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Ein Schwalbenstreich.

Am Rande des großen weißen Marmorbassins saßen in langer Reihe die Schwalben. Das blaßgrüne Wasser schaukelte noch ganz leise von ihrem Geplätscher, die langen Schatten der Badezellen bedeckten drei Viertel des eingeschlossenen Vierecks schon mit weichem Blau, nur eine Ecke des Raumes lag noch im vollen Golde des Abend. Die Schwalben rückten immer weiter dem langsam schwindenden Sonnenschein nach – der tiefe volle Glanz spiegelte sich leuchtend in den silbernen Tröpfchen, die von ihren Umhüllungen niederrieselten. Dabei schwatzten sie mit unglaublichem Eifer; dieses laute, lustige, melodische Durcheinander paßte wundervoll in den lauen Sommerabend hinein.

Es waren ihrer sechs: die kleine, zigeunerbraune, ruhige Agnes Gentz, genannt die Nuß, Hannchen Hanau, die schlanke, schneeweiße, mit den dunkelblauen Augen und dem rötlichen Haar, die beiden goldblonden, braunäugigen Cousinen, Anna Maria von Hahrlitz und Anna Maria Lutz, die fast wie Zwillingsschwestern aussahen, dann Mieze Fabrizius mit dem klugen Knabenkopf und endlich Ruth von Kronau, das Schelmchen.

Sieben gehörten eigentlich zum Schwalbennest. Aber die siebente im Bunde fehlte immer bei diesen lustigen Dienstagabendstelldicheins im Schwimmbassin; sie mußte fast immer fehlen, wenn die andern, selig ihre Jugend genießend, zusammensteckten; eigentlich hatte sie dem Kränzchenbunde gar nicht beitreten gewollt; es sei ja Torheit für sie! Aber die sechs Schulgenossinnen hatten sie dann beinahe mit ihren Küssen und Bitten erstickt und ihr feierlich erklärt, dann würde überhaupt kein Schwalbenbund geschlossen; sie gehöre dazu; sie sei der Schmuck des Ringes; bei sich brauche sie das Kränzchen selbstverständlich nicht abzuhalten; daß in dem einen Wohnzimmer mit den zwei lernenden kleinen Brüdern kein Platz dafür sei, sähe man vollauf ein. Aber sie müsse im Hause bei den andern immer dabei sein. Sie müsse! Sie müsse! – – So wurde sie kurz und bündig zum Ehrenmitglied ernannt.

»Die Reizende«, »die Entzückende«, von der die sechs Schwalben im Abendsonnenschein schwatzten, das war sie, der fehlende Liebling, die arme, sanfte, fleißige Elisabeth.

»Und kurz und gut!« sagte Hannchen Hanau und schwang den Lilienstengel, den ihr das Schelmchen – als Zepter zu dem langen rotumsäumten Badekönigsmantel – vorhin in die Hand gedrückt. »Das ganze Waldfest ist verdorben! Sie muß dabei sein oder wir schieben die ganze Sache auf. Dann verregnet es wahrscheinlich, so geht es ja immer; – es ist eben nichts auf der Welt – «

Marie Fabrizius schüttelte die kurzen Locken. »Hanne, geh, kohle nur nicht gleich! Einen sechzehnten Geburtstag kann man doch nicht verschieben! Und nachgefeierte Feste sind ein Unsinn.«

»Das ist wahr! Das sind sie!« riefen die beiden Annamarien mit ihren klaren Stimmen und tauchten zugleich die Spitzen der weißen Füßchen, einander neckend, in die nur noch leise schwellende Flut.

»Die Alte wird es doch einen Tag ohne Elisabeths Vorlesung aushalten können; – da Liese morgen nachmittag doch keine Stunden zu geben hat«, überlegte die zierliche braune Nuß.

»Hu, die Alte«, machte das Schelmchen. »Die ist die Schlimmste. Die besteht auf ihrem Schein. Wenn sie Mittwochs nicht ihre italienische Vorlesung hat, kann sie Donnerstag in ihrem Kaffeekranz nicht groß tun vor den Strickstrumpfschwestern. Und sie zahlt der armen Liese ja auch vier Mark für den Nachmittag. Die Liese nennt's rührenden Bildungsdrang; die ist ja so himmlisch gut. Ich sage, es ist Dicktun von der alten Hahnischen. Sie hat geerbt, nun schämt sie sich, daß sie früher mit Nestern handelte – «

»Ruth! Seit wann legst du dich denn aufs Lästern?« flüsterte die eine Anna Maria.

»Nein!« rief das Schelmchen laut. »Ich lästere nicht! Es ist so! Wär's nicht um meine goldige Liese, es wäre mir ja ganz gleich. Aber bei wem meine schöne Prinzessin Sklavendienste tut, das kann mir nicht gleichgültig sein. Mamas Jungfer kennt die alte Hahnisch – «

»Schelmchen, nun still!« gebot die Fürstin mit dem Lilienzweig, »Wir können höchstens Stimmen sammeln, also: soll ich meine Geburtstagsfeier verschieben?«

»Nein«, riefen alle fünf. «Ihr habt ja schon alle Einladungen ausgegeben. Elisabeth muß frei werden!«

»Wir gehen noch einmal hin zu ihr – «

»Oder wir gehen zur alten Hahnisch«, riefen die Cousinen, und ihre süßen, klaren Gesichtchen leuchteten vor Güte.

»Im schlimmsten Falle kommt die Liese nach der Vorlesung aufs Waldschloß nach«, tröstete die Nuß, zu Schelmchens großem Entsetzen.

»Was?« rief sie, »das sag' ich euch, dann könnt ihr Wolfgang auch suchen bei den Scharaden und lebenden Bildern. Laßt euch dann nur von euren Studenten und Fähnrichen raten. Ich kenne meinen Herrn Vetter und seine Brummlaune, wenn die Süße, Entzückende fehlt. Er gibt's nicht zu – natürlich; aber wir sind auch nicht von gestern. Wir sehen tiefer. Er schwärmt für die einzige Elisabeth!«

»Und Schelmchen für den Vetter!« hauchte Johanna der Kleinen ins Ohr.

»Unsinn!« erwiderte sie glühend rot, und niemand sah, wie es dabei verstohlen um ihr liebliches Mündchen zuckte. »Kinder«, rief sie auf einmal ausgelassen und breitete in heiterem Überschwang die Arme aus, »ich hab's! Ich hab's! Elisabeth wird befreit! Das Waldfest kann stattfinden! Mein Herr Vetter soll sich freuen, soll selig sein – «

»Nun, wie? Wie? Schnell, sag'«, schwirrte es ungeduldig.

» Ich lese der Alten vor – «

»Du? Du kannst ja gar nicht Italienisch – und du mußt doch auch dabei sein« – –.

»Nein, nein, das war nur ein Witz! Ich will auch gar nichts gesagt haben. Natürlich bin ich dabei! Aber – – ich verrate nichts«, rief das lebhafte Geschöpf in sprudelndem Eifer. »Fragt mich nicht! Fragt mich nicht! überlaßt es mir! Ich habe einen herrlichen Plan! Laßt euch daran genügen, daß Elisabeth morgen um drei mit am Dampfschiff erscheint, schön wie ein Traum zu schauen.« –

»Das wäre ja wunder-, wundervoll!« jauchzte Hannchen. »Nein, Schelmchen! das kannst du gar nicht möglich machen!«

»Das mache ich möglich! Meine Hand darauf!«

Der letzte Sonnenstrahl streichelte liebkosend das junge verheißungsvolle Gesicht. Die Schwalben huschten auf, und alle sechs schüttelten einander die Hände. Die beiden Blonden stäubten die letzten Tröpfchen aus dem feinen offenen Haar. Dann flogen sie alle, fest in die weißen Mäntel gewickelt, kichernd und zwitschernd in ihre Zellen. Nach zehn Minuten entschwebten sechs sehr niedliche und elegante junge Damen als letzte Badegäste dem hohen steinernen Tor der großen Schwimmschule.

An der nächsten Straßenecke stoben sie auseinander.

»Also auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen morgen früh! – Und nachmittag um drei am Schiff! – Herzensschelmchen, Strickchen, unsere Hoffnung beruht auf dir! Mach' deine Sache gut! –

Noch einen Kuß! Adieu! Adieu! Adieu!«

* * *

Die arme schöne Elisabeth staunte nicht wenig, als sie am nächsten Mittag, in der vollen Sonnenglut von ihren Nachhilfestunden nach Hause zurückkehrend, ein Briefchen von dem alten Fräulein Hahnisch, aus ihres blassen Mütterleins Hand empfing. Die sonderbaren ungelenken Schriftzüge der alten Schülerin ließen sich nicht verkennen. Fräulein Hahnisch schrieb:

Mein liebwertes Fräulein Elisabeth!

Die italienische Lesung aus Ihnen nicht berührendem Grunde heute ausfallend! sende anbei Honorar und werten Gruß.

Natalie Hahnisch.

Die selig Befreite hatte nicht lange Zeit, über die sie nicht berührenden Gründe nachzudenken. Das traf sich einzig schön. Die kleine Zofe von Commerzienrat Hanau war, wie die Mutter erzählte, heute früh schon dagewesen, um Fräulein Hannchens Dank für Elisabeths herrlichen, selbstgezogenen Myrtenstock zu überbringen und um in ihrem und ihrer Eltern Namen noch einmal dringend bitten zu lassen, Elisabeth möge nicht am Feste fehlen. Wie eine weiche Welle schwoll Freude und Wehmut in des jungen Mädchens Brust empor. Diese lieben glücklichen Kinder alle! Wie wohl tat ihre aufmerksame, zarte Liebe dem tapferen, mühsam kämpfenden jungen Geschöpf! Elisabeth war nicht viel älter als die anderen, aber der Ernst der Armut und Sorge hatten die Tage ihrer Kindheit gedehnt und die nun kaum Siebzehnjährige weit über ihr junges Alter hinaus gereift. Die lachende Freude der Jugend an fröhlichem, rauschendem Verkehr, an Lust und Tanz lag ihr fern – aber in diesem Augenblick war es, als höbe sich, von der überwältigenden Liebe der jungen Freundinnen leise gelüftet, auf einmal ein Schleier von ihrer ernsten Seele, und vor den schönsten Augen lag frei und golden die Aussicht auf einen strahlenden, waldduftigen Sommernachmittag.

Das Mittagessen dauerte der sonst so geduldigen Elisabeth heute viel zu lange. Sie hatte das einfache weiße Kleid, Mütterchens Weihnachtsgeschenk, noch mit ein paar blaßrosa Schleifen zu schmücken, die schweren Zöpfe mußten noch einmal geflochten und zierlich aufgesteckt werden – ein paar helle Rosen für das Gürtelband konnte Maxchen schnell aus dem nächsten Blumenladen holen – »ich sehe dir dafür morgen früh deinen Aufsatz durch, mein Alter«, versprach sie ihm; es hätte des Versprechens aber gar nicht bedurft, den beiden Jungen war es selbst wie ein Feiertag, die Schwester so heiter und erwartungsvoll zu sehen. – Die ganze Wonne der Freiheit sprach aus ihrem Gesicht. Ach ja, es war ein herziger Tausch! Die Stunden bei dem alten Fräulein waren zwar nicht der schwerste Teil ihres Berufs, aber doch ein beträchtliches Stück Arbeit! Wie weit das Verständnis der wunderlichen alten Bildungsfanatikerin für Elisabeths geliebtes Italienisch, die Sprache ihres frühverstorbenen Vaters, ging, war schwer zu ermessen. Die Alte war unermüdlich im Zuhören, und doch wieder so lähmend, so unerträglich indifferent! Die grobe Baumwollenhäkelei in den Händen, saß sie ihrer Vorleserin stundenlang mit steifer Würde, unbewegt, fast wortlos gegenüber. Nur selten unterbrach sie mit einem Hm! Ja! Ja! Das ist wahr! meist an ganz unpassender Stelle, den melodischen Vortrag. Ließ Elisabeth sich zu einer kleine Erörterung oder Erklärung hinreißen, so klang es immer verdrießlich: Freilich! Schon recht! Nur bitte weiter! Dann am Schlusse der Lektüre immer dasselbe verzückte: »Nu eben, eine herrliche Sprache! Eine elegante Sprache, Italienisch gehört zur Bildung! Unbedingt zur Bildung!« – und dann das übliche Gläschen Rosenlikör und das übliche vertrocknete Küchelchen – so ging es nun seit einem Vierteljahr, bedrückend monoton, dem Mädchen war es manchmal, als habe sie ihren vergötterten Dichtern eine Entweihung abzubitten.

Aber heute nachmittag sollte das, sollte alles Traurige und Drückende vergessen sein!

* * *

Schelmchen hatte nicht pünktlich zur verabredeten Zeit am Schiff eintreffen können und schickte vor der Abfahrt einen Boten: sie komme mit dem nächsten Dampfer nach dem Waldschloß nach. Eine kleine Welle des Bedauerns lief durch die unter dem flatternden Zeltdach versammelte Festgesellschaft; aber – die Wahrheit zu sagen – es war nur eine rasche aufschäumende Sturzwelle, die sich bald verlief. Man war in zu gehobener Stimmung. Elisabeth war an Bord!

Es war ein märchenhafter Nachmittag: eine Stromfahrt im Sonnengold mit leise wehendem, leichtem Wind – junger Übermut, aufschäumende tolle, törichte Seligkeit, und dazwischen mancher tiefere weichere Ton voll verhaltener Innigkeit, manche traumhafte sehnende Ahnung von noch holderem Glück. Das schöne Geburtstagskind, das in dem breiten Hut mit den weißen wehenden Federn noch zarter und schneeiger erschien, als sonst, hatte das Zepter ihrer Macht heute stillschweigend in andere Hände gegeben. Ohne daß sie es ahnte, war Elisabeth die Königin des Tages. Herr Wolfgang von Wilm, Schelmchens Verwandter, der junge angehende Architekt, der bedeutendste und eigenartigste unter den Brüdern und Vettern, welche die gewöhnliche Ritterschaft der Schwalben bildeten, ward nicht müde, Scharaden und Bilder zu planen, die auf irgend eine feine, unmerkliche Weise »die Reizende« feierten und in den Vordergrund rückten. Elisabeth ging auf jeden guten Vorschlag frisch und fröhlich ein – der Schleier lüftete sich mehr und mehr – beinahe glich sie heute den anderen, den harmlosen, den glücklichen, denen das ganze Leben verfloß, wie ihr dieser eine Tag.

Durch einen kleinen romantischen Tannengrund führte der Weg vom hügeligen Stromufer nach dem lieblich versteckten Waldschlößchen landein. Dort klangen schon die Fiedeln, der kleine Tanzsaal war mit Blumen und Tannenzweigen bekränzt, im freundlichen Wirtsgarten schaukelten schon die Lampions für den Abend über den blumenbesetzten, weißgedeckten Kaffeetischen. Nach lustigem Schmause kam die große Polonäse durch Garten und Säle, der Kommerzienrat Hanau führte sie selbst mit Elisabeth an.

Schade, daß Schelmchen nicht kam. Man hatte sie in der ersten Lust ein Weilchen entbehren können, nun aber durfte der liebe lustige Kamerad nicht länger fehlen. Man wollte die kleinen Aufführungen beginnen, ganze Körbe voll von Kostümstücken und phantastischem Flitterkram zu allerhand Verkleidungen standen in den Kammern neben der kleinen Bühne bereit. Schelmchen hatte schon mehrere Schiffe versäumt; man gedachte ihres gestrigen Versprechens; man fragte Elisabeth, aber Elisabeth hatte schon vorher erklärt, mit ihrer heutigen Freiheit habe Schelmchen nichts zu tun; ihre alte Schülerin habe sie heute zufällig freigesprochen.

Die beiden Annemarien, die heute gar lieblich aussahen in ganz lichten wasserblauen Sommerkleidern, schritten der Erwarteten mehrmals ein Stückchen vergeblich durch den Waldgrund entgegen; da ihr Verschwinden aber wieder ein paar neubackene Fähnriche zu sehnsüchtigen Entdeckungreisen veranlaßte, so hätte das Einandersuchen schließlich kein Ende genommen, und es war ganz gut, daß Herr von Wilm bestimmte, die Darstellung des ersten lebenden Bildes müsse nun ohne Ruth beginnen.

Wolfgang von Wilm war ein Meister im Arrangement origineller und künstlerischer Situationen. Sein lebhafter Sinn für alles Malerische, seine ganze Schönheitsschwärmerei kam bei den rasch improvisierten kleinen Darstellungen zur Geltung. Dank seiner Anreizung verging fast kein Zusammensein der jungen Leute mehr ohne den bis zur Leidenschaftlichkeit beliebten Scharadensport. Auch heute vergnügte sich das junge Volk – die Hälfte immer aufführend, die Hälfte ratend – wieder stundenlang an dem entzückenden Spiel. Meist waren es ernstschöne poetische Darstellungen mit scherzhaften, übermütigen Lösungen, die man wählte.

Bei jedem gelungenen Bild, bei jedem Auflachen nach erfolgter Lösung wurde Schelmchens Abwesenheit aufs neue bitter beklagt.

»Nun kommt sie nicht mehr!« klagten die Mädchen, als die beiden treuen Annemarien mit ihren Rittern vom Flußufer zurückkehrten, wo sie – eine lange Vorbereitungspause der Darsteller benutzend – das Sechsuhrschiff, das letzte, das die Freundin hätte benutzen können, erwartet hatten.

Aber sie kam doch noch. Der rot Baumwollenvorhang flatterte gerade vor dem letzten Bild – Elisabeth als Fee darstellend, die Blume in der Hand, Wolfgang als vor ihr knieenden Hirten – auseinander, als draußen leichtes, im Saale vor lauter Entzücken nicht vernommenes Räderrollen ertönte; ein hohes Wägelchen, das auf glatten Waldwegen wie im Fluge längs des Flusses von der Stadt dahergerollt war, hielt vor dem Waldschloß; und im nächsten Augenblick schwebte etwas Lächelndes, Rosiges, Verklärtes, einem lichtbestrahlten Abendwölkchen gleich, unbemerkt in den Saal. Das schöne Bild auf der Bühne hielt aller Augen so gefesselt, daß man ein so bescheidenes Wölkchen wohl ein paar Augenblicke übersehen konnte.

Schelmchen hing dafür mit großen, selig erweiterten Blicken unverwandt wie an einer überirdischen Erscheinung an dem vom Abendgolde umwobenen Bilde Elisabeths.

»So schön, so herrlich zu sein«, dachte sie hochklopfenden Herzens in Wehmut und Entzücken. »Nur einen Tag, eine Stunde so schön zu sein – es wäre eine Seligkeit! – Wolf, du Schlimmer, du Lieber, ich verstehe es, daß du sie lieben mußt! Ich gönnte sie auch keinem anderen, als dir!«

Und mit lautem Jubel stimmte die kleine Ruth in das Händeklatschen und Beifallrufen ein, das den Saal nun füllte. In die helle Lust über das Bild mischte sich bei den anderen auf einmal die Entdeckungsfreude, daß sie da war, daß sie noch gekommen war, so heimlich, so verstohlen, die man so sehnsüchtig herbeigewünscht.

»Ruth! Ruth! Wo kommst du her?« Und: »Gegrüßt, liebes Fräulein! Liebes, böses Schelmchen, beichte, wo bist du gewesen? Was hast du getrieben?« riefen sie in lebhaftem Durcheinander auf Schelmchen ein.

Die Darsteller waren von der Bühne heruntergekommen, die ganze Gesellschaft stand jetzt um das lachende, triumphierende Schelmchen her. Auch der Hirt, der die blaue, zaubermächtige Glockenblume noch in der Hand trug, und die allmächtige Fee selbst eilten in ihren malerischen Verkleidungen mit herbei.

»Bäschen!« rief der junge Architekt, »das sind mir schöne Geschichten! Ich frage dich hier im Namen meiner vetterlichen Autorität – Ausflüchte werden bei Polizeistrafe verboten: – wo bist du solange gewesen?«

»Schelmchens Schelmenaugen streiften einen Augenblick mit wunderlichem Aufleuchten von ihm zu Elisabeth. Dann klang ein silbernes Lachen durch den Saal; sie flog auf die »Herrliche« zu, schlang ihre weichen Arme um deren Hals und rief übermütig:

»Diese da habe ich ausgelöst! Schade, Wolf, daß du das alte Fräulein Hahnisch nicht kennst! Denke dir, ja denkt nur, ihr alle, ich, ich habe dem Fräulein Hahnisch heute Italienisch vorgelesen. Ich fragte sie gestern sehr höflich, ob ich Liese heute vertreten dürfe; – auf meine Bitte hat sie Liesen die Stunde heute abgesagt – «

»Solch ein Unsinn! Rede doch vernünftig!« riefen die Schwalben durcheinander. »Du kannst ja selbst kein Wort! Wie war es denn? Was hast du denn angestellt?«

Elisabeth war ganz bleich geworden.

»Du hast mir doch nichts Unangenehmes eingerührt, schlimmer Wildfang?« fragte sie, ernst und angstvoll.

Das Schelmchen lachte wie toll.

»Tröstet euch, tröstet euch nur alle!« triumphierte sie. »Siehst du, Elisabeth, ich hatte recht! Ich habe dir's ja immer gesagt, sie versteht deine herrlichen Vorträge gar nicht! Ich habe ihr einfach Französisch vorgelesen«. – Schelmchen zog mit spitzen Fingern ein zerlesenes Schulbuch aus der Tasche – » trois mois en Touraine – manchmal ein a, und ein o als Endung an die Hauptwörter! »Nun eben, eine herrliche Sprache, gehört zur Bildung, dies Italienisch!« sagte sie, als ich das Buch zuklappte. Ein Rosenschnäpschen sollte ich zum Dank haben – aber unten wartete schon der Wagen, Papa hat mir das Kabriolett mit den Füchsen erlaubt – da bin ich in einer halben Stunde euch nachgekommen.«

* * *

Herr Wolfgang von Vilm hat im Laufe des fröhlichen Abends manchen dankbaren Blick auf das heute von allen ausnehmend gefeierte Schelmchen geworfen. – Ganz und gar verstanden hat er das kleine lachende Ding wohl nicht. Welch ein zarter Zug von Güte, von wehmütiger Entsagung durch ihre schelmische Aufopferung ging, hat er nie geahnt. Aber der unerschrockene, übermütige Witz hat seinem frischen Künstlerherzen ganz gewaltig imponiert.

In der Chronik des Schwalbenbundes bildet das ganze Ereignis eins der unsterblichsten Kapitel – eins jener Kapitel, bei denen das Herz der nun längst zu Frauen herangereiften Freundinnen heute noch durchzuckt und ergriffen wird von dem ganzen Zauberhauch glückseliger Jugend. Wie waren jene Zeiten schön!

Das Leben hat auch die Glücklichen nicht alle verschont. Aber sie haben sich alle bewährt. Manche der verwöhnten, übermütigen Kinder sind dem geliebten Mann in schlichte einfache Verhältnisse gefolgt, wo sie lernen mußten, manche Sorge mit tapferem Mute zu tragen. Die beiden holden zarten Annemarien wissen als die Frauen unbegüterter Leutnants ein Lied davon zu singen, wie nahe Glanz und Entbehrungen, großes Glück und große Sorgen beieinander liegen können. Die arme schöne Elisabeth hat sich sehr reich und sehr glücklich verheiratet. Wolfgang wurde ihr Gatte nicht. Seinem lebhaften, sprudelnden Sinn war jede Fessel vorläufig noch zu eng. Er trieb sich lange Jahre in der weiten Welt umher, erntete viel Ruhm und Ehre und gestand sich, als er Elisabeths Verlobungsanzeige empfing, daß seine Jugendneigung die wahre, ewige Flamme doch nicht gewesen war.

Als reifer Mann stand er nach langen Jahren der kleinen treuen Ruth, der einzigen von den Schwalben, die noch unvermählt geblieben, wieder gegenüber. Ihre sonnige Heiterkeit war noch nicht geschwunden, aber er verstand es jetzt besser, unter der lachenden Oberfläche die in tiefster Tiefe ruhenden goldenen Schätze zu erkennen.

Sie ist mit tiefem Dank gegen Gott die Seine geworden.


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