebende Todsünde. – Ich weiß was ich thue!
Ach wüßt' ich das jetzt! dachte Gustav als nur die Nachtlampe brannte, und er sich doch jetzt das Licht von zehn Kronleuchtern wünschte. Schon mir einem Fuß im Bett', kehrte die Gräfin wieder zurück, die umhergesäeten Kleider aufzuheben, da der Weg in der Mutter Schlafzimmer hier durchführte, und diese noch in ihrem Kabinette schrieb.
Schnell flog ein Arm voll Mousselin in die geöffnete Garderobe und Gustav einem Geiste gleich, heraus. Der Schreck lähmte ihre Zunge; sie war in einem Nu unter der Decke, und sprachlos wie sie, nahm der Ignorant zu des Bettes Füssen Platz.
Ich bin des Todes! stammelte die Bebende, fort! augenblicklich!
Carlos redet vom Anwurzeln! entgegnete er und Carlos hat Recht. Ich wenigstens wäre jetzt um keinen Preis vermögend, von der Stelle zu gehn.
Tollkühner! rief die Gräfin, Sie vernichten mich!
Ei, da sey Gott für! entgegnete er, blos überraschen wollt' ich Sie und es gelang. Ich wundre mich nur, daß Sie nicht schrieen. Ich will schwören daß ich heftiger als sie selbst erschrak, daß mir viel bänger als Ihnen selbst ist.
Gleich wird die Mutter da seyn. Soll ich um Hülfe rufen und Sie verderben?
Die Mutter? Käme die, so schrie ich selbst.
Fort, sag' ich Ihnen!
Ich gehe schon. Aber bei früher Tages-Zeit komm' ich wieder, ehe Sie angeputzt sind und werde dann sehn, ob die Ueberraschung gefruchtet hat. Jetzt, fuhr er fort und seine Pulse schwollen und er sank knieend zu des Bettes Häupten, jetzt bitt' ich nur um einen Kuß.
Morgen! Morgen! stammelten ihre Lippen unter den seinen und mit dem Wachsstock in der Hand trat die Gräfin in's Zimmer.
O Gott! rief sie zurückfahrend und auch Gustav fuhr empor.
Das wagen Sie? sprach die Verblaßte und schritt mit losbrechendem Grimm auf ihn zu.
Wer sonst? entgegnete er und sie stürzte nun gegen die Tochter hin, die weinend ihre Unschuld betheuerte.
Zu wagen, fuhr er fort, gab es hier eigentlich nichts, denn im Handgemenge kämen Sie doch beide zu kurz. Gute Nacht wollt' ich nehmen. Das ist erlaubt. Wohl hundert Male hab' ich der Gustel gute Nacht gesagt, wenn sie auch schon im Bette lag und Rosemunde ist ja meine Braut. Vor wenigen Minuten gestand sie sich das. Sie hat es satt, auf die Kammerherrn und auf die Obersten zu warten und möchte lieber selbst lenken als gelenkt seyn. Ich verdenk' ihr das nicht, aber verschweigen würde ich was sie sagte, wenn es Sie nicht veranlassen müßte, mir das Mädchen zum Weibe zu geben.
Die Gräfin sah starr vor sich hin. Er bat um ihren Segen, sie schellte daß die Schnur zerriß. Er warf einen Blick auf Rosetten, die glühend vor Zorn und Schaam nach der Thüre wies.
Nun will die auch nicht! dachte Gustav und warf abgehend die Thüre mit Heftigkeit hinter sich zu. Karl schnarchte als er zurückkam. Das war Ahitophels Rath! sprach er zu dem Träumer und endlich fielen ihm nach langem Sinnen was nun zu thun sey, die Pferde bei, welche laut des Briefes, am Brunnen bereit standen und der Gräfin Zorn die wie ein böser Geist auf ihn zuschritt, fiel ihm aufs Herz. Schnell warf er den Ueberrock um, ließ Ahitopheln im Stich und eilte dem Brunnen zu. Noch harrte der Reitknecht des Kommenden. Er setzte sich auf und trabte fort; es schlug zwei Uhr. Die Nacht war pechschwarz. Grauen ergriff ihn, er glaubte die Töne einer Wehklage zu vernehmen, ahnte nicht daß sie dem gestürzten Reitknecht gehörten und jagte mit verhängtem Zügel, so lange das Pferd nur laufen wollte, über Stock und Stein.
Der Graf hatte um so dringendere Eile gehabt sein gefundenes Ideal zu flüchten und diesen nothwendigen obwohl strafbaren Gewaltschritt zu wagen, da er von den Schwestern erfuhr daß sein reicher, mit der Mutter einverstandener Oheim welchen sie alle noch mit keinem Auge gesehn hatten, stündlich erwartet werde. Den Oheim aber, einen rauhen, der Sage nach, unleidlichen Mann und vornehmen General, begleitete seine Tochter, die für bösartig und häßlich ausgeschrien und ihm zur Gemalin bestimmt war. Vor Jahr und Tag schon, hatte er den Grafen in einem Briefe zur Vollziehung dieser Verbindung, welche, wie er schrieb, ihn armen Teufel zum Erbherrn einer schuldenfreien Herrschaft machen solle, kommandirt. Offner Krieg und eine Kette widriger Auftritte standen dem Grafen, wenn er sich von ihm in Lindenau finden ließ, bevor, denn der Onkel war, kraft seiner Würde, an unbedingten Gehorsam gewöhnt, ahnte keinen Widerspruch, duldete deren noch weniger und hielt die gefürchtete Xantippe, welche er ihm, um das Geld der Familie zu erhalten, zugedacht hatte, kraft seiner Schätze, für ein königliches Geschenk. Auch Roderichs Mutter, die bei mancher trefflichen Eigenschaft, doch den Glanz ihres Hauses dem Glück ihres Sohns vorzog, wünschte nichts sehnlicher als in Leopoldinen ihre Tochter, und sich dadurch von allen, zum Theil drückenden Finanzsorgen, befreit zu sehn. Um so schrecklicher war ihr deshalb Roderichs entscheidender Schritts um so widriger die herjedalische Braut, um so glühender ihre Erbitterung gegen den Wilden, dem es trotz dieser Rohheit gelungen war, am ersten Tage seines Dortseyns zweien ihrer, nach den strengsten Grundsätzen erzogenen Töchter, den Kopf zu verrücken.
Die scheinbare Duldsamkeit mit welcher Rosemunde den Ignoranten an ihrem Bette knieen ließ und das Geräusch seiner Küsse füllte das Gefäß des mütterlichen Zorns welcher sich jetzt schäumend und brausend über die Tochter ergoß. Ach, zum ersten Mal seit den Jahren der Kindheit, empfand diese jetzt der Mutter strafende Hand. Die Größe des töchterlichen Verbrechens wuchs in ihren Augen von Schlag zu Schlag und Rosemundens Wangen und Schultern glühten bereits wie die Farbe ihres Namens als die kleine, neugierige Lina, von dem Geschrei der Schwester erweckt, aus der Neben-Kammer herbeisprang und von der mütterlichen Nemesis, die jetzt von neuem des heutigen Antrags gedachte, auf gleiche Weise empfangen ward. Lina aber, welche weder Tücher noch Decken festhielten, entwand sich dem Strafgericht und sprang davon. Die Gräfin folgte der Fliehenden und Rosette schloß eilig die Thüren hinter ihr ab und trat laut schluchzend vor den Spiegel. Sie war der Mutter an Jähzorn und Heftigkeit zu ähnlich, um eine solche, bisher ganz unerhörte Behandlung, kindlich hinzunehmen, zu verschmerzen, und sich mit dem Gefühle ihrer Unschuld, die doch früh oder spät an den Tag kommen mußte, zu trösten. Der Spiegel zeigte ihr flammende Finger auf glänzendem Elfenbein, eine glühende Nase und Wangen welche der Schminke spotteten. – Roderich wird Dich schützen, sprach sie zu der Erscheinung im Spiegel und eilte, ihr Reisekleid zu holen, bebend vor Zorn nach der Garderobe.
Die Gräfin kam, erschöpft an Körper und Gemüthe in ihr Kabinet zurück, und schmerzlicher noch als vorhin fiel ihr jetzt der verlohrne Sohn, mir dem sie bis dahin immerfort im Bunde gegen die Launen und die Hoffahrt der Töchter gestanden hatte, aufs Herz. Er mußte, und sollt' es den Rest ihres Vermögens kosten, der albernen Thörin entrissen werden, und das einzige, sichre Mittel lag am Wege. Von ihrer Jungfer begleitet, fuhr sie mit dem Tage ab um in dem Gasthof zum Erbprinzen Gericht zu halten.
Das Pferd auf welchem Gustav dem Lindenauer Schloß entfloh, war des Weges kundiger als sein Reiter, der ihm, trunken und angstvoll, die Zügel ließ, und kehrte, als er es endlich zufällig Waldeinwärts lenkte, auf einem oft durchlaufenen Jagdwege nach der Heymath zurück, aus welcher so eben, vergoldet von dem Glanz der aufgehenden Sonne eine Dame im Amazonen Habit auf ihn zutrabte.
Rosemunde, die von der Abreise ihrer Mutter, kraft des Geheimnisses mit der sie betrieben ward, kein Wort erfuhr, befahl in aller Frühe dem Jokey, ihren Klepper zu satteln. – Bis aufs Innerste von jener Mißhandlung gekränkt, hatte sie im Laufe dieser Nacht beschlossen, zu dem Bruder zu flüchten, und so, nach des Grafen Beispiel, der sich dadurch des bisherigen Straf-Amts völlig begeben hatte, seine Mitschuldige zu werden. Das gewagte, übereilte, unmoralische dieses Schrittes ward von der Unbesonnenen um so leichter übersehn, da der Baron sie doch für jeden Fall zum Trau-Altar und dadurch einer Rolle zuführte die sie mit mädchenhafter Sehnsucht seit Jahren schon herbei gewünscht hatte. Gustav erkannte sie jetzt, ließ die Zügel sinken und streckte beide Arme nach ihr aus.
Mein Bräutigam! rief sie, um ihn schnell über alle Zweifel zu erheben und warf dem Entzückten feurige Küsse zu, die er nun, zu der Reiterin hingeneigt, von der Quelle schöpfte. Lange ritten sie so, Arm in Arm. Mit Bedauern vernahm er die Geschichte dieser Nacht, mit Freuden ihre Wirkungen und jetzt erschreckte plötzlich ein Schrei Rosemundens, den trunkenen Hörer. Sie befanden sich eben im Zick-Zack eines engen Hohlwegs, und vor ihnen lag, als sie um die Ecke bogen, ein Wagen, bei dessen zerbrochenem Rade die Gräfin Mutter beschauend stand. Rosette erkannte sie auf den ersten Hinblick und lenkte schnell in's tiefste Gebüsch hin. Der Bräutigam folgte ihr. Noch einmal sah die Tochter zurück und sich unbemerkt. Hier galt es Eile. Gustav sprengte auf ihr Bitten abwärts, der Mutter aus dem nahen Dorfe Hülfe zu senden, und hohlte sie dann wieder ein. In raschem Trabe ging es jetzt vorwärts und eben sah der Graf mit Augusten hinter dem verschrobenen Brustbild des Erbprinzen aus dem Fenster, als der längst Erwartete von einer Amazone begleitet, über den Markt sprengte.
Seyd ihr getraut? rief die Gräfin vom Klepper hinauf. Er winkte verneinend, Auguste aber flog dem Bruder entgegen und lispelte voll Unmuth – Warum bringst Du uns diese mit?
Dich sendet die Mutter? sprach der Graf und zog die Odemlose in ein Fenster. Ihre Erzählung schlug ihn nieder. Er fühlte welche Masse von Unheil er mit diesem Menschen-Paar in das elterliche Haus gebracht habe und welche Szene ihm, nach der bald zu erwartenden Ankunft der Mutter bevorstehe, für deren Versöhnung bereits sein Herz mit lauter, kindlicher Stimme sprach.
Gestern schon hatte er zu diesem Zweck einen Eilboten an den Hauptmann abgefertigt, welcher viel bei der Gräfin galt und dieser kam jetzt zur gewünschten Stunde an. Er erschrak wie Roderich, als sich ihm das zweite Braut-Paar vorstellte und Gustav ihn mit dem Verlaufe der Sache bekannt machte, und stimmte, gemeinschaftlich mit dem Grafen, dahin, Rosemunden noch vor der Mutter Ankunft nach Lindenau zurück zu führen wo man dann diese, so gut es sich thun lasse, von der Unschuld des Mädchens überzeugen wolle.
Rosemunde hatte indeß ihren Bräutigam in ein Nebenzimmer geführt. Bei dem Bruder, sprach sie, bleib' ich nicht, denn um kein Haar besser als wir jetzt, erhebt er sich dennoch wie ein Reiner, und will, wie immer, unsre Vorsehung seyn. Führen Sie mich nach der * Residenz. In wenigen Stunden sind wir über der Grenze und das Ausland schützt dann unsre Rechte. Frei, unabhängig von den drückenden Banden der Verwandtschaft, treten Sie dort gerade zu als ein edler Lappe, in der Rolle des liebenswürdigen Sonderlings auf. Die Erscheinung ist selten also macht sie Glück und öffnet dem anziehenden Paare die Thüren der Großen. Mehr verlang' ich nicht. Sie werden durch Ihre Natur, ich durch meine Bildung glänzen; man wird in Ihrer gleichgültigsten Aeußerung tiefen Sinn, treffenden Witz finden, meine Wahl billigen, mich die Folie dieses gehaltvollen Edelsteins nennen und Freude haben, daß auch hier die Extreme sich umarmen.
Das machen wir! rief er und schlug in die Hände. Glänzen möcht' ich gern, und durch meine Natur. Es kann uns nicht fehlen. Umarmen Sie nur brav!
Aber fort, und auf der Stelle! fiel Rosette ein, hörten Sie nicht, daß man mich an die Mutter ausliefern will? Und steht uns nicht jeden Augenblick ihre Ankunft bevor? Dann sind wir verlohren – ich und Sie!
Komm! sprach er, wir schleichen uns hinab, in den Bock zurück; dort ließ ich meine Koffer und Gelder. Anton besorgt die Post, und ehe sie uns hier vermissen, sind wir geborgen.
Immer lebhafter ward im Nebenzimmer das Gespräch. Der Hauptmann hatte jetzt auch dem Grafen den Krieg angekündigt und drang mit Heftigkeit auf unbedingte Unterwerfung. Auguste sollte, im Gefolge dieses Raths, vor der Hand einer, von ihm für diesen Zweck vorgeschlagenen, ehrsamen Tante anvertraut werden, und unter deren Obhut erwarten, was er, zu Gunsten der Verlobten, bei der Gräfin ausrichten werde. Aber lauter als jetzt, hatte Gustel nie geweint. Sie wußte aus Erfahrung was es sagen wolle, unter den Augen einer Tante zu leben, und hatte während der Hin und Herreise nach und von Lindenau, zu nahe bei dem Lieblinge ihres Herzens gesessen um irgend einen andern, von ihm so weit entfernten Sitz erträglich zu finden.
Der Graf wankte noch immer zwischen Widerspenstigkeit und Pflichtgefühl, als die Gräfin vorfuhr und alle schnell verstummen machte. Frau Zeibig flüchtete zu der Wirthin hinab, Gustel hinter den Grafen und der Graf rief, zu Theilung ihres Zorns, vergebens das zweite, mitschuldige Paar aus dem Nebenzimmer herbei, denn seit zwei Stunden schon war es fort. Herr von Welling endlich eilte der Gräfin bis zur Treppe entgegen und führte sie unter leichtem Scherz, der jedoch ganz unbeantwortet blieb, in das Sünder-Stübchen.
Das Publikum desselben formte sich unwillkührlich in eine Rotte. Im ersten Gliede stand der Hauptmann; Gustel im zweiten, der Graf sah aus dem dritten, über beide Vorderleute, in der Mutter Gesicht, das Traurigkeit und Zorn unter sich theilten.
Wähle, sprach sie, und trat zwischen ihn und Augusten, wähle meinen Fluch oder Diese.
Sie sind so grausam als ungerecht, fiel das Mädchen hocherglühend ein, denn auch ich bin eine Gesegnete. Des Vaters sterbende Hand heiligte diese Stirn, und der Mutter letzte Thräne die kaum Gebohrne. Der Gräfin Blick fiel unwillkührlich auf diese engelschöne, geheiligte Stirn, und beschämt von der Gewalt der Worte, die Auguste in dem begeisternden Gefühl ihrer Würde sprach, erwiederte jene mit dem sanftern, verweisenden Tone des Unmuths – Sie haben mir den Sohn geraubt!
Hätte sie das, fiel jetzt der Hauptmann ein, so würde ich mich nicht erkühnen, ihre Sache zu führen. Die Unschuld hat auf Erden in der Regel nur unsichtbare Vertheidiger, und ein solcher berief mich.
Sind Sie auch gegen die Mutter? fragte die Gräfin, und warf sich in den nächsten Stuhl.
Vielleicht nur gegen einzelne Maßregeln derselben, entgegnete dieser: aber fest bestimmt, die geheiligten, ewigen Rechte dieser Mutter so viel an mir ist, zu beschützen. Hier steht der Sohn, reuig und kummervoll, daß er gegen diese verbrach. Auf ihn allein fällt alle Schuld, denn die Angefeindete ist rein, und wär' er ihrer werth, Sie zürnten jetzt nicht. Vor allem aber hinweg mit dem Fluche, den noch nie eine gute Mutter aussprach.
S. Brachte er mich nicht zum Aeussersten?
H. Sie drohten zu gehn wenn jene nicht gingen. Diese Drohung machte es ihm zur Pflicht, sie zu entfernen.
S. Doch aber als erklärte Braut!
H. Dahinein indeß! sprach der Hauptmann, trieb das verstummte Paar ins Nebenzimmer, und sprach nun auch von den Rechten eines mündigen Staatsdieners, von der Freiheit seiner Wahl, von der Gewalt des gewaltigsten Triebes, von der lautern Reue des Sohns, von dem himmlischen und irrdischen Adel Augustens – sprach mit so viel Weihe, Begeisterung und Herzlichkeit, daß die Gräfin, deren liebster Verwandter und innigster Hausfreund er war, deren Jähzorn überdieß, wie gewöhnlich, nun allgemach dem schmerzlichen Gefühl der Uebereilung wich, nach langem Weinen ihm den Arm gab um sie wieder zu dem wartenden Wagen zu führen. Jetzt, sprach sie auf der halben Treppe: jetzt hohlen Sie Augusten die mich begleiten soll, Roderich aber, den ich vor der Hand nicht sehn mag, erwartet hier meine Befehle.
Der Hauptmann hatte Mühe die Braut zur Folge zu bewegen, denn ohne ihn, behauptete Gustel vergehen zu müssen, und das wolle sie doch lieber auf des Vaters Grab in der Heymath, als unter den feindseligen Schwestern des Grafen.
Endlich hob er auch sie in den Wagen und eilte zu dem Vetter zurück. Ich wünsche Dir Glück! rief er, wo aber steckt das andere Paar? Deine Schwester muß augenblicklich zurück. Ich will sie auf Fußsteigen führen. Wir müssen früher als die Gräfin dort ankommen, und sollte sie auch Tage lang das Bett hüten müssen.
O ich bin ausser mir! entgegnete Roderich. Seit dem Eintritt der Gräfin ließ ich beide vergebens in und ausser dem Erbprinzen aufsuchen.
Der Hauptmann erschrack. Nun, rief er, ist alles vergebens, alles viel schlimmer als vorhin, denn lieber wird eine Mutter zehn Söhne als eine Tochter entfliehen sehn. Die ging aus Reisen!
Zuverlässig! entgegnete der Graf. Immer war diese rollensüchtige Schwester mein Kummer. Ihr Stolz, ihre Hoffahrt, ihre Heftigkeit, ihr Streben nach Bedeutung und Aufsehn, ihre Hinneigung zu allem Abenteuerlichen und Seltsamen hat mir oft bittre Sorge gemacht. O eile nach Lindenau, Capitain! Wehe sonst Augusten und mir!
Es klopfte. Anton trat mit einem Billet herein. Es war von ihrer Hand an den Bruder.
»Hoffentlich, schrieb Rosette, werd' ich noch heute getraut, und dann erst erfährst Du den Aufenthalt Deiner Schwester. Unsre Pferde findet ihr im Stalle des Erbprinzen, Augustens Habseligkeiten im Beschlusse der ehrlichen Wirthin des Gasthofs aus dem Du sie weglocktest. Dein Genius führe Dich, wie mich der meine.«
Roderich eilte dahin. Die Wirthin erzählte, daß das gnädige Paar den Bock vor kaum zwei Stunden, Arm in Arm verlassen habe; Anton wollte nicht wissen wohin sie gegangen wären, Suschen lag unpaß zu Bett. Er fragte nun in den Thoren an. Aus allen waren Paare gezogen und Wagen gefahren, denn der Tag konnte nicht schöner seyn. Der Hauptmann sprengte jetzt seines Weges, um, wo möglich, noch vor der Gräfin in Lindenau anzukommen, und Roderich kehrte trostlos in den Erbprinzen zurück wo sich Frau Zeibig die zu einer Schwester nach * abging, unter Beileids-Versicherungen beurlaubte.
Vergebens sah Amalie indeß gegen Osten, Lina gen Westen, der Zurückkunft der Schwester entgegen, die heute viel länger als sonst, von dem gewöhnlichen Spazierritt ausblieb. Was noch an Pferden im Stalle war, ward endlich gesattelt um die Vermißte, der ein Unglück zugestoßen seyn mußte, aufzusuchen, da der Mutter frühe Abreise, laut des Jokeys Aussage, mit Rosettens Entfernung in keinem Zusammenhang stand.
Jetzt kam die Mutter an. Auguste saß, zum Erstaunen der Töchter, an ihrer Seite und folgte weinend der Schluchzenden in ihr Zimmer. Zufällig hatte der Hauptmann in einem Gasthof auf halbem Wege sie getroffen, und nicht länger angestanden, ihr die neue, bedeutendere Hiobspost mitzutheilen. Die Gräfin versank, ohne dießmal nur die leiseste Aeusserung ihres sonst so leicht auflodernden Jähzorns blicken zu lassen, in tiefe Schwermuth, erwiederte kein Wort und weinte nur. Herr von Welling hielt es, unter diesen Umständen, für Pflicht, ihr in den Wagen zu folgen und sie durch die Versicherung zu erheben daß Rosenwall bei allen seinen Eigenheiten die Redlichkeit selbst sey und die Gräfin doch im schlimmsten Fall als seine Gattin zu den Füssen der Mutter zurückführen werde. Weggerechnet also den Schmerz welchen ihre Kühnheit und ihr Ungehorsam veranlasse, habe man sich immer noch Glück zu einem Schwiegersohne zu wünschen, der durch Vermögen und Gestalt, durch Unverdorbenheit und Herzens-Werth mehr als die gewöhnlichen gelte und wohl mancher Dame der Nachbarschaft, als ein solcher, höchst willkommen gewesen seyn würde. Für den Augenblick endlich, sey es sehr rathsam mit einem heitern Gesicht in Lindenau aufzutreten, Rosemundens Entfernung wie ein scherzhaftes Geheimniß zu behandeln und lachend zu versichern daß man sie selbst veranlaßt habe und das Fräulein in guten Händen wisse.
Die Gräfin gab diesen Meinungen zwar Gehör, doch weinte sie nur heftiger, und Gustel, der die Sehnsucht nach dem entfernten Liebling das Innerste zerriß, von Herzen mit.
Kaum waren sie angekommen, kaum hatte Lina, eingedenk der Arbeit dieser Hand, dieselbe mit Zittern an den Mund gedrückt, Amalie kaum mit halber Stimme geäussert daß Rosette vermißt werde, als der Hörnerklang blasender Postknechte zum Fenster heraufscholl und der schwer beladene sechsspännige Wagen des erwarteten Generals in den Hof rollte. Schnell gab die erschreckende Ankunft des Gefürchteten der Gräfin den verlohrnen Ton zurück. Sie schrie laut auf, sie schalt, verbot, befahl, verwünschte ihre Lage, den Zuspruch der Zwillinge wie diesen, und eilte nun, ihn zu empfangen, nach dem äussersten Vorzimmer.
Langsam – Langsam, ihr Rattenschwänze! scholl es jetzt von unten herauf. Zwei Heiducken, denen der Läufer hinten, mit dem stämmigen Krückenstocke des Oheims nachhalf, trugen ihr den Vetter entgegen. Neben ihm wandelte Leopoldine. Sie hing, wie die Klette an des Löwen Mähne, im Arme seines Adjutanten, und gab den Trägern die benöthigten Winke.
Sieh die Schildkröte! sprach Lina als sie den Onkel erblickte, zu Amalien und zog das Tuch vor's Gesicht.
Und seine Mißgeburt! setzte Amalie hinzu.
Ihr Führer macht alles wieder gut! entgegnete Lina und beide eilten dem Onkel entgegen, welcher so eben die Gräfin erreicht hatte. Die Heiducken ließen ihn nieder, der Läufer schob ihm den Krückenstock in die Hand und seine Träger standen nun, wie flugfertige Greife, mit halb geöffneten Armen hinter dem Schwankenden.
Bon jour, ma cousine! sprach er keuchend, und hielt der Gräfin den ungeheuern Globen seines Backens hin, auf dem ein Gemenge von Warzen und Rubinen, wie Gruppen der Süd-See-Inseln, ihren Lippen entgegensprang. Die Töchter küßten ihm, während dieser Arbeit, dem gemessenen Befehle der Mutter gemäß, die verschwollenen Hände, umfingen nun, unter lauten Freundschafts-Betheurungen, Leopoldinen und sahen nebenher über die hohe Schulter der Umarmten zu dem willkommenen Begleiter hin der wie ein Leuchtthurm, im Meere dieser Trübsal für Sie glänzte.
Liebe, scharmante Comtessen! sprach der Oheim und sie verbeugten sich nochmals.
Willkommen! Willkommen! fuhr er fort und streichelte sie. Wir Generale sind das – er hustete – der Adjutanten wegen – immer. Die Mädchen errötheten, die Gräfin gab ihm die Hand, die Heiducken halfen nach, und die Thüren des Staats-Zimmers flogen auf. Leopoldine ward von den Gräfinnen geführt. Der fern stehenden Unschuld, deren tiefe Verbeugungen bis jetzt nur von dem Offizier erwiedert worden waren, bot dieser den Arm. Frau von Welling entschuldigte auf dem Wege die Abwesenheit ihres Sohnes mit einer nothwendigen Geschäftsreise.
Donnerleid! rief er, Geschäftsreise? Hörst Du's, Poldel, ist verreist. Aber Sie müssen ihn augenblicklich vom Urlaub hereinziehn.
Leopoldine dichtete in ihrer Verlegenheit dem lieblichen Tage unerträglichen Wind an, Lina aber bedauerte schadenfroh, den Bruder um die Freude ihrer Ankunft gebracht zu sehn.
Des Fräuleins Führer hatte indeß zu wissen gewünscht, wen er zu begleiten das Glück habe.
Ich bin die Gustel, entgegnete sie, ein Fremdling hier und überall.
Das glaub' ich gern, fiel jener ein, die Heymath der Huldin ist der Himmel.
Gewiß auch ein Praktischer! dachte sie und der Adjutant verließ sie jetzt, um dem General in den Lehnstuhl zu helfen.
Müssen auch noch ein Töchterchen haben, fuhr dieser, als er festsaß, fort: Comteß Mundel, mein Pathgen. Ich band ihr ja dazumal das große, goldne Schaustück ein. Das mit der Dreyfaltigkeit. Drey sind, die da zeugen, et caetera, steht auf dem Rande.
Die Gräfin gestand das zu und bedauerte sehr, daß Rosemunde ihre Freundin in ein entferntes Bad begleitet habe.
Ins Bad? rief der Oheim. Hörst Du wohl, Poldel? – Wir baden zu Hause!
Leopoldine fand in ihrer Angst das reich aber altväterisch ausstaffirte Zimmer höchst modisch und geschmackvoll.
Daß Dich! Daß Dich! schmälte der Vater und klopfte mit dem Krückenstock einem vergoldeten Engel, der den Pfeilertisch trug, auf den Kopf. Jetzt trat sein Kammerdiener in's Zimmer und zeigte ihm von weiten, mit fragendem Blick, die Feder-Mütze. Pardonnez moi! sprach der Onkel zur Gräfin und vertauschte sie schnell gegen die stark gepuderte Perücke, nur ein Präservativ. Die Mützen konserviren das Gedächtniß, und das meine ist, Gott sey Dank, noch horribel. Frau von Welling führte die Dreyfaltigkeits-Münze als einen Beweis für diese Versicherung an, bat dringend, sich keine der gewohnten Bequemlichkeiten zu versagen und schlich sich fort, als er nach wenigen Minuten vernehmlich schnarchte.
Am folgenden Morgen ward der Caffee im Garten genommen. Ein Geschäft rief die Gräfin ab, dem Adjutanten mußte Amalie die englischen Anlagen zeigen, Lina dem Fräulein ihre Garderobe, und so blieb denn Auguste allein bei dem Alten, der ihr in gebrochnen Worten, je nachdem ihm sein Fett und die angehende Brust-Wassersucht das gestattete, plump genug schmeichelte, und nebenher Krieg und Blutvergießen prophezeihte.
Aber in den Krieg, sprach Auguste, können Ew. Exzellenz doch nicht mehr ziehen?
Nicht? Nicht? rief er betroffen, wer sollte commandiren wenn ich nicht wäre? Die ganze Armee ginge zu Grunde.
Oft, fuhr sie fort, hat mein Vater von Schlachten erzählt und wie wild es dahergeht, wie da geeilt, gejagt und gefochten wird.
Mordmäßig! fiel er ein und hieb mit der Krücke um sich her.
Und wenn nun dann, mitten im Gemetzel, Ihre Heiducken erschossen würden und der Läufer davon liefe, so wären Sie doch sehr zu bedauern.
Wär' ich? brummte er zwischen Beschämung und Zorn.
Zwar hab' ich noch nie einen Feldherrn gesehn, aber die dacht' ich mir anders. Groß, rührig, heldenartig, wie den Josua in der Bibel, so daß den Feind, wenn er ihn wahrnimmt, ein Schrecken befallen muß. Vor Ihnen erschräk' ich nicht. Ihnen könnt' ich kein Leid thun. Mich würde der Jammer befallen wenn die Heiducken Sie getragen brächten und der Stickhusten einträte, wie vorhin. Hauen und Stechen vergäß ich dann und klopfte Ihnen in den Rücken.
Man höre! rief er aufgebracht. Es ist Ihr Glück, daß Sie ein Mädchen sind. Die haben gut Scherz treiben. Heiducken in der Schlacht! Was das schwatzt! Dann reit ich ja. Sie sollten mich zu Pferde sehn!
O wünschen Sie mir das nicht. Ich stünde Todes-Angst aus! Zu Pferde? Nun, das muß sich seltsam ausnehmen.
Sie treiben es arg, Fräulein. Aber solchen Feinden gegenüber bin ich ein Lamm. Ein Kind. Küssen Sie mich, ma chere!
Küssen? rief Gustel und rückte den Stuhl ab.
Sie haben ein Amazonen-Herz. Ein Goliath waren Sie geworden – ein Händel-Macher – In meiner Jugend – Herr, gedenke der Sünde nicht! Da war ich auch einer. Dreien blies ich das Lebenslicht aus. Ganzen Leuten, auf meine Ehre!
O, Sie Mörder! rief Auguste. Doch das ist Ihr Scherz. Dann wären Sie längst geköpft. Auf Mord und Ehebruch steht ja das Schwerdt.
Der General lachte sehr und betheuerte, daß er in diesem Fall wohl manchen schönen Kopf gewagt habe.
Nur böse Menschen, erwiederte Gustel, freveln wissentlich, nur schlechte rühmen sich der Sünde!
Comment? schrie er, was erlaubt sich die Kleine?
Erbittert stand Auguste auf.
Bleiben Sie nur, bat er besänftigt. Bleiben Sie, ich befehl' es. Ich habe zu befehlen, ich!
Gustel rollte ihren Zwirn auf um zu gehn, und sprach – Befehlen ist leicht. Leichter als Gehorchen!
Das wollt' ich meinen, entgegnete er, auch bequemer. Mir gehorcht alles. Die ganze Armee zittert, wenn ich komme.
Vor Ihnen?
Ja! Ja! Ja! Und Sie sollen auch zittern.
Vor einem Mörder ganz gewiß. Aber nein, sprach sie mit Herzlichkeit, der sind Sie nicht. Sie sehen gar nicht so aus. Absonderlich in dieser Mütze. Weiß denn Leopoldine, daß Ihr Vater Bruder-Blut vergoß?
St! rief er, das bleibt gänzlich unter uns!
Unter uns? fiel Gustel ein. Sie wollen mich zur Mitschuldigen machen? Nein, Herr General, das hoffen Sie nicht. Das zeig' ich der Obrigkeit an.
Ich bitte Sie, sprach er bestürzt, es war ja ein Scherz. Sie werden doch Spaß verstehn?
Da sehn Sie nun, erwiederte die Entrüstete, so geht es den Prahlern. Aber ein General sollte nicht prahlen. Sie haben gewiß nur den Titel? Nicht wahr? Und sahen noch keine Schlacht? Ich merkt' es gleich. Ich bin auch ein Soldaten-Kind. Mein Vater ist Oberster gewesen. Ja der! der war ein Mann vor dem sich zittern ließ. Kein Titelhanns! Er schlug die Russen.
Kind, bringe mich nicht aufs Aeußerste!
Warum sprachen Sie vom Zittern? Das glaubt Ihnen niemand. Lachen mag die Armee wenn Sie kommen, ich lachte selbst mit – Nein ich lachte nicht. Das wäre Sünde. Weinen würd' ich. Es ist gewißlich wahr!
Die Rückkehr der Damen erlöste den General von dem Feuer, an welchem ihn die Ignorantin briet. Er erkundigte sich nun, in der Stille, aufs genaueste bei der Gräfin wen er denn eigentlich in diesem Satans-Engel vor sich gehabt habe, und drang, als diese von Pflichten der Menschenliebe gegen eine schutzlose Waise sprach, Rache schnaubend auf Genugthuung. Frau von Welling, in derem Innerstem ohnehin noch der bittre Groll gegen die Störerin ihres Friedens und ihres Plans glomm, schüttete diesen, am Abend, sehr schonungslos gegen das Mädchen aus, welches sich mit dem Feuer des Selbstgefühls vertheidigte. Die Gräfin nannte sie nun eine Undankbare, eine Selbstsüchtige, einen Feuerbrand, den der Zorn des Himmels in den Schooß der Familie geworfen habe, und verurtheilte die arme Gustel, da ihr Beschützer wieder in seine Garnison abgegangen war, zu einem dreitägigen Stuben-Arrest, während dessen Caroline das Amt der Schlüssel mit feindseliger Strenge verwaltete.
Ich habe Dir weh, ich habe Dir zu viel gethan! sprach die Gräfin am Abend des dritten Tages zu der Weinenden, aber das ist der Fluch reizbarer Seelen und Du vergiebst mir. Diese küßte versöhnt ihre Hand. Jetzt Auguste, fuhr sie fort, will ich mein Herz vor Dir ausschütten und meinen Kummer an das deine legen. Ich scheine begütert, und bin doch blutarm, wenn der Onkel die Capitale zurückfordert die er mir vorschoß. Mein Sohn ahnt nicht, wie tief ich verwickelt ward, und welcher Kummer, welche Schmach mir bevorsteht, wenn er der Mutter Ruhe seinem Mädchen aufopfert.
Kummer und Schmach? rief Auguste. Davon wußt' ich nichts! Ehre und Freude fall' Ihnen zu, wenn ich diese anders herbeiführen kann.
O durch ein Wort! Sechzig Meilen weit kam der Oheim her, eine Verbindung zu stiften die mich betrüben aber retten würde. Das Mutterherz verstummt unter dem Andrange der Nothwendigkeit, und meine Auguste verdient sich den Himmel wenn sie dem Genuß eines Gjücks entsagt, das mir alle Genüsse der Zukunft rauben würde. – Doch, ich wünsche vergebens, denn die Leidenschaft ist taub.
Befehlen Sie! sprach Gustel, ihre Thränen trocknend, noch hört mein Ohr, noch ehrt mein Herz die Stimme der Pflicht. Wie könnt' ich neben Ihrem Schmerze glücklich seyn? Wie könnt' ich den Mann lieben, der die Mutter um seines Mädchens willen versinken ließ? Die leibliche Mutter? Es giebt ja nichts heiligeres.
Das sagst Du jetzt und botst ihm doch die Hand zur Flucht!
Weil er sicher hofte, feierlich betheuerte, daß wir Sie gewinnen, versöhnen, als geliebte Kinder an Ihre Brust zurückkehren würden. Von dieser Lage, diesem Drange, dieser unbesiegbaren Nothwendigkeit wußt' ich nichts. O keine Thräne mehr, theure Gräfin. Sie sind gerettet, sind geborgen, er ist der Ihre. Schalten Sie mit ihm. Der edle Sohn wird zu Ihren Füssen sein Gefühl für die Gustel abschwören und in Ihrem Glücke glücklich seyn.
Auguste, wie beschämst Du mich?
Sie spotten meiner. Solche Opfer fallen in Gottes Hand, und bricht mein Herz, so bricht es die Vaterhand und sie wird es heilen. Er soll mich nicht wiedersehn. Aber lieben werd' ich ihn lebenslang. Aus weiter Ferne noch! Still und ernst wie ich die Engel liebe, und sein Bild, das er mir gestern gab, bleibt an meinem Herzen bewahrt.
Am Herzen! Im Herzen! O reine Seele, jetzt erkenn' ich Dich! Aber wird auch dieser heilige Eifer von Dauer seyn? Wird das Gelübde des Morgens Dich am Abend nicht reuen? Wird diese feurige Großmuth im harten Kampfe mit den Feinden des Guten und des Göttlichen bestehn?
Gewiß! sprach Gustel mit frommer Ueberzeugung. Mein Gebet wird den Vater rühren und mit seinem Beistand können wir Wunder thun. Die seligen Märtyrer sahen sein Angesicht und lächelten mitten unter ihren Qualen. Ich werd' es auch sehn! Er war ja meine Zuversicht als ich noch an der Brust meiner Mutter hing – Am Busen der Sterbenden!
Leopoldine trat in's Zimmer. Sie grüßte flüchtig die Gerührten und sprach französisch mit der Gräfin. Diese warf Augusten Küsse zu und begleitete das Fräulein zu dem Oheim, den ein heftiger Anfall seines Stickhustens im Bette hielt.
Neulich hatte ihn Auguste mit Nesseln gegeisselt, heute ihn der herbeigerufene Arzt mit Skorpionen gezüchtigt.
Allerdings meinte dieser, sey die Brustwassersucht auf dem Wege, doch dürfe er hoffen, durch die Folgen dieses Hustens, jener fürchterlichen Pein auf einem schnellern Wege zu entgehn. Dieses Todes-Urtheil hatte der Pazient, so leise es auch in der Tochter Ohr geraunt ward, wohl vernommen und schnell nach Wein gerufen der ihn schon oft, in bangen Stunden, über das eigene Zittern erhob.
Schaffen Sie, bat er die eintretende Gräfin, schaffen Sie um Gottes Willen den Sohn herbei. Der Doktor ist ein Narr, der sich gern wichtig machen möchte, und ich bin wohl und werde ausreiten sobald es kühl ist. Sterblich sind wir ja alle.
Die Aeusserung des Arztes, des Oheims Forderung, der Tochter Bestürzung wirkte betäubend auf die Gräfin, Amalie aber eilte, ihrem Bruder einen Eilboten zu senden und versicherte dem General, daß er mit dem Abende sich ihm vorstellen würde.
Ma cousine! sprach der Kranke: kennen die wohlmeinende.Gesinnung meines Herzens. Ich stehe, leider! in Gottes Hand und will nicht langer mit der Ausführung zaudern. Sorgen Sie für den Geistlichen, gnädige Frau, an meinem Bett hier sollen sie getraut werden. Ich nehme dann doch im äussersten Fall das Bewußtseyn mit, mein Poldchen standesmäßig versorgt zu sehn. Alle Welt schwört, sie sey häßlich und werde auf ihrem Gelde sitzen bleiben, aber alle Welt lügt, denn sie sieht ihrem Vater gleich und wird Gräfin von Welling. – Geld ist Schönheit! – Ah, meine Brust!
Wenn Ihr Bruder eintrift, sprach Leopoldine, während dieser Herzens-Ergiessung zu Amalien, so haben Sie die Güte, ihn vor allem in mein Zimmer zu führen. Sehr reifliche Gründe veranlassen mich zu dieser Bitte.
Amalie versprach ihr das und das Fräulein kehrte zu des Vaters Bett zurück, der von Stunde zu Stunde kränker ward.
Roderich war indessen im Erbprinzen auf Nesseln gewandelt und flog nun unter den süßesten Erwartungen nach Lindenau, denn Amalie hatte, fürchtend er möchte sonst ausbleiben, in ihrem Briefe weder der Gäste noch der Braut gedacht, die seiner harre. Er kam. Die Schwester führte ihn aus weisen Gründen, trotz Leopoldinens dringender Bitte, zuerst in der Mutter Zimmer. Herzlich weinte diese jetzt. Seitdem Morgen erst fühlte sie Augustens Werth, und – wie alles was sie fühlte – sehr lebhaft. Den Sohn schmerzte es tief, sich aufs neue zu tragischen Szenen berufen zu sehn, denn seine Phantasie ließ ihm auf dem Wege die Gustel an der Mutter Hand entgegen hüpfen, und er vernahm mit entzücktem Herzen die Aeusserungen der Versöhnten. Wie ganz anders erschien jetzt die Wirklichkeit. Ein großes Rechnungsbuch lag auf dem Tisch, schweigend führte ihn die Gräfin zu diesem, und zeigte mit dem Finger auf Zahlen und Summen.
Ich verstehe Sie, meine Mutter, entgegnete er, doch wenn auch der Mangel meiner harrte, so sollen Sie doch im Ueberfluß leben. Ein Wort, und ich bin wieder angestellt. Höchst ungern entließ mich der Minister.
Das Mädchen fühlt zarter, entgegnete die Mutter. Nie, betheuert die Edle, würde sie den Sohn lieben können, der seine Mutter versinken ließ, und das wäre ja der Fall wenn ich der Gnade des Sohns leben müßte. Nicht Zorn, nicht Beschwörungen, nicht stürmische Vorwürfe drangen ihr diese Erklärung ab. Die ruhige Darstellung meiner Lage reichte hin, sie, die Fremde, sie, die keine Pflichten gegen mich hat, zu diesem Opfer zu bestimmen, dessen freilich nur schöne Seelen, nur gute Söhne, nur segenswerthe Kinder fähig sind – Jeht geh', und stimme das Mädchen um, und laß mich verderben.
Darf ich sie sprechen? fragte er mit halber Stimme.
Sie selbst verbittet das, entgegnete die Gräfin und gab ihm ein Billet von ihr.
»Ich liebe Dich wie mich selbst (schrieb Auguste) mehr als mich selbst, denn freudig wollt' ich für Dich sterben; Einen aber müssen wir über alles lieben, und sein Gebot, das vierte, das heiligste, entreißt Dich mir. Du wardst früher Sohn als Bräutigam, darum ehre die frühere Pflicht, so wirst Du mein Bräutigam im Himmel seyn; der Engel Deiner Gustel.«
Der Onkel ist hier, fuhr die Mutter fort, ist bedenklich krank, will Dich mit Leopoldinen verbunden sehn. Sein Tod bessert nichts, denn die Verschmähte überlebt ihn ja. Was Du in dieser Stunde thust, mein Sohn, wird Deine Sterbestunde Dir vergüten.
Jetzt trat Amalie an des Fräuleins Hand ins Zimmer. Er fuhr zurück, verbeugte sich tief und sprach einige unvernehmliche Sylben. Amalie nahm für eine Weile das Wort und schlich dann der Mutter nach.
Ein Ideal, sprach das Fräulein, trat bis jetzt, so oft ich Ihrer dachte, vor meine Seele, und es wird Ihnen sehr gleichgültig seyn, wenn ich gestehe daß Sie nicht unter diesem zurückbleiben.
Es war an mir, entgegnete der Graf, Ew. Gnaden verbindliche Worte zu sagen, denn mehr als Worte können zwei Wesen unseres Geprägs in dieser Lage schwerlich für einander haben.
Das ungünstige Vorurtheil, welches Sie gegen mich antreibt, ist mir nicht erst seit gestern bekannt. Auch Ihr Haus hat seine Feinde. Vor Jahren schon erfuhr ich manch liebloses Unheil, und nur mir dem Lächeln des Spotts ward hier der nie Gesehenen gedacht. Ach, schon viele Thränen kosten Sie mich, und noch manche werd' ich über Sie weinen.
Nein, Nein, bei Gott nicht! rief der Graf.
Aber jede sey hier im voraus verziehn. – Sehr reizend, fuhr das Fräulein nach einer Pause fort, dacht' ich mir Sie, doch nicht so edelstolz, so würdevoll, so königlich. Sie stehen vor mir, wie die Palmen neben verstörten Ruinen, doch diese Niedrigkeit, hoff ich zu Gott, soll mich nicht über die Gräber begleiten; dort wird die Freudenlose Freuden erndten. Ihren Spott verdient' ich nie, die Hand der Sie, gelangen, schuf auch mich und einem Quell entsprangen unsere Seelen. Ich kenne mich, Herr Graf, und die Blindheit der Selbstsucht ist fern von mir. Ausgeschlossen von allen Genüssen der Eitelkeit, von allen Vorzügen die, lauter als Sittlichkeit und Herzens-Werth, selbst zu den bessern Männern sprechen, steh' ich, erwartend ob irgend wo ein Edler sich noch fände, der über dem Unsterblichen in mir, das Sterbliche vergessen lernte?
Er sah ihr tief in's Auge. Jetzt, bat er, jetzt führen Sie mich zu dem General.
Sie drückte des Grafen Hand an ihre Wange, wandelte an seinem Arm in das Krankenzimmer, that leise Fragen an den Arzt und eilte dann zu Augusten hinüber, bei der sie, im Laufe des Stuben-Arrests, halbe Nächte zugebracht hatte.
Der Onkel war jetzt ein Schmerzens-Mann, nahe die Angst und kein Helfer hier. Er war, wie David, ein Wurm und kein Mensch. Großen Farren gleich, standen die Heiducken am Bett und ihrem Seitenstück ähnlich, saß der fette Pastor zu dessen Häupten und schrie ihm die Kraftstellen des zwei und zwanzigsten Psalms in's Ohr. Nur ein Licht brannte düster im Zimmer, und auch dieses mußte die Tochter, welche jetzt von Augusten zurückkehrte, entfernen.
Halt! rief der Kranke, als der Pastor an die Einhörner kam, jetzt trauen Sie mein Poldchen. Schnell! – Auf der Stelle! Seyd ihr da, Kinder?
Gleich, mein Vater, entgegnete die Schluchzende und verließ für einen Augenblick das Zimmer. Den Grafen rief die Mutter unter heissen Thränen aus dem anstossenden herbei.
Roderich trat betäubt in das Dunkel, die Hand der Braut ergriff die seine. Ohne Sermon! rief der Onkel und begann zu röcheln. Der Pastor befolgte den Befehl, und wenige Minuten reichten hin, den Abgrund aufzuthun der den Opfernden auf ewig von dem Opfer schied.
Es ist vollbracht! rief der Graf, führte mit brechendem Herzen die Angetraute in das Nebenzimmer, und erstarrte jetzt als sein scheuer Blick auf die Braut fiel, denn Auguste hing an dieser Hand, denn Auguste war ihm angetraut, und betend kniete die Gefürchtete am Bette des sterbenden Vaters. Auch Gustel faltete jetzt im Arm des Jauchzenden ihre Hände. Sey gelobt, Du Allliebender! rief sie, und hob die Thränen-schweren Augen hoch empor, sey gelobt in Ewigkeit, Amen!
Auguste? stammelte der Graf und wollte seinen Augen nicht trauen.
Ich bin's! entgegnete die Braut. Ueberredet, beschworen, unter heissen Thränen von ihr fortgezogen, geleitete sie mich an Deine Seite, warf ihr Tuch um meine Schultern, und drängte uns zum Bette hin.
Der Onkel war nicht mehr. Leopoldine trat unter die Glücklichen. Die Wonne dieser That schien einen Himmels-Glanz über ihr Gesicht zu verbreiten, lautweinend stürzte der Graf zu den Füssen der Großmüthigen.
Ich bin nur häßlich, sprach sie, und hob ihn schnell empor, bösartig nicht: aber leicht verkennt und verdammt man die Reizlosen, denn alles was die verschlossenen, abgewandten Herzen öffnet und anzieht, mangelt ihnen. Genug davon! Es geh' Euch wohl, und wohl auch mir, im Abglanz Eueres Glücks! – Damit wand sie sich von den Segnenden los, eilte zu der Gräfin hinüber die ohne Rast durch alle Zimmer flog und zu träumen glaubte und legte eine Brieftasche in ihre Hand!
Hier sind Ihre Wechsel, Frau Gräfin, sprach sie, ihre Verschreibungen und meines Vaters letzter Wille. Er macht mich zur alleinigen Erbin. Ich aber bin bereits durch den Hintritt meiner Schwester reicher als ich bei dem Andrange geldsüchtiger Freier zu seyn wünsche. Dem Grafen falle zu, was dieser Wille mir bestimmt.
Die Mutter verstummte. Nur aus Romanen kannte sie diese Handlungsweise, und ahnte nie, ihr je in der Wirklichkeit zu begegnen. Dafür aber, fuhr das Fräulein fort, soll er mich zur Pathin seiner Kinder, zur Genossin seiner häuslichen Freuden, zur Gefährtin seiner Auguste machen, mein Bruder, mein Beschützer, der Verweser meines Vermögens werden, das, wenn ich sterbe, hinreicht, ein Häufchen armer Mädchen zu versorgen.
Die Gräfin drückte sie unter namenlosen Empfindungen an ihr bebendes Herz.
Mitternacht war vorüber und noch alles wach im Schlosse. Die Bedienten beschäftigte der Hintritt des Oheims. Frau von Welling strich, bestürmt von ihrem Glücke und dem Kummer um Rosemunden, so manches tilgbar gewordene Conto durch, und noch erschütterter lag das Fräulein im offenen Fenster und blickte bald zu den glänzenden Sternen hinauf, bald nach den Fenstern des Braut-Gemachs hinüber, in welchem jetzt, durch sie, die Liebe glücklich ward.
Wohl Euch! lispelte die Schluchzende, sank auf das einsame Bett und entschlief. Ihr Genius neigte sich über die Träumende. Sie sah den Himmel offen und das Antlitz des Mittlers.
Auch Rosenwall war bereits vermählt. Die Fliehenden kamen am Abend ihrer Flucht auf einem Pfarrdorf jenseits der Grenze an. Gustav eilte zu dem Geistlichen, unterrichtete ihn kürzlich von seinen Verhältnissen und zeigte dem Armen, welcher mit einer kränkelnden Frau und sieben hungrigen Kindern auf dieser brotlosen Pfarre saß, eine Hand voll glänzenden Goldes. Der Pfarrer, der in dieser Hand eine Fügung des Himmels und die Rettung vom Elende sah, dankte Gott, der ihm in seiner Noth diesen Engel sandte, vergaß jede Bedenklichkeit, hohlte selbst die Braut aus dem Gasthofe in seine Wohnung ab und trauete dort das fröhliche Paar. Die Frau Pastorin bereitete indeß ein Abendmahl und in des Pfarrers winzigem Studier-Stübchen das Brautbett, denn eine Höflichkeit war der andern werth und diese hundert Dukaten retteten sie ja von Hunger und Kummer, kleideten ihre halbnackenden Kinder und bedeckten die Blöße des Eheherrn mit Plüsch.
Herr Pastor, sprach der Baron nach dem Essen, und zog ihn an das kleine Fenster, Sie haben uns bei der Trauung so manches vorgelesen was zwar recht schön und kristlich lautete, sich aber, meines Bedünkens, viel leichter lesen als thun läßt. Die Tante durft' ich nie mit Fragen über das erste Buch Mosis behelligen und Karl wollte auch nie recht mit der Sprache heraus. Sagen Sie mir – denn als Geistlicher ist es doch Ihre Pflicht, Gottes Wort auszulegen und jungen Brautpaaren mit Rath und That an die Hand zu gehn – Wie läßt sich jene Vorschrift ausführen und auf welchem Wege? Meister, möcht' ich ausrufen, war sollen wir thun, daß wir glücklich werden?
Mein gnädiger Herr, sprach der Pastor mit einem andächtigen Lächeln und blickte, geschmeichelt von dem Meistertitel, auf seine sieben Kleinen und die lauschenden Frauen herab, immer hab' ich gefunden daß junge Eheleute die süßem Pflichten ihres geweihten Berufs mit übereiltem Eifer erschöpfen, den ernstem aber mit strafwürdiger Fahrlässigkeit ausweichen. Das umgekehrte Verhältniß wird Ihnen frommen.
So? rief der Wißbegierige. Wie meinen Sie das? Was soll ich umkehren?
Die Gattin, fuhr jener fort, ist einem köstlichen Fruchtbaume zu vergleichen, der voll edler und gereifter Früchte hängt. Lange genügt dem weisen Gärtner an der Beschauung, und nur spärlich bricht er sie; der Thor aber pflückt sie mit rastloser Gier und dafür rächt sich die beleidigte Natur durch Ekel und Ueberdruß an dem Schwelger.
Die sieben Kinder wünschten jetzt dem Papa nach der Reihen-Folge ihrer Geburtstage angenehme Ruh. Der Baron sah gerührt dem jubelnden Zuge nach und sprach – Ich werde doch auch Vater werden, Herr Pastor?
Nach Gottes-Willen! entgegnete dieser. Die lieben Frauen dürfen jetzt, mit Recht, ein lautes Hosianna anstimmen, da ihnen der Herr in Quedlinburg einen Helfer erweckt hat.
Gustav machte große Augen.
Den Lehnhardtischen Schwangerschafts-Trank mein' ich, fuhr jener fort, einen Geburtshelfer, auf Flaschen gezogen. Es steht in den heutigen Zeitungen davon.
Den trinken wir selbander! sagte der Bräutigam zu der Braut. Mann und Weib sind ja ein Leib und ich verschlänge willig einen ganzen Geburtshelfer, um Dich, zu seiner Zeit, von dem Fluche des Gesetzes zu erlösen. Damit führte er sie nach dem Studierstübchen.
Komm an mein Herz, Du Geliebter! lispelte Rosemunde, und breitete die Arme nach ihm aus.
Ach wie gern, wie gern, liebe, Theure! fiel er ein, aber dann rächte sich die beleidigte Natur an dem Schwelger – Der geistliche Herr sprach die Wahrheit, ich seh es ganz. Ein holder Lebensbaum bist Du, voll köstlicher Früchte. Schönheit und Anmuth, Tugend und Verstand schmücken Deine Zweige und ich vergesse die Modalität, die Relazion und alle Beschauungs-Arten, wenn ich Dich ansehe. Das Gleichniß von dem weisen Gärtner war ein treffendes.
Geh, frostiger Schwätzer! schalt sie seufzend. Nicht von Gärtnern und Relazionen, von Deiner Liebe sollst Du reden und mir schwören daß sie ewig glühen wird, wie die meine.
Ja, das will ich! Reden darf ich, was und wie und soviel ich will und daß ich Dich ewig lieben werde, weiß der dort oben.
Einen Kuß denn, zur guten Nacht! sprach sie kleinlaut.
Küsse? Nein, Liebe, die muthe mir nicht zu. Die fallen nun weg. An Deinen Lippen hängt eine der süßesten Früchte, nur zu oft hab' ich schon von ihr genascht. Schlaf ein! Schlaf wohl! – Warum zauderst Du? Ich besehe mir indeß diese Kirchenväter. – Sieh an! der Alte dort trägt einen Bart. Das iss zuverlässig ein jüdischer Bischof, aber den litt ich, an seiner Statt, nicht unter diesen, denn die Juden haben ja den Heiland gekreuzigt. Eigentlich dauern mich die armen Verstossenen – Sterben mußt' er ja doch, auf daß die Schrift erfüllet würde.
Noch manche Bemerkung dieser Art strömte von seiner Lippe. Er sah die Thränen nicht, welche den Augen der Braut entflossen, löschte das Licht aus und schlief an ihrer Seite bis zum Morgen.
Wir verließen in Lindenau ein edles Mädchen im Arm des tröstenden Schlummer-Gottes, eine gerettete Mutter im Genuß ihrer Freude, eine glückliche Braut am Busen des Bräutigams. Sie wachte noch, als plötzlich ein lautes Klopfen den Lauschenden von ihrem Herzen aufschreckte. Was kann das seyn? fragte die Furchtsame.
Ein Unglück! entgegnete er zur Thüre eilend, uns würde man sonst ungeweckt lassen. – »Geschwind, Herr Graf,« sprach der barfüssige Läufer des Oheims »Exzellenz regen und bewegen sich wieder, es war nur der Scheintod.«
Den Grafen wandelte der Schwindel an. Gustel verstummte, das Fräulein, dem ein Heiducke des Vaters die Botschaft verkündigte, fühlte die Rückkehr ihrer Krämpfe, die Mutter hielt der Schreck im Bette fest.
Comteß! sprach der Erwachte zu Amalien, die am frühesten von der Wächterin herbei gehohlt ward, es ist mir lieb, Sie wohlzusehn. Ich habe nun ausgeschlafen. Meine Tochter, mein Poldchen, meine Gräfin will ich haben. Und den Küchenzettel lassen Sie heut' an mich gelangen. Ich komme zur Tafel – Sagt' ich es nicht, daß der Doktor ein Rattenschwanz wäre?
Bald versammelte sich der Kreis still verzweifelnder Wesen um das Bett, und jedem Kommenden versicherte der Kranke, sich seit Jahren nicht so wohl gefühlt zu haben. Jetzt schlich auch, einer Entseelten ähnlich, die Mutter herbei.
Sie werden uns doch ein Fest geben? sprach er zu dieser. Zwei vielmehr. Das Hochzeit-Fest und die Genesungsfeier. Da muß mein Name brennen. Cum titulo toto. Sinnen Sie auf eine Devise. Ich wünsche die Noblesse zu sehn und mein Poldchen als Gräfin Tochter aufzuführen.
Legazions-Rath ist der Graf? Hat Majors Rang? N'est ce pas? Hier zu Land gilt das Civile.
Der Graf bejahte das, fühlte ihm, seine Hand küssend, an den Puls und schöpfte Hofnung.
Jetzt kam der Arzt, bezeugte sein freudiges Erstaunen, pries die geheimen Kräfte der Natur und prophezeihte Sr. Exzellenz, im Gefolge der überstandenen Krise, ein langes und schmerzenfreies Alter. Die Umstehenden aber brachen, im Gefolge dieser Versicherung, in Thränen aus.
Weiche Gemüther! rief der Pazient und weinte selbst mit, ich bin obligirt! Geh nur, Poldchen! Es thut mir leid, Dich gestört zu haben. Herr Sohn! Herr Graf! Herr Legazions-Rath, führen Sie in Gottes Namen die junge Frau zurück, ich bin chagrin, daß man Ihre Situazion nicht menagirte.
Von allen wußte nur Amalie was sie that. Fern von den Uebrigen stand sie mit dem Adjutanten der in der Angst von ihr selbst geweckt worden war, im Fenster, unterrichtete ihn, da er gestern auf der Jagd, und also noch unbekannt mit der Geschichte dieser Trauung war, von der Lage der Dinge und erbat sich seinen Rath.
Herr von Seehof verbarg sein Erschrecken, sprach, wie billig, mit ungeheuchelter Ehrfurcht von Leopoldinen und bemerkte daß der Vater, dem sie täglich ein höheres Maß von Achtung abnöthige, noch immer, bis jetzt, jede ihrer Handlungen gut gesprochen habe. Das jüngere Fräulein, ihre Schwester, fuhr er mit Achselzucken fort –
O sprechen Sie ganz offen, fiel Malchen ein, ganz wie ein vertrauter Freund, ich beschwöre Sie darum. Das jüngere Fräulein starb vor Kurzem?
Und des Vaters Einfluß mit ihr, entgegnete er. Sie war das Gegenstück zu dieser, reizend, aber nicht gut und doch zehn Jahre lang der Liebling unsers Fürsten.
Aber wie kam doch der Onkel an jenen Hof?
Exzellenz, fuhr der Hauptmann fort, hatten zwei Jahre bei der Reichs-Armee gedient und sich dann auf ihre Güter zur Ruhe gesetzt. Die Töchter wurden in Frankfurt erzogen, wo Seine Durchlaucht die jüngere auf einem Balle sah, auszeichnete und an sich zog. Das Fräulein aber zog den Vater nach und seitdem fiel ihm Titel auf Titel zu. Man kann nicht mehr scheinen und nicht weniger gelten als er jetzt.
Ach Gott! klagte Amalie, was steht uns da alles, einem solchen gegenüber bevor!
Ich hoffe das beste! entgegnete Seehof. Er spricht zu hastig; ganz gegen seine Weise, und des Arztes Trost deutet auf Zahlung. Im schlimmsten Fall nehm' ich es auf mich, ihn zu unterrichten. Dann hat er delirirt, hat das Fräulein von Rosenwall mit dem Grafen getraut wissen wollen, und wir haben, was das Fieber aus ihm sprach, für besonnenen Willen genommen, und schuldiger Pflicht gemäß, blindlings befolgt.
Das bessert nicht alles, fiel Amalie ein, hebt manche bedeutende Folge nicht auf.
Leopoldine, erwiederte der Adjutant, war die Erbin ihrer reichen Schwester, ist mündig und die Großmuth selbst. Was fürchten Sie noch? – Nun nichts mehr! sprach die Erheiterte und drückte ihm erkenntlich die Hand. Er führte die ihre an den Mund. Niemand als ich, fuhr er fort, wird hier verlieren.
Durch des Onkels Tod?
Wohl! Er entfernt mich.
Das wäre traurig. Aber sollten die Tugenden der gepriesenen Leopoldine Sie nicht fest halten? Einem so edlen Manne wird der Sinn für ihren seltenen Werth nicht abgehn.
Verzeihen Sie! Ihre Cousine kann nur ein Gegenstand meiner Verehrung seyn. Das Gute bet' ich an, doch nur das Schöne kann ich lieben. Wohl denen, die beides sind.
Bejahend nickte Amalie und sann vergebens auf eine passende Antwort.
Und Heil dem Manne, fuhr er fort, dem eine solche zufällt.
Heil auch dem Mädchen, erwiederte sie, dem ein solcher zu Theil wird.
Ew. Gnaden, entgegnete der Adjutant, waren vorhin so herablassend, mich einem vertrauten Freunde gleich zu stellen. Auf dessen Rechte hin, darf ich Ihnen ja gestehn, daß mich diese Gaben, in einem Gegenstand vereint, entzückten.
So wünsch' ich Ihnen Glück! lispelte die Erglühende.
Wünsche muß ich ablehnen, sprach er mit steigender Beklommenheit, denn aus der Ferne nur ergötzte mich die holde Blume. Der Himmel weiß, für wen sie blüht?
Für den Schätzer! fiel Amalie lächelnd ein.
Ach dürft' ich mich ihr nähern! – Darf ich das?
Seltsame Frage!
Ich darf? rief er mit steigendem Feuer, und Küsse bedeckten ihre Hand.
Reich bin ich nicht, fuhr er fort, doch meine Aussichten in der Armee sind die heitersten.
Der Täuschung folgt die Reue, Herr von Seehof, entgegnete Amalie, und es bleibt die große Frage, ob Sie auch hell sahen? Man scheint oft nur was man zu seyn strebt, und alles Irdische verblüht.
Seehof! mon cher Seehof! rief der Onkel. Seehof flog zum Bette.
Schreiben Sie doch auf der Stelle an die Zeitungs-Expedizion. Datum Lüneburg, daß ich auf einer Reise nach den baltischen Meeres-Pforten dort durch passirt sey. Das wird Sr. Durchlaucht Jalousie geben. Durchlaucht werden glauben, der Czar wolle mich ihm abspenstig machen.
Der Adjutant trat zum Pulte, schrieb, wie die Schauspieler auf dem Theater, mit ungeschnittener Feder, ohne Tinte, und gab eine Vorlesung aus dem Stegreif. Die Exzellenz war beruhigt aber Amalie verschwunden.
Viel gäb' ich drum, sprach Lina zu dieser, wenn der Onkel noch stürbe, denn die Trauer muß mich kleiden.
Schäme Dich! erwiederte Amalie. Es ist sündlich, aus schnöder Eitelkeit, selbst einem Todfeinde, geschweige denn des Vaters Bruder, den Tod zu wünschen.
Du bist heute recht lehrreich! entgegnete jene.
Weil ich gut bin.
Viel besser als ich? Nicht wahr?
Bin ich es nicht, so will ich es werden.
Das gebe der Himmel!
Leopoldine ist ein Engel.
Ein garstiger.
Wohl! Nur der Einklang von Schönheit und Güte reißt die Männer hin.
Hm! Gut können wir scheinen, wenn wir nur hübsch sind, und besser als diese sind wir doch alle.
Glaube das nicht! 0 wär' ich wie er!
Wie wer?
Wie der Edle, Holde, Herrliche, der mich liebt, der mich anbetet, den ich anzog, rührte, begeisterte: dem ich die schönsten Augenblicke meines Lebens danke.
Meinst Du den Jagdrath? Hat er mir nicht am letzten Fastnachts-Balle dasselbe gesagt? O, der Schwachheit!
Rathe besser! Ich bin Braut!
Lina verblaßte.
Seehof ist mein! sprach sie ins Ohr der Erstaunten und hüpfte fort.
Das fehlte noch! dachte Lina. Ist er blind? Ist er albern? – Solche Schwestern hätt' ich satt. Jene macht mir den Schweden abspenstig, diese nimmt mir den Adjutanten weg – Wie falsch doch die Männer sind! Einer vergleicht mich der Hebe, der andere dem Liebes-Gott, der dritte einer Himmels-Blume, und wenn ich nun glaube, sie sind mein, so gehn sie hin und frein meine Schwestern, an denen doch, Gott weiß es, kein Blatt von einer Himmels-Blume ist. Nein, das darf die Mutter nicht zugeben. Wenn ich nur Fürst wäre! Heute noch beföhl ich's durch's ganze Land daß das Heyrathen in den Familien, künftig von unten auf gehen solle. Dann könnte Malchen noch zusehn. Aber die Fürsten, guter Gott! die denken nur an ihre Hofdamen!
Amalien suchend trat Seehof in's Zimmer.
So einsam, meine Gnädige, fragte er, und so finster? Im Widerspruch mit dem Genius Ihrer Jahre –
Meiner Jahre? Ich geh' in's vierzehnte, Herr von Seehof.
Dem May entgegen! Dem Wonnemond des Lebens. Er haucht des Lebens Blüthen an und sie schwellen. Der Ihre läßt den schönsten Sommer hoffen.
Gute Mädchen entbehren gern die eitle Zuthat und williger noch das gefährliche Geschwätz der bestandlosen Männer.
Sind Sie gut? fragte er und faßte ihre Hand.
Gewiß! Ich ging ja durch die Schule des Unglücks.
Sie?
Verräth Ihnen das mein Auge nicht?
Das Gegentheil!
Meine leidende Miene?
Die spottet nur dem Kummer nach.
Der verstohlne Seufzer? die unterdrückte Thräne? –
Unglücklich, sagen Sie? Und wäre meine Frage nicht zu kühn – durch was?
Durch – Ihr Geschlecht.
Comteß Lina scherzen nur.
Mit Männern nie – Aber dieß Herz ist voll, und dem Vertrauten meiner Schwester darf ich's wohl öffnen?
Unbedenklich. Aber Sie warfen den Stein auf mein Geschlecht. Früh, sehr früh, wie ich gestehen muß.
Erfahrungen machen alt.
Nun – bei Cytheren! Das ist spaßhaft.
Spaßhaft? Unartig ist das von Ihnen, Herr von Seehof. Ich habe wohl gelitten wie keine noch litt. Einen Göttertraum geträumt aus dem ich fürchterlich geweckt ward. Ach, wie elend hat er mich gemacht!
Der Traum?
Der Verräther! An sein Herz zog er mich, schwor mir Liebe, gelobte mir Treue und betäubte mein Selbstgefühl. Schuldlos wie ich war, gab ich mich dem Verführer hin – Hin! Unbedingt! O, es ist schrecklich! Er betrog mich!
Das wird ernsthaft – Hör' ich recht Comteß? Er betäubte Ihr Selbstgefühl?
Mit feurigen Küssen!
Und Sie gaben sich ihm hin?
Verdammen Sie mich?
Völlig hin? Sie gaben sich hin?
O, wüßten Sie, wie diese Frage die Leichtgläubige bestraft.
Beklagenswerthe! Kennt denn Amalie Ihren Zustand?
Was ich ihm war, wissen Mutter und Schwester, doch um sein Verbrechen weiß kein Mensch. Gram und Beschämung verschlossen mir den Mund.
Unerhört! Wie nennt sich der Verführer? Ich räche Sie!
Rächen? Rächen sagen Sie? – Das ist ritterlich, das ist edel. Rosenwall heißt er, der Verräther, der Treulose, der Schwede, der erst mich verlockte, und meine Schwester dann entführte.
Welch ein Ungeheuer! Und das ließ der Graf geschehn?
Der liebt Augusten die seine Schwester ist und um ihn mit einem Zuge zu schildern, vertrau ich Ihnen, daß er mit dieser, mit der leiblichen Schwester – Sie werden erstarren – in einem Verhältnisse stand das uns Entsetzen einflößte. Voila tout!
Der Adjutant ward in diesem Augenblick zu dem Kranken gerufen. Ich sprach vortrefflich, dachte Lina, recht zum Herzen. Aus Büchern zwar, doch wie ein Buch und habe nun endlich was ich wünschte – einen interessanten Vertrauten. Seehof wird aufhören, das Kind in mir zu sehn, denn Kinder lieben nicht, am wenigsten unglücklich. Mein frühes Leiden muß mich ihm theuer machen und mehr verlang' ich nicht. Er wird mich rächen – Das giebt Aufsehn. Comteß Caroline, wird es überall heißen, hat eine affaire de coeur gehabt. Herr von Seehof führt ihre Sache. Und wo ich nun auftrete, wird man zischeln, wird man das romantische, früh bedeutend gewordene Mädchen in's Auge fassen, das schon im vierzehnten Jahre Schicksale über Männer verhängt – Ich? Ich benehme mich leidend. Thränenfertig. Hänge das Köpfchen, gebehrde mich wie eine Leidtragende; lasse mein kummervolles Herz in leisen Seufzern klagen, es in die Augen treten die schwermuthsvoll und feucht den Himmel suchen. Das muß Aufsehn erregen! Das muß der Garnison auffallen und den Cavalieren. Die werden mich um die Wette trösten, und der angenehmste Tröster ist dann mein. So denk' ich mir's, und so wird's auch glücken. Die Mutter wirft einen Blick auf der Schwester Beispiel und sagt dann mit Freuden Ja! Denn wir haben gleiche Rechte. So ist's scharmant. Man fängt nach gerade an, sich selbst interessant zu werden. Es ist recht traurig daß ich nur einem gehören kann; mein gutes Herz machte gern alles um sich her glücklich – Und der es werden sollte, sagte es wieder ab. Muß das nicht schmerzen? – Ich will auch in meinem Leben nicht wieder lieben und überhaupt Niemanden als mich selbst!
Der Arzt gestand dem Grafen, daß zwar an eine völlige Herstellung Sr. Exzellenz nicht zu denken sey, die Krankheit aber, im Gefolge der überstandenen Krise, sich wahrscheinlich in die Länge ziehen dürfe.
Dem Bedrängten kam jetzt Rath. Zwar blieb das Mittel verwerflich, aber die Nothwendigkeit heiligte den Zweck und selbst das Leben des Oheims, welches ein reines Geständniß bedroht hätte, ward durch diese selige Täuschung gesichert.
Mit einem Brief in der Hand, zu welchem das ausgeforschte Fräulein selbst, ohn' ihr Wissen die Data gab, trat Roderich an des Onkels Bett. Ihr Fürst hat an Leopoldinen geschrieben, sprach er mit finsterm Blick und ließ ihm den Brief sehn.
Wie? rief der Auffahrende, dem sein Augenschmerz das Lesen ohnmöglich machte – Wie? Durchlaucht? Selbst eigenhändig? Ich genese!
Man suchte zwar, fuhr jener mit klagendem Tone fort, die hohe Gnaden-Bezeugung vor mir zu verheimlichen –
Uebergroße Bescheidenheit! Ich kenne das Kind darauf.
Der Inhalt aber läßt auf andere Ursachen schließen.
Der Inhalt? O lesen Sie doch. Ich stehe für alles. Ich habe Geld.
Der Fürst gesteht, laut der Depesche, daß ihm des Fräuleins Tod alle seine Freuden geraubt habe, daß ihr Bild ihn, einem Schatten gleich verfolge, daß er der glücklichste seyn werde, wenn Leopoldine es über sich gewinnen könne an die Stelle der verlohrnen Freundin zu treten, und ihm durch ihr Herz, ihren Geist und über das alles, durch den Trost, die Schwester seines entflohenen Lieblings in ihr zu sehn, Ruhe, Freude und Gleichgewicht wieder zu geben.
Ich glaube, mein Fieber kömmt wieder! rief der General. Wie? Ist's Phantasie? Ist's möglich? Wach'ich? Leb' ich? War der Fürst bei Sinnen? Mein Poldchen verlangt er? Zur – Zur – Nun ja doch. Zur Trösterin! Gerechter Gott! – Das beste Gut gab' ich jetzt um ein Glas probates Schönheits-Wasser!
Nach ihrem Geist und ihrem Herzen dürstet ihn.
Respekt! die admirir' ich selbst. Der edle, weise, fromme Herr. Verdammt! Verdammt! Nun sitzt sie da und ist getraut. Herr Sohn! Herr Graf! Ei Teufel und kein Ende, das war dumm von mir!
Ich bescheide mein Urtheil.
Ja, Scheiden! Scheiden! O, wenn Sie das wollten! ich würd' es vergelten – Halb Part, Herr Sohn. Mein Poldchen, wissen Sie, besteht aus Geist und Leib. Das ist klar. Ein honette homme ließe sich zureden: behielte sich den Körper vor und träte Durchlaucht den Geist ab. Den Spiritus. Was büßten Sie da ein? Wie? Wenig! blutwenig, und ich zahle.
Ich liebe die Theilungen nicht. Doch müssen Sie alles wissen. In der Nachschrift läßt er Ew. Exzellenz im Bejahungs-Fall den Orden hoffen.
Der Onkel faltete erst, dann ballte er die Hände. Den Orden? schrie er – den großen? Stern und Band! Herr, Sie müssen billig seyn! müssen geschieden werden! Sie müssen! Halten laß' ich Sie! Den Orden laß ich nicht. Lieber alles!
Verschonen Sie mich mit solchen Aeußerungen! sprach der Entrüstete!
Ich kaufe sie ab. Dort in der Chatoulle liegen der Mutter Verschreibungen. Pakete von Wechseln. Nehmen Sie. Den ganzen Kasten. Ich will es. Ich befehl' es! Ich habe zu befehlen. Den ganzen Kasten, sag' ich Ihnen!
Der Graf trat zu dem Kasten, nahm die mütterlichen Schuldscheine, welche das Fräulein bereits dahin zurückgelegt hatte, aus dem Schatz und sprach – Für dieses Geschenk, Herr Oheim, weiß ich Ihnen Dank. Den Rest nehm' ich um keinen Preis. Zum Ueberfluß dürfen Sie wissen, daß ich gestern statt des Fräuleins Hand die der jungen Rosenwall ergriff und mit dieser getraut ward. Ihre Tochter selbst, die zu spät ins Zimmer kam, wird das bezeugen.
Comment? rief der Alte, einen Sterbenden dupirten Sie?
Zufällig, gnädiger Herr. Es war hier finster wie im Grabe und wir von der Gefahr betäubt in der Sie schwebten.
Gottes offenbare Schickung! Die Wechsel mögen Sie behalten. Mein Poldchen soll herkommen und dann augenblicklich fort. Durchlaucht könnten sich anders besinnen. Das würde mich um's Leben bringen. Soll reisen wie sie steht und geht.
Der Graf ging fröhlich fort, entdeckte der Tochter was er that und eilte zur Mutter.
Pardonnez moi, Poldchen, sprach der Alte zu jener, der Geschmack ist verschieden. Dich hätt' ich bei allem Egard vor Deinen Qualitäten nicht verschrieben – Du bist doch willig und bereit? Nur die Seele will er, Dein gutes Gemüth. Ich für mein Theil will nichts als den Orden. Es ist Schickung daß der Legazions-Rath fehlgriff. Allez vous en! Ich reise bald nach. Den Orden aber schicke par Estafette. Sie müssen ihn hier sehn. Zur Genesungs-Feier!
Leopoldine versprach was er nur wollte und beurlaubte sich, des Grafen Wagstück zu begünstigen. Sie schrieb vorerst an den Fürsten, der sie genau kannte und innig hochschätzte, unterrichtete ihn von dem Verlauf der Begebenheit, erlaubte sich, ihn bei den Manen ihrer, ihm so theuer gewesenen Schwester zu beschwören, als Mittler in dieser, sie beängstigenden Angelegenheit aufzutreten und auf den Zweck ihres Anliegens wie auf die körperlichen Leiden ihres Vaters jene huldvolle Rücksicht zu nehmen deren Er sie und ihr Haus bis jetzt so auszeichnend gewürdigt habe.
Der Graf, welcher die Fürsten von einer andern Seite kannte, fand diese Foderung ein wenig kühn und zu bedeutend, um Eingang zu finden, doch Leopoldine versicherte, der ihre mache eine Ausnahme und werde, Kraft der Achtung die sie ihm abgewonnen habe, sich's zur Freude machen, die kecke Hindeutung durch Übersendung seines, ziemlich werthlosen Ordens zu erwiedern.
Den Vater trieb die Rückkehr der fürstlichen Gnade aus dem Bette und er erzählte dem Läufer, den Heiducken, und jedem der es hören wollte, daß ein Kammerherr mit den Zeichen der höchsten Huld bereits auf dem Wege sey. Augusten, die jetzt alle Männer floh, vor jedem der sie ansah, erröthete und in der seltsamsten Stimmung ihres Lebens war, Augusten knipp er in die glühenden Wangen und verehrte ihr einen kostbaren Ring als Denkzeichen des Mißverständnisses, welches sie zur Gräfin von Welling gemacht habe. Leopoldine aber reiste, um des Vaters süßen Wahn nicht zu stören, zu der Frau von Silfen ab. Dem alten Karl brachte jetzt sein Kamerad Anton eine geheime Weisung seines Herrn. Er verschwand zu Gustels Bedauern aus dem Schlosse und die Thränen der bejahrten Köchin folgten ihm nach.
Alle Gesichter heiterten sich nach gerade auf. Die Gräfin hatte eben die wiederempfangenen Schuld-Verschreibungen durchlaufen und diese Binde-Mittel ihrer Sorgen den Flammen übergeben, schöpfte eben wieder Odem und freute sich des glücklichen Ausgangs einer so niederschlagenden Verwirrung als Herr von Seehof bei ihr eintrat, und ihr durch seine Mienen, sein Benehmen, seine Aeusserungen eine neue Schreckens-Nachricht verkündigen zu wollen schien.
Sie verbarg ihre heftig zitternden Hände, beschwor den Zögernden, ohne Vorbereitung zur Sache zu kommen, und erklärte sich im Voraus auf alles gefaßt.
Gnädige Frau sind Mutter, sprach Herr von Seehof und das Wohl Ihrer Kinder –
Also Bothschaft von Rosemunden? fiel sie ein. O die Unglückliche.
Auch Comteß Lina zählte sich zu den Unglücklichen, erwiederte er, und ihr Schicksal ist es von dem ich zu Ihnen sprechen möchte. Vor Wochen schon wollt' ich es, aber die Lage des Hauses verbot mir da, Ihren Kummer zu vermehren.
Meine Lina, sagen Sie? Gott, was konnte dieser begegnen?
Das menschlichste. Schon ihre Jahre sprechen für sie, und klagen laut den Verführer an – Den nichtswürdigen Fremdling, der die Rechte der Gastfreundschaft so schändlich entweihte.
Die Gräfin sank erblassend ins Sopha.
Als Mutter, Frau Gräfin, ist es Ihre Pflicht, mich zu hören und sich zu fassen. Die meine ist es, vor Allen Sie zu unterrichten. Ich fand Carolinen an jenem unglücklichen Morgen zufällig allein und in einer Stimmung die mich an einem so jungen Mädchen befremdete. Ein Wort veranlaßte das andere, und mit Offenheit gestand sie mir endlich, daß dieser Elende sie an sein Herz gelockt, ihr Liebe geschworen, ihr Selbstgefühl durch feurige Küsse betäubt habe, kurz ihr Verführer worden sey. Ob sie vor den Folgen dieses Bubenstücks zu zittern habe, ist eine Frage die ich der Mutter überlassen wollte. Jetzt bitt' ich Sie um alles Heils, um Ihres edlen Geschlechts Willen, die Unglückliche zu schonen und das Geheimniß nicht, durch rasche Schritte, zur Kunde der Dienerschaft gelangen zu lassen die es bald landkundig machen würde.
Frau von Welling sah' starr vor sich hin. Zu antworten vermochte sie nicht. Singend trat Lina jetzt in's Zimmer, und hing, als sie den Adjutanten wahrnahm, schnell verstummend, ein leises Ach! an den Triller.
Ist es wahr? Ist es nur möglich! rief die Gräfin und faßte krampfhaft des Mädchens Arm.
Was denn, ma chere mere? fragte die Erschrockene und verbiß den Schmerz.
Nein, nein! Du bist ein Kind. Wie hättest Du wagen können, was ich mich auszusprechen scheue?
Wenn ich ein Kind bin, meine Mutter, entgegnete die Beschämte, so giebt es kein erwachsenes Mädchen.
O, bleiben Sie in dieser Fassung! bat Seehof die Gräfin, und verließ das Zimmer.
Sprich, rief diese mit bebender Stimme, wie weit kamst Du mit dem Schweden?
Wie weit? Nicht aus dem Schlosse, ma mere.
Ich weiß alles. Gestehe oder Du wirst auf ewig ausgestoßen. Enterbt. Beschimpft! Verwünscht!!
Gestehen? Gestand ich denn nicht Wort für Wort bei der Ma bonne? Mußt' ich denn nicht Ihren Zorn noch mitten in der Nacht empfinden?
Und dabei wär' es geblieben? Warum erröthest Du, Elende?
Ich schäme mich, ma mere.
O Gott! Nun werd' ich's ja erfahren!
Wenn Sie Amalien nichts sagen wollen? Sie würde mich ewig ausspotten, mich lächerlich machen, und das kränkt.
Ich begreife Dich nicht.
Sie sollen alles wissen, gnädige Mutter, nur reinen Mund halten Sie. Trostlos über das Verbot und das Einsperren, sah ich weinend aus dem Kammerfenster, sah Rosetten in den Pavillon gehn, wo ich den Treulosen verließ, und ihn bald darauf herausstürzen und, als sucht' er mich, nach dem Schlosse hineilen. Da – nun ja – recht war es freilich nicht, da winkt' ich ihm, und der abscheuliche Mensch faltete recht andächtig die Hände und sprach – Aber das bleibt unter uns, ma chere mere! »Er habe sich anders besonnen!« – Ist das nicht schändlich?
Und das war' alles? habt ihr Euch nicht geküßt?
Er mich, Mama. Im Pavillon, ich aber riß mich los und eilte fort, um bei Ihnen um ihn anzuhalten.
Der Gräfin bitterer Gram ging schnell in Lächeln über, das unerstickbar, zum Gelächter ward.
Sie haben gut lachen, ma mere! Ach, Sie wissen nicht, wie weh es thut sich solche Küsse versagen zu müssen und dennoch gewann ich's über mich.
Aber schamlos bist Du doch. Wie kann ein Mädchen Deines Rangs es über sich gewinnen, einen Offizier von solchen Gegenständen zu unterhalten? Er glaubt Dich strafbar und verachtet Dich.
Da sehn Sie den Blaustrumpf. O Mutter, um aller Ruhe Willen, trauen Sie nur keinem Manne mehr!
Fort, zur Ma bonne! rief die Gräfin. Weinend vor Aerger schlich Lina da hinauf und sah mit stillem Grimm alle Hofnungen von vorhin durch des Adjutanten verläumderische Geschwätzigkeit zerstört. Ganz zuverlässig, sprach sie zu sich selbst, hat er dazu gelogen und vielleicht wohl gar gesagt, daß ich den Kuß erwiedert hätte. Wüßt' ich das, ich – verklagte ihn beim Regimente.
Pflicht ist Pflicht! – sprach Gustav, der indeß mit seiner schönen Gemahlin in B. angekommen war, als er des Pastors Gleichniß, den weisen Gärtner, und die Umkehrung der Pflichten-Folge vergessen hatte – Es ging mir ja von Jugend auf nicht besser, wenn die Tante mit dem Vesperbrot in der Hand den Erkenntnißbaum vorstellte. Und hier ist mehr als Tanten-Lob und Vesper-Speise. – Du bist ein Götter-Kind, Rosemunde. Ich soll Dein Herr seyn, will die Bibel? Aber das konnte wohl nur für die Jüdinnen gelten, die weder solche Nacken noch solche Lippen, weder Shawls noch Samojeden hatten. Knieen, singen, jubeln möcht' ich, wenn Du so in meinen Armen lauschest, oder an meinem Busen Dich verbirgst, in namenloser Seligkeit. Anbeten möcht' ich Dich wenn Du in Deiner Pracht und Herrlichkeit, geschmückt wie eine Königin vor mich trittst, und über die andern Männer hin, zu mir aufsiehst. Was fehlt Dir noch, mein Engel? Nach Ringen hast Du Dich gesehnt? Kaufe die schönsten. Ich wollte betteln gehen, wenn ich Dich nur glücklich sähe. Meine Gattin soll glänzen. Im Glanze bist Du unwiderstehlich. Wie sie Dir nachsehn! Die Offiziere bleiben auf den Straßen stehn und alles weicht aus wo wir auftreten und sieht uns nach, als begriffe man nicht, wie ein Herjedale zu diesem Kleinod komme. Das Nachsehn gönn' ich ihnen.
Aber das Ansehn, fiel sein Kleinod ein, schienst Du meinem Nachbar, gestern im Schauspiel, zu mißgönnen. Stelle das ab, Lieber. Gefall' ich Dir, so gefall' ich auch andern und jede fremde Huldigung huldigt ja nur deinem Geschmacke.
So? Wenn das wäre!
Das liegt am Tage, Herzensmann. Aber jetzt laß uns einen nothwendigen Besuch abstatten. Die Präsidentin von Lassen ist unsere Hausgenossin und von ihrem Gute zurückgekommen. Karl hat uns bei ihr angesagt. Sey auf Deiner Hut, Gustav, sie gilt hier wie ich höre, und der erste Eindruck wird ihr Urtheil über Dich bestimmen.
Ein schwerer Gang, Röschen, erwiederte er, doch mit Dir ging ich in die Hölle – Das ist viel gesagt. Mehr als ich bei der Prüfung am Abend verantworten kann. Aber komm nur, und würd' ich herjedalisch, so – so streiche Dir die Augenbrauen. Im schlimmsten Falle magst Du – niesen. Dann brech' ich ab. Doch sorge nicht, es wird schon gehn. Alles in der Welt erleichtert die Uebung. Selbst das Heyrathen, liebes Weib. Dort im Grenzdorfe war mir recht bange dafür, jetzt wollt' ich es, so reizend Du auch bist, mit jeder wagen die mir zusagt.
Die Gesellschaft bey Lassens war zahlreich und erlesen. Frau von Rosenwall zog die Augen aller Herren, ihr Gatte die Blicke der Damen an. Diese sassen, von einigen Schöngeistern unterhalten im Kreise, jene verhandelten, in Gruppen zertheilt, den gewöhnlichen Stoff. Gustav gesellte sich zu den letztern, sah aber fortwährend nach dem anziehendern Theile der Gesellschaft hin, erstaunte über die Masse holder Schwestern, erröthete für die Entschleierten, und verglich die schönern mit seinem Weibe. Rosemunde hatte die Damen indeß von der Heymath, dem Verhältnis und den Eigenheiten ihres Gatten unterrichtet, im Voraus jeden Verstoß dessen er sich etwa schuldig machen möchte, entschuldigt, seinen Vorzügen eine feurige Lobrede gehalten und nebenher auch mit einfliessen lassen, daß er so wohlhabend als freigebig, ihr Glück daher, jene Natürlichkeit weggerechnet, das vollkommenste sey.
Die Magnete zogen ihn näher hin. Er hörte sein Lob von der Gattin Lippen und ihre Seligsprechung aus dem Munde der Nachbarinnen.
O, ich ward noch viel glücklicher! rief er in den Kreis, es fehlt uns nichts als ein Forte-Piano.
Spielen Sie das? fragte die Präsidentin von Lassen, erfreut, ihn endlich laut werden zu hören.
Ich spiel' es wohl, entgegnete er, denn das ist keine Kunst, aber meine Frau spielt viel besser. Sie hat einen schneeweißen Nacken, den küß ich dann.
Halb beschämt und halb geschmeichelt, strich Rosemunde sanft das Augenlied.
Ist das ein Fehler? fragte er sie. Alle Glieder welche Du sehn lassest, darf ich auch nennen.
Die meisten verbissen noch ihr Lächeln.
Sie lassen hier viele sehn, fuhr er fort und das ist gut für weise Gärtner; aber beim Lichte betrachtet doch zu Suschenhaft.
Suschenhaft? fragte Frau von Lassen, der dieß Wort zu seiner Zeit, aus dem Munde dieses Unmündigen ein goldenes war. Wer ist Suschen?
Eine die ich – nicht heyrathen möchte! erwiederte Gustav. Die Damen errötheten unter der Schminke, die ungeschminkte Polizey-Direktorin erblaßte, schadenfroh sah Frau von Rosenwall auf die Schnörkel ihres Fächers.
Sie sind nun versorgt! entgegnete die Präsidentin um ihn auf den Gegenstand seiner Wahl zu führen.
Unter Gottes Beistand! versicherte er. Es ging mir recht seltsam. Ich hatte in zwei Tagen drei Bräute. Die Wirthstochter im Bock und die beiden Gräfinnen von Welling.
Heftig strich Rosemunde jetzt die Braunen, er aber sah eben starr in einen Nacken der fast den ihren übertraf und der Wink blieb unbemerkt.
Zwar nannt' ich jene eine Buhlerin und diese höllische Susannen, aber sie blieben mir doch gut.
Vergebens strebte Rosemunde zu niesen, und bat jetzt ihre Nachbarin um ein Prischen. Die alte Markise, welche kein deutsches Wort verstand, bat hinwiederum, ihr doch die Reden des Herrn Gemahls zu verdollmetschen, da sie in den Gesichtern der Damen den Wirkungen seiner Naivetät begegne und in Verzweiflung sey, dieser Pointen verlustig gehn zu sollen. Rosemundens Verlegenheit stieg, kraft dieser Bitte, aufs höchste und die schnelle Wirkung des Spaniols, welcher, laut der Betheuerung der Nachbarin, in der Dose der Infanten nicht ächter gefunden werde, weckte endlich den Nacken-Beschauer. So höre doch auf, bat er, ich brach ja schon ab. Die Schadenfreude trat nun auf die Seite der Damen.
Du darfst ja nur streichen! fuhr er fort.
Thränen traten, im Gefolge der Anstrengung, in ihre Augen.
Weine doch nicht! bat er beweglich, des Weibes Thränen sind des Mannes Fluch, und uns bedrückt ja ohnehin noch der mütterliche.
Der mütterliche? fragte Frau von Lassen, ei wie das?
Meine Frau Schwieger-Mutter, entgegnete er, ist eine seltsame Frau. Röschens Liebe zu erringen, überrascht ich sie einstmahls des Nachts. Das Mittel glückte, und eben schien mein Mädchen gewonnen, als die Mutter hereintrat, und wie ein Unhold den schuldlosen Zuspruch anfiel, der doch ihr Gast war. Wir faßten uns kurz und ritten davon. Der Mutter Zorn trieb uns durch den Erbprinzen und den Bock, über die Grenze.
Rosemunde vergaß in ihrer Angst alle Zeichen, fiel ihm jetzt mit Heftigkeit in's Wort und gab dem lauschenden, durch die Gesamtheit der Herren verstärkten Kreise, die Geschichte ihrer Liebe und ihrer Flucht zum besten.
Frau von Lassen kehrte alles nach Kräften zum besten, nannte Rosemunden eine Heldin und tröstete ihren Gatten mit der Versicherung, daß die Gräfin sich von einem so arglosen Schwiegersohne wohl noch versöhnen lassen werde.
Es hat gute Wege, versicherte dieser, wenn ich nur erst Minister oder Gesandter bin.
Vorzüglich, sprach sein Nachbar, ein Herr mit Stern und Band, und klopfte ihn lächelnd auf die Schulter, vorzüglich würden Sie als Diplomatiker glänzen.
Glauben Sie? rief er. Dann ist's gemacht! Das Diplom will ich mit Freuden bezahlen.
Die Herrn lachten, der Rathgeber welcher zum Unglück selbst Aemter und Diplomen an den Meistbietenden abließ, verstummte und die Opern-Stunde schlug.
Frau von Rosenwall war ausser sich.
Ich begreife Dich gar nicht, entgegnete er. Im Erbprinzen versichertest Du, meine Natürlichkeit würde hier neben Deiner Bildung glänzen und nun das geschehn ist, nun ich aller Augen auf mich zog, die vornehmsten Herren mich wie ihres Gleichen, die Damen mich wie einen Propheten ansahn, weinest und schmollst Du. Gerade wie Suschen als ich mein Wort wegen des versprochenen Berges zurücknahm.
Künftig, erwiederte sie, wirst Du wohl thun, ganz zu schweigen. Ach warum dacht' ich nicht früher daran, Dir die Rolle eines Stummen zuzutheilen. Alle Herzen hätte die Stummheit Dir gewonnen, und noch manche mich um den Besitz eines solchen beneidet. Heute aber pries gewiß jede den Himmel, nicht an meiner Stelle zu seyn.
Du erniedrigst mich auch gar zu tief! entgegnete er. In diesem Augenblick bin ich Dir mehr gram als gut. Wenn Du Geduld hättest, so wäre noch Ehre und Freude an mir zu erleben. Hörst Du denn nicht, daß ich Gesandter werden will?
Sey nicht so albern! rief sie, und lachte weinend, nur die allervornehmsten, allerfeinsten, geschmeidigsten Männer werden an die Höfe gesandt.
So laß ich mich zu den Mohren-Königen schicken oder zum Großsultan. Es wäre schlecht, wenn ein lutherischer Krist diesen Heiden nicht gewachsen seyn sollte. Sey nur wieder gut, liebes Engelchen! Unfriede ist mir schrecklicher als der Tod. – Komm! Deine Gesundheit! Wir wollen ein Glas von dem Lehnhardtischen Tranke versuchen und fröhlich seyn. Sie lachte wieder und weinte noch heftiger, er aber griff zum Huthe und ging. Wenn ich wieder komme dacht' er, wird auch die Reue gekommen seyn. Aber statt der Reue kam der Sohn der Präsidentin, Assessor von Lassen, welcher sie gestern, zu seinem Verdruß, im Schauspiel so gut unterhalten hatte.
Gustav zog auf Gerathewohl, höchst aufgebracht, durch die Straßen.
Herr Baron! Herr Baron! rief eine Stimme hinter ihm und gefälliger als je, sprang Suschen auf ihn zu. Sie sey erst vor wenigen Tagen hier angekommen, erzählte die Eilfertige und habe einer alten Verwandtin das Geleite gegeben. Wolle er der Frau Muhme die Gnade seines Besuchs schenken, so stehe sie für die ehrenvollste Aufnahme. Die Frau Muhme wohne gleich hier im Eckhause, wenn ihm etwa gefällig wäre, sie die wenigen Schritte hin, zu begleiten. Nur solle er ihr die Zudringlichkeit, den gnädigen Herrn auf der Straße anzusprechen, nicht verargen, aber sie sey ihm gar zu gut, habe ihn gar zu lieb, habe ihn jede Nacht im Traume gesehn. Ein feuriger Händedruck bestätigte das Geständniß. Gustav, dem es ungemein wohl that, sich von einem so lieblichen Wesen, dem er doch auf mannigfaltige Weise weh that, gelobt und geliebt zu hören, während dem ihn ein anderes das er doch fortwährend vergötterte, auf die bitterste Weise zurück wies, vergaß wen er vor sich habe und folgte der süßen Schwätzerin. Zwar war die Frau Muhme ausgegangen, aber Suschen war ja da und dem Dürstenden, welcher sich ein Glas Wasser erbat, wurde von der holden Erbin des Bocks berauschender Wein kredenzt. Sie erfuhr daß er getraut sey, daß sein liebes Weib ihm den Kopf warm gemacht habe, und er nächstens nach Herjedalen wieder zurückkehren wolle. Suschen beklagte, schmeichelte, streichelte und kredenzte in einem fort so angenehm, daß er bereits alle ihre Reize doppelt sah und sie glühend an's Herz zog. Ihr sanfter Widerstand reizte den Stürmer. – Jetzt wirbelte der Zapfenstreich. Es donnert! rief er und sprang auf. Bewahre! versicherte Suschen, die alten Trommeln sind's. Er aber entriß ihr die geküßte Hand und stürzte fort und irrte jetzt, zerfallen mit sich selbst, viel unglücklicher als vorhin durch die Straßen. Je weiter er ging, je nüchterner er ward, je lauter sprach sein Gewissen, je unfähiger fühlte er sich, jetzt heimzukehren und seiner Gräfin in's Gesicht zu sehn.
Die Gattin des Polizey-Direktors saß heute, wie schon bemerkt ward, mit in dem Damen-Kreise, und saß auf Kohlen. Auch sie hieß Susanne, war freigebig wie diese und fühlte sich bereits im Innersten vernichtet, als seine Geständnisse ihr das schönste Mittel zur Wiedervergeltung an die Hand gaben. Es lag, ihrer Meinung nach, am Tage, daß diese Gräfin ein Freuden-Mädchen und der Baron irgend ein blödsinniger Erbe sey, den die Kokette in ihr Netz gelockt habe. Der Polizey-Direktor fand die Besorgniß seiner Ehe-Genossin beherzigungswerth und sich in der Gebieterin, die laut um Rache schrie, schwer beleidigt. Er sandte auf der Stelle einige Gerichtsdiener nach Gustavs Wohnung welche die Nacht über das Haus beobachten und ihn am Morgen vor die Polizey laden sollten. Gustav aber ging eben aus und sie folgten ihm. Er folgte Suschen, sie besetzten die Thüre. Er rannte nun, wie Heymathlos, durch alle Straßen, sie fürchteten von ihm erkannt zu seyn, versicherten sich seiner Person und begleiteten den halb Bewußtlosen, Arm in Arm nach Lassens Hause.
Rosemunde schlummerte, seiner harrend, im Sopha. Er trat, einem Nachtwandler gleich, in das Zimmer, die Genien der öffentlichen Sicherheit wichen nicht von seiner Seite. Wer sind diese Herren? fragte sie und sprang auf.
Gute Freunde! brummte Gustav und ging hastig auf und nieder.
Gott! Was fehlt Dir? – Was hast Du gethan?
Gerade genug, um geköpft zu werden. Zwar, Menschenblut vergoß ich nicht, aber Blut möcht' ich weinen. Ich habe Sie angesehn, Mundchen, und wie! Ihrer zu begehren in meinem Herzen.
Angesehn?
Ist das nicht Ehebruch?
Wo warst Du denn?
Bei Suschen, Liebe!
Bei –
Bei Suschen, Theuerste!
Bei Suschen, sag'ich Dir! Sieh, das ist das Schicksal des Menschen, daß er in seiner Sicherheit, Lehre und Beispiel, den brüllenden Löwen selbst vergißt und erst nach dem Falle die Fallen sieht, welche Satan ihm legte, und den Pferdefuß des höllischen Führers. Weißt Du was neues? Heute schlugen die Engel den Zapfenstreich. Der meine wirbelte fürchterlich.
Wie? Mit dem Zapfenstreich bist Du gelaufen?
Bewahre, nein! Ich saß in der Anfechtung. Auf Suschens Schoos – Oder sie auf dem meinen, Gott wird es wissen. Des Hauptmanns roher Trieb ward in mir rege und ich vergaß, ein Mann zu seyn.
O Du Treuloser! O Du Verräther!
Thue so wohl! Schütte Dich aus. Ich verdien' es!
Aber meine Herren, sprach die Baronin zu den Gerichtsdienern, und ging für einen Augenblick in stolze Fassung über, ich kann nicht glauben daß eine Verirrung dieser Art, Ihre Gegenwart in unserm Zimmer nothwendig machen sollte?
Von wegen eines löblichen Polizey-Amts! entgegneten diese und blieben stehn.
So bemühe sich wenigstens einer zu dem Assessor von Lassen hinauf. Ich laß ihn bitten uns einen Augenblick zu schenken.
Lassen hatte sich kaum erst beurlaubt. Auch ihm lag daran, das räthselhafte Paar auszuforschen und der Wahrheit auf den Grund zu kommen. Von Rosemunden zur Genüge befriedigt, aber mehr als zur Genüge vom Reiz der schönen Frau entzückt, hatte er sich an ihrer Seite verspätigt und segnete jetzt den Zufall der ihm so schnell die Hand zur Verpflichtung bot. Er eilte fort, die Rechtlichkeit der liebgewonnenen Haus-Genossen mit Amts- und Ehrenwort zu verbürgen. Dem Neffen eines Ministers mußte geglaubt werden. Der Polizey-Meister entschuldigte das rasche Verfahren seiner Gesellen mit der Heftigkeit ihres Diensteifers, und Herr von Lassen übernahm den Befehl welcher sie abrief.
Mit dem Selbstgefühl eines Schutzherrn trat er bei den Trostlosen ein. Die Schergen verschwanden. Rosemunde drückte schaamroth aber feurig, die geküßte Hand auf seine Lippen und Gustav schwor daneben den theuersten Eid, nie wieder ein Mädchen nach Hause zu führen.
Nun geh' mir aus den Augen! sprach Rosemunde, als sein Befreier sich beurlaubt hatte.
Das hülfe zu nichts, entgegnete er kleinlaut, wir schlafen ja zweimännisch –
O, was that ich! unterbrach sie ihn. An einen Böswicht hab' ich mein Schicksal gekettet, glänzenden Erwartungen entsagt, Mutter, Freunde, Schwestern, mein schönes Lindenau verlassen, um elend zu seyn.
Lindenau gehört ja dem Bruder. Dem Praktischen. War es Dein, so blieb ich dort, dann hätte Suschen nur kommen sollen.
Wir sind geschieden, wenn dieser Nahme je wieder über Deine Lippen tritt. Vernimm jetzt das Urtheil. Wir sind geschieden, wenn Dir es je wieder beikömmt, mich mit Eifersucht zu quälen. Geschieden, wenn Dir je wieder gelüstete, die Geschichte unserer Liebe und Deiner Thorheit zu erzählen. Geschieden endlich, wenn es Dir einfiele die Rechte des Stärkern geltend zu machen. – Damit verlies ihn die böse Fee.
Wir sind geschieden, wiederhohlte er sich nach langem Verstummen, wenn ich Suschens Nahmen nenne und doch ließ sie es ungeschieden hingehn, daß ich die, die ihn führt, auf dem Schoos hatte. Wir sind geschieden, wenn ich sie quäle, wenn ich erzähle, wenn ich die Rechte des Stärkern geltend mache. Es ist noch ein Glück, daß sie der Pflichten nicht gedachte. Mit denen bleibt es doch, Gott Lob, beim Alten! Sie war recht böse. Zu bös! Ich wollt' es gelten lassen, wenn der Zapfenstreich nicht gekommen wäre; und bedenken sollte sie doch, daß ich Freiherr bin. Ach, wie ganz anders benahm sich Gustel, als ich in die Dornen gefallen war. Ist denn Suschen mehr als ein Dornenstrauch? Ich verlange nicht, daß meine Frau mir, wie jene, die Hand küssen soll, aber sie kann jawohl auch noch, früh oder spät, in die Dornen gerathen. Nein – das verhüte Gott. Der Zapfenstreich wird täglich nur einmal geschlagen. Geschähe das, ich – würde katholisch.
Der Oheim ließ sich jetzt dann und wann in den Garten führen. Seehof und Amalie legten dann selbst mit Hand an, und die Hände hinter seinem Rücken in einander. Er sprach und träumte noch immerfort von dem Sterne. Die welche er, der Ehre gewiß, in voraus verschreiben ließ, waren bereits angelangt, und so oft es seine Augen erlaubten, besah er sich das Planeten-System, hielt Stück für Stück an die Brust und fragte dann mit kindischem Wohlbehagen die Comtessen, wie er ihm stehe?
Statt des Ordens aber, kam jetzt ein schwarz gesiegelter Brief, in welchem der Sekretair der Fürstin, den schnell erfolgten Hintritt Sr. Durchlaucht dem Fräulein, das von jener ohnehin nicht geliebt war, bekannt machte. Ihr Schreiben lag, entsiegelt zwar, doch unbeantwortet, bei.
Der Graf öffnete im Gefolge seiner Vollmacht den Brief und erschrack. Ein reitender Bote ward an die Frau von Silfen abgefertigt, Leopoldine langte am folgenden Morgen in Lindenau an. Man war in nicht geringer Bestürzung. Das Fräulein verachtete die Rolle, in der sie jetzt auftreten sollte und fürchtete den Ausbruch des väterlichen Zorns, welcher sie, wie voraus zu sehen war, auf die schmerzlichste Weise und in Gegenwart der jungen Männer, um so tiefer verletzen mußte.
Statt daher, nach dem Wunsche der Uebrigen, die Rolle selbst zum Ende zu führen, schrieb sie, unter der Vorgabe dort erkrankt zu seyn, einen Brief an den Vater, der ihm die Nachricht von des Fürsten Tode und ihrer dadurch verscherzten Aussicht allmählich kund machte. Seehof übernahm die Bestellung. Er sprach zuvor, so oft auch der lebenslustige Oheim mit Entwürfen zur Genesungs-Feier einfiel, von der Vergänglichkeit menschlicher Freuden, von der Nichtigkeit der Ehre, des Glanzes und der Hoheit, und als dieser endlich unter Frösteln, die Eitelkeit alles Irrdischen zugab, trat Amalie in's Zimmer und überreichte ihm des Fräuleins Zuschrift.
Tod? brummte der Onkel, drückte den Brief zusammen, öffnete ihn wieder und überlas wohl zehnmal die vernichtende Botschaft, Tod wiederhohlte er, mausetod! Sie schreibt es. Entendez vous?
Er kränkelte längst schon, erwiederte Seehof mit Achselzucken.
Wenn Sie nur leben! sprach Amalie.
Durchlaucht höchst selig, murmelte der Onkel – Den Orden durch allerhöchsten Hintritt eingebüßt – Den Schwiegersohn durch Fehlgriffe verlohren – Dreißigtausend Thaler auf die Gasse geworfen – Was sagen Sie dazu, mein Allerliebster?
Ein großer Mann spottet des Unglücks. Er selbst ist sein Schicksal.
Ich ein Schicksal? Wo denken Sie hin, mein Allerbester? Gott ist ja über uns!
Stürme wiegen den Helden. Er verachtet den Zufall.
Was hilft mir das?
Immer hab' ich Ihre Fassungs-Kraft bewundert. Noch im letzten Exerzier-Lager, wo Exzellenz vor der Reiterey hielten.
Verzweiflung, mein Lieber. Weil ich nicht angestellt war. Durchlaucht sollten mich sehn. Hat mich ja noch niemahlen zu Pferd erblickt.
Jetzt sehen wir Sie. Angestellt im Kampf gegen das Mißgeschick. O wohl dem Feldherrn, der diesen Feind aus dem Felde schlägt!
Vous avèz raison! Sie haben Recht. Sie sind mein Mann –
Ihr Schüler.
Mein tendrer Freund! Mein Engel in der Noth. Mein Regiments-Seelen-Arzt. Umarmen Sie mich.
Es geschah.
Meine Wunden wollen Sie heilen? Mein Poldchen, mein einziges Kind zur Ehe nehmen? Sie haben es! Sollen nicht fehlgreifen, Sie! Auf meine Ehre nicht! In Gold sollen Sie greifen. Handtief. Und bei hundert Fackeln laß ich Sie trauen. Jede Sommersprosse müssen Sie an Poldchen erkennen. Sollen auch Graf werden. Hierländischer. Die kosten das halbe Geld und gelten doch auch. Alles, Herr, rief er, als jener sich verneinend beugte, mit steigendem Eifer, alles sollen Sie werden; mein Trost, meine Wonne, mein Stammbaum!
Herr von Seehof dankte dem Himmel, daß Leopoldine nicht Zeugin dieses Erbietens war und beklagte, sein Herz bereits verschenkt zu haben. Brauchen kein's! entgegnete der General, wer fragt nach Ihrem Eingeweide? Sagen Ja! geben die Hand und sind kopulirt.
Dann würde das Fräulein unglücklich und ich sehr elend.
Unglücklich? Hat sie nicht Geld? Nicht die Schwester beerbt? Und wem fällt denn dereinst, nach langen Jahren heißt das, das meine zu?
Geld ist nur der Fittich des Lebens. Auch ohne diesen findet der Mensch den Weg zum Himmel – Den sicherern.
Was Fittich! rief der General – Geld ist Alles! Lassen Sie sich jetzt von einem alten Freunde rathen. Wer wär' ich ohne dieses? Ein Schmerzens-Mann! Was wäre Poldchen? Ein Stifts-Drache. So wahr ich lebe, Herr von Seehof! – – Da – da ist meine Hand. Die küssen Sie als Sohn, empfangen meinen Segen und – und was dort im Kasten ist.
Fürwahr, entgegnete Seehof, mir bricht das Herz so viel Gnade ablehnen zu müssen. Ich bin verlobt und achte mein Gelübde. Glauben Sie das dem Mann von Ehre.
Lange starrte ihn der geschlagene Feldherr an, und verließ jetzt ohne Krücke, ohne Beistand, mit dem Brief in der Hand und einem Rattenschwanz auf der Lippe das Zimmer, in welches Gustel eben außer Odem trat. Ihr folgte die Gräfin, dieser der Graf, dem Grafen die Lina, der Lina die keuchende Ma bonne und die Verehrerin des alten Karls beschloß den Zug.
Er sitzt! Er sitzt fest! rief Auguste und warf sich an Amaliens Hals. – Das Gefolge sprach mit einem Munde der Trostlosen zu.
Auf den Tod! fuhr sie fort. Seyd ihr Männer, seyd ihr Brüder, seyd ihr Ritter, so rettet ihn.
Fassen Sie sich, Auguste! bat die Mutter.
Bedenke Deine Hofnungen, Geliebte! rief der Graf.
Das hat er um mich verdient! lispelte Lina.
Er wird doch zu befreien seyn? sprach Amalie.
O, der Unglückliche! klagte die Weinende, Menschen Blut hat er vergossen.
Ich glaube kein Wort – fiel die Gräfin ein.
Nicht? Nicht? entgegnete Gustel, Sie zweifeln noch? – Aber da steht es ja! Mit großen, gewaltigen Buchstaben, auf diesem Blatte hier. Der alte Karl hat es der Kristiane geschrieben. Post Skriptum – Lesen Sie!