George Sand
Lavinia – Pauline – Kora
George Sand

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4.

Unter den jungen Leuten, die sich als Anbeter um Laurentia drängten, befand sich ein gewisser Montgenays, der zu seinem Vergnügen in Versen und in Prosa schrieb, sich aber, sei es aus Bescheidenheit, sei es aus Geringschätzung, nie zum Schriftsteller bekannte. Er besaß Geist, viel Lebensgewandtheit, einige Bildung und ein gewisses Talent. Als Sohn eines Banquiers hatte er ein bedeutendes Vermögen geerbt, dachte aber nicht daran, es zu vermehren und gab sich keine Mühe, einen bessern Gebrauch davon zu machen, als Pferde zu kaufen, Logen in den Theatern, gute Diners, schöne Möbel und Gemälde zu Hause und Schulden zu haben. Obgleich er weder viel Geist noch Hochherzigkeit besaß, muß doch zu seiner Ehre gesagt werden, daß er weit weniger leichtsinnig und unwissend war, als die Mehrzahl der reichen jungen Leute seiner Zeit. Er war ein Mensch ohne Grundsätze, aber aus Schicklichkeitsgefühl ein Feind des Scandals, leidlich verdorben, aber fein in seinen Gewohnheiten, so schlecht diese auch sein mochten, fähig, Böses zu thun bei Gelegenheit, aber nicht aus Gefallen daran, sceptisch durch Erziehung, Gewohnheit und Lebensart und den Lastern der feinen Welt mehr aus Mangel an guten Grundsätzen und Beispielen, als aus natürlichem Hange und freier Wahl ergeben. Im Uebrigen war er ein intelligenter Kritiker, ein gewandter Schriftsteller, ein angenehmer Erzähler, ein Kenner und Liebhaber aller Zweige der schönen Künste, ein zuvorkommender Gönner und wußte und übte ein wenig von allem. Er verkehrte in der besten Gesellschaft ohne Großthuerei, besuchte die schlechte, ohne sich damit zu brüsten, und verwandte einen großen Theil seines Vermögens, nicht um unglücklichen Künstlern zu helfen, sondern um die Berühmtheiten mit Glanz zu bewirthen. Er war überall willkommen und überall durchaus am Platze. Bei den Dummköpfen galt er für einen großen und bei den Leuten gewöhnlichen Schlages für einen scharfsinnigen Mann. Die Personen von Geist schätzten seine Unterhaltung im Vergleich mit der anderer Geldsäcke, und die Hochmüthigen duldeten ihn, weil er ihnen zu schmeicheln wußte, während er sie verspottete. Kurzum, Montgenays war das, was die Leute von Welt einen Mann von Geist und die Künstler einen Mann von Geschmack nennen. Wäre er arm gewesen, würde er unter der Menge gewöhnlicher Intelligenzen verschwunden sein, da er aber reich war, mußte man ihm Dank wissen, daß er weder ein Wucherer, noch ein Dummkopf, noch ein Verrückter war.

Er gehörte zu jenen Leuten, denen man überall begegnet, die alle Welt wenigstens dem Aussehen nach kennt, und die selbst wieder alle Welt bei Namen kennen. Es gab keine Gesellschaft, in der er nicht zugelassen wurde, kein Theater, in dem ihm nicht der Zutritt zu den Coulissen und dem Foyer der Schauspieler frei stand, kein Unternehmen, bei dem er nicht mit einem Kapital betheiligt war, keinen Zweig der Verwaltung, bei dem er nicht einigen Einfluß hatte, keinen Club, bei dem er nicht einer der Gründer oder eine der Hauptstützen war. Und nicht das Stutzerthum hatte ihm als Schlüssel gedient, um in die feine Welt einzudringen, sondern eine gewisse eigennützige, leidenschaftslose, mit Eitelkeit vermischte Gewandtheit und Erfahrenheit, die er geistreich genug hervorzuheben wußte, um sich hochherziger, intelligenter und kunstbegeisterter erscheinen zu lassen, als er in der That war.

Seine gesellschaftliche Stellung hatte ihn schon seit einigen Jahren mit Laurentia in Verbindung gebracht, aber es waren das anfangs nur entfernte Beziehungen, welche die Höflichkeit erforderte, und wenn Montgenays zuweilen etwas Galanterie hineingemischt hatte, so war das in tadellosester, schicklichster Weise geschehen. Laurentia hatte ihn anfänglich mit einigem Mißtrauen aufgenommen, da sie sehr wohl wußte, daß kein Umgang dem Rufe junger Schauspielerinnen verderblicher ist, als die gewisser Leute der guten Gesellschaft. Aber als sie sah, daß Montgenays ihr nicht den Hof machte, daß er oft genug zu ihr kam, um eitle Ansprüche manifestiren zu können und trotzdem keine Prätentionen erhob, wußte sie ihm für diese Art des Benehmens Dank und hielt dieselbe für ein Zeugniß der Achtung von bestem Geschmacke. Und da sie befürchtete, wenn sie noch ferner auf der Hut und zurückhaltend sei, prüde und kokett zu erscheinen, so gestattete sie ihm den Zutritt zu ihrem vertrauten Kreise, nahm mit Vertrauen tausend kleine, bedeutungslose Dienstleistungen von ihm an, die er ihr mit ehrerbietigem Eifer leistete und fürchtete nicht, ihn unter ihren wahren Freunden aufzuzählen, indem sie ihm ein großes Verdienst daraus machte, daß er schön, reich, jung, einflußreich und doch nicht dünkelhaft sei.

Das äußere Benehmen Montgenays' rechtfertigte dies Vertrauen. Seltsamer Weise aber verletzte ihn dasselbe ebenso sehr, als es ihm schmeichelte. Sobald man ihn für den Geliebten oder den Freund Laurentia's hielt, fühlte sich seine Eitelkeit befriedigt. Sobald er sich aber sagte, daß sie ihn in Wirklichkeit wie einen für ihren Ruf ungefährlichen Menschen behandele, empfand er einen geheimen Verdruß; und er setzte es sich in den Kopf, sich eines Tages dafür zu rächen.

Tatsächlich war er keineswegs in Laurentia verliebt. Zum Wenigsten hatte die apathische Ruhe seines Herzens in den drei Jahren seines allmählich vertrauter werdenden Verkehrs mit ihr keinen Stoß erhalten. Er gehörte zu jenen Menschen, die in Folge geheimer Ausschweifungen bereits blasirt sind und nur noch Leidenschaft empfinden, wenn ihre Eitelkeit in's Spiel kommt. Als er Laurentia kennen gelernt hatte, war ihr Ruf und ihr Talent in der Entwicklung begriffen, aber beides war noch nicht anerkannt genug, als daß er auf ihre Eroberung einen großen Werth gelegt hätte. Zudem war er welterfahren genug, um zu wissen, daß die Vorzüge und Vortheile der gesellschaftlichen Stellung heut zu Tage keinen untrüglichen Erfolg verbürgen. Er entdeckte und sah, daß Laurentia viel zu edlen Sinnes war, als daß sie je andern Einflüsterungen als denen ihres Herzens gefolgt wäre. Außerdem wußte er, daß sie, obschon vielleicht allzu sorglos der öffentlichen Meinung gegenüber, sobald eine erhabene Empfindung ihr Gemüth bewegte, nichtsdestoweniger die Bezichtigung, sie werde von einem Liebhaber begünstigt und unterstützt, mit Abscheu zurückwies. Er zog über ihre Vergangenheit, über ihr häusliches Leben Erkundigungen ein, er vergewisserte sich, daß jedes andere Geschenk als ein Blumenstrauß wie eine blutige Beleidigung von ihr zurückgewiesen werden würde, und diese Entdeckungen erweckten in ihm gleichzeitig mit der Achtung, die sie ihm für Laurentia einflößten, den Gedanken, diesen Stolz zu besiegen, weil das schwer sein und Aufsehen erregen mußte. Zu diesem Zwecke hatte er sich in ihr Vertrauen geschlichen, aber mit allem Geschick, denn er bedachte recht gut, daß es die erste Hauptsache sei, ihr jeden Argwohn über seine Absichten zu benehmen.

Während jener drei Jahre war die Zeit verflossen, ohne daß sich eine Gelegenheit geboten hätte, einen Versuch zu wagen. Das Talent Laurentia's war unstreitig anerkannt, ihr Ruf war gewachsen, ihre Existenz war gesichert, und was das Bemerkenswerteste war, ihr Herz war noch immer frei. Sie lebte in sich selbst zurückgezogen, kraftvoll, ruhig, zuweilen traurig, aber fest entschlossen, sich nicht mehr leichtsinnig den Stürmen einer Leidenschaft hinzugeben. Vielleicht hatte das Nachdenken sie anspruchsvoller gemacht, vielleicht fand sie keinen Mann, der ihrer Wahl würdig war ... War es Verachtung? war es Uebermuth? Montgenay fragte sich das mit Besorgniß. Einige überredeten sich, er werde im Geheimen geliebt, und forderten betreffs seiner anscheinenden Gleichgültigkeit Rechenschaft von ihm. Zu geschickt, um sich durchschauen zu lassen, entgegnete Montgenays, daß die Achtung stets bei ihm den Gedanken unterdrücken würde, Laurentia etwas anderes zu sein, als ein Freund und ein Bruder. Man berichtete diese Worte Laurentia und fragte sie, ob ihr Stolz den armen Montgenays nie einer Erklärung überheben würde, zu der es ihm stets an Kühnheit fehlen werde.

»Ich halte ihn für bescheiden,« entgegnete sie, »aber nicht in dem Maße, daß er nicht zu sagen wüßte, er liebe, wenn er unversehens einmal lieben sollte.«

Diese Antwort wurde Montgenays hinterbracht, und er wußte nicht, ob er sie für den spöttischen Ausdruck des Verdrusses oder unbekümmerter Gleichgültigkeit halten sollte. Zuweilen wurde seine Eitelkeit dadurch so gepeinigt, daß er bereit war, alles zu wagen, um es zu erfahren. Aber die Furcht, alles zu verderben und zu verlieren, hielt ihn zurück, und die Zeit verfloß, ohne daß er eine Gelegenheit kommen sah, dem unveränderlichen Kreislauf zu entrinnen, während dessen jede Woche ihn aus einem Stadium der Hoffnung in ein Stadium der Entmuthigung stürzte und von einem erheuchelten zu einem ungereimten Entschlusse fortriß, ohne daß es ihm je möglich gewesen wäre, eine schickliche Stunde für eine Erklärung, die nicht unsinnig, oder für einen Rückzug, der nicht lächerlich wäre, zu finden. Denn er, der seinen Stolz darein setzte, eine ernste Rolle zu spielen, scheute die Lächerlichkeit über alles. Die Anwesenheit Pauline's kam ihm endlich zu Hilfe, und die Schönheit des jungen, unerfahrenen Mädchens gab ihm neue Pläne ein, ohne etwas an seinem Ziele zu ändern.

Er verfiel darauf, sich einer Taktik zu bedienen, die allerdings ziemlich gewöhnlich ist, aber selten ihren Erfolg verfehlt, so sehr sind die Frauen den Einflüsterungen thörichter Eitelkeit zugänglich. Er dachte, er würde, wenn er eine verliebte Neigung für Pauline zur Schau trüge, bei ihrer Freundin den Wunsch erregen, sie zu ersetzen. Nachdem er mehrere Monate von Paris abwesend gewesen war, erschien er wieder im Salon Laurentia's an einem Abend, wo Pauline, erstaunt und erschrocken, den gewöhnlichen Bekanntenkreis sich von Stunde zu Stunde vergrößern zu sehen, anfing, von der geringen Breite ihrer schwarzen Robe und der Steifheit ihres Kragens schmerzlich berührt zu werden. Sie bemerkte in der Gesellschaft mehrere Schauspielerinnen, die in Folge ihrer Toilette ganz hübsch oder zum Wenigsten anziehend erschienen, und indem sie sich mit ihnen und mit Laureutia selbst verglich, sagte sie sich mit Recht, daß ihre Schönheit regelmäßiger und tadelloser wäre, und daß ein wenig Toilettenkunst genügen würde, um sie vor aller Augen außer Zweifel zu stellen. Während sie nach ihrer Gewohnheit im Salon hin und her ging, um den Thee zu bereiten, die Lichter zu putzen und all die kleinen Geschäfte zu verrichten, die sie freiwillig ans sich genommen hatte, tauchte ihr melancholischer Blick in die Spiegel, und ihr ärmliches, fast nonnenhaftes Costüm begann ihr zu mißfallen und ihr widerwärtig zu werden. In einem solchen Augenblicke begegnete sie im Spiegel dem Blicke Montgenays', der alle ihre Bewegungen beobachtete. Sie hatte seinen Eintritt nicht anmelden hören; ohne ihn zu sehen, war sie, als er ankam, im Vorzimmer an ihm vorüber gegangen. Er war der erste Mann mit schönem Gesichte und seiner Haltung, den sie erblickte. Eine Art Schrecken erfaßte sie. Sie richtete ihre Augen verwirrt ans ihre eigene Persönlichkeit und fand ihre Robe zerknittert, ihre Hände roth, ihre Schuhe unförmlich, ihren Gang unbeholfen. Sie hätte sich verkriechen mögen, um diesem Blicke zu entgehen, der ihr unverwandt folgte, der ihre Unruhe zergliederte, und der gelegentlich solcher nicht außergewöhnlichen Empfindungen durchdringend genug war, um auf den ersten Streich zu erkennen, was in ihr vorging. Einige Minuten später bemerkte sie, daß Montgenays mit Laurentia von ihr sprach, denn die Blicke beider waren während der mit leiser Stimme geführten Unterhaltung auf sie gerichtet.

»Ist das da eine Kammerfrau oder eine Gesellschafterin, die Sie angenommen haben?« fragte Montgenays Laurentia, obwol er die Geschichte Pauline's sehr gut kannte.

»Keins von beiden,« antwortete Laurentia. »Es ist meine Freundin aus der Provinz, von der ich Ihnen so oft erzählt habe. Wie gefällt sie Ihnen?«

Montgenays stellte sich, als antworte er zunächst nicht, um Pauline unverwandt anzublicken. Dann sagte er mit einer seltsamen Betonung, die Laurentia nicht bei ihm gewohnt war, denn er hatte diese Ausdrucksweise seit langem sorgfältig aufgespart, damit sie bei Gelegenheit ihre Wirkung thue:

»Bewundernswürdig schön! Zum Entzücken reizend!«

»Wahrhaftig!« rief Laurentia ganz überrascht von seiner Bewegtheit, »Sie machen mich sehr glücklich, indem Sie mir das sagen! Kommen Sie, ich stelle sie Ihnen vor.«

Und ohne seine Antwort abzuwarten, ergriff sie ihn beim Arm und zog ihn an das Ende des Salons, wo Pauline sich eine Haltung zu geben versuchte, indem sie ihre Stickerei zurechtlegte.

»Erlaube mir, liebes Kind,« sagte Laurentia zu ihr, »dir einen meiner Freunde vorzustellen, den du noch nicht kennst, und der seit langer Zeit den Wunsch hegt, dich kennen zu lernen.«

Nachdem sie dann Pauline, die in ihrer Bestürzung nichts davon begriff, den Namen Montgenays' genannt hatte, richtete sie das Wort an einen ihrer Kunstgenossen, der eben hereintrat, und ließ Montgenays und Pauline Auge in Auge, um nicht zu sagen ganz allein, in dem Winkel des Salons beisammen.

Niemals hatte Pauline mit einem so wohl frisirten, geschniegelten, fein bestiefelten und parfümirten Mann gesprochen. Ach! man hat keine Vorstellung davon, welchen Zauber diese Lappalien des eleganten Lebens auf die Einbildungskraft eines Mädchens aus der Provinz ausüben. Eine weiße Hand, ein Diamantknopf im Hemd, Lackstiefel, eine Blume im Knopfloch sind Gesuchtheiten, die im Salon gewissermaßen nur durch ihre Abwesenheit glänzen; ein Handlungsreisender aber trage nur einmal diese Reize in einer kleinen Stadt zur Schau, und die Blicke aller werden an ihn gefesselt sein. Ich behaupte nicht, daß alle Herzen ihm entgegenfliegen werden, aber ich meine, er muß ein großer Tölpel sein, wenn er sich nicht wenigstens einiger bemächtigt.

Diese kindische Eingenommenheit dauerte bei Pauline nur einen Moment. Stolz und verständig hatte sie bald diesen Rest von Kleinstädterei abgeschüttelt. Trotzdem aber konnte sie nicht umhin, in den Worten, die Montgenays an sie richtete, eine große Vornehmheit und einen bezaubernden Reiz zu finden. Sie war erröthet, daß das Aeußere eines Mannes allein sie verwirrt hatte, sie versöhnte sich aber mit diesem ersten Eindruck, als sie dem Geiste dieses Mannes denselben Stempel der Eleganz aufgedrückt zu finden glaubte, dessen Gepräge seine ganze Persönlichkeit trug. Und dann die besondere Aufmerksamkeit, die er ihr widmete, die Mühe, die er sich gegeben zu haben schien, um ihr, die sie sich in einen Winkel zwischen die chinesischen Tassen und die Blumenvasen zurückgezogen hatte, vorgestellt zu werden, das schüchterne Vergnügen, das er zu empfinden schien, als er sie über ihren Geschmack, ihre Sympathien und die empfangenen Eindrücke befragte, indem er sie gleich von Anfang an, wie eine scharfsinnige Frau behandelte, die fähig sei, alles zu verstehen und zu beurtheilen – all diese Künste gesellschaftlicher Höflichkeit, deren Oberflächlichkeit und Tücke Pauline nicht kannte, rissen sie aus ihrer gewöhnlichen Apathie. Sie entschuldigte sich einen Augenblick lang wegen ihrer Unkenntniß in allen diesen Dingen, und Montgenays schien diese Zaghaftigkeit für bewunderungswürdige Bescheidenheit oder für ein Mißtrauen zu nehmen, über das er sich heuchlerischer Weise beklagte. Nach und nach wurde Pauline kühner bis zu dem Grade, daß sie zeigen wollte, sie besitze ebenfalls Geist, Geschmack und Bildung. Im Hinblick auf ihre frühere Lebensart hatte sie diese Eigenschaften allerdings in außergewöhnlichem Maße, aber im Vergleich zu all diesen Künstlern, die sich in geistsprühendem Geplauder überboten, konnte sie nicht vermeiden, zuweilen in Gemeinplätze zu verfallen. Obgleich ihre vornehme Natur sie vor jedem trivialen Ausdruck bewahrte, war doch mit Leichtigkeit zu erkennen, daß ihr Geist noch nicht gänzlich seine Hülle abgestreift habe. Einen Mann von höherm Verständniß als Montgenays würde diese Entwicklung gefesselt haben, dem Gecken aber flößte sie nur heimliche Verachtung für die geistigen Fähigkeiten Pauline's ein, und von diesem Augenblick an beschloß er bei sich selbst, sich ihrer immer nur als Spielzeug, als Mittel, als Opfer zu bedienen, wenn es sein müßte.

Wer konnte bei diesem anscheinend kalten und leidenschaftslosen Menschen einen so hartherzigen, grausamen Entschluß voraussetzen? Sicherlich Niemand. Laurentia konnte dergleichen trotz ihrer scharfen Urteilskraft nicht vermuthen und Pauline noch weniger als irgend jemand auf diesen Gedanken kommen.

Als Laurentia, sich mit Besorgniß erinnernd, daß sie Pauline bis zum Fieber erregt und bis zur Angst verwirrt mit Montgenays allein gelassen habe, sich ihr wieder näherte, war sie nicht wenig überrascht, die Freundin glückstrahlend, heiter, von unbekannter Schönheit beseelt und beinahe so frei und behaglich zu sehen, als ob sie ihr ganzes Leben in der Gesellschaft zugebracht habe.

»Schau doch einmal deine Freundin aus der Provinz an,« flüsterte ihr ein alter, befreundeter Schauspieler ins Ohr, »ist es nicht seltsam, daß die Mädchen im Handumdrehen geistreich werden?«

Laurentia schenkte diesem Scherze wenig Beachtung. Sie achtete auch nicht darauf, daß Montgenays, der recht gut wußte, daß sie um vier Uhr aus der Probe kam, am folgenden Tage eine ganze Stunde zu früh erschien, um ihr seinen Besuch zu machen, und daß er von drei bis vier Uhr im Salon wartete, nicht allein, sondern über die Stickerei Pauline's geneigt.

Beim vollen Tageslichte hatte Pauline ihn sehr alt gefunden. Obgleich er erst dreißig Jahre zählte, erschien sein Gesicht doch in Folge einiger Ausschweifungen welk. Es ist bekannt, daß nach den Ansichten der Provinz die Frische der Gesundheit von der Schönheit nicht zu trennen ist. Pauline – und das gereichte ihr zum Lobe – begriff noch nicht, daß die Spuren der Ausschweifung der Stirn einen Schimmer von Poesie und Seelengröße verleihen können. Wie viel Männer sind in unserem romantisch beanlagten Zeitalter nicht für Denker und Dichter gehalten worden, aus keinem andern Grunde, als weil sie eingesunkene Augen und vor der Zeit gefurchte Stirnen hatten! wieviel galten für Leute von Genie, und waren doch nur Kranke! Aber der Zauber seiner Worte umstrickte Pauline noch fester als am vorhergehenden Tage. Die anmuthigen Schmeicheleien, welche die beschränkteste Frau von Welt nach ihrem wahren Werthe zu schätzen weiß, fielen wie ein befruchtender Regen in die dürre, schmachtende Seele der armen Einsiedlerin. Ihr Stolz, der so lange einer wahren Befriedigung entbehrt hatte, belebte sich unter dem gefährlichen Hauche der Verführung, und welch einer kläglichen Verführung! der eines durchaus kalten Mannes, der ihrer Leichtgläubigkeit spottete und sie als Fußschemel benutzen wollte, um sich bis zu Laurentia zu erheben.


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