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Ein Saal im Palais der Lady Milford; zur rechten Hand steht ein Sopha, zur linken ein Flügel.
Lady in einem freien, aber reizenden Negligé, die Haare noch unfrisiert, sitzt vor dem Flügel und phantasiert; Sophie, die Kammerjungfer, kommt von dem Fenster.
Sophie. Die Officiers gehen auseinander. Die Wachtparade ist aus – aber ich sehe noch keinen Walter.
Lady (sehr unruhig, indem sie aufsteht und einen Gang durch den Saal macht). Ich weiß nicht, wie ich mich heute finde, Sophie – Ich bin noch nie so gewesen – Also du sahst ihn gar nicht? – Freilich wohl – Es wird ihm nicht eilen – Wie ein Verbrechen liegt es auf meiner Brust – Geh, Sophie – Man soll mir den wildesten Renner herausführen, der im Marstall ist. Ich muß ins Freie – Menschen sehen und blauen Himmel, und mich leichter reiten ums Herz herum.
Sophie. Wenn Sie sich unpäßlich fühlen, Milady – berufen Sie Assemblee hier zusammen. Lassen Sie den Herzog hier Tafel halten, oder die l'Hombretische vor Ihren Sopha setzen. Mir sollte der Fürst und sein ganzer Hof zu Gebote stehen und eine Grille im Kopfe surren?
Lady (wirft sich in den Sopha). Ich bitte, verschone mich! Ich gebe dir einen Demant für jede Stunde, wo ich sie mir vom Hals schaffen kann! Soll ich meine Zimmer mit diesem Volk tapezieren? – Das sind schlechte, erbärmliche Menschen, die sich entsetzen, wenn mir ein warmes herzliches Wort entwischt, Mund und Nasen aufreißen, als sähen sie eine Geist – Sklaven eines einzigen Marionettendrahts, den ich leichter als mein Filet regiere! – Was fang' ich mit Leuten an, deren Seelen so gleich als ihre Sackuhren gehen? Kann ich eine Freude dran finden, sie was zu fragen, wenn ich voraus weiß, was sie mir antworten werden? Oder Worte mit ihnen zu wechseln, wenn sie das Herz nicht haben, andrer Meinung als ich zu sein? – Weg mit ihnen! Es ist verdrießlich, ein Roß zu reiten, das nicht auch in den Zügel beißt. (Sie tritt zum Fenster.)
Sophie. Aber den Fürsten werden Sie doch ausnehmen, Lady? Den schönsten Mann – den feurigsten Liebhaber – den witzigsten Kopf in seinem ganzen Lande!
Lady (kommt zurück). Denn es ist sein Land – und nur ein Fürstenthum, Sophie, kann meinem Geschmack zur erträglichen Ausrede dienen – Du sagst, man beneide mich. Armes Ding! Beklagen soll man mich vielmehr! Unter Allen, die an den Brüsten der Majestät trinken, kommt die Favoritin am schlechtesten weg, weil sie allein dem großen und reichen Mann auf dem Bettelstabe begegnet – Wahr ist's, er kann mit dem Talisman seiner Größe jeden Gelust meines Herzens, wie ein Feenschloß, aus der Erde rufen. – Er setzt den Saft von zwei Indien auf die Tafel – ruft Paradiese aus Wildnissen – läßt die Quellen seines Landes in stolzen Bögen gen Himmel springen, oder das Mark seiner Unterthanen in einem Feuerwerk hinpuffen – – Aber kann er auch seinem Herzen befehlen, gegen ein großes, feuriges Herz groß und feurig zu schlagen? Kann er sein darbendes Gehirn auf ein einziges schönes Gefühl exequieren? – Mein Herz hungert bei all dem Vollauf der Sinne; und was helfen mich tausend beßre Empfindungen, wo ich nur Wallungen löschen darf?
Sophie (blickt sie verwundernd an). Wie lang ist es denn aber, daß ich Ihnen diene, Milady?
Lady. Weil du erst heute mit mir bekannt wirst? – Es ist wahr, liebe Sophie – ich habe dem Fürsten meine Ehre verkauft; aber mein Herz habe ich frei behalten – ein Herz, meine Gute, das vielleicht eines Mannes noch werth ist – über welches der giftige Wind des Hofes nur wie der Hauch über den Spiegel ging – Trau' es mir zu, meine Liebe, daß ich es längst gegen diesen armseligen Fürsten behauptet hätte, wenn ich es nur von meinem Ehrgeiz erhalten könnte, einer Dame am Hof den Rang vor mir einzuräumen.
Sophie. Und dieses Herz unterwarf sich dem Ehrgeiz so gern?
Lady (lebhaft). Als wenn es sich nicht schon gerächt hätte? – Nicht jetzt noch rächte? – Sophie! (Bedeutend, indem sie die Hand auf Sophiens Achsel fallen läßt.) Wir Frauenzimmer können nur zwischen Herrschen und Dienen wählen, aber die höchste Wonne der Gewalt ist doch nur ein elender Behelf, wenn uns die größere Wonne versagt wird, Sklavinnen eines Mannes zu sein, den wir lieben.
Sophie. Eine Wahrheit, Milady, die ich von Ihnen zuletzt hören wollte!
Lady. Und warum, meine Sophie? Sieht man es denn dieser kindischen Führung des Scepters nicht an, daß wir nur für das Gängelband taugen? Sahst du es denn diesem launischen Flattersinn nicht an – diesen wilden Ergötzungen nicht an, daß sie nur wildere Wünsche in meiner Brust überlärmen sollten?
Sophie (tritt erstaunt zurück). Lady!
Lady (lebhafter). Befriedige diese! Gib mir den Mann, den ich jetzt denke – den ich anbete – sterben, Sophie, oder besitzen muß. (Schmelzend.) Laß mich aus seinem Mund es vernehmen, daß Thränen der Liebe schöner glänzen in unsern Augen, als die Brillanten in unserm Haar, (feurig) und ich werfe dem Fürsten sein Herz und sein Fürstenthum vor die Füße, fliehe mit diesem Mann, fliehe in die entlegenste Wüste der Welt – –
Sophie (blickt sie erschrocken an). Himmel! Was machen Sie? Wie wird Ihnen, Lady?
Lady (bestürzt). Du entfärbst dich? – Hab' ich vielleicht etwas zu viel gesagt? O so laß mich deine Zunge mit meinem Zutrauen binden – höre noch mehr – höre Alles –
Sophie (schaut sich ängstlich um). Ich fürchte, Milady – ich fürchte – ich brauch' es nicht mehr zu hören.
Lady. Die Verbindung mit dem Major – Du und die Welt stehen im Wahn, sie sei eine Hof-Kabale – Sophie – erröthe nicht – schäme dich meiner nicht – sie ist das Werk – meiner Liebe!
Sophie. Bei Gott! Was mir ahnete!
Lady. Sie ließen sich beschwatzen, Sophie – der schwache Fürst – der hofschlaue Walter – der alberne Marschall – Jeder von ihnen wird darauf schwören, daß diese Heirath das unfehlbarste Mittel sei, mich dem Herzog zu retten, unser Band um so fester zu knüpfen! – Ja! es auf ewig zu trennen! auf ewig diese schändlichen Ketten zu brechen! – Belogene Lügner! Von einem schwachen Weib überlistet! Ihr selbst führt mir jetzt meinen Geliebten zu! Das war es ja nur, was ich wollte – Hab' ich ihn einmal – hab' ich ihn – o dann auf immer gute Nacht, abscheuliche Herrlichkeit –
Ein alter Kammerdiener des Fürsten, der ein Schmuckkästchen trägt. Die Vorigen.
Kammerdiener. Seine Durchlaucht der Herzog empfehlen sich Milady zu Gnaden und schicken Ihnen diese Brillanten zur Hochzeit. Sie kommen so eben erst aus Venedig.
Lady (hat das Kästchen geöffnet und fährt erschrocken zurück). Mensch! was bezahlt dein Herzog für diese Steine?
Kammerdiener (mit finsterm Gesicht). Sie kosten ihn keinen Heller!
Lady. Was? Bist du rasend? Nichts? – und (indem sie einen Schritt von ihm wegtritt) du wirfst mir ja einen Blick zu, als wenn du mich durchbohren wolltest – Nichts kosten ihn diese unermeßlich kostbaren Steine?
Kammerdiener. Gestern sind siebentausend Landskinder nach Amerika fort – die bezahlen Alles.
Lady (setzt den Schmuck plötzlich nieder und geht rasch durch den Saal, nach einer Pause zum Kammerdiener). Mann! Was ist dir? Ich glaube, du weinst?
Kammerdiener (wischt sich die Augen, mit schrecklicher Stimme, alle Glieder zitternd). Edelsteine, wie diese da – ich hab' auch ein paar Söhne drunter.
Lady (wendet sich bebend weg, seine Hand fassend). Doch keinen gezwungenen?
Kammerdiener (lacht fürchterlich). O Gott! – Nein – lauter Freiwillige! Es traten wohl so etliche vorlaute Bursch' vor die Front heraus und fragten den Obersten, wie theuer der Fürst das Joch Menschen verkaufe. – Aber unser gnädigster Landesherr ließ alle Regimenter auf dem Paradeplatz aufmarschieren und die Maulaffen niederschießen. Wir hörten die Büchsen knallen, sahen ihr Gehirn auf das Pflaster spritzen, und die ganze Armee schrie: Juchhe! nach Amerika! –
Lady (fällt mit Entsetzen in den Sopha). Gott! Gott! – Und ich hörte nichts? Und ich merkte nichts?
Kammerdiener. Ja, gnädige Frau – Warum mußtet ihr denn mit unserm Herrn gerad' auf die Bärenhatz reiten, als man den Lärmen zum Aufbruch schlug? – Die Herrlichkeit hättet ihr doch nicht versäumen sollen, wie uns die gellenden Trommeln verkündigten, es ist Zeit, und heulende Waisen dort einen lebendigen Vater verfolgten, und hier eine wüthende Mutter lief, ihr saugendes Kind an Bajonetten zu spießen, und wie man Bräutigam und Braut mit Säbelhieben auseinander riß, und wir Graubärte verzweiflungsvoll da standen und den Burschen auch zuletzt die Krücken noch nachwarfen in die neue Welt – Oh, und mitunter das polternde Wirbelschlagen, damit der Allwissende uns nicht sollte beten hören –
Lady (steht auf, heftig bewegt). Weg mit diesen Steinen – sie blitzen Höllenflammen in mein Herz. (Sanfter zum Kammerdiener.) Mäßige dich, armer alter Mann. Sie werden wieder kommen. Sie werden ihr Vaterland wieder sehen.
Kammerdiener (warm und voll). Das weiß der Himmel! Das werden sie! – Noch am Stadtthor drehten sie sich um und schrieen: »Gott mit euch, Weib und Kinder! – Es leb' unser Landesvater – Am jüngsten Gericht sind wir wieder da!« –
Lady (mit starkem Schritt auf und nieder gehend). Abscheulich! Fürchterlich! – Mich beredet man, ich habe sie alle getrocknet, die Thränen des Landes – Schrecklich, schrecklich gehen mir die Augen auf – Geb du – Sag deinem Herrn – Ich werd' ihm persönlich danken! (Kammerdiener will gehen, sie wirft ihm ihre Geldbörse in den Hut.) Und das nimm, weil du mir Wahrheit sagtest –
Kammerdiener (wirft sie verächtlich auf den Tisch zurück). Legt's zu dem Übrigen. (Er geht ab.)
Lady (sieht ihm erstaunt nach). Sophie, spring ihm nach, frag' ihn um seinen Namen! Er soll seine Söhne wieder haben. (Sophie ab. Lady nachdenkend auf und nieder. Pause. Zu Sophien, die wieder kommt.) Ging nicht jüngst ein Gerücht, daß das Feuer eine Stadt an der Grenze verwüstet und bei vierhundert Familien an den Bettelstab gebracht habe? (Sie klingelt.)
Sophie. Wie kommen Sie auf das? Allerdings ist es so, und die mehresten dieser Unglücklichen dienen jetzt ihren Gläubigern als Sklaven, oder verderben in den Schachten der fürstlichen Silberbergwerke.
Bedienter (kommt). Was befehlen Milady?
Lady (gibt ihm den Schmuck). Daß das ohne Verzug in die Landschaft gebracht werde! – Man soll es sogleich zu Geld machen, befehl' ich, und den Gewinst davon unter die Vierhundert verteilen, die der Brand ruiniert hat.
Sophie. Milady, bedenken Sie, daß Sie die höchste Ungnade wagen!
Lady (mit Größe). Soll ich den Fluch seines Landes in meinen Haaren tragen? (Sie winkt dem Bedienten; dieser geht.) Oder willst du, daß ich unter dem schrecklichen Geschirr solcher Thränen zu Boden sinke? – Geh, Sophie – Es ist besser, falsche Juwelen im Haar und das Bewußtsein dieser That im Herzen zu haben!
Sophie. Aber Juwelen wie diese! Hätten Sie nicht Ihre schlechtern nehmen können? Nein, wahrlich, Milady! es ist Ihnen nicht zu vergeben.
Lady. Närrisches Mädchen! Dafür werden in einem Augenblick mehr Brillanten und Perlen für mich fallen, als zehn Könige in ihren Diademen getragen, und schönere –
Bedienter (kommt zurück). Major von Walter –
Sophie (springt auf die Lady zu). Gott! Sie verblassen –
Lady. Der erste Mann, der mir Schrecken macht – Sophie – Jetzt sei unpäßlich, Eduard – Halt – Ist er aufgeräumt? Lacht er? Was spricht er? O, Sophie! Nicht wahr, ich sehe häßlich aus?
Sophie. Ich bitte Sie, Lady –
Bedienter. Befehlen Sie, daß ich ihn abweise?
Lady (stotternd). Er soll mir willkommen sein. (Bedienter hinaus.) Sprich, Sophie – Was sag' ich ihm? Wie empfang' ich ihn? – Ich werde stumm sein. – Er wird meiner Schwäche spotten – Er wird – o was ahnet mir – Du verlässest mich, Sophie? – Bleib! – Doch nein! Gehe! – So bleib doch! (Der Major kommt durch das Vorzimmer.)
Sophie. Sammeln Sie sich! Er ist schon da!
Ferdinand von Walter. Die Vorigen.
Ferdinand (mit einer kurzen Verbeugung). Wenn ich Sie worin unterbreche, gnädige Frau –
Lady (unter merkbarem Herzklopfen). In nichts, Herr Major, das mir wichtiger wäre.
Ferdinand. Ich komme auf Befehl meines Vaters –
Lady. Ich bin seine Schuldnerin.
Ferdinand. Und soll Ihnen melden, daß wir uns heirathen – So weit der Auftrag meines Vaters.
Lady (entfärbt sich und zittert). Nicht Ihres eigenen Herzens?
Ferdinand. Minister und Kuppler pflegen das niemals zu fragen.
Lady (mit einer Beängstigung, daß ihr die Worte versagen). Und Sie selbst hätten sonst nichts beizusetzen?
Ferdinand (mit einem Blick auf die Mamsell). Noch sehr viel, Milady!
Lady (gibt Sophien einen Wink, diese entfernt sich). Darf ich Ihnen diesen Sopha anbieten?
Ferdinand. Ich werde kurz sein, Milady!
Lady. Nun?
Ferdinand. Ich bin ein Mann von Ehre.
Lady. Den ich zu schätzen weiß.
Ferdinand. Cavalier.
Lady. Kein beßrer im Herzogthum.
Ferdinand. Und Officier.
Lady (schmeichelhaft). Sie berühren hier Vorzüge, die auch Andere mit Ihnen gemein haben. Warum verschweigen Sie größere, worin Sie einzig sind?
Ferdinand (frostig). Hier brauch' ich sie nicht.
Lady (mit immer steigender Angst). Aber für was muß ich diesen Vorbericht nehmen?
Ferdinand (langsam und mit Nachdruck). Für den Einwurf der Ehre, wenn Sie Lust haben sollten, meine Hand zu erzwingen.
Lady (auffahrend). Was ist das, Herr Major?
Ferdinand (gelassen). Die Sprache meines Herzens – meines Wappens – und dieses Degens.
Lady. Diesen Degen gab Ihnen der Fürst.
Ferdinand. Der Staat gab mir ihn durch die Hand des Fürsten – mein Herz Gott – mein Wappen ein halbes Jahrtausend.
Lady. Der Name des Herzogs –
Ferdinand (hitzig). Kann der Herzog Gesetze der Menschheit verdrehen, oder Handlungen münzen wie seine Dreier? – Er selbst ist nicht über die Ehre erhaben, aber er kann ihren Mund mit seinem Golde verstopfen. Er kann den Hermelin über seine Schande herwerfen. Ich bitte mir aus, davon nichts mehr, Milady. – Es ist nicht mehr die Rede von weggeworfenen Aussichten und Ahnen – oder von dieser Degenquaste – oder von der Meinung der Welt. Ich bin bereit, Dies alles mit Füßen zu treten, sobald Sie mich nur überzeugt haben werden, daß der Preis nicht schlimmer noch als das Opfer ist.
Lady (schmerzhaft von ihm weggehend). Herr Major! das hab' ich nicht verdient.
Ferdinand (ergreift ihre Hand). Vergeben Sie. Wir reden hier ohne Zeugen. Der Umstand, der Sie und mich – heute und nie mehr – zusammenführt, berechtigt mich, zwingt mich, Ihnen mein geheimstes Gefühl nicht zurück zu halten. – Es will mir nicht zu Kopfe, Milady, daß eine Dame von so viel Schönheit und Geist – Eigenschaften, die ein Mann schätzen würde – sich an einen Fürsten sollte wegwerfen können, der nur das Geschlecht an ihr zu bewundern gelernt hat, wenn sich diese Dame nicht schämte, vor einen Mann mit ihrem Herzen zu treten.
Lady (schaut ihm groß ins Gesicht). Reden Sie ganz aus!
Ferdinand. Sie nennen sich eine Brittin. Erlauben Sie mir – ich kann es nicht glauben, daß Sie eine Brittin sind. Die freigeborne Tochter des freiesten Volks unter dem Himmel – das auch zu stolz ist, fremder Tugend zu räuchern – kann sich nimmermehr an fremdes Laster verdingen. Es ist nicht möglich, daß Sie eine Brittin sind, – oder das Herz dieser Brittin muß um so viel kleiner sein, als größer und kühner Britanniens Adern schlagen.
Lady. Sind Sie zu Ende?
Ferdinand. Man könnte antworten, es ist weibliche Eitelkeit – Leidenschaft – Temperament – Hang zum Vergnügen. Schon öfters überlebte Tugend die Ehre. Schon Manche, die mit Schande in diese Schranke trat, hat nachher die Welt durch edle Handlungen mit sich ausgesöhnt und das häßliche Handwerk durch einen schönen Gebrauch geadelt – – Aber woher denn jetzt diese ungeheure Pressung des Landes, die vorher nie so gewesen? – Das war im Namen des Herzogthums. – Ich bin zu Ende.
Lady (mit Sanftmuth und Hoheit). Es ist das Erstemal, Walter, daß solche Reden an mich gewagt werden, und Sie sind der einzige Mensch, dem ich darauf antworte – Daß Sie meine Hand verwerfen, darum schätz' ich Sie. Daß Sie meine Hand lästern, vergebe ich Ihnen. Daß es Ihr Ernst ist, glaube ich Ihnen nicht. Wer sich herausnimmt, Beleidigungen dieser Art einer Dame zu sagen, die nicht mehr als eine Nacht braucht, ihn ganz zu verderben, muß dieser Dame eine große Seele zutrauen, oder – von Sinnen sein – Daß Sie den Ruin des Landes auf meine Brust wälzen, vergebe Ihnen Gott der Allmächtige, der Sie und mich und den Fürsten einst gegen einander stellt. – Aber Sie haben die Engländerin in mir aufgefordert, und auf Vorwürfe dieser Art muß mein Vaterland Antwort haben.
Ferdinand (auf seinen Degen gestützt). Ich bin begierig.
Lady. Hören Sie also, was ich, außer Ihnen, noch Niemand vertraute, noch jemals einem Menschen vertrauen will. – Ich bin nicht die Abenteurerin, Walter, für die Sie mich halten. Ich könnte groß thun und sagen: ich bin fürstlichen Geblüths – aus des unglücklichen Thomas Norfolks Geschlechte, der für die schottische Maria ein Opfer ward. – Mein Vater, des Königs oberster Kämmerer, wurde bezichtigt, in verrätherischem Vernehmen mit Frankreich zu stehen, durch einen Spruch der Parlamente verdammt und enthauptet. – Alle unsre Güter fielen der Krone zu. Wir selbst wurden des Landes verwiesen. Meine Mutter starb am Tage der Hinrichtung. Ich – ein vierzehnjähriges Mädchen – flohe nach Deutschland mit meiner Wärterin – einem Kästchen Juwelen – und diesem Familienkreuz, das meine sterbende Mutter mit ihrem letzten Segen mir an den Busen steckte.
Ferdinand (wird nachdenkend und heftet wärmere Blicke auf die Lady).
Lady (fährt fort mit immer zunehmender Rührung). Krank – ohne Namen – ohne Schutz und Vermögen – eine ausländische Waise, kam ich nach Hamburg. Ich hatte nichts gelernt, als das Bischen Französisch – ein wenig Filet und den Flügel – desto besser verstund ich, auf Gold und Silber zu speisen, unter damastenen Decken zu schlafen, mit einem Wink zehn Bediente fliegen zu machen und die Schmeicheleien der Großen Ihres Geschlechts aufzunehmen. – Sechs Jahre waren schon hingeweint. – Und die letzte Schmucknadel flog dahin – Meine Wärterin starb – und jetzt führte mein Schicksal Ihren Herzog nach Hamburg. Ich spazierte damals an den Ufern der Elbe, sah in den Strom und fing eben an zu phantasieren, ob dieses Wasser oder mein Leiden das Tiefste wäre? – Der Herzog sah mich, verfolgte mich, fand meinen Aufenthalt, – lag zu meinen Füßen und schwur, daß er mich liebe. (Sie hält in großen Bewegungen inne, dann fährt sie fort mit weinender Stimme.) Alle Bilder meiner glücklichen Kindheit wachten jetzt wieder mit verführendem Schimmer auf – Schwarz wie das Grab graute mich eine trostlose Zukunft an – Mein Herz brannte nach einem Herzen – Ich sank an das seinige. (Von ihm wegstürzend.). Jetzt verdammen Sie mich!
Ferdinand (sehr bewegt, eilt ihr nach und hält sie zurück). Lady! o Himmel! Was hör' ich? Was that ich? – Schrecklich enthüllt sich mein Frevel mir. Sie können mir nicht mehr vergeben.
Lady (kommt zurück und hat sich zu sammeln gesucht). Hören Sie weiter. Der Fürst überraschte zwar meine wehrlose Jugend – aber das Blut der Norfolk empörte sich in mir: Du, eine geborene Fürstin, Emilie, rief es, und jetzt eines Fürsten Concubine? – Stolz und Schicksal kämpften in meiner Brust, als der Fürst mich hieher brachte und auf einmal die schauderndste Scene vor meinen Augen stand! – Die Wollust der Großen dieser Welt ist die nimmersatte Hyäne, die sich mit Heißhunger Opfer sucht. – Fürchterlich hatte sie schon in diesem Lande gewüthet – hatte Braut und Bräutigam zertrennt – hatte selbst der Ehen göttliches Band zerrissen – – hier das stille Glück einer Familie geschleift – dort ein junges unerfahrenes Herz der verheerenden Pest aufgeschlossen, und sterbende Schülerinnen schäumten den Namen ihres Lehrers unter Flüchen und Zuckungen aus – Ich stellte mich zwischen das Lamm und den Tiger, nahm einen fürstlichen Eid von ihm in einer Stunde der Leidenschaft, und diese abscheuliche Opferung mußte aufhören.
Ferdinand (rennt in der heftigsten Unruhe durch den Saal). Nichts mehr, Milady! Nicht weiter!
Lady. Diese traurige Periode hatte einer noch traurigern Platz gemacht. Hof und Serail wimmelten jetzt von Italiens Auswurf. Flatterhafte Pariserinnen tändelten mit dem furchtbaren Scepter, und das Volk blutete unter ihren Launen – Sie alle erlebten ihren Tag. Ich sah sie neben mir in den Staub sinken, denn ich war mehr Kokette, als sie alle. Ich nahm dem Tyrannen den Zügel ab, der wollüstig in meiner Umarmung erschlappte – dein Vaterland, Walter, fühlte zum erstenmal eine Menschenhand und sank vertrauend an meinen Busen. (Pause, worin sie ihn schmelzend ansieht.) O daß der Mann, von dem ich allein nicht verkannt sein möchte, mich jetzt zwingen muß, groß zu prahlen und meine stille Tugend am Licht der Bewunderung zu versengen! – Walter, ich habe Kerker gesprengt – habe Todesurtheile zerrissen und manche entsetzliche Ewigkeit auf Galeeren verkürzt. In unheilbare Wunden hab' ich doch wenigstens stillenden Balsam gegossen – mächtige Frevler in Staub gelegt und die verlorene Sache der Unschuld oft noch mit einer buhlerischen Thräne gerettet – Ha, Jüngling, wie süß war mir das! Wie stolz konnte mein Herz jede Anklage meiner fürstlichen Geburt widerlegen! – Und jetzt kommt der Mann, der allein mir Das alles belohnen sollte – der Mann, den mein erschöpftes Schicksal vielleicht zum Ersatz meiner vorigen Leiden schuf – der Mann, den ich mit brennender Sehnsucht im Traum schon umfasse –
Ferdinand (fällt ihr ins Wort, durch und durch erschüttert). Zu viel! zu viel! Das ist wieder die Abrede, Lady. Sie sollten sich von Anklagen reinigen und machen mich zu einem Verbrecher. Schonen Sie – ich beschwöre Sie – schonen Sie meines Herzens, das Beschämung und wüthende Reue zerreißen –
Lady (hält seine Hand fest). Jetzt oder nimmermehr! Lange genug hielt die Heldin Stand – das Gewicht dieser Thränen mußt du noch fühlen. (Im zärtlichsten Ton.) Höre, Walter – wenn eine Unglückliche – unwiderstehlich, allmächtig an dich gezogen – sich an dich preßt mit einem Busen voll glühender, unerschöpflicher Liebe – Walter! – und du jetzt noch das kalte Wort Ehre sprichst – wenn diese Unglückliche – niedergedrückt vom Gefühl ihrer Schande – des Lasters überdrüssig – heldenmäßig emporgehoben vom Rufe der Tugend – sich so – in deine Arme wirft (sie umfaßt ihn, beschwörend und feierlich) – durch dich gerettet – durch dich dem Himmel wieder geschenkt sein will, oder (das Gesicht von ihm abgewandt, mit hohler bebender Stimme) deinem Bild zu entfliehen, dem fürchterlichen Ruf der Verzweiflung gehorsam, in noch abscheulichere Tiefen des Lasters wieder hinuntertaumelt –
Ferdinand (von ihr losreißend, in der schrecklichsten Bedrängniß). Nein, beim großen Gott! ich kann das nicht aushalten – Lady, ich muß – Himmel und Erde liegen auf mir – ich muß Ihnen ein Geständniß thun, Lady!
Lady (von ihm wegfliehend). Jetzt nicht! Jetzt nicht, bei Allem, was heilig ist – in diesem entsetzlichen Augenblick nicht, wo mein zerrissenes Herz an tausend Dolchstichen blutet – Sei's Tod oder Leben – ich darf es nicht – ich will es nicht hören!
Ferdinand. Doch, doch, beste Lady! Sie müssen es. Was ich Ihnen jetzt sagen werde, wird meine Strafbarkeit mindern und eine warme Abbitte des Vergangenen sein – Ich habe mich in Ihnen betrogen, Milady. Ich erwartete – ich wünschte, Sie meiner Verachtung würdig zu finden. Fest entschlossen, Sie zu beleidigen und Ihren Haß zu verdienen, kam ich her – Glücklich wir Beide, wenn mein Vorsatz gelungen wäre! (Er schweigt eine Weile, darauf leise und schüchterner.) Ich liebe, Milady – liebe ein bürgerliches Mädchen – Luise Millerin, eines Musikus Tochter. (Lady wendet sich bleich von ihm weg, er fährt lebhafter fort.) Ich weiß, worein ich mich stürze; aber wenn auch Klugheit die Leidenschaft schweigen heißt, so redet die Pflicht desto lauter – Ich bin der Schuldige. Ich zuerst zerriß ihrer Unschuld goldenen Frieden – wiegte ihr Herz mit vermessenen Hoffnungen und gab es verrätherisch der wilden Leidenschaft Preis – Sie werden mich an Stand – an Geburt – an die Grundsätze meines Vaters erinnern – aber ich liebe. – Meine Hoffnung steigt um so höher, je tiefer die Natur mit Convenienzen zerfallen ist. – Mein Entschluß und das Vorurtheil! – Wir wollen sehen, ob die Mode oder die Menschheit auf dem Platz bleiben wird. (Lady hat sich unterdeß bis an das äußerste Ende des Zimmers zurückgezogen und hält das Gesicht mit beiden Händen bedeckt. Er folgt ihr dahin.) Sie wollten mir etwas sagen, Milady?
Lady (im Ausdruck des heftigsten Leidens). Nichts, Herr von Walter! Nichts, als daß Sie sich und mich und noch eine Dritte zu Grund richten.
Ferdinand. Noch eine Dritte?
Lady. Wir können mit einander nicht glücklich w. Wir müssen doch der Voreiligkeit Ihres Vaters zum Opfer werden. Nimmermehr werd' ich das Herz eines Mannes haben, der mir seine Hand nur gezwungen gab.
Ferdinand. Gezwungen? Lady? gezwungen gab? und also doch gab? Können Sie eine Hand ohne Herz erzwingen? Sie einem Mädchen den Mann entwenden, der die ganze Welt dieses Mädchens ist? Sie einen Mann von dem Mädchen reißen, das die ganze Welt dieses Mannes ist? Sie, Milady – vor einem Augenblick die bewundernswürdige Britten? – Sie können das?
Lady. Weil ich es muß. (Mit Ernst und Stärke.) Meine Leidenschaft, Walter, weicht meiner Zärtlichkeit für Sie. Meine Ehre kann's nicht mehr – Unsre Verbindung ist das Gespräch des ganzen Landes. Alle Augen, alle Pfeile des Spotts sind auf mich gespannt. Die Beschimpfung ist unauslöschlich, wenn ein Unterthan des Fürsten mich ausschlägt. Rechten Sie mit Ihrem Vater. Wehren Sie sich, so gut Sie können. – Ich lass' alle Minen springen. (Sie geht schnell ab. Der Major bleibt in sprachloser Erstarrung stehen. Pause. Dann stürzt er fort durch die Flügelthüre.)
Zimmer beim Musikanten.
Miller. Frau Millerin. Luise treten auf.
Miller (hastig ins Zimmer). Ich hab's ja zuvor gesagt!
Luise (sprengt ihn ängstlich an). Was, Vater? was?
Miller (rennt wie toll auf und nieder). Meinen Staatsrock her – hurtig – ich muß ihm zuvorkommen – und ein weißes Manschettenhemd! – Das hab' ich mir gleich eingebildet!
Luise. Um Gotteswillen! Was?
Millerin. Was gibt's denn? was ist's denn?
Miller (wirft seine Perrücke ins Zimmer). Nur gleich zum Friseur das! – Was es gibt? (Vor den Spiegel gesprungen.) Und mein Bart ist auch wieder fingerslang – Was es gibt? – Was wird's geben, du Rabenaas? – Der Teufel ist los, und dich soll das Wetter schlagen!
Frau. Da sehe man! Über mich muß gleich alles kommen.
Miller. Über dich? Ja, blaues Donnermaul! und über wen anders? Heute früh mit deinem diabolischen Junker – Hab ich's nicht im Moment gesagt? – Der Wurm hat geplaudert.
Frau. Ah was! Wie kannst du das wissen?
Miller. Wie kann ich das wissen? – Da! – unter der Hausthüre spukt ein Kerl des Ministers und fragt nach dem Geiger.
Luise. Ich bin des Todes!
Miller. Du aber auch mit deinen Vergißmeinnicht-Augen! (Lacht voller Bosheit.) Das hat seine Richtigkeit, wem der Teufel ein Ei in die Wirthschaft gelegt hat, dem wird eine hübsche Tochter geboren – Jetzt hab' ich's blank.
Frau. Woher weißt du denn, daß es der Luise gilt? – Du kannst dem Herzog recommendiert worden sein. Er kann dich ins Orchester verlangen.
Miller (springt nach seinem Rohr). Daß dich der Schwefelregen von Sodom! – Orchester! – Ja, wo du Kupplerin den Discant wirst heulen und mein blauer Hinterer den Conterbaß vorstellen! (Wirft sich in seinen Stuhl.) Gott im Himmel!
Luise (setzt sich todtenbleich nieder). Mutter! Vater! Warum wird mir auf einmal so bange?
Miller (springt wieder vom Stuhl auf). Aber soll mir der Dintenkleckser einmal in den Schuß laufen? – Soll er mir laufen? Es sei in dieser oder in jener Welt – Wenn ich ihm nicht Leib und Seele breiweich zusammendresche, alle zehen Gebote und alle sieben Bitten im Vaterunser, und alle Bücher Mosis und der Propheten aufs Leder schreibe, daß man die blauen Flecken bei der Auferstehung der Todten noch sehen soll –
Frau. Ja! fluch du und poltre du! Das wird jetzt den Teufel bannen! Hilf, heiliger Herregott! Wo hinaus nun? Wie werden wir Rath schaffen? Was nun anfangen? Vater Miller, so rede doch! (Sie läuft heulend durchs Zimmer.)
Miller. Auf der Stell zum Minister will ich. Ich zuerst will mein Maul aufthun – ich selbst will es angeben. Du hast es vor mir gewußt. Du hättest mir einen Wink geben können. Das Mädel hätt' sich noch weisen lassen. Es wäre noch Zeit gewesen – aber nein! – Da hat sich was makeln lassen; da hat sich was fischen lassen! Da hast du noch Holz obendrein zugetragen! – Jetzt sorg' auch für deinen Kuppelpelz. Friß aus, was du einbrocktest! Ich nehme meine Tochter in Arm, und marsch mit ihr über die Grenze!
Ferdinand von Walter stürzt erschrocken und außer Athem ins Zimmer. Die Vorigen.
Ferdinand. War mein Vater da?
Luise (fährt mit Schrecken auf). Sein Vater! Allmächtiger Gott!
Frau (zugleich; schlägt die Hände zusammen). Der Präsident! Es ist aus mit uns!
Miller (zugleich; lacht voller Bosheit). Gottlob! Gottlob! da haben wir ja die Bescherung!
Ferdinand (eilt auf Luisen zu und drückt sie stark in die Arme). Mein bist du, und wärfen Höll' und Himmel sich zwischen uns!
Luise. Mein Tod ist gewiß – Rede weiter – Du sprachst einen schrecklichen Namen aus – Dein Vater?
Ferdinand. Nichts. Nichts. Es ist überstanden. Ich hab' dich ja wieder. Du hast mich ja wieder. O, laß mich Athem schöpfen an dieser Brust! Es war eine schreckliche Stunde.
Luise. Welche? Du tödtest mich?
Ferdinand (tritt zurück und schaut sie bedeutend an). Eine Stunde, Luise, wo zwischen mein Herz und dich eine fremde Gestalt sich warf – wo meine Liebe vor meinem Gewissen erblaßte – wo meine Luise aufhörte, ihrem Ferdinand Alles zu sein – –
Luise (sinkt mit verhülltem Gesicht auf den Sessel nieder).
Ferdinand (geht schnell auf sie zu, bleibt sprachlos mit starrem Blick vor ihr stehen, dann verläßt er sie plötzlich, in großer Bewegung). Nein! Nimmermehr! Unmöglich, Lady! Zu viel verlangt! Ich kann dir diese Unschuld nicht opfern – Nein, beim unendlichen Gott! ich kann meinen Eid nicht verletzen, der mich laut wie des Himmels Donner aus diesem brechenden Auge mahnt – Lady, blick hieher – hieher, du Rabenvater – Ich soll diesen Engel würgen! Die Hölle soll ich in diesen himmlischen Busen schütten? (Mit Entschluß auf sie zueilend.) Ich will sie führen vor des Weltrichters Thron, und ob meine Liebe Verbrechen ist, soll der Ewige sagen. (Er faßt sie bei der Hand und hebt sie vom Sessel.) Fasse Muth, meine Theuerste! – Du hast gewonnen! Als Sieger komm' ich aus dem gefährlichsten Kampf zurück.
Luise. Nein! Nein! Verhehle mir nichts. Sprich es aus, das entsetzliche Urtheil. Deinen Vater nanntest du? Du nanntest die Lady? – Schauer des Todes ergreifen mich – Man sagt, sie wird heirathen.
Ferdinand (stürzt betäubt zu Luisens Füßen nieder). Mich, Unglückselige!
Luise (nach einer Pause, mit stillem bebenden Ton und schrecklicher Ruhe). Nun – was erschreck' ich denn? Der alte Mann dort hat mir's ja oft gesagt – ich hab' es ihm nie glauben wollen. (Pause, dann wirft sie sich Millern laut weinend in die Arme.). Vater, hier ist deine Tochter wieder – Verzeihung, Vater! – Dein Kind kann ja nicht dafür, daß dieser Traum so schön war, und – – so fürchterlich jetzt das Erwachen – –
Miller. Luise! Luise! – O Gott, sie ist von sich – Meine Tochter, mein armes Kind – Fluch über den Verführer! – Fluch über das Weib, das ihm kuppelte!
Frau (wirft sich jammernd auf Luisen). Verdien' ich diesen Fluch, meine Tochter? Vergeb's Ihnen Gott, Baron! – Was hat dieses Lamm gethan, daß Sie es würgen?
Ferdinand (springt an ihr auf, voll Entschlossenheit). Aber ich will seine Kabalen durchbohren – durchreißen will ich alle diese eisernen Ketten des Vorurtheils – Frei wie ein Mann will ich wählen, daß diese Insektenseelen am Riesenwerk meiner Liebe hinaufschwindeln! (Er will fort.)
Frau (eilt ihm nach, hängt sich an ihn). Der Präsident wird hieher kommen – Er wird unser Kind mißhandeln – Er wird uns mißhandeln – Herr von Walter, und Sie verlassen uns?
Miller (lacht wüthend). Verläßt uns! Freilich! Warum nicht? – Sie gab ihm ja Alles hin! (Mit der einen Hand den Major, mit der andern Luisen fassend.) Geduld, Herr! der Weg aus meinem Hause geht nur über diese da – Erwarte erst deinen Vater! wenn du kein Bube bist – Erzähl' es ihm, wie du dich in ihr Herz stahlst, Betrüger, oder, bei Gott! (Ihm seine Tochter zuschleudernd, wild und heftig.) Du sollst mir zuvor diesen wimmernden Wurm zertreten, den Liebe zu dir so zu Schanden richtete!
Ferdinand (kommt zurück und geht auf und ab in tiefen Gedanken). Zwar die Gewalt des Präsident ist groß – Vaterrecht ist ein weites Wort – der Frevel selbst kann sich in seinen Falten verstecken, er kann es weit damit treiben – weit! – Doch aufs Äußerste treibt's nur die Liebe – Hier, Luise! Deine Hand ist die meinige! (Er faßt diese heftig.) So wahr mich Gott im letzten Hauch nicht verlassen soll! – der Augenblick, der diese zwei Hände trennt, zerreißt auch den Faden zwischen mir und der Schöpfung!
Luise. Mir wird bange! Blick' weg! Deine Lippen beben! Dein Auge rollt fürchterlich –
Ferdinand. Nein, Luise! Zittre nicht! Es ist nicht Wahnsinn, was aus mir redet. Es ist das köstliche Geschenk des Himmels, Entschluß in dem geltenden Augenblick, wo die gepreßte Brust nur durch etwas Unerhörtes sich Luft macht – Ich liebe dich, Luise – Du sollst mir bleiben, Luise – Jetzt zu meinem Vater! (Er eilt schnell fort und rennt – gegen den Präsident.)
Der Präsident mit einem Gefolge von Bedienten. Vorige.
Präsident (im Hereintreten). Da ist er schon.
Alle (erschrocken).
Ferdinand (weicht einige Schritte zurück). Im Hause der Unschuld.
Präsident. Wo der Sohn Gehorsam gegen den Vater lernt?
Ferdinand. Lassen Sie und das – –
Präsident (unterbricht ihn, zu Millern). Er ist der Vater?
Miller. Stadtmusikant Miller.
Präsident (zur Frau). Sie die Mutter?
Frau. Ach ja, die Mutter!
Ferdinand (zu Millern). Vater, bring Er die Tochter weg – sie droht eine Ohnmacht.
Präsident. Überflüssige Sorgfalt! Ich will sie anstreichen. (Zu Luisen.) Wie lang kennt Sie den Sohn des Präsidenten?
Luise. Diesem habe ich nie nachgefragt. Ferdinand von Walter besucht mich seit dem November.
Ferdinand. Betet sie an.
Präsident. Erhielt sie Versicherungen?
Ferdinand. Vor wenig Augenblicken die feierlichste im Angesicht Gottes.
Präsident (zornig zu seinem Sohn). Zur Beichte deiner Thorheit wird man dir schon das Zeichen geben. (Zu Luisen.) Ich warte auf Antwort.
Luise. Er schwur mir Liebe.
Ferdinand. Und wird sie halten.
Präsident. Muß ich befehlen, daß du schweigst? – Nahm Sie den Schwur an?
Luise (zärtlich). Ich erwiederte ihn.
Ferdinand (mit fester Stimme). Der Bund ist geschlossen.
Präsident. Ich werde das Echo hinaus werfen lassen. (Boshaft zu Luisen.) Aber er bezahlte Sie doch jederzeit baar?
Luise (aufmerksam). Diese Frage verstehe ich nicht ganz.
Präsident (mit beißendem Lachen). Nicht? Nun! ich meine nur – Jedes Handwerk hat, wie man sagt, einen goldenen Boden – auch Sie, hoff' ich, wird Ihre Gunst nicht verschenkt haben – oder war's Ihr vielleicht mit dem bloßen Verschluß gedient? Wie?
Ferdinand (fährt wie rasend auf). Hölle! was war das?
Luise (zum Major mit Würde und Unwillen). Herr von Walter, jetzt sind Sie frei.
Ferdinand. Vater! Ehrfurcht befiehlt die Tugend auch im Bettlerkleid.
Präsident (lacht lauter). Eine lustige Zumuthung! Der Vater soll die Hure des Sohns respectieren.
Luise (stürzt nieder). O Himmel und Erde!
Ferdinand (mit Luisen zu gleicher Zeit, indem er den Degen nach dem Präsidenten zückt, den er aber schnell wieder sinken läßt). Vater! Sie hatten einmal ein Leben an mich zu fordern – Es ist bezahlt. (Den Degen einsteckend.) Der Schuldbrief der kindlichen Pflicht liegt zerrissen da –
Miller (der bis jetzt furchtsam auf der Seite gestanden, tritt hervor in Bewegung, wechselweis vor Wuth mit den Zähnen knirschend und vor Angst damit klappernd): Euer Excellenz – Das Kind ist des Vaters Arbeit – Halten zu Gnaden – Wer das Kind eine Mähre schilt, schlägt den Vater ans Ohr, und Ohrfeig um Ohrfeig – Das ist so Tax bei uns – Halten zu Gnaden.
Frau. Hilf, Herr und Heiland! – Jetzt bricht auch der Alte los – über unserm Kopf wird das Wetter zusammenschlagen.
Präsident (der es nur halb gehört hat). Regt sich der Kuppler auch? – Wir sprechen uns gleich, Kuppler.
Miller. Halten zu Gnaden. Ich heiße Miller, wenn Sie ein Adagio hören wollen – mit Buhlschaften dien' ich nicht. So lang der Hof da noch Vorrath hat, kommt die Lieferung nicht an uns Bürgersleut'. Halten zu Gnaden.
Frau. Um des Himmels willen, Mann! Du bringst Weib und Kind um.
Ferdinand. Sie spielen hier eine Rolle, mein Vater, wobei Sie sich wenigstens die Zeugen hätten ersparen können.
Miller (kommt ihm näher, herzhafter). Deutsch und verständlich. Halten zu Gnaden. Euer Excellenz schalten und walten im Land. Das ist meine Stube. Mein devotestes Compliment, wenn ich dermaleins ein pro memoria bringe, aber den ungehobelten Gast werf' ich zur Thür hinaus – Halten zu Gnaden.
Präsident (vor Wuth blaß). Was? – Was ist das? (Tritt näher.)
Miller (zieht sich sachte zurück). Das war nur so meine Meinung, Herr – Halten zu Gnaden.
Präsident (in Flammen). Ha, Spitzbube! Ins Zuchthaus spricht dich deine vermessene Meinung – Fort! Man soll Gerichtsdiener holen. (Einige vom Gefolge gehen ab; der Präsident rennt voll Wuth durch das Zimmer.) Vater ins Zuchthaus – an den Pranger Mutter und Metze von Tochter! – Die Gerechtigkeit soll meiner Wuth ihre Arme borgen. Für diesen Schimpf muß ich schreckliche Genugthuung haben – Ein solches Gesindel sollte meine Plane zerschlagen und ungestraft Vater und Sohn aneinander hetzen? – Ha, Verflucht! Ich will meinen Haß an eurem Untergang sättigen, die ganze Brut, Vater, Mutter und Tochter, will ich meiner brennenden Rache opfern.
Ferdinand (tritt gelassen und standhaft unter sie hin). O nicht doch! Seit außer Furcht! Ich bin zugegen. (Zum Präsidenten mit Unterwürfigkeit.) Keine Übereilung, mein Vater! Wenn Sie sich selbst lieben, keine Gewaltthätigkeit! – Es gibt eine Gegend in meinem Herzen, worin das Wort Vater noch nie gehört worden ist – Dringen Sie nicht bis in diese.
Präsident. Nichtswürdiger! Schweig! Reize meinen Grimm nicht noch mehr!
Miller (kommt aus einer dumpfen Betäubung zu sich selbst). Schau du nach deinem Kinde, Frau. Ich laufe zum Herzog – Der Leibschneider – das hat mir Gott eingeblasen! – der Leibschneider lernt die Flöte bei mir. Es kann mir nicht fehlen beim Herzog. (Er will gehen.)
Präsident. Beim Herzog, sagst du? – Hast du vergessen, daß ich die Schwelle bin, worüber du springen oder den Hals brechen mußt? – Beim Herzog, du Dummkopf? – Versuch' es, wenn du, lebendig todt, eine Thurmhöhe tief, unter dem Boden im Kerker liegst, wo die Nacht mit der Hölle liebäugelt und Schall und Licht wieder umkehren. Raßle dann mit deinen Ketten und wimmre: Mir ist zu viel geschehen.
Gerichtsdiener. Die Vorigen.
Ferdinand (eilt auf Luisen zu, die ihm halb todt in die Arme fällt). Luise! Hilfe! Rettung! Der Schrecken überwältigt sie!
Miller (ergreift sein spanisches Rohr, setzt den Hut auf und macht sich zum Angriff gefaßt).
Frau (wirft sich auf die Kniee vor dem Präsident).
Präsident (zu den Gerichtsdienern, seinen Orden entblößend). Legt Hand an, im Namen des Herzogs – Weg von der Metze, Junge – Ohnmächtig oder nicht – wenn sie nur erst das eiserne Halsband um hat, wird man sie schon mit Steinwürfen aufwecken.
Frau. Erbarmung, Ihro Excellenz! Erbarmung! Erbarmung!
Miller (reißt seine Frau in die Höhe). Knie vor Gott! alte Heulhure, und nicht vor – – Schelmen, weil ich ja doch schon ins Zuchthaus muß.
Präsident (beißt die Lippen). Du kannst dich verrechnen, Bube. Es stehen noch Galgen leer! (Zu den Gerichtsdienern.) muß ich es noch einmal sagen?
Gerichtsdiener (dringen auf Luisen ein).
Ferdinand (springt an ihr auf und stellt sich vor sie, grimmig). Wer will was? (Er zieht den Degen sammt der Scheide und wehrt sich mit dem Gefäß.) Wag' es, sie anzurühren, wer nicht auch die Hirnschale an die Gerichte vermiethet hat. (Zum Präsident.) Schonen Sie Ihrer selbst! Treiben Sie mich nicht weiter, mein Vater.
Präsident (drohend zu den Gerichtsdienern). Wenn euch euer Brod lieb ist, Memmen –
Gerichtsdiener (greifen Luisen wieder an).
Ferdinand. Tod und alle Teufel! Ich sage: Zurück! – Noch einmal! Haben Sie Erbarmen mit sich selbst. Treiben Sie mich nicht aufs Äußerste, Vater.
Präsident (aufgebracht zu den Gerichtsdienern). Ist das euer Diensteifer, Schurken?
Gerichtsdiener (greifen hitziger an).
Ferdinand. Wenn es denn sein muß (indem er den Degen zieht und einige von denselben verwundet), so verzeih mir, Gerechtigkeit!
Präsident (voll Zorn). Ich will doch sehen, ob auch ich diesen Degen fühle. (Er faßt Luisen selbst, zerrt sie in die Höhe und übergibt sie einem Gerichtsknecht.)
Ferdinand (lacht erbittert). Vater, Vater! Sie machen hier ein beißendes Pasquill auf die Gottheit, die sich so übel auf ihre Leute verstund und aus vollkommenen Henkersknechten schlechte Minister machte.
Präsident (zu den Übrigen). Fort mit ihr!
Ferdinand. Vater, sie soll an den Pranger stehen, aber mit dem Major, des Präsidenten Sohn – Bestehen Sie noch darauf?
Präsident. Desto possierlicher wird das Spektakel – Fort!
Ferdinand. Vater, ich werfe meinen Officiersdegen auf das Mädchen. – Bestehen Sie noch darauf?
Präsident. Das Porte-Epée ist an deiner Seite des Prangerstehens gewohnt worden – Fort! Fort! Ihr wißt meinen Willen.
Ferdinand (drückt einen Gerichtsdiener weg, faßt Luisen an einem Arm, mit dem andern zückt er den Degen auf sie). Vater! Eh Sie meine Gemahlin beschimpfen, durchstoß' ich sie – Bestehen Sie noch darauf?
Präsident. Thu' es, wenn deine Klinge noch spitzig ist.
Ferdinand (läßt Luisen fahren und blickt fürchterlich zum Himmel). Du, Allmächtiger, bist Zeuge! Kein menschliches Mittel ließ ich unversucht – ich muß zu einem teuflischen schreiten – Ihr führt sie zum Pranger fort, unterdessen (dem Präsidenten ins Ohr rufend) erzähl' ich der Residenz eine Geschichte, wie man Präsident wird. (Ab.)
Präsident (wie vom Blitz gerührt). Was ist das?- Ferdinand – Laßt sie ledig! (Er eilt dem Major nach.)