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Madame Belmont. Charlotte.
Mad. Belmont. Bleib da, Charlotte! Wir haben ein Wörtchen mit einander zu reden, eh’ die Gesellschaft kommt. – Sage mir, mein Kind! Was hältst du von dem Herrn Selicour!
Charlotte. Ich, Mama?
Mad. Belmont. Ja, du!
Charlotte. Nun, ein ganz angenehmer, verdienstvoller, würdiger Mann scheint er mir zu sein.
Mad. Belmont. Das hör’ ich gerne! Ich freue mich, liebes Kind, daß du eine so gute Meinung von ihm hast – denn, wenn dein Vater und ich etwas über dich vermögen, so wird Herr Selicour bald dein Gemahl sein.
Charlotte (betroffen). Mein Gemahl! –
Mad. Belmont. Fällt dir das auf?
Charlotte. Herr Selicour?
Mad. Belmont. Wir glaubten nicht besser für dein Glück sorgen zu können –
Charlotte. Von Ihren und meines Vaters Händen will ich gerne einen Gatten annehmen – Aber, Sie werden mich für grillenhaft halten, liebe Großmama! – Ich weiß nicht – dieser Herr Selicour, den ich übrigens hochschätze – gegen den ich nichts einzuwenden habe – ich weiß nicht, wie es kommt – wenn ich mir ihn als meinen Gemahl denke, so – so empfinde ich in der Tiefe meines Herzens eine Art von –
Mad. Belmont. Doch nicht von Abneigung?
Charlotte. Von Grauen möcht’ ich’s sogar nennen! Ich weiß, daß ich ihm Unrecht tue, aber ich kann es nun einmal nicht überwinden. – Ich fühle weit mehr Furcht vor ihm als Liebe.
Mad. Belmont. Schon gut! Diese Furcht kennen wir, meine Tochter!
Charlotte. Nein! Hören Sie!
Mad. Belmont. Eine angenehme mädchenhafte Schüchternheit! Das muß ich wissen, glaube mir. – Bin ich nicht auch einmal jung gewesen? – Übrigens steht diese Partie deiner Familie an. – Ein Mann, der alles weiß – ein Mann von Geschmack – ein feiner Kenner – und ein so gefälliger bewährter Freund. – Auch reißt man sich in allen Häusern um ihn. – Wäre er nicht eben jetzt seiner Mutter wegen bekümmert, so hatte er mir diesen Abend eine Romanze für dich versprochen – denn er kann alles, und dir möchte er gern in jeder Kleinigkeit zu Gefallen sein. – Aber ich hör’ ihn kommen! Er läßt doch niemals auf sich warten! Wahrlich, es gibt seinesgleichen nicht!
Selicour zu den Vorigen.
Selicour. Sie verlangten heute ein gefühlvolles zärtliches Lied von mir! Ich habe mein möglichstes getan, Madame! – und lege es Ihnen hier zu Füßen.
Mad. Belmont. Wie, Herr Selicour! Sie haben es wirklich schon fertig? – In der Tat, ich fürchte, daß die übeln Nachrichten –
Selicour. Welche Nachrichten?
Mad. Belmont. Von Ihrer Mutter –
Selicour. Von meiner Mutter! – Ja – Ich – ich habe eben einen Brief von ihr erhalten – einen Brief, worin sie mir meldet, daß sie endlich –
Mad. Belmont. Daß sie die tausend Taler erhalten – Nun, das freut mich –
Selicour. Hätte ich sonst die Fassung haben können? – Aber, dem Himmel sei Dank! – Jetzt ist mir dieser Stein vom Herzen, und in der ersten Freude setzte ich diese Strophen auf, die ich die Ehre gehabt, Ihnen zu überreichen.
Mad Belmont (zu Charlotten). Er hätte dich gejammert, wenn du ihn gesehen hättest – Da war’s, wo ich sein ganzes treffliches Herz kennen lernte. – Herr Selicour, ich liebe Ihre Romanze, noch eh’ ich sie gelesen.
Vorige. Narbonne.
Narbonne. Selicour hier bei Ihnen! Ei, ei, liebe Mutter, Sie ziehen mir ihn von nötigeren Dingen ab. – Er hat so dringend zu tun, und Sie beladen ihn noch mit unnützen Aufträgen.
Mad Belmont. Sieh, sieh, mein Sohn! – Will Er nicht gar böse werden!
Narbonne. Was soll aus dem Aufsatz werden, der doch so wichtig und so dringend ist?
Selicour. Der Aufsatz ist fertig. Hier ist er!
Narbonne. Was, schon fertig?
Selicour. Und ich bitte Sie, zu glauben, daß ich weder Zeit noch Mühe dabei gespart habe.
Narbonne. Aber wie ist das möglich?
Selicour. Die Mißbräuche der vorigen Verwaltung haben mir nur zu oft das Herz schwer gemacht – Ich konnte es nicht dabei bewenden lassen, sie bloß müßig zu beklagen – Dem Papiere vertraute ich meinen Unwillen, meinen Tadel, meine Verbesserungsplane an, und so trifft es sich, daß die Arbeit, die Sie mir auftrugen, schon seit lange im stillen von mir gemacht ist – Es sollte mir wahrlich auch nicht an Mut gefehlt haben, öffentlich damit hervorzutreten, wenn die Regierung nicht endlich von selbst zur Einsicht gekommen wäre und in Ihrer Person einen Mann aufgestellt hätte, der alles wieder in Ordnung bringt – Jetzt ist der Zeitpunkt da, von diesen Papieren öffentlichen Gebrauch zu machen – Es fehlte nichts, als die Blätter zurecht zu legen, und das war in wenigen Augenblicken geschehen!
Mad. Belmont. Nun, mein Sohn! Du kannst zufrieden sein, denk’ ich – Herr Selicour hat deinen Wunsch erfüllt, eh’ er ihn wußte, hat dir in die Hand gearbeitet, und ihr kommt einander durch den glücklichsten Zufall entgegen –
Narbonne. Mit Freuden seh’ ich, daß wir einverstanden sind. – Geben Sie, Herr Selicour, noch heute Abend sende ich den Aufsatz an die Behörde.
Selicour (vor sich). Alles geht gut – Jetzt diesen Firmin weggeschafft, der mir im Weg ist. (Laut.) Werden Sie mir verzeihen, Herr von Narbonne? – Es tut mir leid, es zu sagen – aber ich muß fürchten, daß die Anklage des Herrn La Roche diesen Morgen doch einigen Eindruck gemacht haben könnte.
Narbonne. Nicht den mindesten.
Selicour. Ich habe es befürchtet. – Nach allem, was ich sehe, hat dieser La Roche meine Stelle schon an jemanden vergeben.
Narbonne. Wie?
Selicour. Ich habe immer sehr gut gedacht von Herrn Firmin, aber, ich gesteh’ es – ich fange doch endlich an, an ihm irre zu werden.
Narbonne. Wie? Sie haben ja mir noch heute seine Gutmütigkeit gerühmt.
Selicour. Ist auch dem Gutmütigsten bis auf einen gewissen Punkt zu trauen? – Ich sehe mich von Feinden umgeben. Man legt mir Fallstricke.
Narbonne. Sie tun Herrn Firmin Unrecht. Ich kenne ihn besser, und ich stehe für ihn.
Selicour. Ich wünschte, daß ich ebenso von ihm denken könnte.
Narbonne. Der schändliche Undank dieses La Roche muß Sie natürlicherweise mißtrauisch machen. Aber wenn Sie auch nur den Schatten eines Zweifels gegen Herrn Firmin haben, so werden Sie sogleich Gelegenheit haben, von Ihrem Irrtum zurück zu kommen.
Selicour. Wie das?
Narbonne. Er wird im Augenblick selbst hier sein.
Selicour. Herr Firmin – hier?
Narbonne. Hier – Ich konnte mir’s nicht versagen. Ich hab’ ihn gesehen!
Selicour. Gesehen! Vortrefflich!
Narbonne. Er und sein Sohn speisen diesen Abend mit uns.
Selicour. Speisen – Sein Sohn! Vortrefflich!
Mad. Belmont und Charlotte. Karl Firmin?
Narbonne. Der junge Offizier, dessen Verdienste Sie mir so oft gerühmt haben. – Ich habe Vater und Sohn zum Nachtessen eingeladen.
Mad. Belmont. Ich werde sie mit Vergnügen willkommen heißen.
Narbonne (zu Selicour). Sie haben doch nichts dawider!
Selicour. Ich bitte sehr – Ganz im Gegenteil!
Mad. Belmont. Ich bin dem Vater schon im voraus gut um des Sohnes willen. Und was sagt unsre Charlotte dazu?
Charlotte. Ich, Mama – ich bin ganz Ihrer Meinung!
Narbonne. Sie können sich also ganz offenherzig gegen einander erklären.
Selicour. O das bedarf’s nicht – im geringsten nicht – Wenn ich’s gestehen soll, ich habe Herrn Firmin immer für den redlichsten Mann gehalten – und tat ich ihm einen Augenblick Unrecht, so bekenne ich mit Freuden meine Irrtum – Ich für meinen Teil bin überzeugt, daß er mein Freund ist.
Narbonne. Er hat es bewiesen! Er spricht mit großer Achtung von Ihnen – Zwar kenn’ ich ihn nur erst von heute, aber gewiß verdient er –
Selicour (einfallend). Alle die Lobsprüche, die ich ihm, wie Sie wissen, noch vor kurzem erteilt habe – So bin ich nun einmal! Mein Herz weiß nichts von Mißgunst!
Narbonne. Er verbindet einen gesunden Kopf mit einem vortrefflichen Herzen, und kein Mensch kann von Ruhmsucht freier sein als er. Was gilt’s! Er wär’ im stande, einem andern das ganze Verdienst von dem zu lassen, was er geleistet hat!
Selicour. Meinen Sie?
Narbonne. Er wäre der Mann dazu!
Mad. Belmont. Sein Sohn möchte in diesem Stück nicht ganz so denken.
Charlotte. Ja wohl, der ist ein junger feuriger Dichterkopf, der keinen Scherz versteht.
Selicour. Würde der wohl einem andern den Ruhm seines Werks abtreten?
Charlotte. O daran zweifle ich sehr!
Narbonne. Ich liebe dieses Feuer an einem jungen Kriegsmann.
Selicour. O allerdings, das verspricht!
Narbonne. Jeder an seinen rechten Platz gestellt, werden sie beide vortrefflich zu brauchen sein.
Selicour. Es ist doch gar schön, wie Sie die fähigen Leute so aufsuchen!
Narbonne. Das ist meine Pflicht. (Er spricht mit seiner Tochter.)
Selicour. Das war’s! (Zu Madame Belmont, beiseite.) Ein Wort, Madame! – Man könnte doch glauben, Sie zerstreuten mich von meinen Berufsgeschäften – Wenn also diesen Abend mein Gedicht sollte gesungen werden, so – nennen Sie mich nicht!
Mad. Belmont. Wenn Sie wollen, nein.
Selicour. Ja – mir fällt ein. – Wie? Wenn ich, größerer Sicherheit wegen, jemanden aus der Gesellschaft darum anspräche, sich als Verfasser zu bekennen –
Mad. Belmont. Wie? Sie könnten einem andern den Ruhm davon abtreten?
Selicour. Pah! Das ist eine Kleinigkeit! (Beide Firmin treten ein.)
Charlotte (erblickt sie, lebhaft). Da kommen sie!
Vorige. Beide Firmin.
Narbonne (ihnen entgegen). Ich habe Sie längst erwartet, meine Herren! – Nur herein! Nur näher! Sein Sie herzlich willkommen! – Hier, Herr Firmin, meine Mutter und hier meine Tochter – Sie sind kein Fremdling in meiner Familie.
Mad. Belmont (zu Karl Firmin). Ich hatte mir’s nicht erwartet, Sie hier in Paris zu sehen; es ist sehr angenehm, sich mit lieben Freunden so unvermutet zusammen zu finden.
Karl. Dieser Name hat einen hohen Wert für mich. (Zu Charlotten.) Sie haben Ihre Tante doch wohl verlassen?
Charlotte. Ja, Herr Firmin!
Karl. Es waren unvergeßliche Tage, die ich in Ihrem Hause verlebte. Dort war’s, mein Fräulein –
Narbonne (zu Firmin dem Vater). Lassen wir die jungen Leute ihre Bekanntschaft erneuern. – Nun, Herr Firmin! Da ist Selicour!
Selicour (zu Firmin). In der Tat – ich bin – ich kann nicht genug sagen, wie erfreut ich bin – Sie bei dem Herrn von Narbonne eingeführt zu sehen.
Narbonne. Sie sind beide die Männer dazu, einander Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. (Zu Firmin.) Er hat etwas auf dem Herzen, ich wünschte, daß Sie sich gegeneinander erklärten, meine Herren!
Selicour. O nicht doch! Nicht doch! Herr Firmin kennt mich als seinen Freund.
Narbonne. Und seien Sie versichert, er ist auch der Ihrige. Ich wünschte, Sie hätten es gehört, mit welcher Wärme er noch heute Ihre Partei nahm. Ganz gewiß hat dieser La Roche wieder –
Selicour. Aber was in aller Welt mag doch den La Roche so gegen mich aufhetzen?
Narbonne. Dieser La Roche ist mein Mann nicht – wenigstens habe ich eine schlechte Meinung von seinem Charakter.
Firmin. Sie tun ihm Unrecht. Ich habe heute gegen ihn gesprochen, aber diesmal muß ich ihn verteidigen.
Selicour. Es ist ganz und gar nicht nötig. Ich schätze ihn, ich kenne sein gutes Herz und kenne auch seine Sparren – Und mag er mich am Ende bei der ganzen Welt anschwärzen, wenn er nur bei Ihnen keinen Glauben fand! – Sie sehen, wir sind fertig – Unser Streit ist beigelegt, es braucht keiner weitern Erklärung.
Mad. Belmont. Nun, wollen Sie nicht Platz nehmen, meine Herren?
Selicour. Es ist schon übergeben, das Gedicht.
Karl. Wirklich?
Selicour. Die alte Mama hat es, und den Verfasser habe ich ihr nicht verschwiegen. (Madame Belmont beiseite führend.) Wissen Sie, was ich gemacht habe?
Mad. Belmont. Nun!
Selicour. Der junge Firmin – Sie wissen, er gibt sich mit Versemachen ab.
Mad. Belmont. Ja! – Nun!
Selicour. Ich hab’ ihn ersucht, sich für den Verfasser des Liedchens zu bekennen – Er läßt sich’s gefallen!
Mad. Belmont. Läßt sich’s gefallen? Das glaub’ ich!
Selicour. Daß Sie mich ja nicht Lügen strafen!
Narbonne. Aber bis unsre andern Gäste kommen, liebe Mutter, lassen Sie und eine kleine Unterhaltung ausdenken – Zum Spiel lade ich Sie nicht ein – Wir können uns besser beschäftigen.
Firmin. Sie haben zu befehlen.
Karl. Es wird von Madame abhängen.
Charlotte. Lieben Sie noch immer die Musik, Herr Firmin?
Narbonne. Es ist ja wahr, du singst nicht übel – Laß hören. – Hast du uns nicht irgend etwas Neues vorzutragen?
Karl. Wenn es Fräulein Charlotten nicht allzu viel Mühe macht. –
Charlotte. Hier hat man mir soeben einige Strophen zugestellt.
Narbonne. Gut! Ich werde, mit Ihrer Erlaubnis, unterdessen das Memoire unsres Freundes durchlesen.
Selicour. Aber wir werden Sie stören, Herr von Narbonne!
Narbonne. Nicht doch! Ich bin gewohnt, im ärgsten Geräusch zu arbeiten – und hier ist nur vom Lesen die Rede! (Er geht auf die entgegengesetzte Seite, wo er sich niedersetzt.)
Selicour. Wenn Sie aber doch lieber –
Narbonne. Verzeihen Sie! aber es leidet keinen Aufschub. Die Pflicht geht allem vor!
Mad. Belmont. Lassen wir ihn denn, wenn er es so will, und nehmen unser Lied vor. (Alle setzen sich. Charlotte ans Ende, Madame Belmont neben Charlotten, Selicour zwischen Madame Belmont und Karln, neben letztern Firmin der Vater.)
Charlotte. Die Melodie ist gleich gut gewählt, wie ich sehe.
Mad. Belmont. Der Verfasser ist nicht weit – ich kann ihn ohne Brille sehen.
Selicour (zu Madame Belmont, leise). Verraten Sie mich nicht – (Zu Karl Firmin.) Das gilt Ihnen, mein Lieber!
Charlotte. Ihm! Wie?
Firmin. Ist das wahr, Karl? Wärest du –
Selicour. Er ist der Verfasser.
Charlotte (zu ihrer Großmutter). Wie? Herr Firmin wäre der Verfasser!
Mad. Belmont (laut). Ja! – (Heimlich.) Nenne den wahren Verfasser ja nicht –
Charlotte. Warum nicht?
Mad. Belmont. Aus Ursachen. (Zu Selicour.) Wollen Sie Charlotten nicht akkompagnieren?
Selicour. Mit Vergnügen.
Firmin (ärgerlich zu seinem Sohn). Gewiß wieder eine übereilte Arbeit – aber das muß einmal gedichtet sein –
Karl. Aber, lieber Vater, hören Sie doch erst, eh’ Sie richten!
Charlotte (singt).
An der Quelle saß der Knabe,
Blumen band er sich zum Kranz,
Und er sah sie, fortgerissen,
Treiben in der Wellen Tanz: –
»Und so fliehen meine Tage
Wie die Quelle rastlos hin,
Und so schwindet meine Jugend,
Wie die Kränze schnell verblühn!«
Mad. Belmont (Selicour ansehend). Dieser Anfang verspricht schon viel!
Selicour (auf Karl Firmin zeigend). Diesem Herrn da gehört das Kompliment.
Mad. Belmont. Gut! Gut! Ich verstehe!
Firmin. Der Gedanke ist alltäglich, gemein.
Karl. Aber er ist doch wahr
Narbonne (auf der entgegengesetzten Seite mit dem Aufsatz beschäftigt). Die Einleitung ist sehr gut und erweckt sogleich die Aufmerksamkeit.
Charlotte (singt wieder).
»Fraget nicht, warum ich traure
In des Lebens Blütenzeit!
Alles freuet sich und hoffet,
Wenn der Frühling sich erneut!
Aber diese tausend Stimmen
Der erwachenden Natur
Wecken in dem tiefen Busen
Mir den schweren Kummer nur!«
Mad. Belmont. Zum Entzücken!
Firmin. Nicht übel.
Selicour (zu Karl Firmin). Sie sehen, wie alles Sie bewundert.
Narbonne (lesend). Trefflich entwickelt und nachdrücklich vorgetragen – Lesen Sie doch mit mir, Herr Firmin! (Firmin tritt zum Minister und liest über seine linke Schulter.)
Mad. Belmont. Ganz göttlich!
Selicour (zu Narbonne tretend). Ich habe aber freilich dem Herrn Firmin viel, sehr, sehr viel dabei zu danken. (Tritt wieder auf die andre Seite zwischen Karl Firmin und Madame Belmont, doch ohne die andre Gruppe aus den Augen zu verlieren.)
Charlotte (singt wieder).
»Was kann mir die Freude frommen,
Die der schöne Lenz mir beut?
Eine nur ist’s, die ich suche,
Sie ist nah und ewig weit.
Sehnend breit’ ich meine Arme
Nach dem teuren Schattenbild,
Ach, ich kann es nicht erreichen,
Und das Herz bleibt ungestillt!
Komm herab, du schöne Holde,
Und verlaß dein stolzes Schloß!
Blumen, die der Lenz geboren,
Streu’ ich dir in deinen Schoß.
Horch, der Hain erschallt von Liedern.
Und die Quelle rieselt klar!
Raum ist in der kleinsten Hütte
Für ein glücklich liebend Paar.«
Mad. Belmont. Wie rührend der Schluß ist! – Das liebe Kind ist ganz davon bewegt worden.
Charlotte. Ja, es mag gemacht haben, wer will, es ist aus einem Herzen geflossen, das die Liebe kennt!
Selicour (verneigt sich gegen Charlotten). Dies ist ein schmeichelhaftes Lob.
Karl. Was? Er bedankt sich –
Selicour (schnell zu Karl Firmin sich umdrehend). Nicht wahr, lieber Freund?
Mad. Belmont. Ich bin ganz davon hingerissen –
Selicour (bückt sich gegen Madame Belmont). Gar zu gütig, Madame!
Karl. Wie vesteh’ ich das?
Selicour (ebenso schnell wieder zu Karl Firmin). Nun! Sagt’ ich’s Ihnen nicht! Sie haben den vollkommensten Sieg davongetragen.
Karl Hält er mich zum Narren?
Narbonne. Das Werk ist vortrefflich! Ganz vortrefflich!
Selicour (zu Firmin dem Vater). Sie sehen, ich habe mich ganz an Ihre Ideen gehalten.
Firmin (lächelt). Ich muß gestehen, ich merke so etwas.
Charlotte. Ich weiß nicht, welchem von beiden Herren –
Selicour (zu Charlotten, indem er auf Karl Firmin deutet). Ein süßer Triumph für den Verfasser.
Narbonne (den Aufsatz zusammenlegend). Ein wahres Meisterwerk. In der Tat!
Selicour (bückt sich gegen Narbonne). Gar zu viel der Ehre!
Mad. Belmont (wiederholt die letzte Strophe).
Horch, der Hain erschallt von Liedern.
Und die Quelle rieselt klar!
Raum ist in der kleinsten Hütte
Für ein glücklich liebend Paar.
Schön! Himmlisch! dem widerstehe, wer kann! – Selicour, es bleibt dabei! Sie heiraten meine Charlotte!
Karl. O Himmel!
Charlotte. Was hör’ ich!
Narbonne (steht auf). Ich kenne wenig Arbeiten, die so vortrefflich wären – Selicour, Sie sind Gesandter!
Karl. Mein Gott!
Narbonne. Sie sind’s! Ich stehe Ihnen für Ihre Ernennung! Wer das schreiben konnte, muß ein rechtschaffener Mann, muß ein Mann von hohem Genie sein!
Selicour. Aber erlauben Sie – Ich weiß nicht, ob ich es annehmen darf – Zufrieden mit meinem jetzigen Lose –
Narbonne. Sie müssen sich von allem losreißen, wenn der Staat Sie anderswo nötig hat.
Selicour. Dürfte ich mir nicht wenigstens Herrn Firmin zu meinem Sekretär ausbitten?
Firmin. Wo denken Sie hin? Mich? Mich? Zu Ihrem Sekretär?
Selicour. Ja, Herr Firmin! Ich habe Sie sehr nötig.
Karl. Das will ich glauben.
Narbonne. Das wird sich finden!! Nun! wie ist die Musik abgelaufen?
Selicour. Fräulein Charlotte hat ganz himmlisch gesungen.
Michel zu den Vorigen.
Michel. Die Gesellschaft ist im Saal versammelt –
Narbonne. Sie sind so gütig, liebe Mutter, sie zu empfangen – Ich will dieses jetzt auf der Stelle absenden. – (Leise zu Selicour.) Gewinnen Sie die Einwilligung meiner Tochter, und mit Freuden erwähle ich Sie zum Sohn – Noch einmal! Das Werk ist vortrefflich, und ich gäbe viel darum, es gemacht zu haben. (Ab.)
Selicour (zu Karl). Nun, genießen Sie Ihres Triumphes, Herr Firmin! – (Zu Charlotten.) Unser junger Freund weiß die Komplimente ganz gut aufzunehmen.
Charlotte. Nach den hübschen Sachen, die ich von ihm gesehen, hätte ich nicht geglaubt, daß er nötig hätte, sich mit fremden Federn zu schmücken.
Selicour. Bloße Gefälligkeit, mein Fräulein! – Aber die Gesellschaft wartet –
Firmin (zu seinem Sohn). Nun, du hast ja ganz gewaltiges Lob eingeerntet! (Selicour gibt Charlotten seinen Arm.)
Karl. Ja, ich hab’ Ursache, mich zu rühmen.
Mad. Belmont (zu Selicour). Recht, recht! Führen Sie Charlotten – Es kleidet ihn doch alles. Er ist ein scharmanter Mann! (Sie nimmt Firmins Arm.)
Selicour (auf Firmin zeigend). Diesem Herrn, nicht mir gebührt das Lob – Ich weiß in der Tat nicht, wie ich mir’s zueignen darf – Alles, was ich bin, was ich gelte, ist ja sein Verdienst. (Gehen ab.)
Karl allein zurückbleibend.
Meine Unruhe würde mich verraten. – Ich muß mich erst fassen, eh’ ich ihnen folgen kann. Habe ich wirklich die Geduld gehabt, dies alles zu ertragen? – Ein schöner Triumph, den ich davontrug. – Aus Spott machten sie mir das Kompliment. – Es ist offenbar, daß sie ihn, und nicht mich für den Verfasser halten. Ich bin ihr Narr, und der Schelm hat allein die Ehre.
Karl. La Roche.
La Roche. Sieh da, Herr Firmin! – So ganz allein – Es geht alles nach Wunsch vermutlich.
Karl. O ganz vortrefflich!
La Roche. Ich habe auch gute Hoffnung.
Karl. Selicour steht in größerm Ansehen als jemals.
La Roche. Sieh doch! Was Sie sagen!
Karl. Es gibt keinen fähigern Kopf, keinen bravern Biedermann.
La Roche. Ist’s möglich? Aber dieser wichtige Aufsatz, den der Minister ihm aufgetragen und dem er so ganz und gar nicht gewachsen ist.
Karl. Der Aufsatz ist fertig.
La Roche. Gehen Sie doch!
Karl. Er ist fertig, sag’ ich Ihnen.
La Roche. Sie spotten meiner! Es ist nicht möglich.
Karl Ein Meisterstück an Stil und Inhalt!
La Roche. Es ist nicht möglich, sag’ ich Ihnen!
Karl. Ich sag Ihnen, es ist! – Der Aufsatz ist gelesen, bewundert und wird jetzt eben abgeschickt.
La Roche. So muß er einen Teufel in seinem Solde haben, der für ihn arbeitet.
Karl. Und diese Gesandtschaftsstelle!
La Roche. Nun, die Gesandtschaft –
Karl. Er erhält sie! Er erhält die Hand des Fräuleins!
La Roche. Sie kann ihn nicht leiden.
Karl. Sie wird nachgeben.
La Roche. Die Gesandtschaft mit samt dem Mädchen! Nein, beim Teufel! Das kann nicht sein! Das darf nicht sein! – Wie? Was? Dieser Heuchler, dieser niederträchtige Bube sollte einen Preis hinwegschnappen, der nur der Lohn des Verdienstes ist. – Nein, so wahr ich lebe! Das dürfen wir nicht zugeben, wir, die wir ihn kennen. Das ist gegen unser Gewissen, wir wären seine Mitschuldigen, wenn wir das duldeten!
Karl. Gleich, auf der Stelle will ich die Großmutter aufsuchen. – Ich will ihr die Augen öffnen wegen des Gedichts –
La Roche. Wegen des Gedichts – Von dem Gedicht ist hier auch dir Rede – Bei der alten Mama mag er sich damit in Gunst setzen, aber meinen Sie, daß der Minister sich nach so einer Kleinigkeit bestimmen lasse – Nein, Herr! Dieses Memoire ist’s, das so vortrefflich sein soll und das er irgendwo muß herbeigehext haben – denn gemacht hat er’s nicht – nun und nimmer, darauf schwör’ ich – aber seine ganze Hexerei sind seine Kniffe! Und mit seinen eignen Waffen müssen wir ihn schlagen. Auf dem geraden Wege ging’s nicht – so müssen wir einen krummen versuchen. Halt, da fällt mir ein – Ja, das wird gehen – Nur fort – fort, daß man uns nicht beisammen findet.
Karl. Aber keine Unbesonnenheit, Herr La Roche! Bedenken Sie, was auf dem Spiele steht!
La Roche. Meine Ehre steht auf dem Spiele, junger Herr, und die liegt mir nicht weniger am Herzen, als euch die Liebe. – Fort! Hinein! Sie sollen weiter von mir hören.
La Roche allein.
Laß sehen – Er suchte von jeher die schwachen Seiten seiner Obern aufzuspüren, um sich ihnen notwendig zu machen. Noch diesen Morgen hatte er’s mit dem Kammerdiener – Der Kerl ist ein Plauderer – Es wollte etwas von einem galanten Abenteuer des Ministers verlauten – Er habe Zimmer besprochen in der Vorstadt. – Ich glaube kein Wort davon, aber man könnte versuchen – Doch still! Da kömmt er!
La Roche und Selicour.
Selicour (ohne ihn zu bemerken). Alles geht nach Wunsch, und doch bin ich nicht ganz ohne Sorgen – Noch hab’ ich weder die Stelle noch die Braut, und da ist Sohn und Vater, die mir auf den Dienst lauern und mir jeden Augenblick beides wegfischen können – Wenn ich sie entfernen könnte – Aber wie? Dem Minister ist nicht beizukommen – Diese Leute, die ihren geraden Weg gehen, brauchen niemand – man kann sie nicht in seine Gewalt bekommen – Ja, wenn er etwas zu vertuschen hätte – wenn ich ihm eine Schwäche ablauern könnte, die mich ihm unentbehrlich machte!
La Roche (vor sich). Recht so! Der läuft mir in die Hände!
Selicour. Ach, sieh da! Herr La Roche!
La Roche. Ich bin’s, und ich komme, Herr Selicour –
Selicour. Was wollen Sie?
La Roche. Mein Unrecht einzugestehen!
Selicour. Aha!
La Roche. Das mir nicht einmal etwas geholfen hat!
Selicour. Das ist das Beste! denn es lag wahrlich nicht an Ihrer boshaften Zunge, wenn ich nicht ganz zu Grunde gerichtet bin.
La Roche. Das ist leider wahr, und ich darf daher kaum hoffen, daß Sie mir vergeben können.
Selicour. Aha! Steht es so? Fangen wir an, geschmeidiger zu werden?
La Roche. Zu der schönen Stelle, die Sie mir zugedacht haben, kann ich mir nun wohl keine Hoffnung mehr machen – Aber um unserer alten Freundschaft willen, schaden Sie mir wenigstens nicht!
Selicour. Ich Ihnen schaden!
La Roche. Tun Sie’s nicht! Haben Sie Mitleid mit einem armen Teufel!
Selicour. Aber –
La Roche. Und da sich jemand gefunden, der sich bei dem Minister meiner annehmen will –
Selicour. So? Hat sich jemand? Und wer ist das?
La Roche. Eine Dame, an die der Kammerdiener Michel mich gewiesen hat.
Selicour. Kammerdiener Michel! So! Kennen Sie diesen Michel?
La Roche. Nicht viel! Aber, weil es sein Neffe ist, der mich aus meiner Stelle vertreibt, so will er mir gern einen Gefallen erzeigen –
Selicour. Die Dame ist wohl eine Anverwandte vom Minister?
La Roche. Sie soll ein schönes Frauenzimmer sein – er soll in der Vorstadt ein Quartier für sie suchen –
Selicour. Gut, gut, ich will ja das alles nicht wissen. – Und wie heißt die Dame?
La Roche. Das weiß ich nicht.
Selicour. Gut! Gut!
La Roche. Michel wird Ihnen wohl Auskunft darüber geben können.
Selicour. Mir? Meinen Sie, daß mir so viel daran liege?
La Roche. Ich sage das nicht.
Selicour. Ich frage nichts darnach – Ich bekümmre mich ganz und gar nicht um diese Sachen – Morgen wollen Sie diese Dame sprechen?
La Roche. Morgen.
Selicour. Es scheint da ein großes Geheimnis –
La Roche (schnell). Freilich! Freilich! Darum bitte ich Sie, sich ja nichts davon merken zu lassen –
Selicour. Gut! Gut! Nichts mehr davon – Ich werde Ihnen nicht schaden, Herr La Roche! – Es ist einmal mein Schicksal, Undankbare zu verpflichten – Trotz der schlimmen Dienste, die Sie mir haben leisten wollen, liebe ich Sie noch – und daß Sie sehen, wie weit meine Gefälligkeit geht, so will ich mit Ihrer Beschützerin gemeine Sache machen – Ja, das will ich – Zählen Sie darauf.
La Roche. Ach, Sie sind gar großmütig!
Selicour. Aber lassen Sie sich das künftig zur Lehre dienen –
La Roche. O gewiß, Sie sollen sehen –
Selicour. Genug. Lassen wir’s gut sein.
La Roche (beiseite). Er hat angebissen. Er ist so gut als schon gefangen! Wie viel schneller kommt man doch mit der Spitzbüberei als mit der Ehrlichkeit. (Ab.)
Selicour. Jetzt gleich zu diesem Kammerdiener Michel! – Es ist hier ein Liebeshändel. Ganz gewiß – Vortrefflich! Ich halte dich fest, Narbonne! – Du bist also auch ein Mensch – Du hast Schwachheiten – und ich bin dein Gebieter. (Geht ab.)