Heinrich Schaumberger
Vater und Sohn
Heinrich Schaumberger

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Aus vergangenen Tagen.

Ehe wir dem Gang der Ereignisse folgen, ist es nötig, einen Rückblick in die Vergangenheit der Schreinersfamilie zu werfen.

Frieder, der einzige Sohn des reichen Schreinerspaule, war seinerzeit der stattlichste Bursche Bergheims; alle Mädchen fuhren an die Fenster und machten lange Hälse, wenn er im Sonntagsstaat über die Gasse schritt. Dabei hielten die Männer große Stücke auf ihn wegen seiner Rechtschaffenheit und Tüchtigkeit; seine Kameraden wären für ihn durchs Feuer gegangen; denn eine aufrichtigere treuere Seele konnte es nicht leicht geben, dazu immer heiter und fröhlich, stets zu Scherz und Neckereien aufgelegt, war er noch obendrein ein Sänger, der weit und breit seinesgleichen suchte. Frieder ward darum der Liebling der Mädchen, der Gegenstand heimlicher Wünsche und Hoffnungen; die reichsten und stolzesten Schönen warfen ihre Netze nach ihm aus und seufzten im stillen: klopfte er doch bei mir an, wie gern wollte ich ihm auftun! Allein alle Bemühungen waren vergebens; merkte Frieder 18 dergleichen, so lachte er darüber. Schon lange hatte er das schönste und bravste Mädchen im Dorf, freilich auch das ärmste, ins Herz geschlossen, und als sie ihm eines Abends gestand, sie sei ihm von Kind aus gut gewesen, war er der glücklichste Mensch unter der Sonne. Im Dorf gab es wohl ein großes Aufsehen, als es hieß: der Schreinersfrieder geht mit dem Fritzenmargtle! – Die verschmähten reichen Mädchen rümpften spöttisch die Nasen, und der Schreinerspaule schalt heftig auf die »Dummheit« seines Sohnes. – Allein Frieder ließ die Leute reden, tröstete sein Margtle und erklärte dem Vater ernsthaft: »Die Margaret ist so brav und tüchtig wie eine, wenn sie gleich arm ist. Ihr selber könnt nichts an ihr aussetzen, drum hört auf zu schelten, ich lasse doch nicht von ihr.«

Um jene Zeit begann der alte Jock zu wirten; bald saßen die Männer Tag und Nacht bei ihm, der Schreinerspaule stets am längsten; danach liefen dunkle Gerüchte durchs Dorf, beim Jock gehe es nicht sauber zu und es werde hoch gespielt – aber es blieben Gerüchte, Gewisses wußte niemand. Hätte Frieder achtgegeben, wäre ihm vielleicht die Veränderung seines Vaters aufgefallen, allein über seiner Liebe vergaß er die ganze Welt; nach und nach erst, wie der Vater immer mürrischer und verbissener in Haus und Werkstatt herumwirtschaftete, wie ihm kein Mensch etwas zu Dank machen konnte, dämmerte ihm die Ahnung auf, es müsse etwas nicht in Ordnung sein. Als sein Vater einmal nach einer durchschwärmten Nacht in die Werkstatt wankte, vor den Gesellen in Schmähungen gegen 19 Margtle ausbrach und Frieder mit Fluch und Enterbung drohte, wenn er nicht in dieser Stunde noch von ihr lasse, wallte es in ihm auf, den Hobel warf er in eine Ecke und sagte: »Ich habe ertragen, was zu ertragen war, nun hat es aber ein Ende! Tag und Nacht kommt Ihr nicht aus dem Wirtshaus – die Mutter drehte sich im Grabe um, wenn sie das wüßte! der ganze Haushalt liegt allein auf mir, und doch, brummt Euch der Kopf, muß ich es ausbaden. Ich sag' Euch, von der Margaret laß ich nicht, und wenn alle Stricke zerreißen, keine Macht der Welt bringt uns auseinander.« – Paule war bleich geworden und ging still hinaus.

Vielleicht eine Stunde später ward Frieder auf die obere Stube gerufen. Bei seinem Eintritt lag der Vater halb über dem Tisch, sein Gesicht ruhte auf den Armen, und aus seiner Hand hing ein hänfener Strick mit weiter Schlinge, den er hastig verbarg. Mit schlotternden Knien wankte er zur Tür, die er verschloß und verriegelte, dann sank er wie vernichtet auf einen Stuhl und sagte. »Frieder, ich will's kurz machen. Ich war von jeher ein schlechter Haushalter, unser Vermögen ist unter meinen Händen zerronnen wie Wasser. Jahr für Jahr mußte ich Schulden machen; was noch übrig blieb, habe ich in der letzten Zeit an den Tiefenorter Hofhannes verspielt. Viertausend Gulden hat mir der Hannes geborgt, dafür mußte ich ihm Hof und Güter, Hausgerät und Handwerkszeug, alles, was wir besitzen, verschreiben. – Heut' kommt er, und kann ich die Verschreibung nicht 20 einlösen, jagt er uns von Haus und Hof. – – Noch weiß kein Mensch um die Sache, der Hofhannes will's auch nicht lautbar machen, wenn – du seine Annelies freist. – Frieder, bring' mich nicht in die Schande; – auf den Knien bitt' ich dich, laß von dem Margtle und nimm die Annelies. – – Siehst du, wenn du's nicht tust, dann hast du mich auf dem Gewissen; an dem Strick da häng' ich mich auf, einen Fluch leg' ich auf dich und die Margaret. – – –«

Frieder lehnte bleich und stumm an der Wand, er hatte nur den einen klaren Gedanken: du bist ein Bettler! Wie im Traum sah er den Vater vor sich knien; der Strick, mit dem er sich zu hängen drohte, verwandelte sich in eine Schlange, die ihm nach dem Herzen züngelte, der Fluch, den er auf ihn zu legen drohte, riß einen tiefen Abgrund zwischen ihm und Margtle auf; dazwischen hörte er den Vater das Glück des Reichtums preisen und von der Schande, vom Elend der Armut reden. In seinem Hirn begann es zu brausen: unglücklich bist du so wie so, drum halte wenigstens den Reichtum fest; das ist vielleicht das einzig wahre Glück! – Zuletzt vergingen ihm die Sinne.

Als er die Augen öffnete, lag der Vater noch vor ihm und hielt jammernd seine Knie umfaßt; beim Anblick des Strickes zuckte Frieder zusammen, er fühlte, wie sich in ihm etwas schloß, wie sich eine eisige Kälte in seinem Herzen festsetzte. Langsam strich er sich über Stirn und Augen, mit ganz veränderter Stimme sagte er. »Steht auf! – Wann wird der Hannes kommen?« – Dann wankte er an den Tisch, 21 legte den Kopf in die Hand und antwortete nicht, was auch der Vater vorbrachte.

Ein Klopfen schreckte ihn auf – es war der Hofhannes. Das kleine, bewegliche Männchen nahm am Tisch Platz und sagte: »Wie ich sehe, hat dein Alter mit dir geredet – bist wohl arg erschrocken? – Und nun, was wählst du: – die Annelies oder den Bettelsack?«

»Hannes,« begann Frieder und rang nach Atem, »seid ein Mensch. Laßt mir die Güter; ich will Euch das Kapital ehrlich verzinsen, Ihr sollt keinen Heller verlieren.«

»Narr,« lachte der Angeredete, »meinst, ich wüßte nicht, daß eure Sachen unter Brüdern ihre fünf- bis sechstausend Gulden wert sind? – Nichts da, kurz und klar, die Annelies oder nichts! – Solltest froh sein, daß ich dir das Mädle anbiete, sie ist für dich eigentlich zu hoch, aber ein Bauer nimmt sie nicht wegen ihrem kurzen Bein, und in dich vernarrt ist sie auch, drum mag's sein. – Also – wie wird's?«

»Und wenn ich sie nehme, wie dann?«

»Die 4000 Gulden sind ihre Mitgabe; wohl gemerkt, sie gehören meiner Annelies, nicht dir. Die Schande will ich dir ersparen und die Güter auf meinen Namen überschreiben lassen; da habe ich vom Advokaten ein Ding aufsetzen lassen, worin du anerkennst, daß du die Güter nur zum Schein hast.«

»Das tu' ich nicht, nie und nimmer!«

»Gut, dann pack dich! – was du auf dem Leib hast, schenk' ich dir. – Möchtest wohl bäumen?« 22 fuhr er höhnend fort, als Frieders Lippen zuckten und seine Augen blitzten. »Nimm dich in acht! – Zum letzten Mal – willst du oder nicht?«

»Seid barmherzig! – Ich will Euch eine Verschreibung geben, als hätte Annelies fünf- bis sechstausend Gulden Mitgabe bekommen – nur laßt mir die Güter.«

»Nichts da, was der Hofhannes sagt, dabei bleibt's, dein letztes Wort – ja oder nein! Ich habe die Zerrerei satt und muß weiter.«

Zähneknirschend, mit zitternder Hand setzte Frieder seinen Namen unter die Urkunde, zerstampfte die Feder und ging hinaus. Hannes rief ihm nach: »Morgen ist Freierei, daß du mir nicht zu spät kommst.« Ehe er das Dokument in der Tasche verbarg, prüfte er genau die Unterschrift und sagte schmunzelnd zum alten Schreiner, der wie zerbrochen am Fenster lehnte: »Das wilde Füllen ist ja merkwürdig zahm, noch ein bißle scheu zwar, doch das gibt sich. – Dachte nicht, daß sich die Sache so glatt machen würde, vor dem Frieder habe ich mich wahrlich gefürchtet. – Das war ein Streich! – Die Annelies gut versorgt und deine Sachen in der Hand, ha, ha! – Na, Vettermann, auf Wiedersehen morgen! Unser Färbeln wird wohl ein Ende haben, von wegen – ha, ha! – Muß mir 'nen andern suchen, den ich rupfen kann, wenn ich's nicht lieber laß, 's ist zu gefährlich. Adjes!« Der Fluch, den ihm Paule nachschickte, verhallte ungehört.

23 Frieder ließ sich den ganzen Tag nicht blicken; erst nach dem Abendessen öffnete er dem Vater, der oft vergeblich gepocht hatte, die Kammertür mit den Worten: »Macht Euer Werk fertig, geht zum Margtle und sagt ihr auf; ich erwarte Euch hier.« Hinter ihm schloß er die Tür, warf sich über sein Bett und vergrub das Gesicht in die Kissen. In tiefer Nacht kehrte Paule zurück, tastete sich an Frieders Bett und sagte: »Da ist das Halskettle und das Tüchle, das du dem Margtle geschenkt hast, sie sagt: – –«

»'s ist gut, legt's dort auf meine Lade«, unterbrach ihn der Jüngling. »Und nun merkt auf: Ich hab' Euch den Willen getan und Euch aus Schande gerissen, nun sind wir fertig. Wie Ihr mir mit dem Strick drohtet, wie Ihr einen Fluch auf mich legen wolltet, wo ich Euch in allen Stücken gehorsam war, da habt Ihr mir alle Lieb', alle Freud' aus dem Herzen genommen. Und ich zwing's nicht, ich kann Euch nimmer als meinen Vater ehren. Vor den Leuten bleibt's beim alten, Ihr sollt keine Not haben – aber nennt mich nicht mehr Sohn, und wenn wir allein sind, redet mich nicht an. Jetzt geht!« Paule wollte in Jammer ausbrechen, allein Frieder schob ihn aus der Tür und riegelte sich ein.

Am andern Tag – es war ein Sonntag – gab es in Tiefenort eine stille Verlobung. Frieder saß bleich und stumm neben der Annelies, die es endlich seufzend aufgab, ihren traurigen Bräutigam aufzuheitern, und darüber nachdachte, ob das nun wirklich das Glück sei, von dem sie Tag und Nacht geträumt. 24 Bei dem gleichgültigen und doch so prüfenden Blick Frieders schoß ihr das Blut nach dem Kopf – hatte er jetzt Augen für ihre Gebrechlichkeit? – Und als er ruhig, eisigkalt begann: »Annelies, ich will dich in Ehren halten, weil ich lebe, aber aus Liebe nehm' ich dich nicht, ich sag' dir's vorher!« Da knirschte sie mit den Zähnen, um nicht laut aufzuschreien. Das Wasser kam ihr in die Augen, schon schwebte ihr eine heftige Antwort auf der Zunge, da traf sie ein tückischer Blick ihres Vaters, und sie ließ den Kopf hängen, zwang sich zu einem Lächeln und meinte: »Ich seh' schon, du bist wenigstens ehrlich und aufrichtig, ich will's doch mit dir probieren, die Lieb' wird schon auch kommen!« Das war so ziemlich alles, was die Brautleute zusammen redeten.

In Bergheim hatte sich unterdes ein dunkles Gerücht von der Freierei in Tiefenort verbreitet; kein Mensch wollte anfangs daran glauben, allein als immer unverwerflichere Zeugnisse einliefen, die weinende Fritzenmargaret es selbst bestätigte, ward streng über Frieder geurteilt. Am heftigsten erschrak der Bergjörg, Frieders Beichtkamerad und treuester Freund. Er konnte kaum dessen Heimkehr abwarten, eilte zu ihm und machte ihm herbe Vorwürfe. Frieder hörte ihn gelassen an. »Das ist alles ganz richtig, was du sagst, aber was hilft mir's?« – Mehr war nicht aus ihm herauszubringen, und Jörg ging endlich kopfschüttelnd heim.

Wenige Tage vor der Hochzeit verließ Margtle Bergheim. Sie hatte weit drinnen im Gebirge einen 25 Dienst angenommen. Später ging das Gerücht, sie habe einen Witwer geheiratet, viel Kinder und wenig Glück gefunden und sei bald gestorben. Frieder atmete auf, als sie das Dorf verlassen hatte; die Hirtenkathrin, die bei dem Hofhannes diente, wollte ihn auf der Hochzeit sogar einmal haben lachen sehen.

Aus dem fröhlichen, offenherzigen Jüngling ward ein ernster, wortkarger Mann. Wenige Wochen nach der Hochzeit furchten tiefe Falten seine Stirn; die finster zusammengezogenen Brauen, die trüben Blicke deuteten auf schwere innere Kämpfe, die bleichen Wangen auf schlaflose Nächte. Die Mißgestalt der Annelies erschreckte ihn und steigerte die Abneigung gegen die aufgezwungene Frau zu einem heftigen Widerwillen; je bitterer er bei ihrem Anblick seinen Verlust empfand, desto größer ward der Zorn gegen die Urheber seines Unglücks; dazu nagte es Tag und Nacht an seinem Herzen, sein Erbgut in den Händen des Hofhannes zu wissen; die Abhängigkeit von dem Mann, den er haßte und verachtete, ward ihm täglich unerträglicher. Oft stöhnte er verzweiflungsvoll: »Der Strick, mit dem der Vater drohte, wäre für mich selber das beste gewesen!«

Dagegen kam ihm wieder der Gedanke: gehen meine Widersacher damit um, mich gänzlich zu verderben – soll ich ihnen die Freude gönnen und sie ihre Absicht erreichen lassen? – Das erweckte seinen Trotz; noch fühlte er sich stark genug, sein Schicksal zu tragen, die lebendig erwachende Empfindung der eignen Kraft reizte ihn zum Widerstand. »Soll ich 26 mich von schlechten Menschen zugrunde richten lassen? – Nein und tausendmal nein; ich muß das Schicksal zwingen und den Hofhannes mit! Darum muß ich reich werden, so reich wie er selber – aber auf geradem, ehrlichem Weg – damit zwinge ich ihm die Urkunde ab. – Ja, reich will ich werden, reich und frei von Hannes, eher ruh' und raste ich nicht!« Solche Erwägungen richteten ihn auf, und es zeigte sich bald, daß es ihm Ernst war mit seinen Vorsätzen.

Von den Nachbarn schloß er sich schroff ab, Gesellschaft mied er, nur mit dem Bergbauer hielt er noch Freundschaft; aber das rechte Vertrauen bestand auch hier nicht mehr, ein Geheimnis hatte sich zwischen sie gedrängt, seine Verheiratung war der dunkle Punkt in Frieders Leben, an dem der Bergbauer nicht rühren durfte.

Daheim kam Frieder wenig aus der Werkstatt; alle Kräfte spannte er an, alle Sinne und Gedanken richtete er darauf, seinen Ruf als geschicktester Schreiner, als zuverlässigster Geschäftsmann der Gegend immer fester zu begründen; – für sein junges Weib blieb ihm keine Zeit, achtlos ging er an ihr vorüber.

Annelies litt schwer, um so schwerer, da sie nicht klagen konnte – nicht durfte. Was zwischen dem Vater und Frieder vorgegangen war, warum er so plötzlich das Margtle verlassen hatte, wußte sie nicht, fragte auch nicht danach; mit hoffender Seele war sie ihm zum Altar gefolgt. In den ersten Wochen ihrer Ehe kam sie Frieder mit Herzlichkeit entgegen, an den Augen suchte sie ihm abzulesen, was ihm Freude machen könne – vergebens; Frieder schien ihr Bemühen 27 nicht zu bemerken. Dann weinte sie, ward eigensinnig, trotzte wochenlang – auch ohne Erfolg; gleichgültig sah Frieder darüber hinweg und ließ sie gewähren. Zuletzt hörte sie auf zu weinen, aber die Tränen flossen nach innen, legten sich wie eine Eisrinde um ihr Herz und erstickten ihre Liebe.

Noch nicht nach Jahresfrist gingen die Gatten still aneinander vorüber, nicht gut und nicht böse, nur auf Erfüllung ihrer Pflicht bedacht – und die Bergheimer begannen das Glück der Schreinersleute zu preisen, rühmten sie als Muster braver Eheleute und lobten Frieder, daß er seinen Vater so gut halte.

Mit der Zeit ward Frieder ruhiger, er gab sich in sein Geschick, selbst sein Verhältnis zur Annelies besserte sich – freilich innerlich blieben sich beide fremd. Als dann der Bergjörg seinen Schatz, die Hempelsmarie von Weitersrot, heimführte, fand Annelies an der sanften, stillen Frau eine treue Freundin.

Nach einigen Jahren traten Veränderungen im Schreinerhaus ein, die den Schreinersleuten zum Segen hätten gereichen können. Wenige Tage, nachdem Annelies einem kräftigen Knaben das Leben gegeben hatte, starb der alte Schreinerspaule. Hinter dem Sarg des Vaters ward Frieder das Herz weich; hier hatte der Tod eine Schuld getilgt – dort war ein junges Leben erblüht, das, unschuldig an seinem Unglück, ihn einst lieben sollte. Daheim drückte er Annelies wortlos die Hand und verbarg sein Gesicht in den Kissen des schlafenden Kindes. Trotz der Trauer rüstete er ein stattliches Tauffest; beim Essen stieß er mit der Annelies und 28 den Paten des Kindes, den Bergbauernleuten, fröhlich auf eine glückliche Zukunft an.

Aber die Wolken am Himmel der Schreinersleute waren nur zerrissen, nicht verschwunden, bald zogen sie sich drohender zusammen denn je. Annelies empfand nicht, daß in Frieders Herzen die Liebe erwachen wollte; seine Milde und Freundlichkeit riefen ihr nur ins Gedächtnis, was sie die langen Jahre hatte entbehren müssen; in bitterer Vergeltung ging jetzt sie kalt und gleichgültig an ihm vorüber. Dazu erweckte die Zärtlichkeit, mit der sich Frieder um den kleinen Johannes bemühte, in Annelies ein Gefühl fast wie Eifersucht; sie begann zu fürchten, er könne ihr das Kind abwendig machen, und ihr armes liebebedürftiges Herz bäumte sich dagegen. Von da an suchte sie ihm den Knaben unter allerlei Vorwänden zu entziehen, ja, sie riß ihn oft mit zornigen Blicken aus seinen Armen. Frieder sah zuerst erstaunt diesem wunderlichen Treiben zu, nach und nach erst dämmerte ihm das Verständnis dafür auf – und sein kaum geöffnetes Herz schloß sich wieder. Er empfand noch schärfer als zuvor die eisige, tote Kälte in seiner Brust.

»Jetzt macht die Annelies fertig, was mein und ihr Vater begonnen haben,« rief er auf einsamen Gängen. »Ich darf nichts lieb haben, selbst mein Kind wird mir genommen! – Aber sei's drum! – 's ist wohl ein elend, erbärmlich Ding um das Leben – ich halte doch aus. Reich will ich werden, frei von dem Hofhannes, und Haus und Hof bau' ich neu auf, daß sich alle Leute verwundern sollen – das ist 29 mein Glück!«– Der alte Trost mußte auch diesmal aushelfen.

Johannes verlebte eine freudlose Jugend im Elternhaus; der Vater war ihm entfremdet, und die Mutter machte ihn früh zum Vertrauten ihres Kummers. Ohne zu bedenken, welche Gefahren der jungen Seele daraus erwuchsen, legte sie ihr Leid auf sein Herz, ja, sie sagte rundweg: er dürfe den Vater nicht lieben, müsse allein zu ihr stehen. Mit tränenvollen Augen sah dann der Knabe zur Mutter auf, er hätte so gern geholfen: aber den Vater mußte er lieben; je strenger es die Mutter verbot, desto mehr. So wurde ein Zwiespalt in seine Seele gelegt, der seine jugendliche Heiterkeit zu untergraben, sein ohnedies nach innen gekehrtes Wesen zu krankhafter Frühreife zu steigern drohte.

Es war ein Glück, daß er im Bergbauernhaus seine zweite Heimat fand; im Umgang mit der kleinen Auguste ward er wieder zum fröhlichen, unbefangenen Kinde.

Frieder liebte Johannes nicht; er hatte sich einen frischen, derben Buben gewünscht, keinen »Kopfhänger«, »Dämling« und »Duckmäuser«, wie er den Knaben verdrießlich nannte. Später trat der tiefe, innere Gegensatz zwischen Vater und Sohn schärfer hervor.

Als einst in der Heuernte die Braune, Johannes Lieblingskuh, vor dem Wagen unruhig ward, und Frieder das Tier in leidenschaftlicher Erregung mit Füßen trat, suchte ihn Johannes weinend hinweg zudrängen und war lange nicht zu beruhigen.

»Du bleibst ein Heulmaul!« sagte Frieder ärgerlich. »Ich hätte die Kuh nicht ertreten. Vor einem richtigen 30 Bub muß Vieh und Geziefer davonrennen, wenn er sich nur blicken läßt!« – Ein andermal kam er dazu, als sich Johannes mit zwei älteren Dorfbuben raufte, die im Schreinersgarten Sprenkel nach Rotkehlchen stellten. »Du bist ein Dämling!« fuhr er den erschrockenen Sohn an. »Läßt dich prügeln eines lumpigen Vogels willen, statt daß vor dir stundenweit kein Vogel und kein Nest sicher sein sollte!«

Wäre Johannes nicht eine jener kerngesunden Naturen gewesen, deren innere Kraft unter dem Druck wächst, die sich um so fröhlicher entwickeln, je mehr Hindernisse sie zu überwinden haben, er hätte zugrunde gehen müssen. Aber gerade solche Vorgänge, die Verhältnisse im Elternhaus erweckten frühe in ihm ein Gefühl der Selbstverantwortlichkeit. Wußte er sich im Recht, wenn der Vater schalt, so ging er stille davon, ohne sich beirren zu lassen; wollte die Mutter vor ihm den Vater erniedrigen, suchte sie ihn in ihre Leidenschaft hineinzuziehen, dann sah er sie ernst an, und sie verstummte. Als er nach seiner Konfirmation ein tüchtiger, zuverlässiger Geselle ward, ging eines Tages Frieders Herz auf; er beklagte sich bitter über die Zurücksetzung, die er von Johannes erfahren müsse, und schalt, daß Johannes allein zur Mutter stehe. Johannes ließ den Vater ausreden, dann sagte er ruhig. »Ich halte nicht bloß zur Mutter, ich habe Euch lieb, eines wie's andre. Aber die Mutter braucht mich mehr als Ihr, warum macht Ihr sie weinen?«

Frieder wollte auffahren, aber vor dem Blick seines Sohnes ging er hinaus. Von da an war das letzte 31 Band zwischen ihnen zerrissen; Frieder begann Johannes zu fürchten, und von Furcht zum Haß ist nur ein kleiner Schritt.

So vereinsamte Johannes mehr und mehr; oft ertappte er Vater und Mutter auf mißtrauischen Blicken, beide fürchteten in ihm einen heimlichen Gegner. Sein Trost blieb das Bergbauernhaus. Dort fand er Teilnahme und Liebe; Auguste, sein Schützling noch von Schulzeiten her, war seine schwesterliche Vertraute; sie half ihm sein Leid tragen und sorgte durch ihr harmloses, frisches Wesen, daß er kein Kopfhänger wurde. 32

 


 


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