Paul Scheerbart
Das graue Tuch und zehn Prozent Weiß
Paul Scheerbart

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Für das Orchideenfest war Opalschmuck im Haar der Damen vorgeschrieben – und graues Tuch mit zehn Prozent Weiß.

Das Direktorium des botanischen Gartens auf Sardinien wollte damit der vielgeplagten Miß Clara eine Ovation bereiten; die Herren erklärten es einfach für lächerlich, wenn Jemand annehmen möchte, Miß Clara stände in irgendwelchen Beziehungen zu den Lufträubern auf Malta.

Miß Käte Bändel traf währenddem in Locarno ein und telegraphierte an Miß Clara, daß sie da sei. Das Telegramm kam kurz vor dem Orgelkonzert. Und Mr. Krug bat die Dame, zum Schloß auf der Isola grande zu fahren, der Portier sei informiert – und der Schloßherr mit seiner Gattin werde gleich mit dem Luftschiff ankommen; Mr. Krug teilte dem Portier mit, daß er drei Zimmer für Miß Bändel herzurichten habe – die buntesten.

Dann kam das Konzert. Und Miß Clara spielte den alten Bach ganz klar und ganz heiter; man brachte der Orgelspielerin als Dank die herrlichsten Orchideen – in Töpfen blühend – unter Glas, daß sie gleich versandt werden konnten.

Bei dem großen Diner unterhielt sich Mr. Krug mit den Damen des Direktoriums.

»Es muß doch«, sagte die eine Dame, »für einen Glasarchitekten recht qualvoll sein, über eine der großen Backsteinstädte dahinzufahren.«

»Das«, versetzte Mr. Krug, »tue ich auch gar nicht. Meine Luftchauffeure sind eifrig nach der Karte bemüht, allen Backsteinanlagen aus dem Wege zu gehen. Man macht sehr oft deswegen mit meinem Luftschiff einen großen Umweg, nur damit ich nicht daran erinnert werde, daß es Menschen noch gibt, die zwischen Backsteinen hausen. Ich höre auch nicht gerne was von den Backsteinhäuslern. Gnädige Frau, Sie können's mir wirklich glauben, mir ist die ganze Backsteinkultur sehr unsympathisch. Es schmerzt mich nur, daß einige Architekten auch heute noch Bauten mit Backsteinen ausführen. Na – Ansehen erringen ja damit diese Architekten heute nicht mehr.«

Miß Clara sandte ihrem Gatten ein Telegramm von Miß Amanda Schmidt, die auch in Locarno eingetroffen war –mit den Silbersachen.

Mr. Edgar telegraphierte ihr dasselbe, was er Miß Käte telegraphiert hatte.

Nun saßen also zwei Damen in Krugs Schloß und warteten.

»Sie werden sich gut unterhalten!« meinte Miß Clara.

 

Mr. Li-Tung saß in einer seiner hängenden Glasvillen und aß Frühstück; er spickte die Brötchen mit einem alten orientalischen Dolche auf und führte sie lächelnd zum Munde.

Danach wollte er ein Telegramm aufschreiben; er ließ sich seinen Füllfederhalter reichen – und siehe da – die Tinte war eingetrocknet.

»In den Tropen«, sagte er düster, »trocknen die besten Erfindungen ein, besonders auf den Kurian-Murian-Inseln. Ich trockne selber bald ein. Das aber muß – beim Barte des Propheten! – in jedem Falle vermieden werden. Ich schreibe mit meinem Bleistift.« Und er schrieb für sein Telegraphenamt das Folgende:

»Edelster größter der Architekten! Du mein lieber Mr. Edgar! Du bist, wie ich in den Abendblättern lese, immer noch nicht zu Hause. Du sitzest auf Sardinien. Und Mr. Löwe, den ich ja kennen gelernt habe, hat auf Malta ein Museum für die Geschichte der Glasarchitektur eingerichtet. Da bist Du ja der triumphierende Mann des Tages! Wohl dem, der so gute Freunde hat wie Du! Sei froh, daß die orientalischen Waffen gestohlen wurden. Ich gratuliere Dir! Ich gratuliere Dir von ganzem Herzen und von ganzem Gemüt. Bald spreche ich auf der Isola grande bei Euch vor. Ich grüße Euch Beide und bin Euer freundlicher guter Schutzgeist Mr. Li-Tung.«

Er gab das Telegramm seinem pechrabenschwarzen Diener, nahm wieder den Dolch in die Hand, hob ihn hoch und ließ ihn funkeln in der großen Tropensonne.

 

Das Telegramm des Mr. Li-Tung kam an in Sardinien, als man auf den Terrassen des Orchideenhotels die Abenderfrischungen einnahm. Krugs lachten so heftig, daß sie sagen mußten, warum sie lachten.

Am Tage darauf kamen weitere Glückwunschtelegramme; Mr. Webster, der auf den Fidschiinseln weilte, sagte ungeheuerlich höfliche Worte und bat tausendmal um Entschuldigung; Mr. Burns kam wieder auf die totgemachten Löwen zurück und behauptete, daß einem Löwentöter immer alle Dinge zum Besten gereichen müßten.

Mr. Werner gratulierte ebenfalls.

Mr. Krug sandte danach auch an Mr. Löwe ein sehr freundliches Telegramm.

Und das Ehepaar Krug fuhr nun endlich zum Lago Maggiore.

Miss Clara sah immerzu nach Norden und konnte vor Sehnsucht gar nicht schlafen.

»Du glaubst ja gar nicht«, sagte sie auf dem Balkon des Luftschiffes zu ihrem Gatten, während sie still in den Mond blickte, »wie sehr ich mich nach einer ruhigen Häuslichkeit sehne – und wie ich mich freue auf mein graues Zimmer, in dem das Harmonium steht. Ja!«

Sie hatte noch immer den Opalschmuck im Haar.

Unten das mittelländische Meer funkelte im Mondenschein.

Und viele Sternschnuppen leuchteten oben am Himmel auf.

Es war eine sehr ruhige Nacht.

Das Luftschiff fuhr mit dem Winde, und die Propeller bewegten sich nicht.

 

Mr. Stephan saß mit seinen Films in Genf und ärgerte sich.

Er hatte schlechte Geschäfte gemacht und ärgerte sich über Alles.

Er ärgerte sich auch über Mr. Löwe, der mit seinem – Mr. Stephans – Gelde jetzt die allerbesten Geschäfte auf Malta machte.

Und Mr. Stephan dachte darüber nach, wie er wohl die Lufträuber photographieren könnte.

Die Lufträubergeschichte hätte er allzu gern gefilmt.

»Wie«, sagte er zu sich selbst, »fang ich die Geschichte an? Ich brauche einen reichen Herrn, der vier eigene Luftschiffe hat. Und mit dem filmen wir die Geschichte auf der Insel Malta. Wo ist der Herr? Ha! Ich weiß es. Mr. Li-Tung hat mindestens vier eigene Luftschiffe. Der kann mich glücklich machen. Auf zum Telegraphenamt.«

Und er telegraphierte zu den Kurian-Murian-Inseln Langes und Breites von den großen Lufträubern auf Malta. Und dann bat er dreist um leihweise Hergabe von vier Luftschiffen mit hundert Dienern.

Er bekam folgende Antwort:

»Sie sind ja ein sehr verehrter Herr! Mein Guter, tun Sie mir den Gefallen und warten Sie ein wenig. Ich komme demnächst in die Schweiz, und da will ich Sie auch besuchen. Sie sollen mich kennen lernen. Haben Sie auch alte orientalische Waffen in Genf? Sonst bring ich welche mit. Warten Sie ein wenig. Dann wird sich alles Weitere schon finden. Ich bin Ihr ergebenster Mr. Li-Tung z. Zt. noch auf den tropischen Kurian-Murian-Inseln.«

Mr. Stephan schlug sich vor die Stirn.

Aber er verstand das Telegramm nicht.

»Am besten ist wohl«, sagte er schließlich, »ich schweige zu diesen unverständlichen Worten. Schweigen ist Gold.«

Nachdenklich öfters mit dem Kopfe schüttelnd ging er seinem Hause zu.

»Will er nun? Oder – will er nicht?«

Also rief der Mr. Stephan.

Ein alter Deutscher fragte den Mr. Stephan, wie man wohl am schnellsten zum Montblanc hinaufkäme.

»Mit einem Aeroplan!« sagte Mr. Stephan.

 

Miß Clara aber sah zum ersten Male ihre sogenannte »Häuslichkeit«; die ganze Isola grande war ein großes Schloß mit vielen Terrassen und seltsamen Türmen und sehr vielen buntfarbigen Balustraden und buntfarbigen Wänden.

Edgar hatte es so eingerichtet, daß sein Luftschiff nach Sonnenuntergang ankam; da leuchtete nun der Palazzo mächtig auf; alles elektrische Licht wurde mit einem Ruck angeknipst, und die Türme sandten große farbige Scheinwerfer seitwärts und nach oben.

Miß Amanda Schmidt und Miß Käte Bändel begrüßten die Dame des Hauses – so als wenn niemals etwas vorgefallen wäre; dem Mr. Edgar gegenüber waren die beiden Damen etwas zurückhaltend.

»Nun«, sagte Mr. Edgar zu Miß Amanda, »ich habe Ihnen noch gar nicht für die dreizehntausendfünfhundert Dollars gedankt. Es geschehe hiermit. Ich werde mich, sobald ich kann, revanchieren.«

Er küßte Miß Schmidt galant die Hand und küßte dann auch Miß Bändel die Hand, indem er sagte:

»Auf den schottischen Spaß von Borneo wollen wir nicht mehr zurückkommen. Ich danke Ihnen, daß Sie mir verziehen.«

Und Miß Clara fügte dem hinzu:

»Mein Gatte ist eine so grade, rücksichtslos in einer Linie vorwärtsgehende Natur, daß man ihm kleine Härten schon verzeihen muß. Er ist eigentlich so konsequent wie die echten Romanhelden; der Name Edgar klingt ja auch schon so romanhaft.«

»Oh!« rief nun der Gatte, »grade weil er romanhaft klingt, gebe ich mir Mühe, das Romanartige in mir zu verschleiern.«

»Ach so«, rief da Miß Amanda, »mit dem grauen Tuch Ihrer Gattin, nicht wahr?«

Das gab nun ein sehr lustiges Gespräch, und beim Souper war alles gleich so lebhaft, daß Miß Clara ganz vergaß, einen Rundgang durch die erleuchteten Palasthallen zu unternehmen.

Es ging nun spät in der Nacht noch zu den Küchenräumen, allwo Miß Amanda ihr Silberzeug aufgestapelt hatte – mit feierlicher Kerzenbeleuchtung; es sah beinahe wie eine Weihnachtsbescherung aus.

 

Am nächsten Tage kam ein Telegramm von Mr. Li-Tung aus Malta an.

»Edelster Freund«, sprach Mr. Li-Tung, »das Museum für die Geschichte der Glasarchitektur ist ja hier ganz großartig. Ja, dann kann man wohl weiter in der Welt kommen, wenn man so treue Freunde hat – wie diesen Mr. Löwe, Rechtsanwalt. Ich habe soeben mit ihm und Mr. Werner Brüderschaft getrunken. Ich gratuliere Dir zu Deinen Freunden und will mir auch Mühe geben, Dir förderlich und nützlich zu sein. Übermorgen bin ich auf der Isola grande und ganz in Deiner Nähe wieder Dein auch sehr edler Freund Li-Tung.«

Edgar gab das Telegramm lachend den Damen, und die waren nun auf den Besuch mächtig neugierig.

Am Nachmittag fuhr Edgar mit seinen drei Damen im Luftschiff um den Montblanc herum in großen Kurven.

Es wurde Nacht, und Edgar sah, daß der Montblanc ganz mit Lichttürmen erleuchtet wurde.

»Das ist ja ganz neu«, sagte er, »was alles passieren kann, wenn man mal zwei bis drei Jahre von Hause fort ist! Man erkennt dann seine Heimat gar nicht wieder. Die Lichttürme, deren Bau ich damals so sehr zur Orientierung der Luftschiffe empfahl, sind jetzt von Andern hergestellt. Nun – das freut mich doch, daß meine Ideen als richtige erkannt worden sind.«

»Sind Sie nicht«, sagte Miß Amanda, »ein wenig neidisch, daß Sie nicht mit Erbauung der Lichttürme beauftragt wurden?«

»Aber«, erwiderte Mr. Krug, »ich kann doch nicht alles bauen! Ich bin froh, wenn die Glasarchitektur siegreich vordringt. Ich selbst will . . .«

Er schwieg.

Miß Clara fragte:

»Was willst Du?«

»Mich freuen«, sagte der Gatte, »daß die Lichttürme so herrlich aussehen. Ich will den Turmwächtern gratulieren.«

Und die Scheinwerfer sandten Signale vom Luftschiff aus in die Nachtluft. Und auf den Türmen kamen auch die Scheinwerfer vor und dankten dem Architekten mit sehr viel Höflichkeit und mit prächtigstem Lichtspiel.

 

Einen Tag darauf kam Li-Tung mit vier Luftschiffen an.

»Mein größter Bauherr!« sagte Mr. Edgar zu seinen drei Damen, »da muß man sich viel gefallen lassen. Diese Dienerschaft zu bewirten, wird recht mühsam sein.«

Aber Mr. Li-Tung rief gleich beim Hinunterkommen:

»Habe keine Angst, mein edelster Freund, meine Schiffe sind mit Dienern und Architekten gefüllt, die die Herrlichkeiten des Schweizerlandes studieren sollen.«

»Hör mal«, versetzte Edgar, »es heißt: mit Architekten und Dienern. Du wirst doch Deine Diener nicht vor den Architekten nennen. Ich will nicht hoffen. In meinem großen Speisesaal können wir alle zusammen frühstücken. Meine Frau spielt auf ihrer kleinen Orgel.«

Und nach einer halben Stunde spielte Miß Clara zum ersten Male in ihrem grauen Zimmer mit zehn Prozent Gold. Hier wirkten die verschiedenen Grautöne des Glases sehr zart. Und die Gesellschaft unten wurde von den Dienern des Mr. Li-Tung bedient. Dieser bat nach dem Spiel den Mr. Krug um eine kurze Unterredung unter vier Augen.

Und da sagte der reiche Chinese:

»Freund! Ich habe in Deinem Interesse gehandelt. Ich habe Dir selber das orientalische Waffenmuseum gestohlen. Bist Du mir vielleicht böse dafür? Mr. Löwe hat Dir ja so fein aus der Affäre geholfen. Du wurdest gleich tüchtig berühmt. Weißt Du auch, daß der Ruhm immer wieder eine tüchtige Auffrischung braucht? Nu ja – siehst Du? Dafür hab' ich gesorgt. Die Auffrischung ist nötig, sonst wird der Ruhm sauer.«

»Hör mal, Li-Tung«, versetzte Edgar, während er sich auf seinen Stuhl setzte, »Du machst aber die gefährlichsten Dinge. Hast Du Löwe davon erzählt? Was sagt der?«

»Der ist«, versetzte Mr. Li-Tung, »auch ganz sprachlos, sagt, ich solle mit Dir gleich konferieren.«

Mr. Edgar raufte sich die Haare und bat um Bedenkzeit.

Und er ging zu Miß Clara in das graue Zimmer und erzählte ihr, was vorgefallen war. Miß Clara sagte lächelnd:

»Das hab' ich mir gedacht. Und wieder ist der Rechtsanwalt Walter Löwe dabei. Ich rate, da die Geschichte ein Scherz ist, ihn auch als solchen bekannt zu machen. Und Mr. Li-Tung baut in der Nähe von Gibraltar ein neues Museum für altorientalische Waffen. Mr. Werner kann's ja bauen. Und Li-Tung führt die Sachen dahin ab.«

 

Mr. Li-Tung war mit dem Vorschlage der Miß Clara ganz einverstanden.

Mr. Löwe wurde sofort benachrichtigt.

Und Mr. Werner fuhr nach Gibraltar.

Die vier Luftschiffe entfernten sich noch am selben Abend und holten die gestohlenen Waffen aus dem Innern Afrikas.

Die Architekten, die Mr. Li-Tung mitgebracht hatte, begaben sich zum großen Teile in die Schweiz, um die Lichttürme zu studieren.

Die Presse wurde gleichzeitig alarmiert.

Und da schimpfte man sehr heftig auf die Scherze der reichen Herren.

Mr. Li-Tung jedoch wurde glimpflich behandelt; man erklärte in der Presse seinen räuberischen Überfall für einen sehr guten Witz, durch den nebenbei Mr. Krug an Ansehen nur gewonnen habe.

Und Mr. Li-Tung lachte sehr.

Mr. Krug mit seinen drei Damen lachte bald ebenso; dem reichen Herrn konnte wirklich Niemand etwas übelnehmen.

 

Viele Glückwunschtelegramme kamen dieses Mal auf der Isola grande nicht an; die Menschen der damaligen Zeit rechneten immer lieber mit der Bösartigkeit als mit der Güte der Menschen.

Von Mr. Löwe kam Folgendes:

»Lieber Edgar! Wundre Dich nicht, daß ich scheinbar auch bei der Auflösung der Räubergeschichte die Hand im Spiele hatte. Tatsächlich nur scheinbar. Hier wurde die Pyramidengesellschaft in Kairo, die Du so grimmig ausgeschimpft, der Tat geziehen. Man war in Kairo sehr erregt. Und das hörte hier Mr. Li-Tung. Da zu befürchten stand, daß die Herren in Kairo sehr geschädigt werden dürften, so machte Mr. Li-Tung ein sehr ernstes Gesicht, sagte, daß er Niemanden habe schädigen wollen – und offenbarte sich Mr. Werner und mir. So der Tatbestand. Ich glaube, er spricht für die Güte des Mr. Li-Tung. Viele Grüße Deinem Hause und Dir. Dein alter Walter Löwe.«

Als Frau Clara das Telegramm sah, schüttelte sie den Kopf und fragte Mr. Li-Tung, ob sich alles so verhielte.

Der bejahte kurz und fragte nach Mr. Stephan.

Mr. Stephan erhielt dieses Telegramm:

»Mein verehrter Herr! Jetzt werden wir Ihrer bald habhaft werden. Bleiben Sie in Genf. Sie sollen abgeholt werden. Li-Tung.«

Der Geschäftsmann hatte in Genf alles vom Maltaspaß gelesen und glaubte nun, ihm solle auch ein Spaß vorgespielt werden.

Nun studierte Li-Tung die Wohnungseinrichtungen auf der Isola grande mit ungeheurem Eifer.

»Zeige mir«, sagte er zu Mr. Edgar, »zunächst mal Deine Arbeitszimmer. Die müssen ja sehr interessant sein.«

»Sind sie auch!« versetzte Edgar, und er zeigte ihm ein Dutzend Räumlichkeiten, in denen er zu arbeiten pflegte.

Diese Arbeitszimmer waren sämtlich nicht groß; ein paar hatten freien Ausblick auf den Lago Maggiore, andre dagegen gar keinen Ausblick – unten drei bis vier Meter hohe Eisenbetonwände und das Licht oben in farbigen Glasfenstern, die bis zu fünfzehn Metern hinaufgingen, während die sehr kleine Grundfläche einfarbiger dicker Tuchstoff bedeckte. Zumeist brannte in diesen kleinen Zimmern eine Wachskerze. Edgar las da viel und rauchte.

Abends fuhr man zumeist im Motorboot auf dem See herum, aß dort auch im Freien oder in der bunten Gondelkajüte Abendbrot. Mr. Li-Tung benahm sich sehr höflich zu den Damen, besonders zu Miß Käte Bändel.

»Es ist merkwürdig«, sagte er mal zu dieser, »daß unser Architekt die abschließenden Wände nur bei sich zu Hause hat. Es ist doch auch sehr wohltuend, wenn man mal zwischen ganz abgeschlossenen Wänden dasitzt und nichts von der Außenwelt durch allzu nahe Glasfenster gewahr wird.«

»Ich finde«, versetzte Miß Käte, »den Wandbelag der dunkleren Zimmer sehr interessant – besonders dunkles Linoleum mit nielloartig eingelegter Lackornamentik. Gestickte Seide an den Wänden gefällt mir auch. Felle an den Wänden gefallen mir weniger. Sehr interessant jedoch sind die bunten Kolibrifedern an der geschlossenen Wand.«

»Und mir«, fuhr Li-Tung fort, »hat die bunte Majolika an der Wand sehr gut gefallen. Wundern muß ich mich nur über die heftige Ablehnung des Holzes, das auch in den Möbeln so eigensinnig umgangen wird. Herrlich sind auch die Steinmosaikarbeiten – und Emailornament auf Metall.«

Währenddem ward es dunkel auf dem langen See, und die vielen Lichttürme der Isola grande leuchteten mit einem Ruck auf und gleichzeitig die Lichtguirlanden, mit denen die Türme unter einander in prächtigen Bogen verbunden waren. Von unten sahen die Turmkapitells sehr prächtig aus. Und die Scheinwerfer stiegen kerzengrade aus den Kapitells, die breit nach allen Seiten überkragten, empor – wie phantastische Lichtblüten.

Mr. Krug lud seine Gäste ein, im Freien auf einer der großen Terrassen Abendbrot zu essen.

Die Sterne sah man kaum, soviel Licht schwebte und schaukelte in der Luft.

Und das Licht spiegelte sich in dem mit eingelegter Arbeit reich verzierten Steinparkett.

Man fuhr auch zur Isola bella hinüber.

Und Mr. Edgar gab lächelnd zu, daß er wohl dieser Isola bella in seiner Isola grande eine Konkurrenz schaffen wollte.

»Ich habe nur«, sagte er, »auf die Flora beinahe verzichtet. Die Architektur ist nach meiner Meinung nicht freundlich gegen die Pflanzenwelt. Auch Kieswege darf der Architekt eigentlich nicht leiden. Doch wir haben ja auf der Isola bella soviel Anregendes, daß ich keineswegs behaupte, in dem Meinen überall etwas Besseres gegeben zu haben.«

»Und doch«, sagte Miß Clara, »bekommen wir morgen aus Sardinien Orchideen – oh, die sind noch herrlicher als alle Glasarchitektur.«

Edgar zündete sich eine Zigarre an – es war auf der Isola bella – und sagte:

»Das steht fest. Sie sind im Übrigen schon zu Hause angelangt – die herrlichen Orchideen – wahrlich – den Orchideen mach ich nicht Konkurrenz. Ganz bestimmt nicht! Die Natur – oder der Stern Erde – was für uns wohl dasselbe bedeutet – ist immer noch großartiger als der kleine Mensch mit seiner im besten Falle etwas schwächlichen Phantasie.«

»Du arbeitest«, rief Li-Tung, »zu heftig in Bescheidenheit. Man glaubt Dir nicht recht.«

»Dann fahren wir«, versetzte Edgar heftig, »sofort nach Hause, um die Orchideen im blauen Blumenhaus zu bewundern. Da können wir entscheiden, ob ich zu heftig in Bescheidenheit arbeitete.«

Und auf der Isola grande war man so begeistert von den Orchideen, daß Li-Tung alles zurücknahm.

 

Eines Tages kam Mr. Li-Tung zum Mr. Krug und sprach mit sehr lauter Stimme:

»Verehrlicher Freund! Jetzt glaube ich bald lange genug bei Dir geweilt zu haben. Ich rüste mich zum Aufbruch. Mein Luftschiff will innerhalb sechs Tagen hier sein. Darum müssen wir diese sechs Tage noch gründlich auskosten. Ich schlage vor: Du fährst uns drei Tage und drei Nächte hindurch in Deinem Luftschiff durch das ganze Alpenland bis nach Tirol und dann auf andern Wegen zurück nach Genf. Lach' nicht, daß ich bei Luftschiffahrten noch von Wegen rede. Das ist so die Macht der Gewohnheit. In Genf nehmen wir Mr. Stephan auf. Und dann muß er uns hier in den letzten drei Tagen ein wenig filmen. Du gestattest doch, daß ich alles dazu von meinen Dienern vorbereiten lasse, nicht wahr?«

Mr. Edgar zögerte mit der Antwort, sagte aber schließlich:

»Ja! Also wollen wir zu den Damen gehen.«

Die Damen saßen grade vor einer Balustrade am Ufer und fütterten die Schwäne.

Miß Clara sagte:

»Ja, man ist ja im Luftschiff mehr zu Hause als in seiner Häuslichkeit. Schade! Früher gab's doch noch häusliche Frauen. Die gibt's heute nicht mehr.«

Miß Amanda sagte:

»Ja, wer besitzt denn soviel, daß er immerzu zu Hause sitzen kann? Man muß Geschäfte machen. Deswegen aber müssen auch die Frauen sehr viel unterwegs sein. Ich will in zehn Tagen auf der Weltausstellung in der Lüneburger Heide sein.«

Und Miß Käte sprach:

»Ich möchte im Luftschiff um die ganze Erde rumfahren. Mir kann's gar nicht bewegt genug sein auf diesem Stern Erde.«

»Und nicht bunt genug«, fügte Mr. Li-Tung hinzu, »nicht wahr, so meinten Sie doch, meine Gnädigste?«

»Jawohl!« versetzte Miß Käte.

Das Motorboot, das die Pakete aus Locarno brachte, legte an. Und die Schwäne schwammen langsam in den See hinaus.

Edgar hatte sich Bücher kommen lassen im Gesamtgewicht von vierzig Zentnern.

 

Dann fuhren die beiden Herren mit ihren drei Damen im Luftschiff über dem Hochgebirge dahin – in nordöstlicher Richtung mit dem Winde. Am Ortler sahen sie in dreitausend Meter Höhe die großen Gletscherbeobachtungsstationen, von denen aus mit Scheinwerfern in der Nacht die Gletscher beleuchtet wurden.

Krug war dort bekannt und wurde sehr freundlich aufgenommen mit Grog und Lachsforellen.

Der oft sehr großen Kälte wegen hatte man hier die Veranden mit fünffacher Glaswand umspannt. Die Damen tranken Tee und fühlten sich so gemütlich wie in einer Häuslichkeit. Nördlich von Innsbruck fanden die Fünf Leuchttürme mit Glockenspielen. In Innsbruck selber wurde auf diesen Türmen gespielt – so, wie auf der Vierzigturmorgel Miß Clara im Tierpark Nordindien spielte. Miß Clara spielte hier auch.

Und es klang wundervoll durch die Gebirgswelt; man hatte hier nur große und kleine Glocken – nicht Pauken und Posaunen.

Am Chiemsee besuchte man mehrere Sanatorien, die alle ganz aus Glas gebaut waren. Hier pries man die Herrlichkeit des Glases so heftig, daß Mr. Krug sehr verwundert dreinschaute; er hatte sich das Beifallhören schon ganz abgewöhnt.

In Luzern kehrte man in den schwebenden Restaurants ein.

Und dann wohnte man den Lichtspielen auf dem Vierwaldstättersee bei.

»Dagegen«, sagte Li-Tung, »sind die Feuerwerkskünste, die man vor hundert Jahren hatte, aber auch Garnichts.«

Er gewann bei den Wetten hundert Pfund.

Die Preisrichter waren Frauen.

Und es wirkte eigentlich komisch, daß bei diesen Lichtspielen gewettet wurde. Es wurde immer wieder gewettet, welcher Lichtspielkomposition der erste, zweite und dritte Preis zuerkannt würde. Die Scheinwerfer kamen von den Bergen, von den Ballons und vom Seespiegel. Die Damen vom Preisrichteramt hatten jedesmal eine andre Stellung – mal in der Luft – und mal auf dem Wasser – oder in den Bergen.

Mr. Li-Tung fragte in Genf telegraphisch an, ob Mr. Stephan noch zu Hause sei. Und da dies der Fall war, drängte er zum Aufbruch; er tat sehr eilig.

 

In Genf sagte Mr. Li-Tung zum Filmfabrikanten Mr. Stephan:

»Packen Sie all Ihr Werkzeug zusammen – Grammophone und photographische Apparate. Wir werden viel zu tun haben. Wir fahren zunächst zur Isola grande.«

»Und«, fragte Mr. Stephan, »der Überfall auf der Insel Malta? Wie steht's damit? Er ist momentan nicht mehr aktuell, da ja kein Geheimnis mehr auf der Sache lastet. Scherz eines reichen Herrn – weiter nichts. Alles gelöst. Aber – ich will's vielleicht doch machen. Es müßte nur sehr kurz sein.«

»Kommen Sie nur mit!« sagte Mr. Li-Tung. Die Damen machten große Augen, als sie den berüchtigten Filmkaufmann sahen.

»Soll denn«, sagte Miß Amanda zu den beiden andern Damen leise, »wieder mal eine Hochzeit gefilmt werden ? Hm! Meinen Sie, daß ich gegen meinen Willen geheiratet werden soll?«

»Das meinen wir nicht!« sagte Miß Käte lächelnd, »aber ich bin in der Tat sehr neugierig, was daraus werden wird.«

Indem kam Edgar hinzu und sagte geheimnisvoll:

»Ich weiß wirklich nicht, was Li-Tung jetzt vorhat. Ich fürchte, daß wieder so was wie ein Überfall geplant ist. Ich bin jedenfalls auf das Schlimmste gefaßt.«

»Man sollte sich«, sagte Miß Clara, »nicht nur vor den Rechtsanwälten in Acht nehmen – man soll sich auch vor den reichen Herren in Acht nehmen. Ich bleibe jetzt jedenfalls ein ganzes Jahr still zu Haus.«

»Ich auch!« sagte Mr. Edgar und wollte seiner Frau die Hand küssen, wurde jedoch durch seinen Luftchauffeur daran verhindert, der ihm hastig sagte:

»Mr. Li-Tung will das Luftschiff bekränzen. Sind wir verpflichtet, ihm das zu gestatten?«

»Bewahre!« rief Edgar, »Li-Tung, was fällt Dir ein?«

»Du erlaubst es also nicht?« fragte der Chinese.

»Nein!« sagte Edgar unwillig.

»Gut!« erwiderte der Chinese, »dann gebe ich meinen Dienern den Befehl, die gekauften Blumen einzeln im großen Bogen aus den Kajütenfenstern hinauszuwerfen.«

Es geschah.

Edgar schwieg.

Die Damen riefen entzückt:

»Oh!«

»Oh!«

»Die herrlichen Blumen!«

Und Nachmittags kam man zur Isola grande. Und da sah Mr. Krug, daß sein ganzes Schloß von oben bis unten mit Blumenkränzen und frischen Tannenreisern geschmückt war.

Er runzelte die Stirn, mußte aber sich sagen, daß das Ganze recht hübsch wirkte.

Da er damit zufrieden schien, waren's die Damen auch.

Li-Tung lächelte.

»Verzeih!« sagte er zu Edgar.

 

Edgar sagte hastig im Schloß zu seiner Frau:

»Die Sache geht mir zu weit! Ich ärgre mich, daß ich ihm die Erlaubnis gegeben habe, das Haus zu schmücken. Daran hab' ich nicht gedacht, daß er die ganze Architektur verhunzen würde.«

»Nun sei nur ruhig!« erwiderte die Clara, »wir werden ja auch das überstehen. Ich weiß nur noch gar nicht, worauf's hinausläuft.«

Man aß Mittag im großen Speisesaal.

Mr. Stephan saß zum Filmen bereit in einer der vielen Wandlogen.

Mr. Li-Tung klopfte mit seinem persischen Dolch dreimal an sein Rheinweinglas und sagte:

»Dies ist das Zeichen zum Filmen. Jetzt haben die Herrschaften wohl die Güte, sich so natürlich zu benehmen wie auf dem Theater.«

Man lachte und löffelte die Schildkrötensuppe.

Edgar sagte:

»Grüne Schlinggewächse hängen über unserm Speisetisch. Das hat der Tisch auch noch nicht erlebt.«

»Sprich nicht zu viel«, sagte der Chinese, »es kostet Geld. Ich frage kurz und zielbewußt Fräulein Käte Bändel: wollen Sie, Gnädigste, meine Gemahlin werden?«

»Nein!« rief Miß Käte.

»Das ist mal brav!« rief Miß Amanda.

Mr. Li-Tung fragte nochmals:

»Wollen Sie wirklich nicht?«

»Nein!« rief Miß Käte nochmals, »denn so ohne Umstände macht man doch einer Dame nicht einen Heiratsantrag.«

Mr. Li-Tung klopfte sechsmal mit seinem persischen Dolche an sein Rheinweinglas und sagte traurig:

»Die Damen und Herren können sich jetzt benehmen wie sie wollen – auch sagen, was sie wollen: es wird vorläufig nicht weiter gefilmt.«

»Schade!« rief Miß Käte.

Mr. Li-Tung riß die Augen weit auf.

Draußen hörte man das Propellergesurr eines Aeroplans; im Lufthafen landete ein Herr, der sich bisher noch nicht angemeldet hatte; man nahm also weiter keine Notiz von dem unbekannten Besuch.

Das Diner verlief ziemlich schweigsam.

Dann trank man auf einer wundervollen Terrasse vor einer mächtigen bunten Glaswand, die wie Seide glänzte, den Kaffee.

Mr. Stephan erschien wieder mit seinen Apparaten im Hintergrunde.

Die Abendsonne glänzte auf dem bunten Steinfliesenmosaik.

Mr. Li-Tung klopfte wieder dreimal mit seinem Dolch an einem Wasserglase und sprach heftig:

»Gnädigste Miß Bändel! Entschuldigen Sie gütigst, daß ich so kurz angebunden Ihnen einen sogenannten Heiratsantrag zu machen wagte. Aber ich wollte es dem Mr. Edgar nachmachen.«

»Einen sogenannten Heiratsantrag!« rief Miß Käte, »mein Herr, Sie gehen zu weit!«

»Siehst Du, Clara«, rief Miß Amanda, »die hat Haare auf den Zähnen. Zu der wird Keiner von grauem Tuch mit zehn Prozent Weiß reden.«

»Ich habe«, sagte Miß Clara, »heute nicht zehn Prozent Weiß, wohl aber zehn Prozent Granaten angelegt.«

»Ich bitte«, sagte Li-Tung, »nicht zu lange zu reden, da ich selber Längeres reden möchte. Sie dürfen nicht vergessen, daß das Filmen ein sehr teures Vergnügen ist.«

»Knauserei beim Hochzeitsfilm!« rief Miß Käte, »das ist nicht einladend.«

»Ich bin kein Knauser!« rief der Chinese, »beim Barte des Propheten. Ich schwöre Ihnen, daß ich Ihnen sehr zugetan bin. Nur weiß ich nicht die rechten Worte zu finden. Wollen Sie nicht, was ich möchte? Ich fahre mit Ihnen gleich vor Vergnügen um die ganze Erde rum – und schwere Paragraphen soll's im Ehekontrakt auch nicht geben. Sagen Sie doch Ja!«

»Na ja!« rief Miß Käte.

»Hurra!« rief Mr. Li-Tung.

Man gratulierte dem Paar.

Und dann erschien Mr. Löwe auf der Terrasse.

»Der Löwe muß doch immer dabei sein!« flüsterte Miß Amanda.

Miß Clara jedoch sagte:

»Dann hat die Sache doch einen Schluß.«

Die Kontrakte wurden von Löwe gleich hergestellt und unterzeichnet.

Der Sekt floß in Strömen.

Und Mr. Stephan rief:

»Soll ich denn immer weiter filmen?«

Da sagte Miß Käte Li-Tung zu dem Filmfabrikanten:

»Nun lassen Sie's nur sein, sonst kostet die Geschichte tatsächlich zu viel.«

 

Mr. Stephan erhielt sein Honorar.

Mr. Löwe erhielt auch das Seinige.

Vom Überfall auf Malta sprach man nicht mehr, wohl aber vom Waffenmuseum bei Gibraltar – das sollte eine Konkurrenz für die Alhambra sein.

Danach fuhren Mr. Li-Tung mit seiner Gemahlin gen Westen; über Madeira, Feuerland, Makartland wollten sie nach Australien; dort wollte Miß Käte Känguruhs zeichnen.

Mr. Löwe fuhr nach Paris.

Mr. Stephan wieder nach Genf.

Miß Amanda fuhr zur Weltausstellung in der Lüneburger Heide.

Und Mr. Krug ließ die Blumen des Chinesen von seinem Schlosse rasch entfernen.

Und Miß Clara sagte:

»Ein Glück, daß sie fort sind.«

 

Mr. Krug zeigte seiner Gattin auch sein kleines Ornamentmuseum.

Hier standen die Stahlschränke in der Mitte. Wände und Kuppeln leuchteten in blau-rot-gelber Würfelornamentik.

»Dieses kleine Museum«, erklärte Edgar, »ist nur ein kleiner Beitrag zur Zahlenmystik. Ich deutete Dir schon auf Sardinien an, wie bedeutsam die drei, fünf, sieben ist. Alles ist auf die Sterne zurückgeführt. Die uralten Priester in Babylonien und an andern Orten blickten mehr zum Himmel als die andern Menschen.«

Er sprach noch sehr viel darüber, sagte auch, daß die sieben Regenbogenfarben eigentlich gar nicht sieben sind, die Sieben sei nur der fünf Planeten nebst Sonne und Mond wegen eingeführt, die sieben Tage der Woche hätten diesen Astralkörpern auch ihre Entstehung zu danken, auch in der Musik spiele deshalb die Fünf und Sieben eine so große Rolle usw. usw.

»Könntest Du nicht«, fragte Miß Clara, »wieder zur Archäologie zurückkehren?«

»Nein «, versetzte der Architekt, » wer einmal von der Glasarchitektur gepackt ist, der lebt in den Glasfarben. Aber in diesen ist natürlich die Ornamentik die Hauptsache. Der Zahlensymbolik wegen imponieren uns ja nur die alten Teppiche – sie kommen uns wie etwas Heiliges vor. Aber darum vergeß ich ja mein kleines Ornamentmuseum nicht.«

 

Auf dem Abendbrottisch lag ein Telegramm von Mr. Werner, der ganz hingerissen von der Ornamentik der alten Alhambra nur von dieser erzählte, so daß Mr. Krug sagte:

»Ich fürchte, daß dieser Enthusiast die Alhambra noch mal bauen könnte. Glücklicherweise ist er ans Glas in seinem Waffenmuseum gebunden.«

 

Miß Clara ging sehr oft in die kleinen Orchideensäle und pflegte dort die empfindlichen Blumen mit großem Eifer, tat allerdings nichts, was der Gärtner nicht gutgeheißen hatte.

Der Smaragdsaal, der mit Amethystornamentik leuchtete, war Miß Claras liebster Aufenthalt. Auch hier nur blühende Orchideen.

Sie vergaß über den Orchideen ganz ihr Orgelspiel.

 

Mr. Webster telegraphierte von den Fidschiinseln:

»Die Anlagen hier, verehrter Mr. Krug, sind jetzt so weit entwickelt, daß jetzt auch die alten Bureaubeamten Englands ein ähnliches Heim haben möchten wie die Luftchauffeure. Die Verhandlungen sind so weit gediehen, daß ich Ihnen im Laufe von zwei Monaten Bestimmtes unterbreiten kann. Teile Ihnen heute schon mit, daß Sie ganz allein als Baumeister für das Unternehmen in Betracht kommen. In vorzüglicher Hochachtung bin ich Ihr ergebenster Webster.«

Das war dem Architekten sehr angenehm, und er bat seine Gattin, mit ihm nach Venedig zu fahren – im Luftschiff.

Miß Clara willigte gerne ein; sie kannte Venedig noch nicht.

»Das Fliesenparkett auf dem Markusplatz«, sagte Edgar, »mußt Du kennen lernen. Da wirst Du bemerken, daß wir heute doch weiter sind als vor vierhundert Jahren. Vielleicht bemerkst Du das auch nicht, das wäre mir ebenfalls recht.«

Sie fuhren hin.

Und Miß Clara meinte:

»Die Ornamentik zu kritisieren – dazu bin ich noch nicht gelehrt genug. Aber für die Bureaubeamten Englands solltest Du hier in der Nähe noch ein zweites Venedig bauen.«

»Ja «, versetzte Edgar, » wir dürfen aber nicht so oft an Konkurrenz denken. Das macht zumeist unoriginal. Aber ich werd's mir überlegen.«

 

Auf der Isola grande trafen Gäste ein, die Bauherren werden wollten; Krugs mußten aus Venedig zurück.

Mr. Krug führte seine Gäste gleich in die Modellsäle.

Da waren die Kuppeln und Decken und Wände ziemlich einfach gehalten – zumeist nur zwei Farben im Glase.

Und die einzelnen Modelle standen zwischen Wandschirmen aus grauem Tuch. Die Wandschirme – zwei bis drei Meter hoch – ließen sich stellen, wie man wollte.

Da gab es Schloßmodelle, die auf den ersten Blick wie ein Haufen bunter Glaskugeln wirkten. Jedes Modell ließ sich drehen oder drehte sich automatisch, ließ sich höher heben und auch wieder senken bis zum Boden hinab.

Auch Modelle von ganz kleinen Villen befanden sich in den Sälen – und auch Anlagen von kleinen Kolonieen.

Die Besucher hatten immer sehr viel guten Willen, wenn sie sehr wenig Geld besaßen. Und wenn sie über dieses in großer Fülle verfügten, so waren sie sehr eigenwillig und wollten oft Dinge haben, die sich unmöglich machen ließen.

Miß Clara hatte von diesen Modellsälen sehr wenig Notiz genommen, jetzt ließ sie sich vieles erklären und erkannte bald, welche Arbeit in diesen Experimenten steckte. Sie begann zu photographieren und hatte bald von jedem Modell eine Reihe von Aufnahmen.

Von Mr. Burns lief ein Telegramm aus Ceylon ein – das lautete:

»Lieber Herr Krug! Zufällig bin ich hier bei den Luftforschern auf der Insel Ceylon bei Colombo. Man ist hier sehr aufgeregt, daß so viel Geld für die Lufthäfen verschwendet worden ist. Man will das vorhandene Geld nur noch für die Luftforschung ausgeben und allen Luxus vermeiden. Ich teile Ihnen dieses mit, damit Sie sich danach richten können. Man konstruiert hier große Höhenluftballons mit verschließbarer Gondel; man will über zehntausend Meter hoch steigen. Ich fürchte, daß die meisten Ihrer herrlichen Glashallen, die wie große geheimnisvolle Bergaugen glänzen, nicht fertig werden dürften. Es sind jetzt hier so viele Wissenschaftler versammelt, daß alle künstlerischen Elemente in den Hintergrund gedrängt werden. Viele Luftgrüße. Ihr dankbarer Burns.«

»Da siehst Du nun«, sagte Edgar zu seiner Frau, »wie leicht die besten Verbindungen zu den schlechtesten werden können. Glücklicherweise gilt auch das Umgekehrte, womit ich mich immer zu trösten pflege.«

 

Eines Morgens standen Krugs hoch oben auf dem höchsten Turm ihrer Insel – hundert Meter über dem Seespiegel.

Edgar sagte zu seiner Frau:

»Ich möchte Dir gerne eine kleine Freude bereiten. Aber es geht noch nicht. Das Geld ist zu knapp. Ich möchte Dir eine Turmglockenorgel herstellen lassen, auf der Du von hier aus spielen kannst, daß die großen Berge dröhnen und der Seespiegel zittert. Dazu fehlen aber die Glastürme in den Bergen, so daß die Glocken noch nicht untergebracht werden können. Vielleicht geht es mit drei Türmen.«

»Ja«, sagte Miß Clara, »aber ich weiß nicht, ob für Derartiges so viel Geld ausgegeben werden darf. Fahren wir mal wieder zum Tierpark nach Nordindien. Dort sind ja Türme und Glocken und Pauken und Posaunen in größter Anzahl da. Nebenbei muß ich Dir sagen, daß ich damals beim Spiel eigentlich gar nicht den rechten Genuß hatte. Ich denke, wir lassen die Geschichte vorläufig in Nordindien. Vorläufig bin ich mit der Orgel in meinem grauen Zimmer ganz zufrieden.«

»Ich wollte«, meinte Edgar kleinlaut, »noch einen kleinen Reklamereiz für die Isola grande schaffen.«

»Ist das so nötig?« fragte Frau Clara.

»Ja«, sagte Edgar, »man arbeitet mir jetzt an so vielen Stellen entgegen, daß ich meine Isola grande in die beste Beleuchtung setzen muß.«

»Dann wollen wir«, sagte Miß Clara, »zusehen, daß wir ohne Gebirgsorgeln auskommen.«

 

Auf dem Frühstückstisch fand Miß Clara ein Telegramm von Miß Käte Li-Tung.

Das lautete so:

»Allerliebste Clara! Sei mir gegrüßt. Wir sitzen noch immer auf der Insel Madeira. Wir reisen mit Gemächlichkeit. Denn wir haben Zeit. Außerdem ist der Wein hier ganz hervorragend. Wir sind auf zwanzig kanarischen Inseln gewesen. Da gab's so viele Kanarienvögel. Ich habe Dir ein Dutzend zugeschickt. Sie werden wohl in einigen Wochen anlangen. Wann wir auf den Kurian-Murian-Inseln sind, ist noch nicht abzusehen. Mein Gatte will da eine große Paukenorgel im Meere unterbringen – auf dessen Oberfläche sollen schwimmend ein paar hundert große und kleine Ballons verankert werden. Und auf denen soll man drahtlos trommeln und pauken können. Würdest Du wohl so freundlich sein und das neue Instrument einweihen? Du brauchst nicht gleich zu antworten. Überlege Dir's nur ein paar Monate. Wir reisen sogleich zum Feuerland und dann ins Makartland. Ich wünsche, daß es jedem Menschen so gut geht wie uns. Darum grüßen wir Euch Beide vieltausendmal, und ich bin Deine alte Käte Li-Tung.«

»Die Pauken-Käte!« rief Miß Clara.

Und Edgar schmunzelte beim Lesen des Telegramms und meinte:

»Da haben sich Zwei gefunden, die zueinander gehören. Ich glaube nicht mehr daran, daß sich die gegensätzlich geformten Naturen anziehen – im Gegenteil: der Zurückhaltende will die Zurückhaltende, der Lustige die Lustige, der Traurige aber niemals die Traurige – oder vielleicht doch?«

»Auf Li-Tungs Wohl!« sagte Miß Clara und trank ein volles Glas Rotwein aus.

 

Nachmittags fuhren Krugs im Motorboot auf dem Lago Maggiore herum.

Und gegen Abend saßen sie in ihrem Turmsalon und aßen Artischocken.

Dieser Turmsalon war fünfundsiebzig Meter hoch.

Hier hatte der Architekt aus der Kuppel einen ganz spitzen Turm gemacht. Die Grundfläche – mit dickem grauen Tuch belegt – nahm kaum fünfzig Quadratmeter in Anspruch.

Aber der Blick vom Mitteltisch aus in die Kuppelspitze hinein gehörte zum Besten, was die Isola grande bieten konnte.

Mit dem Kopf auf dem oberen Polster des Ledersessels blickten nun Beide nach oben und rauchten eine Zigarette und sahen schweigend in die bunte Pracht der Spitze – das Rote, Blaue, Grüne, Weiße, Violette – usw.

»Ja! Die Farbe!« sagte Mr. Edgar.

Und dabei schien plötzlich die Abendsonne durch das Glas der Turmspitze – und das funkelte und glühte.

»Ja! Die Sonne!« sagte Miß Clara.

Als es dunkel wurde, brachte der Diener ein Telegramm von Miß Amanda.

Der Diener zündete eine Wachskerze an.

Und Miß Clara las:

»Liebe Clara! Sage bitte Deinem Mann, daß er ganz vergessen hat, architektonische Modelle auf die Weltausstellung zu senden. Man vermißt diese Modelle. Viele Grüße Euch Beiden. Amanda.«

Edgar ließ seinen Kammerpräsidenten holen, einen alten Herrn, der alle Paketangelegenheiten zu besorgen hatte.

Der Kammerpräsident wurde beauftragt, zehn Modelle zur Weltausstellung in der Lüneburger Heide zu senden; Edgar gab ihm gleich die Nummern der Modelle.

Danach wurde Licht gemacht – elektrisches – bis zur Turmspitze hinauf.

Edgar rauchte noch eine Zigarette und blickte starr den Kopf in die Polster zurückgelehnt nach oben in die bunte Turmspitze hinein.

»Libellenflügel!« sagte er leise, »Paradiesvögel, Leuchtkäfer, Lichtfische, Orchideen, Muscheln, Perlen, Brillanten usw. usw. – alles das zusammen ist das Herrlichste auf der Erdoberfläche – und das finden wir alles in der Glasarchitektur wieder. Sie ist das Höchste – ein Kulturgipfel!«

Sie aßen dann geröstete Schnecken.

Und sie tranken ganz frisches Bier aus dem nahegelegenen Brissago.

Und dann rauchten die Beiden gute Kubazigarren und blickten wieder mit zurückgelehntem Kopfe hinauf – in die Turmkuppel hinein.


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