Max Sauerlandt
Über die Anfänge der Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert
Max Sauerlandt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel 1.

»Die Kunst mag ein Spiel sein,
aber sie ist ein ernstes Spiel.«
Caspar David Friedrich an Philipp Otto Runge. 4. Okt. 1808.

Die deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts ist aus dem Geiste der Romantik erwachsen. Was der klassischen Epoche der deutschen Literatur versagt blieb, ein würdiges Gegenspiel auf dem Gebiete der bildenden Kunst, wurde der jungen Bewegung zuteil. Selbst Goethes Sorgen für eine klassische Kunst in Deutschland blieb unverstanden und ohne unmittelbaren Erfolg, es wirkte, im Anfang wenigstens, nur dadurch, daß es zur Kritik herausforderte, allgemein belebend, freilich in anderem Sinne, als Goethe selbst es gewünscht hatte. Denn noch entschiedener als die poetische Romantik, die denn überall doch an Goethe anknüpfte, von ihm ihren Ursprung nahm, erstarkte die romantische Malerei in der Kritik an der klassischen Kunstdoktrin, die Goethe vertrat. Hier mißkannte er einmal die Bedürfnisse und die Fähigkeiten der jungen Generation, die sich anschickte, eine neue deutsche Kunst aus sich selbst hervorzubringen, indem er ein Ziel steckte, das – richtig verstanden – noch heute, nach hundert Jahren vor uns liegt.

»Indem wir nun aber, – so heißt es in der ornamentalen Art des goethischen Altersstiles in den Tag- und Jahresheften 1802 – uns auf jede Weise bemühten, dasjenige in Ausübung zu bringen und zu erhalten, was der bildenden Kunst als allein gemäß und vorteilhaft schon längst anerkannt worden, vernahmen wir in unsern Sälen: daß ein neues Büchlein vorhanden sei, welches vielen Eindruck mache; es bezog sich auf Kunst, und wollte die Frömmigkeit als alleiniges Fundament derselben festsetzen. Von dieser Nachricht waren wir wenig gerührt; denn wie sollte auch eine Schlußfolge gelten, eine Schlußfolge wie diese: einige Mönche waren Künstler, deshalb sollen alle Künstler Mönche sein«. Mag immerhin Henrich Steffens, der Naturforscher, recht haben, wenn er erklärt, daß Goethe in dieser (1819–25 geschriebenen) Verurteilung mehr Rücksicht genommen habe auf die Folgen, die sich bei der Masse äußerten, als auf die ursprüngliche Tendenz des Buches – in welchem Maße hatte er doch die Fühlung mit der heranwachsenden Künstlergeneration verloren! Denn das so hart verurteilte Büchlein Wackenroders »Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders« (denen sich bald die »Phantasien über die Kunst« und »Franz Sternbalds Wanderungen« anschlössen) ist mit unter die stilbildenden Faktoren der neuen deutschen Kunst zu rechnen.

Ihr blieb Goethe, dessen Blicke immer mehr auf die letzten Zwecke und Ziele sich richteten, im ganzen verschlossen. Nur zweien unter den jungen Künstlern, freilich den selbständig-bedeutendsten, Philipp Otto Runge, der für sich allein eine Epoche, die »Blütezeit« der Romantik vertritt, und Caspar David Friedrich, dem Landschaftsmaler, vermochte er noch Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, eine beinahe schon historisch-objektive Gerechtigkeit trotz der innig persönlichen Teilnahme, die er wenigstens Runge entgegenbrachte, der so früh widrigem Geschick erlag. Auf beider Entwicklung auch ist Goethe von bedeutsamem Einfluß gewesen.

*

Runge hat in einem Brief an seine Braut seine erste Begegnung mit Goethe selbst geschildert: »Morgen werde ich die Ehre haben, den Herrn Geheimenrat v. Goethe zu sprechen«, schreibt er am 15. Nov. 1803 aus Weimar. Und dann am 16.: »Wie ich hier gestern Abend abbrach und neben an zu Voigt's ging, traf ich Goethe'n auch dort, der zufällig hingekommen war. Er gefällt mir sehr, muß ich sagen; er kam mir gleich entgegen und fragte, was ich mache und arbeite. – Wir haben so die Präludia miteinander gemacht; ich schien ihm doch zu gefallen. Er wollte es einigemal versuchen, mich durch derbe Anrede und sein starkes Ansehen aus dem Zusammenhang zu bringen; ich blieb aber darin, und werde es will's Gott! auch bleiben: ich habe ihn eben wieder grade angesehen, und das, was ich meine, ihm so unverhohlen gesagt, daß er wohl sah, wie sehr es mein Ernst, und mein ist; nicht von mir selbst mein, sondern von Gott, dem alle Dinge sind. Er hatte keine Zeit, sein Wagen stand vor der Türe, und doch sagte er: ich kann nicht davon kommen. Es ist ein starker und hartnäckiger Mann, gegen den ich wie ein Kind stehe, das ohne Waffen ist, und doch fürchte ich mich nicht, auf welcher Seite er stehe, ob neben mir oder gegen mich.«

Was war es nur, das die Kunstabsichten des 54jährigen Mannes von denen des 26jährigen Jünglings trennte? Hören wir sie selbst. In der Einleitung zu den »Propyläen« hatte Goethe wenige Jahre vorher die Summe seiner künstlerischen Überzeugung gezogen und alles schließlich in den einen Satz zusammengefaßt, der seit Jahren in ihm feststand: »Der Mensch ist der höchste, ja der eigentliche Gegenstand der Kunst«. Gerade dagegen aber, gegen diese Ausschließlichkeit – die freilich in Goethes Sinn alles umfaßte – lehnte sich Runges modernes Empfinden auf. Er fühlte, daß die Zeit auf einem Wendepunkt stand, daß etwas neues entstehen mußte als Ausdruck der anbrechenden neuen Epoche. »Wir sehen in den Kunstwerken aller Zeiten es am deutlichsten, wie das Menschengeschlecht sich verändert hat, wie niemals dieselbe Zeit wiedergekommen ist, die einmal da war; wie können wir denn auf den unseligen Einfall kommen, die alte Kunst wieder zurückrufen zu wollen? .... Die Griechen haben die Schönheit der Formen und Gestalten aufs höchste gebracht in der Zeit, da ihre Götter zu Grund gingen; die neueren Römer brachten die historische Darstellung am weitesten, als die Katholische Religion zu Grund ging: bey uns geht wieder etwas zu Grund, wir stehen am Rande aller Religionen, die aus der Katholischen entsprangen, die Abstraktionen gehen zu Grunde, alles ist luftiger und leichter, als das bisherige, es drängt sich alles zur Landschaft, sucht etwas bestimmtes in dieser Unbestimmtheit und weiß nicht, wie es anzufangen? sie greifen falsch wieder zur Historie und verwirren sich. Ist denn in dieser neuen Kunst – der Landschafterei, wenn man so will, – nicht auch ein höchster Punkt zu erreichen? der vielleicht noch schöner wird wie die vorigen?« (Brief vom Februar 1802 aus Dresden.)

Und nun, nachdem der Gedanke der Landschaftsmalerei als der spezifisch neuen Kunst einmal erwacht ist, dringt er immer mehr in die Tiefe und wird in seine letzten romantischen Konsequenzen verfolgt. Runge erfaßte die Aufgabe seiner Kunst im weitesten Umfange, er wollte nicht ein vereinzelt aufblitzendes Licht sein, sondern eine Tradition begründen, eine Grundlage legen, auf der die Späteren fortbauen sollten. »Zuerst bannten die Menschen die Elemente und die Naturkräfte in die menschliche Gestalt hinein, sie sahen nur immer im Menschen sich die Natur regen; das ist das eigentliche historische Fach, daß sie in der Historie selbst nur wieder jene mächtigen Kräfte sahen ... Jetzt fällt der Sinn mehr auf das Gegenteil. Wie selbst die Philosophen dahin kommen, daß man alles nur aus sich heraus imaginiert, so sehen wir oder sollen wir sehen in jeder Blume den lebendigen Geist, den der Mensch hineinlegt, und dadurch wird die Landschaft entstehen ... wenn wir so in der ganzen Natur nur unser Leben sehen, so ist es klar, daß dann erst die rechte Landschaft entstehen muß, als völlig entgegengesetzt der menschlichen oder historischen Komposition. Die Blumen, Bäume und Gestalten werden uns dann aufgehen und wir haben einen Schritt näher zur Farbe getan! Die Farbe ist die letzte Kunst und die uns noch immer mystisch ist und bleiben muß, die wir auf eine wunderlich ahnende Weise wieder nur in den Blumen verstehen.« (Brief vom 7. November 1802 aus Dresden.)

Es wäre falsch, wollte man über solche ins Phantastische ausschweifende Gedanken lächeln, in der linkischen Form tritt doch sehr wertvoll Neues hervor. Überall sonst hören wir damals Dichter und Philosophen über die Kunst reden, hier spricht ein Künstler und es lohnt sich ihn zu hören, obgleich seine ästhetische Theorie die Mängel alles ästhetischen Räsonnements der Romantiker teilt, die als gar zu sensible Poeten zu oft vorschnell aus reinen Empfindungen und leichten Ideenassoziationen große luftige Gedankenkonstruktionen aufbauen.

*

Was schon hin und her in Goethes Werther anklingt, hat die frühe Romantik vollendet, sie hat ein neues Verhältnis der Menschen zur Natur, zu allen Einzelheiten der Natur geschaffen. Wie Werther »im hohen Grase am fallenden Bache« liegt und »näher an der Erde« alle Gräschen und Hälmchen und das ganze Gewimmel von Käfern und Gewürm und Mückchen betrachtet, und darin die »Gegenwart des Allmächtigen«, »das Wehen des Alliebenden« verspürt, so wird auch den Romantikern die ganze Natur beseelt und zum Symbol des menschlichen Lebens und des Lebens der Welt, des großen Universums. »Die ganze Natur ist Sprache, die Blume ist ein Wort, ein Ausdruck, ein Seufzer ihrer vollen Brust«, sagt Bettina, und Novalis, an den sich Steffens durch Runge am nächsten erinnert fühlte, drückt dasselbe beinahe mythologisch so aus: »Es gibt besondere Arten von Seelen und Geistern, welche Bäume, Landschaften, Steine, Gemälde bewohnen. Eine Landschaft muß man als Dryade oder Oreade ansehen. Eine Landschaft soll man fühlen wie einen Körper. Jede Landschaft ist ein idealischer Körper für eine besondere Art des Geistes.«

Ganz so empfindet auch Runge. »Wer sieht nicht Geister auf den Wolken beim Untergang der Sonne? Wem schweben nicht die deutlichsten Gedanken vor die Seele? Entsteht nicht ein Kunstwerk nur in dem Moment, wann ich deutlich einen Zusammenhang mit dem Universum vernehme? Kann ich den fliehenden Mond nicht ebenso festhalten, wie eine fliehende Gestalt, die einen Gedanken bei mir erweckt, und wird jener nicht ebenso ein Kunstwerk?« (Februar 1802, Dresden.) – »Es wird mir bei allen Blumen und Bäumen vorzüglich deutlich und immer gewisser, wie in jedem ein gewisser menschlicher Geist und Begriff oder Empfindung steckt.« (Dezember 1802.) Schon der Knabe hat es ausgesprochen, was die Natur ihm bedeutete: »Lieber! was haben wir für einen gewaltig schönen Frühling, heißt es in einem der frühesten Briefe (8. Mai 1798), und einem armen Menschen wie mir, der so zwischen den kalten Mauern herumspazieren muß, wäre es gar nicht zu verdenken, wenn er den eigennützigen Wunsch hätte, die ganze schöne Natur zu umfassen und mit zu Hause zu nehmen, es ist doch die lebendige Natur allein, die so gewaltsam auf einen wirkt, daß man vor Freudigkeit niedersinken möchte .... Der ganze Weg durch Hamm und Horn war wie eine Blume, die Eichen waren eben ausgeschlagen, und dick wie Wolle wühlte das hohe Gras sich durcheinander.« Und das Gefühl wird immer intensiver und soll sich immer intensiver aussprechen, die große Analogie zwischen dem Entstehen, dem Sein und Vergehen im Menschenleben und in der Natur soll auf den letzten Ausdruck gebracht werden und so entstehen die vier Kompositionen der Tageszeiten, in denen der Künstler mit seinen Mitteln dem »Rythmus des höchsten Lebens« symbolischen Ausdruck gab. –

Sehr merkwürdig! Beinahe in demselben Augenblick, in dem der Begriff der Landschaft als des wesentlichen Gegenstandes der neuen Kunst zum ersten Male wieder deutlich mit programmatischer Betonung ausgesprochen wird – der Gedanke, der die ganze Kunst des 19. Jahrhunderts so mannigfaltig bewegt hat – beinahe in demselben Moment verliert der Gedanke allen konkreten Inhalt. Denn indem Runge die Landschaft in ihre letzten Elemente, die einzelnen Pflanzen, die einzelnen Blumen zerlegt, hört sie als solche auf zu existieren und an ihre Stelle tritt das nur durch reine mit symbolischen Beziehungen durchwebte Formgedanken zur Einheit verbundene absolute Ornament, die »Arabeske« als die »älteste und ursprünglichste Form der Phantasie« (Fr. Schlegel). Das beweist von neuem, wie stark in der frühen Romantik trotz aller scheinbaren gegenständlichen Befangenheit das Bedürfnis nach reiner Kunstform war.

Runges Tageszeiten sind, trotzdem es ihm nicht beschieden war, das großgedachte Werk zu vollenden, in ihrem fragmentarisch-unvollkommenen Zustande das bedeutendste Denkmal der deutschen Frühromantik im Gebiete der bildenden Kunst und Goethe hatte sehr recht, eine monumentale farbige Ausführung der vorläufig nur in Umrissen gestochenen Blätter zu wünschen, »zu großem Genuß für die Gegenwart und als ein würdiges Denkmal des deutschen Zeitsinnes für die Nachwelt«.

*

Nicht die »Frömmigkeit« wollten die Romantiker als alleiniges Fundament der Kunst festsetzen, wie Goethe sagt, wenigstens nicht in dem begrenzten Sinne, wie er das Wort verstand. Was sie meinten, drückt Runge besser aus. Im tiefsten Grundgefühl der Seele soll das Kunstwerk empfangen werden, nicht als Lösung einer äußerlich gestellten Aufgabe, sondern als Ausdruck lebendig innerer Empfindung, denn ein Kunstwerk ist nicht Produkt rein manueller Geschicklichkeit, sondern Produkt eines geistigen Vermögens, der Phantasie. »Wenn der Himmel über mir von unzähligen Sternen wimmelt, der Wind saus't durch den weiten Raum, die Woge bricht sich brausend in der weiten Nacht, über dem Walde rötet sich der Aether, und die Sonne erleuchtet die Welt; das Thal dampft und ich werfe mich im Grase unter funkelnden Tautropfen hin, jedes Blatt und jeder Grashalm wimmelt von Leben, die Erde lebt und regt sich unter mir, alles tönet in einem Accord zusammen, da jauchzet die Seele laut auf, und fliegt umher in dem unermeßlichen Raum um mich, es ist kein unten und kein oben mehr, kein Anfang und kein Ende, ich höre und fühle den lebendigen Odem Gottes, der die Welt hält und trägt, in dem alles lebt und wirkt: hier ist das Höchste, was wir ahnen – Gott!« – und das ist die Stunde, in der das Kunstwerk in der Seele des Künstlers empfangen wird. Freilich das sind Worte eines überströmenden Jünglingsentheusiasmus – aber warum der Jugend ihre schöne Sprache verbieten? Goethe selbst hat gesagt, daß ein von einem Gefühle erfülltes Herz den Dichter macht. Die Dichter unter den Romantikern haben wohl gewußt – Wackenroder spricht es selbst aus –, daß die Gestaltung des so Empfundenen handwerklich schlichte Treue fordert, und mehr als einer der romantischen Maler hat durch die Tat bewiesen, daß das nicht Worte bleiben sollten. Man hat gar so schlecht doch nicht gemalt in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts.

*

Es ist bewunderungswürdig, wie schnell in der kurzen Zeitspanne eines Jahrzehnts, aus halbklaren Empfindungen deutliche Einsichten und bestimmte Forderungen sich entwickelten. An diesem Fortschreiten hat Goethe bedeutsamen Anteil. Weniger durch unmittelbares Eingreifen, als durch die ruhige Sicherheit seiner Existenz, durch seine überall hervortretende Tendenz auf klare Erkenntnis des Gesetzmäßigen in allem natürlichen und geistigen Geschehen, das schließlich immer als ein Einheitliches gefaßt wird. Goethes Dasein bleibt der Hintergrund der ganzen Epoche, seiner stillen Einwirkung hat sich keiner damals ganz entziehen können.

Die frühe Romantik strebte auf allen Gebieten nach umfassender Verschmelzung und führte damit zu einer jeder inneren Kunstgesetzlichkeit widerstrebenden Vermischung der Künste. Die Idee des Gesamtkunstwerkes ist damals zuerst gefaßt worden. »Meine vier Bilder (die Tageszeiten), schreibt Runge, wenn sich das erst entwickelt, es wird eine abstrakte, malerische, phantastisch-musikalische Dichtung mit Chören, eine Komposition für alle drei Künste zusammen, wofür die Baukunst ein ganz eigenes Gebäude aufführen – sollte.« Runge war als Maler gesund und kräftig genug, um aus dieser Phantastik fruchtbares zu entwickeln, und schließlich war doch auch das Zuviel auf Seiten der Romantiker im bestimmten Sinne nur die Antwort auf das Zuviel der anderen Seite. Die Klassizisten waren im Begriff, auch die Farbe aus dem Kunstwerk, das ganz auf der reinen Zeichnung beruhen sollte, auszuscheiden, die Romantik erst hat die Farbe wieder in ihre Rechte eingesetzt, »dieses unbegreiflich geistige Wesen, das sich als freundliche Zugabe über alle sichtbaren Gegenstände zieht, nicht die Sache selbst, und doch unzertrennlich von ihr« (Tieck). Schon ehe Goethe im Entwurf einer Farbenlehre den Abschnitt über die sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe veröffentlichte, hat Runge über die symbolische Bedeutung der verschiedenen Farben nachgedacht, ja darauf die farbige Komposition seiner Tageszeiten, die eben von Anfang an als Gemälde gedacht waren, aufgebaut. Aber je weiter er hier vordrang, um so zwingender trat die Notwendigkeit hervor, die subjektiven Empfindungen wissenschaftlich zu vertiefen und zu begründen. Die Farbenstudien, die nun unablässig betrieben wurden, führten Runge mit Goethe zusammen. Es ist bekannt, daß Runges Arbeiten auf diesem Gebiete Goethes lebhafte Teilnahme erregten, daß Goethe sich selbst fruchtbare Förderung seines Bestrebens von den Untersuchungen des Malers versprach, daß er einen vorläufigen Bericht Runges in dem Entwurf einer Farbenlehre abdruckte.

Runge selbst zweckte mit alle dem auf die Klärung seines Lebensgedankens. »Ich will mein Leben in einer Reihe von Kunstwerken darstellen; wenn die Sonne sinkt und wenn der Mond die Wolken vergoldet, will ich die fliehenden Geister festhalten«, so hieß es schon in dem ersten entscheidenden Brief vom Februar 1802. Das ist noch der gestaltlose Drang der Jugend, der echte frühromantische Entheusiasmus für die reiche Schönheit der Natur auf den Höhepunkten ihres farbigen Daseins, wie er auch in der romantischen Poesie in glänzenden Bildern begegnet: »Wie soll ich aber, heißt es in Tiecks Phantasien über die Kunst, den Glanz des Abend-, des Morgenrotes beschreiben! Wie den rätselhaften Mondschimmer und die wiederspiegelnden Gluten in Bach und Strom! Um Schmetterlinge, um Blumen spinnt sich der rote, blanke Glanz, und bleibt fest, die Traube, die Kirschen werden vom weichen Abendrot befühlt und bespiegelt, und in dem grünen Laube hängen grell die roten Früchte. Beim Neigen, beim Sinken der Sonne, beim Schimmer des Mondes ist die Natur in einer raschen, unwillkürlichen Entzückung, in der sie noch freigebiger ist, noch weniger spart, und wie ein Pfau in stolzer Pracht allen Schmuck mit inniger Freude rauschend auseinander schlägt. Unter den Tönen der Natur kann ich nichts als das Schmettern und Flöten der Nachtigall damit vergleichen, die einem Echo gegenüber singt.« Runge hat dies Zerfließend-Allgemeine unablässig durch treue Beobachtung zu festigen gesucht. Am 1. Februar 1810, acht Monate vor seinem plötzlich eintretenden Tode, schreibt er darüber an Goethe: »Besonders wünschte ich Ihnen meine Versuche und Ansichten mitzuteilen, welche die Behandlung der allgemeinen Luft- und Erleuchtungseffekte in der Malerei betreffen. Eine sichere Methode und Lehrart für die praktische Behandlung in der Malerei ist unmöglich eher zu erwarten, bis wir die Totaleffekte in der Natur so ansehen, als wären es Bilder oder Gemälde, in denen wir die Behandlung übereinstimmend mit dem, was sie bedeuten, dartun. Dann findet sich vieles von selbst; ist erst eine Verständigung über das Verhältnis des Lichts und der Materie durch Vermittlung der Farben nur im allgemeinen möglich, so haben unsere Farben auf der Palette dieselbe Bedeutung, und welcher Künstler wird es ertragen können, daß der Gebrauch derselben mit dem im Widerspruch steht, was er als Naturverhältnis und als Pigment in ihnen erkennt! ... Sollte ich mehr Zeit hiefür gewinnen, so würde ich ausdrücklich einige Studien als Beweise ausarbeiten, z. B. eine glatte Meeresfläche, in welcher sich ein heitrer Himmel rein spiegelt, ohne alles Weitere, und so, daß die Spiegelfläche horizontal, der Himmel gewölbt erschiene; so auch Sonnen-Aufgang und -Untergang als bloße Erscheinung in der Luft charakterisiert; wie auch Mondschein und andre allgemeine Effekte. Dieses ist nach meiner Meinung das Ziel, welches wir erreichen müssen, und wir sind alsdann wahrlich einen Schritt weitergekommen, wenn wir den Moment auszudrücken im Stande sind, nicht bloß der Zeit, sondern auch des Würkens der Elemente im Universum der Erscheinung ...«

Der frühe Tod schnitt vorschnell die Möglichkeit ab, auf dem eingeschlagenen Wege fortzuschreiten, der zu einer neuen Kunst hätte führen sollen, die, statt sich auf rein gefühlsmäßige Überzeugung zu gründen, auf dem durch wissenschaftliche Erkenntnis erhellten Bewußtsein geruht hätte.

*

Ob Runge bei längerem Leben das vorschwebende Ziel erreicht hätte, mag trotzdem bezweifelt werden. Ihm war das Problem in so weitem Umfange aufgegangen, daß die Lösung kaum von der Kraft eines Einzelnen erwartet werden durfte. Um so schmerzlicher ist es, daß Runge in der Einsamkeit starb, daß gerade das, was er am sehnlichsten gewünscht hatte, die lebendige Tradition, ausblieb. Schließlich hat doch erst die moderne mit der fortgeschrittenen exakten Wissenschaft verbundene Malerei das gebracht, was Runge so freilich, wie es nun Wirklichkeit geworden ist, auch nicht vor geistigen Augen schweben konnte, was er aber doch in großen Umrissen vorausgeahnt, vorausgefordert zu haben scheint, die neue Kunst als höchste Blüte der Wissenschaft.


 << zurück weiter >>