Eduard Trautner
Tagebücher der Henker von Paris - Erster Band
Eduard Trautner

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Eine Intrige unter der Regentschaft

Die Marquise von Parabere

Dubois, Law, der Regent.

Der Sohn Sanson von Longvals, der sich Charles, wie sein Vater, nannte, nahm von dem Amte offiziell Besitz, nachdem er es fünf Jahre nur verwaltet hatte.

Der Patentbrief, der ihn mit dem Amte bekleidete, ist vom 8. September 1703.

Charles Sanson hatte den sanften, melancholischen Charakter Marguerite Jouannes, seiner Mutter. Er war mehr zärtlich als leidenschaftlich und sollte nur einmal lieben, aber diese Liebe sollte bis zu seinem Tode dauern.

Er heiratete am 30. April 1707 Martha Dubut, die Schwester seiner Stiefmutter, für die er lange schon eine geheime Neigung gehabt hatte. –

Am Abend des 23. März 1720 ging Charles Sanson allein zwischen den Gesträuchen seines Gartens spazieren, als ein Diener ihn benachrichtigte, daß eine Dame ihn dringend zu sprechen verlange. Von einem solchen Besuche zu dieser Stunde überrascht, befahl er, die Dame in den Empfangssalon zu führen, und beeilte sich, selbst dahin zu gelangen.

Als der Diener sich anschickte, Kerzen anzuzünden, denn es begann schon zu dunkeln, wandte sich die Dame, die ihr Gesicht mit einem langen Schleier bedeckt hatte, an Charles Sanson und redete ihn mit bewegter Stimme an: »Ich bitte sehr, mein Herr, wenn es Ihnen gleichgültig ist, so lassen Sie nicht Licht anzünden; ich habe Ihnen nur wenige Worte zu sagen, und meine Augen sind so schwach, daß der Lichtschein mir Schmerzen verursacht.«

Mein Ahne begriff, daß sie die Dunkelheit nur wünsche, um ihre Gesichtszüge besser verbergen zu können, und sowohl aus Diskretion als aus Höflichkeit gab er dem Diener ein Zeichen, sich zurückzuziehen.

»Beruhigen Sie sich, Madame,« sagte mein Ahne. »Dieses arme Haus empfängt selten so hohen Besuch wie den Ihrigen, aber man kennt und übt darin alle Rücksichten, die man einem solchen schuldet. Ich werde ehrfurchtsvoll warten, bis Sie imstande sind, mir den Grund zu nennen, der Sie hierher führt, denn ich begreife wohl, daß es ein sehr peinlicher und schmerzlicher sein muß.«

Bei diesen Worten brach die Unbekannte in Tränen aus.

»O ja!« rief sie endlich, »sehr peinlich, schmerzvoll und herzzerreißend! Glauben Sie wohl, daß ich keine Gnade für ihn habe erhalten können? – ein Kind von zweiundzwanzig Jahren, aber sie haben ihm Verderben geschworen! Sie wollen ihn Ihnen überliefern. Ihnen – Ihnen!«

Und sie warf einen flammenden Blick auf meinen Ahnen.

»Hören Sie,« rief sie wieder, »ich werde toll darüber! Ich bin soeben aus diesem verwünschten Palais Royal entwichen, aus dieser Höhle der Begierde und Ausschweifung, weil mir die Wut zum Herzen stieg. Sie erregen alle drei meinen Abscheu: dieser jämmerliche Knecht von Abbé, dieser große Tropf von Schotte und dieser zynische Prinz, die sich einbilden, ihre falsche Münze dadurch, daß sie dieselbe in das Blut dieses unglücklichen Kindes tauchen, vergolden zu können! Es sind Feiglinge!«

Charles Sanson, der befürchtete, daß diese Erregung zu weit gehen könne, und übrigens begierig war, zu hören, was er bereits ahnte, fragte schüchtern:

»Erlauben Sie mir, Madame, Ihnen bemerklich zu machen, daß ich noch gar nicht weiß, um was es sich handelt, und daß ich die Personen nicht kenne, von denen Sie sprechen.«

»Was, du kennst sie nicht? Nun, bei Gott! es ist Dubois, Law, und es ist der hohe Herr Regent! Du wirst sie wohl schon kennen, denn es sind die Spitzbuben, mein Junge, die dir Beschäftigung geben werden, wenn man sie ihren Weg gehen läßt.«

Überrascht und beinahe beleidigt von dieser plötzlichen Vertraulichkeit erwiderte mein Ahne kalt:

»Ich bin nur ein armer Beamter des Königs und seiner Parlamentsjustiz; mein Amt ist nicht allein bescheiden, sondern es ist auch von Vorurteilsvollen verachtet; ich versuche deshalb auch nicht, unter den Menschen zu leben, und kümmere mich nicht um die Handlungen der Großen.«

Die Unbekannte schien nicht darauf zu hören.

»Ja, wie ich dir eben sagte, habe ich sie vergeblich angefleht, sie haben nicht auf mich hören wollen. Der Abbé machte ein andächtiges und heuchlerisches Gesicht, der Schotte faßte sich an das Kinn; sie sprachen zu mir von Staatsgründen, Finanzen und Bankerott – und er, Philipp, ich glaube gar, er hat einen Augenblick gelacht. O Gott, verdamm' mich! ich werde mich an allen dreien rächen, aber an ihm am letzten. Hüte dich, Law! Hüte dich, Dubois! Und nachher haben wir beide miteinander zu tun, Philipp!«

Als sie die letzten Worte aussprach, erhob sie sich und begann heftig im Saale umherzugehen. Mantel und Schleier waren gefallen.

»Du siehst,« sagte sie zu meinem ganz erstaunten Ahnen, »daß ich mich geputzt habe, um ihm zu gefallen, um noch einigen Einfluß auf diesen Prinzen auszuüben, den Leichtfertigkeit und Ausschweifung verweichlicht haben. Es hat nichts geholfen; er hat ebensowenig Sinne als Herz. Als ich ihnen von diesem unglücklichen Kinde sprach, von seiner hohen Geburt, seiner erhabenen Verwandtschaft, seiner Unschuld, denn nicht er hat diesen elenden Juden getötet, da antworteten sie mir nur mit ihrem Papiergelde, mit ihrem System und dem öffentlichen Kredit. Ich konnte es nicht mehr aushalten, ich bin entflohen und direkt hierher gekommen, denn ich habe nur noch Hoffnung zu dir. Nur du allein kannst ihn retten, und du wirst ihn retten – nicht wahr?«

»Madame,« erwiderte Charles Sanson traurig, »ich bin ebensowenig imstande zu retten als zu verderben. Ich bin nur ein Arm, ein Schwert, das ein anderer Wille als der meinige in Bewegung setzt. Wenn man mir sagt: »Töte!« so muß ich töten; sagt man mir: »Schlage zu!« so muß ich zuschlagen. Ich bin gerade der Gegensatz des Herrn Regenten, von dem Sie soeben zu mir gesprochen haben; er hat das Recht der Gnade im Namen des Königs, ich habe jedoch nur das des Todes.«

»Aber du kannst ihn entschlüpfen lassen. Höre mich an: es werden Maßregeln für seine Entweichung während des Transports von der Conciergerie nach dem Grèveplatze getroffen sein. Widersetze dich seiner Flucht nicht, und du wirst königlich belohnt werden.«

Mein Ahne machte eine Bewegung.

»Du weißt vielleicht nicht einmal, von wem ich sprechen will. Es ist der Graf Anton von Horn, ein armer Jüngling von kaum zweiundzwanzig Jahren. Man sagt, er habe einen Juden in der Straße Quincampoir getötet, um ihm seine Brieftasche abzunehmen. Das ist aber nicht wahr; ein Piemontese hat es getan.«

»Madame,« unterbrach sie Charles Sanson, »seit einer Weile habe ich nicht mehr gezweifelt, daß Sie mir die Ehre angetan haben, des Herrn Grafen von Horn wegen hierher zu kommen. Aber ich wiederhole Ihnen: ich kann nichts, durchaus nichts mehr für Herrn von Horn als für den niedrigsten Verbrecher tun, den mir die Justiz des Parlaments überliefert. Meine Pflicht besteht darin, den Urteilsspruch des Parlaments zu vollziehen. Ich werde nichts darüber und nichts darunter tun. Wenn die Verwandten oder Freunde des Herrn Grafen von Horn ein Komplott gemacht haben, um ihn während des Transportes oder an dem Orte der Strafvollziehung zu befreien, so werden sie bei mir weder Beistand noch Widerstand finden. Ich hatte schon die Ehre, Ihnen zu sagen, daß ich unempfindlich bin, und wer ›unempfindlich‹ sagt, der sagt auch ›unbeweglich‹. Ich werde erst dann die Hand an diesen unglücklichen Jüngling legen, wenn alle menschliche Hilfe verloren ist.«

»O Dank!« rief die arme Unbekannte, die durch diese Worte beruhigter schien. »Ich wußte wohl, daß du nicht ebenso unmenschlich wie jene sein würdest. Du bist der Scharfrichter, nicht wahr? Gut, jene sind: der Regent von Frankreich, ein Minister, der Generalkontrolleur der Finanzen! Sie sind die größten Personen im Staate, aber sie haben keine Seele, und zu dir muß ich kommen, um Mitleid für das Opfer ihrer Grausamkeit, ihrer Leidenschaften und Berechnungen zu erflehen! Hier, nimm diese Rolle, sie enthält hundert Louisdor, und am Tage nach der Rettung des Grafen komme zu mir und fordere, was du willst; ich gebe dir das Wort einer Königin, daß du zufriedengestellt werden sollst.«

Mein Ahne machte eine zurückweisende Gebärde.

»Behalten Sie dieses Geld, Madame,« beeilte er sich zu sagen. »Selbst wenn ich Ihre Hoffnungen teilen und auf eine unerwartete Hilfe, die den Herrn Grafen von Horn von dem ihm erwartenden schrecklichen Lose befreien sollte, rechnen könnte, so würde ich es mir zur Pflicht machen, jede Belohnung für meine Neutralität unter solchen Umstanden zurückzuweisen. Es ist Sache der Polizeigefreiten und Stadtwache, über die Person des Verurteilten zu wachen; wenn sie ihn entfliehen lassen, so mag Gott gepriesen sein, denn er erspart uns beiden einen großen Schmerz, Ihnen den, ihn sterben zu sehen, und mir, den tödlichen Streich auf ihn zu führen, übrigens«, setzte er in barschem Tone hinzu, »werde ich durch den König bezahlt, um mein Amt zu erfüllen, und ich wiederhole, daß ich nichts mehr tun kann.«

»Vorwärts!« rief die Dame, wieder ihre erste wilde und verzweifelte Energie annehmend, »spiele nicht den Heuchler und Süßling. Ich weiß, wo ich bin. Nun, willst du auch meinen Namen wissen? – Gleichviel, ich bin die Marquise von Parabere, und man nennt mich die Mätresse des Regenten. Ich will nicht, daß dieser junge Mann sterbe! – Hörst du wohl?«

Charles Sanson verneigte sich.

»Frau Marquise, die Tage des Herrn Grafen von Horn gehören leider nicht Ihrem untertänigsten Diener. Wenn ich das von der Vorsehung erwählte unwürdige Instrument bin, um eine Laufbahn, die so glänzend begann, so schrecklich zu endigen, so werde ich ewig schmerzlich bedauern, daß ich Ihnen wider Willen eine so grausame Betrübnis bereitet habe. Aber hören Sie auf – ich bitte Sie darum – mir von Belohnung zu sprechen. Weder mein Stand noch mein Charakter erlauben mir, eine solche anzunehmen, und so etwas kann nie auf meine Handlungsweise einwirken.«

Die Marquise betrachtete ihn ganz erstaunt.

»Wie kann man doch von euch sagen, daß ihr Blutmenschen seid und daß nur Gewinnsucht euren Arm bewaffne und euch treibe, euresgleichen abzuschlachten? – Adieu, Meister; ich halte mich an Ihr Versprechen: wenn Herrn von Horn im letzten Augenblick Hilfe kommen sollte, so werden Sie Gott die Gerechtigkeit überlassen – sie ist wohl mehr wert als die des Königs oder vielmehr des Regenten.«

Die Marquise wollte gehen; plötzlich aber blieb sie, wie von einer schmerzlichen Ahnung bewegt, stehen und sagte zu Charles Sanson mit unbeschreiblichem Schauder:

»Wenn meine Hoffnungen dennoch getäuscht werden sollten, wenn unter allen den Edlen, die sich für dieses Kind von ihrem Blut interessieren, keiner geschickt genug sein sollte, seine Kerkermeister durch Gold zu bestechen, oder so tapfer, es mit den Waffen in der Hand zu befreien, wenn die schändliche Polizei Dubois' alle zu seiner Rettung genommenen Maßregeln vereiteln sollte, wenn es nötig würde, daß das Blut unschuldigen Opfers Ihr Schwert rötete – oh, dann versprechen Sie mir, daß Sie ihm meinen Namen in das Ohr flüstern wollen, ehe er vor Gott erscheint. Sagen Sie ihm, daß ich gekommen sei, daß ich bis zum letzten Augenblick für ihn gebeten, daß ich alles zu seiner Rettung getan hätte und daß ich, wenn er stirbt, mich nie trösten würde.«

Die Marquise brach in Schluchzen aus.

»Madame,« erwiderte mein Ahne, »Ihre Wünsche sollen treu erfüllt werden, und wenn es Gott gefallen sollte, daß der Herr Graf von Horn durch diese Hand umkäme, so würde letztere sich bemühen, ihm die Angst der letzten Augenblicke abzukürzen, und Ihnen auch ein Andenken von ihm zustellen.«

»O Dank! Dank!« rief Madame Parabere und eilte, ganz außer sich, davon.

Einen Augenblick später hörte man das Rollen ihrer Kutsche in der Rue d'Enfer, und Charles Sanson setzte seinen so traurig unterbrochenen Spaziergang unter den großen Bäumen des Gartens fort.

Der Graf von Horn

Das Bittgesuch; Herr von Créquy; die Hinrichtung.

Der Graf Anton Joseph von Horn, von dem soeben die Rede gewesen, war mit einem hohen fürstlichen Hause verwandt und mit dem vornehmsten Adel Europas verbunden. Es erregte daher in jener Zeit das größte Erstaunen, als man hörte, er sei unter der doppelten Anschuldigung des Mordes und des Diebstahls verhaftet und in die Conciergerie gebracht worden.

Der Mord hatte in einem Wirtshause der Straße Quincampoir stattgefunden, wo der Graf von Horn und seine Genossen einem Juden ein Rendezvous unter dem Vorwand, daß sie ihm seine Aktien abkaufen wollten, in der Tat aber, um ihn zu berauben, gegeben haben sollten. Nach der Anklage sollte der Graf von Horn den ersten Schlag auf den Juden geführt haben, worauf der Chevalier de Milhe und der dritte Gehilfe den Mord zu Ende geführt und sich der Brieftasche bemächtigt hätten.

Diese Begebenheit machte in Paris ein ungeheures Aufsehen, sowohl wegen des hohen Ranges des Angeschuldigten als wegen der Verwandtschaftsbande und anderen Beziehungen, die ihn mit den angesehensten Personen verknüpften. Dessenungeachtet wurde der Prozeß mit einer fast beispiellosen Schnelligkeit geführt, und es scheint, daß alle zur Rettung dieses unglücklichen jungen Mannes getanen Schritte sein Verderben im Gegenteil nur beschleunigten.

Sobald die Verwandten des Grafen von Horn seine Einkerkerung in die Conciergerie erfahren hatten, regten sie sich von allen Seiten. Am Tage vor dem Urteilsspruche hatten sie sich, siebenundfünfzig Personen stark, nach dem Justizpalaste begeben und in einem Korridor die Mitglieder des Gerichtshofes erwartet, um sie im Vorübergehen zu grüßen, was eine indirekte Manier war, ihnen den Angeklagten zu empfehlen. Diese Kundgebung, die um so imposanter war, als man unter der großen Zahl der Teilnehmer die größten Namen Frankreichs fand, blieb vollständig erfolglos; der Gerichtshof erließ ein Urteil, wonach der Graf von Horn, der Chevalier de Milhe und der dritte Schuldige in contumaciam verurteilt wurden, lebendig gerädert und dann bis zu erfolgendem Tode auf das Rad geflochten zu werden. Dieser Spruch versetzte die Verwandten und Freunde des unglücklichen Jünglings in Schrecken und Bestürzung.

Damals wandten sie sich, wie Frau von Parabere es Charles Sanson gesagt hatte, an den Regenten mit folgender Bittschrift, die ich hier wegen der hohen Stellung der Unterzeichner und der darin enthaltenen Gründe wiedergebe:

»Gesuch der Verwandten des Herrn Fürsten von Horn und des Herrn Grafen von Horn an den Herrn Regenten.

Hoher Herr!

Die getreuen Untertanen Seiner Majestät, deren Namen folgen, haben die Ehre, Eurer Königlichen Hoheit in Ehrfurcht auseinanderzusetzen:

1. daß der Graf Ambrosius von Horn, Groß-Jägermeister von Flandern und Artois, seit siebzehn Jahren des Gebrauches seiner Vernunft und seiner Freiheit beraubt ist. Es ist wohlbekannt, daß er in einem Anfalle von Tobsucht den Tod seiner Gattin, Madame Agnes Brigitte von Créquy, veranlaßte und daß ihn die souveränen Höfe von Flandern und Brabant dafür nicht anders als durch Entziehung der Herrschaft über seine Güter und Gefängnis bestraft haben. Es erhellt aus den beigefügten Zeugnissen: – erstens, daß genannter Herr Graf sich hartnäckig weigerte, während er auf Schloß Loosen war, eine andere Art Nahrung als rohes Fleisch zu sich zu nehmen; – zweitens, daß er die Weinportion, die man ihm täglich gab, aufsparte, bis er eine hinreichende Menge beisammen hatte, um sich berauschen zu können; – drittens, daß er sich am 4. August 1712 mittels eines Feuerhakens, den er sich in die Kehle stoßen wollte, verwundete und dabei einen Blutverlust erlitt, der ihm beinahe das Leben kostete;–viertens, daß, nachdem er ein Mittel gefunden hatte, vom Schloß Loosen zu entweichen, er zwei Kapuzinern von Ruremonde begegnete, die er anfangs wütend schlug, indem er sie nötigen wollte, Gott abzuleugnen. Er war mit vier geladenen Pistolen bewaffnet, die er Reisenden geraubt hatte. Einer dieser Mönche hatte, tödlich erschreckt durch die Heftigkeit des Grafen, die Schwäche, gewisse Worte der Apostasie auszusprechen, worauf der Graf ihm sagte, daß er ein elender Abtrünniger sei, der gerechterweise zum Teufel geschickt werden müßte, und ihn vor den Kopf schoß. Obgleich der andere Mönch festgeblieben war, tötete er auch ihn durch einen Pistolenschuß; der Verrückte sagte ihm, er würde direkt in das Paradies eingehen, und er selbst wolle ihn zum Märtyrer seines Glaubens machen;

2. daß der Prinz Ferdinand von Ligne und Amblise, Generalmajor der kaiserlichen Armeen, unter Kuratel seines prinzlichen Bruders steht und daß er ingleichen wegen Tollheit seit dem Jahre 1717 gerichtlich zur Einsperrung verurteilt ist;

3. daß der Vater der verstorbenen Prinzessin von Horn und Overisque seit ungefähr drei Jahren vor seinem Tode auch den Verstand verloren hatte;

4. daß der Graf Anton Joseph von Horn und Saint-Empire, zweiundzwanzig Jahre alt, der legitime und nachgeborene Sohn Philipps V. ist, der bei seinen Lebzeiten war: Prinz von Horn und Overisque, souveräner Graf von Baussigny, Hautekerke und Bailliol, erblicher Statthalter der Provinzen Geldern, Friesland und Westfriesland, Prinz und erblicher Oberjägermeister des heiligen römischen Reiches, Grand erster Klasse von Spanien usw. usw., und dessen Gemahlin Antoinette, Prinzessin von Ligne;

daß der Graf Anton von Horn von Mutterseite der Enkel des Prinzen von Ligne, der Neffe des Prinzen Ferdinand von Amblise und von Vaterseite der Neffe des vorgenannten Grafen Ambrosius von Horn ist;

daß er selbst unter einer Krankheit gelitten hat, welche sowohl die brabantischen Ärzte als auch das richterliche Personal der österreichischen Niederlande dahin beurteilt haben, daß sie ganz den Charakter einer Verstandesschwächung besitze, wie die beigefügten Belege besagen;

5. daß, wenn die Unterzeichneten sich nicht auf eine Diskussion über den Grund und die Formen des gegen besagten Grafen Anton von Horn erlassenen Urteils einlassen, dies einzig und allein der Gebühr wegen unterbleibt und keineswegs aus Achtung und Respekt vor dem richterlichen Ausspruche, wobei sie sich alle vernünftigen Mittel, zugunsten ihres besagten Verwandten Gerechtigkeit zu erhalten, vorbehalten.

Aus diesen Gründen möge es Eurer Königlichen Hoheit gefallen, von dem Könige, unserem erhabenen Herrn, Aufhebung der gegen ihn durch das Urteil des Gerichtshofes ausgesprochenen Strafe zu erlangen.

Wir sind in Ehrfurcht Eurer Königlichen Hoheit sehr ergebene und gehorsame Diener und Dienerinnen:

Claude, Prinz von Ligne; Jean de Croy, Herzog von Havré; Anne Léon de Montmorency; Joseph de Mailly, Marquis von Harcourt; Louis, Sire und Marquis von Créquy; Procope, Graf von Egmont und Herzog von Geldern und Cleve; Erzbischof Prinz von Embrun; Joseph von Lothringen, Prinz von Guise; Carl Herzog von Tremouille und Prinz von Tarent; Carl von Lothringen, Prinz von Montlaur; Erzbischof Herzog von Reims; Carl von Lothringen, Sire von Pons; Guy Chabot, Graf von Jarnac; Charles Roger, Prinz von Courtenay; Anne von Tremouille, Graf von Taillebourg; René von Froullay, Marschall und Graf von Tessé; Kardinal von Gesvres-Luxemburg; Anton von Tremoille, Herzog von Noirmontier, sowohl in seinem wie im Namen von Franz, Kardinal von Tremoille, Erzbischof und Herzog von Cambray; Louis von Rohan, Prinz von Soubise und Espinoy; Anton Nompar von Caumont, Herzog von Lauzun; Louis von Bauffremont, Marquis und Graf von Listenois; Emanuel Theodor Latour d'Auvergne, Herzog von Bouillon, Albret und Château-Thierry; Hugo von Créquy, Stiftsamtmann von Tournay; Armand Gaston, Kardinal von Rohan; Heinrich de la Tour-d'Auvergne, General-Abt von Cisteaux; Louis von Mailly, Marquis von Neste; Heinrich Nompar von Caumont, Herzog von La Force; Louis von Rougé, Marquis von Plessis-Bellière; Franz von Lothringen, Bischof und Graf von Bayeux; H. von Gontaut-Biron für seinen kranken Vater; Carl von Rohan, Prinz von Guémènée; Louis von Bourbon, Graf von Busset; Emanuel von Bayern; Louis, Herzog von Rohan-Chabot; Paul von Montmorency, Herzog von Chastillon; Just von Wassenaer, Burggraf von Leyden; Clara Eugenie von Horn von Montmorency-Logny; Maria von Créquy, Prinzessin von Croy; Charlotte von Savoyen; Henriette von Durfort-Duras, Gräfin von Egmont; Victoria von Froullay, Marquise von Créquy; Charlotte von Lothringen-Armagnac; Genoveva von Bretagne, Prinzessin von Courtenay; Maria Therese von Montmorency, Gräfin von Dreux-de Nancré; Helene von Courtenay, Marquise von Bauffremont; Maria von Gouffier, Gräfin von Bourbon-Busset; Blanca von Lusignan, Äbtissin von Saint-Pierre; Charlotte von Mailly, Prinzessin von Nassau Maria Sobieska, Herzogin von Bouillon-d'Albret; Franziska von Noailles, Prinzessin von Lothringen; Maria von Créquy, Gräfin von Tarnac; Margarethe von Ligne und Aremberg, Marquise Staatswitwe von Bergen-op-Zoom; Elisabeth von Gonzaga, Herzogin von Mirande; Prinzessin Olympia Gonzaga; Maria von Champagne, Gräfin von Choiseul; Anna du Guesclin, Staatswitwe von Goyon.«

Alle Unterzeichner des Gesuches hatten sich nach dem Palais Royal begeben, aber der Regent wollte nur eine Deputation von ihnen empfangen. In bezug auf eine vollständige Begnadigung zeigte er sich unbeugsam, und nur mit viel Schwierigkeiten kam man dahin, ihm das Versprechen einer Strafumwandlung zu entreißen, d. h. der Enthauptung statt der Strafe des Rades.

Man verlor sich in Vermutungen über die Gründe dieser Unerbittlichkeit des Regenten; man wollte darin einen persönlichen Haß dieses Prinzen gegen den jungen Grafen sehen. Sogleich verbreitete sich eine Geschichte, die vielen Glauben fand, durch die ganze Stadt.

Herr von Horn, jung, schön und wohlgestaltet, hatte durch seine galanten Abenteuer etwas Aufsehen gemacht.

Wie man weiß, waren die Sitten am Hofe Philipps von Orléans mehr als leicht, und viele Schönheiten, die sehr an der Mode waren, sollen sich gegen den jungen fremden Herrn nicht sehr grausam gezeigt haben. Man nannte darunter sogar den Namen der Frau von Parabere und erzählte, daß der Regent eines Tages Herrn von Horn in verdächtiger Unterhaltung mit der schönen Marquise überrascht, in seiner Wut ihm mit einer drohenden Gebärde die Tür gezeigt und nur gesagt habe: »Gehen Sie!« worauf der Graf in nicht weniger stolzem Tone und mit großer Geistesgegenwart erwidert haben sollte:

»Monseigneur, unsere Vorfahren würden gesagt haben: Gehen wir!«

An diese, gleichviel ob wahre oder falsche Anekdote wollte man den Ursprung einer tiefen Feindschaft knüpfen, welche der Regent gegen einen Nebenbuhler empfand, dem er seitdem den Tod geschworen.

Gewiß ist dagegen, daß die erbittertsten Feinde des Grafen von Horn, der Generalkontrolleur der Finanzen, Law, und Dubois, der erste Minister, waren, die damals alles über den Geist des Regenten vermochten. Der Kredit der Aktien der königlichen Bank und der Mississippi-Gesellschaft begann zu wanken; sie glaubten das Blendwerk wieder herzustellen, indem sie unerhörte Strenge für die Bestrafung eines Mordes und Diebstahls anwandten, deren Beweggrund die Begierde nach diesen Wertpapieren gewesen zu sein schien.

Der Besuch der Frau von Parabere war nicht der einzige, den Charles Sanson des Grafen von Horn wegen erhielt. Am zweitnächsten Tage kam auch der Marquis von Créquy, der der Anstifter und Organisator aller zur Rettung des Jünglings versuchten Schritte gewesen war, zu meinem Vorfahren. Er sprach zu ihm gar nicht von der Möglichkeit einer Flucht, mochte er nun die Hoffnungen der Marquise in dieser Beziehung gar nicht kennen oder kannte er sie, ohne sie zu teilen; aber er schien keineswegs an dem Worte des Regenten zu zweifeln und glaubte fest, daß der Graf enthauptet werden würde.

Er zeigte Charles Sanson sogar einen Brief, den der Herzog von Saint-Simon an den Herzog von Havré geschrieben hatte und in dem seine Versicherungen aus guter Quelle bestätigt zu werden schienen, denn der Herzog von Saint-Simon galt dafür, daß er das ganze Vertrauen des Regenten besitze.

So deutlich die Ausdrücke dieses Briefes Herrn von Créquy erschienen, erweckten sie in Charles Sanson doch unbestimmte und traurige Ahnungen.

Herr von Créquy wollte nun das Schwert sehen, welches zur Hinrichtung dienen würde. Er erbleichte, als mein Ahne ihm diese große, glänzende und spitzige Stahlklinge mit zwei Schneiden zeigte, die man kaum mit dem Namen Waffe beehren konnte. Auf der einen Seite des Schwertes findet sich das Wort »Justitia« eingraviert, auf der anderen ein Rad, das Emblem der Hinrichtung. Es war dasselbe Schwert, das zur Hinrichtung des Chevaliers von Rohan gedient hatte.

Herr von Créquy, der nur mit Mühe die Tränen zurückhalten konnte, bat Charles Sanson, bei der Erfüllung seiner schrecklichen Pflicht so viel Schonung, als ihm erlaubt sei, anzuwenden, nur den Hals des Delinquenten zu entblößen und, bevor er den entsetzlichen Streich führe, abzuwarten, bis jener sein letztes Gebet vollendet und die Absolution von dem Priester, der ihn begleitete, empfangen haben würde.

Als Herr von Créquy aufbrach, wollte er, wie Frau von Parabere, meinem Ahnen eine Summe als Belohnung für die beanspruchten Dienste anbieten; er überreichte ihm eine Rolle mit hundert Louisdor und bat dringend, sie anzunehmen.

Mein Ahne blieb, ebenso wie bei der Marquise, unerschütterlich in seiner Weigerung.

Herr von Créquy schien gerührt und ging, ohne weiter in meinen Ahnen zu dringen.

Der Marquis hatte sich kaum seit einigen Stunden entfernt, als Charles Sanson den Befehl erhielt, am anderen Morgen um sechs Uhr den Grafen Anton von Horn aus der Conciergerie abzuholen, um ihn, sobald er aus der Torturkammer gekommen sein würde, auf den Grèveplatz zu führen und das Urteil des Parlaments seinem ganzen grausamen Inhalte nach zu vollstrecken. Die Ahnungen meines Vorfahren hatten sich also vollkommen bestätigt: der Regent hatte sein gegebenes Wort gebrochen; Law und Dubois hatten über den Herzog von Saint-Simon und den ganzen Adel, die sich dieser Sache so warm angenommen hatten, gesiegt.

Mein Ahne fühlte sich ganz vernichtet; der Befehl enthielt nicht einmal jene geheime Klausel, die dem Verurteilten die schrecklichsten Qualen ersparte, indem sie dem Scharfrichter befahl, ihn zu erdrosseln, bevor er ihm die Glieder zerbrach. Wie sollte er nun die Versprechungen erfüllen, die er sowohl der Marquise von Parabere als dem Marquis von Créquy gemacht hatte?

In dieser traurigen Nacht geschah, was seitdem noch oft in meiner Familie vorgekommen ist. Die arme Martha Dubut, die Vertraute der Leiden ihres Gatten, betete, und Charles Sanson erwartete in schrecklicher Angst die traurige Morgenröte, die ihn auf seinen furchtbaren Posten rufen sollte.

Es wurde heller Tag, und eine ansehnliche Menschenmenge hatte sich schon vor den Toren der Conciergerie zusammengefunden, als mein Ahne daselbst mit seiner düsteren Equipage anlangte. Er begab sich sogleich in das Innere des Gefängnisses und wurde in einen niedrigen Saal geführt, wo sich der Graf von Horn und der Chevalier von Milhe, die bereits die Tortur überstanden hatten, befanden. Alle beide waren schrecklich verstümmelt, denn man war mit ihnen bis zum achten spanischen Stiefel gegangen. Der Graf von Horn war ungemein bleich; sein rollendes Auge flog über alles, was ihn umgab, und er hörte nicht auf, mit dem Piemontesen zu sprechen, der viel gefaßter erschien und mit frommer Aufmerksamkeit dem Doktor der theologischen Fakultät zuhörte, der ihn zu ermahnen beauftragt war.

Anstatt in die Ermattung, die den schrecklichen Qualen der Tortur zu folgen pflegt, versenkt zu sein, bewegte sich Herr von Horn mit fieberhafter Lebendigkeit; er hielt selbst unzusammenhängende Reden, die das zu bestätigen schienen, was seine Verwandten in bezug auf seine Geistesschwäche zu seiner Verteidigung angeführt hatten.

Die unglückliche Stunde war gekommen. Man brachte die beiden Verurteilten auf den traurigen Karren. Charles Sanson setzte sich neben den Grafen von Horn, während der Doktor fortfuhr, sich mit dem Chevalier von Milhe zu unterhalten.

Als mein Ahne die außerordentliche Erregtheit des unglücklichen Grafen sah, kam ihm der Gedanke, ihn dadurch zu beruhigen, daß er einen Hoffnungsstrahl vor seinen Augen leuchten ließ, der natürlich nur mit einer Enttäuschung enden konnte.

»Mein Herr,« flüsterte er ihm in das Ohr, »hoffen Sie! Sie wissen wohl, daß man sich für Sie interessiert. Ihre Verwandten –«

Er ließ ihn nicht weitersprechen.

»Sie haben mich verlassen,« rief er wütend. »Der Bischof soll wiederkommen – wo ist der Bischof?«

»Besonders betet in diesem Augenblicke eine Frau für Sie, und vielleicht beschränkt sie sich nicht auf Gebete. Ihr Arm ist mächtig, und seien Sie versichert, daß sie nicht untätig bleibt. Ich habe sie ganz in Tränen und in Verzweiflung versenkt gesehen.«

»Ihr Name! ihr Name!« unterbrach er ihn heftig, ohne, wie es schien, sich darum zu kümmern, ob er gehört würde.

»Die Marquise von Parabere«, sagte Charles Sanson ganz leise.

Bei diesem Namen schien sich der Graf ein wenig zu beruhigen. Eine lebhafte Bewegung malte sich auf seinem Gesichte. Mein Ahne wollte diesen günstigen Moment benutzen und sagte:

»Wer weiß? es kann plötzlich ein Begnadigungsbefehl ankommen.«

Die Lippen des jungen Mannes zogen sich verächtlich zusammen.

»Wenn sie mich hätten am Leben lassen wollen, würden sie mich nicht zum Krüppel gemacht haben«, erwiderte er bitter und warf einen Blick auf seine gänzlich zerfleischten Füße.

»Ein Handstreich kann Sie befreien. Ich habe der Marquise versprochen, nichts dagegen zu tun, mich einem solchen nicht zu widersetzen.«

Von Zeit zu Zeit blickte sich mein Ahne um, ob er in der sie umgebenden Menge nicht ein paar befreundete Gesichter bemerken könne, die den armen Verurteilten Zeichen des Einverständnisses gaben.

Ach! was er allein zu sehen glaubte, waren die erregten Gesichter der Leute des Polizeileutnants, deren Zahl Dubois, ungerechnet diejenigen, welche er heimlich zu seinen düsteren und verwerflichen Zwecken verwandte, beinahe verdoppelt hatte.

Man war über den Pont-au-Change gekommen und befand sich bereits auf dem Kai; noch einen Augenblick, und man hatte das Ziel dieser traurigen Pilgerfahrt erreicht. Alle Hoffnung war nun geschwunden. Der unglückliche Graf warf auf Charles Sanson einen Blick, der zu sagen schien:

»Sie sehen wohl, daß Sie mich nur zu täuschen versuchten.«

»Mein Herr,« stotterte mein Ahne ganz bestürzt, »ich schwöre Ihnen, daß die Marquise von Parabere mich hoffen ließ –«

»Sagen Sie der Marquise, daß ich ihr verzeihe und daß ich, sei es auf dem Rade oder auf dem Schafott, wie ein Edelmann sterben werde.«

Diese plötzliche Ruhe und Fassung, die hervorzubringen der Name einer Frau hingereicht hatte, setzte Charles Sanson in Erstaunen und schien ihm das, was er in seinem traurigen Berufe noch zu tun hatte, weniger peinlich zu machen.

Endlich war man zur Stelle.

Die Verurteilten waren außerstande, sich allein zu bewegen; man mußte sie von dem Karren heben und tragen.

Charles Sanson nahm den Grafen von Horn in seine Arme und stieg wie ein moderner Äneas, wenn die Last auch schwerer und weniger heilig war, die Stufen des Schafotts hinauf. Wider seinen Willen konnte er noch immer nicht die Befreiungspläne, von denen Frau von Parabere zu ihm gesprochen hatte, vergessen, und er glaubte, als er dieses zitternde Schlachtopfer wie eine Trophäe hochhielt, daß dies den Eifer der Verschworenen anregen und ihnen das Signal zum Handeln geben würde.

Gleichzeitig sagte er dem Grafen, er solle bitten, noch Geständnisse machen zu dürfen, da dies das Mittel sei, einen Aufschub zu gewinnen, währenddessen das Komplott zur Ausführung kommen könne. Unglücklicherweise schien Anton von Horn wieder die Vernunft verloren zu haben und von einem Anfalle von Irrsinn, wie er ihn schon in dem niedrigen Saale der Conciergerie gehabt hatte, heimgesucht zu werden.

»Ich wußte wohl, daß der Bischof nicht kommen würde,« erwiderte er. »Sie haben ihn arretiert, weil er auch Aktien hatte; aber wir werden schon sehen, ich werde mein Leben teuer verkaufen; man soll mir bloß Waffen geben – man darf mir nicht Waffen verweigern.«

Während der unglückliche Jüngling so irre redete, hatte sich Charles Sanson ein wenig zurückgezogen und seinen Gehilfen ein Zeichen gegeben, ihre Schuldigkeit zu tun, die darin bestand, den Verurteilten auf das Gerüst zu binden, auf dem er gerädert werden sollte. Als dies geschehen war, näherte sich der Doktor der Theologie, der dem Piemontesen die Absolution erteilt hatte, dem Grafen und redete ihn an:

»Mein Sohn, schwören Sie die Gefühle des Zornes und der Rache ab, die Ihre letzten Augenblicke trüben. Denken Sie nur an Gott; er ist der höchste Urheber aller Gerechtigkeit; er wird Ihnen diesen grausamen Tod anrechnen, wenn Sie mit demütigem und reuigem Herzen vor ihn treten. Ich will die Totengebete für Sie sprechen.«

Der Graf schien endlich erschüttert; seine Lippen bewegten sich, und es hatte den Anschein, als bete er mit dem Doktor.

Mein Ahne dachte an die Bitten Herrn von Créquys, und in dieser Beziehung wurde ihm etwas leichter um das Herz; hatte er aber nicht auch versprochen, ihn nicht lange leiden zu lassen? Und nun diese schreckliche Hinrichtung, die erst anfangen sollte! In einem Augenblicke hatte er seinen Entschluß gefaßt. Was waren denn auch die blutigen Pflichten dieses schändlichen Amtes, das er gegen das Gefühl seines Herzens ausübte, gegen das Wort, das er einer armen Frau und einem Edelmanns, die sich ihm auf Treue und Glauben anvertraut, gegeben hatte? Man verriet ein Fürstenwort, so mußte denn der Henker das seinige halten.

Ein plötzliches Unwohlsein vorschützend, überließ er sein Instrument Nikolaus Gros, dem ältesten und zuverlässigsten seiner Gehilfen, nahm die feine Schnur, die zu den geheimen Exekutionen des Retentum dient, legte sie dem Grafen geschickt um den Hals, und in demselben Augenblicke, in dem Gros die Eisenbarre, welche die Glieder des Unglücklichen zerbrechen sollte, aufhob, zog er schnell die Schnur an und sparte ihm so die schrecklichsten Schmerzen, welche die menschliche Grausamkeit nur hat erfinden können.

Der Piemontese Chevalier von Milhe stieß ein wildes Geschrei aus; sein Mut und seine Fassung schienen ihn verlassen zu haben. Vergebens wischte der arme Doktor der Theologie mit einem Taschentuche den Schweiß von seiner Stirn und goß einige Tropfen Wasser in seinen glühenden Mund; alle Sorgfalt und Ermahnungen blieben gegen solche Qualen erfolglos.

Charles Sanson fühlte sich über die Ungleichheit in der Behandlung dieser beiden Männer, die desselben Verbrechens wegen verurteilt worden waren, betroffen; er beschloß deshalb, ihr ein Ende zu machen.

»Genug für heute, Gros,« sagte er zu seinem Gehilfen, »gib dem anderen den Gnadenstoß.«

Es war der Schlag der Barre, der die Brust zerbrach.

Gros gehorchte, nicht ohne einen unruhigen Blick auf den Abgeordneten des Magistrats zu werfen, der der Hinrichtung auf dem Balkon des Rathauses beiwohnte. Ohne Zweifel war derselbe nicht sehr lüstern auf solche Schauspiele, die er vielleicht schon zu oft erlebt hatte, denn er schien nichts zu bemerken.

In diesem Augenblicke kam der Doktor, überrascht, daß er den Grafen Horn, der sich bis dahin so wenig gefaßt gezeigt hatte, nicht so laut habe klagen hören wie seinen Genossen, zu ihm zurück, um sein frommes Amt fortzusetzen; er sah, daß ihm der Tod bereits zuvorgekommen sei. Die Schnur hing noch am Halse des unglücklichen jungen Mannes, und mein Ahne benutzte die Anwesenheit des Doktors, der ihn nach der Seite des Rathauses hin deckte, um jene heimlich zurückzuziehen; dann legte er einen Finger auf den Mund und erbat durch dieses Zeichen das Schweigen des ehrwürdigen Priesters, der darauf durch eine leise Kopfneigung antwortete.

Die Exekution war soeben erst vorüber, als eine mit sechs Pferden bespannte Kutsche, der ein Pikör vorritt, und sechs Diener in großer Livree folgten, auf dem Grèveplatze erschien; es war die des Herzogs von Croy d'Havré, dessen Wappen man deutlich auf den Wagenschlägen durch den sie umhüllenden schwarzen Flor sah. Drei andere Equipagen in derselben Zurüstung folgten sogleich und stellten sich wie die erstere auf der Nordseite des Platzes auf. Alle diese Wagen waren ebenso wie das Lederzeug der Pferde und die Livreen der Bedienten in Trauer gehalten; die Fenstervorhänge waren dicht zugezogen, sowohl um den edlen Besuchern das grausame Schauspiel, das sie erwartete, zu entziehen, als um sie selbst vor den Augen einer neugierigen Volksmenge zu schützen. Aber das Volk, unter dem sich mehrere Personen befanden, welche Wappen und Livreen der großen Häuser kannten, wußte bald, daß die Zuletztgekommenen der Prinz von Ligne, der Herzog von Rohan und ein ???Croüy seien, ein Abkömmling des berühmten Arpadgeschlechtes, das sich bis auf Attila zurückführt und mehr Rechte als das Haus Habsburg an die Krone von Ungarn zu haben glaubt.

Diese großen Namen, die in der Menge umhergingen, gelangten auch zu meinem Ahnen, der erstaunt war, darunter nicht den des Marquis von Créquy zu hören. Aber dieses Erstaunen dauerte nicht lange. Plötzlich entstand an einem Ende des Platzes ein großes Geräusch, und zwei Kutschen, die noch pompöser aufgeputzt waren, als die ersten, erschienen und stellten sich neben diesen auf.

Dies war endlich der Marquis von Créquy. Er ließ den Wagenschlag öffnen und stieg mitten auf dem Platze in der Uniform eines Generalobersten und ersten Inspekteurs der königlichen Truppen aus; er trug die Insignien des goldenen Vlieses sowie die Großkreuze des heiligen Ludwig und des heiligen Johann von Jerusalem auf der Brust. Trotz des tiefen Schmerzes, der auf seinem Gesichte lag, ging er festen Schrittes über den Platz.

Die Menge machte ehrfurchtsvoll vor dieser großen Persönlichkeit, bei der Ludwig XIV. Pate gestanden hatte, Platz.

Es schien, daß das bei der Hinrichtung beauftragte Magistratsmitglied nur diese Erscheinung erwartet hatte, um dem grausamen Verfahren ein Ziel zu setzen; denn sobald es Herrn von Créquy erblickte, verließ es den Balkon des Rathauses und zog sich zurück, was heißen sollte, daß die Gerechtigkeit nun ihren Lauf gehabt habe.

Der Marquis kam gerade auf meinen Ahnen zu und machte ein sehr strenges Gesicht dabei.

Dann warf er einen düsteren Blick auf ihn und fragte fast drohend:

»Mein Herr, was ist aus Ihren Versprechungen geworden?«

»Hoher Herr,« erwiderte Charles Sanson, »diesen Morgen um acht Uhr lebte der Herr Graf von Horn nicht mehr und die Barre meiner Leute hat nur noch einen Leichnam getroffen.«

Der Geistliche neigte sich zu dem Ohre des Herrn von Créquy und bestätigte dasjenige, was mein Ahne soeben versichert hatte.

»Es ist gut,« sagte er in sanfterem Tone, dem man eine große Erleichterung anhörte, »unser Haus wird sich wohl erinnern, daß, wenn es nichts von dem Regenten oder der Gerechtigkeit des Parlaments erlangen konnte, es doch der Menschlichkeit des Henkers einen außerordentlichen Dank schuldet.«

Man beschäftigte sich sogleich damit, den Körper des Grafen von Horn loszubinden, um denselben in eine der Kutschen, welche der Marquis von Créquy mitgebracht hatte, zu schaffen.

Dieser arme Leichnam war so verstümmelt, daß die Glieder herabhingen und sich vom Rumpfe lösen zu wollen schienen.

Herr von Créquy wollte durchaus, wie als eine Art von Protest gegen die Grausamkeit des Urteils, selbst eines der herabhängenden Beine halten, welches nur noch durch einige Fasern blutiger Haut mit dem toten Körper zusammenhing.

Als diese traurige Pflicht erfüllt war, setzten sich die Wagen wieder in Bewegung und zogen hintereinander nach dem Hotel der Gräfin von Montmorency-Logny, einer geborenen von Horn, wo die Überreste des Grafen in einen Sarg gelegt und dieser auf ein Trauergerüst gestellt wurde. Er blieb daselbst achtundvierzig Stunden stehen, von zahlreicher Geistlichkeit, welche das Totenamt verrichtete, umgeben.

Diese Begebenheit brachte die größten Persönlichkeiten im Staate lebhaft gegen den Regenten und seine Günstlinge auf; sie half Law und seinem System, dessen Katastrophe unvermeidlich war, gar nichts.

War der Graf von Horn wirklich unschuldig?

Man sagt, der Herr Graf von Horn und der Chevalier von Milhe hätten dem Juden keineswegs in der Absicht, ihn zu morden und auszuplündern, ein Rendezvous gegeben, sondern nur um die Wiedererstattung einer ansehnlichen Summe in Bankaktien, die ihm der Graf wirklich anvertraut habe, zu erlangen; der Jude habe nicht allein das ihm Anvertraute ganz abgeleugnet, sondern sich sogar so weit vergessen, Anton von Horn in das Gesicht zu schlagen. Da habe sich der junge Mann, der von seinen Ahnen ein leicht entzündliches und aufbrausendes Blut geerbt, nicht mehr halten können, habe ein Messer ergriffen, das gerade vor ihm auf dem Tische in dem Wirtshause gelegen, und damit auf den Juden einen Stich geführt, der denselben nur an der Schulter verwundete. Der Chevalier von Milhe habe den Mord zu Ende geführt und sich der Brieftasche bemächtigt; der Graf habe um keinen Preis auf eine Teilung des Geldes eingehen wollen.

Was Charles Sanson anbetraf, so schnitt er in dem letzten Augenblicke, den er bei dem leblosen Körper zubrachte, eine Haarlocke von dem so schnell kalt gewordenen Haupte des jungen Mannes. Er legte sie in eine Hülle und adressierte sie an die Marquise von Parabere mit den wenigen Worten:

»Das versprochene Andenken.«


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