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Es ist dunkle Nacht, und es regnet.
Es regnet in den Olivensee zu Rakkah.
Es rauscht leise – so regnet's ins Wasser.
Es ist ganz dunkel auf der Flut, nur ein grünes Licht zieht langsam von links nach rechts und wieder zurück – dann wieder nach rechts und dann wieder nach links – wie der Perpendikel einer grossen Weltuhr.
Und hinter dem grünen Licht sitzt der grosse Chalif Harun al Raschyd in seinem grünen Kaftan mit untergeschlagenen Beinen da – mit krummem Rücken – finster brütend – unbeweglich wie ein indisches Götzenbild.
Der Chalif ist in seiner mit starker Leinewand überspannten Barke ganz allein. An sehr langen Stricken wird die Barke von einem Ruderboote gezogen, das in der Dunkelheit nicht zu sehen ist; auch nicht zu hören ist das Ruderboot; die langen Riemen sind mit Leinewand umwunden und werden sehr vorsichtig gehandhabt.
Und Harun gedenkt der Barmekiden.
Keine Thräne kommt in sein Auge; er hat in seiner Einsamkeit so viel geweint, dass er nicht mehr weinen kann.
»Warum,« murmelt er, »war ich so thöricht, an Liebe und Freundschaft zu glauben? Für meinen Glauben werde ich furchtbar bestraft. Allah will nicht, dass wir glauben.«
Hinten am fernen Ufer spielen die Flötenspieler traurige Lieder – die Weisen alter arabischer Volkslieder, die von Treue und Verrath erzählen.
Alte Bilder ziehen an den müden Augen des grossen Chalifen vorüber. Er sieht wieder seinen Djafar im gelben Kaftan mit den vielen schwarzen Perlen voll Lebenslust und Stolz.
Die Europäer sehen in ihren Opernguckern alles das, was Harun sieht.
Das ganze Schauspiel zieht noch einmal in rascher Folge vorüber – Haruns übermächtiges Glück und sein furchtbares Weh – der grosse Rausch im Sonnenschloss bleibt länger – dann aber kommt das Entsetzliche – Masrar mit seinen Henkern wüthet – und die Barmekiden sterben – langsam – in grässlicher Qual.
Die Flötenspieler flöten immerzu.
Die Barke mit dem grünen Licht geht immer wieder von rechts nach links und von links nach rechts und immer von Neuem denselben Weg hin und zurück – aber immer langsamer – immer langsamer – immer langsamer – wie der Perpendikel einer grossen müden Uhr, die bald stehen bleiben wird.
Die Flötenspieler flöten immerzu.
Und die alten Bilder sind nicht zu bannen.
Langsam rinnt eine grosse Thräne über die eingefallene Wange des armen Harun.
Der Regen rauscht.
Harun fährt auf seiner Barke langsam hin und her – die Nacht bleibt dunkel.
Der Regen rauscht.
Langsam fällt der Vorhang.
*
Der Vorhang ist grau und zeigt in der Mitte ein übergrosses braunes Greisenhaupt mit glanzlosen blöden Augen, weissem Bart und Haar und ganz eingefallenen Schläfen und Wangen.
Die hellblauen Löwen gehen langsam in einer Reihe auf die Europäer zu und bleiben dicht vor ihnen stehen.
Die Menschen sperren den Mund auf und biegen den Kopf ganz ins Genick zurück, um die riesigen Köpfe der Löwen hoch oben in der Luft sehen zu können. Die Löwen sind so furchtbar breit und gross wie Gebirge.
Und jetzt brüllen die fünf Löwen so furchtbar los, dass die Erde zittert und die Europäer auf den Rücken fallen. Das stärkste Donnerwetter ist Nichts gegen dieses Gebrüll.
Und während des donnernden Brüllens gehen die Löwen langsam wieder dreissig Schritt rückwärts, knattern noch einmal fürchterlich mit den Schwänzen und sind dann still. Pix spricht zuerst, und seine Stimme dröhnt wie eine ungeheure Riesenposaune.
»Hieraus erkennt man wieder,« sagt der Pix, »wieviel die Liebe und die Freundschaft zerstören können.«
Die riesigen Schnauzen der Löwen verzerren sich einen Augenblick – doch gleich darauf umspielt die riesigen Schnauzen ein drolliges gutmüthiges Lächeln. Und die Löwen schütteln ihre blauen Mähnen.
Knarrend sagt der Frimm: »Wir verkündeten Euch die Weisheit Salomonis!«
»Es war nur ein Schauspiel fürs Volk!« schreit heftig der Olli; ferne Echos hallen die Worte in höchsten Tönen wider.
»Hetzt uns nicht,« brummt stöhnend der Knaff, »Eure Weiber auf den Hals – die sind auf unsrer Seite, wenn sie anständig sind.«
Wieder antworten ferne Echos – diesmal dumpf – fast schauerlich.
»Nieder mit dem Hetärenpack!« fügt der Knaff noch hinzu.
»Wir können,« brummt leise der Plusa, »niemals sterben, und unsre Worte werden auch nicht sterben. Wenn Ihr das glaubt, seid Ihr schief gewickelt. Nun haben wir Euch ordentlich abgekanzelt – darum vergesst uns nicht!«
Und nach diesen Worten brüllen alle Fünf im Chore:
»Es lebe der Harem in der ganzen Welt!«
Schauerlich spotten's die fernen Echos nach – und die Löwen lachen dazu – so recht gutmüthig und freundlich.
Raifu's Riesenhaupt erscheint über dem Vorhang, im Osten blitzt es – schnell und heftig – und ein breiter Blitzstrahl schlägt plötzlich dicht vor Raifu in den Vorhang, dass der mitten entzweireisst und nach beiden Seiten in Flammen aufgeht – in hellblauen Flammen!
Und nun steht Raifu mit seiner Geisterschar ganz frei vor Europa.
»Geht nach Haus!« sagt der Riese, »und denkt über uns nach! Denkt gehörig über uns nach! Der Morgen naht! Morgenwinde thut Eure Schuldigkeit!«
Und die Morgenwinde heben die Europäer, die ganz sprachlos sind, hoch in die Luft und führen sie fort übers Meer nach Westen und Norden – nach Hause – nach Hause – – –
Wie flatternde Schmetterlinge zucken die hellblauen Blitze durch den Morgenhimmel. Der alte Löwenvater ist wach!
Die Geister müssen fort – denn der Blitz durchleuchtet schon die ganze weite Wüste – der alte Löwenvater ist schon ärgerlich!
Die Geister müssen sich sputen.
Raifu schreitet mit mächtigen Schritten dahin – lachend flüstert er in seinen Bart, in dem sich seine Zaubrer schaukeln:
»Der Orient ist gross, und Europa denkt jetzt über uns nach!«
Das Geistervolk folgt dem Riesen wie eine Windhose – wie eine Geisterhose!
Die hellblauen Löwen springen an Raifu's Beinen hoch – und der gute Riese streichelt seine schönen Thiere, dass sie knurren vor Herzenslust.
Fix geht's durch Persien durch – und während im Osten der erste Sonnenblitz über den Erdrand springt – verschwindet das grosse Geistervolk in den tiefen Felsschluchten des Demawands – fix!
Die Sonne geht auf – im Osten!
– – – – –
Der Orient bleibt gross!
*