Friedrich von Schiller
Merkwürdiges Beispiel einer weiblichen Rache
Friedrich von Schiller

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Man war eben am zweiten Gang, als der Marquis sich melden ließ. Er, Frau von P*** und die beiden Aisnon spielten die Rolle der Bestürzung meisterlich.

»Madame,« sagte er zu Frau von P***, »ich komme soeben von meinen Gütern an; es ist zu spät, daß ich jetzt noch nach Hause gehe, wo man sich schwerlich auf mich gerichtet hat; ich hoffe, daß Sie mir erlauben werden, Ihr Gast zu sein.«

Unter diesen Worten holte er sich einen Sessel und nahm an der Tafel seinen Platz. Die Einteilung war so gemacht, daß er neben die Mutter und der Tochter gegenüber zu sitzen kam – eine Aufmerksamkeit, wofür er der Frau von P*** mit einem verstohlenen Wink der Augen dankte. Beide Frauenzimmer hatten sich von der ersten Verlegenheit erholt. Man fing an, zu plaudern, man ward sogar aufgeräumt; der Marquis behandelte die Mutter mit der vorzüglichsten Aufmerksamkeit und die Tochter mit der feinsten Höflichkeit und Schonung. Für die drei Frauenzimmer war es der possierlichste Auftritt, die Ängstlichkeit anzusehen, mit welcher der Marquis alles vermied, was sie nur entfernt hätte in Verlegenheit setzen können. Sie waren boshaft genug, ihn drei ganze Stunden lang gottselig schwatzen zu lassen, und zuletzt sagte Frau von P*** zu ihm:

»Ihre Gespräche, Marquis, machen Ihren Eltern unendlich viel Ehre; die Eindrücke der ersten Kindheit erlöschen doch nie. Wahrhaftig, Sie sind so tief in die Geheimnisse der geistlichen Liebe gedrungen, daß man vermuten muß, Sie wären Ihr Lebenlang in Klöstern gewesen – Waren Sie nie in Versuchung, ein Quietist zu werden?«

»Nie, daß ich mich erinnern könnte, Madame.«

Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß unsre beiden Andächtigen die Unterhaltung mit allem Witz, aller Feinheit, aller verführerischen Grazie würzten. Nur im Vorübergehen berührte man das Kapitel von Leidenschaften, und Mademoiselle Duquenoi – das war ihr Familienname – wollte behaupten, daß es nur eine gefährliche gebe. Dieser Meinung stimmte der Marquis von ganzem Herzen bei. Zwischen sechs und sieben brachen die beiden Frauenzimmer auf; jeder Versuch, sie länger dazubehalten, war fruchtlos. Frau von P*** und die Mutter Duquenoi taten den Ausspruch, daß das Vergnügen der Pflicht weichen müsse, wenn nicht ein jeder Tag mit Gewissensbissen sich endigen sollte. Beide also gingen zum großen Verdruß des Marquis nach Hause, und er sah sich jetzt wieder mit Frau von P*** unter vier Augen allein.

»Nun, Marquis? Bin ich nicht eine gute Närrin? – Zeigen Sie mir die Frau zu Paris, die etwas Ähnliches täte.«

»Nein, Madame! Nein! Nein!« – und hier warf er sich ihr zu Füßen – »die ganze Welt hat Ihresgleichen nicht mehr, Ihre Großmut beschämt mich. Sie sind die einzige wahre Freundin, die auf dieser Erde zu finden ist.«

»Sind Sie auch sicher, Marquis, daß Sie mein heutiges Verfahren stets so beurteilen werden?«

»Ein Ungeheuer von Undank müßt' ich sein, wenn ich je meine Meinung veränderte.«

»Also von etwas anderm. – Wie steht's jetzt mit Ihrem Herzen?«

»Soll ich es Ihnen frei heraus sagen? – Dieses Mädchen muß meine sein, oder ich bin verloren.«

»Allerdings muß sie das, aber um welchen Preis? ist die Frage.«

»Wir wollen sehen.«

»Marquis, Marquis, ich kenne Sie, ich kenne diese Leute. Der ganze Streich kann verraten werden.«

Zwei Monate lang erschien der Marquis nicht wieder; unterdessen war er tätiger als je. Er hing sich an den Beichtvater der beiden Duquenoi, die Angelegenheit seiner Wollust durch die Allgewalt der Religion zu betreiben. Dieser Pfaffe, verschmitzt genug, jede Schwierigkeit zu heucheln, welche die Heiligkeit seiner Lehre diesem niederträchtigen Anschlag entgegensetzte, verkaufte die Würde seines Amtes so teuer, als möglich war, und gab sich endlich für die Gebühren zu allem her, was der Marquis ihm zumutete.

Die erste Büberei, die der Mann Gottes sich erlaubte, bestand darin, beiden Andächtigen die Wohltaten der Gemeinde zu entziehen und dem Pfarrherrn des Kirchsprengels vorzuspiegeln, daß die Schutzergebenen der Frau von P*** sich widerrechtlich ein Almosen zueigneten, dessen andere Mitglieder der Gemeine weit bedürftiger wären. Seine Absicht ging dahin, ihre standhafte Tugend durch die Not aufzureiben.

Weiter arbeitete er im Beichtstuhl daran, Uneinigkeit zwischen Mutter und Tochter zu stiften. Wenn die Mutter die Tochter bei ihm verklagte, so wußte er die Verschuldungen der letztern immer größer zu machen und die Erbitterung der erstern noch mehr anzureizen. Klagte die Jüngere, so gab er nicht undeutlich zu verstehen, daß die elterliche Gewalt ihre Grenzen habe, und wenn die Verfolgungen der Mutter nicht nachlassen würden, so könnte die heilige Kirche für nötig finden, sie der mütterlichen Tyrannei zu entreißen. Einstweilen legte er ihr die Buße auf, fleißiger zur Beichte zu kommen.

Ein andermal lenkte er das Gespräch auf ihre Gestalt und behauptete, daß das gefährlichste Geschenk, so der Himmel einem Weib nur verleihen könnte, Schönheit sei. Unterderhand ließ er ein Wörtchen von einem sichern Biedermann fallen, der sich davon habe hinreißen lassen, den er zwar nicht mit Namen nannte, aber handgreiflich genug zu bezeichnen wußte. Von da kam er auf die unendliche Barmherzigkeit Gottes zu reden und auf die unüberschwängliche Langmut der Himmels gegen gewisse Menschlichkeiten, die das Erbteil des Fleisches wären – auf die gewaltige Herrschaft gewisser Begierden, denen auch die heiligsten unter den Menschen nicht ganz entlaufen könnten. Dann frug er sie, ob in ihrem Herzen noch keine Wünsche sich regten? – ob sie nicht zuweilen Wallungen spürte? – ob sie nicht sichere Träume hätte? – ob die Gegenwart von Mannspersonen nicht irgendeinen Unfug da oder dort bei ihr anrichtete? – Darauf warf er die Frage auf, ob sich ein Frauenzimmer der Leidenschaft eines Mannes widersetzen oder lieber preisgeben solle? ob es zu wagen wäre, einen Menschen sterben zu lassen, für welchen doch das kostbare Blut des Erlösers so gut als für jeden andern geflossen sei? Und diese Frage getraute er sich nicht zu beantworten. Er beschloß mit einem tiefen und heiligen Seufzer, drehte seine Augen zum Himmel und betete – für die Seelen im Fegfeuer. Die junge Duquenoi ließ ihn seiner Wege gehen und hinterbrachte dies alles treulich ihrer Mutter und der Frau von P***, welche ihr noch mehr Geständnisse einbliesen, dem frommen Heiligen desto mehr Herz einzujagen.

Sie erwarteten nun nichts Gewissers, als daß der Mann Gottes über kurz oder lang sich brauchen lassen würde, seiner geistlichen Tochter einen Liebesbrief zuzustellen, und diese Vermutung traf glücklich ein. Aber wie behutsam griff er das an! – Erst wußte er eigentlich selbst nicht, aus wessen Händen er käme – er zweifelte keineswegs, daß irgendeine mitleidige Seele in seiner Gemeine unter der Decke stecke, die, von ihrem Elend gerührt, sich würde erboten haben, ihnen Beistand zu leisten. Dergleichen Aufträge hätte er schon öfter zu übernehmen gehabt.

»Im übrigen, Mademoiselle,« fuhr er jetzt fort, »werden Sie vorsichtig handeln – Ihre Frau Mutter ist eine vernünftige Frau. Ich dringe ausdrücklich darauf, daß Sie den Brief nicht anders als in ihrem Beisein erbrechen.«

Mademoiselle steckte den Brief zu sich und händigte ihn sogleich der Alten ein, die ihn auf der Stelle der Frau von P*** überschickte. Die Marquisin, jetzt im Besitz eines unverwerflichen Zeugnisses, ließ den Beichtvater zu sich holen, wusch ihm den Kopf, wie er's verdient hatte, und drohte ihm, den ganzen Vorgang seinen Obern zu melden, wenn sie je noch ein Wort von ihm hören sollte.

Der Brief floß von lauter Lobsprüchen des Marquis, in betreff seiner eignen Person und der Mademoiselle, über. Er malte ihr darin seine Leidenschaft mit den lebendigsten und schrecklichsten Farben ab, machte ungeheure Verheißungen, sprach sogar von Entführung.

Nachdem Frau von P*** dem Pfaffen den Text recht gelesen hatte, bat sie auch noch den Marquis zu sich und erklärte ihm, wie sehr sein Betragen den Mann von Ehre beschimpfe und wie nachteilig er sie selbst mit hineinmische; dann zeigte sie ihm seinen Brief und beteuerte, daß auch die Pflichten der zärtlichsten Freundschaft, die zwischen ihm und ihr bisher geherrscht hätten, sie nicht abhalten würden, die Mutter Duquenoi, ja die Obrigkeit selbst gegen ihn zu Hilfe zu rufen, wenn seine Verfolgungen weiter gehen sollten.

»Marquis, Marquis,« setzte sie hinzu, »die Liebe macht einen schlimmen Menschen aus Ihnen. Sie müssen bösartig auf die Welt gekommen sein, weil dasjenige, was jeden andern zu großen Taten spornt, Ihnen nur Niederträchtigkeiten abgewinnen kann. Was taten Ihnen diese armen Frauenzimmer Leides, daß Sie es darauf anlegen, ihre Armut durch Schande zu verbittern? – Weil dieses Mädchen schön ist und sich entschlossen hat, auf ihrer Tugend standhaft zu beharren, so wollen Sie ihr Verfolger sein? so wollen Sie Ursache werden, das sie das beste Geschenk des Himmels verfluche? Und womit hab' denn ich es verdient, daß ich eine Mitschuldige Ihrer Schandtaten sein soll? – Undankbarster der Menschen! Gleich fallen Sie mir zu Füßen, bitten Sie mich gleich um Verzeihung, schwören Sie mir zu, meine unglücklichen Freundinnen von jetzt an in Frieden zu lassen!« – Der Marquis versprach, ohne Vorwissen der Frau von P*** keinen Schritt mehr zu tun; aber das Mädchen müsse er besitzen, welchen Preis es auch gelten möge.

Er hielt keineswegs, was er zugesagt hatte. Einmal wußte nun doch die Mutter Duquenoi um die ganze Geschichte; daher trug er jetzt keine Bedenken mehr, sich unmittelbar an sie selbst zu wenden. Er gestand die Abscheulichkeit seines Vorhabens ein, bot ihr beträchtliche Summen an, sprach von den glänzendsten Hoffnungen, die die Zeit noch reif machen würde, und begleitete seinen Brief mit einem Kästchen voll der kostbarsten Steine.

Die drei Frauenzimmer hielten geheimen Rat untereinander. Mutter und Tochter schienen sehr geneigt, den Kauf einzugehen; doch dabei fand Frau von P*** ihre Rechnung nicht. Sie erinnerte sie an die ersten Artikel ihres Vertrages und drohte sogar, den ganzen Betrug zu verraten, wenn sie sich weigern würden, ihr zu gehorsamen. Zum großen Leidwesen der beiden Heiligen, der Tochter besonders, die, so langsam als sie konnte, die Ohrringe wieder abnahm, die ihr so schön ließen, mußten Briefe und Juwelen mit einer Antwort, woraus der ganze Stolz der beleidigten Tugend sprach, zu ihrem Eigentümer zurückwandern.

Frau von P*** machte dem Marquis über seine Wortbrüchigkeit die bittersten Vorwürfe; er nahm zur Entschuldigung, daß er es nicht hätte wagen mögen, sie mit einem Auftrage dieser Art zu erniedrigen. »Lieber Marquis,« sagte sie zu ihm, »ich habe Sie sogleich anfangs gewarnt und will es Ihnen jetzt wiederholen. Sie sind noch weit von dem Ziel entfernt, nach welchem Sie hinarbeiten – aber nun ist es nicht mehr Zeit, Ihnen vorzupredigen, das würden jetzt nur verlorene Worte sein, für Sie ist ganz und gar keine Rettung mehr.« – Der Marquis antwortete, daß seine Hoffnungen noch immer die besten wären und er sich nur die Erlaubnis von ihr erbitte, einen letzten Versuch noch wagen zu dürfen.

Dieser war, daß er sich anheischig machte, beiden Frauenzimmern eine beträchtliche Leibrente auszuwerfen, sein ganzes Vermögen mit ihnen zu gleichen Teilen zu teilen und ihnen, solange sie lebten, eines von seinen Häusern zu Paris und ein andres auf seinen Gütern zum Eigentum einzuräumen. – »Machen Sie, was Sie wollen,« sagte die Marquisin, »nur Gewalt verbitt' ich mir – aber Rechtschaffenheit und wahre Ehre, glauben Sie mir's, Freund, sind über jeden Krämertax erhaben. Ihr neuestes Gebot wird kein besseres Glück als Ihre vorigen – ich kenne meine Leute und unterstehe mich, für ihre Tugend zu haften.«

Diese neuen Erbietungen des Marquis kamen bei voller Sitzung der drei Frauenzimmer vor. Madame und Mademoiselle erwarteten schweigend das Endurteil aus dem Munde der Frau von P*** – Diese ging einige Minuten lang, ohne ein Wort zu reden, im Saal auf und nieder. – – – »Nein! Nein! Nein!« rief sie endlich, »das ist viel zu gnädig – Nein! das ist viel zu wenig für mein wundes Herz« – und also sprach sie das unwiderrufliche Verbot aus. Mutter und Tochter warfen sich weinend ihr zu Füßen, flehten und stellten vor, welche Grausamkeit es wäre, ihnen ein Glück zu verbieten, das sie doch ohne alle Gefahr würden annehmen dürfen.

Frau von P*** gab mit Kaltsinn zur Antwort: »Bildet ihr euch ein, daß alles das, was bisher geschehen, etwa euch zu Lieb' geschehen ist? Wer seid ihr denn? Was hab' ich euch für Verpflichtungen? Woran liegt es, daß ich euch nicht, die eine so gut als die andre, zu eurem Handwerk zurücksende? – Ich will gern glauben, daß diese Anerbietungen für euch zu viel sind; aber für mich sind sie viel zu wenig. Setzen Sie sich, Madame – Schreiben Sie die Antwort, wörtlich, wie ich sie Ihnen diktieren werde, und daß sie ja gleich in meiner Gegenwart abgehe.« – – Die beiden gingen, noch bestürzter als mißvergnügt, nach Hause.

Der Marquis zeigte sich der Frau von P*** sehr bald wieder.

»Nun,« rief sie ihm zu, »Ihre neuen Geschenke?«

»Angeboten und ausgeschlagen. Ich bin in Verzweiflung. Könnt' ich sie aus meinem Herzen reißen, diese unglücksvolle Leidenschaft, könnt' ich mein Herz selbst mit herausreißen, mir würde wohl sein! Sagen Sie mir doch, Marquisin, finden Sie nicht kleine Ähnlichkeiten im Gesicht dieses Mädchens mit dem meinigen?«

»Ich habe Ihnen nie davon sagen mögen – freilich find' ich deren welche, aber davon ist jetzo die Rede nicht; was beschließen Sie?«

»Weiß ich's? Kann ich's – O Madame, bald wandelt der Gelust mich an, in die erste beste Postchaise mich zu werfen und dahinzueilen, so weit der Erdball mich tragen will. Einen Augenblick darauf verläßt meine Kraft mich. Ich bin gelähmt. Mein Kopf schwindelt. Meine Sinne vergehen. Ich vergesse, was ich bin, was ich werden soll.«

»Das Reisen stellen Sie immer ein. Es verlohnt sich der Mühe nicht, von da nach dem Judenmarkt zu wandern, um nur wieder heim zu gehen.«

Den andern Morgen kam ein Billett von ihm an Frau von P***, worin er meldete, daß er nach seinem Landgut gereist wäre und sich da aufhalten würde, solang' ihm sein Herz das verstattete – und worin er sie zugleich auf das inständigste ersuchte, seiner zu gedenken bei ihren Freundinnen. Seine Entfernung dauerte nicht lange. Er kam in die Stadt zurück und ließ sich bei der Marquisin absetzen. Sie war ausgefahren. Als sie wiederkam, fand sie ihn mit geschloßnen Augen, in der schrecklichsten Erstarrung auf dem Sofa ausgestreckt liegen.


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