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Das Mooserl

Draußen glühte ein heißer, blendender Sonnenschein, im Tannenwald war Schatten, Kühle und würziger Duft. Die Sonne stand hoch am blauen Himmel, aber nur einzelne Strahlen drangen durch die Wipfel der Tannen hindurch auf den moosigen Waldboden.

Mitten in dieser stillen Waldeinsamkeit, im Dickicht verborgen, lag auf weichem, grünem Moos ein kleines Mädchen mit prächtigen roten Backen und schlief. Moos hatte es zwischen seinen blonden Locken, moosgrün war auch das kurze Röckchen, das es trug. Man hätte es für ein verzaubertes Moosblümchen aus dem Märchenwald halten können.

Es mochte schon lange geschlafen haben, denn nun dehnte und reckte es sich, stand auf von seinem Moosbettchen, lugte mit klugen Augen um sich und lief zwischen zwei mächtigen Baumstämmen hin, die gefällt am Boden lagen. Weit konnte es nicht laufen, denn ein paar große, übereinander geschichtete Holzscheite versperrten ihm nach oben und unten den Ausweg. Manchmal horchte das Kind in die Ferne, nach den Axtschlägen, die durch den Wald klangen. Jetzt verstummten diese und nach einer kleinen Weile kam ein Holzhauer auf die Kleine zu. Die zappelte vor Lust bei seinem Anblick und rief ihm entgegen: »Vatter, Vatter!«

Der große Mann hob sie hoch in die Luft und seine rauhe Stimme klang zärtlich, als er rief: »Wo ist denn mein Mooserl, mein gut's, klein's Mooserl? Will's denn was zu essen haben?« und er holte einen Brotsack herbei. Inzwischen kamen noch einige Holzhauer

hinzu, setzten sich auf die gefällten Stämme, rasteten von ihrer Arbeit, aßen und tranken. Das Kind ging zutraulich von einem der Männer zum andern, und sie waren alle gut mit ihm.

Jeden Morgen brachte der Holzhauer sein Kind, das keine Mutter mehr hatte, mit in den nahen Wald. Da spielte es mit der Rinde der Bäume, mit Tannenzapfen und Waldblumen, und wenn es in der Mittagshitze müde wurde, sagte ihm der Vater: »Schlupf in dein Moosbett!« Dann wühlte es sich ganz hinein in das weiche Moos, zupfte es mit den Fingerchen aus dem Boden, blinzelte hinauf nach dem blauen Himmel, der zwischen den Bäumen hindurchschimmerte, und schlummerte köstlich in der würzigen Tannenluft.

Aber eines Tages kam der Holzhauer nicht zur Mittagsrast zu seinem Kind. Einer von den großen, alten Bäumen, die er fällen sollte, hatte ihn zu Tod getroffen. Die anderen Holzhauer standen betrübt beisammen, betrachteten kummervoll die kleine Waise und sagten zueinander: »Was fangen wir jetzt mit dem Mooserl an?«

Es war aber einer unter den Männern, der hatte als Holzhacker in der Stadt einen Herrn kennen gelernt, der reich war und eine gute, junge Frau hatte. Sie besaßen kein Kind und wünschten sich schon lange eines. Bei ihnen frug nun der Holzhacker an, ob sie das kleine Dirnlein nicht aufnehmen möchten. »Ja,« sagten sie, »wir wollen aber erst sehen, ob es gern bei uns bleibt und wir es lieb haben können: bringt es uns einmal herein in die Stadt.«

Eines Abends brachte es der Holzhacker. Es war müde geworden auf dem langen Weg, da hatte es der Mann auf den Arm genommen und es schlief. Sein Köpfchen ruhte auf des Holzhackers Schulter, seine bloßen Füßchen sahen unter dem grünen Röckchen hervor.

In dem hell erleuchteten Zimmer und bei den fremden Stimmen erwachte es und hob das Köpfchen. Als es die junge Frau vor sich sah, da lächelte es und rief sogleich: »Eine Mammi!« und streckte die Arme nach ihr aus.

»Komm, du gutes, kleines Ding, komm zu mir,« sagte die junge Frau gerührt, nahm das Kind aus des Holzhackers Armen, drückte es an sich und wollte es nicht mehr hergeben.

»Dann kann ich wohl gehen,« sagte der Holzhacker, »so hat es ja Vater und Mutter.«

»Wie heißt denn aber die Kleine?« fragte der neue Vater.

»Den rechten Namen weiß ich nicht, wir haben's halt das Mooserl geheißen, weil's immer so ins Moos verschlupft. B'hüt dich Gott, Mooserl.« Die Kleine schlief schon wieder ein und lag bald in einem schönen Bett.

Am ersten Morgen fürchtete die Mutter, das Kind möchte weinen beim Erwachen im fremden Haus. Sie ging leise hinaus, um gleich ein gutes Süppchen zum Trost bereit zu haben. Der Mann war allein, kleidete sich an, vergaß das schlafende Kind und pfiff ein Lied. Plötzlich ertönte hinter ihm ein Stimmchen, ganz vergnügt: »Du kannst aber schön pfeifen,« und als er sich umwandte, stand die Kleine lachend in ihrem Bett und tat so zutraulich, wie wenn sie immer schon dagewesen wäre. Er rief seine Frau herbei, dieser streckte das Kind gleich wieder zärtlich die Anne entgegen, und das kleine Gesicht leuchtete vor Lust beim Anblick des guten Frühstücks. Munter und fröhlich plauderte und spielte die Kleine den ganzen Vormittag, herrlich schmeckte ihr auch das Mittagessen. Aber als dieses vorbei war, sah sie sich ernsthaft im Zimmer um und sagte: »Jetzt muß ich in mein Bett schlüpfen!« »Ja, das darfst du,« entgegnete die Mutter und führte sie in das Schlafzimmer, an das nämliche Bett, in dem sie in der Nacht geschlafen hatte.

»In mein anderes Bett,« sagte die Kleine, und wollte zur Türe hinaus.

Mit Mühe ließ sie sich überreden, dazubleiben, und es gab bittere Tränen, während die Mutter sie in das schöne Bett brachte, aus dem sie doch morgens so fröhlich aufgestanden war.

Aber als sie von ihrem Mittagsschlaf erwachte, war sie wieder voll Lust und Leben und am Abend schien sie gar nicht mehr an das »andere Bett« zu denken, sondern legte sich vergnügt nieder.

»Nun hat sie sich an das fremde Bett gewöhnt,« sagten die Eltern befriedigt zueinander.

Aber am zweiten Tag, nach dem Mittagessen, verlangte das Kind wieder sehnlich nach seinem andern Bett und weinte bitterlich darnach.

Am dritten Tag schlüpfte sie gleich nach dem Essen aus dem Zimmer und als man nach ihr rief, kam keine Antwort. In allen Winkeln der Wohnung wurde vergeblich gesucht, das Kind war fort. Endlich, am späten Nachmittag, kam es die Treppe herauf, heiß und müde, lief der Mutter in die Arme und rief schluchzend: »Hab' mein anderes Bett gesucht und hab's nicht gefunden!«

Das ging den guten Pflegeeltern zu Herzen. Der Vater suchte den Holzhacker auf, der das Kind gebracht hatte, und bat ihn, er möchte des Kindes früheres Bett herbeischaffen. Der Mann wollte nichts davon wissen: »Das alte Bett paßt nicht in Ihre schöne Wohnung,« meinte er, »der kleine Racker soll zufrieden sein mit seinem schöneren Bett.«

Aber der Herr gab nicht nach, und so versprach der Holzhacker endlich, das alte Bettstättchen auf einem Karren in die Stadt zu bringen.

Es kam eines Abends an, als das Kind schon schlief. Von grobem Holz war es gezimmert und nicht schön anzusehen; das kleine rote Kissen und Deckbett, das darin lag, war verwaschen und zerschlissen. Aber die junge Frau richtete es zu und freute sich, bis das Kind das geliebte Bett wiedersehen würde.

Am Morgen, als die Kleine aufwachte, hob die Mutter sie aus dem Bett, zeigte ihr die alte, kleine Bettstatt, setzte sie in die roten Kissen und fragte: »Mooserl, was ist denn das? Erkennst du es wieder, dein liebes, gutes Bettchen?«

»Ja, ja,« sagte das Kind: aber es schien keine besondere Freude zu haben, und als man es nach Tisch hineinlegen wollte, da schüttelte es das Köpfchen, weinte und verlangte wie alle Tage sein »anderes« Bett. Nun waren die Eltern ratlos.

Der Vater nahm das kleine Pflegekind auf seine Knie und sagte: »Nun laß einmal das Weinen und sage mir, wie sieht denn eigentlich das andere Bett aus?« Da wurde die Kleine still und nachdenklich und man sah wohl, daß ihre Gedanken in der Ferne weilten, und sie besann sich eine gute Weile, bis sie endlich den Vater ernsthaft ansah und sprach: »Weißt du, das andere Bett ist ganz, ganz anders!« Eine bessere Erklärung war nicht herauszubringen, und die Eltern konnten nur hoffen, daß das Kind sich allmählich zufriedengeben werde.

Aber – ein paar Tage später und das kleine Geschöpf war wieder verschwunden! Diesmal wurde gleich vor dem Haus und in den anliegenden Straßen gesucht und nachgefragt, aber es war vergeblich, denn die man in der Ferne suchte, war ganz in der Nähe. In der Wohnung gab es ein schönes Zimmer, das nur für Besuche bestimmt war. Heute war die Türe ein wenig offen gestanden, und das Kind hatte zum ersten Male hineingesehen. Über den Tisch, mitten im Zimmer, war ein schwerer, dunkelgrüner Plüschteppich gebreitet, auf den fiel durch das Fenster ein Sonnenstrahl und das Licht spielte auf dem Samt, daß er hell leuchtete wie grünes Moos im Wald.

Die Kleine trat heran und befühlte den dichten Teppich. Der fühlte sich so weich an, wie das Moos im Wald; ihre Finger konnten auch daran zupfen. Wie herrlich schimmerte er im Sonnenlicht! Sie zog den schweren Teppich herunter, legte sich darauf, ließ die kleinen Fingerchen durch den Samt streichen und schlief über diesem Spiel selig ein wie einst im Walde!

So fanden sie die Eltern, als sie, alles durchsuchend, schließlich auch in dieses Zimmer kamen. Sie staunten und wollten das Kind zanken, aber es war kaum erwacht, als es in hellem Jubel aufsprang und rief: »O, das ist fast so wie mein anderes Bett, darf ich da immer schlafen? So weich und so gut ist das!« Die Eltern wunderten sich und sprachen zueinander: »Was sie nur meint mit ihrem anderen Bett? Wenn sie ein Prinzeßchen wäre, hätte sie vielleicht unter samtenen Decken geruht, aber so ein armes Holzhackerskind!« Und sie hoben den Teppich wieder auf und sagten: »Armes Mooserl, auf Samt darf man nicht schlafen.«

Wochen waren vergangen, die Sommerhitze wurde lästig in der Stadt und es kam der Tag, wo die Pflegeeltern mit der Kleinen hinausfuhren in die schöne Gotteswelt. Am späten Abend kamen sie an dem Ziel ihrer Reise an; im Dunkel war von Berg und Wald nichts zu erkennen, schlaftrunken wurde die Kleine zu Bett gebracht.

Am Morgen beim Erwachen grüßten die Bäume durchs Fenster herein und verlockten zum Morgenspaziergang; nur ein paar Schritte vom Haus und man war im Wald. Ein kleiner Pfad führte tief und immer tiefer hinein; diesem folgten die Eltern mit der Kleinen, die fröhlich und leichtfüßig vor ihnen hersprang. Plötzlich hielt sie an, sah seitwärts nach einer Stelle, wo ein Sonnenstrahl auf dichtes Moos fiel, rannte dorthin und rief jauchzend: »Da ist mein anderes Bett, Vater, siehst du jetzt, wie es aussieht, so sieht's aus!« und sie warf sich in das weiche, grüne Moos, rupfte einen kleinen Büschel aus, steckte ihr Näschen hinein, warf's voll Übermut über sich hin und bat so lange, bis auch Vater und Mutter sich neben sie lagerten und fühlten, wie weich es war.

Als die Eltern ihr strahlendes Gesicht sahen, sagten sie zueinander: »Das Moos war also ihr 'anderes' Bett und von dem hat sie wohl auch ihren Namen? Jetzt verstehen wir dich endlich, du kleines Mooserl du!«

Als der Sommer vorüber war und man wieder zurückkehren mußte nach der Stadt, da wurde ein großer Waschkorb voll Moos mitgenommen und jeden Mittag legte sich die Kleine hinein und es war ihr so wohl darin, daß sie sich über und über mit dem Moos bedeckte und von dem ganzen Mooserl nur noch das Nasenspitzchen heraussah.


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