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Unser Amtsschreiber, der viel Zeitungen las, hatte mir so vieles von der Freiheit und Glückseligkeit, die in Frankreich wäre, vorgesagt, daß ich große Lust hatte, aus einem deutschen Unterthan ein französischer Bürger zu werden. Nur wußte ich nicht, wie ich's anfangen sollte. Nach meinem Geburtsorte, Hillenhausen, wollten die Franzosen nicht kommen und zu ihnen zu gehen hatte ich nicht Muth genug. Ich that also weiter nichts, als daß ich den Franzosen das Wort redete, und meinen Nachbaren immer vorpredigte, wie glücklich ein freier Bürger gegen uns arme Unterthanen wäre.
Vielleicht wäre ich immer zu Hause geblieben, vielleicht wäre auch die Freiheitsliebe nach und nach wieder verraucht; aber unser Amtmann brachte mich dahin, daß ich mich wirklich entschloß, nach dem freien Frankreich zu wandern.
Wir waren zur Frohne geboten, ich kam eine Viertelstunde zu spät, der Amtmann fuhr mich an, und hieß mich einen faulen Esel. Dieß verdroß mich so sehr, daß ich des Nachts meine Wäsche, und meine dreißig Gülden, die ich mir erspart hatte, zusammen packte, und in Gottes Namen nach Frankreich zu reiste.
Da ich vor Augsburg kam, fand ich einen jungen Mann unter einem Baume liegend, der so blaß aussah wie eine Leiche. Was fehlt Ihm, Landsmann? fragte ich. Er war aber so schwach, daß er nicht reden konnte, sondern immer nach dem Munde wies. Ich wußte nicht was das bedeuten sollte, machte ihm also den Mund auf, sah hinein, bemerkte aber nichts besonders. Er wies wieder nach dem Munde und fing an zu kauen. Da fiel mir ein, daß die Reisenden bisweilen den Heißhunger bekämen, der sie so kraftlos machte, daß sie nicht von der Stelle könnten. Vielleicht, dachte ich, hat dieser Mann auch den Heißhunger, holte mein Stück Brod heraus, das ich in der Tasche hatte, und gab es ihm. Er verzehrte es, und wurde dadurch so gestärkt, daß er mir die Hand bieten und aufstehen konnte.
Wo geht Sein Weg hin? fragte ich. Thue Er mir den Gefallen, sagte er, und nehme Er mich mit dahin, wo Er geht. Ich bin so kraftlos, daß ich nicht allein gehen kann. Da nahm ich ihn an den Arm, und führte ihn bis zum nächsten Dorfe. Auf dem Wege war ich so froh, als ich lange Zeit nicht gewesen war. Der Reisende sah mich ein paarmal an und sagte: Er ist mein Engel, den der liebe Gott mir zugeschickt hat, mich zu retten. Wer wollte sich nicht freuen, wenn er ein Engel sein kann?
Sobald wir im Wirthshause angekommen waren, ließ ich eine Portion Sauerkraut und Bratwurst auftragen, die wir mit einander verzehrten. Hernach tranken wir auch ein paar Kannen Bier. Da mein Reisegefährte den ersten Trunk gethan hatte, sagte er: nun so gut hat es mir in langen Zeiten nicht geschmeckt, als dießmal. Wie wird es aber mit der Zahlung stehen? ich habe keinen Pfennig bei mir.
Nun antwortete ich, wenn Er keinen Pfennig hat, so habe ich ihn. Er hat ja gesagt, ich wäre sein Engel. Engel nehmen für die Gefälligkeiten, die sie den Menschen erzeigen, keine Bezahlung an.
Da drückte er mir die Hand, noch immer thut mir dieser Händedruck wohl, und sagte: Gott vergelte es Ihm!
Wie ist Sein Name? fragte ich.
Martin, war seine Antwort.
Da entstand nun zwischen mir Ernst Haberfeld und Martin folgendes Gespräch.
H. Wo kommt Er her?
M. Aus Frankreich.
H. Aus Frankreich?
M. Geraden Weges aus Frankreich.
H. Das ist mir ja so lieb, als wenn ich hundert Thaler gefunden hätte.
M. Wie so?
H. Weil ich auch nach Frankreich will.
M. Warum denn das?
H. Ich will französischer Bürger werden.
M. Französischer Bürger will Er also werden? was glaubt Er denn damit zu gewinnen?
H. Die Freiheit.
M. Hm! Hm! wovon will Er denn frei werden?
H. Von Abgaben.
M. Da irrt Er gewaltig, wenn Er glaubt, daß die Franzosen von Abgaben frei wären.
H. Ich habe aber doch gehört, daß der Zehnte bei ihnen abgeschafft wäre.
M. Ganz richtig, sie geben dafür den Fünften.
H. Das wäre ja noch einmal so viel als der Zehnte.
M. Das versteht sich. Ich will nicht sagen, daß man ihnen gerade zu den Fünften abfordere, aber sie müssen doch weit mehr bezahlen, als sonst bezahlt wurde. Ein französischer Bürger aus Coblenz hat mich versichert, daß er sonst, da er noch Unterthan war, 60 Gulden jährlich bezahlt hätte, und nun, da er französischer Bürger wäre, müsse er 200 Gulden bezahlen.
H. Das ist freilich viel. Aber die Franzosen frohnen doch nicht mehr.
M. Ganz richtig. Das Wort Frohnen ist bei ihnen abgeschafft; aber sie müssen sich doch aufbieten lassen zum Dienste für's Vaterland. Hat Er nicht gelesen, daß sie einmal in Masse aufstehen und in's Feld rücken mußten?
H. Dieß ist nur der Anfang, künftig wird es schon besser werden.
M. Will's Gott! Ich glaube es nicht. Die Menschen, die mächtiger sind als andere, haben es nicht sehr an der Gewohnheit, Abgaben und Dienste, die einmal eingeführt sind, wieder abzunehmen.
H. Aber die Franzosen sind doch Bürger und wir sind Unterthanen.
M. Will Er mir nicht einige Geldstücke zeigen, die Er in Seinem Beutel hat?
H. Hier.
M. Wie nennt Er denn die kleinen Silberstücke, die Er hier hat?
M. Gut! nun reise Er einmal nach Frankfurt am Main, da nennt man sie Kreuzer. Sind sie denn aber deßwegen mehr als Dreier?
H. Freilich nicht. Aber was will Er denn damit sagen?
M. Es ist halt so ein Gleichniß. Jetzt ist Er Unterthan; reist Er nach Frankreich, lebt da eine Zeitlang und heirathet eine Französin, so wird Er Bürger. Ist Er aber dann mehr als jetzt? so wenig, als der Kreuzer mehr ist als der Dreier. Der deutsche Unterthan muß Abgaben entrichten, der französische Bürger auch; Jener muß Dienste thun, dieser auch. Der ganze Unterschied ist der, daß der deutsche Unterthan mehr Freiheit hat, als der französische Bürger.
H. Herr! schwatze Er mir nicht zu viel!
M. Ich schwatze nicht zu viel. Bei wem hat Er denn um Erlaubniß zu verreisen gebeten, da Er von Hause gegangen ist?
H. Bei Niemanden.
M. In Frankreich darf Niemand über den Rhein gehen, ohne einen Paß zu lösen. Wieviel Geld hat Er mitgenommen, als Er von Hause ging.
H. Dreißig Gülden.
M. Er hätte auch dreihundert mitnehmen können, ohne daß man darnach gefragt hätte. In Frankreich geht das nicht so. Als ich über den Rhein fahren wollte, hatte ich hundert Carolins bei mir, die mir ein Mädchen vermachte, mit dem ich mich verlobt hatte. Ich wurde visitirt, und die Carolins wurden mir geradezu weggenommen. Durch vieles Bitten bekam ich vier Laubthaler zurück. Davon habe ich gezehrt, bis ich nach Augsburg kam, da ging der letzte Pfennig fort; und weil ich mich scheuete, Jemanden um etwas anzusprechen, so wurde ich vom Heißhunger überfallen, daran ich vermuthlich gestorben wäre, wenn Er mich nicht gerettet hätte. Er hat mich gerettet, ich rette Ihn wieder – folge Er mir – gehe Er nicht nach Frankreich.
H. Wenn sich die Sache so verhält, so müßte ich ja ein Narr sein, wenn ich dahin gehen wollte.
Da hat Er recht, sagte ein alter Graukopf, der bei einer Pfeife Taback unserem Gespräche zugehört hatte. Die Menschen wollen alle frei sein, und das ist recht gut, sie wissen aber nur nicht, wie sie die Sache angreifen müssen. Da wollen sie frei werden von Abgaben. Das ist ja albern. In jedem Lande, es mag von einem Könige, einem Fürsten, einem Konsul oder von einem Regenten mit einem andern Namen regiert werden, müssen Abgaben sein. Sie wollen von Diensten frei sein, das ist auch lächerlich; wer in einem Lande lebt, und darin geschützt wird, der muß auch für das allgemeine Beste Dienste verrichten. Es gibt eine ganz andere Freiheit, die ganz sicher und weit mehr werth ist. Die wenigsten kennen sie, und diejenigen, die sie kennen, haben selten Lust den Weg zu betreten, auf welchem man zu ihr kommt.
Der Graukopf machte mich neugierig und es entstand zwischen ihm und mir folgendes Gespräch.
H. Wollen Sie nicht so gut sein, und mir den Weg zeigen, der zur Freiheit führt?
G. Das will ich wohl, wenn ich nur verstanden werde.
H. Der Herr Pfarrer, der mich konfirmirte, sagte, ich wäre nicht auf den Kopf gefallen.
G. Wir wollen es versuchen. Weiß Er denn, wo man die Freiheit suchen muß?
H. Bisher suchte ich sie in Frankreich, dieser gute Freund aber hat mich auf andere Gedanken gebracht.
G. Die Freiheit ist weder in Frankreich noch in Deutschland, weder in Rußland noch in der Türkei, sie ist auf der ganzen Erde nicht, und ist doch allenthalben; nachdem man es nimmt.
H. Ich verstehe Sie nicht, lieber Herr.
G. Da will ich mich deutlicher erklären. Wer frei zu sein versteht, der kann es allenthalben sein, und wer es nicht versteht, der wird in seinem Leben nicht frei, wenn er auch alle Edelleute, Grafen, Fürsten, Consuls, oder wie sie sonst heißen mögen, die Andere regieren, zum Guckguck jagte.
H. Also könnte ich auch in meinem Dorfe, wo ich frohnen muß, frei sein?
G. Ei das versteht sich.
Jetzt deckte der Wirth den Tisch für den Graukopf, er setzte sich um zu speisen.
Ich wünsche Ihnen gesegnete Mahlzeit, sagte ich. Aber, ehe Sie speisen, so bitte ich, daß Sie mir doch nur sagen, wie ich frei werden kann.
G. Es gibt gar schwere Frohndienste, die drückender sind als die Frohnen, die die Edelleute, oder wohl gar der Großsultan, auflegen. Von diesen muß sich der Mensch frei zu machen suchen. Ist Er davon frei, so ist kein Mensch in der Welt im Stande ihn zu seinem Sclaven zu machen.
H. Welches sind denn diese Frohndienste?
G. Die Frohndienste, die man seinen Begierden leistet, die Begierde nach Geld, nach Ehre, nach gewissen Speisen und Getränken, u. s. w.
H. Glauben Sie denn, daß es möglich ist, diese Begierden los zu werden.
G. Das glaube ich nicht. Aber man kann sie beherrschen. Ich habe z. B. ein wildes Reitpferd, das seinen Reiter abwirft, wenn er nicht sattelfest ist. Das gebe ich deßwegen nicht weg, sondern ich bändige es lieber, da ist es mir sehr nütze. So muß der Mensch es auch mit seinen Begierden machen, er darf sich nicht von ihnen beherrschen lassen.
Während dieses Gesprächs verzehrte er seine Suppe, und der Wirth trug ihm ein Stück Hasenbraten auf.
Ei! sagte der Graukopf, da kommt ja mein Leibgericht, das soll mir vortrefflich schmecken. Er stach mit der Gabel hinein, setzte das Messer an, ehe er aber hineinschnitt, sah er mich bedenklich an, und sagte: nun Landsmann! was meint Er? soll ich zuschneiden?
H. Ich sehe nicht ein, warum Sie es nicht thun sollten.
G. Ich will's aber nicht thun. Um ihm zu zeigen, was es heiße, sich selbst beherrschen, will ich keinen Hasenbraten essen. Hier, Landsmann, nehme Er ihn!
H. Das wäre aber sehr unhöflich, wenn ich Ihnen Ihren Braten wegessen wollte.
G. Wenn Er ihn nicht ißt, so bleibt er stehen.
H. Nun, wenn Sie es so wollen, so will ich ihn halt annehmen. Ich holte hierauf mein Messer heraus, setzte es an, ehe ich aber zuschnitt, sah ich dem Graukopf in's Gesicht, und sagte: Herr! ich habe gewaltigen Appetit nach dem Hasenbraten, damit Sie aber sehen, daß ich mich auch beherrschen kann, so will ich ihn auch nicht essen. Hier, Kamerad, nehme Er ihn!
Ich danke, sagte dieser. Damit ihr Herren aber sehet, daß ich mich auch beherrschen kann, so will ich ihn auch nicht sogleich essen, sondern einwickeln, und zu mir stecken, damit ich diesen Abend etwas zu essen habe.
Der Graukopf lachte und sagte, das habt Ihr gut gemacht. Ihr seht also, daß es möglich ist, seine Begierden zu beherrschen, wenn man nur will.
Aber erlauben Sie mir, fuhr ich fort, ich dächte, Hasenbraten zu essen wäre etwas Unschuldiges.
G. Nicht so unschuldig als Er denkt. Wenn ich Hasenbraten mir auftragen lasse, esse ihn, und bezahle ihn nicht, ist denn das etwas Unschuldiges? oder wenn ich das Geld, das ich zum Winterholze nöthig habe, nehme, und kaufe dafür Hasenbraten, ist denn das etwas Unschuldiges?
H. Das wohl nicht; aber Ihr Hasenbraten war ja bezahlt.
G. Bezahlt noch nicht, aber ich habe das Geld dazu im Beutel. Wenn ich aber meine Begierde nach Braten nicht mäßigen lerne, so kann sie mich auch verleiten Braten zu essen, wenn ich ihn nicht bezahlen kann.
Aha, sprechen wir einander hier, Meister Rollfuß? woher kommt Er?
Immer von Augsburg, antwortete ein schlecht gekleideter Mann, der eben in die Stube getreten war. Er stand da, wie wenn ihm die Hühner das Brod genommen hätten, zitterte am ganzen Leibe und getrauete sich nicht, dem Graukopf unter die Augen zu sehen. Endlich schlich er sich wieder zur Thür hinaus.
Mit dem war's gewiß nicht richtig, sagte ich.
G. Ganz richtig nicht. Der könnte jetzt auch ein anderer Mann sein, könnte jedem getrost unter die Augen sehen, wenn er seine Begierde nach gutem Essen und Trinken hätte mäßigen können. Da sein Vater starb, erbte er doch fünfhundert Thaler. Seine Freunde riethen ihm, daß er sie in seine Haushaltung verwenden sollte, aber er verwendete sie in die Küche. Da war auf dem Markte und in der Fleischbank nichts so theuer, das er nicht kaufte. Kaum war ein Jahr vorbei, so war sein väterliches Erbgut durch die Gurgel gejagt. Nun kam er zu mir, und bat mich um Gottes willen, daß ich ihm 50 Thaler borgen sollte, damit er Wolle einkaufen könnte. Ich ließ mich erbitten, und gab sie ihm, nachdem er mir einen Schein darüber gegeben, und versprochen hatte, daß er mich nach dreiviertel Jahren als ein redlicher Mann bezahlen wollte. Von mir ging er vor der Fleischbank vorbei, und sahe da eine fette Schweinekeule hängen. Sogleich fragte er, was sie koste? Der Metzger sagte ihm, er könne sie nicht verkaufen, weil er sie mir versprochen hätte.
Der kann, antwortete er, Schweinskeulen alle Tage essen, ich gebe vier Groschen mehr. Und so kaufte er denn von dem Gelde, das ich ihm geborgt hatte, meine Schweinskeule weg. So lebte er fort, und da die dreiviertel Jahre um waren, konnte er mich nicht bezahlen. Ist so ein Mensch wohl frei? frohnt er nicht seiner Eßbegierde? muß er mir nicht allenthalben aus dem Wege gehen? kann ich ihn nicht einsetzen lassen, so bald es mir gefällt? Setzt so einen Menschen nach Paris oder London, nennt ihn Bürger oder Unterthan, er wird in seinem Leben nicht frei, er bleibt immer ein Sclave.
Hier sah er nach seiner Uhr, und machte sich zur Abreise fertig. Da ihm der Wirth sein Pferd vorgeführt hatte, bat er meinen Kameraden, daß er es in die Tränke reiten möchte. Kaum hatte sich dieser aber aufgesetzt, so bäumte sich der Braune in die Höhe, steckte den Kopf zwischen die Beine und schlug hinten aus, so daß mein Kamerad sich nur mit genauer Noth am Sattelknopfe erhalten konnte. Der Graukopf fiel dann dem Pferde sogleich in den Zügel, ließ meinen Kameraden absteigen, und sagte: ein Mensch, der sich nicht selbst beherrschen kann, ist wie ein Reiter, der sein Pferd nicht zu bändigen weiß.
Wo geht die Reise hin? wurde einmal ein Reiter gefragt, mit dem das Pferd durchgegangen war. Wo Gott und mein Pferd hin will, antwortete er. So geht es auch Leuten, die ihre Begierden nicht beherrschen können. Sie thun nicht das, was sie sich vorgenommen haben, sondern wozu sie durch ihre Begierden getrieben werden.
Er drückte dann meinem Kameraden einen Laubthaler in die Hand, schwang sich auf das Pferd, galoppirte zum Dorfe hinaus und kam dann im Trabe zurück. Seht ihr, sagte er, wie mir mein Brauner gehorcht? Gebt Achtung! jetzt will ich ihn noch auf eine andere Art dran kriegen. Er zog den Zügel an, setzte ihm den einen Sporn in die Seite, und der Braune kehrte darauf seinen Kopf gegen das Wirthshaus, schnaubte, und schritt seitwärts vor demselben auf und ab.
Wer seine Begierden so dressiren kann, sagte er endlich, wie ich meinen Braunen, der ist frei, er mag in Paris oder Konstantinopel wohnen; und wer dieß nicht kann, der ist nirgends frei.
Hierauf schwenkte er seinen Hut, setzte den Arm in die Seite, und galoppirte wieder zum Dorfe hinaus.
Ich stand da wie verblüfft, und wußte nicht, ob ich mich mehr wundern sollte über den schönen Reiter, oder über die vernünftigen Worte, die er mir gesagt hatte.
Ich ging wieder in die Stube, überlegte, wie hübsch es wäre, wenn man seine Begierden so zügeln könnte, wie der Graukopf seinen Braunen, und wie ich es anfangen müßte, wenn ich es auch so weit bringen wollte. Der Graukopf, dachte ich bei mir selbst, würde nimmermehr seinen Braunen so bändigen können, wenn er ihn nicht beständig herumgetummelt hätte. Du mußt es halt mit deinen Begierden eben so machen.
Während dieser Meditationen fielen mir die Augen zu, denn ich war von meiner Reise, die nun sechs Tage gedauert hatte, ziemlich müde. Da ich sie wieder aufschlug, fiel mir ein, was ich vorher gedacht hatte. Wenn du, sprach ich zu mir selbst, deiner Begierden Herr werden willst, so mußt du auch die Schlafbegierde zu beherrschen wissen; sonst geht das Ding meiner Treue nicht. Gesetzt du hättest dir eine Arbeit vorgenommen, und die Augen fielen dir zu, und könntest über die Schläfrigkeit nicht Herr werden, so wärest du ja nicht frei, der Schlaf hätte dich gebunden, und du könntest nicht thun was du wolltest. Was hatte ich zu thun? ich nahm meinen Hut und Stock, bezahlte meine Zeche, nahm von meinem Kameraden Abschied und ging fort.
Sauer kam es mir an, ich kann es nicht läugnen, die Dämmerung brach auch ein; ich kehrte mich aber nicht daran, und nahm mir vor, noch drei Stunden weit zu gehen, um meine Schläfrigkeit einmal herum zu tummeln.
Es ging vortrefflich; da ich in's Freie kam, verlor sich meine Schläfrigkeit, ich schritt frisch drauf los, und freuete mich nicht wenig, daß mir der erste Kampf mit meinen Begierden so gut gelungen war. Gegen zehn Uhr kam ich in Herrenrode an. Da ich in die Wirthsstube trat, machte man die Streue für ein Paar Reisende. Ich bat, für mich auch ein Plätzchen zu machen, zuvor aber mir ein Stück Brod und eine Kanne Bier zu geben.
Indem ich es genoß, fragte ich die Reisenden, wohin ihr Weg ginge? Nach Rittersleben, war ihre Antwort. Da gehe ich auch hin, sagte ich, und wir wurden mit einander einig, die Reise zusammen zu machen, und den andern Tag punkt fünfe fort zu gehen.
Nun wurde zur Streue hingegangen. Wie ist's doch, dachte ich, so süß, sich selbst beherrschen zu können! und über diesen Gedanken fiel ich in einen sanften Schlaf, der so lange dauerte, bis die Wanduhr des Wirths viere schlug.
Meine Kameraden schliefen noch wie die Ratzen und ich wollte sie nicht wecken, weil es noch nicht fünf Uhr war. Nach einer halben Stunde stand ich endlich auf, weckte sie, und sagte, es wäre bald fünf Uhr, sie müßten aufstehen, wenn wir zur bestimmten Stunde fort wollten. Da wandten sie sich auf der Streue, wie die Gefangenen an der Kette. Endlich ermunterten sie sich doch und standen auf. Wo ist der Kaffee? war ihre erste Frage. Da sie keinen fanden, liefen sie in die Küche, und da hier weder Feuer noch Rauch war, so riefen sie nach der Wirthin.
Mir kam auch die Lust zum Kaffee an, und ich hatte es schon auf der Zunge: mache sie für mich auch eine Portion, als mir's zum Glücke noch einfiel, daß ich mir vorgenommen hatte, fünf Uhr fort zu gehen, und daß mir dieß nicht möglich wäre, wenn ich mich durch die Lust zum Kaffee zurückhalten ließ, daß ich folglich auch über die Kaffeebegierde Herr werden müßte, wenn ich frei werden wollte. Unterdessen also diese mit der Wirthin zankten, daß sie so lange geschlafen hätte, und der Dampf von gebranntem Kaffee sie so an das Wirthshaus fesselte, daß es ihnen nicht möglich war von der Stelle zu gehen, bezahlte ich, was ich verzehrt hatte, und ging, sobald es fünf schlug, fort, ohne einen Bissen zu genießen.
Jetzt verstand ich recht, was der Graukopf mit seiner Freiheit hatte sagen wollen. Du bist frei, dachte ich, und kannst fünf Uhr fortgehen, so wie du es dir vorgenommen hast. Jene sind aber nicht frei. Sie möchten auch gern mitgehen; sie können aber nicht, weil die Lust zum Kaffee sie gefesselt hat. Gegen neun Uhr kam ich in Rittersleben an, und ging dann sogleich weiter, nachdem ich mein Frühstück genossen hatte.
Mein Weg führte mich durch einen Wald. Kaum war ich hineingetreten, so hörte ich das Wimmern eines kleinen Kindes, und da ich einige Schritte weiter gethan hatte, fand ich das arme Würmchen, das in ein Paar alte Lumpen gewickelt und an den Weg gelegt war. Schon hatte ich die Hand ausgestreckt und wollte es aufheben, um es nach Rittersleben zu tragen; da fiel mir ein: was werden die Leute dazu sagen, wenn du mit dem Kinde angezogen kömmst? werden sie nicht sprechen, das Kind wäre dein Kind? werden sie es dir nicht zurückgeben, und von dir verlangen, daß du es ernähren sollst? Ich ließ das Kind also liegen, und setzte meinen Weg langsam fort. Dabei fiel mir aber doch ein, ob's wohl recht sei, daß ich das Kind liegen ließe? Recht ist's, dachte ich bei mir selbst, auf keinen Fall, wenn du des armen Wurms dich nicht annimmst. Du hast ihn doch gefunden – du bist sein Nächster – weil du zunächst bei ihm bist – stirbt es, so hat es Niemand, außer seiner Rabenmutter, auf seinem Gewissen als – du! Und warum willst du es nicht aufnehmen? aus Furcht vor dem Urtheile der Leute – aus Furcht, was werden die Leute dazu sagen! aus falscher Schamhaftigkeit. He! Haberfeld! sieht's so mit dir aus? du glaubst du wärest frei, weil du einmal über den Schlaf Herr geworden bist, und dir den Kaffee versagt hast; aber nun, da ein armes, von seiner Mutter und von aller Welt verlassenes Kind vor dir wimmert und um Hülfe bittet, stehst du da wie ein Gefangener, und kannst nicht helfen: weil die Furcht vor dem Urtheile der Leute dich zurückhält. Ei, nicht also! Haberfeld ist frei – Haberfeld ist auch Herr über die falsche Schamhaftigkeit. Ich ging also getrost wieder zurück, nahm das Kind in den Arm, und marschirte damit in Gottes Namen auf das Dorf los. Da ich bald an das Dorf kam, schlug das Kind seine blauen Aeugelchen auf, und das Herz wurde mir dabei weich. Wenn du, dachte ich bei mir selbst, am Leben bleibst, und einmal ein guter Mensch wirst, so hast du es meiner Freiheit zu danken. Wäre ich nicht frei, so hätte ich dich nicht retten können.
Als ich in's Dorf kam, fragte ich sogleich nach dem Herrn Schulzen, trug das Kind zu ihm, und sagte: Hier! Herr Schulze! bringe ich Ihm ein Kind, das ich in der hiesigen Flur gefunden habe.
Ein Kind gefunden? fuhr mich der Schulze an, das mögt Ihr wohl selbst hingelegt haben. Da müßte die Gemeinde viel Geld haben, wenn sie jedes Landstreichers Kind ernähren wollte. Lauft mit Eurem H..kinde, so weit Euch Eure Beine tragen, oder ich zeige es sogleich bei einem hochlöblichen Amte an, und lasse Euch durch den Landknecht über die Gränze bringen.
Da stand ich nun mit dem armen Wurme, wie Butter an der Sonne, und wußte nicht, was ich thun oder lassen sollte. Du willst, dachte ich endlich, fortgehen und das Kind wieder hinlegen, wo du es gefunden hast; mag es ihm doch in Gottes Namen gehen wie es will, hast du doch deine Schuldigkeit gethan. Stirbt es, so mag es der Schulze verantworten.
Wirklich war ich schon ein Stück zum Dorfe hinausgegangen, um das Kind an den Weg zu legen, und dann fortzulaufen, so weit mich meine Beine trügen. Da fing der arme Wurm wieder an zu weinen, und machte mir das Herz weich. Wenn du, dachte ich, das Kind wieder hinlegst, so muß es sterben, das ist so gewiß, als zweimal zwei vier ist. Und warum willst du es hinlegen? Dein Herz spricht, nimm dich des Kindes an. Du hast aber keine Courage – du fürchtest dich – Haberfeld! Haberfeld! es ist mit dir noch nicht richtig unter der Mütze – du bist noch nicht frei. Was hatte ich zu thun? ich ging wieder nach dem Dorfe zu, und fragte, wo der Herr Pfarrer wohne?
Ein kleiner Junge zeigte mir den Weg zum Pfarrerhause, nachdem ich ihm zwei Dreier versprochen hatte.
Da ich zum Pfarrerhause kam, trat eben der Herr Pfarrer heraus, und wollte ausgehen. Ein alter eisgrauer Mann war er, dem aber die Ehrlichkeit aus den Augen sah. Herr Pfarrer! sagte ich, ich bin ein Reisender, finde nicht weit vom Dorfe ein kleines Kind am Wege – wenn Sie es gefunden hätten, was würden Sie gethan haben?
Pf. Da braucht Er nicht lange zu fragen, ich hätte es aufgehoben.
H. Das glaube ich gern. Sehen Sie! das habe ich auch gethan, habe das arme Kind zu dem Herrn Schulzen getragen, und es ihm übergeben wollen; dieser hat mich aber angefahren und gesagt, ich sollte mit dem H..kinde laufen so weit mich meine Beine trügen. Ich ging fort und war schon im Begriffe es wieder in den Weg zu legen, aber mein Gewissen ließ es nicht zu. Nun rathen Sie mir, was ich mit dem Kinde anfangen soll.
Pf. Wenn Er es beweisen kann, daß Er es wirklich gefunden hat, so weiß ich schon was Er zu thun hat. Aber man wird doch immer den Verdacht gegen Ihn haben, daß Er es selbst hingelegt habe.
H. Ei das habe ich wohl gewußt, aber ich dachte bei mir selbst, ich wäre ein schlechter Kerl, wenn ich, aus Furcht vor dem Urtheile der Menschen, das arme Kind verlassen wollte.
Pf. Das hat Er wirklich gedacht?
H. Das habe ich gedacht. Beweisen kann ich es freilich nicht, denn ich habe keinen Zeugen, als Gott und mein Gewissen.
Pf. Wohl Ihm, wenn Er vor diesen Zeugen bestehen kann. Jetzt gehe Er mit dem Kinde in die Stube, ich will den Herrn Schulzen rufen lassen.
Der Schulze kam bald, hatte aber ein schrecklich loses Maul. Herr Pfarrer! sagte er, wenn Sie das Kind aufnehmen, so müssen Sie es ernähren, so war ich Schwalbe heiße. Die Gemeine hat kein Geld dazu, anderer Leute H..kinder zu ernähren.
Nun sagte der Herr Pfarrer, mit dem Ernähren wird es sich wohl geben. Jetzt thut jedes, was seine Schuldigkeit ist. Ich nehme mich des armen Kindes an, und der Herr Schulze geht sogleich in das Amt und meldet es, daß ein Kind in unserer Flur wäre gefunden worden.
Der Herr Schulze brummte und ging fort, bald darauf trat eine Frau herein, die der Herr Pfarrer im Stillen hatte herbeirufen lassen. Willkommen Frau Rübsamen! sagte er, als sie hereintrat, hat sie sich bald beruhigt, wegen ihres lieben Kindes, das gestern gestorben ist?
Statt der Antwort fing sie an laut zu heulen.
Ich habe ihr gestern schon gesagt, Frau Rübsamen, fuhr der Herr Pfarrer fort, daß die Fügungen Gottes immer gut wären, wenn sie uns auch noch so wehe thäten, daß auch bei diesem schmerzlichen Todesfalle Gott seine weisen Absichten habe, wenn wir sie auch gleich nicht sogleich einsähen. Jetzt offenbart es sich schon, warum der liebe Gott ihr Kind zu sich genommen hat. Sie soll die Mutter eines andern armen verlassenen Kindes werden, das heute in unserer Flur ist gefunden worden. Will sie das wohl thun?
Jetzt fing das Kind an zu schreien. Hört sie, fuhr der Herr Pfarrer fort, wie das Kind weint und sie bittet, daß sie sich seiner erbarmen soll? Die Frau besann sich ein Paar Augenblicke, dann stand sie auf, sah das Kind an und rief! ach du lieber Gott! das ist doch mein seliges Christöphelchen wie es leibt und lebt, nahm das Kind auf, druckte es an ihre Backen, und fuhr fort: ach du liebes Christöphelchen! ich will deine Mutter sein, darauf kannst du dich verlassen, machte alsdann ihre Brust auf, und gab dem Kinde zu trinken. Herr Pfarrer! sagte sie, ich nehme das Kind an, aber Sie müssen mir versprechen, daß Sie es Christöphelchen nennen wollen, wenn es getauft wird.
Der Herr Pfarrer versprach es ihr, sie ging mit dem Kinde fort, und ich nahm meinen Hut und Stock, um auch meine Heimreise fortzusetzen.
Der Herr Pfarrer lächelte aber und sagte: nein lieber Freund! sogleich darf Er nicht fort; Er muß sich erst von einem wohllöblichen Amte vernehmen lassen, und darthun, daß Er das Kind nicht selbst hingelegt habe.
Ich wollte dagegen allerlei einwenden; er aber hob die Hand in die Höhe und sprach: es hilft nichts, lieber Haberfeld! Er muß sich verhören lassen. Drauf brachte er ein Butterbrod und stopfte mir den Mund damit.
Nicht lange darauf kam der Herr Schulze zurück und brachte Befehl vom Amte, daß das Kind zwar einstweilen von der Gemeine ernährt, der Mann aber, der es überbracht hätte, so lange in Verhaft genommen werden sollte, bis man von ihm, aus seinem Geburtsorte, nähere Nachricht eingezogen habe.
Wer soll das H..kind nehmen? fragte der Schulze. Das müssen Sie behalten, Herr Pfarrer, denn ich nehme es nicht zu mir, so wahr ich Schwalbe heiße.
Da der Herr Pfarrer versicherte, daß dieß für ihn sich gar nicht schicke, weil er keine Frau hätte; So! fuhr der Schulze fort – nun gut so will ich es zur Hirtenfrau thun, die hat eine schwarze Hippel So nennt man in Thüringen eine Ziege., an der kann sie es trinken lassen. Wo ist der Balg?
Ich habe keinen Balg bekommen, antwortete der Herr Pfarrer, mir ist ein verlassenes Kind überliefert worden, das so gut ein Mensch ist, als Er, Herr Schulze, und ich. Es ist in guten Händen, ich habe es der Frau Rübsamen übergeben, die mir versprochen hat, es zu erziehen.
Sch. Wer hat Ihnen geheißen, daß Sie das thun sollen?
Pf. Die Pflicht. Es ist in unserer Flur gefunden worden, wer soll denn für dasselbe sorgen? wenn wir es nicht thun, so muß ja das Kind sterben.
Sch. Desto besser, so brauchen wir es nicht zu ernähren.
Pf. So denkt der Herr Schulze, so denke ich aber nicht. In meinem Katechismus steht: du sollst nicht tödten. Wenn wir aber von dem armen Kinde die Hand abziehen, und es sterben lassen, tödten wir es denn da nicht? und kurz und gut, Herr Schulze, Er ist mein Vorgesetzter nicht. Was ich gethan habe, will ich vor meiner Obrigkeit schon verantworten.
Sch. So komm ( indem er sich zu mir wendete) du Landstreicher! und geh' mit in das Loch, wohin du gehörst.
Pf. Geh' Er getrost, lieber Haberfeld! Wenn Sein Gewissen rein ist, so hat Er nichts zu fürchten. Morgen gehe ich selbst zu dem Herrn Amtmann und spreche mit ihm.
Ich folgte also dem Herrn Schulzen, und fand vor der Hausthüre vier junge Bursche, mit Prügeln bewaffnet, die mich in Empfang nahmen, und nach dem Amte zuführten.
Da wir an das nächste Dorf kamen, so sagte der eine, Hans Knackwurst hieß er: höre Landsmann! wir müssen deinetwegen den sauern Weg machen, du solltest billig uns einen Schnaps einschenken lassen.
Ich gab meine Einwilligung und ließ jedem ein Gläßchen Branntwein einschenken. Da ich meinen Beutel herauszog und sie sahen, daß ich ein Dutzend Laubthaler bei mir hatte, so sagte Knackwurst: Hör' Bruder Herz! du hast Geld. Das wird dir im Amte doch abgenommen. Gib uns doch noch etwas zum Besten! Laß uns heute einmal recht satt Branntwein trinken.
Meinetwegen, sagte ich, trinkt so viel ihr wollt.
He! rief Knackwurst, Herr Wirth, bringe Er uns zwei Nösel Branntwein, Bruder Herz der bezahlt alles.
Der Wirth ließ es sich nicht zweimal sagen, brachte eine Flasche Branntwein, und meine Wächter tranken tüchtig darauf los.
Ich trank nicht mit, sondern ließ mir ein Maas Bier einschenken.
Unser Haberfeld soll leben! sagte Knackwurst. Hoch! riefen die andern, und stießen mit den Gläsern an.
Und sein klein Söhnchen! sagte Christoph Merrettig.
Die Gesundheit, Brüderchen, mußt du mittrinken; denn sieh, du magst dich auch anstellen, Brüderchen, wie du willst, so ist das Söhnchen doch von dir. Komm, trink mit, du sollst mich auch zu Gevatter bitten. Mich auch! mich auch! riefen die übrigen; und brachten mir ein Glas Branntwein, mit den Worten: prosit Herr Gevatter! ich nahm das Glas an, setzte es an die Lippen, trank aber nicht davon.
Sie bemerkten es auch nicht, weil sie schon halb berauscht waren. Unterdessen tranken sie doch frisch drauf los, bis die Flasche ausgeleert war, dann legten sie sich mit den Köpfen auf den Tisch, und schliefen wie die Rätze.
Und ich? ich stand da wie ein Freiherr. Hast Recht alter Graukopf, dachte ich, wer seine Begierden beherrschen kann, der ist frei. Jetzt bin ich ein Gefangener; aber weil ich der Lust zum Branntweintrinken widerstanden habe, so bin ich frei und kann hingehen wohin ich will. Du willst auch zeigen, daß du frei bist, und gehen kannst wohin du willst.
Ist es noch weit nach dem Amte? fragte ich den Wirth.
Noch zwei Stunden, sagte er, und nannte mir auch die Dörfer, über die man gehen müßte. Ich bezahlte dann den Branntwein, den ich hatte trinken sehen, und sobald der Wirth sich entfernt hatte, machte ich mich auf die Strümpfe und lief fort. Wißt ihr wohin? Immer nach dem Amte zu.
Als ich ankam, ließ ich dem Herrn Amtmann durch seinen Bedienten sagen, der Mann wäre da, der bei Rittersleben das Kind gefunden hätte. Er kam bald mit der Antwort zurück: ich sollte ein wenig warten. Ich wartete also, und da ich gewartet hatte, so kam – der Landknecht, faßte mich bei dem Ermel, führte mich in's Gefängniß, schmiß die Thür zu und verriegelte sie.
Läugnen kann ich es nicht, daß es mir eiskalt über die Haut lief, da ich in das Loch trat, in welches das Tageslicht nur durch ein dunkles Fensterchen fiel, das mit eisernen Stäben verwahrt war. Wer weiß, dachte ich, wie viele Spitzbuben schon hier verwahrt wurden – du wirst auch hierher gebracht, wie ein Spitzbube, und bist doch so ein ehrlicher Kerl! unterdessen bist du doch frei. Es ist ja dein eigener Wille, daß du hierher gingst.
So lange es Tag war, vertrieb ich mir die Zeit mit Betrachtung der Figuren und der Verschen, die die Gefangenen an die Wand gemalt und geschrieben hatten; da es aber dunkel wurde, fiel auch dieser Zeitvertreib weg, und ich verlor meine gute Laune ganz. Da hörte ich an den Schlössern rasseln, die Thür that sich auf und der Landknecht trat mit einer Laterne herein.
So einen närrischen Kerl, wie du bist, sagte er, habe ich doch in meinem Leben nicht gesehen. Eben jetzt hat der Schulze von Rittersleben berichtet, daß du entsprungen bist; warum gingst du denn nicht so weit dich deine Beine trugen? Jetzt sollst du gleich zum Herrn Amtmann kommen: weil er das Wunderthier heute noch sehen will.
Da ich in des Herrn Amtmanns Stube trat, wurde ich auf einmal wieder lebendig. Er saß auf seinem Großvaterstuhle und schmauchte seine Pfeife Taback. Die Tabackspfeife sah gerade so aus, wie die Pfeife des Graukopfs, der Rock sah so aus, wie der Rock des Graukopfs, und der Kopf, der aus dem Rocke herausguckte, sah dem Graukopfe so ähnlich, wie ein Ei dem andern. Kurz – es war der Graukopf selbst.
Der, dachte ich bei mir selbst, wird dir den Kopf nicht abreißen.
Wie heißt du? fragte er mich.
Ernst Haberfeld, war meine Antwort.
Wo kommst du her? fragte er weiter.
Von der Reise nach Frankreich, antwortete ich.
Von der Reise nach Frankreich? sagte er, stand auf und betrachtete mich. Bist du nicht der Mann, mit dem ich gestern das Gespräch über die Freiheit hielt?
Ich versicherte ihn, daß ich es wäre. Nun mußte ich ihm alles erzählen, was mir seit unserer Trennung begegnet war, was für Mühe ich mir gegeben hätte, frei zu werden, wie ich zu dem Kinde gekommen wäre, was ich für Gespräche mit dem Herrn Schulzen und dem Herrn Pfarrer gehalten hätte, und was zwischen mir und den Wächtern vorgefallen war.
Da ich mit meiner Erzählung fertig war: schüttelte der Herr Amtmann meine Hand und sagte: Haberfeld! du bist ein ehrlicher Mann. Ich kann nicht glauben, daß du das Kind, das du gebracht hast, selbst aussetztest. Der Ordnung wegen muß ich dich noch hier behalten, bis ein Zeugniß von deinem Wohnorte eingegangen ist; aber in das Gefängniß sollst du nicht wieder kommen.
Jetzt klingelte er, und der Bediente trat herein. Höre! Friedrich! sagte er, dieser Mann ist so ehrlich, wie ich und du, nimm ihn mit in deine Stube, laß ihn mit dir essen, und mache ihm ein Bette in der Kammer zurechte.
Ich dankte dem Herrn Amtmann für seine Güte, ließ mir mein Essen und Trinken gut schmecken, legte mich bald zu Bette und schlief so sanft, daß, da mir die Augen zufallen wollten, ich wünschte, daß alle gute Menschen einen so sanften Schlaf haben möchten. Schade daß er nicht lange dauerte!
Zwei Stunden ungefähr mochte ich geschlafen haben, so ging's pauf! ich fuhr auf, sprang nach dem Fenster, sah hinaus – pauf! da wurde wieder eine Kanone losgeschossen, die nicht weit von meiner Schlafkammer stand. Was gibt es denn? rief ich zum Fenster hinaus. Es ist ein schreckliches Feuer, erhielt ich zur Antwort.
Was hatte ich zu thun? ich warf mich in die Kleider, und lief vor auf den Platz, wo der größte Lärm war. Es wurde eine Feuerspritze hervorgerückt, Pferde angespannt, und eine halbe Mandel Leute sprangen auf die Spritze, zu denen ich mich auch gesellte. Nun wurde fort galoppirt nach dem Dorfe zu, wo das Feuer war.
Da wir das erste Dorf erreicht hatten, kam auch der Herr Amtmann auf seinem Braunen zu uns. Gebt genau Achtung! sagte er, und thut, aufs Wort, alles was ich euch heiße, so wollen wir bald Hülfe schaffen.
Bei unserer Ankunft im Dorfe war ein gar jämmerliches Wehklagen. Ach du lieber Herr Jesus! ach daß Gott erbarme! da ist keine Rettung! so riefen die Leute durch einander.
Der Herr Amtmann lachte, und sagte, die Leute wollen vermuthlich das Feuer mit Thränen löschen.
Sobald sie aber den Herrn Amtmann sahen, so schrie alles, was schreien konnte, der Herr Amtmann Specht kommt! der Herr Amtmann Specht kommt! nun geht's gut! nun ist uns geholfen.
Platz gemacht! rief dieser, und alles machte Platz. Er besah nun erst genau, was es mit dem Feuer für eine Bewandniß hatte, dann, wie der Blitz, war er vom Pferde, befahl seinem Friedrich, daß er es zu dem Herrn Pfarrer bringen sollte, sprang auf die Spritze, befahl Wasser herbeizubringen, nahm den Schlauch in die Hand und sagte: nun in Gottesnamen! arbeitet fleißig ihr Leute!
Ich pumpte was ich nur vermochte, sah aber immer nach dem Feuer hin, in welches der Amtmann spritzte.
So etwas habe ich in meinem Leben nicht gesehen. Wohin er spritzte, da war auch das Feuer wie weggeblasen. Nach einer Viertelstunde, so wahr ich Haberfeld heiße, war alles gelöscht, bis auf die Häuser, die nicht mehr zu retten waren. Der Amtmann befahl sogleich, daß alle Spritzen sie umringen und drein spritzen sollten, und nach einer Stunde war das ganze Feuer nieder.
Der kann mehr als Brodessen, sagte ein Bürger, der neben mir stand.
Ei das wollte ich meinen, sagte ein anderer, von rechten Dingen geht das nicht zu, dabei bleibe ich. Er kann das Feuer versprechen. Sahet ihr nicht, wie er erst um das Feuer herumritt und murmelte?
Ich würde ihrem Gespräch noch länger zugehört haben, wenn es nicht einen neuen Auftritt gegeben hätte. Der Mann, dessen Haus war gerettet worden, kam heraus, schüttelte des Amtmanns Hand und sagte: Gott im Himmel vergelte es Ihnen, was Sie an mir gethan haben. Wären Sie nicht gekommen, so wäre ich jetzt ein armer Mann. Wollen Sie mir denn nicht erlauben, daß ich Ihnen und Ihren Leuten etwas zu essen, und einen Schnaps anbieten darf?
Wir nehmen es mit Dank an, antwortete der Amtmann.
Sogleich war die Tochter des Mannes mit einer Schüssel voll Kuchen da, die sie dem Herrn Amtmann und seinen Löschkameraden anbot. Sie war ganz leicht angekleidet, die Haube stand auf einem Ohre, die Augen waren roth geweint, aber doch gefiel sie mir so wohl, daß ich auf sie mehr als auf den Kuchen sah. Auch da sie unter die Andern Kuchen austheilte, sah ich ihr nach und bemerkte ihren Vater nicht, der neben mir stand, und einen Schnaps mir vorhielt, bis er mich anstieß und sagte: will Er denn nicht auch einen Schnaps haben?
Da griff ich denn zu, aber so ungeschickt, daß ich das Glas fallen ließ. Ob's daher kam, daß mir die Hände verkrümmt waren, oder aus einer andern Ursache, das weiß ich nicht. Genug der Mann war so gefällig, daß er mir ein anderes Glas einschenkte. Ich dankte ihm höflich und wollte mit ihm ein Gespräch über seine Haushaltung anfangen. Ehe ich aber recht dazu kommen konnte, so kommandirte der Herr Amtmann zum Abmarsche, und ich mußte mit der Spritze wieder zurückfahren. Es war um fünf Uhr, da wir wieder zurückkamen. Ich warf mich auf das Bette, und wollte schlafen, konnte aber nicht.
Gegen acht Uhr ließ mich der Herr Amtmann zu sich kommen, erkundigte sich genau nach meinem Vor- und Zunamen, meinem Geburtsorte, meinem Geburtsjahre und nach der Ursache, warum ich von Hause gegangen wäre, schrieb alles genau auf, und sagte mir, daß er nun an meine Obrigkeit schreiben und sich erkundigen würde, ob sich alles so verhielte, wie ich es ausgesagt hätte. Ich war es wohl zufrieden, bat ihn aber doch, daß er nichts davon melden sollte, daß ich nach Frankreich hätte gehen wollen. Dieß ist, antwortete er, zur Sache nicht nöthig, ich werde also davon kein Wort schreiben. Jetzt fuhr er fort, kannst du in meinen Garten gehen, und da etwas arbeiten, wenn dir die Zeit zu lang wird.
Das will ich, war meine Antwort, gern thun, ich kann nichts weniger ausstehen, als den Müssiggang.
Ehe ich aber fortgehe, so habe ich noch eine Bitte auf dem Herzen. Wollen Sie mir die wohl gewähren?
A. Das ist doch eine sonderbare Frage. Du könntest ja wohl gar von mir bitten, daß ich dich sollte fortgehen lassen. Sag' an, was du von mir verlangst, hernach will ich überlegen, ob ich es thun kann.
H. Thun sie mir doch die Gefälligkeit und sagen Sie mir, wie sie es nur machten, daß Sie das Feuer so geschwind löschten.
A. Fragst du das im Ernste?
H. Ich werde es ja nicht im Spaße fragen.
A. Nun so muß ich dir sagen, daß du in der ganzen Gegend der erste bist, der mich darum fragt. Alle Leute halten mich für einen Hexenmeister, der durch Zauberei das Feuer lösche. Denn wahr ist es, sobald ich komme, so ist die Feuersbrunst so gut als gelöscht. Weil nun die Leute glauben, daß ich ihnen das Hexengeheimniß doch nicht offenbaren würde, so fällt es keinem ein, mich darum zu fragen. Da du mich aber darum gefragt hast, so will ich dir die ganze Hexerei entdecken. Gib Achtung! wenn du mich recht verstehst, so wirst du, so gut als ich, das Feuer löschen können, ohne daß du nöthig hast, dich dem Teufel zu ergeben. Wenn du einen Distelbusch ausrotten willst, was mußt du denn wegschaffen?
H. Die Wurzel.
A. Warum denn die Wurzel? Wäre es denn nicht eben so gut, wenn du die Blumen und die Aeste abschnittest?
H. Ich glaube nicht: denn wenn die Wurzel stehen bleibt, so schlägt sie wieder aus, und nach etlichen Wochen steht ein neuer Distelbusch da.
A. Da hast du recht! Aber sieh'! mit dem Feuer ist's eben so, das hat auch seine Wurzel. Diese Wurzel ist das verkohlte Holz, aus diesem zieht die Flamme beständig ihre Nahrung. Wenn du also das Feuer löschen willst, wo mußt du denn anfangen?
H. Doch wohl bei dem verkohlten Holze.
A. Ei das versteht sich. Das thun aber unsere Leute nicht, diese spritzen immer in die Flamme, und jemehr sie spritzen, desto heftiger wird sie. Das Wasser selbst, wenn es nicht in großer Menge in die Flamme gegossen wird, ist so gut wie Oel, und nährt die Flamme; eine andere Nahrung gibt das verkohlte Holz. Gelingt es ihnen endlich durch unmäßiges Einspritzen die Flamme an der einen Stelle zu löschen, so bricht sie, ehe sie es sich versehen, an einer andern Stelle wieder aus, weil das verkohlte Holz ihr immer neue Nahrung gibt, und die Leute wissen immer nicht, wie es zugehe.
Nun sieh' wie ich die Sache anfing. Ich untersuchte erst, wo das Feuer an den zwei Häusern, die zuletzt abgebrannt waren, seinen Anfang genommen hatte. Es war die Eckseite des ersten Hauses, die schon verkohlt war. Auf diese richtete ich mein Spritzenrohr, begoß sie langsam von oben bis unten hinaus, und in ein Paar Minuten war sie gelöscht. Nun folgte ich dem Feuer nach, auf dem Wege, den es genommen hatte, löschte eine Säule, einen Riegel nach dem andern, und merkte schon, daß die Flamme immer schwächer wurde. Endlich verlöschte sie ganz, ehe ich noch mit meinem Spritzenrohre an die Stelle kam, wo sie am stärksten gelodert hatte.
Nun befahl ich auch die Häuser zu löschen die schon verloren waren. Denn da begehen unsere Leute einen andern Fehler. Um die Häuser, die niedergebrannt sind, bekümmern sie sich nicht mehr, die, denken sie, sind doch nicht zu retten, und überlegen nicht, daß, so lange das verkohlte Holz nicht gelöscht wird, immer eine Feuerwurzel da ist, die, ehe sie es sich versehen, in neue Flammen ausbricht. Sieh' das ist meine Hexerei. Wenn die Leute dieß begriffen, und bei jeder Feuersbrunst nur gleich die Stelle löschten, wo das Feuer angefangen hat, und immer mit ihren Spritzen den Weg verfolgten, den das Feuer genommen hat, so müßten besondere Umstände eintreten wenn nicht alles in einer halben Stunde könnte abgemacht werden.
H. Ich danke Ihnen recht vielmal, lieber Herr Amtmann, für diese gute Lehre. Wenn ich wieder nach Hause komme, so will ich sie gewiß befolgen. Nun habe ich aber noch eine Bitte an Sie.
A. Sag' an!
H. Wollen Sie mir denn nicht erlauben, daß ich wieder nach dem Orte gehen darf, wo es diese Nacht brannte?
A. Was willst du denn da thun?
H. Ich möchte gern den guten Leuten mit aufräumen helfen.
A. Dafür ist schon gesorgt. Ich habe dreißig Bauernbursche dahin geschickt, die diese Sache betreiben.
H. Ich möchte aber doch gar zu gern auch dabei sein.
A. Ich sage dir aber, daß es nicht nöthig ist. Ueberdieß bist du ja ein Arrestant. Es kömmt mir beinahe vor, als wenn du mir aus dem Garne gehen wolltest.
H. Aber lieber Herr Amtmann –
A. Aber lieber Herr Haberfeld! wenn dir die Zeit zu lange wird, so geh' in meinen Garten und räume das Unkraut aus dem Wege weg.
So mußte ich also abziehen.
Als ich nach dem Garten ging, begegnete mir der gute Herr Pfarrer, der so liebreich für die Verpflegung des ausgesetzten Kindes gesorgt hatte. Guten Morgen Haberfeld! sagte er, und Er geht so frei herum?
H. Ja! Herr Pfarrer! und daß ich frei bin, das habe ich dem Herrn Amtmann Specht zu danken.
Pf. Der hat Ihn aus dem Arreste gelassen? ach das habe ich wohl vorausgesehen. Er ist gar ein guter Herr.
H. Das ist er auch. Er hat mich nicht nur aus dem Gefängniß befreiet, sondern hat mich auch auf meine ganze Lebenszeit frei gemacht. Herr Pfarrer! wer seine Begierden beherrschen kann, der ist frei. Habe ich recht oder unrecht?
Pf. Er hat vollkommen recht.
H. Und dieß hat mich der Herr Amtmann gelehrt. Ich habe meine Schläfrigkeit besiegt, ich habe meine Begierden nach Kaffee beherrscht, die Furcht vor dem Urtheile der Menschen habe ich bezwungen, das Glas Branntwein, das ich schon an den Lippen hatte, habe ich von mir gestoßen.
Pf. Alles schön! glaubt Er aber, daß Er deßwegen frei sei?
H. Ei das wollte ich meinen.
Pf. Haberfeld! Haberfeld! Haberfeld! traue Er sich nicht zu viel zu! Sieht Er die weißen Haare, die ich unter dem Hute habe? da sie noch braun waren, rang ich schon nach Freiheit, und rang, und rang, bis mein Kopf schneeweiß wurde. Ich habe nicht umsonst gerungen, der Weißkopf ist weit freier, als der Braunkopf. Wenn ich aber sagen sollte, daß ich ganz frei wäre, so müßte ich es lügen. So lange wir in diesem Körper stecken, haben wir auch Begierden, und wenn wir sie neunundneunzigmal besiegt haben, so regen sie sich das hundertemal doch wieder, und man ist in Gefahr von ihnen überwunden zu werden.
H. Ich will mich schon hüten, daß ich nicht überwunden werde.
Pf. Nun da muß Er sehr auf Seiner Hut sein. Wo geht Er jetzt hin?
H. In des Herrn Amtmanns Garten, um da zu arbeiten, wozu ich freilich keine große Lust habe.
Pf. Keine Lust? das wundert mich. Der Herr Amtmann hat Ihm doch so viel Gutes gethan, daß es Seine Schuldigkeit ist, ihm so viele Dienste, als möglich, zu leisten.
H. Ich wollte aber gern den Leuten, bei denen diese Nacht das Feuer war, aufräumen helfen, und der Herr Amtmann der will es durchaus nicht zulassen.
Pf. Was muß Er denn da thun?
H. Freilich muß ich gehorchen.
Pf. Ei das wollte ich meinen. Der Herr Amtmann ist ja jetzt Sein Vorgesetzter, und verlangt nichts Unbilliges von Ihm. Warum will Er denn aber dorthin, um aufräumen zu helfen?
H. Ich war mit bei dem Feuerlöschen, und der Mann, dessen Haus wir retteten, war ein gar guter gefälliger Mann. Er gab jedem, der an der Spritze gearbeitet hatte, ein Stück Kuchen und einen Schnaps.
Pf. Zieht Ihn vielleicht der Kuchen und der Schnaps nach Ilsenhayn?
H. Da kennen Sie mich noch schlecht, Herr Pfarrer, wenn sie meinen, daß ich auf so etwas versessen wäre. Nein der Mann, der so gefällig gegen uns war, gefiel mir so wohl, daß ich ihn möchte näher kennen lernen.
Pf. Das kann Er ja auf der Rückreise. Hat der Mann, Familie?
H. Familie? das – das weiß ich nicht so recht. Ich sah nur eine Tochter, die unter uns den Kuchen vertheilte.
Pf. Also eine Tochter! die war wohl noch klein?
H. Ach nein, sie mochte wohl achtzehn bis zwanzig Jahr alt sein.
Pf. Diese wünscht Er wohl näher kennen zu lernen?
H. ( schlug die Augen nieder).
Pf. Hab ich's getroffen, lieber Haberfeld? es ist Ihm weder an dem Aufräumen, noch an dem gefälligen Vater – etwas gelegen – Er will die Tochter besuchen. Der freie Haberfeld ist an Ilsenhayn wie mit Ketten gebunden. Er sieht ein, daß es Seine Schuldigkeit ist, Seinem Wohlthäter zu dienen; Er kann aber nicht, weil seine Begierde ihn wo anders hin zieht. Ich will doch sehen, wie er sich dabei benehmen wird.
Der Herr Pfarrer verließ mich nun und ging zu dem Herrn Amtmann; ich aber nahm meine Schaufel und Hacke, und machte mich an die Arbeit, die mir im Garten angewiesen war.
Wenn ich aber sagen sollte, daß mir die Arbeit geschmeckt hätte, so müßte ich es lügen. Ohne Ruhm zu melden, so habe ich von meiner Kindheit an gern gearbeitet. Mein Vater, tröste ihn Gott, hielt seine Kinder immer zur Arbeit an. Kinder! sagte er oft zu uns, das Essen schmeckt euch gut, und das ist mir lieb. Ich zahle immer das Geld lieber dem Metzger und Bäcker, als dem Doctor, Apotheker und Barbierer. Jetzt bekommt ihr das Essen von mir. Wenn ich aber nicht mehr bei euch bin, so werdet ihr auch noch essen wollen. Wo soll dann das Essen herkommen? Wollt ihr etwa gutherzige Leute darum ansprechen? Da würde ich mich im Grabe umwenden, wenn ihr eurem Vater solche Schande machtet. Von der Arbeit müßt ihr leben, und wenn ihr das wollt, so müßt ihr euch als Kinder dazu gewöhnen. Greift also die Arbeit frisch an, so werdet ihr gesund und stark werden, euer gutes Auskommen finden und nicht nöthig haben, andern Leuten gute Worte zu geben. Wenn ihr dann zu Bette geht, so wird euch der Schlaf süß sein, weil ihr wißt, daß ihr euer Brod nicht mit Sünden, als Faullenzer und Tagediebe, gegessen, sondern es verdient habt.
So sprach mein Vater und er sprach nicht umsonst – ich bekam die Arbeit lieb, und nichts war mir unerträglicher, als der Müssiggang.
Nun konnte ich gar nicht begreifen, woher es kam, daß ich jetzt gar keine Lust mehr zur Arbeit verspürte. Wenn ich eine halbe Mandel mal gehackt hatte, so stand ich stille, lehnte mich auf die Hacke und träumte. Wovon? wenn ich die Wahrheit sagen soll, von dem Mädchen, das ich in Ilsenhayn gesehen hatte. Kam ich zu Tische, so schmeckte mir das Essen nicht, weil ich wußte, daß ich es nicht verdient hatte, und stieg ich in das Bette, so konnte ich nicht ruhig schlafen. So ein Leben wünsche ich meinem Feinde nicht. Ich war bisweilen so ärgerlich, daß ich mir alle Haare aus dem Kopfe hätte raufen mögen. Du hast recht, Herr Pfarrer, dachte ich, da du sagtest, daß man deßwegen noch nicht frei sei, wenn man ein Paarmal seine Begierden besiegt hat.
Endlich, da ich zu keiner Ruhe mehr kommen konnte, schrieb ich an den Herrn Pfarrer folgenden Brief:
Lieber Herr Pfarrer!
Sie haben ganz recht, wenn Sie sagten, daß man deßwegen noch nicht frei sei, wenn man seine Begierden ein Paarmal besiegt hat. Ich bin gar ein armer unglücklicher Sclave. Die Liebe zu dem Mädchen, das ich in Ilsenhayn sah, hat mich gefesselt. Tag und Nacht habe ich keine Ruhe. Rathen Sie mir doch, was ich thun soll! die Liebe ist doch etwas Unschuldiges. Soll ich denn auch eine unschuldige Begierde beherrschen? das wäre doch wirklich zu hart. Ich bin
Ihr
gehorsamer Diener
Ernst Haberfeld.
Gleich den folgenden Tag erhielt ich von dem guten Herrn Pfarrer folgende Antwort:
Lieber Haberfeld!
Er sieht nun wohl ein, daß es mit Erlangung der Freiheit eine so leichte Sache nicht sei, als Er sich vorgestellt hat. Man muß sein Lebelang kämpfen, wenn man sie erhalten will. Wenn ich Ihm die Wahrheit sagen soll, so kann man ohne Religion nicht frei werden. In meiner Bibel steht: die Wahrheit wird euch frei machen. Man muß den festen Glauben haben, daß alles unter Gottes Leitung stehe, und dieser uns alles gebe, was uns gut ist. Wenn Er den Glauben an diese Wahrheit hat, so ist Er gleich frei. Denn nun weiß Er gewiß, daß Er das Mädchen das Er liebt, bekömmt, wenn es Ihm von Gott bestimmt ist. Ist's Ihm von Gott nicht bestimmt, so rauft Er sich deßwegen kein einziges Haar aus dem Kopfe, sondern denkt, das ist gut, daß du es nicht bekamest, weil es Gottes Wille nicht war. Nun wird Er fragen: woher weiß ich denn, ob mir das Mädchen von Gott bestimmt ist?
Ich will es Ihm sagen, wie Er es erfahren kann. Zuerst muß Er wohl überlegen, ob Er auch im Stande ist, Seine künftige Frau und Kinder zu ernähren. Wäre dieß nicht, so muß Er sich der Heirathsgedanken auf der Stelle entschlagen. Denn Gottes Wille ist, daß ein Mann seine Frau und Kinder ernähren soll. Wäre Er aber im Stande dieß zu thun, nun so geht Er auf seiner Rückreise über Ilsenhayn, und erkundigt sich vor allen Dingen, ob das Mädchen noch frei und nicht etwa einem Andern versprochen ist. Wäre dieses, so kann sie Ihm wieder nicht von Gott bestimmt sein. Denn dieser sagt: du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, Knecht, Magd, Vieh, oder alles was sein ist. Zu dem allen, was sein ist, gehört auch die Braut eines Andern.
Wäre sie aber frei, nun so muß Er sich erst nach ihrem Lebenswandel erkundigen. Sollte Er erfahren, daß sie eine ausschweifende Dirne, oder eine unordentliche Haushälterin sei, so kann Er doch nicht glauben, daß es Gottes Wille sei, sich mit einer Person zu verbinden, von der Ihm seine Vernunft sagt, daß sie ihn unglücklich machen würde. Fände sich's aber, daß diese Person unbescholten wäre, nun so mache Er sich mit ihrem Vater und ihr bekannt, bewerbe sich um ihre Hand, und wenn Er sie erhält, so nehme Er sie an, als von Gott gegeben.
Seh' Er, lieber Haberfeld! so handelt der vernünftige Mensch in solchen Fällen. Wer aber seiner Lüste Sklave ist, der fährt gerade, ohne Ueberlegung, zu, wenn er in ein Mädchen verliebt wird, sucht es zu bekommen, es koste was es wolle, und wenn es nicht geht, so will er sich alle Haare aus dem Kopfe raufen, oder noch etwas ärgeres vornehmen.
Jetzt hat Er weiter nichts zu thun, als daß Er, sobald Er diesen Brief gelesen hat, seine Hacke nimmt, in des Herrn Amtmanns Garten geht, drauf los hackt, was das Zeug hält, und dabei immer denkt: was dir gut ist, wird dir der liebe Gott geben. Dieß ist mein wohlgemeinter Rath. Wenn er Ihm etwas helfen soll, so muß Er ihn befolgen.
Ich bin, mit aufrichtiger Gesinnung
Sein
Carl Goldammer, Pf.
Ich stand wie betäubt, da ich diesen Brief gelesen hatte, fühlte aber doch, daß der Herr Pfarrer recht habe.
Frisch gewagt ist halb gewonnen, sagte ich, nahm meine Hacke, ging in den Garten und steckte mir ein Stück Weg ab, das viermal so lang war, als ich sonst in einem halben Tage zu hacken pflegte. Dieß dachte ich, muß heute fertig werden, es koste was es wolle. Nun hackte ich immer drauf los und dachte: was gut ist, wird dir der liebe Gott geben.
Da die Glocke sieben schlug, hatte ich noch ein klein Stückchen von dem abgesteckten Wege zu bearbeiten. Ich strengte mich noch mehr an, und in einer Viertelstunde war alles umgehackt, was ich mir vorgenommen hatte.
Punktum! sagte ich, als ich den letzten Hieb gethan hatte, nahm meine Hacke auf die Schulter und ging fort.
Bravo! rief eine Stimme wie vom Himmel.
Ich erschrak, sah in die Höhe und erblickte den Herrn Amtmann, der oben aus seinem Fenster heraussah.
Komm ein Bischen auf meine Stube, sagte er.
Ich ging hinauf.
Haberfeld! sagte er, du bist ein Mensch, aus dem ich nicht klug werden kann. Da ich dich kennen lernte, hielt ich dich für einen sehr fleißigen Burschen; da ich dich aber an die Arbeit stellte, so betrugst du dich wie ein wahrer Tagedieb. Heute ist auf einmal ein anderer Geist in dich gefahren. Ich habe deiner Arbeit zugesehen, und mich über deinen Fleiß gefreut. Wie geht das zu? sag' an!
Herr Amtmann, antwortete ich, Sie haben mir so viel Gutes gethan, daß ich Ihnen unmöglich etwas verschweigen kann. Und nun erzählte ich ihm die ganze Geschichte haarklein, wie sie an sich selbst war.
Er hörte mir sehr aufmerksam zu, und da ich ausgeredet hatte, fragte er: bist du nun fertig?
Haberfeld! fuhr er fort, sei auf deiner Hut! Niemals ist der Mensch in größerer Gefahr, ein Narr zu werden und alberne Streiche zu machen, als wenn er verliebt ist. Wirst du wohl den guten Rath befolgen, den dir der Pfarrer gegeben hat?
Von Herzen gern, antwortete ich.
Da thust du wohl dran, fuhr der Herr Amtmann fort. Dieser alte Pfarrer ist gar ein vernünftiger Mann. Ich habe ihm auch viel zu danken. Wenn es dir ein Ernst ist frei zu werden, wenn du nicht, wie ein armer Sünder, in den Fesseln deiner Begierden gehen willst, wenn du Lust hast, deines Lebens froh und ein freier Mann zu sein, und es treten bisweilen Fälle ein, wo du dir weder zu rathen noch zu helfen weißt, so schreib' nur an den Pfarrer Goldammer und frage ihn um Rath, du wirst gewiß finden, daß er dir immer gut räth.
Nun ging ich zu Tische und das Essen schmeckte mir herrlich, weil ich so gut gearbeitet hatte. Da ich in's Bette kam, fielen mir auch die Augen gleich zu, und da ich aufwachte, war ich wie neu geboren. Freilich war ich mit den Gedanken bald wieder in Ilsenhayn, aber ich nahm mich zusammen, sprang heraus, dachte: was dir gut ist, wird dir Gott geben, und so ging es frisch an mein Tagewerk!
So ging es die ganze Zeit, die ich bei dem Herrn Amtmann zubrachte. Endlich kam die Nachricht aus meinem Geburtsorte an.
Es wurde darin gemeldet, daß ich mich sehr verdächtig gemacht hatte, weil ich heimlich aus dem Lande gegangen wäre, daß mir aber wegen eines unerlaubten Umgangs mit Weibspersonen, nichts könne zur Last gelegt werden. Da nun der Herr Amtmann Specht wußte, warum ich aus meinem Geburtsorte gegangen war, so trug er kein Bedenken, mich meiner Gefangenschaft zu entlassen.
Er ließ mich also auf sein Zimmer rufen und sagte: Haberfeld! ich habe nichts Schlimmes aus deinem Geburtsorte gehört; es ist also kein Grund vorhanden, warum ich glauben sollte, daß du das Kind, welches du dem Herrn Pfarrer Goldammer brachtest, selbst ausgesetzt hättest. Du bist folglich frei und kannst hingehen wohin du willst. Vergiß es aber nicht, daß es eine Freiheit gibt, die weit mehr werth ist als die Freiheit vom Gefängnisse; und daß man in Kutschen fahren, von Diensten, Abgaben, und manchem andern, was die Menschen drückt, frei, und doch ein elender Sclave sein kann, wenn man nämlich nicht im Stande ist, seine Begierden zu beherrschen. Erinnerst du dich noch, wie du mich zum erstenmal sahest? wie ich da den Hasenbraten zurück schob, um dir zu zeigen, was Freiheit sei? das war nur so ein Exempelchen. Es gibt Begierden zu besiegen, die noch etwas stärker sind, als die nach Hasenbraten. Z. E. die Lust nach einem hübschen Mädchen. Nimm's zu Herzen, Haberfeld! Es scheint, daß etwas Gutes in dir steckt: deßwegen spreche ich mit dir so lange von dieser Sache. Denke über alles fein nach, und thue nichts, was du für Unrecht hältst, wenn deine Begierden auch noch so sehr darnach strebten. Thue recht und kehre dich an keine Einwendungen, die dir deine Begierden machen, so wirst du ein freier Mann werden, der thun kann was er will, das heißt, was er für recht und gut hält.
Ich drückte dem lieben Manne die Hand, küßte sie, und fing an wie ein Kind zu weinen. Vor Jammer konnte ich nichts antworten als – leben Sie wohl Herr Amtmann! Gott vergelte es Ihnen, was Sie an mir gethan haben!
Nun nahm ich meinen Ranzen und Stab und ging fort. Wohin? das läßt sich leicht rathen – Immer nach Ilsenhayn zu. Was dir gut ist, dachte ich, wird dir Gott geben. So dachte ich und nahm mir vor, daß ich ganz ruhig nach den Vorschriften des Herrn Pfarrers handeln und mich erkundigen wolle, ob mir das Mädchen vom lieben Gott bestimmt sei oder nicht.
Aber Leute, glaubt mir! auf Niemanden hat der Mensch mehr Ursache mißtrauisch zu sein, als – auf sich selbst. In dem Augenblicke, da man sich vornimmt vernünftig zu handeln, wird man oft von der Begierde überschlichen, die uns von dem guten Vorsatze abzubringen sucht. – So ging es mir. Statt daß ich hätte überlegen sollen, wie ich Nachricht von dem Mädchen einziehen wollte, dachte ich nur dran, wie es so hübsch sein werde, wenn es meine Frau wäre, u. s. w. Darüber hatte ich eine solche Freude, daß ich immer drauf los ging, und es gar nicht für möglich hielt, daß ich das Mädchen nicht bekommen könnte.
Jetzt sah ich nun Ilsenhayn, die Brandstätte und das Haus, das ich hatte löschen helfen; wie schlug mir das Herz! Ich schritt nun stärker drauf los; und nahm mir vor – sollte man meinen, daß es möglich wäre, sogleich in dieses Haus einzutreten, und um das Mädchen anzuhalten.
Da ich das Dorf erreicht hatte, sah ich ein verliebtes Pärchen, das sich umschlungen hatte, und nach einem Wäldchen zuging. Die Neugier trieb mich, ihm nachzugehen. Ich holte es bald ein, weil es sehr langsam ging, nahm meinen Hut von dem Kopfe, um ihm einen guten Tag zu bieten, und drehete zugleich den Kopf um, um ihm recht in die Augen zu sehen; und da ich hingesehen hatte, blieb ich stehen – wie eine Bildsäule. Das Mädchen, das der Bursch so herzlich in den Arm geschlossen hatte, war das nämliche, in das ich verliebt war.
Wie mir eigentlich zu Muthe war, kann ich wirklich nicht recht sagen, weil mir Hören und Sehen verging. Erst nach ein Paar Minuten, da das Pärchen schon weit von mir weg war, kam ich zu mir selbst, und sah, daß ich noch immer da stand, und den Hut in der Hand hielt. Was mich am mehrsten ärgerte, war, daß sich die Verliebten mehreremale nach mir umsahen, einander anstießen und lachten.
Ich machte also daß ich fortkam, und ging durch einen andern Weg immer nach dem Dorfe zu, und da ich angekommen war, war ich da. Was ich aber da machen wollte, wußte ich selbst nicht. Ich ging an den Brandstätten hin und her, besah sie, schielte auch nach dem Hause hin, das ich hatte löschen helfen. Ich sah den Mann herauskommen, den ich zu meinem Schwiegervater ausersehen hatte, drehete mich um, und um ihm aus den Augen zu kommen, fragte ich einen Burschen, der neben mir stand, wo die Schenke wäre? und ging nach derselben zu.
Als ich da ankam, war die ganze Stube voll junge Bursche, die von weiter nichts sprachen, als von dem letzten Feuer. Ich ließ mir eine Kanne Bier einschenken, und setzte mich neben den Burschen, der der gesprächigste war. Er redete auch viel von einem gewissen Hellinger und sagte: der arme Teufel dauert mich doch wirklich. Bei dem heißt es auch, eure Freudentage sollen in Trauertage verwandelt werden.
Wer ist, fragte ich, der junge Hellinger?
B. Es ist der Bursch, in dessen Hause das Feuer ausgekommen ist. Das ist ganz niedergebrannt und er hat fast gar nichts gerettet. Ein Glück ist's noch, daß seines Schwiegervaters Haus gerettet wurde. Mit diesem stand es doch wirklich auch wie man eine Hand umwendet. Kam der Herr Amtmann Specht nicht mit seiner Spritze, so wahr ich ehrlich bin, es wäre jetzt auch ein Aschenhaufen.
J. Wie heißt denn dieser Schwiegervater?
B. Michael Kornland. Heute ist seine Tochter das zweitemal mit Hellingern aufgeboten worden, über acht Tage haben sie Hochzeit.
J. Hochzeit? Er geht auch wohl zur Hochzeit.
B. Vor vierzehn Tagen glaubte ich es! aber nun ist an kein Hochzeitgehen zu denken. Wie ich höre, soll gar nichts ausgerichtet werden. Es ist diesen Leuten auch nicht zu verdenken. Den Bräutigam hat das Feuer zum armen Manne gemacht, und der Schwiegervater hat zwar das Haus noch gerettet, aber –
J. Nu? was denn?
B. Die Leute reden gar curios. Er hat gewiß alle sein Geld, und seiner Frauen Mahlschatz, in eine lederne Katze gesteckt, und die soll ihm während des Tumultes gestohlen worden sein.
Ich würde noch weiter mit diesem Burschen gesprochen haben, wenn nicht ein anderer in die Stube getreten wäre. Da er hereintrat, war ich auf einmal, wie wenn ich auf das Maul geschlagen wäre. Es war Hellinger. Er ging ein Paarmal auf und ab, sah sich um, und da er mich erblickte, blieb er vor mir stehen, und sah mich starr an.
Ich war nicht im Stande ihn auch anzusehen, stand auf, sah zum Fenster hinaus, und dachte bei mir selbst: ich wollte, daß du wärest, wo der Pfeffer wächst.
Lange hatte ich nicht hinausgesehen, so klopfte mir Jemand auf die Schulter. Ich sah mich um – es war Hellinger. Unwillig fragte ich: was will Er von mir?
H. Nu! Nu! nur nicht so böse; ich will nichts als Liebes und Gutes.
J. Was denn? mach' Er es kurz!
H. Ist Er nicht einer von den Leuten, die bei dem letzten Feuer das Haus retten halfen, wo das Feuer wendete?
J. Kann wohl sein. Aber warum fragt Er darnach?
H. Die Tochter vom Hause –
J. Die Tochter vom Hause? was ist's mit der Tochter vom Hause? die ist Seine Braut?
H. Das ist sie. Ich wollte aber nur sagen, daß die Tochter vom Hause zugesehen hat, wie sauer Er sich's werden ließ, um ihr Hüttchen zu retten.
J. Und was sagte sie dazu?
H. Weiter gar nichts. Da Er uns aber heute begegnete, so erkannte sie Ihn, und sagte ihrem Vater: einer von den braven Leuten sei ihr begegnet, durch die ihr Haus wäre gerettet worden.
J. Weiter nichts?
H. Weiter gar nichts. Aber mein Schwiegervater trug mir auf, das; ich Ihn aufsuchen und einladen sollte, daß Er diesen Abend zu ihm kommen und einen Schinken mit ihm verzehren möchte.
J. Sag' Er seinem Schwiegervater, ich ließe ihm gesegnete Mahlzeit wünschen. Kommen kann ich aber nicht, weil ich Schneiden im Leibe habe.
Nun drehete ich mich trotzig um, und sah wieder zum Fenster hinaus.
Hellinger murmelte etwas und ging fort.
Ich aber ärgerte mich, daß ich hatte platzen mögen. Gut war es, daß Hellinger so sehr freundlich war. Hätte er mir ein unbescheidenes Wort gesagt, so wäre ich im Stande gewesen, ihn hinter die Ohren zu schlagen. Den ganzen Abend saß ich da, und sah aus, wie ein Topf voll Mäuse, daß auch alle Bauern die Köpfe zusammensteckten, mich ansahen und murmelten.
Zehn Uhr gingen sie aus einander. Ich ließ mir sogleich eine Streu machen, und legte mich nieder. Wer aber nicht schlafen konnte, das war Ernst Haberfeld. Da alles dunkel und stille um mich war, so hatte ich rechte Muße über meine dumme Aufführung nachzudenken. Nun ärgerte ich mich nicht mehr über Hellingern, sondern über mich selbst. Was hat er dir gethan? dachte ich. Gar nichts. Heirathet ein Mädchen, zu dem du gar kein Recht hast – war so freundlich gegen dich – und du so mürrisch – und dem ehrlichen Schwiegervater, der dich so freundlich zu sich einladen ließ, ließest du eine so höhnische Antwort sagen.
Ich warf mich von einer Seite auf die andere, wollte schlafen, konnte aber nicht. Da stand ich auf, und sah zum Fenster hinaus. Der Himmel war wie mit Sternen besäet. Gegen mir über stand der Orion und der Stier, die ich aus den Sternkarten zum Boten aus Thüringen hatte kennen lernen. Wenn ein Mensch des Nachts Grillen im Kopfe hat, vor denen er nicht schlafen kann, so rathe ich ihm, daß er nach den Sternen sehe. Da wird er gewiß bald beruhigt werden.
Mir wenigstens ging es so. Da ich die Menge Sterne recht ansahe, und bedachte, daß jeder ein großer Weltkörper sei, daß sie alle nach einer gewissen Ordnung bei einander ständen, und keiner jemals an den andern stieße, da fiel mir der liebe Gott ein, der dieß alles gemacht hat, und von dem lieben Gott kam ich mit meinen Gedanken auf den Brief des Herrn Pfarrer Goldammer. Was mir gut ist, lieber Gott! dachte ich, das wirst du mir geben, gewiß geben. Das Mädchen, das ich so gern gehabt hätte, gabst du mir nicht. Gewiß wäre es mir nicht gut gewesen, wenn ich es bekommen hätte. Nun bin ich darüber böse geworden, und habe gezürnet gegen den Menschen, dem du sie gegeben hast. Ich einfältiger Tropf! mit wem hab' ich denn gezürnt? mit dir, lieber Gott!
Von Stund an wurde ich ruhiger, ich wurde frei, ich nahm mir fest vor, meine Begierde zu beherrschen, das Mädchen zu vergessen, und mit Tagesanbruch von Ilsenhayn wegzugehen.
Mit diesen Gedanken legte ich mich auf die Streue, und schlief gegen Morgen ruhig ein, als ein freier Mensch, nachdem ich mich einige Stunden als ein armer Sklave gequält hatte.
Den andern Morgen nahm ich meinen Stab und zog weiter. Mein Weg führte mich über ein Brückchen, das über einen Bach gelegt war. An diesem Bache war ein Wäldchen, das mir gar zu wohl gefiel. Ich setzte mich also unter eine Eiche und dachte noch einmal über alles nach, was bisher mit mir vorgefallen war. Ueber diesem Nachdenken fielen mir die Augen zu. Ein Wunder war dieß nicht, die vorige Nacht hatte ich wenig geschlafen, und durch den Verdruß und Aerger, mit dem ich mich geschlagen hatte, war ich so abgemattet worden, als wenn ich eine weite Reise gemacht hätte. Was hatte ich also zu thun? ich legte meinen Ranzen auf die Erde, meinen Kopf darauf, und schlief wohl ein Paar Stunden lang. Vielleicht hätte ich noch länger geschlafen, wenn nicht ein vorbeireitender Postknecht durch sein Blasen mich aufgeweckt hätte.
Ich stand also auf. Weil ich aber einen starken Durst fühlte, so nahm ich meinen Hut und schöpfte damit aus dem Bache, der so helle wie ein Krystall floß, einen Labetrunk.
Er schmeckte mir herrlicher, als manchem Reichen sein Rheinwein. Noch einmal bückte ich mich, um zu schöpfen, da sah ich im Wasser ein lang Ding liegen, das ich im Anfang für eine Wurzel hielt; da ich es aber genauer betrachtete, so bemerkte ich, daß sich am Ende etwas Breites befand, das sich hin und her bewegte. Die Neugierde trieb mich zu untersuchen, was es wäre, ich fuhr also mit meinem Stocke darunter, um es in die Höhe zu heben. Da fand ich, daß es so schwer war wie Blei.
Hm! dachte ich, du mußt doch sehen was das ist.
Ich zog meinen Rock aus, streifte den Arm auf, griff in das Wasser und holte das Ding heraus. Da war es, meiner Treu, eine Geldkatze, die ganz vollgestopft war. Siehe! dachte ich, das ist die Geldkatze, die Michael Kornlanden ist verloren gegangen.
Ohne erst den Rock anzuziehen, nahm ich den Rock, die Katze und meinen Ranzen, und lief damit in das Wäldchen. Da ich damit in einen dicken Busch kam, wo ich glaubte, daß Niemand mich sehen könnte, breitete ich meinen Rock aus und schüttete das Geld drauf.
Es waren lauter Laubthaler. Da ich noch etwas Schweres in der Katze fühlte, schüttelte ich noch einmal. Da fiel noch ein großer lederner Beutel heraus, der mit lauter sächsischen doppelten Friedrichsd'oren und einigen gerändeten doppelten Dukaten angefüllt war. So viel Geld hatte ich in meinem Leben nicht zusammen gesehen.
Vor Alters glaubte man, daß der Teufel bisweilen die Menschen verführe, und ihnen böse Gedanken eingäbe. Jetzt begreife ich es, wie die Leute auf diese Meinung gekommen waren. Vor einer Viertelstunde war ich so gut, so unschuldig, hatte mir so viel Gutes vorgenommen – jetzt, da ich das viele Geld erblickte, war es, wie wenn ein böser Geist in mich führe. Die Begierde, das Geld zu behalten, erwachte. Du kannst es wohl behalten, dachte ich bei mir selbst, es weiß ja Niemand, daß du es gefunden hast. Freilich wird es Kornlanden schmerzen, wenn er das Geld nicht wieder bekommt – wie mußte er aber thun, wenn du das Geld nicht gefunden hättest? fand es ein Anderer, so brachte er es ihm doch auch nicht wieder.
Kommst du, dachte ich, als ich die gefundene Geldkatze betrachtete, mit diesem Gelde zu Hause an, so kaufst du dir nach und nach ein Gütchen zusammen, und hast unter den Mädchen das Auslesen.
Ich machte also den Ranzen auf, und steckte das Geld hinein. Die Geldbegierde hatte mich besiegt. Ganz niedergeworfen hatte sie mich aber noch nicht. Es regte sich in mir etwas – es war als wenn ich in mir eine Stimme hörete, die sagte: du bist ein schlechter Kerl – du bist ein Dieb.
Darüber fing ich an am ganzen Leibe zu zittern, wie wenn ich das Fieber hätte. Ich ging mit meinem gestohlnen Gute fort, aber die Angst griff mich so stark an, daß ich den Durchfall bekam, und mich vier- bis fünfmal hinter einen Busch niedersetzen mußte.
Da ich das letztemal hinter dem Busche hervorkam, hörte ich Jemanden hinter mir rufen: He! he!
Da wurde mir, wie wenn mich der Donner rührte. Ich sah mich um – da kam ein Mensch auf mich zugelaufen.
Was gibt's? fragte ich.
Kann Er mir nicht sagen, antwortete er, ob ich auf dem rechten Wege nach Heinrichsrode bin?
Ich bin, sagte ich, hier selbst fremd, und weiß weder Weg noch Steg.
Da ging er vor mir vorbei.
Ich aber stand stille, und zitterte, daß ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Ich mußte wieder hinter einen Busch kriechen, und fühlte fürchterliches Leibschneiden.
Ach Gott! ach Gott! dachte ich, was für ein glücklicher Mensch war ich vor einer halben Stunde, da ich mich noch frei fühlte; jetzt, da die Geldbegierde mich gefesselt hat, steh' ich da, wie ein armer Sünder unter dem Galgen. Was hilft's dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele! Wie kannst du froh werden, so lange du gestohlnes Gut hast; wie kannst du Gott deinen Vater nennen, wenn du ein böser Mensch bist! womit willst du dich beruhigen, wenn dich einmal der liebe Gott auf das Krankenlager legt, oder ein anderes Hauskreuz dir zuschickt, und dein Gewissen sagt dir: das hast du an Kornlanden verdient! Nein! Nein! Haberfeld soll nicht ein elender Sclave bleiben – Haberfeld soll frei werden.
Nun richtete ich meine Augen gen Himmel. Gott! sagte ich, der du meine Schandthat gesehen hast, dir verspreche ich heilig: Kornland soll sein Geld wieder haben.
Sobald ich diesen Vorsatz gefaßt hatte, war es, wie wenn ein Centnerstein von meinem Herzen gefallen wäre. Ich wurde wieder ruhig; das Zittern aber und das Bauchweh hörte noch nicht ganz auf. Ich schlich also wieder nach der Schenke zu und ließ mir von den Fliederblumen, die ich immer bei mir zu führen pflege, einen Fliederthee machen.
Sobald ich diesen im Leibe hatte, wurde ich erwärmt, und befand mich wieder recht wohl. Nun ergriff ich meinen Stab und ging getrost nach Kornlands Hause zu.
In der Thür stand die Tochter. Da ich sie fragte, ob der Vater zu Hause wäre? so sagte sie: ach! das ist ja der gute Mann, der uns unser Haus hat retten helfen, warum ist Er denn nicht gestern gekommen, da Ihn mein Bräutigam zu Tische bat? und ohne meine Antwort abzuwarten, führte sie mich zu ihrem Vater. Vater! sagte sie, da bringe ich den guten Mann, der es sich so sauer werden ließ, das Feuer zu löschen. – Willkommen! Willkommen! sagte der ehrliche Kornland, drückte meine Hand herzlich, und ließ mich niedersetzen. Ich danke nochmals für den Beistand, den Er mir geleistet hat. Kam Seine Spritze nicht, so war mein Haus verloren.
J. Danke Er nicht, ich habe gethan, was Christenpflicht war. Hätte mein Haus gebrannt, und Er wäre da gewesen, so hätte Er gewiß auch treulich mit löschen Helfen.
K. Das hätte ich gewiß gethan.
Jetzt kam der Bräutigam hereingetreten. Willkommen Herr Trotzkopf, sagte er, indem er mir die Hand gab, warum ging er denn gestern nicht mit mir?
Mir war, antwortete ich, gar nicht wohl.
Da nun eben die Braut mit einer Schüssel voll Reisbrei hereintrat, so fragte er nicht weiter nach, und bat, mich mit zu Tische zu setzen.
Ich that es, nachdem ich zuvor meinen Ranzen hinter den Ofen gestellt hatte.
Bei Tische wurde viel von der Feuersbrunst gesprochen, und Hellinger klagte, daß er auch fast gar nichts gerettet hätte.
Laß deine Grillen fahren! sagte die Braut, indem sie den Arm um seinen Hals schlang! bist du doch nicht mit verbrannt. Mir ist's gewissermaßen lieb, daß dir das Haus verbrannt ist, da siehst du doch, daß ich nicht das Haus, sondern den Mann geheirathet habe.
Sehet einmal an das Mädchen! fuhr Hellinger fort, das freut sich, daß ich abgebrannt bin; nun will ich dir sagen, daß es mir auch lieb ist, daß du um dein Geld gekommen bist. Da siehst du doch, daß ich nicht zu den Freiern gehöre, bei denen es heißt: Geld! Mädchen, ich habe dich lieb!
So ist's schön, lieben Kinder! sagte der alte Kornland, so denkt immer: Haus und Hof, Geld und Gut macht keinen Menschen glücklich. Es sind vergängliche Sachen, die man in einer unglücklichen Nacht verlieren kann. Wenn ihr einander herzlich lieb habt, Gott fürchtet und recht thut, fleißig arbeitet, und das Eurige zu Rathe haltet, so werdet ihr mit einander vergnügt leben, und der liebe Gott wird euch segnen. Hatte ich doch auch nichts, da ich meine selige Frau heirathete, und nun befinde ich mich in so guten Umständen. Mein Bischen sauer erworbenes Geld ist freilich fort, ich denke aber: Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobet! damit ist es gut.
Unter der Zeit, daß er so sprach, schlich ich mich nach meinem Ranzen, holte die Geldkatze heraus, hielt sie hinter mich auf den Rücken und sagte: wenn Er aber sein Bischen sauer erworbenes Geld wieder bekäme, so würde Er doch auch wohl nicht böse?
Das werde ich wohl nicht wieder bekommen, sagte er –
Jetzt hielt ich die Katze in die Höhe, und fragte: kennt Er das?
Um Gottes willen! Vater! schrie die Tochter, Eure Geldkatze.
Ist sie es? fragte ich.
Ja sie ist es, sagte Kornland. In dem Riemen ist mein Name genäht: M. K.
Der Name stand wirklich drin.
Da stand ich nun wie ein Engel Gottes, und fühlte eine so innige Freude, daß mir die Thränen über die Backen liefen. Ihr guten, ehrlichen Leute! sagte ich, nehmt hin was euch gehört. Ich freue mich herzlich, daß ich euch zu euerm verlornen Gute wieder helfen kann. Gott segne euch, und lasse es euch allen wohl gehen!
Nun traten sie alle um mich und wollten wissen, wie ich zu der Geldkatze gekommen wäre.
Da erzählte ich ihnen alles umständlich, nur davon sagte ich nichts, daß ich das Geld hätte behalten wollen.
Da möchte ich aber nur wissen, sagte Kornland, wie das Geld in den Bach gekommen wäre?
Hellinger hielt die Hand an die Stirn, dachte nach, dann sagte er: nun weiß ich es. Wir packten das Geld in Sein Bette, lieber Schwiegervater! ich trug das Bette fort, watete durch den Bach, weil die ganze Brücke voll Leute war, da muß es heraus und in's Wasser gefallen sein.
So ist's gewiß, sagte Kornland. Aber eine Liebe ist der andern werth. Er ist so ehrlich gewesen, und hat uns das Geld wiedergebracht, hat uns aus unsern Sorgen gerissen – wir wollen mit einander theilen. Das Gold will ich herausnehmen, die Laubthaler aber, und die Geldkatze, die nimmt Er, und behält sie mir zum Andenken.
J. Alle die Laubthaler?
K. Alle.
J. Gut! ich will sie annehmen, wenn Er mir verspricht, daß Er mir erlaubt, mit dem Gelde zu machen was ich will.
K. Wenn ich Ihm das Geld gebe, so versteht es sich ja von selbst, daß Er ein Recht hat, damit zu thun was Er will.
J. Die Hand drauf!
K. Hier ist meine Hand!
J. Gut! so nehme ich das Geld, und gebe es dem Brautpaare zum Hochzeitgeschenke. ( Indem ich dieß sagte, schüttete ich es der Braut in den Schooß.) Die Katze behalte ich zum Andenken.
K. So habe ich es nicht gemeint. Ein Wort so gut als zehn – ich lasse Ihn nicht zur Stube hinaus, Er muß erst die Laubthaler mitnehmen.
J. Ein ehrlicher Mann hält sein Wort. Er hat mir versprochen, mir zu erlauben, daß ich mit dem Gelde thun kann was ich will – nun darf Er Sein Wort nicht zurücknehmen.
K. Nun so ein Mann ist mir doch in meinem Leben nicht vorgekommen. Wie ist denn Sein Name?
J. Mein Name? ( Hier setzte ich mich auf einen Stuhl, hielt die Hand an die Stirne, und dachte: jetzt sticht dich der Kitzel, daß du willst gelobt und gepriesen werden. Wenn du auch diesen Kitzel besiegen könntest, da wärest du recht frei. Gedacht, gethan! ich stand auf, hing meinen Ranzen über, nahm meinen Hut und Stock und sagte:) Mein Name thut nichts zur Sache. Lebt alle recht wohl.
Sie sprangen auf, um mich zu halten, aber ich hatte schon die Thür in der Hand und sprang fort, immer zum Dorfe hinaus.
Da ich ein Fleck hinaus war, hörte ich Jemand hinter mir rufen: He!
Ich drehete mich um und sah die Braut hinter mir herlaufen.
Weil es die Braut war, so blieb ich doch stehen.
Herr Eigensinn! sagte sie, als sie zu mir kam: in unserm Dorfe haben wir das Sprichwort: einer Braut darf man nichts abschlagen. Verspreche Er mir, daß Er mir auch nicht abschlagen will, was ich von Ihm verlange.
Ehe ich noch versprechen konnte, drückte sie mir einen Doppeldukaten in die Hand und sagte: den muß Er von mir zum Andenken annehmen, hör' Er! Es ist ein Stück von meiner Mutter Mahlschatz. Wenn Er einmal heirathet, so knüpfe Er ihn seiner Braut um den Hals. Wenn dann einmal ein Hauskreuz kommt, so seh' Er an den doppelten Dukaten, und denke: einen so ehrlichen Mann, wie du bist, den verläßt der liebe Gott nicht.
Ich nahm den Doppeldukaten an, drückte ihr die Hand, sah ihr noch einmal in die Augen, fiel ihr um den Hals, und lief dann fort, was ich laufen konnte.
Mein Weg führte mich auf eine kleine Anhöhe, von welcher ich Ilsenhayn und die ganze umliegende Gegend übersehen konnte. Da trat ich hin, um mich noch einmal recht innig über den Sieg, den ich über meine Begierden erhalten hatte, zu freuen.
Was für ein unglücklicher, elender Mensch war ich, dachte ich bei mir selbst, da ich noch meine Begierden mich beherrschen ließ. Wie ich mich noch gestern Abend auf der Streue krümmte, da mich noch der Verdruß plagte, daß ich einem Andern das Mädchen überlassen mußte, das nicht für mich bestimmt war; da mich der Neid marterte; wie ich zitterte und bebte, als ein armer Sünder, da die Geldbegierde sich meiner bemächtigte, und mich verleitet hatte, einem ehrlichen Manne sein Eigenthum zu entwenden! und wie wohl mir jetzt ist, wie innig ich mich jetzt freue, was für ein wackerer Kerl ich jetzt bin, da ich meine teuflische Begierde besiegt habe. Alles lacht mich an! allen Leuten kann ich in die Augen sehen! und an dich, o Gott! kann ich ohne Furcht gedenken. Nun will ich auch mein Lebelang auf meiner Hut sein, daß ich nicht wieder ein Sclave meiner Begierden werde! und diesen Doppeldukaten will ich so lange ich lebe aufheben, und so oft einmal eine Lust bei mir entsteht, etwas zu thun, das gegen mein Gewissen ist, so will ich diesen Doppeldukaten ansehen, und mich erinnern, was für eine selige Stunde ich genoß, da ich meine Begierde besiegt hatte. Es lebe die Freiheit! ( indem ich den Hut schwenkte) und der Herr Amtmann Specht und der Herr Pfarrer Goldammer, die sie mich gelehrt haben.
Mit diesen Gedanken ging ich fort. Alles, was mir begegnete, das bekam von mir einen guten Tag gewünscht. Manche redete ich an und fragte sie: wohin ihr Weg ginge? Standen sie mir zu Worte, so ließ ich mich mit ihnen in ein Gespräch ein. Ein einarmiger preußischer Soldat, der in der Belagerung von Mainz seinen Arm verloren hatte, bekam von mir einen halben Gulden, und ich war so selig, daß ich die ganze Welt hätte mögen an mein Herz drücken, wenn es mir nur möglich gewesen wäre.
In dem Dorfe Robertshausen nahm ich mein Nachtquartier. Weil ich in meinem Herzen einen Festtag hatte, so dachte ich, ich müßte auch etwas höher leben, als an den gewöhnlichen Tagen, und fragte die Wirthin, was ich zu essen bekommen könnte? Sie nannte mir unter andern auch Salzhecht.
Her damit! sagte ich, verzehrte ihn, und da ich meine Kanne Bier ausgetrunken hatte, forderte ich eine Streue.
Die wollte ich Ihm gern geben, sagte die Wirthin, es fehlt mir aber dazu weiter nichts als Stroh. Wir wohnen hier im Walde, wo wenig oder kein Getreide gebaut wird. Er muß diese Nacht mit der Bank vorlieb nehmen.
Gut, sagte ich, ich habe ein weich Unterbette und ein warm Oberbette, in dem werde ich sanfter schlafen, als manche Leute auf Flaumfedern.
Wo hat Er denn, fragte die Wirthin, Sein Bett? ich sehe ja nichts?
Ich habe es inwendig, sagte ich, es ist ein gutes Gewissen.
Die Wirthin guckte mich an, schien nicht zu verstehen, was ich damit sagen wollte, und wünschte mir eine gute Nacht.
Ich nahm aber meinen Ranzen, legte meinen Kopf darauf und mich daneben. Die Augen fielen mir bald zu, ich schlief sanft, bis ungefähr zwölf Uhr. Da hörte ich ein Geräusch vor der Stubenthür. Bald that sie sich auf, es kam Licht herein, und eine männliche Stimme sprach sehr laut: du Sünder kommst herein, und ihr andern haltet Wache an der Thüre!
An der Stimme erkannte ich gleich den Herrn Amtmann Specht, und nahm mir vor mausestille zu sein, um zu hören, was da vorgehen würde.
Roßkopf! sagte der Herr Amtmann, jetzt habe ich dich. Du bist ein Mordbrenner, das weiß ich so gewiß, als der Himmel über mir, du hast Hellingers Haus angesteckt. Gesteh' es den Augenblick oder ich werde Mittel brauchen, dich zum Geständnisse zu bringen, die dir nicht gefallen werden. – Nun was wird's? willst du es lassen drauf ankommen, daß ich dir Zeugen vorführe?
R. Herr Amtmann –
A. Nu?
R. Um Gottes Willen, Herr Amtmann!
A. Nicht lange Federlesens gemacht! Hast du nicht Hellingers Haus angesteckt?
A. Kerl! du willst läugnen? den Augenblick lasse ich dich kreuzweis schließen und prügeln.
R. Das Haus habe ich nicht angesteckt, aber die Scheuer.
A. Das kommt auf eins hinaus. Es ist ein großes Glück für dich, daß du es freiwillig gestehst, das wird deine Strafe sehr mildern. Nun sag' mir aber um Gotteswillen, wie du auf den teuflischen Entschluß gekommen bist? Sonst warst du immer so ein ehrlicher, wackerer Bursch. Christoph Roßkopf! Häuser hätte ich auf dich gebaut.
R. Wollen Sie mich hören, Herr Amtmann?
A. Deßwegen bin ich ja da.
R. Nun so will ich Ihnen alles haarklein erzählen. Ich hatte mich in Kornlands Christinchen verliebt. Ich gab mir alle Mühe, sie zur Frau zu bekommen. Es war aber alles umsonst, sie gab mir den Korb.
A. Nu? ist denn das ein so großes Unglück? Hat denn Kornlands Christinchen nicht ein Recht, einen Mann zu wählen, der ihr am besten gefällt?
R. Freilich wohl. Wenn ich meiner Vernunft mächtig gewesen wäre, so hätte ich mich darein ergeben. Aber die Bosheit stieg mir so sehr in den Kopf, daß ich schon mit dem Gedanken umging, Kornlanden das Haus über dem Kopfe anzustecken. Mit diesem Gedanken ging ich in die Kirche. Der Herr Pfarrer hielt eine Predigt, in welcher er etlichemal den Spruch anführte: Bist du nicht fromm, so ruhet die Sünde vor der Thür. Aber laß du ihr nicht ihren Willen, sondern herrsche über sie. Die Worte fielen mir auf's Herz, und ich gelobte es dem lieben Gott an, das ich mich nicht rächen wollte. Ach wenn ich doch Wort gehalten hätte! Nach vier Wochen hörte ich aber, daß Hellinger mein Christinchen bekäme; da wußte ich mich vor Bosheit gar nicht zu lassen.
A. Auf wen warst du denn eigentlich böse?
R. Auf Hellingern!
A. Was hatte er dir denn eigentlich gethan?
R. ( heulend), Nichts hatte er mir gethan. Jetzt seh ich es wohl ein. Damals war ich aber wie ein rasender Mensch. Ich paßte ihm einmal auf und wollte ihn mit einer Pistole erschießen. Der Schuß versagte mir aber. Da schlich ich mich halt in seine Scheuer und steckte sie an.
A. Das wird eine Freude für dich gewesen sein, da du sein Hab und Gut auflodern sahest.
R. Lieber Herr Amtmann! ich bitte Sie um Gottes willen, spotten Sie meiner nicht! Sobald ich Feuer jo! rufen hörte, so wußte ich auf keiner Stelle zu bleiben. Ich lief in's Feld, wie ein toller Hund, habe von der Zeit an keine ruhige Stunde gehabt, und konnte keinem Menschen unter die Augen sehen.
A. Das habe ich wohl gehört, und eben dadurch hast du dich verrathen. Du armer unglücklicher Roßkopf! hättest du doch deine Bosheit zu beherrschen gewußt!
R. Die Sache ist nun geschehen. Nun habe ich noch eine Bitte an Sie, lieber, guter Herr Amtmann!
A. Was willst du denn?
R. Lassen Sie mich nur nicht lange sitzen! Machen Sie, daß mir mein Recht angethan wird! Ich bin nichts mehr auf der Welt nütze. Lassen Sie mir den Kopf vor die Füße legen, damit ist es gut. Nur lassen Sie mich nicht verbrennen! das Verbrennen soll gar zu weh thun.
A. Ich fälle dein Urtheil nicht. Was ich thun kann, um deine Strafe zu mildern, das soll geschehen. Du, bereue deine Sünde und bitte Gott um Vergebung! Ich muß nun thun, was meine Pflicht ist. Neuntödter! (so hieß der Amtsknecht) herein!
( Jetzt trat Neuntödter herein.)
Bindet dem Roßkopf die Hände auf den Rücken, und bringt ihn unter der Begleitung der Wache in's Gefängniß. Ich werde bald nachkommen.
So wurde denn Roßkopf abgeführt. Der Herr Amtmann, welcher glaubte, daß er allein in der Stube sei, ging darinne auf und ab und fing an mit sich selbst zu reden. Gott! sagte er, was ist doch der Mensch! der vernünftigste ist in Gefahr ein Narr, ein Bösewicht zu werden, wenn er nicht stets über sich wacht, und seine Begierden zu beherrschen weiß. Was der Roßkopf für ein hübscher, stiller, fleißiger Mensch war! Kein Spieler, kein Trinker war er; seinen Acker pflügte er so gut, daß man ihn für den besten Ackermann im ganzen Dorfe hielt. Nun hat er sich von der Rachgier überwältigen lassen, und ist ein Mordbrenner geworden. Unglücklicher Roßkopf!
Jetzt richtete ich mich langsam hinter dem Tische in die Höhe. Der Herr Amtmann erschrak, und fragte heftig: Wer da?
J. Kennen Sie mich denn nicht mehr, Herr Amtmann?
A. Das ist doch alle mein Tage Haberfeld! Wo kommst du denn her?
J. Immer von Ilsenhayn.
A. Da wirst du wohl gehört haben, daß dein Christinchen eine Braut ist.
J. Ja das habe ich gehört, Herr Amtmann, habe auch Christinchen, ihren Bräutigam und Vater gesprochen.
A. Ist dir der Narr auch etwa in den Kopf gefahren, wie Roßkopfen?
J. Ja Herr Amtmann! er ist mir hineingefahren, ich will es nicht läugnen; sechzehn Stunden lang bin ich mit nichts, als abscheulichen Gedanken umgegangen. Aber Dank sei Ihnen und dem Herrn Pfarrer Goldammer für das Gute, das Sie mich lehrten! ich habe den Sieg davon getragen und bin nun wieder frei.
A. Danke Gott, daß du den Sieg davon getragen hast! und lerne an Roßkopfs Exempel, wie tief der Mensch sinken kann, wenn er nicht immer über seine Begierden wacht. Etwas Gutes steckt in dir. Das habe ich gleich bemerkt, da du das Hasenbraten-Exempelchen so gut begriffst. Aber traue dir nicht zu viel zu.
J. Dafür sorgen Sie nicht, Herr Amtmann! die Erfahrung hat mich schon gelehrt, daß ich ein armer Sünder bin. Ich werde Niemandem weniger trauen, als mir selbst.
A. Da thust du auch wohl dran. Wenn du auf diesem Wege fortgehst, so wirft du gewiß immer freier werden, viel Gutes in der Welt stiften, keinen Menschen fürchten dürfen und deines Lebens froh werden. Ich werde mich oft nach dir erkundigen, Haberfeld! und mich freuen, wenn ich höre, daß du deinem Vorsatze jetzt treu gewesen bist. Jetzt schlaf wohl ( indem er mir die Hand drückte, die ich herzlich küßte).
Sein Wunsch war herzlich gut gemeint; er traf aber nicht ein. Die ganze übrige Nacht brachte ich schlaflos zu. Der Auftritt mit Roßkopfen war mir noch immer so lebhaft in den Gedanken, daß, wann ich die Augen zuschloß, Roßkopf sogleich vor mir stand. Dann fuhr ich auf, legte mich auf die andere Seite, that die Augen zu und fuhr wieder zusammen. So ging es die ganze Nacht hindurch.
Sobald der Tag grauete stand ich auf, wohl war mir aber nicht. Weil ich immer so unruhig geschlafen, und mich immer umhergeworfen hatte, so thaten mir die Rippen im Leibe weh, auch war es im Leibe nicht ganz richtig. Willst dir bald helfen, dachte ich, ging zu meinem Ranzen, um ein Paar Fliederblumen heraus zu holen. Da waren aber keine Fliederblumen zu hören noch zu sehen. Die hatte ich im Wirthshause zu Ilsenhayn liegen lassen.
Sobald die Wirthin aufgestanden war, bat ich sie, mir einen Fliederthee zu machen. Fliederthee? fragte sie, was ist denn das?
Da sagte ich ihr denn, wie man den Fliederthee mache: daß man ein Paar Fliederblumen nehme, heiß Wasser darauf gieße und es mit den Blumen ein Paar Minuten auf Kohlen stehen lasse.
Sind die Fliederblumen, fuhr die Wirthin fort, nicht von den Büschen, die in den Zäunen und hinter den Häusern wachsen?
Davon sind sie, sagte ich.
Die Wirthin ging, und kam, nach einer Viertelstunde mit einer Theekanne wieder, setzte sie auf den Tisch und sagte: da hat Er seinen Fliederthee.
Ich schenkte sogleich eine Tasse ein, kaum hatte ich aber einen Schluck davon gethan, so wurde mir davon so übel, daß ich an das Fenster laufen und alles aus dem Leibe brechen mußte.
Zum Guckguck Frau Wirthin! sagte ich, was für Zeug hat Sie mir da gebracht? was hat Sie denn in die Kanne gethan?
Fliederblumen, antwortete sie, wie Er sie bestellt hat. Eben jetzt habe ich sie von dem Busche abgeschnitten.
Sie mußte mir den Busch zeigen, da war es türkischer Hollunder, oder blaue Blüthe.
Ich fragte also, was ich zu bezahlen hätte, bezahlte, und setzte meinen Stab weiter, nach dem Städtchen zu, das eine halbe Stunde entfernt war, und dessen Name ich vergessen habe.
Da ging ich sogleich in die Apotheke zum goldnen Löwen, ließ mir eine Portion Fliederblumen geben, und mir in dem nächsten Gasthofe einen Thee davon machen.
Unter der Zeit, daß der Thee gemacht wurde, las ich das Papier, in das die Fliederblumen gewickelt waren, und fand, daß es mehr werth war, als die Fliederblumen selbst.
Es standen folgende Verse darauf:
Laß auch die Pflicht,
Dich selber zu besiegen,
Die schwerste sein!
Sie ist's! doch welch' Vergnügen
Wird sie nach der Vollbringung nicht!
Welch' Glück! zu sich
Mit Wahrheit sagen können:
Ich fühlt' in mir des Bösen Lust entbrennen;
Doch, Dank sei Gott! ich schützte mich.
Und welch' Gericht!
Selbst zu sich sagen müssen:
Ich konnte mir den Weg zum Fall verschließen;
Und doch verschloß ich mir ihn nicht.
Was kann im Glück
Den Werth des Glücks erhöhen?
Ein ruhig Herz versüßt im Wohlergehen
Dir jeden frohen Augenblick.
Was kann im Schmerz
Den Schmerz der Leiden stillen;
Im schwersten Kreuz mit Freuden dich erfüllen?
Ein in dem Herrn zufriednes Herz.
Was gibt dir Muth,
Die Güter zu verachten,
Wornach mit Angst die niedern Seelen trachten?
Ein ruhig Herz, dies größ're Gut.
Was ist der Spott,
Den ein Gerechter leidet?
Sein wahrer Ruhm! Denn wer das Böse meidet,
Das Gute thut, hat Ruhm bei Gott.
Im Herzen rein,
Hinauf gen Himmel schauen,
Und sagen: Gott! du Gott, bist mein Vertrauen!
Welch' Glück, o Mensch, kann größer sein?
Sieh! alles weicht,
Bald wirst du sterben müssen;
Was wird alsdann dir deinen Tod versüßen?
Ein gut Gewissen macht ihn leicht.
Heil dir, o Christ!
Der diese Ruh' empfindet,
Und der sein Glück auf das Bewußtsein gründet,
Daß nichts verdammlichs an ihm ist.
Laß Erd' und Welt,
So kann der Fromme sprechen,
Laß unter mir den Bau der Erde brechen!
Gott ist es, dessen Hand mich hält.
Ist es doch, dachte ich bei mir selbst, als wenn das Lied auf dich gemacht wäre; das will ich durchlesen, wenn einmal wieder eine Begierde über die Vernunft hinaus will. Es wird hoffentlich so gute Dienste thun, als ein niederschlagend Pulver. Ich holte darauf meinen Doppeldukaten heraus und wickelte ihn hinein.
Der Fliederthee that mir gute Dienste, und ich konnte nun frisch drauf los gehen. Auf dem Wege dachte ich nach über die Schicksale, die ich bisher gehabt hatte, und dachte unter andern auch an den Herrn Amtmann Specht, wie er seinen Braunen so hübsch zu dressiren wußte. Da fiel mir ein, daß es wohl gut wäre, wenn ich meine Begierden einmal auch wieder ein Bischen dressirte, damit sie zum Gehorsam gewöhnt würden. Ich nahm mir also vor, dießmal, es möchte auch kosten was es wollte, in einem Futter bis nach Achtheilingen zu gehen, das noch acht Stunden weit entfernt war. Die ersten sieben Stunden ging es ganz gut; da ich aber ungefähr noch eine Stunde zu gehen hatte, wurde ich immer matter, und bekam einen so schrecklichen Hunger, daß ich hätte Leute angehen mögen.
Ein Stück Brod führte ich bei mir. Seitdem ich den Kameraden gefunden habe, der vom Heißhunger sterben wollte, gehe ich niemals ohne Brod aus. Ein Paarmal holte ich es heraus, und wollte anbeißen, steckte es aber immer wieder ein. Du willst doch, dachte ich bei mir selbst, sehen, ob es nicht möglich ist, daß du über den Hunger Herr werden kannst. Ich wurde es wirklich. Die Hoffnung, bald eine volle Schüssel in Achtheilingen zu finden, stärkte mich, daß ich frisch drauf los schreiten konnte.
Nach meiner Rechnung hatte ich nach einer halben Stunde die volle Schüssel vor mir. Ich hatte mich aber gewaltig verrechnet. Da ich in das Buschbolz kam, das vor dem Dorfe liegt, hörte ich eine menschliche Stimme im Busche. Ich stand stille und spitzte die Ohren. Ach Gott! ach Gott! hörte ich.
Ich horchte weiter – nun tausend gute Nacht! der ganzen Welt – vernahm ich.
Da schlich ich mich herbei, und sah einen jungen Burschen, der einen Strick an einen Ast knüpfte, und eben im Begriffe war, die Schlinge, die er daran gemacht hatte, um den Hals zu legen! Halt! sagte ich, was gibt's da? sprang hinzu und faßte ihn bei dem Arme.
B. Was will Er von mir?
J. Ich will wissen, was Er da machen will.
B. Henken will ich mich. Was gebt Ihn das an?
J. Es geht mich allerdings an. Er ist ein Mensch, und ich bin ein Mensch. Ein Mensch muß den andern retten, wenn er in Todesgefahr ist.
B. Gehe Er nur Seiner Wege!
J. Das will ich; aber den Strick muß ich haben. Sogleich holte ich mein Messer heraus, schnitt den Strick ab und steckte ihn ein.
B. Nun so geh' Er nur fort. Den Fluß, der dort fließt, kann Er doch nicht mitnehmen. Der Fluß ist so gut als ein Strick.
Da stand ich nun und wußte nicht, was ich thun sollte. Der Hunger, der mich plagte, sagte: mach' daß du zur vollen Schüssel nach Achtheilingen kommst – aber das Gewissen rief mir zu: verlaß den armen Menschen nicht, der von aller Welt verlassen ist.
Laß auch die Pflicht,
Dich selber zu besiegen,
Die schwerste sein! Sie ist's; doch welch' Vergnügen
Wird sie nach der Vollbringung nicht!
Zufälliger Weise griff ich in meine Tasche, und fühlte den Doppeldukaten. Dieß gab der Sache den Ausschlag. Ich entschloß mich, es koste was es wolle, den armen Menschen zu retten.
Ich faßte also den Burschen bei der Hand, und fragte: warum will Er sich denn eigentlich henken?
B. Weil ich nicht mehr leben will.
J. Und warum will Er denn nicht mehr leben? Er ist doch gut gekleidet, und scheint keine Noth zu leiden.
B. Mit der Noth hat es gute Wege. Ich habe alle Tage mein Essen, Trinken und meine Kleidung.
J. Und will sich doch henken? Gesund steht Er ja auch aus? Bisweilen nehmen sich Leute das Leben, weil sie am Krebse oder andern Leibesschäden zu viel leiden müssen. Dieß ist ja, so viel ich sehe, bei Ihm auch der Fall nicht.
B. Auswendig habe ich keinen Krebs, aber inwendig sitzt er am Herzen, und frißt, hu! und frißt daß ich auf keiner Stelle zu bleiben weiß.
J. Was frißt denn eigentlich?
B. Geh' Er nur fort! ich sage es Ihm nicht.
J. Und warum denn nicht? ich frage darnach nicht aus Neugier; ich möchte es nur wissen, um Ihm einen guten Rath zu geben.
B. Das kann Er nicht und das kann kein Mensch nicht – ich bin verloren – ein Strick oder ein tiefes Wasser ist für mich das Beste.
J. Weiß Er was, sage Er mir, was Ihm am Herzen frißt; kann ich Ihm dann nicht rathen, so ist es ja noch immer Zeit sich zu henken, oder in's Wasser zu springen. Es muß ja gerade heute nicht sein, morgen ist ja auch noch ein Tag.
B. Nun, wenn Er es wissen will, und will's wissen, so will ich es Ihm sagen. Ich hatte mich in ein Mädchen verliebt.
J. Das war bei mir auch der Fall.
B. Und konnte es nicht kriegen.
J. Und will sich deßwegen henken? Ich habe mein Mädchen auch nicht kriegen können, und mich deßwegen doch nicht gehenkt und will mich auch nicht henken.
B. Laß Er mich nur ausreden! das Schlimmste kömmt nach. Da mein Vater es schlechterdings nicht zugeben wollte, daß ich es heirathete, weil er ein reicher Mann ist, und das Mädchen keine dreißig Gülden im Vermögen hatte, so verführte ich es.
J. Das war nun freilich nicht recht.
B. Freilich war es nicht recht. Jetzt seh' ich es gar gut ein, damals hatte die Wollust aber mich so bethört, daß ich meiner Vernunft nicht mächtig war. Das Mädchen wurde schwanger, es bat mich um Gottes willen, daß ich es heirathen sollte. Ich bat meinen Vater um seine Einwilligung, der fuhr mich an und sagte, wenn du das Bettelmensch nimmst, so mache ich dich erblos, und du darfst nicht über meine Thürschwelle kommen.
Da ich es dem Mädchen sagte, so traten ihm die Thränen in die Augen, und es antwortete: sieh Jeremias! du hast mich um meine Ehre gebracht – Ehre verloren, alles verloren. Wenn du mir meine Ehre nicht wieder gibst, so geh' ich in's tiefste Wasser.
Ich werde nicht denken, daß es Ernst ist, ich hing den Kopf, schlich nach Hause – aber den andern Tag war meine Rosine über alle Berge.
Drei Wochen bin ich ihr nun nachgegangen, habe allenthalben Nachfrage gethan – keine Spur von ihr finden können. Seh' Er! so ein armer Sünder bin ich. Ein unschuldiges ehrliches Mädchen habe ich um seine Ehre, das Mädchen und mein Kind um's Leben gebracht. ( Heftig) Laß Er mich! geb' Er mir den Strick oder lasse Er mich in's Wasser springen.
J. Dazu ist es ja morgen noch Zeit. Erst wollen wir noch untersuchen, ob denn Sein Mädchen und Sein Kind wirklich todt sind. Wenn sie nun noch lebten –
B. Ach wenn das Gott wollte!
J. Und Er hätte sich ersäuft, und erführe es hernach daß Sie noch beide lebten, und von Ihm verlassen wären, und verzweifeln müßten, würde Er sich dann nicht gern noch einmal ersäufen, wenn's möglich wäre?
B. Wenn sie noch lebten, so müßte ich ja etwas von ihnen hören.
J. Vielleicht kann ich Ihm etwas davon sagen; vor etlichen Wochen fand ich ein kleines Kind an der Landstraße.
B. Um Gottes willen!
J. Es war in ein Paar alte Lumpen gewickelt, die von einem Weiberhemde zu sein schienen. In dem einen waren die Buchstaben genähet R. M.
B. R. M.? das ist ja der Name meines Mädchens – das ist mein Kind. Wo ist es? ich muß mich des Kindes annehmen.
J. Wenn Er sich nun das Leben genommen hätte, so könnte Er sich des Kindes nicht mehr annehmen. Jetzt thue Er mir den einzigen Gefallen, und gehe mit nach Achtheilingen. Mich hungert wie ein Wolf. Wenn wir im Wirthshause sind, so will ich ihm alles erzählen.
Er ging mit. Wir ließen uns eine Schüssel voll Milchsuppe machen, und aßen etwas Butterbrod hinter drein. Sprechen konnten wir aber nicht miteinander, weil die ganze Stube voll Fuhrleute war. Ich versprach ihm also daß ich den andern Tag ein Stück Weges mit ihm gehen, und alles, was ich von dem Kinde wüßte, erzählen wollte.
Dann legten wir uns auf die Streu. Wie süß war der Schlaf! wie froh war ich, da ich den andern Tag erwachte, und zurückdachte, daß ich einem Menschen, vielleicht dreien, das Leben gerettet hatte, welches nicht geschehen wäre, wenn ich mich durch den Hunger von diesem armen Menschen ab, und zur vollen Schüssel hätte ziehen lassen.
Mein Kamerad schlief noch, als ich erwachte. Sein Schlaf war aber nicht so süß, als der meinige, gewesen, er fuhr oft zusammen, und ich hörte, daß er einigemal ganz leise sprach: Rosine! Rosine!
Ich weckte ihn auf, Wir ließen uns ein Frühstück geben, und gingen nun weiter.
Als wir durch's Dorf gingen, kam ein Bauer mit seinen Ackerpferden aus seinem Hofe, und nachdem er sie an den Pflug gespannt hatte, rief er noch einmal in den Hof hinein: Rosine! daß du das Kalb nicht vergißt! steck' ihm einen Arm voll Grummet auf! aber recht trocknes!
Gut! antwortete eine weibliche Stimme, es soll alles besorgt werden.
Mein Kamerad stand wie versteinert da, zupfte mich bei dem Rocke und sagte: sollte das meine Rosine sein? ihre Stimme war es. Ich muß hinein und muß sie sehen.
Thue Er es nicht, sagte ich, es gibt ein Aufsehen unter den Leuten, wenn ihr zusammen kommt; daraus könnte euch mancherlei Verdruß zuwachsen. Weiß Er was! ich will hineingehen, und die Rosine bereden, daß sie aus dem Hofe heraus komme. Da kann Er gleich sehen, ob es die rechte Rosine ist. Aber das sage ich Ihm: Hier muß Er stehen bleiben, und darf nicht von der Stelle weichen, sonst geht alles verkehrt.
Ich ging nun hinein in den Hof und sah da ein Mädchen mit einem Milcheimer in den Kuhstall gehen. Ich ging ihr nach, bot ihr einen guten Morgen, und fragte, wohin ich gehen müßte, wenn ich nach Ilsenhayn wollte?
Ich bin, sagte sie, hier selbst fremd, und weiß weder Weg noch Steg.
Weiß Sie denn auch nicht, fragte ich, wohin ich gehen muß, wenn ich nach dem Hölzchen will, das hinter dem Dorfe liegen soll?
Da geht Er, antwortete sie, vor der Schenke vorbei, immer zum Dorfe hinaus.
Ja, fuhr ich fort, wenn ich wüßte, wo die Schenke wäre! Thue Sie mir doch den Gefallen, und komme Sie mit heraus, und zeige mir, wohin ich gehen muß, wenn ich vor der Schenke vorbei kommen will.
Da setzte sie ihren Milcheimer hin, kam heraus und zeigte mir die Gegend, in welcher die Schenke lag.
Ich dankte, fragte aber zugleich, ob sie den Burschen nicht kenne, der dort stünde?
Ach Gott in deine Hände! sagte sie, das ist all mein Tage mein Jeremies.
St! sagte ich, kein Wort weiter gesprochen! damit Niemand etwas merke! Ihr Jeremies hat alles Liebes und Gutes mit Ihr vor. Wenn Sie ihn sprechen will, so komme Sie heute Vormittag noch in's Hölzchen, da wollen wir auf Sie warten, und ich hoffe, daß alles gut gehen wird.
Die Thränen stürzten ihr aus den Augen, sie wollte noch viel reden – kein Wort! sagte ich, lasse Sie keiner lebendigen Seele etwas merken! Komme Sie nur in's Hölzchen, da kann Sie frei von der Leber reden.
Nun sprang ich zu Jeremiesen, faßte ihn bei der Hand, zog ihn fort, und sagte: fort mit in's Hölzchen! dahin kömmt Seine Rosine. Er drehete sich noch ein Paarmal nach ihr um, nickte ihr zu, und sie that ein Gleiches.
Wir gingen in das Hölzchen, und ich führte Jeremiesen auf den Platz, wo er sich den Tag zuvor hatte henken wollen. Nu! sagte ich, wenn Er sich gestern nun die Kehle zugeschnürt hätte, wäre nach Achtheilingen geschleift worden, Seine Rosine hätte Ihn gesehen – wie denn da?
J. Ach lieber Mann! in meinem Leben kann ich es Ihm nicht verdanken –
H. Deßwegen sage ich es gar nicht, daß Er mir danken soll. Ich thue es nur deßwegen, daß Er es recht einsehen soll, was für einen dummen Streich er gestern machen wollte.
J. Ach ich sehe es mehr als zu gut ein. Man sollte gar nicht meinen, daß es möglich wäre, daß ein vernünftiger Mensch solche dumme Streiche machen könnte.
H. Ich will es Ihm erklären. Jeder vernünftige Mensch hat Begierden. Wenn er diese nicht so zu lenken weiß, wie ein guter Reiter sein Reitpferd, so bekommen die Begierden die Oberhand, sie machen ihn zu ihrem Sklaven, und verleiten ihn, daß er lauter dumme Streiche macht.
J. Ich verstehe Ihn nicht recht.
H. Wenn Er mich nicht recht versteht, so denke Er doch nur zurück über das, was Er gethan hat. Erst verführte Er die gute Rosine, und brachte sie um ihre Ehre, war das nicht ein dummer Streich?
J. Ein erzdummer Streich!
H. Woher kommt es denn aber, daß der vernünftige Jeremies so einen dummen Streich machte?
J. Ich war dem Mädchen so gewaltig gut.
H. So? Wenn man also einem Mädchen gut ist, so muß man es um seine Ehre bringen? Ich will es Ihm wohl besser sagen: Seine Wollust bethörte ihn, und weil Er sich keine Mühe gab, über sie Herr zu werden, so machte sie Ihn zu ihrem Sclaven.
Da nun der dumme Streich geschehen war, Sein Mädchen entwich, und er glaubte es wäre in's tiefste Wasser gegangen, so trat die Verzweiflung ein, statt daß Er hätte nachdenken sollen, wie Er das Geschehene wollte gut machen: so ließ Er sich durch die Verzweiflung fortreißen, und griff zum Stricke.
So sprachen wir noch eines und das andere, und ich brachte zu meiner großen Freude den Jeremies so weit, daß er mir versprach, er wolle künftig auf seiner Hut sein, daß seine Begierden ihn nicht mehr am Narrenseile herumführten.
Recht vom Herzen mochte es ihm aber wohl nicht gehen: denn, indem er es versprach, hatte die Begierde nach seiner Rosine sich seiner ganz bemächtigt, und immer richtete er den Kopf nach Achtheilingen hin.
Jetzt sah er seine Rosine. Wie ein Pfeil schoß er fort, fiel ihr um den Hals und heulte und herzte sie, und konnte sich von ihr gar nicht wieder los machen.
Ich bekam es am Ende satt, trat herbei und sagte: was soll das werden, Jeremies? Eben jetzt hat Er mir versprochen, daß Er seine Begierden beherrschen will, nun geht Er wieder in ihren Stricken. Er läßt sich die Freude beherrschen und macht wieder einen dummen Streich; tritt da auf öffentlicher Straße hin und dahlt mit seiner Rosine. Wenn nun Jemand aus dem Dorfe kommt, und sieht den Auftritt, so geht, denk' Er an mich, alles schief.
Komm Er doch mit seiner Rosine hierher in den Busch, und überlege mit mir, wie das Geschehene wieder gut gemacht werden kann.
Er folgte mir, und wir setzten uns miteinander im Busche nieder.
Vor allen Dingen, sprach er, sag' mir, wo mein Kind ist!
R. Ach sprich doch jetzt von solchen Sachen nicht, wir sind ja nicht alleine.
J. Vor diesem Burschen darfst du dich nicht scheuen. Der weiß um alles.
R. Um alles?
J. Um alles. Das ist kein Mensch, das ist ein Engel. Wenn dieser nicht gethan hätte, so hättest du mich zwar wieder gesehen, aber nicht lebendig. Sag' also, wo ist mein Kind?
R. Ich kann es nicht sagen.
J. Du mußt es sagen, ich lasse dich nicht eher von der Stelle.
R. Ich habe es ( indem sie die Schürze vor das Gesicht hielt) an den Weg gelegt.
J. Wo?
R. Bei Rittersleben.
Da kann Sie, sagte ich, nur ganz ruhig sein, ich habe Ihr Kind gefunden, nach Rittersleben gebracht, und kann Sie versichern, daß es von einer guten und rechtschaffenen Frau erzogen wird.
R. Ach du lieber Gott! ist das wahr?
H. Das ist so wahr, als ich neben Ihr sitze.
R. Kann ich es denn nicht wieder bekommen?
H. Warum denn das nicht? Wenn Sie es nur wieder haben will.
J. Was sollen wir denn aber mit dem Kinde machen?
H. Es ernähren und erziehen.
J. Das geht nicht, da kämen wir in Schimpf und Schande.
Ich stand auf, legte meinen Kopf an eine Aspe und dachte nach. Dann richtete ich mich auf und fragte: Jeremias, will Er Rosinen haben?
J. Ja.
H. Rosine, will Sie Jeremiesen haben?
R. Wenn er mich will, von Herzen gern.
H. Nun hört an, lieben Leute! wenn ihr beide noch rein wäret, so hätte eure Verheirathung weiter nicht viel Schwierigkeit; da ihr euch aber durch eure Begierden habt verleiten lassen, einen albernen Streich zu machen, so ist guter Rath theuer. Unterdessen will ich euch einen Rath geben, so gut ich kann. Wollt ihr ihn denn befolgen?
J. Von Herzen gern.
R. Ich auch.
H. Nun so hört mich an! Rosine geht sogleich wieder in ihre Dienste, und läßt sich gegen Niemandem etwas merken. Binnen hier und vier Wochen hoffe ich Ihr Ihren Jeremias und Ihr Kind zu verschaffen.
R. Ach das kann ich nicht. Ich kann meinen Jeremies nicht verlassen.
H. Nicht verlassen? So verlasse ich euch und scheide von der ganzen Sache.
J. Ach thue Er es nicht! verlasse Er uns nicht!
H. So muß Rosine sogleich gehen, weil ich noch gar wichtige Sachen mit Jeremiesen abzumachen habe.
J. So geh' doch nur, Rosine! der Bursch meint es ja gar zu gut mit uns.
Rosine ging endlich, nachdem sie noch ein Langes und ein Breites mit ihrem Jeremias geplaudert hatte. Sobald sie fort war, faßte ich Jeremiesen bei der Hand, und sagte: lieber Jeremies, Seine Sache ist verzweifelt verwickelt. Auf dem Entschlusse, den Er jetzt faßt, beruht Sein, Seines Mädchens und Seines Kindes Wohl. Ich kann Ihm keinen bessern Rath geben, als daß Er mit mir nach Rittersleben geht. Da wohnt gar ein verständiger rechtschaffener und frommer Pfarrer, Goldammer heißt er. Diesem will ich die ganze Sache vortragen, und der wird gewiß Ihm den besten Rath geben.
Jeremies folgte mir, und ich ging mit ihm wieder auf Rittersleben zu.
Unser Weg führte uns nach Ilsenhayn. Mir wurde warm um's Herze, da ich den Ort sah, und zurückdachte an alles, was darin vorgefallen war. Hätte ich meinen Begierden folgen wollen, so wäre ich durch das Dorf gegangen, und hätte Kornlanden und seiner Tochter noch einmal zugesprochen. Meine Vernunft sagte aber: thue es nicht! was hilft es dir, wenn du noch einmal ein Mädchen siehst, das du doch vergessen mußt? und was wird der alte Kornland denken, wenn du so bald wieder kommst? wird er nicht glauben, du kämst in der Absicht, daß er dir noch einmal für das gefundene Geld danken solle? Ich folgte der Vernunft, ging hinter dem Dorfe weg, drückte den Hut in die Augen, sah gerade vor mich hin, bot Niemandem, der mir begegnete, einen guten Tag und lief, wie wenn mir der Kopf brennte, damit mich nur Niemand erkennen möchte.
Da wir in Rittersleben ankamen, bat ich Jeremiesen um alles, daß er ja gegen Niemandem etwas von seiner Geschichte solle merken lassen, dann ging ich sogleich zu dem Herrn Pfarrer.
Was der Mann für eine Freude hatte, da er mich wieder sah, das kann ich mit Worten nicht beschreiben.
Ei! willkommen lieber Haberfeld! sagte er, drückte mir die Hand, führte mich in seine Stube, und fuhr fort: wie habe ich mich gefreuet über das viele Gute, das ich von Ihm gehört habe!
H. Wie so?
Pf. Daß Er seine Liebe zu der Kornlandin so glücklich besiegt hat.
H. Das habe ich Ihnen zu danken, und dem guten Herrn Amtmann Specht.
Pf. Und sich selbst. Denn wenn nichts Gutes in Ihm steckte, so würde Er unsern guten Rath nicht befolgt, und er würde Ihm also nichts geholfen haben. Lieber Haberfeld! Gar vielmal habe ich von der Freiheit des Menschen gepredigt, und die Mittel angegeben, wie ein jeder frei werden kann, wenn er nur ernstlich will. Ich habe aber nicht gemerkt, daß es viel gefruchtet hat. Die mehresten konnten mich nicht verstehen.
Was mir aber noch mehr Freude machte, das war die Geschichte mit der Geldkatze.
H. Mit was für einer Geldkatze?
Pf. Ach verstelle Er sich nur nicht! Ich weiß alles. Der junge Bursch, der mit des Herrn Amtmanns Specht Spritze nach Ilsenhayn kam, Kornlands Haus rettete, der der Jungfer Kornlandin Bräutigam nicht ansehen wollte, hernach Kornlands Geldkatze fand, sie ihm wieder zustellte, die Laubthaler, die man ihm geben wollte, in der Braut Schooß schüttete, und nicht einmal seinen Namen nannte – wer kann das anders gewesen sein, als mein lieber guter Haberfeld!
( Ich schlug die Augen nieder.)
Nun sieht Er lieber Haberfeld! was der Mensch vermag, wenn er nur seine Kräfte braucht. Ueber alle seine Begierden kann er Herr, auch im Bauernkittel frei werden. Und wenn er frei ist – wie viel ist er dann werth! Ein Engel ist er, der allenthalben Gutes thut, der wirklich schon auf Erden selig ist. Guter Haberfeld! ( indem er mir die Hand drückte) verlasse Er ja den guten Weg nicht, auf dem Er sich jetzt befindet.
H. Ich verlasse ihn gewiß nicht. Sollten ja einmal meine Begierden mich ein Fleck irre führen, so werde ich doch gewiß bald wieder auf den Weg treten, auf dem ich himmlische Seligkeit gefunden habe.
Pf. Aber warum ist er jetzt hier?
H. Sie werden sich gewiß freuen, wenn ich es Ihnen erzähle. Ich fand auf meiner Reise einen unglücklichen Menschen, der sich das Leben nehmen wollte, und brachte ihn davon ab. Da ich schrecklichen Hunger im Leibe fühlte, so wollte mich der Hunger von diesem Menschen ab, nach der Schüssel ziehen. Es gelang mir aber, über den Hunger Herr zu werden. Ich ließ mich mit dem Menschen in ein Gespräch ein, und – da ich ein Weilchen mit ihm gesprochen hatte, zeigte es sich, daß er der Vater zu dem Kinde war, das ich gefunden habe.
Kurz darauf fand ich auch die Mutter.
Pf. Wollen denn die Eltern sich ihres Kindes annehmen?
H. Ei das versteht sich. Der Vater wollte sich ja henken, weil er sich wegen seines Kindes, das er für todt hielt, so grämte. Nun wollten wir nur von Ihnen einen guten Rath hören, wie sich die Leute eigentlich bei der Sache benehmen sollten. Der arme Mensch hätte die Mutter des Kindes gern geheirathet, aber sein Vater will es nicht zugeben. Der ist ein reicher Mann, und das Mädchen ist eines armen Tagelöhners Tochter.
Pf. Kann ich den Menschen nicht zu sprechen bekommen?
H. Ach ja! Er ist im Wirthshause.
Pf. So lasse Er ihn doch gleich herbeikommen.
Ich lief hin und brachte ihn bald zurück.
Er will also, lieber Freund! sagte der Herr Pfarrer, von mir einen guten Rath haben.
Jerem. Ja, deßwegen bin ich zu Ihnen gekommen. Ich habe gehört, daß Sie ein so guter und kluger Mann sind. Wie es mit mir steht, das wird Ihnen alles Haberfeld gesagt haben.
Pf. Etwas, aber nicht alles. Das Mädchen mit dem Er zu vertraut gelebt hat, war wohl eine liederliche Weibsperson?
J. Wo denken Sie hin, Herr Pfarrer? das ordentlichste und stillste Mädchen im Dorfe war es, dem seine Feinde nichts Uebles nachreden konnten.
Pf. Und Er hat es verführt?
J. Herr Pfarrer! ich stehe hier unter Gottes Augen – was soll ich läugnen – ja ich habe es verführt.
Pf. Nun da kann ich Ihm nur zweierlei rathen. Erstlich, Er läßt das Mädchen sitzen, und wenn es Ihn verklagt, und Ihn als Vater zum Kinde angibt, so schwört Er es ab.
J. Das können Sie mir rathen, Herr Pfarrer?
Pf. Wenn Sein Vater es nicht zugeben will, daß Er sie heirathet, wenn er Ihn erblos macht, im Fall daß Er sie heirathet, wie kann Er da anders als sich losschwören? da bleibt Er doch bei Seinem Vermögen, und wird einmal ein reicher Mann.
J. Schade für allen Reichthum, wenn ich kein gutes Gewissen habe. Herr Pfarrer, ich habe noch keinen falschen Eid gethan, ich habe nur das Mädchen und mein Kind unglücklich gemacht, und doch, so wahr Gott über mir lebt, habe ich seit der Zeit keine frohe Stunde gehabt. Was half mir denn mein Reichthum? Weder Essen noch Trinken schmeckte mir. Alle Sonntage hatte ich meinen Braten, bald Schöpfen-, bald Schweinebraten, wie es die Jahreszeit mit sich brachte – mir half es nichts – der Bissen starb mir auf der Zunge. Am Johannistage ließ mir mein Vater einen schönen rothen Brustlatz machen, mit silbernen Knöpfen, so groß wie die welschen Nüsse – ich warf ihn in eine Ecke, und habe ihn noch nicht an den Leib gebracht. Was hilft dir, dachte ich, der Brustlatz, und wenn er silberne Knöpfe hätte so groß wie die Gänseeier – wenn es unter dem Brustlatze nicht richtig ist; wenn es hier auf der linken Seite so wühlt und pocht, und das Gewissen immer spricht: du bist ein schlechter Kerl! Mein Vater hat einen Tagelöhner, einen kreuzbraven Kerl, Hans Michel heißt er. Wenn ich den sein Stück Käse und Brod essen sah – wenn ich sah, wie gut es ihm schmeckte, wie froh er dabei war – ach wie vielmal habe ich mich da an seine Stelle gewünscht! wenn ich nun gar einen falschen Eid schwören sollte – Herr Pfarrer, ich bitte Sie um Gottes willen, was würde denn da aus mir werden? ich müßte ja in's tiefste Wasser gehen.
Pf. Recht bat Er. Und wenn Er Seines Vaters ganzen Reichthum bekäme, und noch dazu eine ganze Stube voll preußische Doppel-Louisd'or, und hätte ein böses Gewissen, so hülfe Ihm dieß alles nichts. Und wenn Er hundert Stuben voll Gold hätte, so hülfe Ihm dieß wieder nichts. Die Gewissensbisse können durch die Reichthümer der ganzen Welt nicht geheilt werden
Ich sehe doch nun, daß noch ein gutes Haar an Ihm ist, und habe Ihm diesen Rath blos um deßwillen gegeben, um zu hören, was Er dazu sagen würde. Da Er ihn nicht angenommen hat, so gebe ich Ihm einen andern: heirathe Er das Mädchen!
J. Das will ich ja herzlich gern, wenn doch nur mein Vater seine Einwilligung dazu gäbe!
Pf. Die hätte Er erhalten können, wenn Er frei, wenn Er Herr über Seine Begierden gewesen wäre. Hätte Er mit dem Mädchen einen züchtigen Umgang gehabt, hätte es zur Geduld und zum Fleiße ermahnet, und Seinem Vater von Zeit zu Zeit ein gutes Wort gegeben, oder einen guten Freund für sich sprechen lassen, so würde gewiß am Ende Sein Vater seine Beistimmung gegeben haben. Da Er aber Seinen Begierden folgte, so hat Er alles verderbt. Sobald der Mensch in den Stricken seiner Begierden, oder wie man sonst zu sagen pflegte, in des Teufels Stricken geht, so macht er lauter alberne Streiche.
J. Das hat mir Haberfeld schon gesagt.
Pf. Jetzt wird es weit schwerer halten, des Vaters Einwilligung zu bekommen. Denn viel Ehre ist freilich nicht dabei, wenn man eine geschwächte Person in die Familie bringt.
J. Was soll ich denn da thun?
Pf. Den Vater nochmals um seine Einwilligung bitten.
J. Wenn er sie mir aber nicht gibt?
Pf. Er hat noch einen Vater, der Ihm bleibt, wenn Sein leiblicher Vater lange unter der Erde liegt. Stelle Er sich vor, daß dieser Vater jetzt vor Ihm stände. Frage Er ihn: lieber Vater! ich habe ein unschuldiges Mädchen verführt, und es um seine Ehre gebracht; was soll ich nun thun? soll ich es verlassen oder soll ich es heirathen? was meint Er wohl, daß dieser Vater antworten wird?
J. Er wird doch haben wollen, daß ich sie heirathe.
Pf. Ich glaube es auch. Wenn Er nun weiß, was des himmlischen Vaters Wille ist, was muß Er thun?
J. Ich muß ihm gehorchen.
Pf. Wenn aber nun der leibliche Vater nicht haben wollte, daß Er dem himmlischen Vater gehorche, wie denn da?
J. Ich muß ihm doch gehorchen.
Pf. Wenn Ihn aber der leibliche Vater deßwegen enterben wollte?
J. Das wäre freilich hart.
Pf. Hart hin, hart her, ich will wissen, ob Er deßwegen dem himmlischen Vater nicht gehorchen darf, wenn Ihn der leibliche Vater deßhalb erblos machen will.
J. Ich glaube, ich muß dem himmlischen Vater doch gehorchen.
Pf. Aber wovon will Er mit Frau und Kindern leben?
J. Von der Arbeit. Das wird aber freilich ein sauer Stückchen Brod sein.
Pf. Sauer und süß, wie Er will; sauer, wenn Er dabei immer an den Schöpsen- und Schweinsbraten denkt, den Er in des Vaters Hause gegessen hat; süß, wenn Er bedenkt, daß Er deßwegen so sparsam lebt, daß Er die Pflichten gegen Seine Frau und Kinder erfüllt. Nun sage Er, was will Er thun?
J. Wie gesagt – heirathen will ich meine Rosine gern, wenn mich nur mein Vater deßwegen nicht erblos macht.
Pf. Da kömmt Er mir vor wie ein gewisser junger Bursch, den ich in meiner Jugend kennen lernte: der wollte gern schwimmen lernen, aber in's Wasser wollte er nicht gehen. Fünfzigmal ging er wohl an's Wasser; sobald er aber an's Ufer kam, stand er stille, besann sich, ging wieder zurück und sagte: schwimmen möchte ich wohl lernen, wenn ich nur nicht in's Wasser gehen dürfte. So macht Er es auch. Rosinen will Er wohl heirathen, aber die Unannehmlichkeiten will Er nicht übernehmen, die mit dieser Heirath verknüpft sind. Jener Bursch lernte in seinem Leben nicht schwimmen, und Er – wenn Er von Seiner Liebe zum Gelde sich nicht los macht, wird eben so wenig Seine Rosine heirathen.
Da sehe ich aber die Frau kommen, die Sein Kind verpflegt. Setze Er Sich hin und überlege Er, was Er thun will. Ich habe mit dieser Frau etwas Nothwendiges zu reden.
Jetzt trat sie herein, und hatte Christöphelchen im Mantel.
Wie geht's liebe Frau! sagte der Herr Pfarrer, thut Sie auch noch Ihre Pflicht gegen das arme verlassene Kind, das Ihr der liebe Gott zugeführt hat?
Ich werde ja, antwortete sie. Ich müßte ja eine schlechte Frau sein, wenn ich mich des armen Würmchens nicht annehmen wollte. Du gutes Christöphelchen! du kannst auch sagen: mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der Herr nimmt mich auf. Du hast einen Rabenvater und eine Rabenmutter, die haben dich verlassen; aber der liebe Gott hat dich aufgenommen, und dich zu mir geführt.
Jeremies fing an am ganzen Leibe zu zittern und sagte: Herr Pfarrer kann ich denn nicht mit Ihnen noch ein Paar Wörtchen in einer andern Stube sprechen?
O ja! antwortete dieser, ging mit ihm in die obere Stube, und ich folgte ihm nach. Da heulte er die heißesten Thränen, und sagte: Herr Pfarrer! mein Entschluß ist gefaßt – ich heirathe meine Rosine – ich nehme mein Kind an, und sollte ich bei Wasser und Brod leben. Gott bewahre mich! die Nachrede will ich nicht haben, daß ich ein Rabenvater wäre. Hier haben Sie meine Hand drauf!
Der Herr Pfarrer nahm sie an, und sagte: nun Gott stärke Ihn, daß Er bei Seinem Entschlusse bleibt, und sich durch keine Geldliebe, durch keine falsche Schamhaftigkeit davon abwendig machen läßt.
Darauf fragte er ihn nach seinem Wohnorte, schrieb einen Brief, gab ihn Jeremiesen und sagte: diesen Brief trage Er zu dem Herrn Amtmann Specht.
J. Wo wohnt dieser?
Pf. Es steht darauf: in Trautleben. Der Herr Amtmann wird für Ihn als Vater sorgen, und Ihm Arbeit verschaffen. Sei Er fleißig und treu! das Uebrige will ich besorgen. Haberfeld bleibt unterdessen bei mir.
Nun schrieb der Herr Pfarrer einen Brief an Jeremiesens Vater, Valentin Leder in Baumhausen, schickte mich damit ab, und sagte mir, wie ich meine Sachen machen sollte.
Ich nahm mein Nachtquartier wieder in Achtheilingen, wo ich einen Gerbersgesellen antraf, mit dem ich bald Bekanntschaft machte.
Ich ließ mir ein Stück frische Wurst geben und verzehrte es, der Gerbersgeselle sah zu, wie es mir so gut schmeckte; er selbst ließ sich aber nichts geben. Nu? fragte ich, will Er denn heute nicht essen?
G. Mir fehlt's am Besten.
J. So? ist er denn krank?
G. Das wohl nicht, aber mein Beutel hat die Schwindsucht.
J. Das ist noch kein großes Unglück. Besser ist es der Beutel hat die Schwindsucht, als daß sie die Lunge hat. Die Schwindsucht des Beutels kann doch leicht gehoben werden.
G. Das ist meine Meinung auch. Heute über acht Tage sitze ich vielleicht bei Fisch und Braten, und einer Flasche Rheinwein, und lasse jeden mitessen, der dazu Appetit hat.
J. Da thut Er nicht übel dran. Aber woher soll denn Sein Beutel auf einmal so gut genähret werden? Hat Er vielleicht einen reichen Vater?
G. Gehabt, aber nicht mehr. Der wird heute Abend auch nicht wissen, was er essen soll.
J. Ist er vielleicht abgebrannt?
G. Das nicht.
J. Oder im Kriege ausgeplündert worden?
G. Auch nicht. Er hat sein Hab und Gut in das Lotto gesetzt. So hab' ich es auch gemacht. Nun hungern wir beide, aber, wie ich glaube, zum letzten Male. Morgen wird das Lotto gezogen. Wir haben beide auf eine Quaterne gesetzt, und die muß morgen herauskommen, es koste was es wolle.
J. Wenn sie herauskommen muß, so habe ich weiter nichts dagegen. Woher weiß Er denn aber, daß sie herauskommen muß?
G. Ja, wenn sie nicht herauskäme, so müßte ich ja wahrhaftig mit meinem Vater, als Bettler, zum Lande hinausgehen.
J. Nu! da würde Er gute Gesellschaft finden! Mir ist gesagt worden, daß jetzt gar viele hübsche Leute, die sonst in den besten Umständen waren, als Bettler herumzögen, weil sie ihr Hab und Gut im Lotto verspielt hätten. Die hofften alle auch auf Quaternen.
G. Mit mir ist es aber doch eine ganz andere Sache. Ehe wir aber weiter reden, so thue Er mir doch den Gefallen, und lasse Er mir auch ein Stück frische Wurst und Brod geben. Mich hungert wie ein Wolf. Heute den ganzen Tag habe ich noch keinen Bissen über meine Zunge gebracht. Gewinne ich die Quaterne, so will ich es Ihm hundertfältig bezahlen.
J. Was nun die Quaterne betrifft, so sage ich Ihm aufrichtig, daß ich Ihm dafür nicht dies Stückchen Wurstschale gebe. Weil ich aber sehe, daß Er in Noth ist, so will ich Ihm doch ein Abendessen reichen lassen.
Ich bestellte es für ihn, und er fiel darüber so begierig her, als wenn er den Teller auch mitessen wollte.
Da er es aufgezehrt hatte, so fragte ich ihn, warum er denn glaube, daß es mit ihm eine ganz andere Sache sei, als mit den vielen tausend Leuten, die das Lotto an den Bettelstab gebracht hat. Das will ich Ihm sagen, war seine Antwort.
Als ich das letztemal in's Lotto setzen wollte, so bat ich den lieben Gott gar zu herzlich, er möchte mir doch die Nummern bekannt machen, die bei der nächsten Ziehung des Lotto's herauskommen würden.
Der liebe Gott hat mein Gebet auch erhöret. Da ich eingeschlafen war, träumte mir, ich wäre in einem schönen Garten, so schön wie der Garten zu Wörlitz bei Dessau, und stand vor einem Schlosse, das so schön war, wie das des Fürsten von Dessau, und über der Thüre des Schlosses standen die Zahlen 1, 6, 8, 9.
Da ich aufwachte, dankte ich dem lieben Gott für die Offenbarung, sagte sie meinem Vater, und wir nahmen uns vor die Zahlen 1, 6, 8, 9 zu besetzen. Da wir aber kein Geld hatten, so verkaufte mein Vater die Hälfte von seinen Hemden.
J. Wie viel betrug diese Hälfte?
G. Eins. Und ich verkaufte meine Sonntagshosen, und nun setzten wir das Geld, das wir daraus löseten, in's Lotto.
Ein junger hübschgekleideter Fremder, der unserem Gespräch mit zugehört hatte, fiel dem Gerber in die Rede und sagte: ich wette mit Ihm, daß diese Quaterne eben so wenig herauskommen wird, als alle, die Er bisher besetzt hatte. Ach die Wuth in's Lotto zu setzen, die macht mehr Leute unglücklich, als Feuers- und Wassersnoth. Wenn die Menschen ihre Vernunft brauchen lernten, so würde Niemand in's Lotto setzen. Aber sie brauchen ihre Vernunft nicht, sie lassen sich ihre Begierde, ohne Arbeit reich zu werden, blenden, und diese verleitet sie als Narren zu handeln, und ihr Geld, das sie haben, in einen Strudel zu werfen, wo es für sie auf immer verloren ist, in der Hoffnung, dafür große Geldsummen zu erhalten. Und wenn sie gleich einen ihrer Spielkameraden nach dem andern mit dem Bettelstabe fortgehen sehen, so werden sie doch nicht klüger.
Ich habe hier ein Paar Blätter bei mir, die ich drucken lassen, und darin den Leuten zeigen will, was es mit dem Lotto eigentlich für eine Bewandniß habe. Ich will sie euch doch vorlesen. Sie haben den Titel:
Gemeinnützige Lotto-Tabelle für den Bürger und Bauersmann.
In Frag und Antwort.
Frage.
Was ist einem Lottospieler am nöthigsten zu wissen?
Antw.
Die wahre Beschaffenheit des Lotto.
Frage.
Antw.
Weil der ein thörichter Mensch ist, der einen Handel treibt, um Geld zu verdienen, ohne ihn zu kennen.
Frage.
Macht die Lottodirektion die wahre Beschaffenheit des Lotto bekannt?
Antw.
Nein. Weil keiner, der das Lotto genau kennt, leicht drin spielt.
Frage.
Wie viel gewinnt sie am simplen Auszug?
Antw.
Am simplen Auszug gewinnt sie 16 Procent und am bestimmten Auszug 22.
Frage.
Wie viel Procent gewinnt das Lotto an der Ambe?
Antw.
An der Ambe gewinnt es 32 Procent.
Frage.
Wie viel gewinnt es an der Terne?
Antw.
54 Procent.
Frage.
Wie viel gewinnt es an der Quaterne?
Antw.
An der Quaterne gewinnt das Lotto am 100 gerade 88.
Frage.
Wer im Lotto spielt, was thut der?
Antw.
Der treibt einen Handel, indem er mit 16 Procent Verlust handelt, wenn er den simplen Auszug spielt; – besitzt er die Ambe, so handelt er mit 32 Proc. Verlust: – besetzt er die Terne, so handelt er mit 54 Proc. Verlust; – besetzt er die Quaterne, so handelt er mit 88 Proc. Verlust.
Frage.
Wie wahrscheinlich ist es, daß einer eine Ambe gewinnt?
Antw.
Das ist eben so, als wenn unter 400 Nummern 399 Nieten sind und ein Treffer.
Frage.
Wie wahrscheinlich ist es, daß einer eine Terne gewinnt?
Antw.
Bei der Terne sind 11,000 Nieten möglich und nur ein Treffer.
Frage.
Wie wahrscheinlich ist es aber, daß man eine Quaterne gewinnt?
Antw.
Wer auf eine Quaterne spielt, der sucht einen Nadelknopf in einem Fuder Heu. Oder mit andern Worten: er muß eine schwarze Erbse mit verbundenen Augen suchen unter neun Scheffel weißen. – Denn bei der Quaterne sind 2 Millionen und 540,000 Nieten gegen einen Treffer.
Frage.
Wo findet man diese Rechnung?
Antw.
In dem Buche, welches heißt: Der aufrichtige Lottospieler. Dieses Buch kostet nur wenige Kreuzer, und ist bei allen Buchhändlern zu haben, vorzüglich aber in der Buchhandlung der Erziehungsanstalt zu Schnepfenthal Dieß Büchlein ist längst vergriffen..
Frage.
Stehen da auch noch mehr Sachen drin, die dem Lottospieler zu wissen nöthig sind?
Antw.
O ja. Es sieht z. B. drin: wie lange die Nummern oft ausbleiben.
Frage.
Wie lange bleiben sie denn oft aus?
Antw.
Numero 1 blieb im Mannheimer Lotto einmal 81mal drin. Nr. 2 blieb einmal 71mal drin. Nr. 3 blieb einmal 62mal drin. Nr. 4 blieb 63mal drin. Nr. 6 blieb 113mal drin. Nr. 7 blieb gerade 100mal drin. Nr. 9 blieb 91mal drin. Nr. 11 blieb 96mal drin; u. s. w.
Frage.
Wie kann man im Lotto spielen, ohne zu verlieren?
Antw.
Man muß auf den simplen Auszug setzen, klein anfangen und immer erhöhen, bis die Nummer kommt.
Frage.
Muß man aber auch zu diesem Erhöhen viel Geld vorräthig haben?
Antw.
Ja wohl. In dem aufrichtigen Lottospieler ist eine Erhöhungstabelle, aus der man sehen kann, daß, wenn man mit einem Kreuzer anfängt, man 28 Gulden haben muß, wenn die Nummer 70mal drin bleibt.
Frage.
Wenn sie aber 75mal drin bleibt?
Antw.
So muß man 40 Gulden vorräthig haben, um das Nachsehen aushalten zu können.
Frage.
Wenn sie aber 80mal hinter einander drin bleibt?
Antw.
So muß man in allem 75 Gulden einsetzen.
Frage.
Wenn sie aber 85mal drin bleibt?
Antw.
So muß man in allem 81 Gulden einsetzen.
Frage.
Wenn sie aber 90mal hintereinander drin bleibt?
Antw.
So muß man 115 Gulden vorräthig haben, um das Erhöhen aushalten zu können.
Frage.
Wie viel gewinnt man aber denn auch endlich?
Antw.
Man gewinnt all' sein eingesetztes Geld wieder und noch 14 Kreuzer dazu.
Frage.
Kann man es nicht so klug anfangen, daß, wenn man mehrere Jahre spielt, man am Ende doch noch etwas gewonnen hat?
Antw.
Die Einrichtung des Lotto ist so gemacht, daß das nicht möglich ist. Wenn aber auch einer so viel Geld vorräthig da liegen hat, daß er das Erhöhen aushalten kann, so gewinnt er doch nie ordentliche Procente mit seinem Kapital, denn was sind 14 Kreuzer für Zinsen von einem Kapital von 115 Gulden?
Frage.
Wenn aber nun Jemand auf seine Träume Acht gibt, und das Traumbuch fleißig gebraucht?
Antw.
So ist er entweder ein Narr, oder er wird doch einer. In einem Traumbuch steht zum Beispiel: Wenn man im Traume die Frösche quäken hört, so bedeutet das Nr. 90. In einem andern steht: wenn man die Frösche quäken hört, so bedeutet es Nr. 23. In einem dritten Traumbuch steht: wenn man die Frösche quäken hört, so bedeutet das Nr. 57. Wer hat nun recht?
Frage.
Das weiß ich nicht. – Geht es aber bei dem Ziehen des Lotto immer ehrlich her?
Antw.
Das weiß ich nicht. Aber das weiß ich, daß sie leicht machen können, daß gewisse Nummern nicht kommen – obschon das Rad von Glas ist, und dem Waisenknaben die Augen verbunden sind.
Frage.
Was sind die Collecteurs für Leute?
Antw.
Was das für Herren sind, davon findet man eine schöne Beschreibung in einem kleinen Buche, welches heißt: Das neue Lottobüchlein von Schmitchen. Es enthält die schauerliche Geschichte von einem unglücklichen Lottospieler, der aus Verzweifelung von Frau und Kindern weg ging, und sich in's Wasser stürzte. – Sein Schwager, der auch im Lotto spielte, wurde nachher enthauptet, weil er einen Juden ermordet hatte.
Frage.
Was müßten denn die Collecteurs thun, wenn sie brave und ehrliche Leute sein wollten?
Antw.
Sie müßten dem, der das Lotto nicht kennt, es erklären, was es für eine Bewandniß damit hat. – Wer dann noch spielen wollte, der könnte es thun.
Frage.
Wie ist es denn mit den Zahlenlotterien beschaffen?
Antw.
Die sind ehrlicher wie das Lotto, weil sie immer nur 10 Procent Vortheil nehmen.
Frage.
Warum sind sie denn in Klassen eingetheilt?
Antw.
Damit man nicht so leicht die wahre Einrichtung derselben merke. Sie denken, im Trüben ist gut Fischen. – Durch die Einrichtung mit Klassen haben sie den Vortheil, daß in 19,000 Nummern 123,000 Nieten sind.
Frage.
Wie ist das möglich?
Antw.
19,000 Nummern sind in 7 Klassen so viel als 133,000 Nummern in einer Klasse. Da nur in allen 10,000 Gewinne sind, so kommt gegen 1 Treffer 11 Verlierer. Da aber unter 16,000 Loosen 10,000 gewinnen, so glaubt man gewöhnlich, daß mehrere Gewinner wären.
Frage.
Wer hat die Lotterie erfunden?
Antw.
Ein kluger Mann in Genua, der gern reich werden wollte, aber nicht gern arbeitete.
Während dem Lesen kratzte sich der Gerber verschiedenemal in dem Kopfe, und da der Fremde fertig war, sagte er: ja wenn ich das vor fünf Jahren gewußt hätte, so wollte ich jetzt ein anderer Mann sein – nun aber bin ich verloren. Alle mein Geld ist fort, meine Uhr, die silbernen Knöpfe an meinem Brustlatze, meine Wäsche, meine besten Kleidungsstücke, alles hat der Henker geholt. Was soll ich anfangen? Betteln? das läßt meine Ehre nicht zu. Soldat werden?
Halt! fiel ihm der Fremde in's Wort, zwischen Betteln und Soldat werden gibt es noch ein Mittelding, das heißt – Arbeiten. Treibe Er Seine Profession, die ihren Mann gut ernähret, und arbeite Er, was Seine Kräfte vermögen.
G. Wenn ich doch nur nicht so sehr von Kleidern herunter wäre! Sollte denn gar keine Hoffnung da sein, daß ich die Quaterne gewönne?
Fr. Gar keine! das sage ich Ihm als ein ehrlicher Mann. Daß Er glaubt, die 4 Zahlen, die Er im Traume gesehen hat, wären die 4 Nummern, die bei der nächsten Ziehung des Lotto herauskommen würden, und daß der liebe Gott sie Ihm offenbaret habe, das ist wahre Narrheit. Wie kann Er denn glauben, daß der liebe Gott, der die Einrichtung gemacht hat, daß jeder Mensch im Schweiße seines Angesichts sein Brod essen soll, ein Wunder thun werde, um einen Menschen ohne Arbeit reich zu machen? Vergesse Er Seine Quaterne und gehe in Gortes Namen nach der nächsten Stadt, um Arbeit zu suchen!
Der Gerber versprach es zu thun, die Streue wurde gemacht, ich dehnte mich und dachte: diese Nacht willst du auch recht gut schlafen.
Ehe ich mich aber hinlegte, fuhr mir noch ein anderer Gedanke durch den Kopf. Wie wäre es, dachte ich, wenn du einmal deine Schlaflust ein Bischen herumtummeltest, und diese Nacht mit Wachen zubrächtest? Ich that es wirklich, ob es mir gleich sehr sauer ankam. Da ich aber merkte, daß mir in der Stube Zeit und Weile lang werden würde, so entschloß ich mich in's Freie zu gehen, und bezahlte zuvor, was ich verzehrt hatte. Es war Mondschein und der Himmel klar und helle. Alles war ruhig und stille, nur das Rauschen eines Flusses konnte ich hören, und mitunter ein kleines Geräusch in den Büschen, das durch den Luftzug verursacht wurde.
Wie wohl mir da war, das kann ich keinem Menschen beschreiben. Da konnte ich meinen Gedanken recht nachhängen, und kein böser Gedanke kam mir in die Seele. Es war, als wenn ich dem lieben Gott näher wäre, als sonst, und alle das Rauschen und Wehen kam mir wie seine Stimme vor. Da nahm ich es mir nochmals recht ernstlich vor, daß ich mir Mühe geben wollte, ein guter Mensch zu werden, und mich von den Fesseln meiner Begierden frei zu machen.
Mit diesem Vorsatze ging ich immer weiter, ohne selbst zu wissen wohin? Auf einmal sahe ich aber etwas, das mich neugierig machte. Ich ging darauf los, und je näher ich kam, desto mehr schien es mir ein offener Sarg zu sein.
Särge habe ich in meinem Leben genug gesehen, ohne mich zu fürchten; aber dießmal, da ich den offenen Sarg, bei der Nacht, auf freiem Felde erblickte, lief es mir doch, was soll ich es läugnen? eiskalt über die Haut. Ich stand stille – gehst du? oder gehst du nicht? dachte ich bei mir selbst. Endlich fiel mir ein, daß ich doch nicht recht frei wäre, wenn ich mich durch die Furcht vor einem Sarge zurückhalten ließe. Ich schlich also näher, und sah nun recht deutlich, daß es ein offener Sarg war, neben dem der Deckel lag. Da ich noch ein Paar Schritte näher kam, sah ich sogar, daß eine Leiche drin lag. Wer da? rief ich.
Sobald ich gerufen hatte, wer da? richtete sich die Leiche im Sarge auf, und antwortete: gut! gut! ich komme gleich.
Nun hatte ich es vollkommen satt. Ich machte linksum, die Vernunft verließ mich, und die Furcht packte mich, so zu sagen, bei den Haaren, und riß mich mit sich fort. Ach Leute! was für unbesonnene Streiche macht doch der Mensch, wenn er sich von der Furcht überwältigen läßt. Warum lief ich denn? wie ich glaubte, vor einem Gespenste. War es wirklich ein Gespenst – was würde mir mein Laufen geholfen haben? denn, wie man sagt, so fliegen ja die Gespenster so geschwind, wie die Fledermäuse, und es ist dem Menschen, mit seinem schweren Körper, unmöglich ihnen zu entkommen. So viele Besinnung hatte ich aber nicht. Ich lief immer drauf los, wie wenn mir der Kopf brennte, der Angstschweiß lief mir über den ganzen Leib. Da ich immer ein Geräusch hinter mir hörte, so glaubte ich, es wäre der Geist, und machte daher Sätze wie ein Hase, wenn ihm der Hund auf dem Nacken sitzt.
Eine Viertelstunde mochte ich wohl so gelaufen sein, da war es, wie wenn mich etwas an der Schleppe hielt, Herr Jesu! rief ich, nahm meine letzten Kräfte zusammen, that noch einen Satz und – platsch! da stak ich in einem Sumpfe bis unter die Arme.
Nun verging mir das Laufen. Ich mußte stille stehen, und gelassen abwarten, bis es dem Geiste gefiele, mir den Kopf umzudrehen. Wirklich schien er auch Anstalten dazu zumachen, weil etwas über meinem Kopfe hin und her fuhr. Da es aber immer nicht zum Kopfumdrehen kam, und die Zeit mir zu lang wurde, so griff ich endlich über mich, und bekam einen Busch in die Hand. Nun faßte ich Muth und sah mich um. Da sah ich nun weit und breit nichts, das einem Gespenste ähnlich gesehen hätte; wohl aber bemerkte ich hinter mir einen Erlenbusch. Der war mein Schutzengel. Ich suchte mich wieder heraus zu arbeiten, es war aber alles umsonst, ich steckte zu tief im Schlamme. Da nahm ich endlich meine Zuflucht zu diesem Erlenbusche, bog, vermittelst meines Stocks, ein Paar Stämmchen nieder, faßte sie mit beiden Händen fest an, und zog mich dann aus dem Schlamme heraus.
Da stand ich nun, zitterte am ganzen Leibe, wie ein nasser Hund, und wußte nicht, ob ich rechts oder links, vor- oder rückwärts gehen sollte.
Zum Glück hörte ich ein Nachtwächterhorn verschiedenemal, ging dem Schalle nach, und sah nun bald im Grunde ein Dorf vor mir liegen. Ich ging drauf los, begegnete dem Nachtwächter, und bat ihn, mir das Wirthshaus zu zeigen, welches er auch gern that.
Im Wirthshause war, wie man leicht denken kann, alles zu Bette, und ich mußte lange pochen, ehe sich ein Fenster aufthat und ein Kopf herausguckte. Wer ist denn da? fragte dieser.
Ein Reisender, antwortete ich, der sich verirrt hat. Thue Er mir doch ja den Gefallen und lasse Er mich ein. Er brummte, machte das Fenster zu, machte mir aber endlich doch auf, nachdem ich wohl noch eine Viertelstunde hatte warten müssen.
Kann Er denn nicht am Tage kommen? fragte er.
Mir wäre es auch lieber, antwortete ich, wenn ich am Tage hätte kommen können. Aber ich hatte mich verirrt, und bin in den Schlamm gerathen, sehe Er nur, wie ich zugerichtet bin. Gebe Er mir doch ja ein Bette, in das ich kriechen, und meine nassen Kleider trocken werden lassen kann.
Anfangs hatte er keine Ohren dazu; da ich aber versicherte, daß ich alles bezahlen wollte, und ihm ein Paar Laubthaler zeigte, so muß ich gestehen, daß er sehr gefällig war, und mir ein Bett anwieß.
Ich kroch hinein, nachdem ich meine schlammigte Kleidung abgelegt hatte. Aber erst mit Tagesanbruch schlummerte ich ein Bischen ein, weil mir der Sarg mit dem Dinge, das aus dem Sarge stieg, gar nicht aus dem Kopfe wollte.
Als ich aufgestanden war und in die Stube trat, fand ich da verschiedene Branntweinsgäste, die von nichts sprachen, als von einer alten Frau, die den Tag zuvor hatte begraben werden sollen, und nicht begraben werden konnte, weil der Sarg, in den man sie legen wollte, nicht angekommen war. Ich möchte doch wissen, sagte der eine, wo der Klaus hingekommen wäre, ob ihn der Henker geholt hat, oder ob ihn die Wolken aufgezogen haben. Früh 5 Uhr ist er doch fort nach der Stadt gegangen.
Und ich, fuhr der andere fort, bin ja in der Stadt gewesen und habe den Sarg stehen sehen vor des Schreiners, Meister Steins, Thür. Es stand darauf:
Christus ist mein Leben,
Sterben ist mein Gewinn,
und da ich mich erkundigte, wohin der Sarg kommen sollte, so sagte er ja expreß, er käme nach Herrenwinkel. Zwölf Uhr ließ ich mir im grauen Schwane eine Wurst braten, und ging dann nach Hause. Wenn ich nun auch glauben wollte, daß Klausen ein Unglück zugestoßen wäre, so hätte ich ihn doch auf dem Wege finden müssen.
Ich spitzte die Ohren gewaltig, da ich die Sarggeschichte hörte, und immer wollte ich mit der Geschichte herausrücken, die mir die vorige Nacht begegnet war: aber ich dachte auch: wozu hilft es? sie lachen dich doch nur aus.
Da die Gesellschaft noch ein Weilchen hin und her gesprochen, und sich die Köpfe beinahe darüber zerbrochen hatte, was wohl aus dem Klause geworden wäre, trat Klaus selbst herein.
Guten Morgen! sagte er verdrießlich.
Guten Morgen! sagte einer von der Gesellschaft, Namens Gerstenkorn, wo hat dich denn der Henker gehabt, daß du so spät wieder kommst?
K. Laß mich mit Frieden! ich weiß es selbst nicht.
G. Damit kommst du nicht los, du mußt uns sagen, wo du gewesen bist. He!
K. Wenn ihr es ja wissen wollt, so will ich es euch sagen. Auf dem Wege begegnete mir mein Schwager Hans Nikel, der eben mit einer Ladung Gütern von Bremen kam. Er fuhr bei dem nächsten Wirthshause an, ließ seinen Pferden Futter geben, und mir einen Schnaps einschenken.
G. Nun merke ich's. Da hast du dir die Nase begossen. Ich kenne dich schon, wenn du beim Schnapse sitzest, so sitzest du wie angepicht und vergißt die ganze Welt. Weiter in dem Text! –
K. Der Schnaps schmeckte mir gut, und wie es halt zu gehen pflegt, ich ließ mir ein Glas nach dem andern einschenken. Da ich aufstand ging die ganze Stube mit mir herum. Ich machte mich aber doch mit meinem Sarge auf den Weg. Ehe ich mich aber versah, war ich aus dem Wege heraus, und wußte nicht mehr ob ich rechts oder links, vor- oder rückwärts gehen sollte. Die Nacht fiel ein. Weil ich nun gar nicht mehr wußte wo ich war, so legte ich mich auf die Erde, um da die Nacht zu verschlafen. Da war es aber verzweifelt naß. Das Ding, dachte ich, geht nicht gut, wenn du auf der nassen Erde liegen bleibst, so kannst du ein Fieberchen auflesen. Was hatte ich also zu thun? ich machte den Sarg auf, und legte mich hinein.
Ha! ha! ha! ha! ha! fing die ganze Gesellschaft an aus vollem Halse zu lachen.
Nun, dachte ich, ist es Zeit zu gehen, ehe Klaus es verräth, daß einer vor ihm gelaufen ist, und du auch ausgelacht wirst. Ich bezahlte also meinen Wirth, und machte mich, so geschwind ich konnte, aus dem Staube.
Da ich in's Freie kam, war meine erste Sorge, welchen Weg ich gehen müßte. Ich fragte also den ersten Bauer, der mir begegnete, wo geht der Weg hin nach – nach – kann ich mich doch nicht besinnen, wie das Nest heißt.
Ich griff in die Tasche, um auf dem Briefe nachzusehen, den mir der Herr Pfarrer Goldammer an Jeremiesens Vater gegeben hatte; aber o weh! da war die ganze Tasche voll Schlamm. Ich holte eine Hand voll heraus, um den Brief darin zu suchen, fand ihn auch wirklich, aber er war in den Schlamm gerührt und weich wie Schlippermilch. Ich nahm die Stückchen Papier zusammen, und gab mir alle mögliche Mühe den Namen des Orts herauszubringen, wo Jeremiesens Vater wohnte, es war aber alles umsonst.
Da stand ich nun mit der Hand voll Schlamm und Brief, wie das Kind bei der Butter, und wußte nicht was ich beginnen sollte. Der Bauer lachte aus vollem Halse, und sagte: wenn Er mir das Dorf nicht sagen kann, in das Er will, so kann ich Ihm auch den Weg dahin nicht angeben. Er ließ mich also stehen, und ging fort.
Was ich aber anfangen sollte, das wußte ich nicht. Zuerst machte ich meine Taschen link und schüttelte den Schlamm und die Briefstückchen heraus, wusch mich am nächsten Bache, und dachte nun nach, ob ich mich nicht wieder auf den Namen besinnen könnte, der auf dem Briefe gestanden hatte. Nachdem ich hin und her gesonnen hatte, fiel mir ein daß etwas von Baum dabei war. Baum – Baumkessel – das war's nicht, Baumberg – auch nicht. Jetzt kam ein Soldat gegangen, den redete ich an und sagte: guter Freund! kann Er mir denn nicht sagen, ob hier herum ein Dorf liegt, das sich mit Baum anfängt?
Ja ja, sagte er, zwei Stunden von hier liegt ein Dorf das heißt Baumleben.
J. Ganz recht! Baumleben. Wo muß ich denn hingehen, wenn ich auf Baumleben will?
S. Da gehe Er nur mit mir, ich gehe auch über Baumleben.
J. Das ist mir ja recht lieb. Geht Er noch weiter als Baumleben?
S. Ja ich gehe nach der Stadt zur Revue.
J. Da möchte ich Sein Kamerad nicht sein.
S. Warum nicht?
J. Gehe Er mir mit seinem Soldatenleben. Ich habe mein Tage gehört, der Soldat wäre der ärgste Sclave.
S. Nachdem man's nimmt. Ich habe Soldaten gekannt, die Sclaven waren, aber auch solche, die frei waren. Zu den freien gehöre ich. Der Mensch kann in jedem Stande frei sein, wenn er nur will.
J. Wie versteht Er das?
S. Wer sich selbst beherrschen kann, der ist frei, er mag Soldat oder Bauer, Kaiser oder Taglöhner sein.
Ich stand stille, guckte den Soldaten an, wie die Kuh das neue Thor, und fragte: wo hat Er denn das gelernt?
S. In der Schule, von meinem Schulmeister Goldammer.
J. Goldammer? ich kenne einen Pfarrer, der hat eben diesen Namen.
S. Ganz recht! das ist der Bruder meines Schulmeisters.
J. Da sind wir ja Schulkameraden. Mich hat der gute Herr Pfarrer Goldammer eben das gelehrt. Und seit dem ich das gelernt habe, ist mir so zu Muthe, wie wenn die ganze Welt mein wäre.
S. Da hat Er recht. Und wenn mir heute jemand so viel Geld bieten wollte, als die Krone England schuldig ist, und ich sollte dabei ein Sclave meiner Begierden werden, bei meiner Ehre! ich nähme es nicht an.
J. Ich gewiß auch nicht. Aber ich sehe wohl, daß ich bei Ihm noch in die Schule gehen muß. Mache Er mir es doch begreiflich, wie ein Soldat frei sein kann. Der hat ja schlechterdings keinen eignen Willen. Er muß ja immer nur thun, was sein Officier verlangt. Jetzt hat Er z. E. Befehl bekommen, daß Er zur Revue soll, da muß Er fort, ohne Widerrede. Bekommt Er Ordre in's Feld zu ziehen, so muß Er wieder fort, und wenn Ihm befohlen wird einen Berg zu ersteigen, der mit Kanonen bespickt ist, wo Er Seinen Tod vor Augen sieht, da darf Er sich nicht weigern zu gehen.
S. Alles wahr. Sag' Er mir doch aber, warum Er glaubt, daß ich nicht frei wäre?
J. Das lehrt ja die gesunde Vernunft. Weil Er nicht Seinen eigenen Willen thun darf, sondern immer nur den Willen Seiner Officiere thun muß.
S. Da steckt eben der Knoten. Ich kann Ihn versichern, daß ich nicht den Willen meiner Officiere, sondern immer meinen eignen thue.
J. Ich verstehe kein Wort.
S. Nun da will ich es Ihm erklären, so wie es mir der Schulmeister Goldammer erklärt hat. Ich habe einen Vater, der ist ein Unterthan meines Landesherrn, ich bin also zum Unterthanen dieses Landesherrn geboren. Mein Landesherr hat die Verordnung gemacht, daß jeder junge Bauernbursch Soldatendienste thun muß, sobald er dazu aufgefordert wird. Bei der letzten Ausnahme kam die Reihe an mich. Das war ein Herzeleid über alle Herzeleide. Meine Mutter rang fast das Bast von den Händen, mein Vater heulte, meine Schwestern heulten, und zur Gesellschaft heulte ich auch mit. Meine Schwester rieth mir, ich sollte austreten, meine Mutter war auch der Meinung, mein Vater sagte, mach' was du willst, aber sag' uns nur nichts davon.
Da wir nun so bei einander saßen und heulten, trat der Herr Schulmeister Goldammer in die Stube, und ohne viel zu reden, nahm er mich bei der Hand und sagte: Melchior, komm Er mit mir in den Garten; ich habe ein Paar Wörtchen mit Ihm zu sprechen. Da wir in dem Garten waren, spann sich zwischen dem Herrn Schulmeister und mir folgendes Gespräch an:
Sch. Er hat ja rothe Augen, ich glaube gar Er hat geweint. Und was fehlt Ihm?
M. Sie werden es lange wissen – ich soll ja Soldat werden. Darüber betrübe ich mich, daß mir das Herz im Leibe zerspringen möchte.
Sch. So! ist die Betrübniß Vernunft, oder ist sie eine Begierde?
M. Eine Begierde?
Sch. Jetzt nehme Er sich zusammen, Melchior, und beantworte Er mir ganz offenherzig eine Frage. Wornach handelt der freie Mensch, nach Vernunft oder nach Begierden?
M. Nach Vernunft.
Sch. Ich sollte es auch meinen. Mein Melchior ist seither immer so frei gewesen, hat so manchen schönen Sieg über seine Begierden davon getragen, und nun – wollte er sich in die Stricke der Begierden geben?
M. Nein, Herr Schulmeister! das ist meine Meinung nicht!
Sch. Ich glaube es auch nicht.
Hole Er Sein Schnupftuch heraus, trockne Er Seine Thränen ab, und überlege mit mir, was die Vernunft sagt. Warum soll Er denn Soldat werden?
M. Weil es mein Landesherr verlangt.
Sch. Warum ist denn dieser Sein Landesherr?
M. Weil ich in seinem Lande geboren bin, und wohne.
Sch. Warum ist Er denn in diesem und keinem andern Lande geboren?
M. Weil mein Vater und meine Mutter drin wohnen.
Sch. Wer hat Ihm denn Seinen Vater und Seine Mutter gegeben?
M. Wer anders, als der liebe Gott.
Sch. Ganz recht. Es gibt noch hunderttausend Väter in andern Landen, die Seine Väter werden konnten, und wenn einer von ihnen Sein Vater geworden wäre, so wäre Er frei gewesen vom Soldatenstande. Da aber unter den hunderttausend Männern, die Seine Väter werden konnten, Ihm der liebe Gott gerade den Kilian Brustfleck zum Vater gab, und Ihn in einem Lande ließ geboren werden, wo nun einmal die Einrichtung ist, daß jeder junge Bursch, sobald er dazu aufgefordert wird, Soldat werden muß, so war es so gut als wenn der liebe Gott zu Ihm sagte: Melchior! du sollst Soldat werden. Sieht Er das ein?
M. Ich sehe es recht gut ein.
Sch. Nun wenn Er es einsieht, so sage Er mir, was ist Seine Pflicht?
M. Ich sehe es wohl ein, ich muß dem lieben Gott gehorchen und Soldat werden.
Sch. Nun, wenn Er das thut aus inniger Ueberzeugung, so ist Er ein freier Mann! Er kann jetzt austreten, und sich dem Soldatenstande entziehen, ist's nicht wahr?
M. Freilich! Ihnen kann ich es auch im Vertrauen sagen, daß meine Leute es haben wollen.
Sch. Wenn Er sich also entschließt, aus freiem Willen Soldat zu werden, weil es Seine Pflicht ist, so ist Er frei, weil Er Seinen eignen Willen thut. Jeder Mensch, der seinen eigenen Willen thut, und sich freiwillig einem andern unterwirft, weil er glaubt, daß dieß seine Pflicht sei, der ist frei. Geh' Er also in Gottes Namen, wohin Gott und Seine Pflicht Ihn rufen. Wenn Er das Exercieren lernen, wenn Er schultern, wenn Er Schildwache stehen, wenn Er sich bisweilen hart behandeln lassen, wenn Er in den Tod gehen muß, so denke Er nur daran, jetzt thue ich meine Pflicht; so wird alles gut gehen.
Diesen guten Rath des Herrn Schulmeister Goldammer habe ich nun befolgt, und mich immer dabei wohl befunden. Ich habe meinen Vorgesetzten immer gehorcht. Kam es mir bisweilen hart an, so tröstete ich mich damit: du thust deine Pflicht; du folgst deinem eignen Willen und bist also frei. Damit war es gut. Die mehresten meiner Kameraden müssen sich dieß alles auch gefallen lassen, aber sie thun es aus Zwang, mit Widerwillen. Wann sie marschieren müssen, so thun sie es nicht, weil es ihr Wille ist, sondern weil es ihnen von andern ist befohlen worden. Weil sie also ihren eigenen Willen nicht thun dürfen, sondern immer anderer Leute Befehle vollziehen müssen, so sind sie freilich Sclaven. Dieß ist aber ihre eigne Schuld.
Ich weiß nicht, ob Er mich verstanden hat.
J. Ich habe Ihn recht gut verstanden. Eine Bedenklichkeit habe ich aber noch. Man hat mir immer gesagt, daß unter den Soldaten ein gottheilloses Leben wäre, und daß da alle Schande und Laster im Schwange gingen.
S. Ich will Ihm darauf dienen. Leute, die alle Schande und Laster treiben, gibt es in allen Ständen. Daß aber bei den Soldaten mehr Schande und Laster im Schwange gehen, als in andern Ständen, will ich nicht läugnen. Es kommen da eine Menge Leute zusammen, die Soldaten wurden, weil sie, wegen ihrer Ausschweifungen, in ihrem vorigen Stande nicht mehr fortkommen konnten. Diese setzen nun ihre liederliche Lebensart fort, und stecken auch andere an, weil andere durch ihr böses Exempel verderbt werden. Was schadet dieß aber dem freien Manne?
Ich habe unter den Soldaten viel Böses gesehen, das ist wahr, und habe oft starke Lust gehabt, daran Theil zu nehmen, das läugne ich nicht. Immer habe ich aber meine bösen Lüste zu beherrschen gewußt, so wie es mich Herr Goldammer gelehret hatte, da bin ich immer frei geblieben. Habe ich mich ein einzigesmal betrunken, bin ich nicht so rein und unschuldig, als ich damals war, da ich die Montur anzog, so soll meine Name ein Schelm sein.
J. Das freut mich. Da habe ich doch einmal wieder einen freien Mann kennen lernen. Heutiges Tages sind die freien Leute so selten, wie die weißen Sperlinge. Wenn mir aber bei den Soldaten alles gefiele, so kann ich doch nicht läugnen, daß die Prügel, die bei ihnen so gewöhnlich sind, mir gar nicht behagen wollen.
S. Prügel schmecken freilich nicht gut. Wenn man die Sache aber bei Lichte besteht, so liegt der Grund von den Prügelsuppen nicht sowohl in denen, die sie geben, als in denen, die sie bekommen.
Da die mehresten Soldaten Sklaven ihrer Lüste sind, so werden sie auch als Sklaven behandelt. Weil sie mit Widerwillen die Muskete in die Hand nehmen, so ist es ihnen auch kein Ernst mit derselben gut exercieren zu lernen. Da machen sie alles verkehrt, und ziehen sich dadurch einen Hieb nach dem andern zu. Dabei sind sie oft stöckisch, bringen den Officier in Zorn, und da setzt es freilich bald da, bald dort etwas ab. Führen sie nun überdieß ein liederliches Leben, so machen sie sich verächtlich, und ein Mensch, der sich selbst verächtlich macht, darf sich nicht wundern, wenn er verächtlich behandelt wird.
J. Das ist alles recht gut. Sage Er mir aber auf Sein gutes Gewissen, ob Er nie, unverdienter Weise, einen Schlag bekommen hat.
S. Es könnte ja wohl sein. Da ich ein kleiner Junge war, habe ich mir auch einmal ein Loch in den Kopf gefallen. Seh' Er! hier über dem rechten Auge habe ich noch die Narbe davon.
J. Ich sehe sie recht gut. Wie paßt sich aber das Loch im Kopfe zu den Prügeln?
S. Recht gut. Ein Loch in den Kopf zu fallen thut weh, und Prügel auch. Der Unterschied ist nur der, wenn ich ein Loch in den Kopf falle, so schlage ich selbst an den Stein, und wenn ich Prügel bekomme, so schlägt der Stock auf mich. Es kommt alles auf eins hinaus. Man ist in keinem Stande dafür sicher, daß man nicht einmal etwas abbekömmt.
J. Spricht Er im Ernste oder im Spaß?
S. Ich dächte wir sprächen von der Sache gar nicht mehr. Genug ich bin Soldat, weil mich der liebe Gott dazu bestimmt hat, und gehorche aus eigenem Willen meinen Vorgesetzten, weil ich glaube, daß es meine Schuldigkeit ist. Dabei befinde ich mich wohl, und weiß, daß ich ein rechtschaffener Mann bin. Sollte ich nun, bei aller meiner Rechtschaffenheit, und allem meinem Diensteifer, doch geschlagen werden, so raufe ich mir deßwegen kein Haar aus dem Kopfe. Der Schmerz, den mein Rücken dabei fühlt, will soviel nicht sagen, und die Schande – wen trifft sie denn? den der unschuldig geschlagen wird? oder den der einen unschuldigen Mann schlägt?
J. Ich versteh' Ihn vollkommen. Aber ich muß gestehen, daß ein guter Magen dazu gehört, unverdiente Schläge zu verdauen.
S. Mein Magen war sonst auch so schwach, aber der Herr Schulmeister Goldammer hat ihn gestärkt.
J. Womit denn?
S. Ich will Ihm alles erzählen. Im Anfange meines Dienstes hatte ich einen schrecklich bösen Korporal, Sackermenter hieß er. Dieser hatte eine Frau, die noch weit schlimmer war als er. Wann ihm diese nun den Kopf recht warm gemacht hatte, so ließ er seine Bosheit an den Soldaten aus. Da sah er allemal so bleich wie frischer Käse aus, und dann schlug er um sich wie ein wüthender Mensch, bald auf den Rücken, bald an die Schienbeine. Einmal stand ich auch unter dem Gewehre, so gerade und steif, die Nase auf den Flügelmann gerichtet, wie es mir war gelehrt worden; auf einmal kam Sackermenter, stieß mich mit dem Stocke vor das Kinn so heftig, daß ich von meinen Sinnen nichts wußte. Ich nahm mich aber zusammen, und stand gerade wie eine Mauer.
Ich ärgerte mich aber doch so schrecklich, daß es kein Wunder gewesen wäre, wenn ich das Gallenfieber bekommen hätte. Alle Mühe, die ich mir gab, über das Aergerniß Herr zu werden, war umsonst.
Nachdem wohl hunderterlei Gedanken durch meinen Kopf gegangen waren, entschloß ich mich zum Herrn Schulmeister Goldammer zu gehen, und mir seinen Rath zu erbitten.
Da ich dieß, ohne Urlaub zu haben, nicht thun durfte, so ging ich erst zu dem Herrn Hauptmanne, und bat ihn, mir zu erlauben, daß ich meine Eltern auf acht Tage besuchen dürfe.
Brustfleck! sagte der Hauptmann, es ist die Zeit jetzt gar nicht Urlaub zu geben, und drehete sich nach dem Fenster zu. Bald drehete er sich aber wieder um, und sagte: Brustfleck! ich sehe meine Freude an dir. Du bist der ordentlichste, der folgsamste von meiner ganzen Compagnie, es ist noch keine Klage über dich gekommen. Bleib so gut wie du bist, und laß dich nicht verführen! deßwegen nun, weil du so ein gar braver Bursche bist, so erlaube ich dir deine Eltern besuchen zu dürfen. Aber heute haben wir Donnerstag, heute über acht Tage mußt du wieder im Glieds stehen.
Sie können sich drauf verlassen, Herr Hauptmann! sagte ich, Sie können sich auch drauf verlassen, daß ich immer ein braver Bursche bleiben werde. Ich habe meine Schuldigkeit immer gethan ohne drauf zu rechnen, daß es Jemand bemerken würde. Nun aber werde ich sie mit noch mehrerer Freudigkeit thun, da ich weiß, daß der Herr Hauptmann auf mich ein Auge haben.
So ging ich fort, und kaum hatte ich bei meiner Mutter ein Butterbrod verzehrt, so flog ich zu meinem Herrn Schulmeister Goldammer.
Woher des Landes? fragte der Herr Schulmeister, da ich zu ihm kam.
Immer aus der Stadt, antwortete ich, und nun erzählte ich ihm das Aergerniß, das mir der Korporal Sackermenter verursachte, und daß es mir nicht möglich sei, über dies Aergerniß Herr zu werden.
Nicht möglich? fragte er, und Er hat doch schon so vieles möglich gemacht. Ein Mensch, dem es sein Ernst ist frei zu werden, muß schlechterdings alle seine Begierden und Gemüthsbewegungen beherrschen können. Darauf legte er den Kopf in die Hand, dachte ein Paar Minuten nach, stand dann auf, holte seine Bibel herbei, und schlug den Spruch auf: 1. Kor. 3, 21. Es ist alles Euer.
Hier, sagte er, ist ein Mittelchen, das Ihn stärken wird.
J. Es ist alles Euer, das versteh' ich nicht.
Sch. Lieber Melchior! es stehen Sprüche in der Bibel, die man Niemandem recht deutlich machen kann, und wenn man Bücher darüber schriebe. Wenn aber ein Mensch, der gesunde Vernunft und ein reines Herz hat, darüber nachdenkt, so wird ihm bald alles deutlich. Er hat beides.
J. Ich verstehe kein Wort. Also ist auch alles mein?
Sch. Das versteht sich.
J. Auch Ihr Haus und Ihr Garten?
Sch. Alles, alles, was Er fleht, und was Er sehen wird. Wer über sich selbst nicht Herr ist, der ist Sclave von allem, was um ihn ist; aber der freie Mensch, der sich selbst beherrschen kann, dem gehört die ganze Welt.
J. Das wäre viel.
Sch. Freilich ist es viel, aber es ist wahr. Jetzt gehe Er nur hin, und denke über die Worte: es ist alles Euer, fein nach! wenn Er sie nun durch Nachdenken verstehen lernt, so wird es Ihm mehr Freude machen, als wenn ich sie Ihm weitläuftig erklären wollte.
Da ich nun vom Herrn Schulmeister meine Abfertigung erhalten hatte, so glaubte ich zu Hause nichts mehr nütze zu sein, und trat also den folgenden Tag meine Rückreise an. Ich war aber weit verdrießlicher bei der Rückreise, als bei der Herreise, und, die Wahrheit zu reden, ich war tückisch. Ich merkte wohl, was so unter den Worten: es ist alles Euer, stecken möchte, ich wollte es aber nicht merken, und machte mir eine Freude daraus, in meinem Herzen darüber zu spotten. Ich ging vor vielen Gärten, Aeckern und Wiesen vorbei, und dachte bei mir selbst: von dem allen gehört nichts dir. Der Spruch 1. Kor. 3, 21. ist vermutlich verdruckt, er sollte heißen: Nichts ist Euer. Endlich kam ich zu einem Baume mit Holzbirnen, den der Wind durchschüttelt hatte. Hier, sagte ich, Melchior ist dein Eigenthum! von diesen Holzbirnen kannst du nehmen, so viele du willst; hier kannst du sagen: es ist alles Euer. Ich las also die Holzbirnen auf, füllte meine Taschen damit an, und nahm mir vor, sie zum Kommisbrode zu essen, wenn sie mürbe geworden wären.
Darauf setzte ich mich verdrießlich unter dem Holzbirnbaume hin, und da ich vor mich hinsah, bemerkte ich einen Baum mit Honigbirnen, so gelb wie Wachs, der mir gegenüber in einem Garten stand. Hier, dachte ich, darfst du schon nicht sagen: es ist alles Euer, denn, wenn du diesen Baum schütteln wolltest, so würde es dir übel bekommen.
Bald darauf kam eine Kutsche gerollt, die mit vier muthigen Apfelschimmeln bespannt war, und in der eine schöne junge Frau saß.
Ach dieses alles ist nicht dein, Melchior! sagte ich zu mir selbst.
Unterdessen sah ich der Kutsche nach und hatte meine Gedanken drüber, wie rasch die Pferde dahin trabten, und wie hurtig die Kutsche dahin rollte. Nach etlichen Minuten konnte ich davon nichts mehr sehen, als den Staub, den sie erregt hatte. Kurios! dachte ich bei mir selbst, ist es doch auf alle Fälle, daß der Mensch doch so viele Dinge möglich machen kann. So ein einziger Apfelschimmel hat mehr Stärke in den Knochen, wie der stärkste Mensch; gleichwohl lenkt ein einziger Kerl ihrer viere, wie er nur selbst will. Und die Kutsche – wie schnell sie läuft – wie viel Kunst dazu erfordert wird, alle das Riemen- und Eisen- und Räderwerk zusammen zu setzen! Vor zehn Jahren, wenn sie hierhergefahren wäre, würde ihr das schnelle Fahren aber doch vergangen sein. Da war hier ein ewiges Dreckloch, in dem Roß und Mann hätte umkommen mögen! Jetzt ist hier Chaussee – der Weg ist hier so glatt wie in der Stube. Das haben auch Menschen zu Stande gebracht! und zu den Menschen gehörst du auch, Melchior!
Hier erhob ich mich, und trug die Nase weit höher, als da ich mich niedersetzte. Noch einmal schielte ich nach dem Honigbirnbaume, und der Gedanke schoß mir durch den Kopf: auch du stündest nicht hier, wenn die Menschen nichts gethan hatten. Von Haus aus warst du wohl nichts als ein Holzbirnbaum. Menschen haben dich gepfropft, und dahin gebracht, daß du Honigbirnen tragen mußt. Bei meiner Treue! es ist doch eine hübsche Sache, ein Mensch zu sein.
Mit diesen Gedanken ging ich fort und war so selig, daß ich den Korporal Sackermenter und alles vergaß, was mich verdrießlich gemacht hatte.
Ich dachte nun wieder an den Spruch, es ist alles Euer, den mir der Herr Schulmeister mit auf den Weg gegeben hatte, und – auf einmal wurde es helle in meinem Kopfe. Jetzt, dachte ich, hast du es weg, was es heißen soll, es ist alles Euer. Meine ist, was ich benutzen kann, und kann ich nicht alles benutzen? kann ich nicht über alles meine Betrachtung anstellen? kann ich nicht von allem was lernen? Ja! ja! so wird es sein. Die Kutsche mit den vier Apfelschimmeln habe ich benutzt und auch den Honigbirnbaum, und habe daran gelernt, wie wunderbare Dinge der Mensch möglich machen kann. Unterdessen hatte ich doch noch allerlei Zweifel dagegen, und kehrte deßwegen wieder um, um noch einmal mit dem Herrn Schulmeister Goldammer ausführlich über die Sache sprechen zu können.
Da ich mich umdrehete, kam ein Handwerksbursch mir entgegen, der keine Nase mehr hatte. Wo hat Er, fragte ich ihn, Seine Nase gelassen?
Hat Er, antwortete er, etwas darnach zu fragen?
Freilich, sagte ich, habe ich eigentlich nichts darnach zu fragen, und wenn ich gewußt hätte, daß Er es übel nehmen würde, so hätte ich es auch unterlassen, halte Er mir meine Neugierde zu Gute.
Er sah mir in die Augen – dann fuhr er fort – ich will Ihm sagen, wo meine Nase geblieben ist. Da ich in die Fremde ging, war meine Nase so gerade als die Seinige. Meine Mutter gab mir die Worte mit auf den Weg: Dein Lebelang habe Gott vor Augen und im Herzen, und hüte dich, daß du in keine Sünde willigest, noch thuest wider Gottes Gebot.
Aber ich vergaß sie bald, gerieth in liederliche Gesellschaft, und, statt der guten Lehre zu folgen, ließ ich mich durch meine bösen Lüste verleiten, mich mit einem liederlichen Weibsbilde einzulassen. Den andern Tag wurde ich krank, stand Höllenpein aus, schämte mich es jemandem zu entdecken – endlich, da ich es nicht länger aushalten konnte, sagte ich es meinem Meister. Dieser ließ mich in's Lazareth bringen; da lag ich sechs Wochen unter so schrecklichen Schmerzen, daß ich sie meinem ärgsten Feinde nicht wünsche. Am Ende wurde ich zwar wieder gesund, aber die Nase mußte ich im Stiche lassen. Merke Er es Kamerad, und sei Er auf Seiner Hut, daß Ihn Seine Lüste nicht auch in's Unglück bringen.
Mir lief es bei dieser Erzählung eiskalt über die Haut, und ich nahm mir nochmals ernstlich vor, daß ich immer gegen meine Begierden auf meiner Hut sein wolle. Dem armen Menschen dankte ich für die Warnung, die er mir gegeben hatte; in meinem Herzen dachte ich aber: du bist auch mein – von dir habe ich auch etwas gelernt.
Jetzt ging ich nun mit starken Schritten zurück, um meinen guten Herrn Schulmeister aufzusuchen. Ich traf ihn in seinem Bienenhause an. Als er mich erblickte, kam er mir entgegen und fragte: woher des Landes, mein lieber Melchior? Ich dachte Er wollte in die Stadt gehen.
M. Dahin will ich auch gehen. Auf dem Wege ging mir aber der Morgenstern in meinem Kopfe auf, und ich glaubte die Worte: es ist alles Euer, recht gut zu verstehen. Da kehrte ich um, um den Herrn Schulmeister zu fragen, ob ich sie auch recht verstanden hätte.
Sch. Wie hat Er sie denn verstanden?
Da erzählte ich ihm dann, was mir bei der Kutsche mit den Apfelschimmeln, dem Honigbirnbaume und dem Menschen ohne Nase, in die Gedanken gekommen war. Meine Meinung von den Worten: es ist alles Euer, ist diese: ihr könnt über alles nachdenken und von allem etwas lernen.
Sch. ( Indem er mir die Hand schüttelte) Er hat den rechten Glauben. Die ganze Welt gehört dem guten vernünftigen Menschen, der sich zu beherrschen weiß, weil er alles zu seinem Besten anwenden, und vorzüglich, weil er über alles nachdenken, und von allem etwas lernen kann.
M. Ich muß Ihnen aber doch noch einige Bedenklichkeiten sagen, die ich bei der Sache habe.
Sch. Heraus damit!
M. Wenn die Frau, die in der Kutsche mit den Apfelschimmeln saß, sagte: das ist alles mein – so ist es doch eine ganz andere Sache, als wenn ein armer Musketier es sagt. Jene kann die Apfelschimmel anspannen lassen, wenn sie will, und in der Kutsche fahren wohin sie will, und ich –
Sch. Kann das nicht. Das ist wohl wahr. Damit Er sich dieß erklären könne, so will ich Ihm eine kleine Geschichte erzählen. Da ich noch jung war, diente ich bei dem Herrn von Kreuzschnabel. Das war ein gewaltig reicher Herr, und gab alle Jahre viel Geld aus. Besonders verwendete er viel auf Bücher. Alle Messen, die Gott ließ werden, kaufte er die besten neuesten Bücher, die ihm sein Schreiber empfahl. Dann mußte ich sie zum Buchbinder tragen, und sie in englische Bände binden lassen. Wer diese Bücher aber nicht las, das war der Herr von Kreuzschnabel. Der Schreiber hingegen und ich, wir lasen fleißig drinn. Der Schreiber las am mehresten in englischen und französischen, und ich in den deutschen Büchern. Ich kann Ihm nicht sagen, wieviel ich daraus gelernt habe. Was ich von der Naturgeschichte, der Geschichte, der Erdbeschreibung weiß, das habe ich meistens aus den Büchern des Herrn von Kreuzschnabel gelernt. Besonders freue ich mich noch immer über das viele Gute, das ich aus Zollikofers Predigten von der Würde des Menschen gelernt habe. Der liebe Gott vergelte es dem guten Zollikofer in der Ewigkeit!
Nun sag' Er einmal, wer hatte denn den mehresten Nutzen von dieser Büchersammlung, der Herr von Kreuzschnabel oder ich?
M. Versteht sich, Sie.
Sch. Ich glaube es auch. Unterdessen konnte ich sie ja doch nicht so ganz behandeln, wie der Herr von Kreuzschnabel. Dieser konnte die Bücher verschenken, verkaufen, zerreissen, verbrennen, wie er selbst wollte. Dieß durfte ich nicht.
M. Sie konnten aber doch viel draus lernen.
Sch. Merke Er es sich also. Wenn ich Ihm die Sache noch deutlicher machen wollte, so könnt ich wohl noch etwas sagen, ich weiß aber nicht, ob Er mich verstehen wird.
M. Versuchen Sie es nur, ich will schon Achtung geben.
Sch. Nun so gebe Er Achtung! Ein jeder Mensch besteht eigentlich aus zweierlei Menschen, dem innern und dem äußerlichen Menschen. Der innere Mensch ist der Geist, und der äußerliche Mensch ist alles, was nicht Geist ist. Welcher ist denn der vorzüglichste?
M. Wie ich glaube, der innere.
Sch. Ei das versteht sich. Der äußerliche Mensch ist nur die Haut, mit welcher der innere überzogen ist, und die er einmal eben so ablegt, wie die Haut, in welcher er in seiner Mutter Leibe lag. Wenn nun ein Mensch ein Recht hat die Sache mit seinem äußerlichen Menschen zu benutzen, so ist sie in dem Verstande sein Eigenthum, wie die Kutsche mit den Apfelschimmeln der jungen Frau, der Honigbirnbaum seinem Besitzer, und die Büchersammlung dem Herrn von Kreuzschnabel gehörte. Diese konnten mit ihrem Eigenthume machen, was sie wollten; die Dame konnte in der Kutsche fahren, sie verkaufen, verbrennen, wie sie wollte; der Besitzer des Birnbaums konnte die Birnen schütteln und essen u. s. w. So haben die reichsten Leute das mehreste Eigenthum, weil sie das mehreste mit ihrem äußerlichen Menschen benutzen können. Man kann die Dinge aber auch mit dem innern Menschen benutzen, über alles nachdenken, von allem etwas lernen, alles zu seinem Vortheile anwenden. Dieß ist nur die Sache des verständigen, guten, freien Menschen. Der hat ein Recht mit seinem innern Menschen die ganze Welt zu benutzen, folglich ist auch die ganze Welt sein Eigenthum. Hat Er mich verstanden?
M. Wie ich glaube.
Sch. Nun so gehe Er hin, und denke der Sache weiter nach.
Ich dankte dem Herrn Schulmeister für die gute Lehre, die er mir gegeben hatte, und ging den folgenden Tag zu meinem Regimente zurück.
Als ein armer Musketier, mit sechs Pfennigen, und einem halben Schock Holzbirnen in der Tasche, war ich gekommen und reich ging ich wieder zurück, reicher als ein König: denn die ganze Welt gehörte mir. Ueber alles, was mir begegnete, über alles, was ich auf dem Wege fand, stellte ich meine Betrachtungen an, freuete mich darüber und dachte: du bist auch mein.
Den Tag nach meiner Zurückkunft stand ich wieder im Gliede. Der Herr Hauptmann von Auerhahn, der mir den Urlaub gegeben hatte, ging vor dem Gliede auf und ab: guten Morgen Bursche! sagte er, noch alle gesund? nehmt euch heute fein zusammen, daß bei dem Exercieren kein Bock passirt, und wir gute Freunde bleiben. Das wird für mich und euch eine große Freude sein. Da er mich sah, lächelte er und fragte: nu Brustfleck! hat die deine Mutter die Butter dicke auf's Brod gestrichen?
Nicht gar dicke, Herr Hauptmann! war meine Antwort.
So sprach er mit mehreren freundlich und leutselig.
Du bist auch mein, Herr Hauptmann von Auerhahn! dachte ich bei mir selbst, von dir will ich lernen, wie ein Mensch mit den Menschen, die ihm untergeben sind, umgehen muß; und wenn mich der liebe Gott einmal in bessere Umstände versetzt und mir Gesinde und Tagelöhner gibt, so will ich sie eben so gut behandeln, wie du deine Leute behandelst.
Die nächste Woche aber gab es einen andern Auftritt. Der Corporal Sackermenter hatte einmal den Wurm im Kopfe; ehe ich mich versah, stieß er mich mit der Faust vor die Brust, und da der Stoß so stark war, daß ich ein Paar Schuhe aus dem Gliede kam, so zählte er mir einige Hiebe auf, daß ich mich zusammen bog wie ein Sprenkel. Vor Aergerniß hätte ich platzen mögen. Da mir aber gleich wieder die Worte einfielen, es ist alles Euer, so faßte ich mich, und dachte, Sackermenter! du bist auch mein. Von dir will ich lernen Unrecht leiden, will lernen meine Schuldigkeit thun, wenn ich auch mit Undank belohnet werde.
So habe ich mein Soldatenleben bis jetzt vergnügt zugebracht, und habe vieles, vieles gelernt, das ich sonst nicht wußte und nicht konnte. Ich kann hungern, kann dursten, kann auf Brettern schlafen, kann vor der Garküche stehen, Schweinebraten und Bratwurst riechen, und trocken Brod dazu essen.
J. Das sind nun freilich lauter Künste, aus denen man heutiges Tages nicht viel macht.
M. Sie sind aber doch gewiß viel werth, und wenn mir der liebe Gott einmal meine eigne Haushaltung bescheert, so sollen sie mir gewiß gute Dienste thun.
Jetzt kamen wir vor Baumleben an, und tranken im Wirthshause eine Kanne Bier miteinander. Möchten wir, sagte ich, doch länger bei einander bleiben können, ich wollte noch Vieles von Ihm lernen.
M. Je nun, weiß Er was, gehe Er mit mir, und werde Soldat, da können wir lange bei einander bleiben. Mein Hauptmann wird gewiß eine Freude haben, wenn ich ihm einen so hübschen Recruten zuführe.
J. Ich danke gehorsamst. Wenn es mein Beruf wäre, Soldat zu werden, so wollte ich Seines Herrn Schulmeisters Rath gern befolgen. So aber, da dieß mein Beruf nicht ist, so glaube ich doch, es ist besser, ich bleibe wer ich bin.
M. Recht mag Er wohl haben. Lebe Er wohl, und wenn Er zu dem Herrn Pfarrer Goldammer kömmt, so grüße Er ihn schön von dem Musketier Melchior Brustfleck. Er kennt mich recht gut.
Nun war meine erste Sorge, Jeremiesens Vater auszukundschaften. Ich fragte also den Wirth, ob nicht vor einiger Zeit ein junger Bursch von hier gegangen wäre, der mit dem Vornamen Jeremies hieße?
Ja wohl! ja wohl, erhielt ich zur Antwort, und weiß kein Mensch wohin er gekommen ist. Der Vater hat ihn in den Zeitungen ausrufen lassen, aber man hat nichts von ihm gesehen noch gehört.
Ich spreche, und bleibe dabei, entweder er ist unter die Soldaten gegangen, oder hat er sich ein Leid angethan.
J. Er ist nicht unter die Soldaten gegangen, und hat sich auch kein Leid angethan.
W. Weiß Er denn das?
J. Ich werde es ja wissen. Er ist gesund und es geht ihm wohl.
W. Wo ist er denn?
J. Das darf ich noch nicht sagen. Wenn ich aber zu seinem Vater komme, so will ich ihm alles erzählen.
W. Das thue Er doch ja. Der arme Mann will sich alle Haare aus dem Kopfe raufen. Gleich gegenüber, wo die Trommeltauben auf dem Darbe sitzen, wohnet er.
Ich ging also hinüber. Da ich in den Hof trat, fand ich ein artiges schlankes Mädchen, das Flachs blauete. Ist Sie, fragte ich, die Tochter vom Hause?
M. Ja wohl! zu wem will Er denn?
J. Ich möchte gern mit Ihrem Vater sprechen.
M. Da muß Er in ein Paar Stunden wieder kommen.
Da hatte ich also meine Abfertigung und konnte gehen wohin ich wollte; das Mädchen gefiel mir aber so wohl, daß ich gern noch länger bei ihr geblieben wäre.
Ich fragte sie also: hat Sie nicht noch einen Bruder?
M. Gehabt, aber nicht mehr. Der ist in alle Welt gegangen, und läßt nichts mehr von sich hören noch sehen.
J. Und der Bruder heißt Jeremies?
M. Jeremies? Ja wohl heißt er so. Hat Er ihn etwa gesehen?
J. Gesehen und gesprochen.
M. Meinen Bruder Jeremies?
J. Ihren Bruder Jeremies.
M. Wo ist er denn?
J. Das darf ich noch nicht sagen.
M. Warum läuft er denn aber in der Irre herum? Will er denn gar nicht wieder nach Hause kommen? Denkt er denn gar nicht dran, daß er in Baumleben einen Vater und eine Schwester hat? ( Hier liefen ihr die Thränen über die Backen.)
J. Ach der gute Jeremies wäre gern wieder hier; er fürchtet sich aber vor seinem Vater.
M. Wenn er weiter keinen Kummer hat, so kann er heute noch kommen. Mein Vater hat alles vergessen und vergeben.
Bleibe Er doch da! ich will gleich meinen Vater rufen, er ist nicht weit von hier im Felde.
Es währete nicht lange, so war der Vater da, drückte mir die Hand und sagte: Er weiß also, wo mein Jeremies ist?
J. Ja das weiß ich, er ist in Rittersleben.
V. Will er denn nicht wieder zu mir kommen?
J. Er will nicht nur wieder kommen, sondern will auch Jemanden mitbringen.
V. Ach ich weiß wohl wen – eine Frau. In Gottes Namen! freilich wäre es mir lieber gewesen, wenn er ein Mädchen genommen hätte, die ein Paar Acker Land mit brächte – was kann ich aber machen? Ehe ich meinen Jeremies verliere, so will ich ihn lieber heirathen lassen, wen er will, und wenn es des Schützens Tochter wäre.
J. Nun so gebe Er mir nur ein Paar Zeilen mit an den Herrn Pfarrer Goldammer, und melde ihm, daß Er Seine Einwilligung zur Heirath seines Sohns gebe, so ist alles gut, und Sein Sohn Jeremies wird in ein Paar Tagen hier sein.
V. Von Herzen gern. Kathrine! geh' hin, hole dem Burschen eine Wurst und einen Krug Bier, ich will mich indessen hinsetzen und schreiben.
Der Vater ging und die Tochter auch, die letzte kam bald darauf wieder, und brachte mir nicht nur eine Wurst und einen Krug Bier, sondern auch ein Stück Kalbsbraten, welches ich mir wohl schmecken ließ.
Das wird, sagte sie, eine rechte Freude sein, wenn ich meinen Bruder wieder sehe. Ich habe mir um ihn bald die Augen aus dem Kopfe geweint. Ich weiß auch gar nicht, wie mein Vater ist; er hätte ja meinen Bruder können nehmen lassen, wen er wollte, so hätten wir das Herzeleid nicht gehabt. Er ist nun ein so herzensguter Mann – wenn er doch nur seine Kinder nicht zwingen wollte, zu nehmen wen er will. –
J. Will er Sie denn vielleicht auch zu einer Heirath zwingen?
K. Hm!
J. Wen soll Sie denn heirathen?
K. Des Schulzen Sohn. Freilich hat er zehn Acker im Feld, was hilft mir denn aber das alles, wenn ich ihn nicht leiden kann?
J. Und Sie hat vielleicht einen andern –
Jetzt trat der Vater herein. Hier! lieber Freund! sagte er, ist ein Brief an den Herrn Pfarrer Goldammer, mit 4 Carolins für meinen Sohn, und hier sind auch 4 Laubthaler für Seinen Weg. Nun thue Er mir den Gefallen, und gehe sogleich wieder fort. Ich habe keine ruhige Stunde, bis ich meinen Sohn wieder sehe.
Freilich wäre es mir aus verschiedenen Ursachen lieber gewesen, wenn ich hätte da bleiben können; da der Vater aber darauf bestand, daß ich gehen sollte, so that ich es, und nahm auch die Laubthaler an, die er mir schenkte, die ich freilich sehr gut brauchen konnte, – da es mit meinem Gelde ziemlich auf die Neige ging.
Lebe Er wohl, lieber Freund! sagte ich, da ich fortging, bald komme ich mit Seinem Sohne zurück. Auch von der Tochter nahm ich Abschied, wie ich glaube noch freundlicher, als vom Vater.
Im Herzen war es mir aber doch lächerlich, daß mir der Mann das Geld anvertrauete. Er hatte ja nicht einmal gefragt, wie ich heiße? Ich konnte ja ein Schelm sein, und mit dem Gelde davon gehen. Wenn der Mann nicht eine so gewaltige Freude gehabt hätte, so würde er schon vorsichtiger gehandelt haben.
Da fiel mir Melchior Brustflecks Sprüchelchen wieder ein: es ist all es Euer. Dieser Vorfall, dachte ich, ist auch mein. Der soll mich lehren, daß man auch seine Freude muß beherrschen lernen, wenn man nicht alberne Streiche machen will.
Mit diesem Gedanken ging ich fort, bis die Nacht einfiel. Da kehrte ich in dem Dorfe ein, das ich vor mir liegen sah, ließ mir, nachdem ich meinen Paß, den mir der Herr Amtmann Specht gab, vorgezeigt hatte, ein Nachtbrod geben, und legte mich dann auf die Streue, weil weiter keine Gäste da waren. Der Wirth wünschte mir eine gute Nacht, nahm sein Licht und ging fort. Kaum war er zur Thür hinaus, so hörte ich, daß er mit einem Fremden einen Streit bekam. Alles konnte ich nicht verstehen, soviel vernahm ich aber doch, daß der Fremde gerne Herberge haben, und der Wirth ihn nicht aufnehmen wollte. Wenn Er mich nicht herbergen will, und will mich nicht herbergen, sagte der Fremde, so gebe Er mir wenigstens – für Geld und gute Worte, einen Krug Bier und ein Stück Brod, daß ich nur nicht verhungere.
Das soll Er haben, und nun that sich die Thür auf, und ein Soldat trat herein.
Bald darauf kam auch der Wirth, und brachte was der Soldat verlangte.
Also, fragte der Soldat, will Er mir wirklich kein Nachtquartier geben? Ich habe heute sechs Meilen gemacht, und bin so müde, daß ich über meine Beine wegfallen möchte.
W. Ein Wort so gut als zehn – Er kriegt kein Quartier. Ohne Paß darf ich Niemanden herbergen – das ist herrschaftlicher Befehl. Warum macht Er denn so alberne Streiche und reist ohne Paß?
S. Lieber Gott! Er sieht ja, daß ich ein Deserteur bin. Wer soll denn dem armem Deserteur einen Paß geben?
W. Das weiß ich nicht. Aber kurz und gut, ohne Paß herberge ich Niemanden.
Der Deserteur that einen tiefen Seufzer, setzte sich hin, und verzehrte, was ihm war aufgetragen worden.
Ich sah ihm von meiner Streue zu, und, je länger ich ihn ansah, desto bekannter kam er mir vor. Mit Verlaub, sagte ich zu ihm, ist Er nicht einmal in Frankreich gewesen?
S. Es könnte wohl sein. Wie kömmt Er denn auf diese Frage?
H. Es ist mir als wenn ich Ihn schon einmal gesehen hätte.
S. Wo denn da?
H. Wurde Er nicht auf dem Rückwege vom Heißhunger befallen?
S. Ja wohl! und wäre vielleicht geblieben auf der Stelle, wenn nicht ein guter Mensch mein Schutzengel gewesen wäre, und mir ein Stück Brod gereicht hätte. Der liebe Gott gebe ihm dafür eine gute Nacht.
H. Und auch dem ehrlichen Graukopfe, der Ihm ein Stück Hasenbraten und einen Laubthaler gab!
Das ist ja kurios! daß Er um alles weiß, sagte der Deserteur, nahm das Licht und leuchtete mich an.
D. Ei guten Abend! Landsmann! treffen wir einander hier an? Er ist doch alle mein Tage der gute Freund, der mich vom Heißhunger rettete. ( Ich reichte ihm die Hand) ach wenn Er mich nur jetzt auch retten könnte: ich bin so schrecklich müde, daß ich keine 50 Schritte weit gehen kann. Wenn mich nun der Wirth hinausschmeißt, so muß ich unter freiem Himmel liegen bleiben.
H. Wir wollen sehen. Erst sage Er mir aber nur, wie Er unter die Soldaten gekommen ist?
D. Die Desperation hat mich darunter gebracht.
H. Die Desperation? Besinnt Er sich nicht mehr auf die Reden, die der Graukopf führte? Daß ein Mensch, der frei sein wollte, alle seine Begierden beherrschen müsse, wie er seinen Braunen? Warum suchte Er denn nicht auch über die Desperation Herr zu werden?
D. Das hätte ich freilich thun sollen, aber ich war zu schwach dazu. Der Laubthaler, den ich von dem guten Graukopfe bekam, war bald aufgezehrt. Nun war ich wieder ohne Geld, und hatte noch einige Tagereisen, bis zu meiner Heimath, nach der ich mich herzlich sehnte. Ansprechen wollte ich Niemanden um etwas. In der Verzweiflung setzte ich mich am Wege hin, und wußte nicht was ich anfangen sollte.
H. Konnte Er denn nicht nachdenken?
D. Nein, das konnte ich nicht, denn ich habe es in meinem Leben nicht gelernt. Wann ich in Noth komme, und weiß mir nicht zu helfen, so setze ich mich hin und hänge den Kopf. Aber weiter kann ich mit dem Kopfe nichts thun, als daß ich ihn hängen lasse.
H. Etwas kann Er doch noch damit thun, Er kann ja den Hut darauf setzen. Wie ging es denn aber weiter?
D. Da ich da saß, kam ein Werber, blieb vor mir stehen, und mochte wohl merken, wo es mir fehlte. Hat Er, fragte er mich, nicht Lust Soldat zu werden? Ich sah ihn traurig an, und antwortete nichts. Er hielt mir drei neue Ungarische Ducaten vor und sagte: die sind Seine, wenn Er mit mir geht.
Ich sah sie an, bedachte mich ein Paar Minuten, dann stand ich auf, und sagte: in Gottes Namen! gebe Er mir die Ducaten, und nehme Er mich zu Seinem Rekruten. So führte er mich denn mit sich fort.
D. Wo denkt Er denn hin? Zwölf Meilen rückwärts führte er mich.
H. Das hätte Er können voraussehen. Da sieht Er aber, lieber Freund! auf was für Thorheiten der Mensch verfällt, wenn er seine Vernunft nicht braucht. Hätte Er mit seiner Vernunft nachgedacht, so würde sie Ihm wohl, ein Mittel gezeigt haben, wie Er hätte zu den Seinigen kommen können. Da Er es aber nicht that, so wurde Er von den Seinigen weggerissen. Wie kommt es denn aber, daß Er nicht Soldat geblieben ist?
D. Die Sehnsucht nach meinem Vater ließ es nicht zu. Ich hörte, daß ich in der nächsten Woche mit meinem Regimente nach Italien gehen sollte. Gott erbarme dich! dachte ich bei mir selbst, wenn du einmal in Italien bist, so kommst du im Leben nicht wieder heraus, und kriegst deinen Vater nicht wieder zu sehen. Ich paßte also die Gelegenheit ab, wo ich durchgehen konnte, und bin, Gott sei Lob und Dank! glücklich entkommen.
H. Da hat Ihn die Sehnsucht wieder verleitet einen tollen Streich zu machen.
D. Wie denn so?
H. Ja, wenn man Ihn nun erwischt hätte –
D. Da würde es freilich mein Rücken haben entgelten müssen.
H. Und das wäre die Strafe dafür gewesen, daß Er Seiner Sehnsucht ganz ohne Ueberlegung folgte.
Hat Er denn zur Fahne geschworen?
D. Das versteht sich.
H. Und hat Seinen Eid gebrochen?
D. Lieber Gott! das nimmt man bei den Soldaten nicht so genau.
H. Auch nicht gut! ein Soldat, ob er gleich etwas anders aussieht, als andere Leute, ist und bleibt doch ein Mensch. Und wer ein Mensch ist, muß halten, was er versprochen hat, am wenigsten darf er seinen Eid brechen. Hat Er denn die Ducaten, die Er zum Handgelde bekam, wieder zurück gezahlt?
D. Zwei davon waren verzehrt, und einen brauchte ich zum Reisegelde.
H. Und die Montur?
D. Die habe ich mitgenommen.
H. Was hält Er denn von einem Menschen, der einen falschen Eid schwört, 3 Ducaten und einen ganzen Anzug stiehlt?
D. Ach schweige Er mir, mit Seiner Bußpredigt! wenn alle Soldaten so denken wollten, wer sollte denn desertiren?
H. Keiner. Das ist aber das Unglück, daß die mehresten Soldaten denken, wenn sie in der Montur stecken, so hätten sie ein Recht, alles zu thun, was sich andre ehrliche Leute zur Schande anrechnen. Aber nun zur Sache zu kommen, sage Er mir einmal auf Sein gutes Gewissen, hat Er denn schon mehrere falsche Eide gethan?
D. Behüte Gott! wie kann Er denn so etwas von mir denken?
H. Hat Er denn schon gestohlen?
D. Ich weiß nicht wofür Er mich ansteht. Ich habe mein Lebelang auf meinen ehrlichen Namen gehalten, und kein Mensch kann mir nachreden, daß ich ihm einen Heller veruntreuet habe.
H. Ich glaube es. Weil Er aber durch die Sehnsucht nach der Heimath sich hat hinreißen lassen, und sich keine Mühe gegeben sie zu beherrschen, so ist Er dadurch verleitet worden, etwas zu thun, das Er sonst für die größte Schande würde gehalten haben.
D. Die Sache ist nun einmal geschehen. Jetzt thue Er mir nur den Gefallen –
Der Wirth, der eben herein trat, unterbrach unser Gespräch. Nu! Herr Deserteur, sagte er, Seine Rechnung beträgt 18 Pfennige. Wie steht es mit der Bezahlung?
Hier ist sie.
W. Gut! nun mache Er sich nur auf die Strümpfe! denn ein Wort so gut als zehn, herbergen kann ich Ihn nicht.
H. Herr Wirth! das ist recht gut, daß Er über herrschaftliche Befehle hält; aber bei dem armen Menschen muß Er doch eine Ausnahme machen. Er sieht, es ist finstere Nacht, der Mensch ist so von Kräften, daß er nicht weiter kommen kann, wenn er nun unter freiem Himmel bleibt, so kann er den Tod davon tragen. Wer hat es denn hernach auf seinem Gewissen?
W. Ich wollte ihn ja gerne behalten, wenn ich doch nur keinen Verdruß davon bekäme.
H. Den soll Er gewiß nicht bekommen. Ich kenne diesen Menschen, und ich stehe Ihm dafür, daß er weiter nichts ist, als ein Deserteur. Morgen, wenn der Tag grauet, wollen wir uns auf das Gleiß machen.
W. Nun da mag es denn sein. Hier ist noch ein Plätzchen auf der Streue, da mag sich der Deserteur hinlegen.
Er legte sich hin, der Wirth ging ab und wir schliefen noch ein Paar Stunden recht ruhig, und würden noch länger geschlafen haben, wenn nicht, mit Tagesanbruch, der Wirth in die Stube getreten wäre, und gerufen hätte: auf ihr Herren! macht daß ihr fortkommt, es wird Tag.
Wir sprangen auf, der Deserteur ließ sich ein Stück Brod und einen Schnaps geben, und ich? hatte auch Appetit darnach, aber um mich wieder ein Bischen in der Selbstbeherrschung zu üben, genoß ich dießmal nichts und reisete nüchtern mit meinem Kameraden ab.
Als ich vor das Dorf kam, schlug ich den nächsten Weg ein, der nach Rittersleben führt. Der Deserteur fragte mich, wo will Er denn hin?
H. Immer nach Rittersleben zu.
D. Da muß ich halt Abschied von Ihm nehmen, und machen, daß ich zu meinem Vater komme.
H. Wo wohnt denn Sein Vater?
D. In Baumleben.
H. In Baumleben? Er heißt Martin, nicht wahr?
D. Das ist mein Name.
H. Der Vor- oder Zuname?
D. Zuname. Mein ganzer Name ist Hans Jeremies Martin. Zu Hause riefen sie mich immer Jeremies.
H. Da stehen mir meine Gedanken stille. Warum ist Er denn aber nur von Hause weggegangen?
D. Gegen Ihn kann ich es ja wohl sagen. Da es bei uns Kirmse war, sah ich ein Mädchen, das etliche Stunden weit von uns zu Hause war, tanzte mit ihm – es gefiel mir – ich wurde verliebt und wollte es heirathen. Da aber mein Vater seine Einwilligung nicht dazu geben wollte, so wurde ich verdrießlich, und ging fort in die weite Welt hinein.
H. So! so! Jeremies Martin. ( Ich griff in die Tasche, nach dem Briefe mit Gelde, sann hin und her was ich thun sollte, endlich wurde ich mit mir eins und sagte) nun weiß Er was, Herr Jeremies Martin! ich begleite Ihn.
D. Desto besser! der liebe Gott gebe nur, daß mich mein Vater gut aufnimmt.
H. Das will ich wohl möglich machen, ich kenne Seinen Vater.
D. Den kennt Er?
H. Den kenne ich.
D. Ist er noch gesund?
H. Gesund und wohl, und Seine Schwester auch. Ich will Ihm zu einer guten Aufnahme helfen. Aber eins muß Er mir versprechen.
D. Was denn?
H. Daß Er die 3 Ducaten Handgeld, und die Kleidungsstücke, die Er vom Regimente hat, zurückschickt und um Vergebung bittet.
D. Wie käme ich denn dazu? Das ist ja bei den Deserteuren gar nicht gewöhnlich.
H. Das weiß ich wohl. Aber ein rechtschaffener Mann thut nicht das, was gewöhnlich ist, denn zu gewissen Zeiten ist auch das Huren, das Ehebrechen, das Stehlen gewöhnlich, sondern er thut was recht ist. Rechnet Er sich denn auch zu den rechtschaffenen Leuten?
D. Ei das wollte ich meinen.
H. Nun so gebe Er mir die Hand darauf, daß Er alles zurückschicken will. Sonst mache ich linksum, und Er mag sehen, wie Er mit Seinem Vater zurechte kommt.
D. Hier ist meine Hand.
H. Topp! nun ist Er mir noch einmal so lieb. Hätte Er die Sachen, die Er mitgenommen hat, behalten wollen, so hätte ich nichts von Ihm gehalten. Denn ich denke so: entweder es ist recht eines andern Sache zu unterschlagen oder es ist nicht recht. Ists recht – nun wohlan; so greife jeder zu, wo er etwas bekommen kann; so ist es auch dem Bürger und Bauer erlaubt zu behalten, was ihm andere anvertrauet haben, wenn er nur sicher ist, daß er nicht bei dem Felle genommen werden wird. So kann ich auch die vier Carolins unterschlagen, die ich hier in der Tasche habe, und die mir ein Mann anvertrauet hat, der nicht weiß wie ich heiße und woher ich bin. Ists aber unrecht, so darf es auch der Soldat nicht thun.
Ihr Soldaten haltet so viel auf Ehre –
D. Das ist nun wahr. Ich habe mehrmals unter den Soldaten sagen hören: der Soldat hat nichts als seine Ehre, die muß ihm lieber sein als sein Leben.
H. Nun da darf er sich auch nicht Dinge erlauben, die den Menschen schänden.
Unter solchen Gesprächen kamen wir in Baumleben an. Ich rieth Jeremiesen, daß er hinter seines Vaters Garten stehen bleiben sollte, bis ich ihn riefe, und nun ging ich hin und pochte an der Thür seines Vaters an. Die Tochter guckte zum Fenster heraus, und, da sie mich sah, machte sie es geschwind zu und öffnete mir die Thür.
Und Er ist schon wieder da? sagte sie.
H. Wie Sie sieht. Ist der Vater nicht zu Hause?
T. Er ist oben auf dem Boden und steckt Hafer ein. Wo hat Er denn aber meinen Bruder?
H. Er ist nicht weit von hier.
T. Ach Er spaßt, wo will Er denn herkommen? Er kann noch nicht in Rittersleben gewesen sein.
H. Mag ich doch in Rittersleben gewesen sein oder nicht. Ich dächte Sie wäre zufrieden –
Kathrine bist du es denn? Du herzensliebe Schwester? So schrie mein Jeremies, der es nicht abwarten konnte, bis er von mir herbeigerufen wurde – fiel seiner Schwester um den Hals – weinte wie ein Kind, und seine Schwester weinte nicht weniger.
Der Vater, der das Geschrei gehört hatte, guckte zum Bodenloche heraus, und da er sah, daß seine Tochter von einem Soldaten geherzt wurde, kam er mit einem Knittel heruntergesprungen, stieß den Soldaten zurück, und sagte: zum Henker, was soll das sein! in meinem Hause leide ich eine solche Wirthschaft nicht.
T. So laßt ihn doch Vater –
V. Was? Ich soll das zulassen?
T. Darf ich denn meinem Bruder keinen Schmatz geben?
V. Dein Bruder? Du Jeremies?
Vater vergebt mir! sagte Jeremies, indem er dem Vater um den Hals fiel. Ich komme wieder wie der verlorne Sohn, und spreche: Vater, ich habe gesündigt im Himmel und vor dir – verstoßt Euern verlornen Sohn nicht.
V. Mein Jeremies? ich verstoße dich nicht. Aber nun hast du Montur? bist Soldat?
J. Gewesen, aber nicht mehr.
V. Hast du denn deinen Abschied?
D. Den habe ich nicht.
V. Und bist auch nicht mehr Soldat? Da bist du also ein Deserteur? Ach Jeremies! Jeremies! erst hast du mir so vielen Verdruß gemacht, nun machst du mir auch Schande!
D. Laßt es doch gut sein, lieber Vater! ich will nun ein ganz anderer Kerl werden, und Euch so viele Freude machen, als ich Euch bisher Verdruß machte.
V. Bist du denn getraut? Hast du denn einen Trauschein? Oder hast du etwa auch geheirathet, ohne dich trauen zu lassen?
D. Mit wem hätte ich mich denn sollen trauen lassen?
V. Stell dich doch nicht so wunderlich an! mit der Weizenstrohin aus Dingersleben. Ich habe dem Burschen, der hier steht, 4 Carolins zur Trauung geben müssen, und für seine Mühe habe ich ihm auch so viel gegeben, daß er zufrieden sein kann.
D. Ich habe keinen Heller bekommen.
V. Nun? ( indem er mich zornig ansah), was sind denn das für Streiche?
Hier, sagte ich, lieber Mann! ist Sein Brief an den Herrn Pfarrer Goldammer mit den vier Carolins und die Laubthaler, die Er mir gegeben hat, die ich nun nicht annehmen kann, weil ich nicht zum Herrn Pfarrer Goldammer gekommen bin. Wäre ich der schlechte Kerl, für den Er mich hält, so wäre ich ja mit dem Gelde fortgegangen.
Ich weiß nicht, fuhr Jeremiesens Vater fort, ob ich verrathen oder verkauft bin. Warum hat Er mir denn aber gesagt, daß sich mein Sohn wollte trauen lassen?
Da erzählte ich ihm denn ausführlich, wie es mir gegangen war, daß ich einen ganz andern Jeremies gemeint hätte, der sich wirklich wollte trauen lassen, und die Einwilligung seines Vaters suchte, und daß ich der Meinung gewesen wäre, er sei der Vater dieses Jeremiesens.
Da beruhigte sich der Vater, und ließ uns in die Stube gehen.
Der Vater des verlornen Sohns, sagte der alte Martin, ließ ein Kalb schlachten, da er ihn wieder gefunden hatte, das kann ich nun freilich nicht, denn meine Kühe haben noch nicht gekalbt; was du aber hast, Kathrine! das trage auf, ich will deine Base Anne Liese, und Jeremiesens Pathen dazu bitten, und wir wollen heute einen vergnügten Tag haben. Soll ich denn Schulzens Micheln auch dazu bitten? He?
K. Soll ich denn auch einen vergnügten Tag haben?
V. Das versteht sich.
K. Nun so laßt Micheln weg! denn das sage ich Euch, wenn Ihr den bringt, so verderbt ihr mir die ganze Freude.
V. Du bist eine alberne Käthe. Ich dächte 10 Acker im Feld –
K. Mag er doch hundert Acker im Feld haben. Soll ich denn die Aecker heirathen? Wenn ich einmal heirathe, so nehme ich einen Mann.
V. Den sollst du ja auch nehmen, und die Aecker oben drein.
K. Da muß mir der Mann aber auch gefallen.
V. Sag mir aber nur, was du an Micheln auszusetzen hast?
K. Soll ich denn den Gickelhahn kochen, den ich gestern abgeschnitten habe?
V. Meinetwegen! und den Hecht siede auch, der im Brunnentroge steht.
K. Alles will ich machen so gut ich kann, nur laßt mir Micheln weg!
V. Gib dich nur zufrieden! du sollst deinen Willen haben.
Er ging nun fort um die Gäste zu bitten, die Tochter ging in die Küche, und ich blieb mit Jeremies dem zweiten alleine. Ganz gewiß, sagte ich, hat Seine Schwester schon einen andern in ihr Herz geschlossen.
Es ist möglich, erhielt ich zur Antwort, aber gewiß weiß ich es nicht, weil ich schon so lange vom Hause weg bin.
Ich hatte noch eine und die andere Frage auf dem Herzen, aber ich getrauete mich doch nicht sie vorzubringen, und lenkte das Gespräch auf etwas anderes. Da möchte ich aber doch wissen, sagte ich, wo der Jeremies wohnt, den ich suche. Gibt es denn hier herum gar keinen Ort mehr, der sich mit Baum anfängt?
J. Das ich nicht wüßte. Doch – halt! jetzt fällt es mir ein, fünf Stunden von hier liegt ein Dorf, das heißt Baumhausen.
H. Ganz recht! Baumhausen. Das ist das Dorf, wo der Jeremies her ist, den ich suche. Da will ich doch gleich hin, und will meine Commission ausrichten.
J. Er wird doch erst ein Paar Bissen mit uns essen?
H. Gut, das will ich thun.
Nun erzählten wir einander umständlich, was uns auf unsern Reisen begegnet war. Unterdessen kam der Vater mit seinen Gästen zurück, und die Tochter deckte den Tisch.
Unter der Zeit, daß die Gäste mit Jeremiesen plauderten, zog ich den Vater bei Seite, und sagte ihm, sein Sohn habe mir versprechen müssen, daß er das Handgeld, die Montur, und alles, was er vom Regimente habe, zurück schicken wolle.
So ist's recht, so gefällt mir's, gab er mir zur Antwort. Er soll nicht nur dieß thun, sondern ich werde ihm auch den Abschied kaufen. Ich bin ein ehrlicher Mann und will daß mein Sohn es auch sein soll.
Jetzt ging er mit Jeremiesen ab, und bald kam dieser als Bauersbursche hereingetreten. Alles, was an den Soldaten erinnern konnte, hatte er abgelegt, selbst den Zopf hatte er abgeschnitten, und dagegen seine Bauernkleider angezogen.
Der ganze Tag wurde vergnügt zugebracht, und es gefiel mir so wohl, daß ich mich bereden ließ die Nacht da zu bleiben.
Auch den andern Tag sollte ich bleiben. Es wurde mir wirklich schwer Abschied zu nehmen, zumal da Jeremiesens Schwester mich bei der Hand faßte, und sagte: je so bleibe Er doch! Er hat es ja mit meinem Bruder so gut gemeint.
Es lief mir brühwarm über die Haut, da sie mich so bei der Hand hielt, ich drückte sie, und sagte, ich bliebe ja gern ganz und gar da, wenn ich nur wüßte, daß man mich gern sähe.
Sie wurde roth, riß die Hand los und sagte, wer wird Ihn denn nicht gerne sehen!
Dieß Wort machte einen gewaltigen Eindruck auf mich. Ich besann mich, was ich darauf sagen wollte, ehe ich mich aber besonnen hatte, war sie zur Thüre hinaus. Erst sah sie sich noch einmal nach mir um und lächelte. Ich stand da wie eine Bildsäule, und hätte vielleicht noch eine Stunde da gestanden, wenn Jeremies mich nicht bei dem Arme geschüttelt und gesagt hätte: so bleibe Er doch da! wir sehen Ihn ja alle gerne.
Da schlug ich die Augen auf, sah Jeremiesen an, und sagte: Jeremies! ich habe Ihm so manchen Gefallen gethan, jetzt ist die Reihe an Ihm, daß Er mir einen thut.
J. Von Herzen gerne. Braucht Er etwa Geld?
H. Das wohl nicht.
J. Nu so rede Er doch von der Leber! womit kann ich Ihm denn dienen?
H. Thue Er mir doch den Gefallen, und frage Seine Schwester, ob sie nicht schon einen Andern in ihr Herz geschlossen hat.
J. So! So! das muß wohl seinen Grund und seine Ursache haben, warum Er es wissen will.
H. Die muß es freilich haben. Thue Er mir nur den Gefallen –
J. Ein Wort so gut als zehn. Ich gehe gleich und bringe mein Wort an.
H. Nur nicht mehr als ich gesagt habe.
J. Nicht mehr.
Es währete nicht lange, so kam er zurück und sagte: Meine Schwester hat noch keinen andern in ihr Herz geschlossen. Soll ich etwa noch eine Frage an sie thun?
Schon hatte ich die Antwort auf der Zunge, daß er fragen sollte, ob sie mich haben wolle? da fiel mir ein: Haberfeld! du bist ein Narr; deine Begierde läuft einmal mit der Vernunft davon. Du willst um ein Mädchen anhalten, das du noch nicht kennst, mit dem du kaum eine halbe Mandel Worte gesprochen hast – deine Commission vom Herrn Pfarrer Goldammer – kurz, sagte ich, Herr Jeremies! ich muß fort. Die andere Frage wollen wir versparen bis ich wieder komme.
Ich nahm also meinen Stock, druckte Jeremiesen die Hand, und sagte: lebe Er wohl bis auf Wiedersehen!
Da ich es gesagt hatte, war mir das Herz leicht und ich dachte bei mir selbst: nun bist du frei, Haberfeld?
Als ich aber so dachte, trat Jeremiesens Schwester herein. Was soll denn das werden? sagte sie, ich glaube Er will fort? Es muß Ihm doch gar nicht in Baumleben gefallen.
Weg war meine Freiheit. Ich stand wieder da wie angepflöckt, und konnte nicht von der Stelle.
Es gefällt mir an keinem Orte in der Welt besser als in Baumleben, sagte ich.
Schw. Wirklich? und will doch fort?
H. Ich denke nur, ich werde nicht gern gesehen.
Schw. Wenn wir Ihn nicht gern sähen, so ließen wir Ihn ja gehen.
H. Je nun, sagte ich, wenn ich nicht beschwerlich bin, so will ich noch einen halben Tag da bleiben.
So ist's recht, sagte sie, indem sie mir den Stock abnahm, vielleicht gibt Er auch noch ein Paar Tage zu.
H. Wenn's auf mich ankäme, so gäbe ich meine ganze Lebenszeit zu.
Schw. Das wäre viel. Wir wollen sehen ob Er nach acht Tagen auch so spricht.
H. Es kömmt nur alles darauf an, ob ich in Baumleben gern gesehen werde.
Schw. Nicht wahr, Jeremies! du siehst ihn gern?
J. Daran wird ihm so viel nicht gelegen sein. Es kömmt nur darauf an, ob gewisse andere Leute –
Ist's nicht wahr, Vater! sagte sie zu ihrem Vater, der eben hereintrat, Ihr seht den Burschen da gern?
Dem Vater kam diese Frage ganz querfeld ein. Er mochte wohl mit seinem Sohne allerhand zu sprechen haben, und mit ihm allein sein wollen. Deßwegen mochte er auch wohl wünschen, daß ich mich wieder auf den Weg machen möchte. Er sagte also: warum sollte ich ihn denn nicht gern sehen? Da ich ihm aber in's Gesicht sah, so merkte ich, daß es ihm nicht von Herzen ging. Er runzelte die Stirn gewaltig, sah die Tochter an und sagte: ich weiß nicht, warum du hier immer bei deinem Bruder klebst? Du kannst ihn ja noch genug sprechen, und draußen bleibt in der Küche alles stehen und liegen.
Die Tochter verstand was der Vater sagen wollte, und ging hinaus. Und ich? Ich saß da wie auf Kohlen.
Jeremies! sagte der Vater, komm mit mir heraus, wir müssen noch ein Paar Worte mit einander reden.
Da war ich nun alleine, und – hätte vor Verdruß vergehen mögen.
Haberfeld! dachte ich, mit deiner Freiheit ist's noch nicht weit her. Deine Vernunft sagte, du solltest fortgehen, und gleichwohl kannst du es nicht. Und warum denn nicht? Weil ein Mädchen freundlich mit dir gethan hat. Deßwegen vergißt du alles, was dir der Herr Pfarrer Goldammer aufgetragen hat, und läßt Jeremiesen den ersten sitzen. Du thust mit der Tochter schön, ohne dem Vater etwas davon zu sagen; willst du in dem Hause des ehrlichen Mannes eine Verplemperei anfangen, davon er nichts wissen soll. Pfui! schäme dich, Haberfeld! deine Begierden führen dich am Narrenseile herum. Sei stark!
Sogleich sprang ich auf, nahm Hut und Stock, ging in die Küche, druckte der Tochter die Hand und sagte, ohne ihr in's Gesicht zu sehen: lebe sie wohl, Kathrinchen! ich habe sehr nothwendige Geschäfte, deßwegen muß ich fort. Bleibe Sie mir ein Bischen gut, so komme ich bald wieder. Wo ist der Vater?
Sie hielt meine Hand feste, und sagte, ich glaube gar Er ist böse – ich schlug die Augen auf, und sah, daß ihr die Thränen in den Augen standen – geschwind sah ich weg, zählte die Löffel, die in der Küche aufgesteckt waren, es waren ihrer siebenzehn, und fragte noch einmal heftig: wo ist der Vater?
Er ist auf dem Boden, erhielt ich zur Antwort.
So rufe Sie ihn doch geschwind, sagte ich, indem ich die Hand losriß –
Sie übereilte sich nicht, und sagte, ich dächte aber doch –
Ich antwortete nicht, und damit ich ihr nicht wieder in die Augen sehen durfte, denn vor ihren Augen fürchtete ich mich gewaltig, weil ich besorgte, sie möchten mich wieder zurückhalten, so schlug ich die meinigen nieder, und schrieb mit meinem Stocke in den Staub auf dem Boden: Goldammer.
Da ging sie endlich fort, und kam mit dem Vater und Bruder zurück.
Er will sich nicht länger halten lassen? sagte der Vater.
H. Ich habe nothwendige Geschäfte, die unterbleiben, wenn ich mich hier länger aufhalte. Und was soll ich hier thun? Müssiggehen habe ich nicht gelernt.
V. Ich auch nicht. Wenn Er nun des Glaubens ist, so will ich Ihn nicht länger aufhalten. Ehe Er aber geht, so thue Er mir den Gefallen, und gehe noch einen Augenblick mit in die Stube.
H. Ich habe keine Zeit.
V. Er geht mit in die Stube, und du Kathrine gehst hin, und holst eine Knackwurst.
H. Ich danke für alles, ich habe schon recht viel genossen.
V. Nun was Er jetzt nicht genießen kann, das wird auf dem Wege gut schmecken. ( Indem er mich bei der Hand zog) sperre Er sich nicht lange – Er kommt mit herein.
H. Halte Er mich aber ja nicht lange auf.
V. Das will ich nicht. Ich halte auf Ordnung, und bin der Mann gar nicht, der andere Leute von ihrer Ordnung abbringen will. Setze Er sich, lieber Haberfeld! Er gefällt mir.
H. Wirklich?
V. Mein Sohn hat mir gesagt, was Er an ihm gethan, und was Er ihm für gute Lehren gegeben hat. Das vergelte Ihm der liebe Gott! Mein Sohn ist ein ehrlicher Kerl, das ist wahr, ich habe ihn zu allem Guten erzogen. Aber ein Leichtfuß ist er auch, und hat in seinem Leben viele alberne Streiche gemacht. Wenn's ihm nachgegangen wäre, so hätte er Montur und Handgeld, und alles, was er vom Regiments hatte, behalten. So etwas hat er von mir nicht gelernt. Und kurz und gut ( jetzt schloß er ein Schränkchen auf, das in der Wand war, und holte Geld heraus) hier sind die vier Laubthaler, die ich Ihm zugedacht hatte.
H. Die kann ich aber nicht annehmen, weil ich sie nicht verdient habe.
V. Er hat sie zehnfach verdient, und – will Er denn wieder bei mir einsprechen?
H. Wenn es erlaubt ist.
V. Nun so muß Er die vier Laubthaler annehmen; sonst – mache ich Ihm die Thüre vor der Nase zu. Stolze Leute kann ich nicht leiden.
H. Wenn's so ist, so muß ich das Geschenk wohl annehmen.
V. Und hier die Knackwurst mit auf den Weg, die Kathrinchen eben gebracht hatte.
Ich nahm sie auch an, drückte allen die Hand, und lief nun, wie wenn mir der Kopf brennte.
Ungefähr eine Stunde mochte ich so gelaufen sein, da kam ich bei ein Chausseehäuschen, das am Wege stand. Hier setzte ich mich nieder und freuete mich herzlich, daß ich als ein freier Mensch von Baumleben gegangen war. – Wenn du jetzt noch dort säßest, dachte ich – wie würdest du den Kopf hängen – jetzt ist dir's so leicht um's Herz.
Laß auch die Pflicht,
Dich selber zu besiegen,
Die schwerste sein, sie ist's – doch welch' Vergnügen
Schafft sie nach der Vollbringung nicht!
Unterdessen dachte ich auch ein Bischen über Kathrinchen nach. Sollte sie dir, meinte ich, nicht vom lieben Gott bestimmt sein? Gut bist du ihr, das kannst du nicht läugnen. Einen andern hat sie nicht in ihr Herz geschlossen, das weißt du. Gram ist sie dir auch nicht, das konntest du ihr an den Augen ansehen. Ihr Lebenswandel? den kennst du freilich nicht. Sie machte ja aber ihre Sachen recht ordentlich, und muß einen guten Ruf haben, weil sich des Schulzens Sohn um sie bewirbt. Der Vater gab dir ja am Ende auch ein gut Lob –
Je nun! kömmt Zeit, kömmt Rath. Erst will ich meine Commission für den Herrn Pfarrer Goldammer ausrichten. Dann – dann will ich die Sache etwas ernstlicher angreifen.
So dachte ich und wollte weiter gehen.
Da ich in der Ferne vier Reiter hertraben sah, so trieb mich die Neugier doch, zu warten bis sie ankamen. Weil sie warten mußten, bis der Schlagbaum aufgezogen wurde, so hatte ich Zeit sie recht anzusehen. Ich kannte nur einen davon, der war der Sohn meines gnädigen Herrn. Ich hatte ihn gut gekannt, da er noch bei seinem Vater war, und hatte auch bisweilen mit ihm den Ball gespielt. Gibst du dich zu erkennen, oder gibst du dich nicht zu erkennen? dachte ich – endlich beschloß ich bei mir selbst – du gibst dich nicht zu erkennen. Der Herr ist nun sehr vornehm geworden, und möchte sich deiner schämen, zumal da Fremde dabei sind. Ich ließ sie also vorbeireiten, gab mich nicht zu erkennen, und setzte meinen Weg nun weiter fort.
Vor dem nächsten Dorfe stieß wieder ein Reiter auf mich, dessen Pferd vom Schweiße troff. Wo kommt Er her, guter Freund? fragte er.
H. Immer von Baumleben.
R. Ist Ihm keine Weibsperson begegnet?
H. Wohl eine halbe Mandel.
R. Hat Er keine gesehen mit einem Tragekorbe voll Wäsche und Kleidern? mit einem grünen Friesrocke?
H. Die habe ich nicht gesehen.
R. Nun so weiß ich nicht ob der Teufel das Mensch geholt hat, oder ob es sich unsichtbar machen kann. Nun kann ich nicht weiter, mein Pferd hält es nicht länger aus – ich muß in's Wirthshaus und ihm ein Futter geben lassen.
Sogleich machte er linksum.
Mußt doch sehen, dachte ich, was das für eine Bewandniß hat, und ging auch nach dem Wirthshause zu.
Da ich mir eine Kanne Bier hatte einschenken lassen, trat der Reiter auch herein, warf den Hut und die Peitsche auf den Tisch und sagte – die Canaille!
Ich ließ ihn erst ein Bischen verschnauben, hernach fragte ich, darf ich denn nicht wissen, was es mit der Canaille für eine Bewandniß hat?
R. Man spricht nicht gerne davon.
H. Es muß aber doch eine bekannte Sache sein, weil Er der Canaille öffentlich nachgeritten ist.
R. Stelle Er sich um Gotteswillen vor, wie ein ehrlicher Mann mit seinem guten Willen in's Unglück kommen kann. Vierzehn Tage vor Ostern kommt ein Mädchen, hübsch angezogen, mit einem artigen Lärvchen, zu mir, heulte die bittersten Thränen, gibt vor, sie wäre hübscher Leute Kind, ihre Eltern hätten 50,000 Gulden im Vermögen gehabt, wären von den Franzosen rein ausgeplündert und verjagt worden, und – ( jetzt fing sie so erbärmlich an zu heulen, daß es mir durch Mark und Bein ging,) nun irre ich als eine vater- und mutterlose Waise in der Welt herum.
Ich zog meinen Beutel und gab ihr ein Kopfstück.
Gott vergelte es! sagte sie; das ist mir vor meiner Wiege nicht vorgesungen worden, daß ich Almosen nehmen sollte. Wenn ich doch nur einmal wieder ein Plätzchen fände, wo ich mich ehrlich nähren könnte, ich wollte arbeiten, daß mir das Blut unter den Nägeln hervorspritzen sollte. Ich kann alles, was man von mir verlangt, ich kann nähen, stricken, kochen, eine Haushaltung führen. Wer mich aufnehmen wollte, würde gewiß mit mir zufrieden sein.
Nun war ich Wittwer und brauchte eine gute Haushälterin – was hatte ich zu thun? ich nahm sie zu meiner Haushälterin an.
H. Nehme Er es mir nicht übel, da hat Er einen albernen Streich gemacht. Wer wird denn eine unbekannte Person von der Straße in sein Haus nehmen? wer wird ihr denn seine ganze Wirthschaft anvertrauen?
R. Er hat gut reden. Sonst dachte ich auch so. Aber jetzt war mir das Herz so weich, daß ich mich durch das Mitleiden verleiten ließ, den albernen Streich zu machen. In den ersten Wochen ließ sie sich recht gut an, und besorgte ihre Sachen so, daß ich meine Freude daran hatte. Ich vertrauete ihr Küche, Keller, Wäsche, Summa Summarum alles an! Nun merkte ich aber, daß sie immer zuthätiger wurde, und mir beständig um den Schnabel herum ging. Am freundlichsten war sie, wann ich zu Bette ging, und hatte immer etwas in meiner Schlafkammer zu suchen.
Ich nahm mich zusammen, so viel ich konnte, und, da ich mit meiner Frauen Schwester versprochen war, so machte ich Anstalt zur Hochzeit, damit nicht etwa etwas passiren möchte.
Vorigen Sonntag wurde ich nun das zweitemal aufgeboten, und brachte den ganzen Tag bei meiner Braut zu, spät kam ich nach Hause, und schlief bis mir die Sonne in's Bette schien. Nun stand ich auf, ging in die Stube – die war nicht ausgekehrt, der Tisch war nicht abgewischt und alles war in Unordnung. Luise! rief ich in die Küche – Luise! rief ich in den Hof – Luise! rief ich auf den Boden – da war keine Luise zu hören noch zu sehen. Ich trat die Thür an ihrer Schlafkammer auf – das Bette war in der Ordnung und man konnte daran sehen, daß sie nicht drinne geschlafen hatte.
Nun wurde mir warm vor dem Kopfe. Ich ging in die Küche, die war ausgeräumt. Alle mein Zinn war fort. Ich ging über meinen Wäschkasten – der war leer. Als ich in die Stube kam, stand auch mein Wandschränkchen offen und 10 Luisd'or, 39 Laubthaler und ein Beutel voll Preußische Sechser waren fort. Nun weiß Er alles. Drei Tage bin ich nun herum geritten, um die Canaille aufzusuchen, aber umsonst. Vermuthlich hat sie ihre Helfer gehabt, denn unmöglich hat sie das Zinn und die Wäsche allein fortbringen können.
H. Es ist ein schlimmer Umstand. Danke Er aber Gott, daß Er sich zusammen genommen hat, wann sie in Seine Schlafkammer kam. Wenn Er fleißig ist, und Seine neue Frau das Ihrige zu Rathe hält, so kann Er sich in etlichen Jahren alles wieder erwerben, was Er verloren hat. Wenn Er sich aber nicht zusammen genommen hätte, so wäre Er Zeit Seines Lebens ein geschlagener Mann. Wie ist Sein Name?
R. Nikolaus Helmer.
H. Und wohnt?
R. In Heilmanshausen.
H. Ist Sein Zinn und Seine Wasche nicht gezeichnet?
R. Auf jedem Stücke stehen die Buchstaben N. H.
H. Gut! ich reise in der Welt herum, und will nachspüren, ob ich etwas von Seinen Sachen auftreiben kann.
Ich nahm nun Abschied von ihm, und wünschte, daß er bald zu seinen Sachen wieder kommen möchte. Der arme Mann dauerte mich in der Seele; ich dachte aber bei mir selbst: Nikolaus Helmer! du bist auch mein. Du hast mich gelehrt, daß man auch über sein Mitleiden Herr sein muß, wenn man nicht zu albernen Streichen verleitet werden will. Denn auf alle Fälle ist es doch ein alberner Streich, eine ganz fremde, unbekannte Person in sein Haus aufzunehmen, und ihr alles unter die Hände zu geben. Du willst dich also hüten, daß du dich durch die Thränen und das Lamentiren nicht so gleich weich machen läßt, sondern immer erst überlegen, ob die Person, die bei dir Hülfe sucht, die Hülfe auch verdienet, und dich wohl hüten, daß du ihr nicht gleich alles anvertrauest.
Mit diesen Gedanken schlenderte ich fort bis nach Baumhausen. Es war ein hübscher Ort, und die Wirthschaft im Wirthshause mußte nicht übel sein, weil ich sah, daß sehr viel Zuspruch da war. Hätte ich meinem Appetite folgen wollen, so wäre ich gleich hinein gegangen und hätte mir eine gute Mahlzeit bestellt; meine Vernunft sagte mir aber, es sei doch wohl besser, erst Jeremiesens Vater aufzusuchen, und meine Sache mit ihm abzumachen. Ich fragte also die erste Bauersfrau, die mir begegnete, ob hier nicht ein Bursche wohne, der mit dem Vornamen Jeremies hieße?
Fr. Jeremies Leder?
H. Ganz recht – Jeremies Leder.
Fr. Der Galgenstrick ist davon gegangen und hat ein Mensch mitgenommen.
H. Kann Sie mir nicht sagen, wo Jeremiesens Vater wohnt?
Fr. Das werde ich Ihm ja sagen können, Valentin Leder ist ja mein Nachbar. Komme Er mit mir, ich will Ihn zu ihm führen.
Ich folgte ihr, und fand Valentin Leder eben in einem Wortwechsel mit seiner Frau. Weil ich müde war, so setzte ich mich vor der Thür nieder, um abzuwarten, wo das doch hinaus wollte. Der Streit wurde aber immer heftiger, und es wurde am Ende so arg, daß Valentin Leder einen Stock holte, um sich damit zu helfen, weil er mit dem Maule gegen seine Frau nicht aufkommen konnte. Diese aber sprang in's Haus. schlug die Thür zu und schalt zum Fenster heraus. Du Lumpenhund! sagte sie, du willst dich noch mausig machen? weißt du nicht, daß das Haus mir gehört?
Da, dachte ich, ist es nicht gut sein, und wollte schon wieder fortgehen, aber Valentin Leder entdeckte mich, und fragte: was hat Er hier vor meiner Thüre zu thun?
H. Ich wollte nur ein Paar Worte mit Ihm sprechen.
V. Was für ein Paar Worte? Mache Er es kurz, ich habe nicht lange Zeit zu reden.
H. Ich wollte Ihm nur einen Gruß von Seinem Sohne Jeremies bringen.
V. Wenn es weiter nichts ist, so kann Er nur gleich reisen. Ich will von meinem Jeremiesen nichts wissen noch hören.
H. Es ist aber doch Sein Sohn –
V. Gewesen aber nicht mehr, und ich sage es Ihm, reise Er gleich, oder, indem er den Stock in die Höhe hob, ich weise Ihm die Thür.
H. Das ist nun eben nicht nöthig. Schlafe Er wohl!
So ein Schandbalg ist mein Mann, rief mir die Frau nach, seinen eigenen Sohn, sein Fleisch und Blut verstößt er.
Da ich es aber nicht für rathsam hielt, mich mit ihr weiter darauf einzulassen, so setzte ich meinen Stab weiter und ging nach dem Wirthshause zu.
Hier traf ich viele Gäste an, unter andern auch die vier Reiter, die ich bei dem Chausseehäuschen gesehen hatte. Diese hatten sich Gebratenes und Gesottenes und auch Wein bestellt; ich aber genoß nur einen Hering, nebst einer Kanne Bier, welches mir auch gar herrlich schmeckte, weil ich wußte, daß ich mich als ein freier Mensch zu Tische setzte.
Die Gäste verloren sich nach und nach bis auf die vier Reiter, die recht lustig wurden, und anfingen zu singen.
Unter andern sangen sie auch:
Bruder! auf dein Wohlergehen
Sei dir dieses Glas gebracht!
Unsre Freundschaft soll bestehen
Bis der Tod ein Ende macht.
Alle, die hier sein,
Sollen Zeugen sein,
Zeugen unsrer Freundschaft sein.
Unterdessen, daß die Herren Freundschaft mit einander schlossen, veruneinigten sich ihre Hunde über einen Bratenknochen, der unter den Tisch war geworfen worden. Der Lärm wurde so arg, daß die ganze Gesellschaft aufsprang. Einer davon nahm seine Peitsche, schlug unter die Hunde, und gab dem Hunde des Herrn von Rothkopf, dieß war der Sohn meines gnädigen Herrn, einen so derben Hieb, daß er jämmerlich winzelte, und nach der Stubenthür kroch.
Sein Herr gerieth darüber in die Hitze, und sagte: wer meinen Hund schlägt, der hat es mit mir zu thun, und – wup! da hatte der Schläger ein Paar Ohrfeigen weg. Er zog den Degen, Herr von Rothkopf lief auch nach dem seinigen – die andern sprangen aber dazwischen, rissen sie auseinander und sagten: daraus wird nichts Brüder! Morgen ist auch noch ein Tag, da geht ihr miteinander auf's Feld, und macht eure Sachen aus. Damit beruhigten sie sich denn, nachdem sie noch eine halbe Stunde mit einander gestritten hatten, welcher von beiden dem andern den ersten Stoß thun müßte.
So wurde die Freundschaft, die nur der Tod endigen sollte, durch ein Paar Hunde zerrissen.
Sie legten sich am Ende auf die Streue, die ihnen in der Oberstube war zurecht gemacht worden, und ich bekam mein Lager in der untern Stube angewiesen, konnte aber sehr wenig schlafen, weil mir der Herr von Rothkopf nicht aus den Gedanken kam, und ich immer darüber nachdachte, ob ich nicht ein Mittel finden könnte, ihn von seinem Vorsatze, sich zu schlagen, abzubringen. Endlich fiel mir etwas ein, was ich zu versuchen mir vornahm.
Sobald ich also die Herren sprechen hörte, ging ich in den Hof und paßte dem Herrn von Rothkopf auf.
Er kam an den Brunnen, um sich zu waschen; Junker Clas! rief ich.
Er verwunderte sich, seinen Vornamen nennen zu hören, und sah sich um.
Da ging ich auf ihn los und fragte ihn: kennen Sie mich denn nicht mehr?
Cl. Je guten Morgen! Ernst Haberfeld! wo kommst du denn her?
H. Ich bin halt auf Reisen, und freue mich den Junker Clas gesund und wohl zu sehen.
Cl. Komm doch mit herein, ich will dir einen Schnaps einschenken lassen.
H. Des Schnapses wegen komme ich gar nicht. Ich habe etwas Wichtiges mit Ihnen zu reden. Kommen Sie doch ein Bischen mit in den Garten.
Cl. Nun? was hast du denn?
H. Ich habe gestern die Händel mit angesehen, die Sie mit Ihrem Kameraden hatten, und wollte Sie inständig bitten, daß Sie sich doch nicht schlagen möchten. Wie bald wäre es geschehen, daß Sie den Herrn todt stächen, da hätten Sie hernach unschuldiges Blut auf Ihrer Seele, und Zeit Ihres Lebens ein böses Gewissen. Sie können ja auch wohl selbst todt gestochen werden – stellen Sie sich um Gotteswillen vor, was für ein Herzeleid dieses für Ihren Herrn Vater wäre. Sie sind ja der einzige Sohn.
Cl. Du bist doch noch immer der alte ehrliche Ernst, der du warst, da wir mit einander den Ball schlugen. Aber lieber Ernst – das geht nicht. Ich habe den Herrn von Blutfink geschlagen, und muß ihm also Satisfaction geben.
H. Das sollen Sie ja auch thun, aber nur nicht mit dem Degen.
Cl. Vielleicht mit Pistolen? das ist noch schlimmer.
H. Auch nicht mit Pistolen. Meine Meinung wäre diese, Sie gingen zu dem Herrn von Blutfink, gäben ihm die Hand und sagten: Lieber Bruder! ich habe dich gestern geschlagen, das thut mir Leid. Bedenke, daß du mich in die Hitze gejagt hast, da du meinen Hund schlugst, und daß ich ein Glas Wein zu viel getrunken hatte. Vergib es mir! und laß uns wieder gute Freunde sein!
Cl. Lieber Ernst! wo denkst du denn hin? was würden denn die Leute dazu sagen? würden sie mich nicht für eine feige Memme halten?
H. Ich habe immer gehört, ein vernünftiger Mensch müsse sich nicht nach dem richten, was die Leute sagen, sondern nach dem, was seine Vernunft sagt.
Cl. Du sprichst ja wie ein Philosoph.
H. Spotten Sie nicht! ich habe mich nie für einen Philosophen ausgegeben, und bin damit zufrieden, daß mir der liebe Gott gesunde Vernunft gegeben hat. Erlauben Sie mir eine Frage! Haben Sie denn Recht gethan oder Unrecht, da Sie Ihrem Freunde eine Ohrfeige gaben?
Cl. Unrecht!
H. Nun das freut mich doch, daß Sie dieß einsehen. Was verlangt denn nun die Vernunft? daß man sein Unrecht vertheidigen soll?
Cl. Nein.
H. Wenn Sie sich aber schlagen, so vertheidigen Sie ja ihr Unrecht. Wäre es nicht vernünftiger, wenn Sie es geständen?
Cl. Das mag wohl unter Bauern angehen, lieber Ernst, aber bei Leuten von Staude ist es anders.
H. Auf diese Art müßte man sich ja etwas drauf einbilden, ein Bauer zu sein. Aber, lieber Junker! jetzt ist es nicht Zeit zu spaßen! wir müssen ernstlich von der Sache reden. Die Leute von Stande haben sowohl Vernunft, als die Bauern, und wenn sie nicht nach Vernunft handeln, so handeln sie unvernünftig, und das kann niemals gelingen.
Er schlug die Hand an die Stirn, ging auf und ab, dann sagte er, ich will es versuchen; aber du wirst sehen, es geht nicht.
Jetzt kam der Herr von Blutfink auf den Hof. Junker Clas ging auf ihn los, faßte seine Hand und sagte: Bruder! ich habe dich gestern geschlagen, das thut mir Leid. Bedenke, daß du mich erst in die Hitze jagtest, da du meinen Hund schlugst, und daß ich viel Wein getrunken hatte. Ich muß dir Satisfaction geben, das weiß ich. Bestehst du darauf, daß ich mich mit dir schlagen soll, so bin ich dazu bereit. Ich dächte aber doch es wäre vernünftiger, und für dich eine bessere Satisfaction, wenn ich mein Unrecht gestände und dich um Verzeihung bäte.
Herr von Blutfink wurde durch diese ehrliche Erklärung gerührt, er drückte Junker Clasens Hand fest, richtete die Augen gen Himmel und sagte: Bruder! du magst Recht haben. Käme es blos auf mich an, so wäre unsre Sache sogleich abgethan; aber du weißt, daß andere dabei waren – diese müssen auch zu Rathe gezogen werden. Er rief sie also herunter, und trug ihnen den Casus vor. Seid ihr Narren? sagte der Herr von Schwernöther; wenn ihr euch nicht schlagt, so ist ja eure Ehre auf immer verloren. Dich, Rothkopf! wird man für eine feige Memme halten, und mit dir, Blutfink! wird kein ehrlicher Kerl wieder ein Glas Wein trinken, da du eine Ohrfeige auf dir sitzen hast.
Nun wenn es nicht anders sein soll, sagte der Herr von Blutfink, so komm heraus, Rothkopf! und gib mir eine Satisfaktion, wie sie unter Leuten von unserem Stande gewöhnlich ist. Das beste ist, wir thun die Sache gleich ab, daß wir hernach als gute Freunde mit einander leben können.
Alle waren es zufrieden, ließen ihre Pferde satteln, bezahlten ihre Zeche und ritten fort.
Ich bezahlte auch, was ich verzehrt hatte, und lief ihnen nach.
Auf der nächsten Wiese wurde Halt gemacht, die Pferde wurden angebunden, und die Streiter zogen ihre Degen und stachen auf einander los. Man konnte es beiden ansehen, daß keiner Lust hatte, dem andern etwas zu Leide zu thun. Jeder fiel auf den andern so aus, daß ihn der Degen nicht ganz erreichte. Da wurde mir das Herz leicht, und ich dachte, nun wird es doch ohne Blutvergießen abgehen. Aber ehe ich mich versah, erreichte Junker Clasens Degenspitze Blutfinks Arm und verwundete ihn. Dieser gerieth darüber in Zorn, und sagte: ist das der Dank für meine Schonung? Sogleich wurde es Ernst. Er stieß auf Junker Clasen wüthend los, dieser feierte auch nicht, Blutfink bekam noch einen Stich in den Arm, da biß er die Zähne zusammen, that einen Ausfall, und – Junker Clas stürzte zusammen, von einem Stiche, den er in die linke Brust bekommen hatte.
Da standen die sämmtlichen Herren, wie arme Sünder. Ich sprang herzu, und nahm den Junker Clas in meine Arme. Sorge für ihn, und laß ihn verbinden, sagte Herr von Blutfink, schwang sich auf sein Pferd und ritt fort. Die übrigen Herren folgten ihm.
Herr von Rothkopf verdrehete die Augen, seufzte, gab mir seine Uhr und seinen Geldbeutel, und sagte: meinem Vater! Hernach nahm er von seiner Brust das Bild von einem schönen Mädchen, gab es mir auch und sagte: Fräulein Mittelburg in Geißheim.
Mir zitterten alle Glieder, und ich wußte nicht, ob ich bleiben oder nach einem Arzte laufen sollte. Zum Glück sah ich einen Bauer gehen. Heda! schrie ich, was ich schreien konnte; er kam herbeigelaufen.
Geschwind! sagte ich, lauft zum Schulzen und sagt, er solle gleich Hülfe schaffen, hier wäre Jemand erstochen worden.
Er lief fort.
Herr von Rothkopf wurde immer schwächer, drückte meine Hand fester und sagte: Guter – Haberfeld – wenn ich dir doch – gefolgt hätte – mein armer Vater! meine gute Braut!
Ich konnte nichts thun, als weinen.
Unterdessen kam der Schulze, mit einigen Bauern. Nu? sagte er, was gibt's denn da?
Das soll der Herr Schulze, antwortete ich, alles erfahren, nur bitte ich Ihn um Gotteswillen, schaffe Er sogleich Hülfe! lasse Er den jungen Mann gleich in ein Bette schaffen, und einen Arzt rufen. Es soll alles bezahlt werden. Nur bedenke Er sich nicht lange. Wenn der Herr ohne Hülfe stirbt, so hat Er es zu verantworten.
Niklas! sagte er zu dem einen Bauer, lauf du gleich hin und nimm meinen Backtrog, leg ein Bette hinein und trage es mit meinem Sohne her. Du, Martin! lauf zum Doktor Wurzel! und sag', daß er den Augenblick kommen solle.
Die Leute mit dem Backtroge kamen bald zurück, und wir trugen den guten Junker Clas fort.
Auf dem Wege schickte der Schulze noch einen Boten nach dem Herrn Amtmanne. Dieser war bald da, weil er nur eine Viertelstunde vom Orte wohnte. Er examinirte den Herrn von Rothkopf sehr genau nach seinem Vor- und Zunamen, Wohnorte, Alter, wegen der Schlägerei. Da diesem aber das Sprechen sehr sauer wurde, so antwortete ich statt seiner, und der gnädige Herr mußte nur durch Kopfnicken zu verstehen geben, daß ich die Wahrheit sagte.
Am Ende fragte der Herr Amtmann auch, ob er nicht Geld, eine Uhr, oder andere Kostbarkeiten bei sich habe?
Er wieß mit dem Finger auf mich.
So? sagte der Herr Amtmann, das muß Er herausgeben.
Der gnädige Herr, antwortete ich, hat es mir anvertrauet, daß ich es zu seiner Braut und zu seinem Vater tragen soll.
Ist dieß wahr? Sagte der Herr Amtmann.
Ach Gott! ja! ja! antwortete Junker Clas, faltete die Hände – verdrehete die Augen und verschied.
Ich fiel über ihn her – weinte – schüttelte ihn – der Schulze holte Essig bei, hielt ihm ihn unter die Nase – es half aber alles nichts. Junker Clas war todt und blieb todt.
Ich rang die Hände. O guter Junker Clas! sagte ich – warst ein Freiherr und doch nicht frei. Wärest du stark genug gewesen, nach deiner Vernunft zu handeln – jetzt lebtest du noch.
Jetzt kam der Arzt an, untersuchte die Wunde und sagte – hier ist alle Hülfe aus.
Nun sagte der Herr Amtmann, schreiten Sie nur gleich zur Section!
Der Herr Doktor meinte aber, das könnte erst Nachmittags geschehen: weil er seine Instrumente nicht bei sich hätte.
Auf die Art, lieber Herr Amtmann, sagte ich, bin ich nun hier nichts mehr nütze. Wenn Sie es erlauben, so will ich gleich fortlaufen, und dem Herrn von Rothkopf Nachricht von dem Unglücksfalle seines Sohnes geben.
Er erlaubte es mir zwar, erst mußte ich aber alles vorzeigen, was ich von dem Herrn von Rothkopf erhalten hatte. Er schrieb es genau auf, und ich mußte meinen Namen unter die Specification schreiben.
Nun ging ich fort, und kam den andern Tag nach Geißheim.
Da ich auf den Geißheimischen Hof kam, war eine Kutsche angespannt. Wo geht die Reise hin? fragte ich den Kutscher.
Immer nach Hillenhausen, antwortete er. Das gnädige Fräulein will ihren Bräutigam besuchen.
Was thust du? dachte ich, gehst du zu ihr oder nicht? du willst dir, entschloß ich mich, ein Herz fassen, und zu ihr gehen. Ich ließ ihr also sagen, es wäre ein Unterthan des Herrn von Rothkopf da, der sie gern sprechen wollte.
Sie ließ mich herein kommen, und stand eben vor dem Spiegel um ihre Haarlocken in Ordnung zu bringen.
Jetzt drehete sie sich nach mir um und fragte: Er ist also ein Unterthan von meinem Bräutigam?
H. Ja, gnädiges Fräulein! er läßt Sie herzlich grüßen.
Fr. Wann ist er denn bei seinem Vater angekommen?
H. Er ist noch nicht angekommen, ich habe ihn in Baumhausen verlassen. Es wird auch nicht kommen.
Fr. Wie so?
H. Gnädiges Fräulein! der Mensch denkt's, und Gott lenkt's. Der macht alles gut, wenn er es auch nicht immer macht, wie wir wollen.
Fr. Das weiß ich wohl. Aber was gibts? Ist er krank?
H. Er war sehr schlecht, da ich ihn verließ.
Fr. Schlecht? So will ich gleich zu ihm fahren.
H. Thun Sie es nicht, gnädiges Fräulein! er hat mir ( indem ich ihr Bild herauszog) dieß für Sie gegeben, und läßt Ihnen wohl zu leben wünschen.
Fr. Das hat Ihm mein Clas gegeben? Liebt er mich nicht mehr?
H. Gar zu herzlich hat er Sie geliebt – nun konnte ich nicht weiter, ich mußte das Schnupftuch herausholen, und weinen. Da ich die Augen getrocknet hatte, und weiter reden wollte, faßte sie mich bei der Brust und schrie: Mensch was gibts hier? Rede!
Jetzt trat die Mutter herein, fuhr zwischen uns beide, und fragte: was ist das? was will der Mensch von dir? Das Fräulein wurde blaß, wie eine Leiche, hielt der Mutter ihr Bild hin und – sank in Ohnmacht.
Die Mutter zog an einer Glocke, sogleich kam eine Kammerjungfer herbei, die Spiritus herbeiholen mußte, den man dem Fräulein unter die Nase hielt und an die Schläfe strich.
Ich stand da wie auf Kohlen, und wußte nicht, ob ich bleiben oder gehen sollte. Nach vielem Reiben und Anstreichen schlug das Fräulein endlich die Augen auf und rief ganz leise: Clas bist du nicht da?
Sei ruhig meine Tochter, sagte die beängstigte Mutter, dein Clas wird bald kommen.
Fr. Wirklich wird er bald kommen? Heute noch?
M. Das könnte wohl sein.
Fr. So muß ich hinaus, ihm entgegen.
M. Ich bitte dich, Tochter, sei ruhig! du bist jetzt schwach.
Jetzt schoß ihr ein Strom von Thränen aus den Augen – sie legte sich auf die Seite, drehete uns den Rücken zu und weinte. Die Mutter winkte mir, und ich mußte mit ihr in ein Nebenzimmer treten. Was gibt's hier? fragte sie, wie ist Er zu dem Bildnisse meiner Tochter gekommen?
Da erzählte ich ihr die ganze traurige Geschichte vom Anfange bis zu Ende.
Sehen Sie, gnädige Frau! sagte ich zuletzt, so hängt die Sache zusammen. Jetzt bin ich nun doch hier nichts mehr nütze. Erlauben Sie mir also, daß ich fortgehen und meinen Auftrag bei dem Herrn von Rothkopf ausrichten darf.
Hat Er es denn meiner Tochter schon gesagt, daß ihr Bräutigam todt ist.
Ihre Tochter weiß alles, schrie sie, indem sie die Thür aufriß, an welcher sie gehorcht hatte, und nun der Mutter um den Hals fiel.
Ich konnte nun gehen, aber ich ging doch nicht, weil ich glaubte, dem Fräulein noch ein Paar Worte an's Herz legen zu müssen.
Da also Mutter und Tochter noch eine Weile geweint hatten, zupfte ich das Fräulein am Aermel und sagte: gnädiges Fräulein! wollen Sie mich hören? ich habe Ihnen noch etwas von Ihrem Bräutigam zu sagen.
Fr. Nun? was? sagte er, daß er mich noch lieb hätte?
H. Jawohl, sagte er es; meine gute Braut, sagte er, indem er mir Ihr Bild in die Hände gab.
Fr. Das hast du gesagt, mein Clas? Im Tode – hast du noch an mich gedacht? Ach ja, Clas! du hattest mich so lieb – warst mir treu!
H. Das war aber noch nicht alles, was er mir sagte; er drückte mir auch die Hand und sagte: guter Haberfeld! wenn ich dir doch gefolgt hätte!
Fr. Und was hattest du ihm gerathen?
H. Er sollte nicht der Meinung der Leute, sondern seiner Vernunft folgen, und sich nicht schlagen. Hätte er seiner Vernunft gefolgt, so lebte er noch, und alle das Herzeleid wäre nicht.
Fr. Bist ein guter Mensch, indem sie mir die Hand drückte, hab Dank!
H. Nun habe ich auch noch eine Bitte an Sie, gnädiges Fräulein! eben die Bitte, die ich an Ihren seligen Bräutigam that – folgen Sie Ihrer Vernunft!
Fr. Wie so? Was soll ich thun?
H. Sehen Sie, gnädiges Fräulein! der liebe Bräutigam lebt nun einmal nicht mehr, und Sie können ihn nicht wieder bekommen.
Fr. Nicht wieder bekommen! indem sie die Hände über den Kopf zusammenschlug, leider wahr!
H. Wozu hilft es nun, wenn Sie sich so sehr grämen?
Fr. Nicht grämen? Wenn man alles verloren hat?
H. Ja wenn Sie es nur dadurch wieder bekämen. Und Sie haben noch nicht alles verloren. Da ist ja Ihre Frau Mutter.
Fr. Was hilft mir die Mutter ohne Clas?
H. Und haben das schöne Schloß.
Fr. Schade für alle Schlösser, wenn ich meinen Clas nicht habe.
H. Aber bedenken Sie doch nur, daß Sie ihr Leben abkürzen, wenn Sie sich die Sache zu sehr zu Gemüthe ziehen.
Fr. Das Leben abkürzen! schön! nun will ich es mir erst recht zu Gemüthe ziehen, will weinen bis die Augen kein Wasser mehr geben. Laß mich, Mutter! tröste mich nicht! Haberfeld geh mir aus den Augen! ich will mir das Leben abkürzen, damit ich desto eher zu meinem Clas komme. Ha! dort oben, da ist kein Blutfink mehr, der mir meinen Clas rauben kann.
H. Und Sie wollen Ihre Frau Mutter verlassen? Da hätte sie ja gar keine Stütze mehr.
Fr. O schweig mit deinem Geschwätze, ohne Clasen kann ich Niemanden unterstützen.
H. Wissen Sie denn aber nicht, daß es Gottes Wille gewesen ist, daß Ihr Bräutigam sterben sollte?
Fr. Desto schlimmer!
H. Macht denn der liebe Gott nicht alles gut?
Fr. Nein, er macht nicht alles gut. Er konnte mir mein Schloß, mein Vermögen, mein Leben – alles rauben – aber mein Liebstes mir zu nehmen – ach Gott hat mich nicht mehr lieb, ach er hat mich verlassen.
Geh Er nur, Haberfeld! sagte die Mutter. Er sieht, daß Er durch Sein Geschwätz meine Tochter immer trauriger macht.
H. So will ich denn gehen, und wünsche herzlich, daß es bei Ihnen nicht auch einmal heißen mag: Haberfeld! wenn ich dir doch gefolgt hätte.
So ging ich schwermüthig fort, und dachte bei mir selbst – was sind wir Menschen doch für armselige Geschöpfe, wenn wir nicht über uns Herr sind. Das gnädige Fräulein hat nun alles, was sich sonst der Mensch zu wünschen pflegt, Geld und Gut, Schloß, Kutsche, Pferde und Bedienten, ein Bräutigam wird ihr nicht fehlen – was hilft ihr aber das alles, wenn sie ihre Traurigkeit nicht mäßigen kann? sie kann den Tod davon haben. Gott! steh mir bei, daß ich meine Freiheit behalte, so will ich alles Uebrige entbehren.
Ich eilte nun, um nach Hillenhausen zu kommen, und den Herrn von Rothkopf zu sprechen.
Da ich im Schlosse ankam, fand ich da eine große Gesellschaft, und hörte von dem Bedienten, daß man den jungen Herrn von Rothkopf mit seiner Braut erwarte.
Ich bat einen Bedienten, mich bei dem gnädigen Herrn anzumelden, weil ich ihm etwas wichtiges zu sagen hätte. Er that es, und ich wurde sogleich auf sein Zimmer gerufen.
Wo kommst du denn her, Haberfeld? fragte er mich, bist du von deinem Freiheitsschwindel kurirt?
H. Vollkommen! gnädiger Herr. Ich habe eine ganz andere Freiheit kennen lernen, als die, die ich bisher suchte. Ich werde Ihr gehorsamster Unterthan, und doch frei sein.
R. Wie verstehest du das?
H. Ich strebe darnach, von der Herrschaft der Begierden frei zu werden.
R. Schön! wer hat dich das gelehrt?
H. Ein gewisser Herr Amtmann Specht, und ein Herr Pfarrer Goldammer.
R. Das müssen verständige Leute sein. Ohne diese Freiheit ist Niemand frei, und wenn er auch gleich Freiherr, so wie ich, hieße. Glaube mir, Haberfeld! darauf, daß ich Freiherr heiße, war ich nie stolz, aber daß ich meine Begierden zu beherrschen gelernt habe, dessen freue ich mich.
H. Das ist mir lieb. Denn freilich haben große Herren eben sowohl harte Schicksale, als Unterthanen; und dann ist es sehr gut, wenn sie Herren über ihren Gram und über ihre Traurigkeit sind. Ihr Herr Sohn läßt Ihnen sagen, daß er heute nicht kommen würde.
R. Nicht kommen? und warum nicht?
H. Er hat ein Duell gehabt.
R. Mit wem?
H. Mit dem Herrn von Blutfink.
R. Gott! was muß ich hören! Haberfeld! du siehst verwirrt aus – sprich frei heraus! wie steht es mit meinem Sohne?
H. Wenn Sie so befehlen, so sage ich es frei heraus – zeigen Sie, gnädiger Herr! daß Sie Herr sind über Ihren Gram und über Ihre Traurigkeit! Ihr Sohn lebt nicht mehr, er ist in meinen Armen verschieden – hier ist sein Geldbeutel und seine Uhr, die er mir gab, daß ich Ihnen dieselben einhändigen sollte.
R. ( In den Lehnstuhl sinkend) der Schlag ist doch zu hart für mich – mein Sohn – mein einziger Erbe!
H. Sollte es denn nicht möglich sein, daß Sie über diese Traurigkeit Herr werden könnten?
R. ( Mit schwacher Stimme) o ja; jetzt ist meine Vernunft noch betäubt.
Nach etlichen Minuten stand Herr von Rothkopf auf, trat an's Fenster, ging ein Paar mal durch die Stube, dann sagte er: bald habe ich überwunden, und wenn ich diesen Sturz überwunden habe, dann wird mich kein Unglück mehr niederwerfen können, denn es gibt ja für mich kein Unglück mehr. Meine Güter hatte ich für meinen Sohn bestimmt, da mir diesen nun Gott genommen hat, so können mir alle meine Güter durch Feuer oder Schwert verwüstet werden, ich würde mich darüber nicht grämen, über lang oder kurz muß ich sie doch verlassen – und so ist mir doch der Tod meines Sohnes nützlich, weil er mein Herz, das doch noch stark an der Welt hing, ganz von ihr losreißt. Er fragte mich nun nach verschiedenen Umständen, dann klingelte er dem Bedienten, ließ die Kutsche anspannen, und schrieb einen Brief an seine Gäste, worinnen er ihnen sein Schicksal meldete, und sie bat, ohne ihn zu speisen. Ehe er noch abreisete, nahm er seines Sohnes Geldbeutel und sagte: behalte ihn, meinem Sohne zum Andenken!
Den kann ich nicht annehmen, gnädiger Herr, sagte ich, Sie sind jetzt bestürzt, morgen könnte Sie es reuen.
Wenn du das meinst, so sollst du den Beutel nach etlichen Wochen haben. Er ist dir bestimmt.
Nun reisten wir beide ab, der Herr von Rothkopf in der Kutsche, und ich zu Fuße; jener nach Baumhausen, um die Leiche seines Sohns zu sehen und für ihre Beerdigung zu sorgen, und ich zu meiner Schwester, die ich, seit meiner Abreise von Hause, nicht gesehen hatte. Im Grunde gingen wir aber einen Weg – nach der Freiheit zu.
Da ich bei meiner Schwester ankam, hatte sie eine herzliche Freude. Sie fiel mir um den Hals, nahm mich mit in die Stube, und fragte, ob ich etwas essen wollte?
Wenn du etwas bei der Hand hast, sagte ich, so nehme ich es mit an, denn läugnen kann ich es nicht, mein Magen knurrt ziemlich.
Sonst, sagte sie, aßt du so gern Zwiebelkuchen, ich habe gerade noch ein Stückchen übrig, das will ich dir sogleich holen.
Der soll mir herrlich schmecken, antwortete ich. Ich will auch Zwiebelkuchen, schrie die kleine Tochter Sabina.
Ja doch', ja doch! sagte die Mutter.
Sabinchen hing sich an ihren Rock und folgte ihr nach, da sie fortging, um den Zwiebelkuchen zu holen.
Jetzt kam der Zwiebelkuchen, und zugleich Sabinchen, das schrie, als wenn es am Spiese stäcke.
M. Stille Sabinchen! sagte die Mutter.
S. Ich will Zwiebelkuchen.
M. Da mein Töchterchen! da hast du ein Aepfelchen.
S. Ich will kein Aepfelchen, indem sie das Aepfelchen in die Stube warf, ich will Zwiebelkuchen.
Da die Mutter hierauf nicht sogleich antwortete, so ballte sie ihre kleinen Fäuste und schlug damit auf die Mutter los.
Ich stand da wie versteinert, und wartete, wo das Ding hinaus wollte. Bald sah ich es. Die Mutter nahm ängstlich ein Messer, schnitt von dem Zwiebelkuchen, den sie für mich hingesetzt hatte, ein Stück ab, gab es Sabinchen, und sagte: na? ist es denn so recht?
Indem sie sich so mit Sabinchen beschäftigte, trat ihr zehnjähriges Söhnchen, mein Pathchen Stephan, herein, schnupperte, und, da es den Zwiebelkuchen roch, schlich es sich an den Tisch, nahm das ganze übrige Stück weg und fing an es zu verzehren.
Sobald die Mutter Sabinchen besänftigt und ihr das Maul gestopft hatte, wendete sie sich zu mir und sagte: nun lieber Bruder, thu mir den Gefallen und iß! laß dich nicht nöthigen!
Was soll ich denn essen? fragte ich, den Teller? den kann mein Magen nicht verdauen.
Meine Schwester sah nach dem Teller, und, da sie den Kuchen nicht mehr auf dem Teller sondern in den Händen ihres Söhnchens sah, lachte sie laut auf, und sagte: je du Galgenstrick! ich glaube gar du hast den Zwiebelkuchen weggenommen. Weißt du denn nicht, daß ich ihn für deinen Pathen hingesetzt habe? Der Pathe aber, statt zu antworten, biß in seinen Zwiebelkuchen und ging zur Thüre hinaus. Sabinchen folgte ihm nach. Hast du denn nicht Appetit, fragte meine Schwester, ein Stückchen Wurst zu essen?
J. Mir ist über dem Auftritte aller Appetit vergangen.
Schw. Wie denn so?
J. Und du fragst noch? Siehst du denn nicht wie ungezogen deine Kinder sind? wie unbändig die Sabine schrie, da sie nicht gleich Zwiebelkuchen bekam.
Schw. Die kleine Kracke hungerte, sie hat zu Mittag nicht viel gegessen.
J. So konnte sie dich ja bitten, daß du ihr etwas gäbest. Wenn aber der Hunger bei ihr so groß gewesen wäre, so hätte sie ja den Apfel essen können, den du ihr gabst.
Schw. Ach das ist gar eine listige Kracke. Sie sah, daß der Apfel ein faul Fleck hatte, deßwegen warf sie ihn in die Stube. Das Mädchen ist gar gescheut.
J. So? Wenn sie das faule Fleck nicht essen wollte, so konnte sie dich ja bitten, daß du es herausschnittest.
Schw. Mit Kindern darf man es so genau nicht nehmen.
J. Auch nicht damit, daß sie dich mit Fäusten schlug?
Schw. Das war so böse nicht gemeint. Ehe eine halbe Stunde vergeht, so ist alles vorbei, und es ist das beste Mädchen von der Welt.
J. Gott im Himmel, behüte mich vor so einem Mädchen! und was sagst du denn dazu, daß mir dein Stephan meinen Kuchen vom Teller nahm?
Schw. Wie konnte er denn wissen daß er dir gehöre?
J. Und wenn er es auch nicht gewußt hätte, so ist es doch sehr ungezogen, wenn ein Kind das aufgetragne Essen vom Tische wegnimmt, ohne sich von der Mutter oder dem Vater die Erlaubniß dazu zu erbitten.
Schw. Verstand kömmt nicht vor den Jahren. Wenn die Kinder erst älter sind, dann gibt sich alles von selbst.
J. Das glaub du nicht, liebe Schwester. Wenn du deine Kinder nicht regieren kannst, wenn sie klein sind, was will es werden, wenn sie groß werden? Ich sorge, ich sorge, das Sabinchen, das dich jetzt mit Fäusten schlägt, wird dich einmal, wenn es eine Sabine ist, mit Füßen treten.
Schw. So schlimm wird es denn doch nicht werden.
J. So schlimm wird es allerdings werden. Die Kinder müssen früh gewöhnt werden, ihre Begierden zu beherrschen; sie müssen, wenn das Essen vorgelegt wird, warten lernen, bis die Erwachsenen bekommen haben; wenn sie etwas mit Ungestüm oder Schreien verlangen, so darf man es ihnen durchaus nicht geben. Da lernen sie nach und nach ihre Begierden beherrschen. Thut man dieß aber nicht, so werden die Begierden immer stärker und sie können darüber hernach nicht Herr werden. Du kennst ja den Vetter Kilian, der sein ganzes Vermögen durch die Gurgel gejagt hat, und den Kutscher auf dem Hofe, der mit aller Welt in Zank und Streit lebt – sind das nicht schändliche und unglückliche Menschen? Hätte man in der Jugend sie besser gezogen, und gewöhnt ihre Begierden zu beherrschen, so würden sie jetzt andere Leute sein.
Schw. Du sprichst wie du es verstehst. Wenn du wüßtest wie sauer einer Mutter die Kinder geworden wären – hu! hu! ( hier heulte sie heiße Thränen).
J. Daß dir deine Kinder sauer geworden sind, glaub ich, und daß du sie lieb hast, das ist billig. Aber, liebe Schwester, die Liebe zu den Kindern ist eine Begierde, die mußt du beherrschen lernen, sonst machst du lauter albernes Zeug.
Schw. Immer besser!
J. Ich kann dir nicht helfen, ich muß es dir sagen wie es mir um's Herz ist. Die Liebe zu deinen Kindern ist bei dir so stark, daß du nicht im Stande bist, ihnen etwas abzuschlagen. Alles was sie verlangen, das thust du. Du bist nicht im Stande ihnen ein hartes Wort zu sagen. Sobald sie etwas mit Schreien oder Trotzen fordern, so gibst du es ihnen.
Schw. Bist du denn bald fertig?
J. Bald. Ich will dir nur noch sagen, daß du lauter albernes Zeug machst, weil du deine Liebe zu den Kindern nicht beherrschen kannst.
Schw. Ich will nichts mehr hören.
J. Ein Paar Worte mußt du noch hören. Vom Anfange der Welt her war es doch Mode, daß die Mutter befahl und die Kinder gehorchten. Die Liebe zu deinen Kindern verleitet dich, daß du gehorchst, und dir von den Kindern befehlen läßt. Sonst wenn die Kinder ungezogen waren, und durch keine Worte sich lenken ließen, so gab ihnen die Mutter die Ruthe. Aus Liebe zu den Kindern läßt du dich aber von ihnen schlagen. Da du die Liebe zu den Kindern nicht beherrschen kannst, so bist du auch nicht im Stande, über die Kinder zu herrschen.
Sie ging zur Thür hinaus und schlug sie etwas unsanft zu. Bald darauf kam sie mit einer Wurst zurück. Die Kinder kamen aber auch mit, warfen ihren Zwiebelkuchen hin, und schrien Wurst! Mutter gib mir Wurst!
Da ist, dachte ich, nicht gut sein. Ich ging fort in den Garten, und, da ich an den Bäumen viele Raupennester wahrnahm, so vertrieb ich mir die Zeit damit, daß ich sie abmachte.
Da ich ungefähr eine halbe Mandel Bäume gereinigt hatte, kam mein Schwager in den Garten getreten, hatte eine herzliche Freude, als er mich da antraf, und nöthigte mich, mit in die Stube zu gehen.
Ich that es, und war begierig zu sehen, wie sich die Kinder, in Gegenwart des Vaters, benehmen würden. Die waren aber verschwunden. Da ich, ausser meinem Frühstücke, noch keinen Bissen gegessen hatte, so kann ich nicht läugnen, daß mir der Hunger stark zusetzte. Ich ließ mir aber nichts merken, und übte mich, über den Hunger Herr zu werden.
Da das Abendessen aufgetragen wurde, fanden sich meiner Schwester ihre Pflänzchen auch wieder ein, und sahen auf den Tisch, was da passire. Kaum hatten wir uns gesetzt, so fragte Stephan: Vater! kriege ich auch etwas? Wart Junge! antwortete dieser, bis die Großen haben. Du weißt, daß du nicht eher etwas bekömmst, bis deine Mutter und ich ihr Theil haben. Da schwieg er stille, schielte nach seiner Mutter, diese aber schlug die Augen nieder und wurde blutroth.
Bei Tische waren die Kinder ganz ruhig, und ich sahe ganz deutlich, daß die Schuld von ihrer Ungezogenheit blos darin lag, daß die Mutter ihre blinde Liebe zu den Kindern nicht beherrschen konnte.
Des Morgens ging mein Schwager auf den Handel aus: denn er war ein Viehhändler. Sobald er den Rücken gewendet hatte, fingen die Kinder wieder an, ihre Mutter zu turbiren.
Da ich nun mit ihr keinen Streit haben wollte, so wanderte ich im Dorfe umher und besuchte meine guten Freunde. Sie befanden sich alle wohl, bis auf einen alten Schulkameraden, Heinrich Ziemer. Da ich vom Hause ging, war er so gerade wie eine Erle, jetzt ging er gekrümmt am Stabe, und klagte, daß er Reißen in allen Gliedern hätte.
J. Das ist doch ein Herzeleid! ein Mann in seinen besten Jahren. Wovon hast du denn das bekommen?
Z. Ach! woher soll ich es bekommen haben! ich weiß von nichts. Es haben mir's böse Leute angethan.
J. So? Haben sie dich geprügelt?
Z. Dafür werden sie sich wohl hüten.
J. Oder haben sie dir vielleicht Gift gegeben?
Z. Das ich nicht wüßte.
J. Was haben sie dir denn sonst gethan?
Z. Wer kann dieß wissen. Genug, von rechten Dingen geht es nicht zu.
J. Also bist du wohl gar behext?
Z. Leider Gottes!
J. Kannst du denn der Hexe nicht auf die Spur kommen?
Z. Auf der Spur bin ich ihr lange gewesen. Was hilft es mir aber? Drüben guckt sie zum Fenster heraus, die alte Ursel Blandine. Die kam vergangenes Ostern in mein Haus, wollte eine Mistgabel von mir borgen, und ich Narr gab sie ihr auch. Seit der Zeit – o weh! o weh! da fährt es mir einmal in die Hüfte. Daran ist Niemand Schuld, als die Canaille. So oft sie am Fenster guckt, so oft sie vor dem Hause vorbei geht, weiß ich auf keiner Stelle zu bleiben.
J. Hast du denn nichts dagegen gebraucht?
Z. Ich werde ja. Meine Frau ist bei zwei Scharfrichtern gewesen. Sie waren beide der Meinung, daß ich behext wäre. Der eine gab mir Teufelsdreck und Teufelsabbiß, nebst etlichen andern Kräutern. Mit diesen mußte ich mich allemal, zwischen elf und zwölf Uhr, im Namen der heiligen Dreifaltigkeit räuchern. Es half aber nichts.
J. Wie ich wohl sehe. Und der andere Scharfrichter?
Z. Der gab mir ein klein Briefchen, das mußte ich in einen Löffel voll Jungfernhonig thun und verschlucken.
J. Und half auch nichts?
Z. Auch nichts. Jetzt brauche ich nun den Hirten in Burgheim, der hat mir etwas um den Hals gehängt, das ich aber Niemandem sehen lassen darf.
J. Hilft es denn auch nicht?
Z. Jetzt läßt es sich davon nicht reden, ich hab es erst acht Tage um den Hals. Man muß halt das Beste hoffen.
J. Hast du denn aber nicht einen ordentlichen Doctor zu Rathe gezogen?
Z. Geh nur mit deinen Doctern. Die haben alle keine Religion; keinen Teufel, keine Hexe, kein Gespenst glauben sie. Frag einmal meine Frau, was der Seelebische Doctor gesagt hat, da sie es ihm klagte, daß ich behext wäre? Einen Buckel hat er sich wollen lachen, und hat gesagt: wir wären nicht gescheut. Was will mir so ein Mann helfen, der sich über solche Sachen todt lachen will?
J. Ueber deine Krankheit wird er nicht gelacht haben, sondern über die Hexengeschichte. Nimm mir es nicht übel, Bruder! das ist allerdings eine Sache, bei der es schwer ist das Lachen zu verbeißen. Wenn du mich nicht so gewaltig gedauert hättest, ich hätte selbst gerade aus lachen müssen.
Z. So bist du auch von der Art? Hätte ich das gewußt, so hätte ich dir nichts gesagt. Ich will nur sehen, was aus der Welt noch werden will. Nichts will man mehr glauben – keinen Gott, keinen –
J. O ho! Bruder, nur nicht so scharf um dich gehauen! ich habe gar einen starken Glauben an Gott, vielleicht einen stärkern als du. Glaubtest du einen Gott, wie könntest du dir in den Kopf setzen, daß der liebe Gott zugäbe, daß du durch böse Menschen so sehr an deinem Leibe geplagt würdest? Aber dein lieber Gott ist der Teufel und seine Engel und seine Hexenmeister. Die haben in deinem Kopfe ihr Spiel.
Z. Hab nur nicht so ein loses Maul! der Glaube wird dir schon noch in die Hände kommen.
J. Wenn du das meinst, so bring mich doch von meinem Unglauben ab! sage mir doch einmal, was ist denn eine Hexe eigentlich?
Z. Was wird sie denn sein? Den alten Weibern, die rothe Augen haben, denen gibt man mein Tage nichts Gutes schuld.
J. Das ist doch kurios, wenn deine Frau noch ein dreißig Jahre lebt, so ist sie auch eine alte Frau; an rothen Augen wird es ihr nicht fehlen; dann ist sie also auch eine Hexe.
Z. Ei meine Frau ist gar eine ehrliche Frau.
J. Auch wenn sie alt wird und rothe Augen bekömmt?
Z. Ei das wollte ich meinen.
J. Da siehst du also, daß nicht alle Weiber mit rothen Augen Hexen sind.
Z. Aber mit der Ursel Blandine ist es nicht richtig; dieser haben die Leute immer nichts Gutes nachgeredet.
J. Mußt du denn alles glauben was die Leute reden? Ich habe die Frau immer als eine ehrliche Frau gekannt. So lange ihr Mann lebte, hat sie seine Wirthschaft immer ordentlich geführt, ihre drei Kinder zur Kirche und Schule gehalten, und zu allem Guten erzogen. Da ihr Mann, starb hielt sie ihre Kinder zur Arbeit an, und nährte sich ehrlich. Ihre drei Kinder sind nun versorgt, hast du an ihnen wohl etwas auszusetzen?
Z. Ei die Kinder sind gut.
J. Sonst heißt es aber, der Apfel fällt nicht weit vom Stamme. Nimm es mir nicht übel, Bruder! wenn sie eine so böse Frau wäre, so würde sie ihre Kinder nicht so gut erzogen haben. Und nun, da sie der Gemeine zwei rechtschaffene Nachbaren, und eine gute Hausfrau erzogen hat, wollt ihr sie zur Dankbarkeit, da sie alt und baufällig wird, zur Hexe machen? Ihr seid saubere Leute! bei euch möchte es einem ehrlichen Menschen grauen, alt zu werden.
Z. Meine Frau bleibt nun einmal dabei, daß sie eine Hexe wäre.
J. Die mag sehen wie sie es verantwortet. Ich will aber von dir wissen, was denn eigentlich eine Hexe sei? darauf hast du mir noch nicht geantwortet.
Z. Wie ich gehört habe, soll eine Hexe mit dem Teufel ein Bündniß gemacht haben.
J. Das ist ja schrecklich. Und worinne besteht das Bündniß?
Z. Der Teufel verspricht der Hexe, daß er ihr eine gewisse Zeit dienen will, und sie verspricht ihm dagegen, daß sie hernach mit Leib und Seele sein sein will.
J. Hör einmal, Bruder! wenn man sich dem Teufel mit Leib und Seele verspricht, so verlangt man doch wohl auch wichtige Dienste vom Teufel dafür. Leib und Seele sind keine Kleinigkeiten, das ist ja nicht mehr als alles. Siehst du denn nun, daß der Teufel der guten Ursel Blandine besondere Dienste leistet? Ich dächte, wenn sie den Teufel zum Bedienten hätte, so ließe sie sich vor allen Dingen von ihm ihre rothen Augen curiren und ließe sich Mark in die Knochen bringen, daß sie nicht so am Stabe herumschleichen dürfte. Hätte sie den Teufel zum Diener, so ließe sie sich Geld herbei schaffen; du siehst aber daß es ihr sehr spärlich geht. Sie hat ja wohl zur Noth ihr Stückchen Brod; sie muß es aber sehr eintheilen, wenn sie auskommen will. Und wenn ihre Kinder ihr nicht immer unter die Arme griffen, so würde sie oft schmale Bischen essen müssen. Wie kannst du denn so dummes Zeug glauben, daß sie für nichts Leib und Seele hingegeben hätte?
Z. Was thun böse Leute nicht! sie wird sich ja wohl dem Teufel ergeben haben, um von ihm zu lernen andere Leute zu behexen.
J. Narrenpossen! Wenn ein böser Mensch andern schaden will, so hat er ja dazu Mittel genug, ohne daß er nöthig hat, sich dem Teufel zu ergeben. Und sag' mir einmal, wer war denn dabei, da sie sich dem Teufel ergab?
Z. Hm! zu so einer schändlichen Handlung wird man keine Zeugen nehmen.
J. Nun wenn Niemand da ist, der die Teufelsergebung bezeugen kann, wie kannst du denn so einfältig sein, und solch' Zeug glauben?
Z. Man hat doch aber der Exempel so viele.
J. Und mit allen den Exempeln wird es, wenn man die Sache genauer untersucht, eben so eine Bewandniß haben, wie mit Ursel Blandinen.
Z. Es steht ja aber in der Bibel von der Hexe zu Endor.
J. Da war ich wie aufs Maul geschlagen, und wußte nicht was ich antworten sollte. Ich hätte, wer weiß wie viel drum gegeben, wenn der Herr Pfarrer Goldammer hier gewesen wäre, daß ich ihn um Rath hätte fragen können. Da er aber nicht da war, so suchte ich mir zu helfen, so gut ich konnte. Gib mir einmal deine Bibel! sagte ich, wir wollen die Geschichte selbst durchgehen.
Z. Oben auf dem Kannrücke, steht sie, hole sie herunter, ich selbst kann nicht hinaufreichen.
J. Nun will ich suchen, ob ich die Geschichte nicht finden kann. Hier ist sie, Sam. 28. Ich las sie ihm vor.
Z. Da hast du es – willst du nun noch die Hexen läugnen? steht nicht von ihnen in der Bibel? ist die Bibel nicht Gottes Wort?
J. Da steht ja freilich, daß Saul diese Frau für eine Hexe gehalten hat, so wie du Ursel Blandinen für eine hältst; folgt denn daraus, daß es eine gewesen sei?
Z. Sie brachte ja den Samuel aus dem Grabe wieder hervor? glaubst du denn, daß dieß ohne Hexerei möglich sei?
J. Das muß anders zu verstehen sein, ich setze meinen Kopf zum Pfande. So lange ich einen Gott glaube, kann ich nicht glauben, daß er einem Menschen, oder einem bösen Geiste erlauben sollte, die Todten zu beunruhigen. Samuel war ein rechtschaffener Mann, und starb ohne Zweifel in dem Glauben, daß er nun von seinen Geschäften ruhen wollte. Nun sollte der liebe Gott einem alten Weibe erlaubt haben, ihn in seiner Ruhe zu stören? das glaube wer will, ich glaube es nicht.
Z. Es steht ja aber doch in der Bibel.
J. ( Nachdem ich die Geschichte noch einmal mit Bedacht durchgelesen hatte) Was steht denn da? daß Saul den Samuel gesehen habe? kein Wort davon. Er fragte ja, was siehest du? und nun erzählte die Frau das, was sie zu sehen vorgab, und belog den abergläubischen Mann.
Z. Wenn aber Samuel nicht da war, wie konnte ihn denn Saul reden hören? wie konnte er denn mit ihm sprechen?
J. Wenn das Weib einmal auf Betrügerei ausging, so war es ihr ja leicht dem abergläubischen Könige etwas vorzugaukeln. Sie konnte ja Jemanden versteckt haben, der in Samuels Namen ihm sagen mußte, was er wissen sollte.
Z. Wenn nur nicht alles auf's Haar eingetroffen wäre, was er ihm vorhergesagt hatte.
J. Was denn?
Z. Daß David an seiner Statt würde König werden.
J. Das voraus zu sagen, war keine Kunst. Das hätte ich auch vorhersagen wollen, ohne mich dem Teufel mit Leib und Seele zu ergeben. David war ja schon zum Könige gesalbet, und Jedermann wußte es, daß er König werden würde.
Z. Sie sagte es ja aber auch voraus, daß die Israeliten würden geschlagen werden, und daß Saul mit seinen Söhnen den folgenden Tag bei Samuel sein würde.
J. Auch dieß konnte man, ohne Hexerei, voraussagen. Sauls Leute waren schon so im Gedränge, daß er schlechterdings keinen Rath mehr zu schaffen wußte, sondern ihn bei einer alten Frau suchte, da mußte es doch wirklich schlimm sein, und es war nichts anderes als eine völlige Niederlage zu erwarten. Hernach traf es bei dem Saul auch ein: Wie der Mensch glaubt, so geschieht ihm. Weil Saul glaubte, daß er den Samuel gesprochen, und daß dieser ihm seinen Untergang vorhergesagt hätte, so gab er sich auch keine Mühe mehr, sich zu wehren. Statt daß er das Schwert hätte sollen in die Hand nehmen, sich an die Spitze seiner Leute stellen und sie ermuntern, in den Feind einzuhauen, so nahm er das Schwert und stieß es sich durch's Herz. Es ging dem Könige Saul gerade wie Heinrich Ziemern. Weil Saul glaubte, es wäre für ihn keine Rettung möglich, so machte er auch keine Anstalten zur Rettung, und es erfolgte auch keine; und weil Heinrich Ziemer glaubt, es könne ihm kein Doktor helfen, so braucht er auch keinen, folglich kann ihm auch keiner helfen
Ziemer machte ein Jammermaul, sah mich an und fragte: glaubst du denn wirklich, daß mir der Doktor helfen kann?
J. Wenn noch Hülfe möglich ist, so kannst du sie von ihm immer eher, als vom Scharfrichter oder Hirten, erwarten, und daß du es weißt, ich gehe auf der Stelle nach Seeleben und hole den Doktor.
Z. Um Gotteswillen nicht! Meine Frau kratzte ihm die Augen aus, wenn er über die Schwelle käme. Wenn du etwas thun willst, so hole mir Arznei, aber – meine Frau darf es nicht erfahren.
Da ging ich halt zu dem Doktor, und erzählte ihm die Umstände Ziemers. Sobald ich den Namen Ziemer nannte, so antwortete er, bleibe Er mir mit den Leuten vom Leibe.
J. Aber Herr Doktor!
D. Ein Wort so gut als zehn, ich will von Ziemern nichts wissen noch hören. Dies Volk steckt im Aberglauben bis über die Ohren; durch seinen Aberglauben hat Ziemer schon seinen kleinen Jungen um's Leben gebracht; durch seinen Aberglauben ist er krumm und lahm geworden, und durch ihren Aberglauben werden Herr Ziemer und die Frau Ziemern sich selbst noch auf den Gottesacker bringen. Denk Er an mich! wem nicht zu rathen ist, dem ist nicht zu helfen.
J. Aber lieber Herr Doktor! es sind doch auch Menschen, und ich kann Sie versichern, ich habe dem Ziemer den Aberglauben ziemlich aus dem Kopfe geredet.
D. Da müßte Er eine gewaltige Beredsamkeit haben. Und warum schickt er denn erst jetzt an mich, da er Scharfrichter, Hirten und allen Henker gebraucht hat? nun da der Karren in Dreck geschoben ist, soll ihn der Doctor wieder herausziehen.
J. So thun Sie doch nur die Barmherzigkeit und sagen Sie mir, wovon der Mensch so elend geworden ist.
D. Das könnte ja Ziemer selbst an seinen fünf Fingern abzählen, wenn ihm der Aberglaube nicht das Gehirn verrückt hätte. An der letzten Ostermesse war er mit seinem Geschirr in Leipzig. Auf dem Rückwege fiel ein starker Regen ein, und er wurde so naß, daß er keinen trocknen Faden am Leibe hatte. Mit diesen nassen Kleidern legte er sich auf die Streue, und da er nach Hause kam, riß es ihm in allen Gliedern. Wenn er nun gleich zu mir gekommen wäre, und hätte mich um Rath gefragt, so hätte ich ihn für ein Paar Kopfstücke curiren können, da setzte sich aber der Narr in den Kopf, er wäre behext, und brauchte den Scharfrichter.
J. Das ist ja wohl alles wahr, aber deßwegen sollten Sie auf den armen Schelm nicht böse sein. Es ist ja Unglücks genug für ihn, daß ihn der Aberglaube in seinen Stricken hat. Sie sollten ihn bedauern. Und da er doch nun zur Erkenntniß gekommen ist, so erbarmen Sie sich doch nur über ihn, und geben mir für ihn ein Gläschen Arznei mit! ich will sie sogleich bezahlen.
D. Ei was bezahlen! Meint Er denn daß ich ein Marktschreier bin, der Arznei ausgibt, um Bezahlung zu erhalten? Wenn ich Arznei gebe, so will ich den Leuten auch helfen, und wenn ich Ziemern nicht selbst sehe und spreche, so weiß ich auch nicht recht wo es ihm fehlt, und kann ihm also auch keine Hülfe schaffen. Morgen gegen elf Uhr will ich ihn besuchen.
J. Ich will Sie nicht gern bemühen.
D. Nicht bemühen? dafür ist ja der Doktor da, daß er sich zu den Kranken bemühen muß. Ich merke aber schon woran es liegt; Ziemern werden die Paar Groschen dauern, die er mir für meinen Weg bezahlen muß.
J. Das ist nun der Fall nicht bei Ziemern. Der gäbe gern seinen letzten Heller bin, wenn ihm nur geholfen würde. Aber seine Frau, die ist ein Bischen wunderlich. Wie halt die Weiber manchmal sind.
D. Nu?
J. Wenn ich ihnen die reine Wahrheit sagen soll, so ist sie noch immer der Meinung –
D. Daß ihr Mann behext wäre? Da haben wir es ja. Gehe Er nur in Gottesnamen hin, ich will von Ziemern nichts wissen. Wenn ich ihm auch gleich Arznei gebe, so beredet ihn die Frau doch, daß er den Hirten oder den Scharfrichter daneben brauchen muß. Wird es nun schlimmer mit ihm, so schiebt man die Schuld auf mich, wird ihm aber geholfen, so muß es der Hirte oder der Scharfrichter gethan haben. Vergesse Er meine Rede nicht! diese Leute bringen sich durch ihren Aberglauben noch beide auf den Gottesacker!
Da hatte ich also meinen Bescheid, hing den Kopf und ging fort. Auf dem Wege dachte ich noch recht darüber nach, wie unglücklich der Mensch ist, der sich vom Aberglauben nicht frei machen kann. Wenn ihm ein Unglück zustößt, so bekümmert er sich nicht um die natürlichen Ursachen, sondern denkt, es gehe nicht von rechten Dingen zu.
Statt natürliche Mittel zu brauchen, nimmt er seine Zuflucht zu einfältigen oder betrügerischen Leuten, von denen er glaubt, sie könnten mehr als Brod essen. Diese bringen ihn um's Geld und lassen ihn verderben. Der Ziemer war nun so gesund, hat sein gutes Auskommen, eine junge Frau, und hatte einen Jungen der aussah, wie der Vollmond. Aber sein Aberglaube bringt ihn um alles. So ging es dem Könige Saul, so ging es andern Königen und Fürsten auch, die vom Aberglauben nicht frei waren. Kein Mensch hatte ihnen zu befehlen; aber durch den Aberglauben führten sie alte Weiber und Betrüger am Narrenseile herum.
Die Nacht brach ein, und da es auch zu regnen anfing, und die Lust nach Hause zu gehen nicht groß bei mir war, so kehrte ich wieder nach Seeleben um, und blieb im Gasthofe.
Hier überlegte ich nun, was ich weiter zu thun hätte. Gern wäre ich sogleich zum Herrn Pfarrer Goldammer zurückgekehrt, und hätte ihm von meinen Unterhandlungen mit Jeremiesens Vater Rapport abgestattet; da ich aber gehört hatte, daß des Herrn von Rothkopf Leichenbegängniß in der Kürze sein sollte, so wollte ich erst dieses abwarten. Doch um Jeremiesen und dem Herrn Pfarrer nicht zu lange in Ungewißheit zu lassen, so schrieb ich an diesen einen Brief, und meldete ihm alles, was vorgefallen war. Diesen Brief trug ich den folgenden Tag auf die Post, und ging wieder nach meiner Heimath zu.
Da ich vor Ziemers Haus kam, wollte ich hinein gehen und ihm sagen, was für einen Bescheid ich bekommen hätte. Da war aber alles fest zugerammelt. Die Thür war mit Kreuzen und allerhand unbekannten Figuren bemalet, und um das ganze Haus war ein wunderlicher Geruch, wie wenn etwas auf die Kohlen wäre geworfen worden.
Da ist es, dachte ich, nicht richtig; da wird gewiß einmal eine Hexenbeschwörung vorgenommen. Wenn du nun anpochst, so glaubt das Volk am Ende du wärest selbst ein Hexenmeister, den es durch seinen Hokus Pokus herbeicitiret hätte. Ich machte also links um, überließ den unglücklichen Ziemer seinem Schicksale, und ging nach meiner Schwester Hause zu.
Da ich anpochte, guckte mein Schwager zum Fenster heraus, und das war mir herzlich lieb, weil ich hoffen durfte, daß die Kinder, in seiner Gegenwart, ruhiger sein würden. Die erste Frage, die ich an ihn that, war, ob er nichts von dem Leichenbegängniß des Herrn von Rothkopf gehört hätte.
Der gnädige Herr, antwortete mein Schwager, hat die Verordnung gemacht, daß die Leiche ganz in der Stille des Nachts in das Erdbegräbniß solle gesetzt werden; dem Herrn Pfarrer hat er aber aufgetragen, auf den Sonntag eine Predigt zu halten, zum Andenken des Verstorbenen.
Diese Predigt, dachte ich, mußt du noch abwarten.
Da der Sonntag kam, wurde die Kirche so voll, daß kein Apfel zur Erde kommen konnte. Nicht nur die ganze Gemeine war zugegen, sondern von den benachbarten Dörfern waren viele Leute herbeigekommen, so daß ich mit genauer Noth einen Platz bekommen konnte.
Nachdem ein Paar Sterbelieder waren gesungen worden, trat der Herr Pfarrer auf die Kanzel, und alles war so stille, daß man, wie man zu sagen pflegt, eine Maus hätte husten hören können.
Ich hatte Bleistift und Papier bei mir, um Die Predigt nachschreiben zu können. Da der Herr Pfarrer sehr langsam sprach, und ich nicht weit von der Kanzel saß, so gelang es mir auch, daß ich wenigstens einen großen Theil davon aufschreiben konnte, sie lautete folgendermaßen:
Predigt, welche der Herr Pfarrer Drossel gehalten hat, als der Herr von Rothkopf war erstochen worden.
Wenn wir sehen, wie es in der Welt zugeht, so stehen uns oft die Gedanken stille, und wir wissen nicht was wir sagen sollen. Kömmt einmal ein schöner Sommertag, da man seines Lebens froh wird, so währet die Freude nicht lange; ehe man es sich versieht, so wird der Himmel mit schwarzen Wolken überzogen, es fängt an zu donnern, und oft wird in einer unglücklichen Viertelstunde ein ganzer Strich Landes verhagelt, oder ein Theil eines Dorfes gebt im Rauche auf. Der Krieg hört fast gar nicht auf. Wenn es an einem Ende Ruhe wird, so geht es am andern wieder los. Und was im Kriege für Jammer und Herzeleid ist, das kann ich Euch mit Worten nicht beschreiben. Kömmt es am Ende zum Frieden von außen her, so geht der Krieg inwendig in Dörfern und Häusern los. Da entsteht Zank, da spinnen sich Processe an, da schlagen sich die Eheleute, da machen die Kinder den Eltern das Leben schwer.
Wie viel Unglück habe ich alter Mann in dieser Gemeine schon erlebt! Kaum hatte ich mein Amt angetreten, so brach der siebenjährige Krieg aus. Ihr alten Grauköpfe, erinnert Euch noch, wie es uns damals ging! Ein Durchmarsch nach dem andern kam. Wenn die Nachbaren an den Acker ziehen wollten, so mußten sie ihre Pferde zum Vorspanne hergeben; hatten wir mit vieler Mühe eingeerntet, so kamen die Soldaten, und zehreten es auf, und wenn sie es nicht alle aufzehreten, so schrieben sie Lieferungen aus. Wir mußten Contributionen auf Contributionen geben, und die Gemeine kam dadurch in Schulden, an denen wir noch bis auf den heutigen Tag zu bezahlen haben.
Da hieß es recht:
Es wird veracht't
Und nicht betracht't
Was Recht und redlich wäre.
Die Soldaten führten oft ein schändliches Leben, daß die ganze Gemeine geärgert wurde. Wie viele Weiber, wie viele Jungfern verloren damals ihr gutes Gewissen und ihre Ehre, und was für schändliche Krankheiten, die unsere Väter und Großväter nicht kannten, ließen die Soldaten zurück! Am Ende kamen die Croaten, plünderten uns rein aus und prügelten den alten Schulzen Heynemann so unbarmherzig, daß er den Tag darauf starb.
Nun wurde es zwar Friede, und die Nachbaren fingen an sich wieder zu erholen – da kam Anno 70 im März der tiefe Schnee, der die Saat von unsern Feldern wegfraß. Damals ernteten wir den Samen nicht wieder ein. Statt daß wir sonst verkauften, mußten wir selbst unser Brod und unsern Samen kaufen – ach das war ein schweres Jahr! Damals ist manche rechtschaffene Familie verarmt, und viele haben Schulden gemacht, die sie noch jetzt drücken. Anno 80 hatten wir den schweren Wetterschlag, da unsere ganze Flur, die damals so schön stand, daß wir uns alle darüber freueten, in einer Viertelstunde durch den Hagel niedergeschlagen wurde. Was war das für ein Jammer und Wehklagen! Sommer und Winterfeld – alles war niedergeschmissen: Hätte damals der gnädige Herr sich unserer nicht angenommen, so hätte mancher mit dem Bettelstabe müssen davon gehen.
Anno 85 kam im Hirtenhause Feuer aus, der Sturm, der damals war, trieb das Feuer immer weiter, und das halbe Dorf, mit Kirche und Schule, ging im Rauche auf. Noch ist nicht alles aufgebauet, und wird auch sobald nicht aufgebauet werden. Im Unterdorfe liegt noch immer ein Platz wüste, der sonst bewohnt war.
Darauf kam das Viehsterben, und leerete uns in ein Paar Monaten alle unsere Ställe aus.
Endlich brach der französische Krieg aus. Gott sei Lob und Dank! er kam nicht bis zu uns; aber wir mußten doch Leute dazu stellen. Zwölf junge Bursche mußten die Sichel mit dem Schwerte vertauschen. Zehn davon sind nicht wieder gekommen, und Gott weiß, wo sie begraben liegen, und von den zweien, die zurückgekehret sind, ist einer so zu Schande gehauen, daß er keine Arbeit mehr thun kann.
Und wie viel anderes Unglück hat sich in dieser Zeit zugetragen. Wie mancher rechtschaffene Vater, wie manche gute Mutter, wurde in ihren besten Jahren durch den Tod abgefordert, und ließen ihre Kinder als Waisen zurück! Wie mancher gute Sohn, wie manche brave Tochter, auf die die Eltern ihre ganze Hoffnung gesetzt hatten, starb dahin! Vorige Woche hatten wir ein so trauriges Exempel! Ihr wißt es alle – was ich meine. Der junge Herr von Rothkopf, der so gut und brav war, den wir alle so lieb hatten, der künftige Woche Hochzeit machen wollte, wurde erstochen. Statt des Hochzeitbettes, das er zu besteigen dachte, mußte er in's Erdbegräbniß wandern. Unser lieber gnädiger Herr, der uns so viel Gutes gethan hat, verlor seinen einzigen Sohn. Die Familie, die nun 500 Jahre unser Dorf regieret hat, und in welcher so mancher gute Herr war, ist mit ihm ausgestorben, und unsere arme Gemeine wird bald unter fremde Herrschaft kommen.
Was sollen wir nun hierzu sagen? scheint es nicht, als wenn kein Recht mehr im Lande wäre? hat es nicht das Ansehen, als wenn der liebe Gott nichts nach uns fragte, und alles drauf und drein gehen ließe, ohne sich drum zu bekümmern? So scheint es wirklich. Aber der Apostel Paulus gibt uns über das alles Aufschluß. Ich will Euch seine Worte vorlesen, gebt fein Achtung! Zuvor aber betet ein andächtiges Vater Unser.
Text.
2. Kor. 4. 17, 18.
Unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maaßen wichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich, was aber unsichtbar ist, das ist ewig.
Die Worte, die ich jetzt verlesen habe, meine andächtigen Zuhörer! sind viel werth. Sie haben schon manchen frommen Christen gestärkt, und manchen, der in seinem Glauben irre war, wieder auf den rechten Weg gebracht. Ich will sie Euch erklären, so gut ich kann. Wenn ihr Achtung geben wollt, so denke ich, daß ihr sie gut verstehen werdet. Wollen wir sie recht verstehen, so müssen wir wissen:
Erstlich, was sichtbar und was unsichtbar ist.
Zweitens, was es heiße auf das Sichtbare und Unsichtbare sehen.
Drittens, was es uns für einen Vortheil bringe, wenn wir auf das Unsichtbare sehen.
Erster Theil.
Sichtbar ist alles was wir sehen, und mit unsern fünf Sinnen empfinden können.
Sichtbar ist also die Kanzel, auf der ich stehe, die Kirche, in der ich predige, die Kleider, die wir anhaben, die Häuser die wir bewohnen, unser Geld, unser Vieh, unser Acker, unsere Leiber; sichtbar sind Sonne, Mond und Sterne.
Alles dies Sichtbare ist nun zeitlich. Das heißt, es dauert eine Zeit lang, hernach ist es nicht mehr. Daß dieß wahr sei, könnt Ihr leicht begreifen. Habt Ihr nicht auf die Wolken Achtung gegeben, die bisweilen am Himmel herum ziehen? Gewiß habt Ihr es gethan. Da werdet Ihr nun bemerkt haben, daß sie alle Augenblicke ihre Gestalt verändern, von einem Orte zum andern ziehen, und am Ende ganz verschwinden. Wenn sie eine Zeit lang ihr Spiel getrieben haben, so sind sie wie weggeblasen, und der Himmel ist so helle wie ein Krystall.
So ist es mit allem, was sichtbar ist, es währt eine Weile, hernach ist es verschwunden. Wo ist die Kanzel und die Kirche, die sonst hier standen? Wo sind die vielen Häuser, die unsre Vorfahren erbaueten? Sie sind weg. Das Feuer hat sie verzehret. Dieser Kanzel und dieser Kirche und allen neuen Häusern wird es eben nicht besser gehen. Es wird eine Zeit kommen, da sie nicht mehr sind. Wenn der liebe Gott sie auch vor Feuer bewahren sollte, so werden sie doch nach und nach so baufällig werden, daß sie die Nachkommen selbst einreißen müssen. Zeitlich sind unsere Kleider. Manches von Euch denkt wunder was es hat, wenn es einen scharlachnen Latz, ein seiden Halstuch, oder eine schöne Mütze trägt; es ist aber alles zeitlich. Es trägt sich nach und nach ab, zerreißt, wird gestohlen, oder von Würmern gefressen; wo sind denn die schönen Lätze, und Halstücher, und Mützen und alle der Plunder, mit dem sich Eure Großeltern putzten? in dem sie sich trauen ließen, und an dieser heiligen Stätte erschienen? Es ist alles fort. Und wenn ja da und dort etwas davon übrig geblieben wäre, so ist es doch gewiß in so übeln Umständen, daß ihr Euch nicht mehr damit putzen möget. Allen Euern Kleidern wird es eben nicht besser geben.
Das Geld – es ist auch zeitlich. Wie vieles ist im letzten Brande zusammen geschmolzen! und wenn es auch nicht immer zusammen schmilzt, so ist es doch dem Diebstahle, den Processen, der Plünderung und hunderttausend Unglücksfällen unterworfen. Als ich mein Amt antrat, fand ich hier etliche Familien, die viel Geld hatten! Jetzt ist es zerstoben und zerflogen, und ihre Nachkommen haben nichts mehr davon. Glaubt Ihr denn, daß es mit dem Gelde, das Ihr jetzt habt, anders geben werde? gewiß nicht. Salomon war ein so reicher Mann, daß sich keiner von uns mit ihm vergleichen darf. Die Schrift sagt: er habe so viel Gold und Silber, wie Steine auf der Gasse, besessen. Aber schon bei seinem Sohne Rehabeam zerstob des Vaters Reichthum. Sisak, ein König in Aegypten, zog herauf und nahm die Schätze, die Salomo erworben hatte, mit einander weg, und Rehabeam mußte, statt der goldenen Schilde, die sein Vater gehabt hatte, sich eherne machen lassen.
Daß unser Vieh vergänglich sei, haben wir bei dem letzten Viehsterben gesehen. Am Weinachtsfeste waren unsere Ställe davon voll, wie sah es aber um Michael aus? Da waren sie alle ausgeleeret. Unsere Aecker scheinen zwar nicht zeitlich zu sein; sie sind noch da, wie sie zur Zeit der Reformation waren. Es scheint aber nur so. Es wird auch einmal eine Zeit kommen, da sie nicht mehr sind, da Erdbeben, Ueberschwemmungen oder anderes Unglück sie verwüsten werden. Und wenn das auch nicht sogleich geschähe, so werden sie doch für uns eitel sein, und uns durch mancherlei Zufälle entzogen werden. Wenn Ihr mir nicht glauben wollt, so erkundigt Euch nur, wem die Aecker sonst gehöreten, die Ihr setzt besitzt. Ihr werdet gewiß erfahren, daß sie sonst ganz andere Besitzer hatten. So wird es mit Euern Aeckern auch gehen. Heute gehören sie noch Euch. Wer weiß, wer sie nach zehn Jahren besitzen wird.
Unsere Leiber sind zeitlich. Jetzt haben wir sie – wie lange wird es währen, so liegen sie auf dem Kirchhofe und vermodern. Davon kann ich ein Wörtchen sagen. Ich kann mich noch gar wohl besinnen auf die Leute, die vor mir saßen, als ich meine Anzugs-Predigt hielt. Rechter Hand im Herrschaftsstuhle saß der Herr Bernt von Rothkopf mit der gnädigen Frau, linker Hand der Schulze Heynemann, vor mir der Schulmeister Hildebrand, in den Weiberstühlen saßen Weiber und Jungfrauen, die aussahen, wie die blühenden Rosen. Wo sind diese nun alle? wo die ganze Reihe Männer und Bursche die hier oben, und die Weiber und Jungfern die unten saßen? Mit genauer Noth bringe ich ihrer noch zwölfe zusammen. Die andern verfaulen alle auf dem Kirchhofe; und wenn wir ein Begräbnis; haben, sehe ich manchen Todtenkopf am Grabe ohne Nase hingesetzt, der, so lange er eine Nase hatte, sie gewaltig hoch trug. Wird's denn am Ende mit uns anders gehen? Wenn man nach fünfzig Jahren nach mir oder nach Euch, die Ihr mich höret, fragen wird, so werden die mehresten weg sein. Man wird sie auf dem Kirchhofe suchen müssen, da die Grabschrift: hier ruhet in Gott der Wohlselige, von ihnen Nachricht geben wird. Vielleicht ist aber nicht einmal die Grabschrift mehr vorhanden. Denn von gar vielen Leuten, die bei meiner Anzugspredigt hier waren, ist nicht einmal mehr eine Grabschrift da.
Sonne Mond und Sterne sind sehr alt, das ist wahr. Aber zeitlich sind sie auch. Das sagt die Bibel: Himmel und Erde vergehen. Einmal werden sie auch nicht mehr sein.
Nun wollen wir auch noch das Unsichtbare betrachten.
Unsichtbar ist alles, was wir nicht sehen, und mit unsern fünf Sinnen nicht empfinden können.
Unsichtbar bin also ich, Euer Pfarrer Drossel. Ihr werdet mir das zwar nicht zugeben wollen, und werdet sagen: Ihr könntet mich ja sehen. Ihr irrt Euch aber, meine andächtigen Zuhörer. Was Ihr von mir sehet, das bin ich nicht, das ist nur mein Leib, in dem ich wohne, Mit dem ich überkleidet bin. Vermittelst dieses Leibes predige ich zu Euch, bewege die Lippen, die Zunge, die Hände, so wie unser Herr Schulmeister, ehe ich mit meinem Leibe zu predigen anfing, auf seiner Orgel das Lied spielte: Herzlich lieb hab ich dich, o Herr. Werdet Ihr nun wohl glauben, daß unsere Orgel der Herr Schulmeister wäre? das glaubt gewiß keiner von Euch. Eben so wenig könnt Ihr glauben, daß der Körper, den Ihr hier auf der Kanzel sich bewegen seht, und den Ihr sprechen höret, der Pfarrer Drossel wäre. Sobald der Herr Schulmeister von der Orgel weg gebt, ist sie stille, und sobald ich meinen Körper verlasse, steht er auch stille. Er steht Nicht mehr, hört nicht mehr, spricht und bewegt sich nicht mehr. Ich bin also wirklich unsichtbar. Und so ist's mit Euch allen. Ihr selbst seid unsichtbar. Eure Leiber sehe ich zwar, Ihr selbst aber seid meinen Augen verborgen.
Unsichtbar ist nun alles, was zu uns selbst gehöret. Die Frömmigkeit, die dieser und jener besitzt, die Rechtschaffenheit, die Kraft, seine Begierden zu beherrschen, sieht Niemand.
Unsichtbar ist auch der liebe Gott. Wir sehen zwar seine Werke, die Sonne, den Mond, die Sterne, die Erde, die Thiere, die Pflanzen und alles, was er gemacht hat, er selbst aber ist unsern Augen verborgen. Und da der liebe Gott so gewaltig viel sichtbare Dinge gemacht hat, so könnt Ihr leicht glauben, daß noch unbeschreiblich viele unsichtbare von ihm sind erschaffen worden, die wir nicht kennen.
Alles dies Unsichtbare ist nun ewig, oder es nimmt kein Ende. Vom lieben Gott sagt die Bibel: Du hast vorhin die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werke. Sie werden vergehen, aber du bleibest; sie werden alle veralten, wie ein Gewand, sie werden verwandelt, wie ein Kleid, wenn du sie verwandeln wirst. Du aber bleibest wie du bist, und deine Jahre nehmen kein Ende. Psalm 102, 26-28.
Die Welt ist schon vielmal ausgestorben, es sind Berge versunken und Seen ausgetrocknet, und so viel mächtige Reiche sind zu Grunde gegangen; der liebe Gott ist aber noch immer da. Denn wenn er nicht da wäre, wer sollte denn dafür sorgen, daß die Sonne und der Mond und alle Sterne immer zur rechten Zeit aufgingen? Und wenn einmal die Sonne und der Mond und die Sterne nicht mehr sein werden, dann wird er noch da sein. Er bleibet wie er ist, und seine Jahre nehmen kein Ende. Mit uns wird es eben so sein. Unsere Jahre nehmen kein Ende. Das ist nun der dritte Priesterrock, den ich mir in meinem Amte habe machen lassen, die vorigen sind zerrissen und unter die Lumpen geworfen worden. Ich aber bin noch da. Was ist mein Leib anders als ein Rock? Ich werde ihn auch einmal ausziehen, und er wird vermodern wie ein Priesterrock. Ich aber werde bleiben.
So wie es mit mir ist und den Priesterröcken, die ich abgelegt habe, so ist es mit Euch allen, wenn alle Eure Leiber auf dem Kirchhofe verwesen, so werdet doch Ihr noch da sein.
Die Rechtschaffenen unter Euch, die nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit zuerst trachten; die über ihre Handlungen nachdachten und immer verständiger und besser wurden, die werden diesen Schmuck in die Ewigkeit mitnehmen. Das sind die Schätze, wo die Diebe nicht nachgraben, und die der Rost und die Motten nicht verzehren.
Ich habe einmal von einem alten Weltweisen gelesen, der zwar ein Heide, aber sonst ein sehr verständiger Mann war. Dieser ging zu Schiffe, und litt, wie das bei Seefahrern bisweilen der Fall ist, Schiffbruch. Doch war er und noch etliche andere so glücklich, daß sie auf Brettern ihr Leben retteten und glücklich an's Land kamen. Da hätte man aber das Heulen und Schreien seiner Schiffsgesellschaft hören sollen. Alle Haare wollten sie sich aus dem Kopfe raufen, und schrieen immer: wir sind unglücklich! wir haben alles verloren! Der Weltweise raufte aber sich die Haare nicht aus dem Kopfe, schrie auch nicht; der war ganz ruhig und sagte: ich habe meinen ganzen Reichthum bei mir. Damit meinte er die Weisheit, die er durch Nachdenken sich erworben hatte! Einmal kömmt auch die Zeit, da wir alle Schiffbruch leiden, da der Tod unser Schiff zerschmettert. Da wird nun alles verloren gehen – die Aecker, die Wiesen, die schönen Gärten, das Rind- und Schafvieh, die Pferde, die schönen Kleider, der Leib selbst, und wenn er noch so schön und wohlgebauet wäre, wird uns entrissen werden. Wie wird es dann stehen um diejenigen, die sonst nichts hatten, als das Sichtbare? Werden sie nicht auch klagen müssen, daß sie alles verloren haben? Aber der fromme Christ wird dann, wie jener alte Weltweise, sagen können: ich habe alles bei mir; meine Rechtschaffenheit, meine Menschenliebe, meine Wohlthätigkeit, meine Mäßigkeit, meine Keuschheit, mein Vertrauen auf Gott, alles habe ich bei mir.
Der liebe Gott gebe, daß wann einmal das Schifflein des Lebens scheitert, wir alle mögen sagen können: ich habe alles bei mir.
Zweiter Theil.
Nun höret einmal zu, was das heiße, auf das Sichtbare und auf das Unsichtbare sehen. Es heißt erstlich schlechthin Sehen. Wer auf das Sichtbare sieht, der richtet nur seine Augen darauf, und was sieht er denn? Nichts als Tod und Verwesung. Die vollen Scheunen, die wir bisweilen haben, die schönen Kleider, in die Ihr Euch putzt, die vielen Gerichte, die Ihr bei Euern Hochzeiten und Kindtaufen auftragt, wenn Ihr Euch einige Zeit darauf darnach umseht, wo ist es? Alles ist weg, das mehreste liegt in der Mistgrube, das übrige fault an einem andern Orte. Wenn Ihr am Menschen blos auf's Sichtbare seht, so ist's eben nicht besser, Mann, Frau, Kind, Vater, Mutter, eins nach dem andern steht auf der Bahre und wird in's Grab gesenkt. Also wenn wir blos auf's Sichtbare sehen, so sehen wir nichts als Tod und Verwesung. Ja, wenn ich Euch die Wahrheit sagen soll, so ist die Rinde, die unsere Erde umgibt, nichts als Verwesung. Wenn Ihr den Boden Eurer Aecker und Gärten genau untersuchen wolltet, und genau untersuchen könntet, so würdet ihr finden, daß er aus lauter verwesten Körpern bestünde. Ein großer Theil davon wurde uns vom Thüringer Walde zugeführt, und besteht aus Felsen, die durch die Länge der Zeit verwittern, der andere besteht aus verfaultem Stroh und andern Pflanzen, aus Holze und verwestem Fleische und Knochen der Thiere. Wenn Ihr eine Hand voll Erde nehmt – was habt Ihr? vermoderte Körper.
Das Unsichtbare können wir nun freilich mit unsern leiblichen Augen nicht sehen, aber doch mit den Augen des Geistes, mit dem Auge des Glaubens, wir können daran denken.
Wer auf das Unsichtbare sieht, der denkt immer dran, daß ein Gott da ist, dessen Jahre kein Ende nehmen, der bei allem, was in der Natur geschieht, bei allem Sterben, Verwelken, Verdorren, Verwesen die Hand mit im Spiele hat; der liebe Gott, zu dem man doch das Zutrauen haben kann, daß er nicht um nichts und wieder nichts immer wieder zerstören solle, was er gemacht hat, daß er vielmehr dabei gewiß seine guten Absichten habe.
Wer auf das Unsichtbare sieht, der denkt auch oft an seine Seele, die immer bleibt, wenn auch alles um ihr nach und nach verwelkt, verdorrt, stirbt und verfault, und die immer dabei etwas lernen kann. Es fällt mir dabei mein seliger Vater ein. Dieser kaufte mir, da ich noch ein Kind war, allerlei Spielereien, Bälle, Kegel, bleierne Soldaten, Bilder und Farben, um sie zu bemahlen. Wo ist denn alles hin? ich kann es selbst nicht sagen. Es ist alles weg und verfault. Ich selbst aber, das heißt meine Seele, hat viel dabei gewonnen. Ich habe bei den Spielereien manches gelernt, was ich nicht würde gelernt haben, wenn ich nicht gespielt, und immer auf einem Flecke gesessen hätte. So macht es der liebe Gott mit uns auch, er gibt uns allerlei Spielereien, dem einen Goldstücke, dem andern Pfennige, einem Pasteten, dem andern Kartoffeln, diesem seidene Kleider, dem andern einen groben Kittel. Nach und nach verstiebt alles, wie meine Bälle und Kegel verstoben sind, aber wir haben bei diesen Spielereien viel gelernt. Wenn wir nur immer auf das Unsichtbare sehen, und darüber nachdenken, so lernen wir unter anderm, daß alles Sichtbare, eins wie das andere, Fürstenhut und Hirtenstab, Diamant und Kieselsteine, weiter nichts sind als – Spielwerk.
Sehen, das bedeutet hier aber noch etwas anderes. Es heißt auch so viel als nach etwas trachten. In diesem Verstand braucht ihr ja das Wort sehen beständig: Wenn die jungen Bursche heirathen, so sagt Ihr von dem einen, er hat auf's Geld gesehen, von dem andern, er hat nicht auf's Geld gesehen. Was heißt das? es heißt, jener hat bei seiner Verheirathung nach Geld getrachtet, dieser aber nicht.
Wer nun blos auf das Sichtbare sieht, der trachtet und strebt darnach mit seiner ganzen Seele. Wenn er arbeitet, und es sich bei der Arbeit sauer werden läßt, so thut er es blos, um etwas Sichtbares dabei zu gewinnen – Geld zu erwerben und von dem Gelde sich Kleider, oder Aecker, oder etwas Gutes zu essen und zu trinken zu kaufen; und wenn nichts Sichtbares zu gewinnen ist, wenn für die Kirche, Schule, Wittwen und Waisen was zu thun ist, das nicht gleich baar bezahlt wird, so läßt er die Flügel sinken, und sucht sich, unter allerlei kahlen Entschuldigungen, von der Arbeit los zu machen.
Solche Leute, wenn sie etwas thun sollen, fragen sie nicht: ist es recht? sondern nur – was wird mir dafür? wird es ihnen gut bezahlt, so thun sie es, ohne sich drum zu bekümmern, ob es recht oder unrecht sei. So ein Mensch war des Königs David geheimer Rath Ahitophel. So lange sein Herr mächtig und angesehen war, diente er ihm treu, sobald dieser aber sein Ansehen verlor, und es schien, als wenn sein Sohn Absalon König werden würde, hing er sich an diesen, und wurde an seinem Herrn zum Verräther.
So machen es aber nicht die Leute, die auf das Unsichtbare sehen. Dieser ihr Dichten und Trachten geht immer dahin, daß sie dem lieben Gotte gefallen wollen. Sie arbeiten, weil sie wissen daß es der liebe Gott haben will. Sie arbeiten zwar auch, wenn sie etwas mit ihrer Arbeit zu gewinnen wissen; der Unterschied aber ist nur der, daß sie auch dann arbeiten, wenn nichts damit gewonnen wird, und sie doch einsehen, daß dieß ihre Schuldigkeit ist. Wenn die Wittwen und Waisen Beistand nöthig haben, wenn ein Feuer in der Nachbarschaft zu löschen ist, so sind sie gleich bei der Hand und thun ihre Schuldigkeit, ohne zu fragen, was wird mir dafür? Wenn sie das Sichtbare genießen, wenn sie mit Speise und Trank sich erquicken, so denken sie immer an den Unsichtbaren, und hüten sich, daß sie in der Fröhlichkeit nicht sein Gebot verletzen.
Sie sehen aber nicht nur auf den unsichtbaren Gott, sondern auch auf ihre Seele. Sie sind der Meinung, unter allem, was sie besäßen, wäre die Seele das Vorzüglichste.
Hierin mögen sie nicht unrecht haben.
Ich erinnere mich, in meiner Jugend ein Buch gelesen zu haben, darin stand: das vorzüglichste am Menschen wäre der Rock, darauf folge der Leib, und dann die Seele; diese wäre der Anhang vom Körper, aus welcher man nicht viel zu machen hätte. Könnt Ihr das wohl glauben? gewiß nicht. Gleichwohl handeln viele Menschen so, als wenn sie dieß glaubten. Ihre größte Sorge geht dahin, daß sie immer einen hübschen Rock, und andere gute Kleidungsstücke haben. Diese lassen sie nicht etwa nach dem Leibe machen, sondern sie pressen oft den Leib hinein, und zwingen ihn, daß er sich nach der Kleidung richten muß. Ist bei diesen Leuten nicht das Wichtigste der Rock? hernach sorgen sie für den Leib, daß dieser nur immer gut gewartet und gepfleget werde. Um die Seele bekümmern sie sich wenig oder gar nicht. Erst dann, wenn sie ausfahren will, fällt es ihnen ein, daß sie für diese auch etwas zu thun haben. Da muß dann der Geistliche bei, muß mit ihnen beten, und ihnen das heil. Abendmahl reichen. Damit glauben sie für ihre Seele hinlänglich gesorgt zu haben.
So handeln die nicht, die auf das Unsichtbare sehen. Bei denen ist die Seele immer die Hauptsache. Wenn sie arbeiten, so denken sie dabei fein nach, damit die Seele verständiger werde; sind sie in munterer Gesellschaft, so geben sie auf sich Achtung, daß sie nichts thun noch reden, wodurch sie ihrer Seele schaden, und sich ein böses Gewissen zuziehen könnten; sind sie in der Einsamkeit, so hängen sie nicht jeden Gedanken nach, die ihnen in den Kopf kommen, sondern sie unterhalten nur gute Gedanken; und wenn die Trübsale einbrechen, wenn Haus und Hof, Acker, Vieh, Weib und Kinder in Gefahr gerathen, so denken sie nur immer darauf, daß sie ihre Seele retten; daß sie den Muth nicht sinken lassen, daß sie in der Angst nicht schlechte Streiche machen, sondern sich in der Geduld und Standhaftigkeit üben.
Auf das Sichtbare und Unsichtbare sehen, das heißt auch davon sein Glück erwarten. Wer auf das Sichtbare sieht, der erwartet von dem Sichtbaren sein Glück. Wenn er heirathen will, so denkt er nicht, hat das Mädchen Verstand? ist es rechtschaffen? ist es gottesfürchtig? sondern wie viel gibt ihr der Vater mit an Gelde? wie viele Aecker im Feld bekommt sie einmal mit?
Er will seine Kinder einmal glücklich machen; aber womit? mit dem Sichtbaren. Er scharrt zusammen, so viel er nur kann, kauft Acker auf Acker, und glaubt er habe für seine Kinder recht gut gesorgt, wenn er ihnen recht viel Vermögen hinterläßt.
So macht es der nicht, der auf das Unsichtbare sieht. Der erwartet sein Glück, sein Heil und Trost, alles vom Unsichtbaren. Der liebe Gott, ein guter Verstand und Frömmigkeit, die sind es, worauf er sich verläßt. Sein Wahlspruch ist – Was Gott thut, das ist wohlgethan. Der hat schon so lange gut Haus gehalten, und es gut mit mir gemacht; er wird es auch ferner gut mit mir machen; und er hat den Glauben, daß ihn Gott nicht verlassen werde, so lange er sein Nachdenken braucht, fleißig arbeitet, und recht thut; wenn er heirathen will, so sieht er sich nach einer verständigen und tugendhaften Person um, die am Unsichtbaren reich ist, und fragt nicht darnach, wie viel sie an sichtbaren Gütern mit bekommt. Diese, denkt er, wollen wir uns schon verschaffen, wenn wir unser Nachdenken brauchen, fleißig arbeiten, und unser Vertrauen auf Gott setzen. Er sorgt für seine Kinder, aber immer vorzüglich, daß sie reich werden am Unsichtbaren; daß sie etwas lernen, verständig, fromm und tugendhaft werden. Mit dem Uebrigen, denkt er, wird es sich schon geben, wenn meine Kinder nur immer Gott fürchten und Recht thun.
Dritter Theil.
Nun wollen wir noch untersuchen, was es uns für Vortheil bringe, wenn wir auf das Unsichtbare sehen.
Es schaffet, wie unser Text sagt, eine ewige und über alle Maaßen wichtige Herrlichkeit. Dieß sind wenige Worte, aber sie haben viel Gewicht.
Wenn ein Mensch reich, vornehm und vor der Welt geehrt ist, wenn er viele Bedienten hat, in einem großen Hause wohnt, und auf Gold und Silber speist, so schreibt man ihm eine große Herrlichkeit zu. Diese Herrlichkeit wird nur Wenigen zu Theil, und dieß ist eben kein großes Unglück, da sie doch nur von kurzer Dauer ist.
Die Herrlichkeit, die denen zu Theil wird, die auf das Unsichtbare sehen, fällt nicht so sehr in die Augen, denn sie ist inwendig im Menschen; aber sie ist weit wichtiger, als alle äußerliche Herrlichkeit. Sie macht, daß der Mensch selbst viel werth wird.
Sie besteht in Verstand und Weisheit. Wer nur immer auf das Unsichtbare sieht, bleibt von allen den Thorheiten und Unbesonnenheiten und schlechten Handlungen frei, zu denen sich Menschen durch das Sichtbare verleiten lassen. Er thut alles mit Bedacht und Ueberlegung, so wie er weiß, daß es der liebe Gott haben will, und daher macht er alles gut. Alles, was er macht, das geräth wohl.
Die Herrlichkeit dessen, der auf das Unsichtbare sieht, besteht in seiner Rechtschaffenheit. Was ihm aufgetragen ist, das richtet er redlich aus, was ihm anvertrauet wird, das bewahret er treulich, und läßt um keinen Preis sich verleiten, unredlich zu handeln. Daß ein solcher Mensch viel werth sei, das wißt Ihr alle. Mir wollen ein Mal den Fall sehen, der leicht möglich ist, daß einer von Euch stürbe, und ständen etliche unerzogene Kinder um sein Bette und weinten, und das Herz würde ihm schwer, und er wünschte, daß die armen Kinder nach seinem Tode in gute Hände kämen, wem wird er sie denn anvertrauen? dem Reichsten im Dorfe, der die mehresten Aecker hat? oder der Frau, die das mehreste Gold auf der Mütze trägt? das thut er gewiß nicht – er läßt vielmehr den rechtschaffensten Mann im Dorfe zu sich kommen und sagt: Nachbar! ich übergebe Dir meine Kinder – sorge dafür, daß sie gut gepflegt und erzogen werden. Und wenn dann dieser ehrliche Nachbar ihm nun die Hand gibt, und verspricht, daß er für seine Kinder sorgen will, so wird er ruhig, und stirbt ohne Kummer.
Seine Herrlichkeit besteht in Gemeinnützigkeit. Er sorgt nicht blos für sich, sondern auch für andere. Er hilft und steht bei, wo er kann, ohne daß es ihm vergolten wird, wenn er auch Schaden und Verlust dabei haben sollte. Wem fällt hierbei nicht unser seliger Kircheninspector Brauer ein, den wir voriges Jahr begruben! wie viel. Gutes hat er nicht an der Kirche, Gemeine und an uns allen gethan! Ihr trocknet die Augen, da ich dieß sage? die Thränen, die Ihr jetzt abtrocknet, die beweisen, daß ich recht habe. Zwölf Vormundschaften hat dieser ehrliche Mann mit der größten Gewissenhaftigkeit geführt; hat dafür gesorgt, daß in unserer Gemeine keiner betteln durfte. Ihm haben wir es zu verdanken, daß die Schulmeisterbesoldung ist verbessert worden, daß das Spritzenhaus da steht, und die Straße nach der Stadt, wo sonst Roß und Mann hätte umkommen mögen, so schön verbessert und an der Seite mit Kirschbäumen besetzt ist. Woher aber kam es, daß der Kircheninspector Brauer dieß alles thun konnte? Daher kam es, weil der ehrliche Mann mehr auf das Unsichtbare, als auf das Sichtbare sah. Hätte er auf das Sichtbare gesehen, so würde er alle diese Arbeiten und Bemühungen, die er für das gemeine Beste unternahm, und für die er keinen rothen Heller bekam, haben bleiben lassen, und seine Zeit angewendet haben, um Geld zu verdienen; und so wären vielleicht 12 Familien um ihr Vermögen gekommen, so müßten die Armen, die jetzt ihre Versorgung haben, mit dem Bettelstabe im Lande herum ziehen, so müßte unser Herr Schulmeister, bei seiner sauern Arbeit, Hunger leiden, wir hätten kein Spritzenhaus, und wenn Ihr Eure Frucht zu Markte fahren wolltet, müßtet Ihr Eure Ochsen und Pferde zu Grunde richten.
Die Herrlichkeit dessen, der auf das Unsichtbare sieht, besteht endlich in Glückseligkeit, die auch inwendig ihren Sitz hat. Weil er einen gnädigen Gott, ein gutes Gewissen und den Glauben hat, daß alles von Gott komme, so ist er immer mit seinem Zustande zufrieden. Wenn auch sein Hüttchen klein, sein Rock von grobem Tuche gemacht ist, und nur selten Fleisch auf seinen Tisch kommt, so ist er doch mit dem allen zufrieden, und denkt, wenn der liebe Gott wüßte, daß dir etwas Mehreres gut wäre, so würde er dir es wohl gegeben haben.
Wenn ein Gewitter aufsteigt, und sein Hüttchen und seine Ernte in Gefahr ist, und andere, die auf das Sichtbare sehen, vor Angst in den Erdboden kriechen möchten, so ist er ganz ruhig. Denn er sieht auf das Unsichtbare – und denkt, es steht alles in Gottes Hand; er wird's wohl machen.
Und wenn das Sichtbare ihm entrissen wird, wenn das Hüttchen verbrennt, die Ernte verhagelt wird, das Vieh fällt, sein bester Freund begraben wird, so verzweifelt er nicht, wie Leute zu thun pflegen, die nichts haben, als das Sichtbare, sondern er bleibt gelassen, weil er niemals auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare, auf den lieben Gott, seinen eigenen Verstand und seine Rechtschaffenheit seine Hoffnung gesetzt hat, die ihm kein Blitz und kein Hagel und kein Tod rauben kann.
Daher ist seine Herrlichkeit auch ewig. Wenn alle sichtbare Herrlichkeit verschwindet, und er selbst im Tode alles zurücklassen muß, so bleibt ihm doch seine innere Herrlichkeit.
Beschluß.
Nun will ich die Anwendung noch auf unsern Herrn von Rothkopf machen. Diesen hat der liebe Gott sehr mit sichtbaren Gütern gesegnet. Er hat fast alles, was sein Herz nur wünschen kann – ein Schloß, dessen sich kein Fürst schämen darf, Aecker und Gärten, Bediente, Kutsche, Pferde, schön geputzte Zimmer, mehr Geld, als er verzehren kann, und Unterthanen, die ihn in Ehren halten, ihn lieb und werth haben. Aber alles dies; Sichtbare ist ihm nun auf einmal so gut als entrissen. Seine sichtbare Herrlichkeit ist mit seinem Sohne ins Erbbegräbnis; gesenkt worden. Denn der liebe hoffnungsvolle Sohn, der kein Kind betrübt hat, der war das Band, das ihn noch an das Sichtbare knüpfte; von diesem dachte er, wie der Erzvater Lamech von seinem Sohne Noah sagte: der wird mich trösten in meiner Mühe und Arbeit auf Erden; der wird meinen Namen auf die Nachwelt fortpflanzen. Alle diese schönen Hoffnungen liegen im Erbbegräbnisse und vermodern. Wenn nun unser gnädiger Herr blos auf das Sichtbare sähe – womit wollte er sich beruhigen?
Das wird er aber thun, denn er sieht auf das Unsichtbare. Ich bin kein Schmeichler, das wißt Ihr alle. Ich habe nicht gelernt viele Complimente zu machen; aber was wahr ist, das kann ich wohl sagen, und ich brauche es ja nicht einmal zu sagen: Ihr wißt es ja alle selbst, daß unser gnädiger Herr ein frommer, gottesfürchtiger Herr ist. Seine Unterthanen hat er immer wie seine Kinder geliebt, und nie bedrückt.
Was ehemals Samuel zum Volke Israel sagte: antwortet wider mich, ob ich jemands Ochsen oder Esel genommen habe? ob ich jemand habe Gewalt oder Unrecht gethan? ob ich von jemands Hand ein Geschenk genommen habe, und mir die Augen blenden lassen? das könnte der gnädige Herr auch zu Euch sagen. Und Ihr würdet eben so, wie das Volk Israel, antworten müssen: du hast uns keine Gewalt noch Unrecht gethan, und von niemands Hand etwas genommen. Er hat uns allen vielmehr Gutes gethan; in allein Unglücke uns unterstützt, und keinen wirklich Armen und Nothleidenden ohne Hülfe und Trost von sich gelassen. Ich könnte noch gar vieles sagen, was im Verborgenen geschehen ist, wenn ich ihn nicht kennte, wenn ich nicht wüßte daß er wünscht, daß seine Allmosen verborgen bleiben.
Aus allem was Euch von ihm bekannt ist, könnt Ihr wohl merken, daß er ein Herr ist, der auf das Unsichtbare sieht, der einen unsichtbaren Gott glaubt, der alles in der Welt lenkt und regieret, und dessen Willen zu thun sein stetes Bestreben war. Nun, dieß wird ihn auch trösten und beruhigen. Denn wer hat denn ihm seinen hoffnungsvollen Sohn entrissen? Gott hat es gethan. Zwar wissen wir alle, daß der hoffnungsvolle Sohn durch eine böse Hand ist ermordet worden: würde dieß aber geschehen sein, wenn es nicht Gottes Wille gewesen wäre? Kein Sperling fällt von dem Dache, ohne Eures Vaters Willen. Wie kann man denn glauben, daß ein so guter junger Mann, die einzige Stütze eines frommen Vaters, ohne Gottes Willen fallen sollte?
Damit wird sich nun der gnädige Herr trösten, und gewiß glauben, daß der liebe Gott, der so lange alles, alles gut gemacht hat, auch bei dem herben Kelche, den er ihm jetzt zu trinken gibt, seine weisen und guten Absichten habe. Und wir, meine andächtigen Zuhörer, wollen uns damit auch trösten. Amen.
Die Predigt machte auf alle, die in der Kirche waren, großen Eindruck, und ich habe hernach von manchem gehöret, der sein Herz ganz an das Zeitliche gehängt hatte, daß er auf bessere Gedanken war gebracht worden. Auch ich war dadurch in der Meinung gestärkt, daß das Zeitliche nicht verdiene, daß man sein Herz daran hänge, und daß es für einen verständigen Menschen etwas bessers gebe, wornach er streben müsse.
Den folgenden Tag machte ich Anstalt, zu dem Herrn Pfarrer Goldammer zurück zu gehen, und ihm Nachricht zu geben, wie ich seinen Auftrag ausgerichtet hätte.
Nur eins hielt mich zurück, daß ich nicht so geschwinde ging, als ich mir vorgenommen hatte, das war – der Herr von Rothkopf. Die Höflichkeit erforderte es doch, daß ich zu ihm ging und von ihm Abschied nahm. Aber da er mir gesagt hatte, daß er mir den Geldbeutel seines Sohnes geben wollte, so schämte ich mich hinzugehen, weil ich glaubte, der gnädige Herr möchte denken, ich käme des Geldbeutels wegen. Mein Herz sagte mir, daß ich dem jungen Herrn blos deßwegen beigestanden hätte, weil ich glaubte, daß es meine Schuldigkeit wäre, und nun wenn ich hingegangen wäre, hätte ich mir das Ansehen gegeben, als wenn ich so ein schlechter Mensch wäre, der um Geld zu gewinnen, das alles gethan hätte.
Was sollte ich thun? Der Fall war wirklich etwas kitzlich. Hätte ich meinen Schwager oder meine Schwester wollen um Rath fragen, so sah ich voraus, das; sie mir würden gesagt haben, sei kein Narr! und weise das Wasser nicht von der Mühle! geh du in Gottes Namen hin. Ich nahm also meinen Schnappsack, nahm von meinem Schwager und von meiner Schwester Abschied, und ging fort, ohne recht zu wissen, ob ich vor dem Schlosse vorbei, oder hinauf gehen sollte.
Vor der Thür erfuhr ich aber sogleich, was ich zu thun hätte. Ein Bedienter vom Schlosse kam auf mich los und sagte: Haberfeld! Er soll sogleich zum gnädigen Herrn kommen.
Da war es, wie wenn mir ein Stein vom Herzen fiele. Ich folgte dem Bedienten, und sobald ich in das Zimmer des gnädigen Herrn getreten war, kam er mir mit dem Geldbeutel entgegen, und sagte: Haberfeld! du weißt, was ich dir versprochen habe, diesen Beutel meines Sohns habe ich dir zugedacht. Nimm ihn mir zum Andenken an!
H. Aber gnädiger Herr!
H. Es möchte das Ansehen haben, als wenn ich meine Schuldigkeit an dem seligen Junker gethan hätte, um –
R. Um den Beutel zu bekommen? Du hast ihn ja mir ehrlich überliefert. Sei kein Kind! und nimm ihn an. Du bist ein ehrlicher Bursche. Du hast meinem Sohne gut gerathen. Wollte Gott er hätte dir gefolgt, so – ( hier liefen ihm die Thränen über die Backen und seine Hände zitterten). Ach Gott! fuhr er fort, wie schwach ich bin! ich bin bisher über alle meine Begierden Herr geworden, aber diesen Gram zu besiegen, kostet mir viel, sehr viel. Diesen Nachmittag reise ich in die Schweiz, um mich zu zerstreuen. Vielleicht siehst du mich heute zum letztenmale. Leb wohl! handle immer rechtschaffen, und hänge dein Herz an nichts – an nichts, als an Gott – sonst ist alles eitel.
Hier drückte er mir den Beutel in die Hand, ging in das Nebenzimmer, und ließ mir kaum so viel Zeit, daß ich ihm nachrufen konnte: ich danke, gnädiger Herr!
Der dauerte mich gewaltig. Gern hatte ich ihm einen Trost zugesprochen, aber dazu war ich zu scheu. Und was hätte ich ihm denn sagen wollen, was er nicht wußte? Ich ging also wehmüthig fort, und wünschte ihm in meinem Herzen, daß er bald über seinen Gram Herr werden möchte.
Wie ich in der Folge hörete, so ist er es auch wirklich geworden. Nachdem er sich ein Jahr lang in der Schweiz, aufgehalten, die dortigen hohen Berge bestiegen hatte, und mit vielen guten Menschen umgegangen war, so kam er wieder zurück, war beruhigt, lebt noch bis auf den heutigen Tag, und sucht sein Vergnügen darin, daß er Gutes thut. Wenn bisweilen der Gram sich wieder bei ihm regen will, so nimmt er seinen Stock, gebt aus und sucht so lange bis er einen Menschen findet, der seinen Beistand nöthig hat. Dem hilft er, und wird darüber so vergnügt, daß er seinen Gram vergißt.
Ich habe mich darüber herzlich gefreuet, und an seinem Exempel gelernt, daß der Mensch doch über alles Herr werden kann, wenn er nur ernstlich will, und sein Nachdenken braucht.
Um nun wieder auf mich zu kommen, so ging ich meinen Weg fort. Da ich in den nächsten Wald kam, fiel mir mein Beutel ein. Mußt doch sehen, dachte ich, was drinne ist, holte ihn heraus und schüttete ihn in meinen Hut aus. Da waren lauter schöne ungrische Dukaten drinne, mit dem Kopfe von Kaiser Joseph.
Ich zählte sie, und fand, daß ihrer 51 waren. Ich muß gestehen, daß ich mich wie ein Kind darüber freute, und auf allerlei fiel, was ich damit anfangen wollte.
Die Freude dauerte aber nicht lange. Da ich die Augen aufschlug, sah ich einen Kerl auf mich los kommen, der aussah wie ein ungehängter Spitzbube.
Es lief mir eiskalt über die Haut. Meine Dukaten waren geschwind in den Beutel – ich nahm mich zusammen, dachte bei mir selbst. Haberfeld! nimm dich zusammen. Wenn du den Schrecken läßt über dich Herr werden, so bist du verloren.
Im ersten Schrecken wollte ich aufspringen und davon laufen, aber, da ich mich gefaßt hatte, blieb ich sitzen, weil ich gleich einsah, daß mir das Laufen nichts helfen würde.
Jetzt stand der Kerl vor mir, und sagte: will Er mir nicht einen Zehrpfennig mittheilen?
J. Ich bin selbst ein armer Reisender, und brauche die Paar Pfennige, die ich bei mir habe, zu meinem eigenen Fortkommen.
Mit diesen Worten griff ich in die Tasche und holte für ihn einen Pfennig heraus.
K. Hast du nicht eben jetzt einen ganzen Beutel voll Geld eingesteckt? und kurz und gut, indem er den Prügel in die Höhe hob, wenn dir dein Leben lieb ist, so gib den Beutel heraus!
J. Den kann ich dir wohl geben, wenn es der zufrieden ist, der dort steht.
Erschrocken sah sich der Kerl nach dem Orte um, auf den ich mit dem Finger gewiesen hatte, und ich sagte heftig: Niklas, so mach doch und komm herbei!
Tausend! wie zog der Kerl aus, da ich das sagte. Ich stand auf, ging nach dem Platze zu, nach dem ich gewiesen hatte, sprach heftig, als wenn Jemand vor mir stände und wieß mit dem Stocke nach dem Kerl, der sich noch ein paarmal umsah, dann aber immer stärker lief, da ich mich stellete, als wenn Jemand bei mir wäre.
Sobald ich ihn aus den Augen verloren hatte, wünschte ich ihm in Gedanken eine glückliche Reise, und schritt nun auch etwas stärker drauf los um aus dem Walde zu kommen.
Wie froh war ich, als ich heraus war, und meine Haut und meinen Beutel davon getragen hatte! Um beides hätte ich kommen können, wenn ich mich von der Furcht und vom Strecken hätte überwältigen lassen.
Ich steckte den Beutel aber doch etwas tiefer, und nahm mir vor, mich nicht wieder auf dem freien Felde hinzusetzen, und ihn durchzuzählen.
Ich kam nun bald wieder in die Geißheimer Flur und sah das Fräulein Mittelburg ganz tiefsinnig unter den Erlen auf und nieder geben.
Sobald sie mich erblickte, lief sie, so geschwind wie eine Wiesel, auf mich los, fiel mir um den Hals, herzte mich, weinte, daß mir die Backen naß wurden, und sagte: so hab ich dich denn wieder – Guter! wenn du wüßtest, wie viel ich um deinetwillen gelitten hätte – ach!
Ich wußte gar nicht, wie ich zu der Ehre kam, daß ich von einem so schönen Fräulein geküßt wurde, und wollte mich aus ihren Armen loswinden; aber es ging nicht, sie hatte mich zu fest umschlungen.
So fassen Sie sich doch, gnädiges Fräulein! sagte ich.
Fr. Bösewicht! hast du mich nicht lange genug gepeinigt? Willst du mein zerfleischtes Herz ganz zerquetschen? Warum stellst du dich so fremd? Warum nennst du mich gnädiges Fräulein? Bin ich denn nicht mehr deine Amalie?
H. Sie irren sich, gnädiges Fräulein!
Fr. Ich! irren? Was denn irren? Bin ich nicht Amalie? Bin ich nicht die Deinige?
H. Sie werden wohl glauben ich wäre Ihr Bruder?
Fr. Ha! Bruder! ( indem sie mir stark in die Augen sah) bist du nicht mein Clas?
H. ( Mir wurde es grün und gelb vor den Augen, da sie das sagte, und ich merkte wohl wo es ihr fehlte). Ich bin nicht Ihr Clas, ich bin Ernst Haberfeld.
Fr. Wie er sich verstellen kann! aber ich merke wohl, du bist ein Treuloser! du verschmähst deine Amalie, die sich dir ganz ergeben hatte. Erst schickst du mein Bild zurück, nun stößt du mich selbst von dir. Aber ich werde mich nicht fortstoßen lassen, ich werde dich an eine Kette anschließen. Treuloser! und dich mit Vorwürfen so lange peinigen, bis –
Da ich nun sah, daß ich mit vernünftigen Vorstellungen nichts ausrichten konnte, so griff ich die Sache von einer andern Seite an, sah ihr in die Augen und sagte: meine Amalie!
Fr. Mein Clas! aber du betrügst mich nur, du nennst mich nur so, weil du nicht an die Kette willst.
H. Verkennst du mich denn?
Fr. Ach wenn du mich nur nicht verkenntest!
H. Ich habe dich nur auf die Probe stellen wollen, nun seh ich doch, daß du noch meine Amalie bist.
Fr. ( Mir wieder um den Hals fallend) – die bin ich ewig.
H. So komm und laß uns zu deiner Frau Mutter gehen!
Fr. ( Indem sie ihren Arm um den meinigen schlang) ha! wie sie sich freuen wird, die Gute, die sich um dich die Augen roth weinte.
So zogen wir denn mit einander durch die Flur und das Dorf, und jung und alt zog uns nach und wunderte sich über die Vertraulichkeit, in welcher das gnädige Fräulein mit einem armen Bauersburschen stand.
Als wir auf dem Schloßhofe ankamen, lief sogleich ein Bedienter in's Schloß, und meldete uns an. Die gnädige Frau kam ganz erschrocken herunter, und fragte: was gibt's denn da?
Hier! liebe Mutter! sagte das Fräulein, hier habe ich meinen Clas wieder, er hat mich nur auf die Probe stellen wollen.
Ich nahm meinen Hut ab, machte einen Kratzfuß und zuckte mit den Achseln.
Fr. Komm nur! komm nur mit herauf! was bedenkst du dich?
H. Ich habe dich nun zu deiner Mutter gebracht. Nun will ich nur noch etwas besorgen, hernach komm ich gleich wieder.
Fr. Mich verlassen? ( Indem sie mich wieder umhalsete).
H. ( Mich loswindend) so laß mich doch nur auf eine halbe Stunde!
Und hiermit that ich einen Satz, und sprang fort. Da schrie das Fräulein, wie wenn es am Spieße stäke, riß die Haube vom Kopfe, raufte sich die Haare aus, und sagte, daß es sich ein Leid anthun wollte.
Ich kehrte mich aber nicht dran, sondern ging meines Weges fort.
Bald aber kam ein Bedienter nach und sagte mir, die gnädige Frau ließ mich um Gottes Willen bitten, ich möchte nur zurück kommen, und mich stellen, als wenn ich der selige Junker wäre.
Wenn ich weiß, daß es die gnädige Frau nicht ungnädig nimmt, sagte ich, so will ich es wohl thun.
Ich ging also mit zurück, und traf das Fräulein in einem fürchterlichen Zustande an. Unterdessen faßte ich ein Herz, nahm sie bei der Hand und sagte: hier bin ich wieder, meine Amalie! meine Geschäfte sind alle besorgt. Nun kann ich immer bei dir bleiben.
Fr. Ewig?
H. Ewig!
Fr. Schön! vortrefflich! läßt du dich diesen Abend mit mir trauen?
H. Wenn ich doch schon getrauet wäre!
Da schlang sie sich um mich, führte mich die Schloßtreppe hinauf, und setzte mich auf's Canapee und sich daneben.
So viel Süßes ist mir in meinem Leben nicht vorgesagt worden, als sie mir vorsagte.
Die gnädige Frau trippelte indessen auf und ab, rang und wand die Hände, und wisperte mit den Bedienten. Da es dunkel ward, trat ein Doctor ins Zimmer, gratulirte dem Fräulein dazu, daß es seinen Bräutigam wieder gefunden hätte, und dem Herrn Bräutigam gratulirte er auch.
Nun wurde der Tisch gedeckt, Essen aufgetragen, Braut und Bräutigam, nebst der gnädigen Frau, setzten sich, und auch der Doctor, nachdem er sich erst ein Bischen entfernt hatte.
Wir hatten nicht lange gegessen, so kam der Bediente hereingetreten und hatte vier Gläser Wein auf einem Teller. Der Doctor nahm ihm den Teller ab, und setzte jedem das Glas Wein hin, das er haben sollte. Nun brachte er die Gesundheit aus: es lebe Braut und Bräutigam! und stieß mit seinem Glase eines jeden Glas an. Er trank seins aus, ich trank aber ganz jüngferlich.
Ei! sagte der Doctor, was soll denn das sein? Warum trinken Sie Ihr Glas nicht aus, Herr Bräutigam? gewiß lieben Sie Ihre Braut nicht herzlich.
Ei was das betrifft, so will ich meiner Braut zu Ehren wohl einen halben Eimer austrinken –
Und ich einen ganzen, meinem Clas zu Ehren, sagte das Fräulein.
Wup! hatten wir beide unsere Gläser ausgeleeret, und ich sah bald, was das Ausleeren bedeuten solle. Das Fräulein, das bisher immer geplaudert hatte, wurde immer stiller, am Ende sprach es gar nicht mehr, die Augen fielen ihm zu, – es entschlief.
Nun ists gut, sagte der Doctor, jetzt haben die gnädige Frau die Gnade, das Fräulein auskleiden, ins Bette bringen, und Jemandem bei ihm wachen zu lassen.
Das Fräulein wurde fortgeschafft.
Und ich, Herr Doctor! sagte ich, kann doch wohl nun fortgehen?
Nein, lieber Haberfeld! erhielt ich zur Antwort, Er schläft heute auf dem Schlosse. Wir wollen sehen wie das Fräulein sich benehmen wird, wenn es aufwacht. Ich hoffe es soll die albernen Gedanken vergessen haben. Wäre dies; aber nicht, verlangte es wieder nach Ihm, so müßte Er sich doch gefallen lassen, noch ein Paar Tage hier zu bleiben.
Aber meine Geschäfte – sagte ich –
Die werden ja nicht so dringend sein, antwortete der Doctor.
H. Sie sind allerdings dringend. Ich habe mich um des seligen Junkers willen schon so lange in dieser Gegend aufgehalten.
D. Nun so kann Er um des seligen Junkers Braut willen noch ein Paar Tage zugeben.
H. Wenn ich nur wüßte, daß ich etwas Gutes damit ausrichtete.
D. Wir wollen es hoffen.
So mußte ich mir denn gefallen lassen, mich in mein Schlafzimmer zu begeben. Da fand ich nun ein Bett, in dergleichen ich in meinem Leben nicht geschlafen hatte. Es war, wie es mir schien, mit lauter Flaumfedern ausgestopft. Da willst du, dachte ich bei mir selbst, auch schlafen wie ein Fürst.
Wenn aber die Fürsten nicht sanfter schlafen, als ich, so habe ich, meiner Treue! nicht Lust mit ihnen zu tauschen. Sobald ich in's Bette kam, wurde mir so heiß, daß ich nicht einschlafen konnte. Ich warf mich hin und her, schlummerte ein wenig, wachte aber immer bald wieder auf. Wie oft wünschte ich, daß ich mir von der gnädigen Frau eine Streu, auf der ich sonst so sanft schlief, ausgebeten hätte.
Gegen Morgen fiel ich endlich in einen sanften Schlaf. Aber auch dieser dauerte nicht lange. Man pochte heftig an die Thür, und rief: Haberfeld! Er soll geschwinde zum gnädigen Fräulein kommen!
Ich lag in einem so heftigen Schweiße, daß kein trockner Faden an mir war. Gern hätte ich ein anderes Hemde angezogen, wenn ich nur eins gehabt hätte.
Ich mußte also, so naß wie eine gebadete Maus, mich in meine Kleider werfen, und über Hals und Kopf mich dem gnädigen Fräulein zeigen.
Es war ein fürchterlicher Anblick. Die Haare loderten umher, zwei Bediente mußten an ihr halten. Sobald sie mich erblickte, schrie sie: Verräther! Warum hast du mich verlassen?
Da ich mich aber zu ihr setzte, ihr die Hände strich, und versicherte, daß ich nun immer bei ihr bliebe, wurde sie wieder ruhig.
Ich wurde aber desto unruhiger. Den Narren vorzustellen, bekam ich nach und nach satt, und weil ich in dem kalten Hemde stack, so überfiel mich ein so starker Frost, daß mir die Zähne klapperten. Ich bat den Bedienten, mir etwas warmes Bier zu bringen, und, da ich es zu mir genommen hatte, wurde es mir etwas besser.
Aber nun mußte ich den ganzen Tag neben der Unglücklichen sitzen, und das alberne Zeug mit anhören, das sie mir vorschwatzte. Mir war es, wie wenn ich auf Kohlen säße. Ob ich gleich Gebratenes und Gesottenes im Ueberfluß hatte, so genoß ich doch wenig, und hätte lieber mit Käse und Brod fürlieb genommen, wenn ich nur in Freiheit gewesen wäre.
Bei dem Abendessen wurde endlich dem Fräulein wieder ein Schlaftrunk beigebracht, und ich erhielt die Erlaubniß, mich zur Ruhe zu begeben.
Ehe ich ging, sagte ich zu dem Herrn Doktor, nun habe ich noch ein Paar herzliche Bitten an Sie.
D. Die heißen?
H. Daß Sie mir einen Strohsack, und eine leichte Decke verschaffen. Ich bin nicht gewohnt, in so einem weichen Bette zu schlafen.
D. Das soll Er haben. Weiter!
H. Und daß Sie mir erlauben, morgen in der Stille fortzureisen – Sie sehen selbst, es wird mit dem gnädigen Fräulein weder weißer noch schwärzer.
D. Lieber Haberfeld! unser Fürst hat ein Haus erbauen lassen, wohin die Personen gebracht werden, die das Unglück hatten, ihren Verstand zu verlieren. Dahin wird auch das Fräulein morgen geschafft. Wollen wir sie ohne Ihn fort bringen, so wird sie ganz rasend, und wir müssen sie binden. Das gibt einen Spektakel in der ganzen Gegend. Die gnädige Frau läßt Ihn also bitten, daß Er aus Liebe zum seligen Junker, das Fräulein begleite. Ich werde an der Begleitung Theil nehmen. Für das Uebrige lasse Er mich sorgen. Wenn Er zwei Tage daselbst ausgehalten, so kann Er gehen wohin Er will.
So wenig ich auch hierzu Lust hatte, so mußte ich doch nachgeben, da es aus Liebe zum seligen Junker geschehen sollte.
Ich legte mich also auf meinen Strohsack, und schlief wie ein Bauer. Des Morgens mußte ich mich bald früh mit dem Fräulein und dem Herrn Doktor in eine Kutsche setzen, um, wie der Herr Doktor sagte, nach dem Schlosse zu fahren, das ich die vorige Woche gekauft hätte. Auf dem Wege litt ich sehr vom Husten und Schnupfen, die ich dem Federbette zuschrieb, unter welchem ich geschlafen, und in dem ich so übermäßig geschwitzt hatte.
Das Fräulein sprach so vernünftig, daß man an ihr gar keinen Wahnsinn merkte, wenn sie mich nicht immer ihren Bräutigam, ihren Clas, ihr zweites Leben genannt hätte.
Als wir bei dem Irrenhause ankamen, sprang sie vergnügt aus der Kutsche, schlang sich um meinen Arm, und hüpfte mit mir in das Schloß hinein, der Doktor lief voraus, und öffnete das Zimmer, das für die Unglückliche bestimmt war.
Sie runzelte die Stirn ziemlich, als sie hinein trat.
Ist dieß das Zimmer, sagte sie, das ich bewohnen soll?
Nur auf einige Zeit, bis ich die übrigen Zimmer eingerichtet habe, antwortete ich. Aber eben deßwegen, muß ich dich bitten – liebe Amalie, mir zu erlauben, daß ich dich bisweilen verlassen darf.
Bald darauf kam der Doktor, welcher die Unglücklichen, die sich in diesem Hause befinden, besorgen muß. Dieser entfernte sich mit dem andern Doktor, und besprach sich mit ihm. Unter der Zeit wurde der Tisch gedeckt, und eine gute Mahlzeit aufgetragen, die ich mit Amalien verzehrte.
Den ganzen Tag mußte ich bei ihr aushalten. Auf den Abend wurde mir bänglich, weil ich nicht wußte, wie ich von ihr los kommen sollte. Der Doktor mochte aber wohl schon dafür gesorgt haben, denn da sie das Glas Wein, das ihr der Doktor bei dem Abendessen vorsetzte, ausgeleert hatte, legte sie ihren Kopf auf meine Schulter und – schlief ein. Der Doktor ließ darauf gleich ein Paar Mägde kommen, die sie auskleiden und in ihr Bett bringen mußten.
Mir wieß der Doktor auch ein Schlafzimmer an. Da ich hinein ging, fragte ich: wie steht es denn, lieber Herr Doktor! darf ich denn übermorgen wieder fort?
D. ( Die Achseln zuckend) freilich entlasse ich Ihn ungern, da es Ihm aber mein College versprochen hat, so muß Wort gehalten werden. Ich werde Ihn also nicht länger aufhalten.
H. Nun noch eins, Herr Doktor! Sie sehen selbst, was ich mir alles gefallen lassen muß. Dafür müssen Sie mir auch wieder eine Gefälligkeit erzeigen, und mich im Hause herum führen, und mit den Leuten bekannt machen, die hier eingesperrt sind.
D. Das soll geschehen. Morgen neun Uhr will ich Ihn abholen. Thue Er mir nur den Gefallen und gehe Er wieder zum Fräulein, so bald Er gerufen wird.
Nun legte ich mich nieder, und schlief ein, nachdem ich wohl noch eine Stunde gehustet hatte.
Es wurde Tag, ich stand auf, kleidete mich an, und wunderte mich, daß ich noch nicht gerufen wurde. Vermuthlich hatte die Reise das Fräulein so ermüdet, daß es dießmal länger als gewöhnlich schlief.
Nach sieben Uhr wurde ich gerufen. Sie war ruhiger als den Tag zuvor. Ich mußte mit ihr frühstücken. Um neun Uhr trat der Doktor herein, erkundigte sich nach ihrem Befinden, und sagte, daß die Arbeitsleute mich sprechen wollten, die das Visiten-Zimmer zurechte machten. Sie ließ mich gehen, nachdem ich ihr versprochen hatte, bald wieder zu kommen. Der Doktor folgte bald nach, nachdem er dem Fräulein ein Buch gegeben hatte, in welchem es unterdessen, bis ich wieder käme, lesen sollte.
Thun Sie mir nur die einzige Gefälligkeit, lieber Herr Doktor! sagte ich, und erklären Sie mir, wie es zugeht, daß so viele vernünftige Menschen ihre Vernunft verlieren, und Narren werden.
Er sah mich an, und antwortete, wenn Er Achtung geben will, so will ich es Ihm erklären.
H. Ich gebe gewiß Achtung, und möchte gar zu gern etwas lernen.
D. Einige Menschen werden verrückt, weil sie einen Fehler im Gehirn haben. Deren sind aber nur wenige. Die mehresten aber verlieren ihre Vernunft, weil sie nicht Herren über ihre Gedanken sind. Sie hängen ihr Herz an eine gewisse Sache, haben sie Tag und Nacht in Gedanken, stellen sie sich so lebhaft vor, als wenn sie wirklich da wäre, wenn das nun eine Zeit lang gedauert hat, so kommt es mit ihnen oft so weit, daß sie glauben, die Sache, die sie im Kopfe haben, wäre wirklich so da, wie sie sich dieselbe vorstellen. Sobald dieß geschieht – so ist die Narrheit eingetreten. So ist es dem guten Fräulein gegangen. Es hatte sein Herz an den Junker Clas gehängt. Er brachte die Nachricht, daß dieser wäre erstochen worden. Das mußte freilich sehr unangenehm sein. Statt daß es sich hätte Mühe geben sollen, den Gram zu besiegen, auf die Vorstellungen seiner Freunde hören, und bedenken, daß dieß Unglück Gottes Schickung sei, der es immer mit den Menschen gut macht; so wollte es von dem allen nichts hören, dachte an nichts, als an den Junker Clas, und so kam es mit ihm bald so weit, daß es den seligen Junker zu sehen glaubte Es sprach mit ihm. Jedes Papierchen, das es fand, hob es auf, druckte es an seine Brust, sagte, es wäre ein Brief vom Junker Clas, und las den Brief der Mutter vor. Da war die Narrheit schon da. Da sie Ihn erblickte, so brach die Narrheit völlig aus, weil es glaubte in Ihm den Bräutigam zu sehen.
Nun will ich Ihn nach und nach mit den Verrückten bekannt machen, die hier eingeschlossen sind. Hier in diesem Quartiere befinden sich Unglückliche, die die Religion zu Narren gemacht hat.
H. Die Religion? Wie ist das möglich?
D. Die eigentliche Religion wird Niemanden verrücken. Diese besteht darin, daß man Gott, als seinen Vater, durch ein frommes Leben zu ehren sucht. Es gibt aber Leute, die gewisse unbegreifliche Punkte in der Bibel begreifen wollen, und über diese Punkte immer grübeln. Diese sind in großer Gefahr überzuschnappen. Hier will ich Ihm ein Zimmer öffnen, in dem ein Mensch sitzt, der glaubt, er wäre Gottes Sohn.
Als sich die Thür aufthat, sah ich einen Menschen auf einem Stuhl sitzen, der sich von Goldpapier einen Kranz um den Kopf gemacht hatte, dergleichen den Heiligen um die Köpfe pflegt gemacht zu werden; in seiner Hand hielt er ein Stäbchen, das vermuthlich ein Zepter vorstellen sollte, Sobald er uns erblickte, rief er uns entgegen: gehet hin von mir, ihr Verfluchten! in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln.
Wir traten zurück und der Doktor verschloß die Thür.
Da die folgende Thür geöffnet wurde, kam der Mensch, der im Zimmer saß, mir gleich entgegen, und fragte: bist du bei meinem Nachbar gewesen? Da ich dieß bejahte, so lachte er laut auf und sagte: der Kerl glaubt er wäre Gottes Sohn. Wenn er Gottes Sohn wäre, so müßte ich ja auch etwas von ihm wissen, denn ich bin, ( indem er sehr ernsthaft wurde,) ich bin Gott der Vater.
Das Zimmer wurde sogleich verschlossen, und ein anderes geöffnet, in welchem wir eine Weibsperson sahen, die ihren Tisch wie einen Altar eingerichtet, ihren Kaffeetopf und ihre Mahlzeit vom vorigen Tage darauf gesetzt hatte, vor demselben kniete, und unaufhörlich sagte:
Du willst ein Opfer haben
Hier bring ich meine Gaben.
Diese Person, sagte der Doktor, nachdem er die Thür verschlossen hatte, glaubt, die Religion bestehe in Opfern. Alle Nahrungsmittel, die ihr gereicht werden, setzt sie auf ihren Altar, will sie dem lieben Gott opfern, und genießt nicht eher etwas davon, bis sie Hunger und Durst dazu zwingen. Wir müssen genau auf sie sehen, daß sie kein Feuer oder Feuerzeug bekömmt, weil sie darauf besteht, daß sie ihr Opfer anzünden will. Sie hat, da sie noch in Freiheit war, um ein Haar ihr eignes Haus angesteckt.
Nun kömmt ein anderes Quartier, in dem die Hochmuthsnarren eingesperrt sind. Diese Leute, statt zu arbeiten, haben nur immer nachgedacht, was es für eine hübsche Sache wäre, wenn sie große Herren und berühmte Leute wären, und haben sich mit diesen Gedanken so lange geschlagen, bis sie glaubten, das wirklich zu sein, was sie zu sein wünschten.
Hier ist die Residenz des persischen Königs Xerxes. Bei Eröffnung der Thür erblickte ich einen langen Kerl, der im Zimmer auf und nieder ging, mit den Händen focht, bisweilen mit dem Fuße stampfte, und da er uns gewahr wurde, auf uns zu ging und sagte: zum Teufel! sind denn meine Leute noch nicht angekommen?
Ich habe, sagte der Doktor, noch Niemanden gesehen, gab mir durch ein Zupfen am Rocke zu verstehen, daß ich mich entfernen sollte, und schloß die Thür zu.
Von hier kamen wir zu einem Menschen, der sich einbildete, er wäre ein Graf, und sich auf die Brust einen Stern von Goldpapier geheftet hatte.
Neben Ihm saß ein Gelehrter, der sich über und über mit Münzen behängt hatte, von welchen er vorgab, daß er sie vom Kaiser von Rußland, dem Könige von Preußen, dem deutschen Kaiser und andern großen Herren geschenkt bekommen hätte. Sein ganzer Tisch war mit gelehrten Zeitungen bedeckt, und eine davon hatte er auf die Brust geknüpft. Sobald er mich erblickte, knüpfte er sie ab, gab mir sie in die Hände, zeigte mit dem Finger auf eine Stelle, die er mit Bleistift unterstrichen hatte, und sagte: lesen Sie!
Ich las: »der Herr Magister Dompfaffe hat von Ihro Majestät der Kaiserin von Rußland, für seine eingesendete Schrift, über die Verbesserung der Schulen, eine goldene Medaille, fünfzig Rubel am Werthe, erhalten.«
H. Und dieser Herr Magister Dompfaffe sind wohl Sie?
D. Das wollte ich meinen. Sehen Sie! hier ist die Medaille, die das Erstaunen von ganz Europa erregt hat. Eine Medaille von der Kaiserin aller Reußen, in deren Reich man Europa viermal setzen könnte, das ist keine Kleinigkeit. Nach der Zeit haben die Fürsten Europa's sich beeifert, mich mit Ehrenbezeigungen zu überhäufen. Hier auf der rechten Seite trage ich die Medaillen, die ich von deutschen Fürsten erhielt, und auf der linken die Medaillen, die ich aus Italien bekam. Der halbe Mond, den ich an der Stirne habe, ist von Sr. Majestät dem türkischen Kaiser. Vom Kaiser in Japan wird nächstens auch etwas wichtiges eintreffen, worüber meine Feinde Maul und Nase aufsperren werden.
Wie kömmt es denn aber, Herr Magister! fragte der Doktor, daß die Zeitungen von allen diesen Ehrenbezeigungen nichts melden?
M. Die Zeitungsschreiber sind Spitzbuben, die ärgern sich über die Ehrenbezeigungen die ich von den Großen der Erde genieße, deßwegen melden sie nichts davon. Aber die Nachwelt! die Nachwelt, die wird richten.
Der Doktor machte ihm eine Verbeugung, und wir entfernten uns.
Aber, fragte ich, als die Thür verschlossen war, hat denn der Magister wirklich die Medaille von der russischen Kaiserin bekommen, wovon in der Zeitung stand?
D. Die hat er allerdings bekommen. Denn die Schrift, die er überschickte, war sehr gut ausgearbeitet, und überhaupt war der Magister Dompfaffe ein sehr geschickter Mann, von dem man sich viel versprach. Aber die Medaille, die er aus Rußland erhielt, machte ihn zum Narren. Er dachte nun an nichts, als an die Medaille, glaubte, daß ganz Europa davon spräche, und setzte sich in den Kopf, daß alle gekrönten Häupter an weiter nichts dächten, als an den Herrn Magister Dompfaffe.
Darüber ist er zum Narren geworden.
In diesem Quartiere sitzen die Argwöhnischen. Hier z. B., indem er die Thür öffnete.
Ich erblickte eine Figur in Weiberkleidern, die blos aus Haut und Knochen bestand. Auf ihrem Tische stand noch die Suppe, die sie zum Frühstück bekommen hatte. Habt Ihr denn, fragte der Doktor, einmal wieder nicht gegessen?
Sie schüttelte mit dem Kopfe, und sagte: Gift!
Die Unglückliche, fuhr der Doktor fort, ist auf die ganze Welt mißtrauisch, und genießt keinen Bissen eher, bis der bitterste Hunger sie dazu nöthigt, weil sie glaubt, daß man unter alle ihre Speisen Gift mische.
Jetzt kam der Geistliche, um alle diese armen Leute zu besuchen und zu belehren. Der Doktor sagte, daß er Dabei sein müsse, und sich also mit mir nicht weiter unterhalten könne. Er zeigte also nur noch auf das Quartier, in welchem sich die Wohnung des Fräuleins befand. Hier, sagte er, ist das Quartier für die Verliebten. Das ist immer am stärksten besetzt.
Da der Geistliche hörete, wer ich war, und daß das Fräulein ein Auge auf mich geworfen hätte, so mußte ich ihm alles, was mit dem Fräulein vorgefallen war, weitläufig erzählen.
Er seufzte und sagte: da haben wir wieder ein Exempel, daß auch der vernünftigste Mensch, wenn er nicht stets über seine Gedanken und Begierden wachet, vor Wahnsinn nicht sicher sei. Wenn die Menschen Vertrauen auf Gott hätten, an nichts in der Welt ihr Herz hingen, als an ihn, und mehr darnach strebten, auf dem Platze, wo Gott sie angestellt hat, ihre Schuldigkeit zu thun, als nach Ehre, Reichthum und dem Besitze einer gewissen Person, so würde der Wahnsinn immer seltener, und Jedermann würde mit seinem Zustande zufriedner werden.
Seltner, allerdings, antwortete der Doktor, ganz würde er aber doch nicht aufhören, weil manche Leute Fehler im Gehirne oder in den Eingeweiden haben, die es beinahe unmöglich machen, daß sie bei Vernunft bleiben können. Erinnern Sie sich noch des armen Blochers, der vor einem Vierteljahre in der Raserei starb? Da ich seinen Kopf öffnete, fand ich in dem Gehirn einen Wurm, wie einen Pfeifenstiel so dick. Wenn dieser im Gehirn wühlete, wie war es da möglich, daß der arme Mensch bei Vernunft bleiben konnte? Leute die viel und zusammengebückt sitzen, sind auch in großer Gefahr überzuschnappen. Es entstehen daraus Stockungen im Blute und den Eingeweiden, die solche Beängstigungen verursachen, daß dadurch leicht der Gebrauch der Vernunft verloren gehen kann. Solchen Leuten habe ich oft dadurch geholfen, daß ich sie dazu anhielt, sich täglich in freier Luft zu bewegen.
Jetzt ließen mich der geistliche und leibliche Arzt allein stehen, und ich hatte Zeit über das, was ich gesehen und gehöret hatte, nachzudenken. Ich war sehr traurig, wenn ich den betrübten Zustand der vielen, hier eingesperrten, Leute überlegte und bedachte, was der Mensch, bei aller seiner Vernunft, doch für ein armes Geschöpf sei, das so leicht um dieselbe kommen, und dann unverständiger, als ein Thier, werden kann. Unterdessen, dachte ich, es ist alles mein; auch dieß Narrenhaus ist mein. Ich habe hier viel gelernt. Nun und nimmermehr will ich einen Wahnsinnigen, wenn er auch noch so närrisches Zeug machen sollte, verspotten. Er ist ein Unglücklicher, und den Unglücklichen zu verspotten ist abscheulich.
Ich will auch immer gute Gedanken in meine Seele fassen, aller ängstlichen Grillen mich entschlagen, meine Schuldigkeit ferner thun, wie es einem ehrlichen Manne zukommt, und an nichts in der Welt, an kein Geld, keinen Freund, kein Mädchen, mein Herz hängen, so werde ich hoffentlich meine gesunde Vernunft behalten, und vom Wahnsinn frei bleiben, so wie ich mich von andern Dingen auch frei gemacht habe.
Den übrigen Theil des Tages mußte ich in Gesellschaft des Fräuleins zubringen, und, nach der Verordnung des Doktors, mit ihm einen Spaziergang in's Feld machen.
Als wir in einen Wald kamen, schien es, als wenn es eine Vernunft wieder erhielte. Es blieb einmal stehen, besah mich vom Kopf an bis auf die Füße und fragte bedenklich: du bist doch wohl wirklich mein Clas?
Diese Frage kam mir so unerwartet, daß ich nicht wußte, was ich darauf antworten sollte.
Wie kommst du, fragte ich, zu dieser Frage?
Fr. Ich weiß nicht, wie mir ist, du siehst doch ganz anders aus, als sonst.
J. Du hast mich ja selbst mehrmals versichert, daß ich dein Bräutigam sei.
Fr. Das wohl – aber was für einen albernen Rock hast du an?
J. Gestern gefiel ich dir noch in diesem Nocke.
Fr. Hm! diesen Rock hattest du gestern auch an?
J. Das versteht sich.
Jetzt faßte ich des Fräuleins Hand, und führte es wieder zurück, um sogleich dem Doctor von diesem Umstande Nachricht zu geben, damit er ihn vielleicht benutzen, und die Kranke von ihrem Irrthume befreien könnte. Kaum war ich aber eine Mandel Schritte gegangen, so kam der alte Wahnsinn wieder, sie fiel mir um den Hals, drückte mich heftig an ihre Brust, und sagte: du bist doch mein Clas.
Mir wurde angst und bange, da mich das Fräulein wieder seinen guten Clas nannte, und ich eilte, daß ich wieder in ihr Zimmer kam. Da war ich aber auch nicht viel gebessert, ich durfte nicht von ihrer Seite, und sie sagte mir so viel Süßes vor, daß ich muß blutroth geworden sein.
Gegen neun Uhr erst riß ich mich von ihr los, ging in mein Schlafzimmer, und nahm mir vor, den folgenden Tag mit dem Frühsten mich auf den Weg zu machen.
Wirklich war ich auf den Beinen, sobald der Tag grauete, und lief fort, ohne etwas zu genießen: weil ich besorgte, das Fräulein möchte aufwachen, und mich wieder zu sich einladen lassen.
Wie es sich den andern Tag, da ich nicht zu ihm kam, benommen habe, davon ist mir nichts bekannt geworden. So viel nur weiß ich, daß weder geistige noch leibliche Mittel etwas halfen, ihm seine Vernunft wieder zu verschaffen, und daß es ein Paar Jahre darnach vor Gram starb. Man wollte sogar sagen, daß es sich mit dem Halstuche erdrosselt hätte.
Da ich in Geißheim ankam, wußte ich selbst nicht was ich thun sollte. Gehst du nicht zur gnädigen Frau, dachte ich, und bringst ihr keine Nachricht, wie es mit ihrer Tochter steht, so wird es dir als Unhöflichkeit ausgelegt; gehst du aber hin, so hat es das Ansehen, als wenn du ein Geschenk haben wollest. Nachdem ich die Sache hin und her überlegt hatte, fand ich einen Mittelweg. Ich ging in den Schloßgarten, und suchte den Gärtner auf, den ich als einen feinen Mann hatte kennen lernen. Diesem trug ich auf, der gnädigen Frau zu sagen, wie es mit ihrer Tochter stehe, und mich zur Gnade zu empfehlen.
Will Er, fragte er mich, nicht selbst zur gnädigen Frau gehen?
Nein! sagte ich. Ich kann mich nicht lange aufhalten, und aufrichtig zu reden, so geh ich nicht gern zu vornehmen Leuten, wenn mein Beruf mich nicht dahin treibt.
Nun, sagte der Gärtner, so bleibe Er wenigstens bei mir, und genieße ein Frühstück.
Da mir der Magen ziemlich krumm hing, so ließ ich es mir nicht zweimal sagen. Er führte mich sogleich in eine Laube, wo ein Tischchen stand, das von seiner Tochter so reichlich besetzt wurde, daß noch vier Personen sich davon hätten satt essen können.
Kaum hatten wir uns gesetzt, so kam ein armer Mann, mit zitternden Händen, an einem Stabe geschlichen, nahm den Hut ab und sah den Gärtner an.
Dieser gab ihm sogleich ein Butterbrod, eine halbe Wurst, und überdieß noch einen Gulden. Ich zog meinen Beutel auch, und gab ihm vier Groschen.
Da er sich entfernt hatte, fragte ich, wer ist dieser arme Mann?
Der Gärtner stellte sich, als wenn er es nicht hörete, und fragte, wohin meine Reise ging?
Vor's erste, sagte ich, nach Baumhausen. Aber nun sage Er mir doch auch, wer dieser arme Mann ist?
G. Man spricht nicht gern davon – es ist mein Bruder.
H. Ist's möglich? Wodurch ist er denn in so klägliche Umstände gekommen?
G. Durch den Reichthum.
H. Das verstehe ich nicht.
G. Ich will es Ihm erklären. Reichthum ist gar eine feine Sache, wenn er Leuten in die Hände fällt, die Vernunft haben, und ihre Begierden beherrschen können. Man kann damit viele Freude sich machen, die andere Leute, die immer mit Kummer und Sorgen kämpfen, entbehren müssen, man kann damit auch vielen andern Leuten nützlich werden.
Solchen Leuten aber, die nicht Herr über ihre Begierden sind, ist der Reichthum so viel nütze, als einem Kinde ein spitziges Hölzchen. So ein Mann ist mein Bruder.
H. Wie ist er denn aber zu dem großen Reichthum gekommen?
G. Recht weiß ich es selbst nicht. In seiner Jugend hatte er zu allem mehr Lust, als zur Arbeit, und ging deßwegen zu Wasser nach Ostindien, weil er glaubte, daß dort den Leuten die gebratenen Tauben in's Maul flögen. Was er in Ostindien begonnen hat, das habe ich von ihm nie erfahren können. Genug, nachdem er eine Mandel Jahre weggewesen war, kam er als ein reicher Mann wieder, der, wie man bei uns zu sagen pflegt, Geld hatte wie Schlamm.
Ich rieth ihm, er sollte sein Geld anlegen, und sich ein Gütchen kaufen.
Ein Gütchen? sagte er: was sollte ich damit thun? Da müßte ich es verwalten, und mich in neue Sorgen stecken. Das lasse ich wohl bleiben. Ich habe mir es sauer genug in der Welt müssen werden lassen, nun will ich mir auch einen guten Tag machen.
Dieser gute Tag bestand nun darin, daß er nichts that, des Morgens bis um neun Uhr im Bette blieb, den Tag über gut aß und trank und mit liederlichen Weibsbildern sich abgab.
Da er diese Wirthschaft ein zehn Jahre getrieben hatte, so war das Geld alle, und es war ihm nichts mehr übrig, als ein siecher elender Körper, und gänzliches Unvermögen etwas nützliches zu arbeiten. Sein Elend ist also blos eine Folge von seinem Reichthume. Wäre er immer arm gewesen, so würde ihn der Hunger zur Arbeit gezwungen und die Dürftigkeit vor Unmäßigkeit und Ausschweifungen bewahret haben.
H. Nun wird Er ihn wohl ernähren müssen?
G. Das kann Er leicht denken.
H. Sind denn aber sonst keine Verwandten da, die sich seiner annehmen könnten?
G. Diese sind wohl da. Aber die mehresten haben selbst nichts übrig, und mein zweiter Bruder ist zwar sehr reich, aber er leidet die bitterste Noth.
H. Den wird wohl der Geiz plagen?
G. Dieser plagt ihn allerdings. Er ging auch zu Wasser, aber nach Westindien, und kam von da auch als ein reicher Mann zurück. Er brachte aber eine böse Wurzel mit – den Geiz. Dieser besitzt den armen Mann, wie sonst der leidige Teufel die Menschen besessen haben soll. Vom Morgen bis zum Abend zählt er Geld, borgt auf Pfänder gegen acht Procent, liegt bei seinem Gelde wie ein Kettenhund, wagt sich nicht von ihm zu entfernen, aus Furcht er möchte bestohlen werden, und wenn alle arme Tagelöhner ruhig schlafen, so schleicht er im Hause herum und untersucht, ob die Thüren auch wohl verschlossen sind.
Dabei getrauet er sich keinen Groschen auszugeben. Seit er aus Westindien gekommen ist, hat er sich noch keinen neuen Faden angeschafft, und flickt Rock und Hosen selbst. Kochen thut er nur Sonntags, und Bier trinkt er nicht eher, als bis er zu mir kommt. Da trinkt er so viel, daß er auf zwei Tage satt hat. Daß ein solcher Mensch, der nicht im Stande ist, an sich selbst etwas zu wenden, auch den Armen nichts geben werde, kann Er leicht denken.
Indem wir so mit einander sprachen, erblickte ich am Ende des Gartens einen Menschen, in Bettlerkleidern, der in einer Ecke herumsuchte. Was macht denn dieser dort? Fragte ich.
G. Das ist eben dieser reiche Bruder. Ich habe heute von etlichen Beeten die Krautsstrunke ausraufen und dort zusammenschütten lassen, da wird er nun die Besten heraussuchen, und sich daraus eine Mahlzeit bereiten.
H. O lasse Er ihn doch herbei kommen.
G. Das kann ich wohl. He! Bruder Franz! Willst du nicht mit mir frühstücken?
Wenn du es mir erlaubst, war seine Antwort.
Nun kam er herbei und verschlang fast alles, was noch auf dem Tische war, mit solcher Begierde, als wenn er in zwei Tagen nichts zu essen bekommen hätte. Am Ende nahm er die noch übrige Wurst, lobte sie, daß sie so vortrefflich wäre, und bat um die Erlaubniß, sie zu sich stecken zu dürfen, die er auch ohne Weigerung erhielt.
Als er fort war, sprachen wir noch ein langes und breites über die beiden Brüder, und ich sagte, wenn der Reiche nicht gesund wäre, so würde ich mir nicht zu sagen getrauen, welcher von den beiden Brüdern der elendeste sei.
Mit der Gesundheit, sagte der Gärtner, wird es auch nicht lange währen. Da ihm sein Geiz nicht erlaubt, seinem Leibe die nöthige Nahrung, Wartung und Pflege zu geben, so wird er von Tage zu Tage kraftloser und baufälliger. Sah Er nicht, wie er so gebückt schlich, wie ihm die Arme und Schenkel zitterten? Gleichwohl ist er sechs Jahre jünger als ich. Nun sehe Er dagegen mich an! Bin ich gegen ihn nicht ein Jüngling?
Er wollte weiter reden, aber ich konnte ihn nicht länger anhören, weil ich gern noch diesen Tag nach Baumhausen wollte. Er redete mir zwar zu, daß ich der gnädigen Frau meine Aufwartung machen sollte, ich ließ mich aber nicht halten, und ging mit frohem Herzen fort, weil ich wußte, daß ich, durch meine schleunige Abreise, den Verdacht von mir entfernt hatte, als wenn ich, um Gewinnstes willen, mich zum Bräutigam des gnädigen Fräuleins hätte machen lassen.
In Baumhausen kam ich ziemlich müde an, und würde mich, nach genossener Mahlzeit, sogleich zur Ruhe gelegt haben, wenn nicht ein Gespräch von ein Paar Fremden, davon der eine Rothwurst, und der andere Leberwurst hieß, mich noch einige Zeit munter erhalten hätte.
Sag mir nur um des Himmels willen, fragte Leberwurst, wie es zugeht, daß es in deinem Lande jetzt so schlecht steht? Sonst, wann ich durchreiste, glaubte ich im gelobten Lande zu sein. Die Aecker standen so voll Getreide, daß mir das Herz im Leibe lachte, Handel und Wandel blühete, in jedem Wochenblatte wurden Kapitale zum Verleihen ausgeboten. Jetzt! Du barmherziger Gott! Da guckt ja der Hunger aus allen Ecken heraus. Auf den mehresten Aeckern kann man die Halme zählen, bei den Ackerpferden stehen die Hüften heraus, daß man den Hut daran hängen könnte. Die Leute haben weder Muth noch Blut, sie schleichen umher, wie wenn ihnen die Hühner das Brod genommen hätten. Wie geht denn das zu?
R. Am Boden liegt es nicht, der ist noch der nämliche, wie vor zwanzig Jahren, und an den Leuten liegt es auch nicht.
L. Woran denn sonst?
R. Ich hatte einen Bruder, der war sonst so gesund und stark, daß man seine Freude an ihm sahe. Sein Nachbar, ein Barbierer, bat ihn zu Gevatter, und beredete ihn, daß er fleißig schröpfen sollte, um gesund zu bleiben. Er folgte und schröpfte, und ließ sich alle Wochen ein Paarmal Schröpfköpfe am ganzen Leibe setzen. Nun schleicht er an den Wänden herum, wie ein Gespenst, und ist so gelb wie eine Citrone, wie gebt denn das zu?
L. Daran ist wahrscheinlich das viele Schröpfen Schuld.
R. Das mag wohl sein. Und das Schröpfen! das Schröpfen! Das hat auch unser Land so herunter gebracht.
L. Wer hat denn das Land so geschröpft?
R. Der Herr, der seit zehn Jahren das Land an sich gebracht hat. Dieser hat allenthalben so viele Schröpfköpfe angesetzt, daß sie Mark und Blut aussaugen.
L. Wie heißen denn die Schröpfköpfe?
R. Die haben so vielerlei Namen, daß ein gutes Gedächtniß dazu gehört, wenn man sie alle behalten will. Der Hauptschröpfkopf sind die unermeßlichen Abgaben, die er eingeführt hat. Auf die Grundstücke müssen wir fünfmal mehr zahlen, als unsere Vorfahren. Dabei ist es aber nicht geblieben. Von allem was wir erzeugen, kaufen, verkaufen, essen und trinken, müssen wir abgeben. Zeither schafften wir uns noch eine Hülfe durch die Baumpflanzungen und Bienenzucht; dies Jahr sind auch Abgaben darauf gelegt worden. Von jedem Obstbaume muß jährlich ein Groschen, von jedem Bienenstocke müssen vier Groschen entrichtet werden. Nun gibt es, wie bekannt, Jahre, da die Obstbäume und die Bienen gar nichts eintragen; die Abgaben müssen wir aber doch entrichten.
Ein anderer Schröpfkopf sind die Frohndienste, die neuerlich sind eingeführt worden. Wann der Unterthan sein Land bearbeiten, sein Heu oder seinen Weizen einführen will, so wird er zu Baufuhren geboten. Unterdessen wird der Acker hart, das Heu verdirbt und der Weizen wächst aus. Der dritte Schröpfkopf ist das Lotto, das vor kurzem aufgekommen ist. Dieß macht die Unterthanen vollends zu Bettlern.
Man macht den Leuten das Maul wässerig mit Ternen und Quaternen, womit sie ohne Mühe mehrere tausend Thaler bekommen könnten. Da sie sehen, daß sie mit ihrem Fleiße nichts vor sich bringen können, so wollen sie sich mit dem Lottospiele helfen.
L. Das ist der Weg zum Zuchthause.
R. Das ist er wirklich. Nun scharrt das unverständige Volk alle Sechser und Groschen zusammen, die es aufbringen kann, und trägt es in das Lotto. Wenn nun zu Verbesserung des Ackers, der Viehzucht, zur Ausbesserung der Häuser u. dgl. eine Ausgabe soll gemacht werden, so hat es keinen Heller Geld in den Händen. Daher verwildert das Land, die Viehzucht wird immer schlechter, die Häuser fallen nach und nach ein, und die Kleider zerreissen, so daß man allenthalben Leute mit Lumpen bekleidet gehen sieht.
L. Nun begreife ich alles. Aber ich habe doch immer gehört, daß zum Schröpfen immer zwei Leute gehören, einer, der die Schröpfköpfe ansetze, und ein anderer, der sie sich ansetzen ließe.
R. Ich verstehe, was du damit sagen willst. Du meinst, wir hätten uns die Schröpfköpfe nicht sollen ansetzen lassen, hätten deßwegen Vorstellungen thun, und wenn dieses nichts geholfen hätte, uns an das Kammergericht wenden sollen.
L. So meine ich es.
R. Dazu gehören aber wieder zweierlei Leute, solche, denen die Vorstellung gethan wird, und wieder andere, die sie thun. Die letzten fehlen uns.
H. Sonst war der Rath der Reichsstadt, welcher das Ländchen gehörte, die höchste Obrigkeit; konnte denn dieser nicht das Maul aufthun? hatte er denn Brei im Maule?
R. Allerdings, jedem Rathsherrn wurde ein tüchtiger Löffel voll Brei in's Maul gestrichen.
L. Wie verstehst du das?
R. Das will ich dir sagen. Unser neuer Herr ist ein Spitzkopf. Da er das Ländchen bekam, so machte er sich sogleich mit den Rathsherren bekannt, und merkte bald, von was für einer Begierde jeder beherrscht würde. Bei dieser griff er jeden an, und brachte sie dahin, daß keiner das Maul aufthat, wenn er dem Volke neue Lasten aufbürdete.
L. Da bin ich doch kurios zu wissen, wie er das angefangen hat.
R. Das will ich dir sagen. Zuerst suchte er den Rathsmeister auf seine Seite zu bringen. Dieser hatte die hübschen Mädchen gern, und mit einem hübschen Mädchen hätte man ihn durch die halbe Welt locken können.
Der neue Herr hatte ein bildschönes Kammermädchen, auf welches der Rathsmeister Jagd machte. Kaum bemerkte es der Herr, so schanzte er es ihm zu, und instruirte es, wie es den Rathsmeister behandeln sollte. Dieß Mädchen warf ihm bald den Kappzaum über, und dressirte ihn so, wie es der Herr haben wollte. Wenn nun eine neue Last sollte aufgelegt werden, und er dagegen sprechen wollte, so strich ihm das Mädchen den Bart, und brachte ihn dahin, daß er zu allem Ja sagte, und die ungerechtesten Verordnungen befördern half.
Der ältere Bürgermeister murrete darüber, und sagte, es wäre schändlich, daß ein Mann, in dessen Hand das Wohl der Stadt und des Landes gelegt wäre, seine Pflicht so schleckt erfülle. Mich soll der Herr nicht fangen, und wenn er mir die größte Schönheit in Europa zuschanzen wollte.
Aber der gute Mann hatte einen andern Götzen, dem er diente, dieß war die Geldbegierde. Der Herr hatte es gemerkt, bat ihn zur Tafel, und bei dem Abschiede druckte er ihm, zum Beweise seiner Gnade, zwanzig Stück neugeprägte Louisd'or in die Hände. Nun war er gleich umgestimmt und versicherte, daß er diese Gnade nie vergessen und dem gnädigen Herrn in allem zu Willen sein wollte. Da ihm nun der Herr sogar versprach, daß er von alle dem, was er vom Lande erpreßte, seinen Antheil haben sollte, so konnte der Herr, auch bei den größten Ungerechtigkeiten, sich auf seinen Beistand sicher verlassen. Dieser Mann ist nun der ärgste Blutigel. Er läßt es nicht dabei bewenden, daß er die Ungerechtigkeiten seines Herrn befördert, sondern er ersinnt selbst immer neue Mittel, das Land auszusaugen. Das verfluchte Lotto, das ist durch ihn eingeführt worden. Er bekommt aber auch von dem eingehenden Gewinne seine Procente.
Den jungen Bürgermeister konnte man nun weder beschuldigen, daß er die Mädchen lieb gehabt, noch sein Herz an das Geld gehängt hätte. Er war zufrieden, wenn er nur immer etwas Gutes zu essen und zu trinken hatte. Tractirte man ihn, oder schickte man ihm einen Rehrücken und etliche Flaschen Wein, so war er der gefälligste Mann von der Welt, und diente von Herzen gern, nicht nur in gerechten, sondern auch in ungerechten Sachen.
Dieser Rathsherr wurde bald auch zahm gemacht. Wenn der Herr etwas Ungerechtes verordnen wollte, so zog er ihn zur Tafel, fütterte ihn mit Torten und Pasteten, und tränkte ihn aus seinem Weinkeller, schickte ihm auch wohl Sardellen, Austern, Wildbret, alten Rhein- oder Mallagawein zu. Dadurch wurde er so gut dressirt, daß er jetzt einer seiner unterthänigsten Diener ist. Sobald der Herr mit einem neuen Einfalle herausrückt, so macht er einen Scharrfuß und spricht: Ew. haben nur zu befehlen.
Nun war noch der Stadtkämmerer übrig, der für des Landes Beste sprach. Wirklich setzte er sich einigemal gegen unrechte Forderungen, die an das Land gemacht wurden. Mehremale sagte er: und wenn alle meine Collegen zu Landesverräthern werden, so werde ich es doch nicht. Eher will ich mir den Kopf vor die Füße legen lassen, ehe mit meiner Einwilligung dem Lande neue Lasten aufgelegt werden sollen.
Nun ist ihm zwar der Kopf nicht vor die Füße gelegt worden, aber doch gibt er zur Auflegung neuer Lasten seine Einwilligung, und hilft die Leute mit unterdrücken, die sie sich nicht auflegen lassen wollen.
L. Wie ist denn dieser gefangen worden?
R. Durch den Hochmuth. Sein Herr merkte bald, Daß seine Vaterlandsliebe, sein Eifer für des Landes Beste, bloß vom Hochmuth herrühre, und daß er bloß deßwegen so laut spreche, daß er dadurch ein großes Ansehen sich erwerben wolle. Was hatte der Herr zu thun? Er ließ ihn zu sich kommen, lobte seinen Eifer und sagte, daß ein so edel denkender Mann verdiene ein Edelmann zu sein. Wenn er den Eifer, den er zeither für's Land gezeigt hätte, ihm widmen wolle, so wäre es ihm etwas leichtes, ihm einen Adelsbrief bei dem Kaiser auszuwirken.
Sogleich fuhr ein anderer Geist in diesen Mann, so laut er bisher für das Land gesprochen hatte, so laut sprach er nun für die Ungerechtigkeiten seines Herrn, und schalt alle diejenigen Rebellen und Ruhestörer, die sich dieselben nicht wollten gefallen lassen.
Kein Mensch konnte erklären, woher diese Veränderung gekommen wäre, bis er es bekannt machte, daß er in den Adelstand erhoben, und aus dem Herrn Stadtkämmerer Dintenfaß ein Herr von Dintenfaß geworden sei.
Siehst du! so ist unser Land an den Bettelstab gekommen. Da unsre Obrigkeit sich von ihren Begierden beherrschen ließ, so war sie unfähig zu regieren, und ließ sich alle Lasten aufbürden, die man ihr aufbürden wollte.
Ein Fremder, der einmal durch unser Land reiste, sagte: wer seiner Begierden Sklave ist, kann nie frei werden, er muß sich immer dem Drucke anderer unterwerfen.
Und nun Alter! ist meine Pfeife und meine Erzählung aus; ich dächte wir gingen zu Bette.
Sie gingen, und ich auch, jene in's Bette, und ich auf die Streue.
Hier konnte ich nicht gleich einschlafen, weil die Erzählung des Herrn Rothwurst mich zu sehr beunruhigte. Daß die Leute, die sich von ihren Begierden beherrschen lassen, selbst höchst unglücklich sind, hatte ich zwar schon gewußt; aber noch niemals hatte ich es so recht bedacht, wie unglücklich sie andere machten, als jetzt, da ich die Erzählung des Rothwurst mit angehört hatte.
Den folgenden Tag ging ich noch einmal zu Jeremiesens Vater. Er war freundlicher, als das letztemal. Sobald er mich sahe, fragte er mich. Wie geht's meinem Sohne?
H. Nicht zum Besten!
V. Wie so?
H. Wie kann es denn einem Sohne wohlgehen, der dem Vater nicht unter die Augen kommen darf?
V. Ich habe ihn nicht verstoßen; er ist selbst von mir gegangen. Mein Haus steht ihm offen, sobald er kommt.
H. Auch mit der Frau?
V. Auch mit einer Frau. Nur die Rosine darf er mir nicht über die Schwelle bringen, von dieser will ich nichts wissen noch hören.
H. Es kann ihr aber doch im ganzen Dorfe Niemand etwas Uebels nachreden.
B. Und wenn auch, so ist sie doch ein nackendes Mädchen, das keine zehn Gülden mitbringt.
H. Je nun, so bekommt Sein Sohn desto mehr mit.
V. So? So soll ich mein Vermögen mit einem nackenden Mädchen theilen?
H. Ich habe das Mädchen gesehen, es war nicht nackend, sondern hübsch gekleidet. Woher hat es denn diese Kleider bekommen?
V. Das hat es mir nicht auf die Nase gebunden.
H. So will ich es Ihm drauf binden. Durch seinen Fleiß hat es sich gekleidet, und durch Ordnung und Reinlichkeit seine Kleidung erhalten. Ein Mädchen das fleißig, reinlich und ordentlich ist, nehme Er es mir nicht übel! das ist nicht nackend. Ich habe manches Mädchen gekannt, das viel Geld und viele Kleider von den Eltern bekam, das aber durch seine Nachlässigkeit und Liederlichkeit alles verlor und am Ende halb nackend gehen mußte. Dieß ist der Fall nicht bei Mädchen, die Fleiß, Ordnung und Reinlichkeit lieben. Können sie auch kein Gold und Silber auf den Mützen tragen, so ist doch ihr Anzug immer ganz und reinlich.
V. Es gibt der Mädchen noch genug im Dorfe, die auch fleißig, ordentlich und reinlich sind; warum will er denn eben auf der Rosine bestehen?
H. Weil er nun einmal sie liebt, und ihr sein Wort gegeben hat. Wenn Er wüßte, wie weit es mit Seinem Sohne gekommen wäre, so würde Er sich nicht einen Augenblick besinnen, ihm zu seiner Heirath Seine Einwilligung, zu geben.
V. Wie weit ist es denn mit ihm gekommen?
H. So weit, daß er sich henken wollte.
V. Reitet ihn denn der Guckguck? Henken wollte er sich? Wenn der Spitzbube mir die Schande machte, in seinem Leben dürfte er mir nicht wieder vor die Augen kommen.
H. Das würde er auch wohl nicht thun, wenn er sich einmal gehängt hätte.
V. Woher weiß Er denn aber, daß er sich henken wollte?
H. Daher weiß ich es, weil ich es mit diesen beiden Augen gesehen habe. Hätte mich der liebe Gott nicht herbei geführet, da er sich eben die Schlinge um den Hals werfen wollte, hätte ich ihm den Strick nicht aus der Hand gerissen, und ihn von der schändlichen That abgehalten, so wäre er jetzt gestorben, begraben, wahrscheinlich auch niedergefahren zur Höllen.
V. Je daß Gott im Himmel erbarme! Was für eine Schande wäre das für meine Familie! Ich danke Ihm tausendmal, daß Er sich meines Jeremiesens angenommen, und ihn zurück gehalten hat, daß er nicht dem Teufel in den Rachen gefahren ist.
H. Ich habe weiter nichts gethan, als was Christenpflicht ist. Aber da sieht Er, was dabei herauskömmt, wenn ein Vater gar zu strenge gegen seine Kinder ist. Wäre Rosine ein schlechtes, liederliches Weibsbild, so hätte Er freilich recht, wenn Er darauf bestände, daß sie Sein Jeremies nicht nehmen dürfe. Da sie aber bei Jung und Alt ein gutes Lob hat, und Er keinen Fehler an ihr weiß, als daß sie arm ist, so kann Er es vor Gott nicht verantworten, daß Er zu dieser Heirath Seine Einwilligung nicht geben will. Wenn es nun künftig in Seiner Haushaltung rückwärts geht, wenn Gottes Segen von Ihm weicht, so kann Er nur immer denken, das habe ich an meinem Sohne Jeremies verdient.
V. Ach! wenn es nun nicht anders sein kann, so will ich die Sache mit meiner Frau überlegen.
H. Ehe Er die Ueberlegung anfängt, so muß ich Ihm noch etwas sagen.
V. Was denn da?
H. Er ist auch schon Großvater.
V. Ich? Großvater? Vor tausend Guckguck wie käme ich denn dazu? Ich will doch nicht hoffen daß sich Jeremies den Henker hat reiten lassen, daß er –
H. Ob ihn der Henker geritten hat oder nicht, das weiß ich nicht. Das aber weiß ich, daß Rosine ein Kind von ihm hat, einen recht artigen Jungen, der in der heiligen Taufe, den Namen Christöphelchen bekommen hat.
V. Nein, das ist zu arg!
H. Freilich ist es zu arg, und ich kann es gar nicht billigen. Was ist aber bei der Sache zu thun, da sie nun einmal geschehen ist?
V. Das ist eine ewige Schande für meine Familie.
H. Ehre ist freilich nicht dabei. Da nun aber die Sache einmal geschehen ist, so fragt es sich, ob es größere Schande sei, das unschuldige Kind zu verstoßen, oder es zu ernähren und zu erziehen.
V. Ei was da, ich erziehe kein Hurkind.
H. Das soll Er ja auch nicht. Er soll nur das arme Kind durch seine Eltern erziehen lassen.
V. Daraus wird nichts.
H. Nur nicht zu hitzig. Wer ist denn daran Schuld, daß der alberne Streich passirt ist? Hat Ihn Sein Sohn nicht hundertmal gebeten, daß Er ihm erlauben möchte, die Rosine zu heirathen? Hätte Er ihm die Erlaubniß ertheilt, so wäre Er jetzt Großvater in Zucht und Ehren, so aber, da Er ein Herz hatte wie ein Stein, und sich durch nichts erweichen ließ –
V. Ein Wort so gut als zehn – daraus wird nichts. Was würden die Leute dazu sagen?
H. Ei! was Leute hin, was Leute her! Ein rechtschaffner Mann fragt nicht, wenn er etwas thun will, was werden die Leute dazu sagen; sondern, was wird mein Gewissen dazu sagen? Wenn die Leute eine zeitlang gesagt haben, so hören sie auf; aber das Gewissen – das spricht immer fort. Es kommt auch einmal die Zeit, da man nichts von alle dem hören wird, was die Leute sagen, wo aber das Gewissen laut spricht.
V. Wo denn?
H. Auf dem Todtenbette, Herr Leder! Herr Leder! Denke Er einmal daran, wie Ihm zu Muthe sein wird, wenn es einmal an ein Scheiden geht, und wenn Sein Gewissen Ihm sagt, daß Er ein so unschuldiges Kind, das doch auch Sein Fleisch und Blut ist, das Er hätte erhalten können, hat verderben lassen! Denke Er einmal daran, was Er antworten will, wenn der liebe Gott Ihn fragen wird: wie hast du denn deine Pflichten gegen das Kind deines Sohnes erfüllt? Wenn das Kind Ihm wohl gar unter die Augen gestellt würde?
V. Er hätte einen guten Pfarrer abgegeben.
H. Um dieß einzusehen braucht man eben kein Pfarrer zu sein. Das lehrt ja die gesunde Vernunft, daß man ein unschuldiges Kind, wegen der Fehler seiner Eltern, nicht verstoßen darf, und daß der, der so etwas thut, sich vor Gott und seinem Gewissen schwere Verantwortung zuzieht.
V. Und wenn ich meinen Sohn mit sammt seiner Hure und seinem Kinde aufnehmen wollte, so weiß ich schon, meine Frau gibt ihre Einwilligung nicht dazu.
H. Wer ist denn Herr im Hause?
V. Wer?
H. Ja doch wer?
V. Je nun ich! Aber wie es halt so ist, ohne meiner Frau ihrer Einwilligung darf ich nichts thun.
H. Daß ein vernünftiger Mann sich nach dem Willen seiner Frau richtet, das ist nicht mehr als billig; wenn aber der Mann etwas thun will, was er für seine Pflicht und Schuldigkeit hält, und die Frau will es nicht zugeben, so muß er sich heraussetzen, und sein Recht als Mann zu behaupten wissen.
V. Seit wie lange hat Er denn eine Frau?
H. Ich bin noch unverheirathet.
V. Das merke ich wohl. Er kennt also die Weiber noch nicht, und spricht wie der Blinde von der Farbe. Er wird wohl hören, wie sich meine Frau geberden wird, wenn ich ihr die Sache vortrage.
Jetzt rief er zur Thür hinaus, daß seine Frau hereinkommen möchte. Sie kam.
Christine! sagte er, hier ist ein Fremder, der uns von unserem Jeremies Nachricht bringt.
Fr. Von Jeremiesen? Es ist einmal Zeit, daß er wieder etwas von sich hören läßt. Wo hält sich denn der Strauchdieb auf?
H. Das weiß ich selbst nicht recht, er hat mir nur aufgetragen, seinen Vater und seine Mutter zu grüßen, und mich zu erkundigen, ob er wieder kommen dürfe?
Fr. Das ist ja eine närrische Frage. Haben wir ihn doch nicht gehen heißen. Sag Er ihm, er könne morgen wieder kommen, es sollte alles vergessen und vergeben sein.
H. Das ist brav. Da werde ich große Freude anrichten, wenn ich ihm dieß sage; denn Sie kann gar nicht glauben, wie lieb er seinen Vater und seine Mutter hat.
Fr. Er hat es auch Ursache; wir haben Gutes genug an ihm gethan.
H. Das erkennt er auch. Es ist nur noch so ein kleiner Umstand dabei –
Fr. Was denn für ein Umstand? Der Umstand heißt doch nicht Rosine?
H. Gerade so heißt er.
Fr. Sag Er nur, wenn er von dem Bettelmensche nicht ließe, so sollte er mir nicht über die Schwelle kommen: er soll hingehen wo der Pfeffer wächst.
H. Das wäre sehr weit. Da müßte er ja über das Wasser, und wie leicht könnte er da ersaufen.
Fr. Wenn er es nicht besser haben will, so kann ich ihm nicht helfen.
V. Aber liebe Frau! Laß uns doch die Sache vernünftig überlegen – es ist doch unser Fleisch und Blut, und die Rosine ist immer so ein gutes Mädchen gewesen, daß sie im ganzen Dorfe ein gutes Lob hatte.
Fr. Ein gutes Lob, das ist auch etwas Rechtes. Vom guten Lobe kann er keinen Wasserbrei kochen.
V. Wenn auch das Mädchen arm ist – je nu so haben wir ja noch so viel –
Fr. Wir? Thu nur nicht so batzig, und sprich wir! was hast du denn? gewiß die drei Viertel Acker hinter dem Galgenberge? das ist dein Reichthum, den du mitgebracht hast. Das Uebrige gehört alles mir. Ich habe dich zum Manne gemacht, und daß du es weißt, du hast in solche Sachen gar nicht zu reden. Das ist meine Sache.
V. Liebe Frau, es ist eine Gewissenssache.
Fr. Gut! überlasse die Sache meinem Gewissen! mein Gewissen sagt mir aber, daß ich mein Erbtheil erhalten muß, und es nicht mit Bettelleuten theilen darf.
V. Frau! ich sage dir es, es ist eine Gewissenssache. Jeremies hat der Rosine die Ehe versprochen, und er soll und muß sein Wort halten. Ich gebe meine Einwilligung dazu, und du – wenn du es nicht thust, so werde ich mein Recht brauchen, das mir als Mann zukömmt.
Fr. Guckt einmal an den Valentin Leder da? was sich dieser auf einmal für eine Gurke herausnimmt: Du willst dein Recht brauchen? Was denn für eins? du hast ja gar kein Recht. Haus, Hof und Acker, alles gehört ja mir. Wenn du noch einmal solche dumme Reden führst, so werde ich mein Recht brauchen, weißt du es? zur Thüre werde ich dich hinausschmeißen! da kannst du mit deinem Jeremiese gehen, so weit euch eure Beine tragen. Ich möchte nur wissen, wer dir so dummes Zeug in den Kopf gesetzt hätte. Ganz gewiß der Bursche da. Hör Er, wenn Er hier weiter nichts thun will, so kann Er reisen. Und gleich treff Er das Loch, oder ich will Ihm zeigen, mit wem Er es zu thun hat.
Wenn die Sache sich so verhält, antwortete ich, so habe ich freilich weiter hier nichts zu thun. Ich habe es mit Ihr und Ihrem Sohne gut gemeint, und bin deßwegen hierher gegangen. Wenn Sie nun schlechterdings keinen guten Rath annehmen will, so scheide ich von der Sache. Lebe Sie wohl!
So ging ich denn fort, und Jeremiesens Vater schlich mit. Als er vor die Thür kam, sagte er mir: ich muß Ihm doch das Geleite geben.
H. Das ist mir lieb. Aber Herr Leder! Herr Leder! wie es mir scheint, so hat Seine Frau die Hosen an.
V. Leider Gottes!
H. Warum hat Er sie ihr denn aber gegeben?
V. Der Henker hätte sie behalten mögen, bei einem solchen Teufel von Weibe.
H. Es haben ja andere Männer auch Weiber, die auch eben nicht zu den guten Engeln gehören, und doch thun müssen, was die Männer haben wollen. Wie es mir scheint, so hat Er Seine Frau blos um des Geldes wegen genommen.
V. Leider! ( sich am Kopfe kratzend) hätte ich das Mädchen genommen, das ich lieb hatte – jetzt wollte ich ein anderer Mann sein. Freilich konnten ihr die Eltern nicht mehr als funfzig Gülden mitgeben, und deßwegen beredeten mich meine Eltern, daß ich die Christine nehmen mußte. Bei dem Clärchen würde ich aber auch keine Noth gelitten haben, und ich wäre doch jetzt Herr im Hause.
H. Aber um des Himmels willen! da Er nun aus Erfahrung weiß, was dabei herauskommt, wenn man bei der Heirath blos auf das Geld sieht, wie kann Er denn Seinem Sohne die Einwilligung versagen, wenn er nach seiner Neigung heirathen will?
V. Habe ich es Ihm doch gesagt, daß von meiner Seite ihm kein Hinderniß gemacht werden soll; aber meine Frau – die werde ich nimmermehr dazu bringen, daß sie ihre Einwilligung gibt.
H. Gut! Herr Leder! ich halte Ihn bei seinem Worte! Ich verlange weiter keine Einwilligung als die Seinige. Gebe Er mir sie schriftlich, so ist die Sache abgethan. Sein Sohn läßt sich dann mit seinem Mädchen copuliren, und bleibt auswärts, ohne Ihm mit seiner Frau und seinem Kinde beschwerlich zu fallen.
V. Das ist wohl alles gut, aber wie kann ich denn etwas schriftliches von mir geben? Ich habe ja weder Feder, noch Dinte, noch Papier.
H. Da haben es andere Leute. Hat Er hier nicht einen guten Freund, bei dem Er den Aufsatz machen kann?
V. Den hätte ich ja wohl. Ich könnte zu meinem Gevatter, dem Schulmeister gehen.
H. So laß Er uns gehen!
Wir gingen wirklich, und Leder gab es schriftlich von sich, daß er zu der ehlichen Verbindung seines Sohnes mit Rosinen seine Einwilligung gebe. Mit dieser Einwilligung ging ich fort. Weil ich mich aber wegen dieser Geschichte lange aufgehalten hatte, so kam ich etwas spät in Baumleben an.
Eigentlich hätte ich hier nicht brauchen anzukommen, ich hätte Baumleben rechts liegen lassen und diesen Tag noch eine halbe Stunde weiter gehen können. Es war aber, wie wenn mich etwas dahin zöge, und ich ließ mich ziehen.
Da es aber schon spät war, so ließ ich mich nicht weiter ziehen, sondern kehrte im Wirthshause ein.
Hier saß eine Gesellschaft Fremder um den Tisch herum. Ich bot ihnen einen guten Abend; sie hörten aber nicht. Da sie nicht mit einander sprachen, so glaubte ich, sie wären taub, und ließ sie sitzen.
Bisweilen hörte ich aber doch einen Fluch. Einer rief Sackerment! der andere schwere Noth! der dritte in's Teufelsnamen! bisweilen stampfte einer mit dem Fuße.
Der Wirth kam und fragte sie: meine Herren! ist es gefällig zu speisen? Keine Antwort. Er fragte noch einmal – scher Er sich zum Teufel! das war die ganze Antwort, die er erhielt.
Eine artige junge Frau saß in der Ecke und trocknete die Augen, sah immer ängstlich nach der Gesellschaft hin, und trat endlich hinter den einen Mann, klopfte ihn sanft auf die Schultern und sagte: lieber Mann! gehen wir nicht bald? Du weißt ja, daß ich zu Hause ein kleines Kind habe.
Sackerment! sagte er, laß mich mit Frieden! wenn du nicht warten willst, so schier dich zum Teufel!
Die Frau schrie laut auf und ging zur Thüre hinaus.
Die Weiberthränen müssen eine besondere Kraft haben. Sie machten mir das Herz so weich, daß ich mich nicht länger halten konnte, und ihr nachgehen mußte.
Als ich in's Haus kam, hatte sie sich in einen Winkel gelehnt und rang die Hände.
Ich trat zu ihr, und fragte, liebe Frau! was fehlt Ihnen denn?
Fr. Ach das Unglück!
H. Ich habe wohl gesehen, daß Sie Ihren Mann riefen, um mit Ihnen nach Hause zu gehen, und daß dieser Sie heftig anfuhr. Was thut er denn nur mit den andern, die bei ihm am Tische sitzen?
Fr. Er spielt!
H. Sonst spielt man, um sich ein Vergnügen zu machen. Diese Leute sind ja alle so verwirrt, als wenn sie ein böser Geist besäße.
Fr. Der besitzt sie auch. Das verfluchte Pharaospiel, das wird sie wohl noch alle an den Bettelstab bringen.
H. Das Spiel kenne ich nicht.
Fr. Desto besser für Ihn! Der liebe Gott behüte Ihn,, daß Er es in seinem Leben nicht kennen lerne.
H. Ist es denn so gar schlimm?
Fr. So schlimm, daß wenn ich einen Feind hätte, und ihm Böses wünschen wollte, ich ihm nichts schlimmeres zu wünschen wüßte, als daß er ein Pharaospieler werden möchte.
H. Vermuthlich werden die Spieler sich von der Spielsucht beherrschen lassen.
Fr. Ei freilich. Mein Mann ist so vernünftig – hat mich so lieb – hat seine Kinder so lieb; wenn aber der Spielgeist in ihn fährt, so ist er, wie wenn er den Verstand verloren hätte, läßt Frau und Kinder sitzen und geht dem Spiele nach. Oft habe ich es versucht, habe ihm den Arm um den Hals gelegt, habe ihm seine Kinder vorgeführt, die ihn bitten mußten, daß er doch bei ihnen bleiben und ihnen etwas erzählen sollte. Das hilft alles nichts, er nimmt seinen Hut und Stock, geht fort und läßt uns sitzen.
H. Vermuthlich wird er gewinnen, und sich durch den Gewinnst blenden lassen.
Fr. Gewinnen? Ja wenn er ein Betrüger wäre. Die Betrüger gewinnen in diesem Spiele immer; den Ehrlichen wird das Geld abgenommen.
H. Er spielt doch wohl nicht hoch?
Fr. So hoch, daß er mich und meine armen Kinder an den Bettelstab bringt. ( Bitterlich weinend) Unser Brod ist uns spärlich zugemessen, wenn er aber mit mir fleißig, arbeitete, und sein Geld zu Rathe hielte, so würden wir doch unser gutes Auskommen haben, aber so – ach Gott erbarme dich! heute hat er seinen monatlichen Gehalt bekommen. Vierzig Thaler! davon sollte er mit Frau und Kindern einen Monat leben. Was hat er gethan? er ist hierher zum Spiele gegangen. Da spielt er so lange, bis der letzte Heller fort ist, und hernach müssen wir am Kummertuche nagen und Schulden machen. Ach Gott, bin ich nicht eine unglückliche Frau!
H. Hilft denn aber gar kein Zureden?
Fr. Nichts hilft es. Mache ich ihm Vorwürfe, so spricht er gleich, wenn ich das Maul nicht hielte, so thäte er sich ein Leid an. Der Pfarrer, sein Bruder, sein leiblicher Vater haben ihm zugeredet, und ihn um Gotteswillen gebeten, daß er sich und seine Familie nicht so muthwillig in's Unglück stürze. Er hat wie ein Kind geweint, er hat Besserung versprochen; die Spielsucht besitzt ihn aber so sehr, daß er kein Wort halten kann. Keinen elendern Menschen kann es auf der Welt geben, als einen Spieler; und wenn ich wüßte, daß mein Nicklas ein Spieler würde, lieber wollte ich, daß man ihn morgen begrübe. Kein Spieler kann sagen, so reich bin ich, diesen Garten, dieß Haus besitze ich, denn vor Schlafengehn ist ihm vielleicht alles im Spiele abgenommen worden. Es ist Schande, wenn eine Frau so schlecht von ihrem Manne spricht. Was hilft's denn aber, wenn ich schweige? Ich sage ja doch nichts, was nicht Stadt und Land schon weiß.
H. So geben Sie doch in die Stube, und stellen sich gegen ihn über; vielleicht kommt er wieder zur Vernunft, wenn er Sie erblickt.
Sie ging, stellte sich gegen den Mann über, trocknete die Augen und ich sah von der Seite zu, wie er sich dabei benehmen würde. Er biß die Zähne zusammen, als er sie wahrnahm, holte seine Uhr heraus, zeigte sie dem Spieler, und fragte, wie hoch er sie annehmen wolle?
Für vier und zwanzig Thaler, antwortete er.
Mann! schrie die Frau!
Halt das Maul! antwortete der Mann, setzte die Uhr auf ein Kartenblatt, der Spieler schlug die Karten um – weg war die Uhr.
Mir ging die ganze Sache weiter nichts an, aber ich kann doch versichern, daß ich darüber so erschrak, daß mir alle Glieder zitterten.
Gehst du nun mit nach Hause? fragte die Frau.
Ja! antwortete der Mann, knirschend mit den Zähnen, nun gehe ich.
Er ging wirklich, und ich schlich nach um zu sehen, wie er sich gegen die unglückliche Frau benehmen würde. Ein Fleckchen ging er, ohne ein Wort zu wechseln. Dann sagte er: ich bin ein unglücklicher Mann – ich bin der elendeste Mensch, den Gottes Erdboden trägt – ich habe dich – ich habe meine Kinder unglücklich gemacht. Ich wollte daß der Blitz mich in den Erdboden hineinschlüge! Sagst du mir nur ein einziges böses Wort, so kann ich es nicht aushalten – morgen hast du mich nicht mehr. Du kannst es halten wie du willst.
Die Frau that nichts, als daß sie weinte, und ich kehrte wieder um, nach dem Wirthshause zurück.
Bei meiner Zurückkunft war die ganze Spielgesellschaft im Begriffe fortzugehen, die mehresten hingen die Mäuler und kratzten sich hinter den Ohren. Einer nur strich sich den Bart, lächelte schadenfroh, hatte die Hand in der Tasche und rührete in dem Gelde herum, das er den übrigen abgewonnen hatte.
Die werden auch keine angenehme Ruhe diese Nacht haben, sagte ich zu dem Wirthe.
W. Ach ja wohl! sie sind aber selbst Schuld daran. Warum hören sie nicht auf vernünftiger Leute Rath und Warnung – Wem nicht zu rathen ist, dem ist auch nicht zu helfen. Ich habe das verfluchte Spielwesen so satt, daß ich Willens bin, künftiges Jahr meine Wirthschaft aufzugeben. Denn ob ich gleich keinem zum Spiele rathe, ob ich gleich diesen und jenen bei Gelegenheit davor warne, so heißt es doch am Ende, wenn diese Leute an den Bettelstab kommen, sie wären bei mir zu Bettlern geworden, und diese Nachrede will ich nicht haben.
H. Wenn sie aber an dem Bettelstab sind, dann wird ihnen, wie ich denke, das Spielen schon vergehen.
W. Das Spiel hört deßwegen nicht auf. Es ist mit der Spielsucht, wie mit der Krätze. Eine steckt an, wie die andere. Ehe einer von der Krätze kurirt wird, so sind zehn andere durch ihn angesteckt. Und ehe einer sich zum Bettler spielt, so sind zehn andere von der Spielsucht ergriffen worden. Glaubt Er denn wohl, lieber Freund! daß unsere Bauern schon anfangen Pharao zu spielen?
H. Noch besser!
W. So ist es aber. Da ist unsers Schulzen Sohn, der spielt schon wie ein Cavalier. Gestern hat er, so wahr ich ehrlich bin, fünfzehn Laubthaler verspielt.
Da er des Schulzen Sohn nannte, so gab es mir einen Stich durch's Herz. Ich fuhr also fort und sagte: wenn dieser einmal eine Frau bekömmt, so wird es ihr auch wohl nicht besser gehen, wie der Frau des Mannes, der hier seine Uhr verspielt hat.
W. Eben nicht besser. Das Hemde vom Leibe verspielt der Himmelsappermenter.
H. Es ist nur gut, daß er jetzt spielt, da werden sich hoffentlich die Mädchen schon vor ihm hüten.
W. Hm! das ist noch die Frage. Und wenn auch die Mädchen sich vor ihm hüteten, so sind doch manchmal die Väter so einfältig, daß sie ihre Töchter zu bereden suchen, ihn zu nehmen.
H. Das wäre ärger, als arg. Ich sollte meinen, ein Vater müßte doch mehr Einsicht haben als die Tochter.
W. Das sollte man freilich meinen. Aber der Schulze ist ein reicher Mann –
H. Und wenn er eine Tonne Goldes hat, kann diese das Söhnchen nicht in einem Jahre verspielen?
W. Das wollte ich meinen. Sie glauben aber, es wäre ein Jugendfehler, wenn der Verstand erst käme, so würde es sich damit schon geben.
H. Wenn man nur nicht so viel Exempel hätte, daß dieser Jugendfehler mit den Jahren immer tiefer einwurzelte. Wie es aber scheint, so bewirbt sich des Schulzen Sohn schon um ein Mädchen.
W. Freilich; und gerade um das Mädchen, das die Krone vom Dorfe ist, so fleißig, so ordentlich, seine Feinde können ihm nichts Böses nachreden.
Mir wurde bei diesen Reden etwas warm um's Herz, ich sah gerade vor mich hin, und wußte eigentlich nicht, was ich dazu sagen sollte. Endlich sagte ich doch etwas. Aber Herr Wirth! sagte ich, da wäre es doch Seine Schuldigkeit, daß er den Vater des Mädchens warnte.
W. Hm! die Sache geht mich weiter nichts an. Was soll ich mir denn die Finger verbrennen? Wenn ich dem Vater etwas sagte, so erführe es vielleicht der Schulze.
H. Wenn er es auch erführe, so würde er Ihm den Kopf deßwegen nicht abreißen. Das Mädchen will ihn also nicht haben?
W. Daran ist nicht zu denken. Die wehrt sich gegen ihn mit Händen und Füßen. Was hilft mir sein Geld, spricht es, wenn er es verspielt?
H. Hat sie denn sonst keinen Freier?
W. Wer will sich denn um ein Mädchen bewerben, um welches des reichen Schulzen Sohn freiet. Wenn sie diesem den Korb erst gäbe, dann würden sich Leute genug finden, die um sie anhielten; und, unter uns gesagt! ich glaube mein Sohn wäre der erste, der um sie anhielte.
H. So! So! Aber Herr Wirth! wir machen die Sache doch nicht aus, ich dächte, Er wäre so gut und machte mir jetzt meine Streu. Ich bin gewaltig müde.
W. Die soll Er gleich haben.
Sie war bald gemacht, ich warf mich darauf, schloß meine Augen zu und schlief – nicht ein. Der Abend, dachte ich bei mir selbst, den du heute verlebt hast, Haberfeld! der ist auch dein. Du hast heute viel gelernt, du bist mit einem neuen Tyrannen der Menschen, mit der Spielsucht bekannt geworden, und hast von deinem Kathrinchen nähere Nachricht bekommen.
Ueber diese Materie dachte ich die halbe Nacht nach. Kathrinchen, dachte ich, ist gewiß für dich bestimmt. Du bist ihr gut, das sagt dir dein Herz; sie ist dir auch nicht gram, das kannst du in ihren Augen lesen; ein braves Mädchen ist sie, das hast du heute vom Wirthe gehört, frei ist sie auch noch. Du willst also morgen, in Gottes Namen, bei ihrem Vater um sie anhalten. Gibt er sie dir, nun so kannst du sie annehmen, als wenn sie dir der liebe Gott gegeben hätte.
Des Morgens also machte ich mich auf, und ging zu Nachbar Martin, Kathrinchens Vater. Ei willkommen, sagte er, Nachbar Haberfeld! wie ist es denn zeither gegangen?
H. Wie es so zu gehen pflegt in der Welt, bald nach meinem Kopfe, bald nicht nach meinem Kopfe.
M. Das ist halt nicht anders. Wir können nicht alle Tage Sonnenschein haben, wir müssen uns auch die stürmischen und Regentage gefallen lassen.
H. Nehme Er mir nur nicht übel, daß ich schon wieder da bin. Da ich Baumleben liegen sah, so war es, als wenn mich etwas anzöge. Ich konnte unmöglich vorbei gehen.
M. Mach Er doch keine Umstände! Es soll mir allemal lieb sein, wenn Er zu mir kommt. Ich habe Ihn als einen rechtschaffenen Burschen kennen lernen.
H. Nun, ohne Ruhm zu melden, der bin ich auch. Geld und Gut habe ich nicht, aber ein ehrliches Gemüth und Lust zur Arbeit, die laß ich mir nicht streitig machen.
M. Das ist das Beste.
H. Nach meiner Meinung auch. Alle Leute denken aber doch nicht so. Wenn ich z. E. auf die Heirath gehen wollte, so würde ich gleich gefragt werden, wie viel Vermögen ich besäße? sagte ich nun: einen Acker im Feld, ein ehrliches Herz, und Hände, die die Arbeit frisch angreifen; so würde ich wohl von manchem Hause abgewiesen werden und meinen Stab weiter setzen müssen.
M. Ja, wenn man heirathen will, so ist dieß freilich eine ganz andere Sache. Man muß doch etwas haben, wovon man Frau und Kinder ernähren kann.
H. Das muß man freilich haben. Aber ein ehrlich Herz, Hände, die die Arbeit nicht scheuen, und ein Kopf, der nachdenken kann, der mir, Gott Lob! auch nicht fehlt, sind denn die nicht hinlänglich, Frau und Kinder zu ernähren?
M. Besser ist's doch, wenn man auch ein zehn Acker im Feld hat.
H. Also, wenn ich zu Ihm käme, und um Seine Tochter anhielte, so würde ich auch wohl –
Jetzt trat die Tochter herein, und unterbrach uns in unserm Gespräche. Ei, guten Morgen! sagte sie, als sie mich sah, Nachbar Haberfeld! woher des Landes? willkommen auch ( indem sie mir die Hand gab).
Ich hielt die Hand feste, drückte sie herzlich und sah lächelnd nach dem Vater hin. Kathrinchen wurde blutroth, schlug die Augen nieder, zog die Hand nicht zurück, sondern gab mir ein Paar Handdrücke.
Nachbar Martin machte ein ernstliches Gesichte, und sagte: Kathrine, geh' doch hin, und hole für unsern Gast ein Butterbrod und einen Schnaps.
Sie lief fort. Nachbar Martin trat an das Fenster, und ich stand da, und wußte nicht was ich sagen sollte.
Endlich fing Nachbar Martin an, indem er sich immer nach dem Fenster zu hielt; Haberfeld! Haberfeld! das hat gewiß seine guten Ursachen, warum Er wieder zu mir gekommen ist.
H. Die hat es freilich.
M. Mir gilt der Besuch gewiß nicht.
H. Warum denn nicht? Ich bin gekommen um Nachbar Martin, seinen Sohn und seine Tochter zu sehen.
M. Die letzte wird wohl die Hauptsache sein.
H. Und wenn auch – wäre es denn Sünde?
M. Sünde wohl nicht, aber –
H. Was denn nun? kann Er es denn einem ehrlichen Burschen verdenken, wenn er ein so hübsches braves Mädchen, wie Seine Tochter ist, sieht, sich in sie verliebt und wünscht, sie zur Frau zu haben?
M. Das habe ich wohl gemerkt. Hm! Hm! Wäre Er vor einem Vierteljahre gekommen, so hätte vielleicht Rath dazu werden können; aber nun habe ich sie schon einem andern zugedacht.
H. Vielleicht des Schulzens Sohne?
M. Ganz recht! des Schulzens Sohne. Er ist auch ein ehrlicher Bursch, hat auch Hände, die die Arbeit frisch angreifen, dabei aber hat er auch ein hübsches Vermögen. Sein Vater ist Schulze, und wenn der Vater stirbt, so wird kein anderer Schulze, als er.
H. Will ihn denn Seine Tochter haben?
M. ( Die Tochter trat herein, ohne daß es der Vater merkte.) Das wird sich schon geben. Jetzt sperrt sie sich freilich ein Bischen; wenn sie aber erst ein Paarmal bei ihm gewesen ist, hat die schönen Gärten und Aecker, und das Zinn und Kupferwerk gesehen, das er hat, so wird es sich schon geben.
T. Es gibt sich gewiß nicht, Vater! und wenn er im Golde stäcke bis über die Ohren. Sehet Vater, in meinem Leben war ich Euch nicht ungehorsam – aber einen Mann lasse ich mir nicht aufdringen.
M. Du Kröte! mußt du gerade dazu kommen, wenn ich hier ein Paar Worte mit diesem Burschen reden will? Wenn ich nur wüßte, was du gegen des Schulzen Sohn hättest.
T. Ei, ich habe nichts gegen ihn, aber zum Manne mag ich ihn nicht haben – den Erz aller Welt Kartenspieler.
M. Ganz gewiß hast du schon einen andern in dein Herz geschlossen.
T. Vater! schwatzt doch nicht solche Sachen in Gegenwart des Burschen da.
Mit diesen Worten ging sie fort.
H. Aber lieber Mann! sag' Er mir nur, wie ein vernünftiger Mann so handeln kann. Die Tochter nimmt ja einen Mann für sich, und nicht für den Vater, und muß den Mann auch behalten, wann der Vater nicht mehr da ist.
M. Nun, wenn sie nicht will, so mag sie es lassen, zwingen will ich sie nicht.
H. Das ist brav. Aber wenn ich nun um ihre Hand bei Ihm anhielte?
M. Weiß Er denn, daß das Mädchen Ihn haben will?
H. Nachbar Martin! ich bin ein ehrlicher Mann. Ich denke, wenn man die Tochter haben will, so muß man erst mit dem Vater darüber sprechen. Ich kann's nicht leiden, wenn die Kinder wider ihren Willen zu heirathen gezwungen werden; aber ich halte es für eben so Unrecht, wenn die Aeltern Schwiegersöhne oder Schwiegertöchter annehmen müssen, die sie nicht leiden können. Ich habe, so wahr ich vor Ihm stehe, mit Seiner Tochter über diese Sache noch kein Wort gewechselt.
M. Kein Wort gewechselt?
H. Kein Wort gewechselt.
M. Kann ich mich gewiß darauf verlassen?
H. So wahr ich ein ehrlicher Kerl bin.
M. Da hat Er wieder bei mir einen Stein in's Brett gekriegt. Wenn ich Ihm sagen soll, wie es mir um's Herz ist, so habe ich Ihn lieb bekommen. Sein ganzes Betragen hat mir gefallen. Wenn meine Tochter Ihn haben will, so habe ich nichts dagegen.
H. Ich danke ihm tausendmal. Er soll gewiß sehen, daß Er einen rechtschaffenen Schwiegersohn an mir haben wird, bei dem seine Tochter bessere Tage bekommt, als bei des Schulzens Sohne.
M. Hm! Ein Scrupel kommt mir doch noch in den Kopf.
H. Der heißt?
M. Daß ich Ihn doch nicht recht kenne. Er ist ein Fremder – ich weiß Seine Herkunft, Seinen vorigen Lebenswandel nicht – kann Er mir wohl zumuthen, daß ich meine Tochter einem ganz unbekannten Menschen gebe?
H. Behüte Gott! das will ich Ihm nicht zumuthen. Ich bin von Hillenhausen gebürtig. Hier kann Er sich nach meinen Umständen und meinem Lebenswandel erkundigen. Ehe verlange ich Seine Tochter nicht, bis Er gute Zeugnisse aus meinem Geburtsorte bekommen hat.
M. Dabei mag es also vor der Hand bleiben.
H. Ich dächte aber doch, er fragte die Tochter, ob sie mich haben wolle. Sie ist doch die Hauptperson. Ist sie mir nicht abgeneigt, so verlange ich keine Hochzeit, kein Verlöbniß, kein Jawort, sondern wandre fort nach Rittersleben, wo ich mancherlei zu besorgen habe. Er erkundigt sich indessen nach meiner vorigen Aufführung, hernach komme ich wieder, und wir bringen das Uebrige in Ordnung.
Er ging nach der Thür und rief seine Tochter herein.
Also, fragte er, willst du wirklich des Schulzens Sohn nicht haben?
T. Nun und nimmermehr.
V. Gut! du sollst deinen Willen haben. Ich thue diese Frage niemals wieder an dich, darauf kannst du dich verlassen. Aber wenn ich dich nun fragte, ob du Ernst Haberfelden haben wolltest? wie denn da?
T. Ernst Haberfelden? Ich weiß ja nicht, ob er mich haben will.
H. ( Ihre Hand fassend) Kathrinchen! ich habe Sie gleich, da ich Sie das erstemal sahe, in mein Herz geschlossen, und verlange und begehre keine andere, als Sie. Die Frage ist also nicht, ob ich Sie will – Die Frage ist ob –?
T. Ich weiß ja nicht was mein Vater dazu sagt.
V. Wenn du ihn willst, so habe ich nichts dagegen.
T. Ich weiß ja gar nicht, wie ich dazu komme. Ich muß doch Bedenkzeit haben.
H. Die soll Sie auch haben, mache Sie mir die Zeit nur nicht zu lange.
Sie wandt sich aus meiner Hand los und lief zur Thüre hinaus.
Jetzt kam ihr Bruder Jeremies herein, der sich auch herzlich freuete, als er mich wieder sah, und noch mehr, da ihm der Vater sagte, daß ich um seine Schwester angehalten hätte.
Ich mußte nun frühstücken, aber kaum hatte ich ein Paar Bissen genossen, so war ich satt. Man nöthigte mich – aber es war mir nicht möglich, noch mehr zu genießen, weil die Ungewißheit, in der ich schwebte, mich ganz confus gemacht hatte.
Ich schlich mich fort, suchte Kathrinchen auf, fand sie in der Küche, und fragte noch einmal, ob sie mich wohl leiden könnte?
T. Wenn ich Ihn nicht leiden könnte, so hätte ich Ihn ja nicht so sehr gebeten, bei uns zu bleiben.
H. Hat Sie mich denn auch ein Bischen lieb?
T. Er will auch gar zu viel wissen.
H. Nicht mehr als ein Wörtchen.
T. Gram bin ich Ihm eben nicht.
H. Aber gut?
T. ( Das Gesicht wegwendend, und die Hand mir reichend) ja!
Da nahm ich freudig ihre Hand, führte sie zu ihrem Vater, und sagte, nun weiß ich, daß Seine Tochter mich leiden kann – nun?
V. Nun ist es gut. Wenn du den Burschen haben willst, so habe ich nichts dagegen. Aber Er, lieber Haberfeld! muß nun auch Wort halten, und darf nichts weiter verlangen, bis ich nähere Nachricht von Ihm eingezogen habe.
H. Gar nichts weiter.
Ich blieb zu Tische, und fühlte nun zum erstenmale, wie selig man ist, wenn man auf eine ehrliche Art liebt, und von einer rechtschaffenen Person geliebt wird. Mögen Andere Geld auf Geld sammeln, mögen sie Könige und Fürsten sein, mögen sie Braten, Fisch und Wein haben, so glücklich können sie nicht sein, als ich war, da ich an Kathrinchens Seite ein Gericht Sauerkraut und Schweinefleisch aß.
Nach Tische bat ich meinen künftigen Schwiegervater, daß er mir doch erlauben möchte, mit Kathrinchen ein wenig in den Garten zu gehen.
V. Und was will Er mit meiner Tochter im Garten machen?
H. Nichts Unrechtes, darauf kann Er sich verlassen.
T. Wir müssen uns doch ein wenig miteinander bekannt machen.
V. Ihr schwatzt mir da wie die Verliebten. Diese haben immer einen Sparren zu viel oder zu wenig. Ich bin aber nicht verliebt, und muß besser wissen, was euch gut ist. Ihr geht nicht in den Garten. Du Kathrinchen gehst an deine Arbeit, und Er, mein lieber Haberfeld! geht sogleich fort, und richtet Seine Commission aus.
H. Das wäre wohl ein wenig zu hart.
V. Das kann wohl sein, aber es ist doch das vernünftigste, was ihr thun könnt. Hört mich an, lieben Kinder! Vor allen Dingen muß ich mich nach Haberfelds voriger Aufführung erkundigen. Denn Kathrine! Du wirst doch wohl keine Närrin sein, und einen blutfremden Menschen heirathen, den du kaum ein Paarmal gesprochen hast? Bekomme ich nun gute Nachrichten von Haberfelden, so ist die Frage weiter nicht davon – ihr heirathet einander. Da könnt ihr noch genug mit einander bekannt werden. Gesetzt, Haberfeld wäre der Mann aber nicht, für den wir ihn halten, und ihr müßtet euch wieder trennen, so würde es euch hernach desto weher thun, wenn ihr euch mit einander bekannt gemacht, und die Herzen aneinander gehängt hättet.
T. Mein Herz hängt schon so feste an ihm.
H. Und ich kann ohne Kathrinchen nicht leben.
V. Haberfeld! vergesse Er nicht, was Er mir versprochen hat. Ein ehrlicher Mann hält Wort.
Ich schlug die Augen nieder, sah dann Kathrinchen an, die nasse Augen hatte, dann nahm ich mich zusammen, und sagte: ich bin ein ehrlicher Mann und halte Wort, fiel meinem Mädchen um den Hals, drückte ihrem Vater und Bruder die Hände und – machte mich aus dem Staube.
Es begegneten wir mancherlei Leute. Wer sie aber gewesen sind? Wohin sie gingen? Woher sie kamen? Darnach frage mich Niemand. Denn ganz richtig war es nicht mit mir im Kopfe. Der war mit lauter Hockzeitgedanken angefüllt, und hörte und sah nicht recht.
Kurz vor Achtheilingen mußte ich aber doch die Augen aufthun. Ein Reiter, der hinter mir her kam, sprach mir zu: guten Abend, Haberfeld!
Guten Abend! antwortete ich, wie wenn ich aus einem Traume erwachte, kennen Sie mich denn?
R. Leider!
H. Leider? Was wollen Sie denn damit sagen?
R. Kennt Er mich denn nicht?
H. ( Nachdem ich ihn genau angesehen hatte) um Gottes willen! Sie sind doch nicht der Herr von Blutfink – der –
R. Der seinen besten Freund ermordet hat – der bin ich – ach Gott! der bin ich. Seitdem ich diesen dummen Streich gemacht habe, habe ich keine frohe Stunde mehr. Ich irre umher, wie Kain; das böse Gewissen folgt mir auf dem Fuße nach.
H. Armer Mann! Sind Sie denn aber hier sicher, daß Sie nicht arretirt werden?
R. Das bin ich. Man kennt mich allenthalben, und thut doch, als wenn man mich nicht kennte. Tausendmal habe ich mir gewünscht, daß man mir, wie es einem Mörder zukommt, den Kopf vor die Füße legen möchte, so wäre ich doch weg – so hätte doch meine Qual ein Ende.
H. Es gibt aber doch noch eine Ewigkeit.
B. O schweig Er mit Seiner Ewigkeit! und mache Er mir die Hölle nicht noch heißer! ich habe nur ein Mittel, mich zu beruhigen.
H. Darf ich es wissen?
B. Es heißt Branntwein. Diesen trinke ich Nößelweise. So lange ich diesen im Kopfe habe, vergesse ich alles und gerathe am Ende in einen tiefen Schlaf.
H. Und wann Sie wieder erwachen?
B. Ja, da ist es freilich, als wenn die Hölle sich vor mir aufthäte. Aber ein Nößel Branntwein löscht alle Höllenflammen aus.
H. Herr von Blutfink! Sie sehen, ich bin ein armer Bauernbursche, der sich mit keinem Edelmanne messen kann; aber man hat mir doch gesagt, daß ich bisweilen einen guten Einfall hätte, und auch Leuten, die gelehrter sind als ich, einen guten Rath geben könnte. Ich gab ihn dem Herrn von Rothkopf. Hätte er ihn befolgt, so lebte er noch, so wäre das Fräulein Mittelburg jetzt die Frau von Rothkopf, und der alte Herr, der vor Gram vergehen möchte, könnte jetzt unter seinen Kindern, als ein glücklicher Vater, leben. Und Sie – Herr von Blutfink! hätten Ihr gutes Gewissen noch, und könnten in der Welt, wo es so schön ist, vergnügt leben und viel Gutes stiften!
B. Wozu erinnert Er mich aber an alle diese Dinge, die ich so gern vergessen möchte?
H. Bloß deßwegen, daß Sie mir erlauben sollen, Ihnen auch einen guten Rath zu geben.
B. Guten Rath? mir? für mich ist kein guter Rath mehr möglich – ich bin verloren. Es kömmt mir eben so vor, wie wenn man einem armen Manne, dem beide Beine weggeschossen sind, einen Rath geben wollte, wie er andere bekäme.
H. Wissen Sie, was ich dem armen Manne rathen würde?
B. Nun?
H. Ich würde ihm rathen, daß er sich hölzerne Beine machen ließe.
B. Das wäre ein alberner Rath.
H. So albern doch nicht, als Sie glauben, Herr von Blutfink. Wenn ich einem Menschen, der zwei gesunde Beine hat, rathen wollte, daß er sie sich abschneiden und ein Paar hölzerne machen lassen sollte, so wäre dieß freilich albern. Wenn die Beine nun aber einmal weg sind, und es ist schlechterdings unmöglich, daß sie wieder wachsen, wie dem Krebse die Scheeren, es ist schlechterdings nicht möglich, sie wieder anzuheilen, so ist es doch besser ein Paar hölzerne Beine zu haben, als gar keine. Hören Sie nur, was ich eigentlich sagen will. Sie haben Ihr gutes Gewissen verloren. Sie werden von einem bösen Gewissen geplagt. Dieß böse Gewissen wollen Sie gern los sein?
B. Ei freilich.
H. Und um das böse Gewissen los zu werden, möchten Sie gern alles vergessen, was Sie gethan haben –
B. Wenn ich das könnte!
H. Das können Sie freilich nicht. Thun Sie was Sie wollen, trinken Sie den Branntwein Maßweise, es wird Ihnen nichts helfen. Das Andenken an die Ermordung Ihres Freundes wird immer wieder kommen.
B. Das ist also Sein guter Rath?
H. Nicht doch! Hören Sie nur, was ich eigentlich sagen will! Wenn das, was einmal geschehen ist, nicht geändert werden kann; wenn es nicht möglich ist, das Geschehene ganz zu vergessen, so rathe ich Ihnen, daß Sie recht viel Gutes thun. Sie haben ein Paar Familien unglücklich gemacht – suchen Sie nun Leute auf, die Sie glücklich machen. So werden Sie sich dann freuen über das Gute, das Sie thaten, und durch diese Freude wird der Schmerz über das Böse, das durch Sie geschehen ist, gemildert werden. Das ist mein Rath, so gut ihn ein einfältiger Bauernbursch geben kann.
B. Der Rath ist ganz gut; will Er mir denn aber nicht den Gefallen thun, und der Taube, die hier fliegt, nachfliegen und sie haschen?
H. Ich weiß gar wohl, was Sie damit sagen wollen, Herr von Blutfink! Ich kann Sie ja nicht haschen, weil mir die Flügel fehlen, um ihr nachzufliegen.
B. Seh Er! so geht es mir auch. Mir fehlt die Kraft, Gutes zu thun.
H. Ich habe wohl gemerkt, daß Sie dieß sagen würden. Bekommen Sie denn aber durch das Branntweintrinken mehr Kraft?
B. Das wohl nicht.
H. Sie bekommen nicht nur nicht mehr Kraft, sondern Sie werden von Tage zu Tage schwächer. Ein Mensch, der den Branntwein Nößelweise trinkt, wird ganz kraftlos, und kann am Ende gar nichts mehr thun, als – Branntwein trinken.
B. Halt das Maul.
H. Das kann ich wohl.
So gingen wir fort, ohne ein Wort zu sprechen, er auf vier, ich auf zwei Beinen, bis wir Achtheilingen erreichten.
Als wir da in's Wirthshaus kamen, war das erste Wort, das Herr von Blutfink sprach: ein Stück Brod und ein Nößel Branntwein!
Herr von Blutfink! sagte ich, ich bitte Sie um Gottes willen!
Statt zu antworten, trat er an's Fenster, und so bald der Wirth mit dem Branntwein kam, setzte er sich hin, mit einem so schrecklichen Gesichte, wie ein Missethäter, und schlürfte seinen Branntwein aus. Dann ließ er sich die Streu machen, und warf sich darauf.
Mir schauderte die Haut vor diesem elenden Menschen, und ich dachte über die Sache hin und her nach. Dieser Mensch, dachte ich, ist blos deßwegen so elend, weil er seine Begierden nicht beherrschen kann. Durch falsche Ehrliebe und Zorn hat er sich verleiten lassen, seinen Freund zu ermorden und zwei Familien um ihre häuslichen Freuden zu bringen. Nun fühlt er Reue. Dieß ist nun wohl gut, wenn er sich dadurch nur bewegen ließe, das Geschehene, so viel als möglich, wieder gut zu machen. Das thut er aber nicht. Er läßt sich die Reue so beherrschen, daß er alles Nachdenken verliert, und das Dümmste thut, was ein Mensch in solchen Fällen zu thun pflegt, daß er Branntwein trinkt. Die Begierde nach Branntwein ist bei ihm schon so stark, daß es ihm schwer, sehr schwer werden wird, sie im Zaume zu halten. Diese wird ihn nun vollends ganz ruiniren.
Ich legte mich nun auch nieder, und nahm mir fest vor, den folgenden Tag noch einen Versuch zu machen, ob ich den elenden Mann nicht retten könnte.
Sobald er sich also den andern Morgen regete, stand ich auf und beobachtete ihn. Ihr Leute! was war das für ein Anblick! Wenn ein Missethäter erwacht, an dem Tage, da er gehenkt werden soll, so kann er sich nicht ängstlicher geberden, als Herr von Blutfink, da er erwachte. Er rang die Hände, warf sich von einer Seite zur andern, dann sprang er auf und sagte: Branntwein ist doch das Beste.
Es ist nicht das Beste, sagte ich, es ist das Schlimmste, das Sie wählen können. Und Herr von Blutfink! ich will es Ihnen gerade heraussagen, ich gehe nicht ab, ich muß Sie retten.
B. Mich retten? einen armen Sünder retten?
H. Ja, Herr von Blutfink! das will ich, wenn Sie mich nur anhören wollen.
B. So sag an!
H. In Rittersleben wohnt ein Pfarrer, der ist gar ein braver Mann!
B. Geh mir mit deinen Pfaffen!
H. Wenn Sie ihn nur sehen sollten, so würden Sie ganz anders reden. Er ist die Liebe und Rechtschaffenheit selbst, und weiß allen Leuten so gut zu rathen.
B. Auch mir?
H. Auch Ihnen. Ich kenne einen unglücklichen Menschen, der schon den Strick in der Hand hatte, an den er sich henken wollte, und den er so zurechte gebracht hat, daß er jetzt ruhig und vergnügt lebt. Warum sollte er Ihnen nicht helfen können?
B. Das wäre sehr viel!
H. Versuchen Sie es nur, und machen mit mir den Weg zu ihm! Es wird Sie gewiß nicht gereuen.
B. Nun gut! ich will auch dieß versuchen! Aber erst muß ich mein Nößel Branntwein trinken.
H. Wozu das? das erste, was der Pfarrer Goldammer von Ihnen verlangt, wird sein, daß Sie sich den Branntwein abgewöhnen. Je öfterer Sie nun diesen Trank zu sich nehmen, desto schwerer wird es Ihnen werden, davon abzulassen.
B. Ich kann es schon jetzt nicht. Alle Glieder zittern mir, bis ich meine Portion Schnaps im Leibe habe.
H. Herr Pfarrer Goldammer wird Ihnen schon sagen, wie Sie das Ding anzufangen haben. Jetzt bitte ich Sie, trinken Sie dießmal nur ein halbes Nößel!
B. Gut! ich will es thun, ob es mir gleich schwer werden wird.
H. Halten Sie fein Wort! Herr von Blutfink! Jetzt will ich nur noch in's Dorf gehen, und eine Commission besorgen, dann wollen wir uns mit einander auf den Weg machen.
Ich ging nun fort, um Rosinen aufzusuchen. Einigemal ging ich vor dem Hause, wo sie dienete, auf und ab, ohne sie zu sehen. Am Ende sah ich sie aus dem Backhause kommen, wo sie Brod geholet hatte. Sogleich ging ich auf sie los – sie fuhr zusammen, und ließ in der Bestürzung ein Brod fallen, das ich ihr aufhob.
Wo kömmt Er denn her? fragte sie, bringt Er gute Nachricht?
Sie soll alles erfahren, war meine Antwort, thue Sie mir nur den Gefallen, und zeige Sie mir den Weg nach Rittersleben.
Geh Er nur voraus, war ihre Antwort, ich will erst das Brod hinein tragen, dann komme ich nach.
Sie kam wirklich bald nach. Wie steht es? fragte sie sogleich!
H. Wie ich hoffe, recht gut.
R. Will mich mein Jeremies noch haben?
H. Das versteht sich. Ihr Jeremies läßt nicht von Ihr, und wenn er Salz und Brod mit Ihr essen sollte.
R. Der gute Jeremies! ich habe doch immer geglaubt, daß er ein kreuzbraver Kerl wäre. Was spricht denn aber sein Vater dazu?
H. Dieser hat seine Einwilligung dazu gegeben.
R. Was hat es denn da für Noth?
H. Von der Mutter wird aber die Einwilligung schwerlich zu erhalten sein. Da nun das Vermögen alles von ihr herkommt, so muß Sie sich darauf gefaßt machen, daß Ihr Jeremies, wenigstens bei Lebenszeiten der Mutter, keinen Pfennig bekömmt.
R. Ei meinetwegen auch. Jeremies ist ein fleißiger Bursch, und ich lasse mir auch keine Arbeit verdrießen. Bei Fleiß und guter Wirthschaft verdirbt Niemand.
H. Bei dem Glauben bleibe Sie, und halte Sie sich ferner ordentlich, so wird bald alles auf's Reine kommen. Unterdessen lebe Sie wohl!
R. Er auch! und tausend Grüße an Jeremies. Vergesse Er es nicht!
H. Ich werde es ja nicht vergessen.
So ging ich fort, und suchte meinen Herrn von Blutfink auf. Ich traf ihn an vor einem Gläschen Schnaps, in tiefen Gedanken. Auf Ihr gutes Gewissen! sagte ich, Herr von Blutfink! wie viel Branntwein haben Sie getrunken?
B. Dieß ist das zweite, und bei diesem soll es bleiben.
H. Schön! künftig wird es schon besser gehen. Wollen wir uns etwa auf den Weg machen?
B. Sogleich! Zuvor muß Er aber mein Gast sein, und dieß Frühstück genießen, das ich für Ihn habe bereiten lassen.
Ich sah mich um, und fand auf dem Nebentische eine Kanne Kaffee, Butter und eine Reihe Semmeln, wornach mir das Maul freilich wässerte. Unterdessen, dachte ich, wäre hier eine schöne Gelegenheit, deine Begierden zu beherrschen. Was hatte ich zu thun? Ich sagte: dieß ist alles dankenswerth. Aber ich will heute nichts genießen.
B. Nichts genießen? ist Er denn krank?
H. Ich bin gesund wie ein Fisch, und, die Wahrheit zu sagen, so habe ich starken Appetit.
B. Zum Guckguck! warum will Er denn da nichts genießen?
H. Das will ich Ihnen sagen. Ein guter Freund von dem Herrn Pfarrer Goldammer, der hat mich gelehrt: wer frei werden wolle, der müsse seine Begierden beherrschen lernen; und wenn man dieß lernen wollte, so müsse man von Zeit zu Zeit sich etwas versagen, wornach die Begierden heftig strebten. Da er mir diese gute Lehre gab, hatte er eben eine Portion Hasenbraten an der Gabel, und das Messer angesetzt, um sie zu zerschneiden. Um mir nun die Sache recht begreiflich zu machen, schob er den Hasenbraten zurück und genoß nichts. Er setzte sich dann auf sein Reitpferd, und dressirte es so, daß es Schritt, Trapp, Galop, alles so gehen mußte, wie er es haben wollte, und sagte: wer seine Begierden so dressiren kann, wie ich meinen Braunen, der ist ein freier Mann. Das hat gewaltigen Eindruck auf mich gemacht. Ich habe mir Mühe gegeben, meine Begierden zu dressiren, und es ist mir damit so ziemlich gelungen. Erlauben Sie mir also, daß ich dießmal meine Begierde nach dem Frühstücke etwas herumtummeln, und davon nichts genießen darf.
B. Gott! hätte ich doch vor ein Paar Jahren den Pfarrer Goldammer und seinen Freund kennen lernen, so wollte ich jetzt ein anderer Mann sein. Aber sei Er kein Kind! tummle Er Seine Begierden ein andermal herum, und genieße Er jetzt, was ich für Ihn habe bereiten lassen.
H. Erlauben Sie mir!
Jetzt trat ein Handwerksbursch herein, der so aussah, als wenn er nicht viel Geld bei sich führe, um ein Frühstück bezahlen zu können. Darf ich, fragte ich den Herrn von Blutfink, mit meinem Frühstücke thun, was ich will?
B. Warum nicht?
Sogleich ging ich auf den Handwerksburschen los, und sagte: Kamerad! ich habe mir hier ein Frühstück bereiten lassen, das ich nun nicht genießen kann, weil mir unter der Zeit etwas zugestoßen ist; will Er es nicht, statt meiner, verzehren?
Im Ernst? fragte er.
Im Ernst, sagte ich.
Da danke ich tausendmal, mein Magen ist noch leer, und der Beutel noch leerer. Er setzte sich, und ließ sich das Frühstück recht gut schmecken.
Herr von Blutfink drückte mir die Hand, und sagte: Haberfeld! Er ist in einer guten Schule gewesen, wollte Gott, ich hätte sie auch besucht. Jetzt wollen wir uns mit einander auf den Weg machen.
Wir thaten es, und ich erzählte ihm so viel Gutes von dem Herrn Pfarrer Goldammer, daß er ihn lieb bekam, ohne daß er ihn gesehen hatte.
Als wir in Rittersleben ankamen, ließ ich den Herrn von Blutfink im Wirthshause; ich selbst ging aber zu dem Herrn Pfarrer, um ihn anzumelden.
Der Herr Pfarrer ließ sich mit mir in ein weitläuftiges Gespräch ein, und ich mußte ihm von allem Nachricht geben, was mir auf dem Wege begegnet war. Besonders mußte ich ihm die Geschichte mit dem Herrn von Blutfink recht umständlich beschreiben, dann sagte er mir, er wolle über die Geschichte nachdenken, und ihn morgen zu sich kommen lassen.
Mit diesem Bescheide ging ich fort und fand den Herrn von Blutfink bei einem Gläschen Schnaps sitzen. Was sagte der Pfarrer? fragte er mich.
H. Sie sollen ihm morgen früh willkommen sein. Wie viel Gläschen haben Sie aber schon ausgeleert?
B. Keins! darauf kann Er sich verlassen, ich will auch keins mehr, als dieß einzige. Mir war es immer, als wenn der Pfarrer Goldammer vor mir stände, und mir mit dem Finger drohete.
H. Das haben Sie gut gemacht. Fahren Sie nur so fort, so werden Sie gewiß finden, daß alles recht gut gehen wird. Der Herr Pfarrer Goldammer pflegt zu sagen: was der Mensch will, das kann er.
B. Gebe Gott! daß dieß bei mir auch eintreffe.
Den andern Morgen stand Herr von Blutfink auf, und ließ sich Kaffee machen, Branntwein verlangte er nicht. Da er die erste Tasse genoß, zitterte ihm die Hand so sehr, daß er sie beinahe hätte fallen lassen. Dabei sahe er mich bedenklich an.
Heute, sagte ich, trinken Sie also wohl keinen Branntwein?
B. Nein! ich habe es mir fest vorgenommen. Wie sauer mir dieß aber ankömmt, das will ich keinem Menschen sagen. Alle Glieder zittern mir.
H. Und mir kommt es gar nicht sauer an, daß ich keinen Branntwein trinke. Wissen Sie wohl woher dieß kommt?
B. Du hast dich nicht daran gewöhnt.
H. Da haben Sie recht. Seitdem ich bei dem Herrn Pfarrer Goldammer und seinem guten Freunde, dem Herrn Amtmanne, in die Schule gegangen bin, gebe ich immer auf mich Achtung, daß ich mir nichts so angewöhne, daß ich es nicht lassen kann.
B. Das Mittags- und Abendessen und den Schlaf hast du dir doch wohl angewöhnt?
H. Doch nicht so, daß ich's nicht lassen könnte. Bald setze ich eine Mittagsmahlzeit, bald eine Abendmahlzeit, bald den Schlaf aus.
B. Nun so etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Ich bin sehr begierig, den Herrn Pfarrer kennen zu lernen. Kann ich jetzt wohl zu ihm gehen?
H. Jetzt wird es gerade Zeit sein.
Er ging fort und ich spatzierte unterdessen ein wenig um das Dorf herum. Als ich an die Linde kam, sah ich einen eisgrauen alten Mann sitzen. Guten Morgen Alter! sagte ich, wie geht es?
A. Ich höre nicht wohl, Er muß stärker sprechen.
H. Wie geht Es Ihm, Alter?
A. Wie es zu gehen pflegt, wenn man 89 Jahre alt ist.
H. Neun und achtzig Jahre? das ist viel.
A. Ja wohl ist es viel. Da ich ein Junge war, war ich schwächlich, und meine Mutter sagte mir oft, ich würde schwerlich den Guckguck wieder rufen hören. Du lieber Gott! wie viel tausendmal habe ich den Guckguck rufen hören, und meine liebe Mutter, tröste sie Gott! liegt lange in der Erde. Allen meinen Schulkameraden habe ich das letzte Geleite gegeben, und bin allein noch übrig.
A. Das habe ich meinem seligen Schulmeister Pumpernickel zu danken. Der sagte immer zu mir, Hans Velten! wenn du deines Lebens froh werden willst, so lerne nur deine Begierden beherrschen! Das habe ich nun gethan, so viel ich konnte. Freilich nicht immer, aber wenn ich einmal mich eine Begierde wollte reiten lassen, so warnte mich immer der Herr Schulmeister. Ich habe ihm gefolgt, und kann es ihm nicht genug verdanken. Ich bin von Haus aus ein armer Schelm. Aber da ich immer meine Begierden zu beherrschen suchte, so ersparte ich gar viele Ausgaben, die andere Leute ihren Begierden zu Gefallen machen müssen. Dabei segnete mich Gott, daß ich ein ziemlich wohlhabender Mann wurde. Und wie wohl ist es mir immer gegangen! Ohne Zank und Streit, ohne Processe habe ich gelebt. Immer war ich gesund, keinen Doktor habe ich gebraucht, außer Ein Mal, da ich die hitzige Krankheit hatte. Essen und Trinken hat mir geschmeckt, und schmeckt mir noch jetzt. Nur die Kräfte nehmen seit einem halben Jahre etwas ab, und ich höre etwas schwer.
H. Er hat doch auch wohl gute Pflege?
A. Gott sei Lob und Dank! die habe ich auch. Meine Tochter – meine gute Tochter! die ist ein Mädchen wie es wenige gibt.
H. Die pflegt Ihn?
A. Die pflegt mich. Sie hat einen Freier, dem sie für ihre Seele gut ist, sie nimmt ihn aber bloß deßwegen nicht, weil sie glaubt, er möchte mich etwa nicht gut halten.
H. Die ist gewiß bei dem Herrn Pfarrer Goldammer in die Schule gegangen.
Da wir so miteinander sprachen, kam ein junger Bursch, mit einem Topfe voll Biersuppe, setzte sie vor dem Alten nieder und sagte: dieß Mal, lieber Vater! muß Er sich gefallen lassen, das Frühstück von mir anzunehmen. Er lachte, und sagte, ich bin es wohl zufrieden, aber was wird denn meine Margarethe dazu angeben?
Was wird sie angeben? sie wird ein Bischen mit mir zanken, und das mag ich gerne haben, das Zanken steht ihr gar artig.
Jetzt kam Margarethe auch mit ihrem Topfe voll Biersuppe angezogen. Guckt einmal über den Tobis da! sagte sie, ich glaube gar, der hat meinem Vater eine Biersuppe gebracht?
T. Wie du siehst.
M. Du mußt dich doch immer in Sachen mischen, die dich nichts angehen. Was soll ich denn nun mit meiner Biersuppe anfangen?
T. Essen.
M. Essen. Was der Mensch da schwatzt. Als wenn ich Biersuppe zum Morgenbrode zu essen pflegte. Du kannst ja deine Biersuppe essen.
T. Ich glaube gar, Margarethe ärgert sich.
M. Das wollte ich meinen.
T. Nun das freuet mich herzlich, daß ich dich auch einmal geärgert habe.
M. Schweig nur! womit habe ich dich denn geärgert?
T. Und du fragst noch? Glaubst du denn nicht, daß es einem ehrlichen Burschen wurmt, wenn er von einem Mädchen, das er so herzlich lieb hat, als ich dich, immer von einer Zeit zur andern abgewiesen wird?
M. Warum ich das thue, das weißt du. Gut bin ich dir, das habe ich dir zehnmal gesagt. Aber mein Vater ist mir näher.
T. Da machst du, daß ich dich immer lieber bekomme. Denn wer sollte ein Mädchen nicht lieb haben, das seinen alten Vater so in Ehren hält? Sag mir aber nur, warum du deßwegen mich nicht nehmen willst? Jetzt pflegest du deinen Vater alleine; nähmst du mich, da würde ich ihn auch mit pflegen.
M. Das sind ganz gute Worte. Aber man hat der Exempel schon mehrere, daß die Männer, wenn sie erst den Aeltern die Töchter abgeschwatzt haben, sich hernach nicht mehr um sie bekümmern, und ihnen wohl gar alles gebrannte Herzeleid anthun.
T. Hm! du hast wohl gesehen, was für gebranntes Herzeleid ich meinem alten Vater angethan habe.
M. Was hilft das Reden alle. So lange mein Vater lebt, kann ich dich nicht nehmen. Willst du so lange warten, bis –
T. Bis dein Vater stirbt? Ei du böses Mädchen. So willst du also, daß ich auf deines ehrlichen Vaters Tod hoffen soll?
M. Da wärest du ein schlechter Kerl.
T. Bringst du mich denn nicht dazu? Auf die Hochzeit mit dir freue ich mich, wie das Kind auf den heiligen Christ. Kannst du mir das verdenken? Kannst du es mir verdenken, wenn ich alle Stunden zähle, bis ich dich zum Altar führen kann? Nun willst du mich nicht eher nehmen, bis – ich werde kurze Arbeit mit dir machen, ( indem er ihre Hand faßte und sie zum Vater führte) hört lieber Vater, befehlt doch Euerm gehorsamen Töchterchen, daß es diesen Herbst mit mir Hochzeit macht. Ihr sollt an mir einen Schwiegersohn haben, der Euch auf den Händen trägt.
A. Margarethe sei kein Närrchen. Ich erkenne deine herzliche Liebe – aber warum willst du den Burschen so lange aufhalten? Der Bursch ist gut, und wird mir nichts zu leide thun. Du weißt ja, wie gut er seinen alten Vater gepflegt hat. Mach mir doch die Freude, daß ich noch bei deiner Hochzeit sein kann.
M. Wenn's Euch Freude macht, guter Vater, so – da Tobis hast du meine Hand! Du kannst sogleich zum Herrn Pfarrer gehen, und das Aufgebot bestellen. Aber Tobischen! Tobischen! das sage ich dir, halt meinen Vater in Ehren, sonst hast du keine gute Stunde bei mir.
T. Wenn du mir nicht eher böse Stunden machst, bis ich deinen Vater nicht in Ehren halte, so werde ich nimmermehr bei dir eine böse Stunde haben.
A. Kommt näher, lieben Kinder. ( Indem er ihre Hände zusammenlegte, und seine Hand darauf) Gott segne euch, lieben Kinder! Wenn's noch eintrifft, was in der Bibel steht, so wird's euch wohl gehen, und ihr werdet lange leben auf Erden, denn ihr habt das vierte Gebot erfüllet, und eure Väter und Mütter geehrt; und wenn des Vaters Segen den Kindern Häuser bauet, so wird's euch an Häusern nicht fehlen, denn du Tobis hast von deinem Vater den Segen bekommen, und du Margarethe bekommst ihn von deinem Vater.
Hier mußte der Alte aufhören zu reden, weil er vor Weinen nicht weiter sprechen konnte. Den jungen Leuten stürzten die Thränen aus den Augen, und die meinigen blieben nicht trocken. Ich drückte allen die Hände und sagte: ja, auf so rechtschaffenen Leuten wird Gottes Segen gewiß ruhen.
Mit diesen Worten entfernte ich mich, und ging wieder nach dem Wirthshause zu, wohin auch der Herr von Blutfink bald kam. Er hatte rothe Augen. Mit einem weinerlichen Gesichte sagte er mir: tausend Dank! lieber Haberfeld! daß du mich mit diesem braven Manne bekannt gemacht hast.
H. Das freuet mich doch, daß Sie ihn haben schätzen lernen.
B. Gott! ( indem er sich vor die Stirn schlug) hätte ich ihn doch zehn Jahre eher kennen lernen, was für ein Mann wollte ich jetzt sein! Jetzt bin ich ein Kerl, der sich selbst verachten muß.
H. Sprechen Sie doch nicht so verächtlich von sich, Herr von Blutfink! Was Sie nicht sind, das können Sie noch werden.
B. Ja, das hoffe ich. Bisher glaubte ich, ich wäre ein Freiherr, weil man mich so nannte, ich bildete mir etwas darauf ein, daß ich vielen Leuten befehlen konnte; jetzt – werde ich erschrecken, wenn man mich einen Freiherrn nennt – ach der erbärmliche Freiherr, den ein Wörtchen zu den unbesonnensten Streichen verleiten kann, der vom Branntweine abhängig ist.
H. Es ist mir auch ganz kurios gegangen. Sonst machte ich gar nichts aus mir, und wenn ich vor einem vornehmen Herrn stand, kam ich mir vor, wie ein Pilz. Jetzt fühle ich doch, daß ich ein Mensch bin, wie andere Leute auch.
B. Sonst sah ich einen Kerl, wie du bist, kaum über die Achsel an; jetzt begreife ich, daß in manchem schlechten Rocke ein Mensch stecken kann, der mehr werth ist, als wie ich.
H. Wollen Sie erlauben, daß ich Ihnen sagen darf, wie es mir ging?
B. Sag her.
H. Ich war mit der ganzen Welt, und wenn ich die Wahrheit sagen soll, mit dem lieben Gott selbst unzufrieden, weil es mir vorkam, als wenn er gegen mich wie ein Stiefvater gehandelt hätte. Andere strichen die Goldstücke zu hunderten ein, ich berechnete meine Einnahme nach Groschen; andere befahlen, ich mußte frohnen; andere fuhren mit Kutschen und Pferden, ich mußte zu Fuße gehen; andere gingen in Gold und Seide gekleidet, ich dankte dem lieben Gott, wenn meine Kleidung keine Löcher hatte. Wenn ich einen Topf voll Sauermilch aß, so saßen andere und hatten acht bis zehn Gerichte vor sich. Das wurmte mich. Das muß anders werden, dachte ich, wenn es gut werden soll. Da nun die französische Revolution ausbrach und alle Welt von Freiheit und Gleichheit sprach, so wurde ich wie verwirrt im Kopfe. – Nehmen Sie mir nicht ungnädig, Herr von Blutfink! Kamen damals die Franzosen zu uns, gab einer im Dorfe das Zeichen zur Rebellion, so war ich der erste, der los schlug, und die Edelleute und andere reichen Leute plündern half. Jetzt ist mir der Morgenstern aufgegangen, und ich sehe ein, daß ich ein wahrer Schafkopf gewesen bin. Ich habe nicht rebellirt, ich habe alles in seiner Ordnung gelassen, und keinen Menschen um einen Pfennig gebracht; gleichwohl befinde ich mich so wohl, daß ich mit keinem Menschen in der Welt tauschen möchte. Ich habe meine Begierden beherrschen lernen, und seitdem ich dieß gethan habe, gehört die ganze Welt mir. Ich kann alles betrachten, über alles nachdenken, von allem Vortheil ziehen. Mit den Groschen, die ich einstreiche, komme ich so weit, als andere mit ihren Goldstücken. Denn weil ich meiner Begierden Herr bin, so brauche ich wenig, und dieß Wenige kann ich mir mit meinen Paar Groschen leicht verschaffen. Ich habe Niemandem zu befehlen, ich muß immer gehorchen – was kümmert mich aber das? da meine Begierden mir gehorchen müssen.
B. O schweig!
H. Und warum denn?
B. Weil ich mir so klein vorkomme. Ich habe vielen Leuten zu befehlen – und war bisher der Sclave von Branntwein und andern Dingen mehr.
H. Wenn Sie es verlangen, so will ich schweigen.
B. So rede nur weiter! bekomme ich gleich bei deinen Reden manchen Stich an das Herz, so dient doch alles zu meiner Belehrung.
H. Andere fuhren zwar mit Kutsche und Pferden, wenn ich zu Fuße gehen mußte, der Vergnügteste war aber gemeiniglich ich. Denn die in der Kutsche fuhren, hatten oft an Leib und Seele Schmerzen, die sie sich durch die Ausschweifung ihrer Begierden zugezogen harten. Ich ging hingegen an Leib und Seele gesund. Die Kleider von Gold und Seide, die andere trugen, konnte ich ganz ruhig sehen, weil ich sie nicht begehrte, und es kam mir oft vor, als wenn meine wohlfeilen Kleider meinen Körper, den ich durch Selbstbeherrschung abgehärtet hatte, mehr wärmten, als andere ihre theuern Kleider. Wenigstens bemerkte ich manchen, dessen Weste mehr kostete, als mein ganzer Anzug, der bei rauher Luft wie ein Storch klapperte, unterdessen daß ich in meiner schlechten Kleidung frisch davon ging. Andere Leute wischten es freilich besser vom Maule, als ich es zu genießen bekam; mir schmeckte es aber immer gut. Wollte es mir bisweilen nicht recht schmecken, so wußte ich mir bald zu helfen. Ich streuete weder Nelken noch Zimmt, weder Muskatennüsse noch Muskatenblüthen auf meine Mahlzeit, sondern ich setzte einmal eine Mahlzeit aus, dann – Herr von Blutfink! ich sage Ihnen die reine Wahrheit, dann schmeckte mir mein Topf voll Sauermilch gewiß besser, als andern ihre Pasteten. Was hat es denn da für Noth? Weßwegen ißt denn der Mensch? nicht wahr deßwegen, daß er sich an der Speise erquicken und sich davon nähren will? Wenn mich nun meine Sauermilch erquickt und ernährt, so ist es ja gut –
B. Ja lieber Haberfeld! recht magst du wohl haben. Der liebe Gott hat freilich die irdischen Güter sehr ungleich ausgetheilt. Einem hat er fast alles, dem andern nichts gegeben. So lange man nun die irdischen Güter zu sehr schätzt, ist nichts als Unordnung. Der Reiche denkt wunder wer er wäre, verachtet und bedrückt den Armen, und richtet sich, durch seine Ausschweifungen, an Leib und Seele zu Grunde; und der Arme – der will verzweifeln. Sobald man aber zu bessern Einsichten kommt, und die Freiheit schätzen lernt, dann denkt man ganz anders und wird mit Gott und der ganzen Welt zufrieden. Der römische Kaiser und der Aermste seiner Unterthanen haben nur einen Weg zur Glückseligkeit – dieser ist Beherrschung der Begierden. Wer von beiden diesen betritt, nur dieser ist frei und glückselig. Jetzt bist du der Freiherr und ich der Leibeigene.
H. Sprechen Sie doch nicht so!
B. Warum nicht? es ist ja die Wahrheit. Immer soll es aber nicht so bleiben! das schwöre ich dir zu. Ich habe den braven Goldammer gebeten, daß er mir erlauben soll, einige Zeit in seiner Nähe zu bleiben, und täglich eine halbe Stunde Unterricht von ihm zu nehmen. Da soll es denn, denk ich, besser gehen. Nach einiger Zeit, hoffe ich, werde ich mich mit Recht den Freiherrn von Blutfink nennen. Das Probestück, das ich machen will, und das mir der Pfarrer aufgegeben hat, weißt du welches es ist?
H. Nun?
B. Ich trinke keinen Branntwein mehr.
H. Niemals?
B. Das will ich nicht sagen. Es kann der Fall eintreten, daß ich bei nassem Wetter eine Reise machen muß. Da werde ich mir denn freilich einen Schnaps erlauben. Gewöhnlich trinke ich aber keinen Branntwein mehr, das habe ich mir vorgenommen, das habe ich dem Pfarrer versprochen. Gelingt mir dieses nicht, so bin ich verloren, auf immer verloren.
H. Es wird Ihnen gewiß gelingen, wenn Sie nur ernstlich wollen.
B. Ich hoffe es auch. Jetzt laß mich in Ruhe, damit ich über die Sache weiter nachdenken kann.
Ich that es und ging zu dem Herrn Pfarrer Goldammer, um die Sache wegen Jeremiesens Hochzeit auf's Reine zu bringen. Da bekam ich aber wenig Trost. Lieber Haberfeld! sagte er, Jeremiesens Angelegenheit macht mir vielen Kummer.
H. Wie so? Will er etwa das Mädchen nicht heiraten?
Pf. Das nicht. Ich muß sagen, daß ich den Menschen sehr lieb gewonnen habe. Da er einsieht, daß es seine Pflicht sei, das Mädchen, das er verführte, zu heirathen, und sein Kind zu erziehen, so will er beides thun, wenn er auch von seiner Mutter enterbt würde und vom Tagelohn leben müßte.
H. Nu? Das Mädchen will ihn ja auch, und sein Vater gibt seine Einwilligung dazu.
Pf. Und doch will es nicht gehen. Wo soll er denn wohnen?
H. Wenn alle Stricke reißen, hier in Rittersleben, oder bei dem Herrn Amtmanne.
Pf. Das geht aber nicht, weil wir hier ein Landesgesetz haben, daß sich in hiesigem Lande kein Fremder ansiedeln darf, der nicht vierhundert Thaler her wenden kann.
H. Das finde ich doch hart.
Pf. So scheint es. Die Obrigkeit kann aber nicht anders. Wenn sie jeden ohne Unterschied sich ansiedeln läßt, so bekommt sie das Land voll Bettler.
H. Sollte es denn aber gar nicht möglich sein –
Pf. Möglich muß es sein, wenn man nur recht nachdenkt. Ich habe schon zweierlei Wege ausgesonnen, auf denen ich diesen Leuten einen Wohnplatz verschaffen will. Morgen um 9 Uhr komme Er wieder, da kann ich Ihm vielleicht mehr sagen.
Den andern Tag war ich Punkt neun Uhr bei dem Herrn Pfarrer. Nicht lange hernach kam auch Jeremies angezogen. Der Herr Pfarrer hieß ihn sich setzen und sagte: hier Jeremies! ist Sein Freund Haberfeld zurückgekommen, und hat die Einwilligung Seines Vaters zu Seiner Heirath mitgebracht.
J. Gott sei Lob und Dank! nun ist mir doch ein großer Stein vom Herzen.
Pf. Aber Seine Mutter will schlechterdings nicht einwilligen. Da nun Sein Vermögen ganz von der Mutter herkommt, so wird Er sich wohl müssen gefallen lassen, daß diese Ihn erblos macht.
J. Es ist hart! meiner Treue, sehr hart.
Pf. Das ist es freilich. Ich gebe Ihm die Sache nun zum Ueberlegen. Entweder Er muß Sein Mädchen und Sein Kind verlassen, oder Seinem mütterlichen Vermögen entsagen.
J. Ich habe alles schon überlegt.
Pf. Was will Er also thun?
J. Meine Rosine und mein Kind verlasse ich nicht, es mag mir gehen, wie Gott will.
Pf. Das ist löblich! bei diesem Vorsatze bleibe Er! Freilich wird Er anfänglich etwas kümmerlich leben müssen; es ist aber besser, bei einem guten Gewissen Salz und Brod zu essen, als bei Ueberflusse sich vorwerfen zu müssen, daß man schlecht gehandelt und seine Schuldigkeit nicht gethan habe.
Wenn Er mit Seiner Frau fleißig arbeitet, rechtschaffen handelt, und Sein Vertrauen auf Gott setzet, so wird Ihn dieser nicht verlassen.
J. Das denke ich auch.
Pf. Nun ist nur die Frage noch, wo ihr Leutchen euch niederlassen wollt.
J. Das überlasse ich Ihnen alles, lieber Herr Pfarrer! Machen Sie nur, daß die Sache bald auf's Reine kommt!
Pf. Sogleich wird sie nicht auf's Reine kommen; unterdessen wollen wir die Hoffnung nicht aufgeben. Ich will darüber nachdenken, und sehen, ob mein grauer Kopf nicht eine Auskunft treffen kann. Jetzt gehe Er in meinen Garten, bis ich Ihn wieder rufen lasse.
So wie er abging, trat der Herr von Blutfink herein, drückte dem Herrn Pfarrer die Hand und dankte ihm für den guten Rath, den er ihm gegeben hatte.
Nur Muth gefaßt, Herr von Blutfink! sagte der Pfarrer, der Mensch kann viel, wenn er nur nachdenkt, seine Kräfte braucht und seine Begierden beherrschen lernt; hat er ja einen Fehltritt gethan, und sich in den Abgrund des Verderbens gestürzt, so kann er sich mit Gottes Hülfe doch nach und nach wieder herausarbeiten. Davon habe ich eben jetzt ein Exempel gehabt, an dem Burschen, der hier hinausging. Dieser hatte auch einen Fehltritt gethan, und sich durch seine Begierden verleiten lassen, ein Mädchen unglücklich zu machen, und war durch diese unüberlegte Handlung bis zur Verzweiflung gebracht worden.
B. Ist das vielleicht der Bursch, der sich henken wollte?
Pf. Der ist es. Woher wissen Sie seine Geschichte?
B. Haberfeld hat mir von seiner Geschichte etwas gesagt. Und dieser glaubt noch dahin zu kommen, daß er, bei ruhigem Gewissen, ein vergnügtes Leben führen kann?
Pf. Das glaubt er, und ich habe die beste Hoffnung, daß es ihm gelingen werde. Er ist Herr über seine Begierden geworden, er hat die Liebe zum Gelde und zur Bequemlichkeit beherrscht, und seinem Erbtheile entsagt, um sein Mädchen heirathen und sein Kind erziehen zu können. Nun, da er diesen Schritt gethan hat, wird hoffentlich alles gut gehen. Sein Gewissen wird wieder ruhig werden, und er kann noch viele Jahre in der Welt Gutes stiften und Gutes genießen.
B. Nun da will ich auch nicht verzweifeln.
Pf. Das dürfen Sie auch nicht. Wenn ich nur ein Plätzchen wüßte, wo dieser Bursch mit seinem Mädchen sich ansiedeln könnte. In sein Dorf darf er nicht, da würde ihn die Mutter, die eine wahre Xantippe sein soll, und die zu seiner Heirath durchaus ihre Einwilligung nicht geben will, ihn bald zu Tode ärgern. Bei uns kann er sich auch nicht niederlassen, weil er nicht im Stande ist, so viel herzuwenden, als die Landesgesetze von einem Fremden verlangen, der sich bei uns niederlassen will.
B. Ist er ehrlich?
Pf. Ich glaube, wer sich über das Urtheil der Leute hinaussetzt, und sein ganzes Erbtheil in die Schanze schlägt, um einen begangenen Fehltritt wieder gut zu machen, der muß ein sehr ehrlicher Mann sein.
B. Das glaube ich auch. Ist er fleißig?
Pf. Er getrauet sich, durch seinen und seiner künftigen Frau Fleiß, seine Familie zu ernähren.
B. Guter Mann! ( indem er des Herrn Pfarrers Hand faßte) ich habe, wie Sie wissen, durch falsche Ehrliebe zwei Familien unglücklich gemacht. Ich selbst bin der elendeste Mensch, da mir mein Gewissen Tag und Nacht keine Ruhe läßt. Sie haben mir gesagt, es gäbe nur zwei Mittel zu meiner Beruhigung: Beherrschung der Begierden und Rettung der Unglücklichen. Das erste habe ich angefangen zu thun, und werde damit fortfahren.
Zum zweiten zeigen Sie mir jetzt selbst eine schöne Gelegenheit. Ich bin Erb- und Gerichtsherr von Münzenbach. Hier kann der Bursch mit seinem Mädchen sich niederlassen, ich – ich richte seine Hochzeit aus – Arbeit kann er auf meinem Gute genug haben – künftigen Sonntag kann er schon Hochzeit machen.
Pf. Das wollen Sie thun?
B. Das will ich thun.
Pf. Gott segne Sie dafür, lieber Herr von Blutfink! und gebe, daß Sie, bis ihr Haar grau wird, an dieser Familie Freude sehen, und in ihrem Wohlsein, das Sie jetzt gründen, immer eine Beruhigung Ihres verletzten Gewissens finden mögen. Ist es Ihr fester Entschluß?
B. Mein fester Entschluß.
Pf. So will ich den Burschen hereinkommen lassen, um ihm denselben mitzutheilen.
B. Das thun Sie doch ja!
Pf. Haberfeld, rufe Er doch den Jeremies herein!
Ich ließ den Jeremies hereintreten, und der Pfarrer redete ihn folgendermaßen an: Ist Er noch des Sinnes, daß Er, um Seinen Fehltritt gut zu machen, Seinem mütterlichen Erbtheil entsagen, und Seine Rosine heirathen will?
J. Ich habe es Ihnen versprochen, Herr Pfarrer! und ein ehrlicher Mann hält Wort.
Pf. Aber wovon will Er sich und Seine Familie nähren?
J. Von meiner und meiner Frau Arbeit.
Pf. Wenn der Mensch das Seinige thut, so kann er immer auf Gottes Segen rechnen. Da Er das Seinige gethan und sich fest entschlossen hat, mit Entsagung Seines mütterlichen Erbtheils, seinen begangenen Fehltritt gut zu machen, so tut der liebe Gott auch das Seinige; er hat ihm ein Plätzchen angewiesen, wo Er Wohnung, und durch Fleiß auch Brod finden wird.
J. Im Ernste?
Pf. Er kann sich auf mein Wort verlassen. Dieser Herr von Blutfink wird die Gnade haben, Ihn in sein Dorf Münzenbach aufzunehmen.
B. Ja lieber Freund! wenn Ihr mit Eurer künftigen Frau Lust habt Euch ehrlich zu nähren, und brave Leute seid, so sollt Ihr bei mir Schutz, Arbeit und Brod haben.
J. Das wollen Sie an mir thun? Gott vergelte es Ihnen, gnädiger Herr! hier verspreche ich es Ihnen mit einem Handschlage, daß ich mich so aufführen will, daß Sie niemals über mich Klage haben sollen.
B. Ich hoffe, Ihr werdet Wort halten. Ich reite morgen sogleich nach Hause, um zu Eurer Hochzeit die Veranstaltung zu treffen, die schon auf den Sonntag sein kann. Ihr könnt gehen, um Eure Verlobte abzuholen.
J. Das will ich gleich thun.
Pf. Wo bleibt aber das Kind?
J. Da schlagen Sie mir selbst vor, lieber Herr Pfarrer! wie ich das machen soll. Ich will es gern zu mir nehmen, es ist ja mein Fleisch und Blut.
Pf. Aber sobald er sich zum Vater des Kindes bekennt, wird die Gemeine verlangen, daß Er alle Kosten ersetzen soll, die die Unterhaltung des Kindes verursacht hat.
J. Das ist freilich nicht mehr als billig. Aber wovon? Wovon, lieber Herr Pfarrer? Ich habe noch 5 Kopfstücke, das ist meine ganze Baarschaft.
B. Gebt Euch zufrieden, ich werde die Sache abmachen.
J. Du lieber Gott! Sie sind ja ein wahrer Engel, gnädiger Herr!
Nun wurde der Schulze und des Kindes Pflegemutter herbei gerufen, und die Sache mit ihnen auf's Reine gebracht. Darüber verstrich die Zeit, und ich rieth Jeremiesen, daß er diesen Tag noch bleiben sollte. Dieser aber war so begierig, seiner Rosine recht bald die gute Nachricht zu überbringen, daß er sich nicht lange halten ließ, und mich bat, ihn ein Stück zu begleiten.
Da ich in die Wirthsstube zurück kam, waren etliche Fuhrleute da, denen der Wirth eine Schüssel voll dürre Bohnen und geräucherte Wurst auftrug. Da ich dies Gerichte sehr gern esse, und ziemlichen Hunger im Magen fühlte, so ließ ich mir auch eine Portion davon geben, verzehrte sie und legte mich zur Ruhe. Ich mochte nicht gar lange geschlafen haben, so fing ich an zu träumen. Anfangs war der Traum gar lieblich. Ich war bei meinem Kathrinchen, sie war meine Frau, und ich befand mich bei ihr sehr wohl. Auf einmal that sich aber der Erdboden von einander, ich fiel in ein tiefes Loch, rief Hülfe! Hülfe! streckte die Arme nach meiner Frau aus, die war aber auf einmal in eine Xantippe verwandelt. Du Galgenstrick! sagte sie, von mir hast du keine Hülfe zu erwarten. Ich bin froh, daß ich dich los bin. Mir war es, als wenn ich schon Kinder hätte, die um mich herum standen.
Ich bat meine Kinder, mir die Hände zu reichen, sie schimpften mich aber und sagten: du bist ein Rabenvater; stirb nur – da nimmt unsere Mutter einen andern, der besser ist, als du. Ich stemmte mich mit den Händen an, um mir selbst zu helfen; sie schlugen mich aber alle mit Dornbüschen so stark, daß ich mich nicht retten konnte.
Endlich stieß mich der Fuhrmann an, der neben mir lag, und sagte: Kamerad! Was fehlt dir denn?
Da wachte ich auf, und der Traum war weg. Ich schlief zwar wieder ein, aber ich bekam wieder Zank mit meiner Frau.
Des Morgens stand ich sehr verdrießlich auf, und dachte, der Traum bedeutet gewiß nichts Gutes. Es ist eine Warnung. Ich ging von einer Ecke zur andern, und wußte nicht, was ich thun sollte.
Gut war es, daß ich den lieben Herrn Pfarrer Goldammer nicht weit hatte. Zu diesem ging ich und erzählte ihm erst weitläuftig meine Geschichte mit Kathrinchen. Einigemal fiel er mir in's Wort, und that verschiedene Fragen an mich.
Da ich nun ausgeredet hatte, faßte er meine Hand und sagte: lieber Haberfeld! Er hat als ein sehr vernünftiger Mensch gehandelt, und ich wüßte an Seiner Handlungsart gar nichts zu tadeln. Wenn sich alles so verhält, wie Er mir gesagt hat, so kann Er Sein Mädchen nehmen, wie wenn es Ihm der liebe Gott gegeben hätte. Denn woher sollen wir denn Gottes Willen anders erfahren, als durch Nachdenken? Der liebe Gott spricht nicht mit uns durch Stimmen vom Himmel. Er hat uns aber einen Wegweiser an unserer Vernunft gegeben. Diese sagt uns immer was wir thun und lassen sollen. Wenn wir diese gebrauchen, nicht auf unsere Begierden hören, sondern nachdenken, so sagt sie uns gewiß immer was Gottes Wille ist.
Er kann also Sein Mädchen getrost nehmen, und kann hoffen, daß Er mit ihr eine vergnügte Ehe führen werde. Freilich wird es ohne Trübsal und Widerwärtigkeiten nicht abgehen. Diese dürfen ihn aber nicht niederschlagen. Sein Gewissen wird Ihm sagen: du hast dir nichts vorzuwerfen, du hast nach Vernunft gehandelt – du hast Gottes Willen gethan. Die Widerwärtigkeiten, die dich nun treffen, sind von Gott gegeben, sie müssen dir also gut sein. Aber warum hängt Er den Kopf? Warum ist Er so verdrießlich?
H. Ach Gott!
Pf. Nu! Was fehlt Ihm denn?
H. Ich habe diese Nacht gar einen schweren Traum gehabt.
Pf. Ei! Ei! Der vernünftige Haberfeld, der sich von so vielen Dingen frei gemacht hat, der will nun Sclave eines Traums werden? Hier habe ich ein Traumbüchlein, das ich einer alten Frau weggenommen habe, die immer des Vormittags darin las, um zu erfahren, was die Träume bedeuteten, die ihr des Nachts vorgekommen waren. Da können wir ja nachschlagen, was Sein Traum zu bedeuten habe.
H. Ach! Zu meinem Traume habe ich kein Traumbüchlein nöthig, der erklärt sich von selbst.
Pf. So erzähle Er ihn mir doch!
Der Herr Pfarrer hörte meiner Erzählung aufmerksam zu, und da ich damit fertig war, fragte er: was hat Er gestern Abends gegessen?
H. Nichts, als einen Teller voll Bohnen und geräucherte Wurst.
Pf. Und da Er diese Mahlzeit genoß, war es wohl schon etwas spät?
H. Freilich. Ich hatte erst Jeremiesen das Geleite gegeben, und kam etwas spät zurück, weil es auf dem Weg einen kleinen Aufenthalt gegeben hatte.
Pf. Was war denn dieß für ein Aufenthalt?
Da erzählte ich ihm nun einen Auftritt, den ich mit einem betrunkenen Manne gehabt hatte.
Pf. Nun brauche ich weiter nichts zu wissen, lieber Haberfeld! Ich kann Ihm Seinen Traum, ohne Traumbuch, recht gut erklären. Die Bohnen sind eine blähende Speise, die den Magen stark auftreibt. Wenn Er sich nun mit diesem Magen voll Bohnen niedergelegt hat, so drückte der aufgetriebene Magen auf die Adern, das Blut wurde in seinem Umlaufe gehemmt. Daraus entstand Beängstigung. Die Beängstigung brachte Ihn auf ängstliche Gedanken. Hätte Er nun vorher ein Buch von den Höllenstrafen gelesen, so würde Ihm von der Hölle geträumt haben; hätte Er von Gespenstern und Spitzbuben erzählen gehöret, so würden Ihn diese im Traume geplagt haben. Da Er aber ein über ihren trunkenen Mann zorniges Weib und Kinder gesehen hatte, die ihren Vater verabscheuen mußten, Er auch überdieß Heirathsgedanken im Kopfe hatte, so konnte das zornige Weib, die aufgebrachten Kinder leicht im Traume wieder erscheinen, und es konnte Ihm vorkommen, als wenn sie die Seinigen wären.
H. Das glauben Sie wirklich?
Pf. Das glaube ich wirklich. Wenn man ängstliche Träume hat, so untersuche man nur den Zustand seines Körpers. Man wird immer finden, daß es mit diesem nicht richtig ist. Entweder man hat zu viel, oder zu spät, oder blähende, unverdauliche Speisen genossen, oder man ist zu vollblütig, oder es ist eine andere Unordnung im Körper. Wenn der Körper ganz gesund, und der Magen nicht überladen ist, so wird man gewiß keine ängstliche Träume haben.
H. Aber Abraham, Isaack und Jakob, und andere Leute, die in der Bibel vorkommen, träumeten doch auch, und ihre Träume trafen immer ein.
Pf. Lieber Haberfeld! Wenn Abraham, Isaack, und Jakob hier wären, und ich mich mit ihnen, so wie jetzt mit Ihm, über den Zustand besprechen könnte, in dem sie sich befanden, als sie träumeten, so würden wir über ihre Träume manchen Aufschluß bekommen. Diese sind aber nicht mehr da. Folglich läßt sich über ihre Träume nichts gewisses sagen. Muthmaßungen lassen sich aber darüber machen. Diese Leute befanden sich, ehe sie zu träumen anfingen, fast immer in einer bedenklichen ängstlichen Lage. Sie werden also, wie alle vernünftige Leute in solchen Fällen zu thun pflegen, nachgedacht, und da sie fromm waren, an Gott gedacht haben. Mit solchen Gedanken schlossen sie die Augen, die Seele machte aber fort, und dachte nach. Da nun alles um sie herum dunkel und stille war, und sie also durch nichts im Nachdenken unterbrochen wurden, so konnten sie des Nachts leicht zu Einsichten kommen, die sie am Tage nicht hatten, und auf Mittel fallen, sich zu retten, an die sie bei wachendem Leibe nicht dachten. Dieß geschieht heutiges Tages noch sehr oft, daß die Menschen im Traume einsehen, was sie am Tage nicht begreifen konnten.
Aber durch ängstliche Träume, die ihren Grund in einer Unordnung des Körpers haben, darf ein vernünftiger Mensch sich nicht irre machen lassen.
H. Also meinen der Herr Pfarrer, daß ich mich an diesen Traum nicht kehren, daß ich mein Mädchen heirathen soll?
Pf. Wenn Er es lieb hat, und nichts Nachtheiliges von ihr höret, warum denn nicht? Wollte Er denn wohl deßwegen einem rechtschaffenen Mädchen entsagen, weil Ihm ein Teller voll Bohnen nicht recht bekommen ist?
H. Nun so will ich denn in Gottes Namen zur Hochzeit Anstalt machen, und ich werde es nun weit freudiger thun, da ich Ihren guten Rath darüber vernommen, und Sie meine Meinung gebilligt haben. Zuvor will ich aber noch einmal zu dem guten Herrn Amtmanne gehen, von ihm Abschied nehmen, und ihm für seine guten Lehren danken, die er mir gegeben hat.
Pf. Da thut Er sehr wohl dran.
H. Ihnen danke ich auch tausendmal, lieber Herr Pfarrer, für alles Gute, das Sie mir gesagt haben. Wenn es mir einmal in der Welt wohl geht, so werde ich immer dran denken, daß ich es dem guten Herrn Amtmann, und Ihnen, lieber Herr Pfarrer! zu verdanken habe.
Pf. Vergesse Er mich auch nicht, wenn es Ihm übel geht. Auch der verständigste und rechtschaffenste Mann muß bisweilen schwere Leiden übernehmen. Wenn Er aber immer Recht thut, Seine Begierden zu beherrschen weiß, und Sein Vertrauen auf Gott setzet, so wird Er durch keine Widerwärtigkeit niedergedrückt, Er weiß sich immer zu helfen, und von jedem Unglücke Seinen Vortheil zu ziehen.
H. Und wenn ich das einmal kann, so habe ich es Ihnen auch zu danken, lieber Herr Pfarrer!
Pf. Wenigstens habe ich Ihm dazu einige Anleitung gegeben. Lebe Er wohl, lieber Haberfeld! Wahrscheinlich sehen wir uns in der Welt nicht wieder. Meine Lebenssonne ist im Begriffe unter zu gehen. Wenn Er aber auf dem guten Wege, auf dem Er sich befindet, fortgeht, so werden wir uns in einer bessern Welt wieder finden, und uns freuen über die Siege, die wir über unser Fleisch und Blut errungen haben. Lebe Er recht wohl! Gott segne Ihn?
H. Leben Sie auch wohl! ( indem ich seine Hand küßte, und ein Paar Thränen auf sie fallen ließ.)
Nun setzte ich meinen Stab weiter fort, und ging zu dem Herrn Amtmanne. Ich sagte ihm mein Anbringen kurz und gut, dankte ihm, für die guten Lehren, die er mir gegeben hatte, und erzählte ihm, daß ich nächstens Hochzeit machen würde.
Hochzeit! sagte er, Hochzeit! Ueber diesen Punkt möchte ich gern noch ein Paar Worte mit dir sprechen. Aber jetzt habe ich den Kopf so voll, daß es mir nicht möglich ist, mich mit dir abzugeben. Komm diesen Abend wieder, wenn ich meinen Dreschflegel abgelegt habe. Um neun Uhr, da sollst du mir angenehm sein.
Zu der bestimmten Stunde fand ich mich ein, der Herr Amtmann hatte seine Pfeife angesteckt, saß auf dem Canapee, und war wieder eben so guter Laune, wie damals, da ich ihn das erstemal kennen lernte.
Ich mußte mich niedersetzen und er ließ mir ein Glas Bier einschenken. Also Hochzeit willst du machen, sagte er, gratulire dazu. Ist deine Braut auch ein gutes Mädchen?
H. Herr Amtmann! ein herrliches Mädchen! Ich kann Sie versichern, daß ich noch niemals ein solches Mädchen gekannt habe, das so hübsch, so ordentlich, so rechtschaffen und fleißig gewesen wäre, wie mein Kathrinchen.
A. Ha! ha! ha! Die Bräute sind in den Augen ihrer Liebhaber immer gar herrliche Mädchen. Ich will wünschen, daß du nach drei Jahren eben so sprechen magst.
H. Wir wollen das Beste hoffen.
A. Das wollen wir. Aber mit dem Hoffen allein ist die Sache nicht ausgemacht, wir müssen dabei auch das Unsrige thun. Ueber diesen Punkt wollen wir noch ein Paar Worte mit einander reden. Es gibt Bursche, die ihre Bräute vor der Hochzeit beinahe vor Liebe aufessen.
Wenn aber die Hochzeit vorbei ist, und sie ein Paar Monate im Stande der heiligen Ehe gelebt haben, so werden sie Weiberschinder; sagen ihren Weibern nichts angenehmes, befehlen nur immer, schelten sie wegen jedes Versehens aus, prügeln sie wohl gar – ein solcher Kerl willst du doch nicht werden?
H. Bewahre Gott!
A. Ich glaube es auch nicht. Denn Haberfeld! Haberfeld! in der Bibel steht: Wer eine Ehefrau findet, der findet etwas Gutes, und das ist wahr. Ein Mann, der eine rechtschaffene Frau hat, der besitzt einen großen Schatz, und kein Königreich, kein Kaiserthum kann so viel Freude verschaffen, als eine rechtschaffene Frau. Der arme Taglöhner, der, wenn er sein Tagewerk geendigt hat, zu Hause eine biedere gute Frau findet, die ihm den Schweiß von der Stirn wischt, und ihm Freude zu machen sucht, der ist glücklicher, als ein großer Potentat, dem dieser Schatz fehlt. Wenn man nun eine rechtschaffene Frau hat, so muß man sie auch lieb und werth haben, und ihre Schwachheiten mit Geduld tragen, und bedenken, daß man auch von Schwachheiten nicht frei ist.
H. Herr Amtmann. Sie sollen gewiß sehen, daß ich meine Frau auf den Händen tragen will.
A. Nun das ist eben nicht nöthig. Biete ihr nur deine Hand, wenn es ihr etwas sauer wird, und drücke die ihrige, wenn sie ihre Geschäfte ordentlich besorgt hat.
H. Das ist meine Schuldigkeit.
A. Ich muß dir doch ein Geschichtchen erzählen. Vor ein Paar Jahren bekam ich von einem guten Freunde ein Fäßchen Malagawein. Hast du schon welchen getrunken?
H. In meinem Leben nicht.
A. Er schmeckt ganz vortrefflich. Da hab ich noch ein Gläschen stehen, versuch es einmal!
H. Ach so etwas Delicates habe ich in meinem Leben nicht getrunken.
A. Nicht wahr? Nun diesen Malagawein habe ich in meinem Keller, und kann davon trinken so viel und so oft ich will. Gleichwohl trinke ich ihn nur selten. Zweimal etwa die Woche, wenn ich eben bei guter Laune bin, damit ist es gut. Dabei bleibe ich gesund und stark, und mein Malaga schmeckt mir immer gut. Vor etlichen Wochen besuchte mich aber ein alter Dutzbruder. Ich freuete mich über seinen Besuch, und ließ bei der Abendmahlzeit ein Fläschchen Malaga holen. Er trank ein Gläschen, lobte es, trank noch eins, und noch eins, leerete das ganze Fläschchen aus, bat daß ich noch eins möchte holen lassen, und trank es auch aus. Den andern Morgen stand er auf, sah bleich und verdrießlich aus, schlich umher, wie eine Fliege, die aus der Buttermilch kommt, und, da ich ihm bei Tische wieder Malaga auftragen ließ, konnte er nicht mehr trinken. Hast du nichts mehr aus dem Fäßchen, Herr Bruder, fragte er, aus dem du mir gestern gabst? Der Wein, den du vor dir hast, sagte ich, ist aus dem nämlichen Fäßchen, aus dem du gestern bekamst; aber du hast des Guten zu viel gethan, drum schmeckt er dir nicht mehr.
Viele Eheleute machen es eben so. Wenn sie ein Paar Monate im Ehestande gewesen sind, so sehen sie gelb aus, wie die Spillinge, haben blaue Ringe um die Augen und kein Mark in den Knochen. Sie ekeln einander an, wie meinem Dutzbruder der Malaga. Verstehst du mich?
H. Vollkommen, Herr Amtmann!
A. Daher entstehen zuerst die Zänkereien. Leute, die vor einander Ekel haben, fahren einander an, schelten und mißhandeln einander. Verstehst du mich?
H. Vollkommen, Herr Amtmann. Sie müssen aber doch wirklich keine gute Meinung von mir haben, wenn Sie glauben, daß ich so etwas thun würde.
A. Ja nun! ich kenne verschiedene hübsche Leute, von denen ich immer eine gute Meinung hatte, und die doch so etwas thaten. Unterdessen will ich von Haberfelden so etwas nicht glauben. Du hast außer dem Ehestande deine Begierden beherrschen lernen, so hoffe ich, daß du es auch in demselben thun wirst.
Nun komme ich aber noch auf ein ander Pünktchen. Haberfeldchen! Haberfeldchen! gib wohl Achtung. Du willst doch zu den freien Leuten gerechnet sein?
H. Wenigstens habe ich mir alle Mühe gegeben, Ihre und des Herrn Pfarrers Goldammer gute Lehren zu befolgen, und mich so frei zu machen.
A. Da sieh dich nur vor, daß du dein Bischen Freiheit nicht etwa verlierst und unter den Pantoffel kommst.
H. Herr Amtmann! Wenn Sie mein Mädchen kennen sollten, so würden Sie so etwas nicht besorgen. Das ist gar ein liebes Mädchen, dem es gewiß nicht in den Sinn kömmt, mich unter den Pantoffel zu bringen.
A. Das glaubst du? da sprichst du, wie der Blinde von der Farbe: denn du kennst die Weiber noch nicht. Ich fand einmal auf einem Papiere, in welches der Würzkrämer Zucker gewickelt hatte, ein Verschen, über das ich herzlich lachen mußte, und das ein Gebet an den großen Christoph enthielt, und folgendermaßen lautete:
Ach du lieber heiliger Stoffel
Behüt uns vor der Weiber Pantoffel!
Süß ist der Weiber holdseliger Kuß,
Centnerschwer ihr bepantoffelter Fuß.
H. Das ist ja gar ein schnurriges Verschen.
A. Schnurrig ist es freilich, aber es steckt doch viel Wahrheit drin. Das ist z. E. sehr wahr:
Süß ist der Weiber holdseliger Kuß,
Centnerschwer ihr bepantoffelter Fuß.
Wer einmal unter den Pantoffel gerathen ist, der ist nur ein halber Mann. Er kann nicht nach seinen Einsichten handeln, sondern muß sich immer nach dem Willen seiner Frau richten.
Willst du wohl so ein halber Mann werden?
H. Dafür wolle mich Gort bewahren!
A. Bewahre du dich nur dafür, so wird dich Gott auch dafür bewahren. Sieh! die Mittel und Wege, die die Weiber anwenden, um ihre Männer unter den Pantoffel zu bringen, sind tausenderlei. Ich glaube aber, sie passen so ziemlich in zwei Fächer; in das Fach der bösen und der guten Weiber. Die bösen Weiber suchen ihre Männer durch ihr loses Maul, durch Zanken, Toben und Werfen unter den Pantoffel zu bringen. – Das beste Mittel dagegen ist – daß man keine böse Frau nimmt. Denn seine Frau so zu behandeln, wie ein gewisser Officier that, das ist nicht jedes Mannes Sache.
H. Wie behandelte denn dieser seine Frau?
A. Da er sich um sie bewarb, warnten ihn alle seine Freunde vor ihr. Er lächelte und sagte: dafür laßt mich sorgen. Zwei Tage nach der Hochzeit ritt er mit ihr spatzieren.
Da sie nun mit einander ein Fleck geritten waren, stürzte der Frau ihr Pferd. Sogleich zog der Mann die Pistole heraus, befahl der Frau abzusteigen, und schoß das Pferd nieder. Die Frau zitterte vor Schrecken am ganzen Leibe. Der Mann schnallte den Sattel vom erschossenen Pferde ab, und befahl der Frau den Sattel zu tragen. Diese sah ihn an und wollte Einwendungen machen, aber der Mann legte ihr mit zornigem Blick den Sattel auf und schwang sich auf sein Pferd. So mußte sie denn mit dem Sattel neben ihm hertraben.
Von dieser Zeit an war sie so fromm wie ein Lämmchen, und der Mann? dieser behandelte sie mit Vernunft und Liebe, wie dieß die Schuldigkeit eines jeden rechtschaffenen Mannes ist.
Nach der Beschreibung, die du mir von deinem Kathrinchen gemacht hast, wird sie freilich nicht in das Fach der bösen, sondern der guten Weiber gehören. Diese haben nun aber auch ein kräftiges Mittelchen die Männer unter den Pantoffel zu bringen, das ist der holdselige Kuß. Wenn sie den Mann dahin bringen wollen, daß er nach ihrer Pfeife tanzen soll, so fallen sie ihm um den Hals, streicheln ihm die Backen, und geben ihm den holdseligen Kuß. Hilft das nichts, so versagen sie ihm den holdseligen Kuß. Will das nicht helfen, so schmollen sie, und wenn auch dieses nichts hilft, so treten sie hin und heulen. Und wenn eine Frau erst anfängt zu heulen, so strecken gewöhnlich die Männer das Gewehr.
Sieh, lieber Haberfeld! auf diese Art wird dein Kathrinchen dich wahrscheinlich unter den Pantoffel bringen.
H. Das wäre doch arg.
A. Freilich wäre es arg.
H. Was soll ich denn da thun?
A. Ich will es dir sagen, gib Achtung! Der holdselige Kuß deines Kathrinchens wird dir süß schmecken – gut; aber du mußt ein Mann sein, und dich dadurch nicht verleiten lassen, daß du etwas thust, was einem Manne unanständig ist. Unanständig ist es aber für einen Mann, wenn er sich von der Frau commandiren läßt. Sei nur in den ersten Tagen deiner Ehe auf deiner Hut. Du wirst dann deiner Frau so ergeben sein, daß du ihr durch's Feuer liefst. Willst du ihr denn nun immer, so oft sie es verlangt, durch's Feuer laufen? Das willst du doch gewiß nicht. Nun so thue es gleich anfangs nicht. Denn laufst du deiner Frau einmal durch's Feuer, so verlangt sie, daß du es immer thun sollst. Thust du es, so stehst du unter dem Pantoffel; thust du es nicht, so hast du keine ruhige Stunde.
H. Ich verstehe Sie nicht recht, Herr Amtmann!
A. Nun so will ich mich deutlicher erklären. Sieh, es gibt gewisse Geschäfte, die für die Frau, und andere, die für den Mann gehören. Die Weibergeschäfte darf der Mann, ohne die dringendste Noth, nicht übernehmen, und in seine Geschäfte darf er sich von der Frau nicht viel reden lassen.
H. Es wird etwas schwer sein, auszumachen, was für die Frau, und was für mich gehört.
A. So gar schwer nicht. Die gesunde Vernunft lehrt es, wenn man sie nur recht brauchen will. Du bist ein Bauer, und deine Frau wird eine Bäuerin. Was sind nun ihre Geschäfte?
H. Zu kochen, zu waschen, für das Vieh zu sorgen.
A. Sieh, daß du es weißt? Denk nur fein nach, so wirst du immer finden, was der Frau, und was dir zukommt. In deiner Frau ihre Geschäfte mische dich nun nicht viel. Guck nicht immer in die Töpfe; schreib ihr nicht vor, was sie täglich kochen soll. Laß ihr ihren Willen bei der Viehzucht, und wenn sie Butter und Käse macht. Sie hat z. E. die rothen Kühe lieber, und du die schwarzen. Schaff lauter rothe Kühe in ihren Stall. Sie hat die geschwänzten Hühner lieber, als die Kaulhühner – laß ihr ihren Willen. Sie will das Kälbchen anbinden, das die Kuh gekalbt hat, weil es ein weiß Herz an der Stirn hat, du willst es lieber verkaufen. Gib nach, laß es anbinden, und laß der Frau ihren Willen. Eine Frau will auch ihren Willen haben. Ein vernünftiger Mann läßt ihr ihn, soviel nur immer möglich ist, und bauet dadurch vielen Zänkereien vor. Aber –
H. Nun? reden Sie nur weiter.
A. Aber wenn nun die Frau dich vor den Kochheerd, oder an den Waschtrog stellen, oder dir zumuthen wollte, daß du die Kuh melken solltest?
H. Dazu würde ich mich nimmermehr verstehen.
A. Das sagst du jetzt. Wie denn aber, wenn dir deine Frau den holdseligen Kuß versagt? Wenn sie spricht, du hättest sie nicht lieb? Wenn sie hintritt und weint?
H. So schlimm wird es ja doch nicht sein?
A. Ich glaube allerdings, daß es so schlimm nicht sein wird. Unterdessen habe ich auch das Zutrauen zu dir, daß du dich wie ein Mann halten wirst. Du hast dich bisher geübt, immer deine Begierden zu beherrschen; fahre nun fort, auch über die Liebe zu deiner Frau und über das Mitleiden die Herrschaft zu behaupten. Wenn du wissen willst, wie du dieß anfangen mußt, so will ich es dir wohl sagen.
H. Das thun Sie doch ja!
A. Sieh! wenn deine Frau von dir etwas verlangt, und sucht dich durch den holdseligen Kuß, oder durch Thränen dahin zu bringen, daß du es thust, so nimm dich zusammen, und thue es nicht sogleich. Denn wenn dir das Herz so weich gemacht ist, so kannst du keine Ueberlegung anstellen. Stopfe dir eine Pfeife Tabak und geh in den Garten oder auf den Acker. Da denke ruhig nach, ob es wohl recht und billig ist, deiner Frau Wunsch zu erfüllen. Ist es billig und recht, so lauf und thue es sogleich, ohne dich noch ein einzigesmal drum bitten, oder eine einzige Thräne fallen zu lassen. Findest du aber, daß sie etwas unbilliges und unrechtes verlangt, so thue es nicht, und wenn sie ein halb Dutzend Schnupftücher voll weinte. Schwer ist dieß freilich; es kann aber nicht anders sein, wenn du ein freier Mann bleiben willst. Läßt du dich durch die Liebe und das Mitleiden beherrschen, so ist's mit deiner Freiheit aus, und du wirst ein Sclave deiner Frau.
H. Ich sehe nun wohl ein, daß es doch nicht so leicht ist, ein Ehemann zu sein, als ich geglaubt habe.
A. Darinne hast du Recht. Die mehresten Bursche meinen, es wäre nichts leichter, als eine Frau zu nehmen. Kommen sie aber erst in den Stand der Ehe, so gehen ihnen die Augen auf. Mehrentheils aber zu spät. Sie wissen nicht, wie sie gegen die Weiber sich benehmen sollen, und machen lauter albernes Zeug, daraus nichts als Zank und Mißvergnügen entsteht.
Unterdessen ist es auch nicht so schwer, als man denkt. Wenn ein Mann rechtschaffen ist, seine Frau liebt und nachdenken gelernt hat, so wird er in allen Fällen einsehen, was er zu thun und zu lassen hat. Begeht er auch bisweilen einen Fehler, welches denn freilich auch den klügsten Männern bisweilen zu begegnen pflegt, so kann er diesen Fehler doch bald wieder gut machen. Du bist ja aber ein rechtschaffner Bursch, dein Mädchen hast du lieb, nachdenken hast du auch gelernt, so wird denn hoffentlich alles gut gehen.
H. Das gebe der liebe Gott!
A. Das Beste hätte ich bald vergessen zu sagen. Ich habe nur von den Geschäften deiner künftigen Frau gesprochen, nun muß ich auch von den deinigen etwas sagen. Daß du dich nicht viel in die Geschäfte deiner Frau mischen darfst, weißt du. Nun mußt du aber auch auf deiner Hut sein, daß deine Frau sich nicht zu viel in die deinigen mische. Welches sind denn deine Geschäfte?
H. Doch nichts anderes, als der Ackerbau.
A. Ganz recht. Dazu gehört aber vielerlei; die Sorge für die Pferde, für das Bestellen der Aecker, für den Fruchtboden, für den Geldbeutel u. s. w., über alle diese Geschäfte mußt du Herr bleiben, und dir von deiner Frau nicht viel drein reden lassen. Viele junge Ehemänner versehen es darin, daß sie ihre Weiber, bei allen ihren Geschäften, zu Rathe ziehn. Sie meinen es gut damit, es ist aber nicht gut, und thut nicht gut. Ein Paar Eheleute mögen so einig sein, als sie immer wollen, so ist es doch nicht möglich, daß sie in allen Stücken einerlei Meinung sein sollten. Wenn sie sich nun über alles mit einander berathschlagen wollten, so würde daraus nur Uneinigkeit entstehen. Gesetzt z. E. du wolltest einen Acker bestellen, und du fragtest Kathrinchen, ob es wohl besser sei, Rocken oder Weizen dazu zu nehmen, und sie verlangte Weizen, du glaubst aber der Rocken schicke sich besser, so seid ihr verschiedener Meinung. Nun folgst du entweder deiner Frau Meinung, oder du thust es nicht. In beiden Fällen kommst du in's Gedränge. Folgst du ihrer Meinung, so handelst du nicht nach deinen Einsichten, nicht nach deiner Vernunft, sondern nach dem Willen deiner Frau, du stehst unter dem Pantoffel. Thust du es aber nicht, so wird geschmollt und gezankt.
Willst du dem allen ausweichen, so ist das Beste, du ziehst in deinen Geschäften deine Frau gar nicht zu Rathe. Es versteht sich aber von selbst, daß du deßwegen nicht ungefällig sein darfst, sondern jede Gelegenheit nutzen mußt, deiner Frau da und dort eine Freude zu machen.
Deine Frau ließe sich z. E. merken, daß sie gar zu gern ein Stückchen mit Linsen bestellt hätte, so schreibst du dir es hinter die Ohren, bestellst die Linsen heimlich, wenn sie nun aufgegangen sind, führst du sie spatzieren, und gehst vor dem Linsenstücke vorbei, da freuet sie sich, drückt dir die Hand und gibt dir den holdseligen Kuß.
Freilich gibt es einfältige Männer, denen nicht besser kann gerathen werden, als daß man sie unter die Vormundschaft ihrer vernünftigen Weiber setzt. Zu diesen wirst du dich doch aber wohl nicht rechnen?
H. Lieber wollte ich in meinem Leben keine Frau nehmen.
A. Nun so leb denn wohl, lieber Haberfeld! ich habe mit dir viel gesprochen. Dieß ist meine Art sonst nicht, denn die mehresten Leute lassen das, was man mit ihnen spricht, zu einem Ohre hinein, zum andern hinaus gehen. Wozu soll man da viel sprechen? Bei dir habe ich aber gemerkt, daß du aufpaßt wenn man etwas sagt, und darüber nachdenkst; deßwegen habe ich mich so viel mit dir abgegeben. Nimm es gut auf! Ich habe es aus gutem Herzen gesprochen.
H. Herr Amtmann! So lange ich lebe, vergesse ich Sie und Ihre guten Lehren nicht! Gott segne Sie dafür, ( indem ich seine Hand küßte) und gebe Ihnen ein ruhiges und vergnügtes Alter!
A. Dir auch, Haberfeld. Was der Mensch säet das wird er ernten. Wenn man in der Jugend ordentlich lebt, nach Vernunft handelt und seine Begierden beherrscht, so hat man es hernach im Alter zu genießen. Künftiges Frühjahr, wenn ich noch lebe, werde ich einen Ritt in deine Gegend machen. Darf ich da bei dir einsprechen?
H. Wenn Sie das thäten, Herr Amtmann! Keine größere Freude könnte mir begegnen. Da wollte ich Ihnen meine Frau zuführen und ihr sagen: sieh Kathrinchen, wenn du einen guten Mann hast, so hast du es diesem guten Herrn zu verdanken; der hat ihm den Kopf zurecht gesetzt.
A. Ich werde mich auch freuen, wenn ich sehe, daß du mit deinem Kathrinchen vergnügt lebst. Gern plauderte ich mit dir noch ein Paar Stunden, aber ich gehe nun bald zu Bette, weil ich morgen frühe heraus muß. Das ist eine verdrießliche Commission, ich wollte, daß sie schon vorbei wäre.
H. Was haben Sie denn? Daß ich fragen mag.
A. Weißt du es denn nicht?
H. Kein Wort.
A. Roßkopf wird verbrannt.
H. Der Ilsenhayn angesteckt hat?
A. Der nämliche. Vermuthlich wirst du auch zusehen – spiegle dich an diesem schrecklichen Anblicke, und sieh wie weit der Mensch sinken kann, der sich von seinen Begierden beherrschen läßt. Schlaf wohl!
H. Sie auch, lieber Herr Amtmann!
So ging ich denn fort in's Wirthshaus, und dankte, als ich auf die Streue kam, dem lieben Gott herzlich, daß er mich auf so gute Wege geleitet und mich vor Ausschweifungen behütet hatte. Ich nahm mir nochmals vor, daß ich mein Lebelang Gott vor Augen haben, meine Vernunft brauchen, und das thun wollte, was er mir durch dieselbe sagen würde.
Des Morgens setzte ich meine Reise nach Ilsenhayn fort, wo Roßkopf verbrannt werden sollte. Alle Straßen waren mit Menschen bedeckt. Gegen eilf Uhr wurde der arme Sünder herbeigeführt, auf den Scheiterhaufen gestellt, wo er eine Rede an das Volk halten wollte. Es ging aber nicht. Er hatte schon die völlige Todesangst, und konnte kein Wort vorbringen. Da fing der Geistliche, der ihn begleitete, statt seiner an zu reden.
»Ohne Zweifel, sagte er, seid Ihr alle unwillig auf diesen armen Sünder, der durch Bosheit und Rachgier sich verleiten ließ, die Wohnungen unschuldiger Menschen anzuzünden, und ihr sauer erworbenes Vermögen in die Asche zu legen, ja, der noch größeres Unglück würde angerichtet haben, wenn Gott nicht seine Hand über uns gehalten, und die thätige Hülfe unserer Nebenmenschen es abgewendet hätte. Gott sei dafür gelobt und gepriesen! Ihr, lieben Freunde, verwünschet den armen Sünder nicht, denkt vielmehr an die Worte des Apostels: wer da stehet der sehe wohl zu, daß er nicht falle. Wodurch ist dieser Mensch so tief gesunken? Dadurch, daß er nicht auf Gottes Willen hörte, sondern seinen Begierden gehorchte. Ach wenn Ihr ein Gleiches thut – wenn Ihr in der Knechtschaft Eurer Begierden wandelt, so seid Ihr alle zu ähnlichen Schandthaten aufgelegt. Werdet Ihr auch gleich nicht Mordbrenner, so könnt Ihr doch leicht auf andere Missethaten verfallen; werdet Ihr deßwegen auch gleich nicht verbrannt, so werbet Ihr doch auf andere Art die Strafen des gerechten Gottes empfinden müssen. Denn wer ein Knecht seiner Begierden ist, das ist so wahr, als Gott lebt, der hat Gottes Weg verlassen, und wandelt auf dem Wege, der zum Verderben führet. Wer Ohren hat zu hören, der höre!«
Jetzt überließ der Geistliche den armen Sünder den Henkersknechten, die ihn an einen Pfahl banden, die Kehle ihm zuschnürten und darauf den Scheiterhaufen anzündeten.
Ich stand da wie betäubt, als mich Jemand an dem Rocke zupfte. Da ich mich umsah, war es der alte Kornland, der mir herzlich die Hand drückte und mich bat, mit ihm zu essen. Ich suchte es abzulehnen, und sagte, daß ich heute noch weiter müßte. Aber er ließ mit seinen Bitten nicht nach, bis ich seinen Willen that.
In seinem Hause fand ich seine nun verheirathete Tochter mit ihrem Manne, die über meine Gegenwart große Freude bezeugten.
Die junge Frau fragte, ob ich ihren Doppeldukaten noch hätte? Ich zeigte ihn ihr und sagte, daß ich einen Hals gefunden hätte, an den er nun bald sollte gehenkt werden.
Da wünschte mir jung und alt dazu Glück, und der alte Kornland sagte: ich hoffe, Er wird sich allemal freuen, wenn er diesen Halsschmuck erblickt. Andere Burschen hängen ihren Bräuten vielleicht zehn Doppeldukaten um; dieser einzige ist aber gewiß mehr werth: denn auf ihm ruhet Gottes Segen.
Der alte Kornland erzählte mir nun seinen Lebenslauf, aus dem ich sehr viel lernte. Er war vielmal auch in Gefahr gewesen, schlechte Streiche zu machen; aber, die guten Sprüche, die ich in meiner Jugend gelernt hatte, sagte er, hielten mich immer davon ab. Er hatte sein Lebelang viel Ungemach ausstehen müssen; wenn er aber immer recht that, so mußte das Ungemach immer zu seinem Besten dienen. Besonders rührend war es für mich, als er davon sprach, wie er in seiner Jugend das Bein gebrochen habe.
Unter dieser Erzählung verstrich die Zeit, wir wußten selbst nicht wie. Wir würden gern noch länger zugehört haben, wenn der Wächter nicht zehn gerufen, und der alte Kornland gesagt hätte: nun Kinder ist es Zeit, zu Bette zu gehen. Wenn wir heute zu lange sitzen, so fällt uns morgen das frühe Aufstehen schwer, und es schmeckt hernach die Arbeit nicht.
So verfügten wir uns zur Ruhe; ich freuete mich über das Gute, das ich von Kornlanden gelernt hatte, und schlief vergnügt ein.
Den andern Tag war alles früh heraus, und ich war auch nicht der letzte. Ich frühstückte, nahm Abschied und ging fort.
Auf dem Wege dachte ich nun an nichts als an – ihr werdet schon wissen an wen, und wünschte nichts mehr, als bald so glücklich zu sein, wie Kornlands Schwiegersohn.
Ein verliebter Mensch ist ein närrischer Kerl. Immer geht er in tiefen Gedanken, und träumt mehr als er wacht. Und seine Träume sind so lieblich. Von Unglücksfällen, von Sorgen und Kummer und Uneinigkeit, die doch in keiner Ehe fehlen, kommt nichts vor. Da wird alles geträumt, was nur das Herz begehrt.
So ging es mir. Ich träumte wie ich es nur selbst wünschte. Kathrinchen war meine Frau, die beste Frau von der Welt. Was sie mir an den Augen ansehen konnte, das that sie. Wir arbeiteten, und wenn der Tag voll Arbeit vorbei war, saßen wir bei einander wie die lieben Engelchen, und freueten uns mit einander. Alles, was wir vornahmen, gelang. Sie setzte ein Kalb nach dem andern ab und vergrößerte ihren Viehstand, und ich vergrößerte die Schafzucht, zog meine Pferde selbst auf, sammelte Geld, kaufte einen Acker und eine Wiese nach der andern. Ich bekam Kinder, so schön wie sie nur gemalt werden können. Ich ließ ihnen die Kuhpocken impfen. Sie kamen glücklich durch. Sie wurden groß und geriethen alle wohl. Um meine Töchter liefen sich die jungen Bursche fast die Sohlen von den Füßen. Eben da ich die Aelteste verheirathen wollte, rief mich Jemand an: Kerl wie heißt du?
Weg war der Traum. Kathrinchen mit ihren Kälbern und Kühen, meine Rappen, meine Fohlen, meine Schafe, Aecker und Wiesen, meine hübschen Kinder – alles war weg. Ich sperrte die Augen auf und sah nichts vor mir als – einen Dragoner mit einem großen Schnurrbarte. Mach nicht lange Federlesens, Kerl! Sag, wie heißt du? So sprach er mit donnernder Stimme zu mir.
Da ich nun nichts im Kopfe gehabt hatte, als meinen künftigen Schwiegervater Martin und seine Tochter, so sagte ich in der Verwirrung, ich heiße Martin.
D. Also Martin! wo kommst du her?
H. Von Ilsenhayn.
D. Hast du einen Paß?
H. Das versteht sich.
D. Zeig ihn her!
H. Hier ( indem ich ihm den Paß hinreichte).
D. Je du Himmeltausendsackermenter! In deinem Passe steht ja weder etwas von Ilsenhayn noch von Martin.
H. Ich weiß nicht, wo ich die Gedanken gehabt habe. Ich heiße Ernst Haberfeld, komme von Rittersleben, und bin über Ilsenhayn gegangen.
D. Das kannst du einem andern aufhängen, mir aber nicht. Du bist gewiß einer von den Spitzbuben, die vorige Nacht in die Grünleber Mühle eingebrochen sind.
H. Ich bitte Ihn –
D. Halt das Maul, Kerl! Du hast einen falschen Paß und bist ein Spitzbube! Sogleich geh mit mir auf das Amt, oder ich will dich prügeln, daß du den Himmel für eine Baßgeige ansehen sollst,
So mußte ich denn ohne Widerrede fort, weil der Dragoner allemal den Pallasch in die Höhe hob, und mir mit Prügeln drohete, wenn ich etwas zu meiner Vertheidigung vorbringen wollte.
Als ich auf das Amt kam, wurde ich dem Landknechte übergeben, und visitirt. Da er das Geld bei nur fand, das ich vom Herrn von Rothkopf, und den Doppeldukaten, den ich von Kornlands Tochter bekommen hatte, so nahm er mir beides ab, und sagte: willst du noch läugnen, daß du ein Spitzbube bist? Wie kommst du zu dem vielen Gelde?
So wurde ich denn, wie ein Spitzbube, in's Gefängniß gesetzt, und mit Wasser und Brod traktirt.
Meine gute Laune wollte mich verlassen, ich faßte mich aber doch, und dachte nach, wie ich denn zu dem Unglücke eigentlich gekommen wäre. Da fand ich nun, daß blos meine Träumerei daran Ursache sei, und daß kein Dragoner, kein Landknecht noch Amtmann, mir etwas hätten anhaben können, wenn ich Herr über meine Gedanken gewesen wäre, und eine richtige Antwort gegeben hatte.
Das Gespräch, das ich mit dem alten Kornland geführt hatte, kam mir auch zu statten. Ich hatte von ihm gelernt, daß unter Gottes Leitung alles gut sei. Damit tröstete ich mich, und legte mich, da es dunkel wurde, auf mein Stroh, mit den Gedanken – Ob ich gleich wandelte im finstern Thal u.s.w.
So wurde ich zwar wie ein Spitzbube behandelt, aber – ich schlief doch nicht wie ein Spitzbube. Mein Schlaf war ruhig, mein Erwachen so ziemlich vergnügt.
Um neun Uhr wurde ich auf's Amt geführt. Wie heißt du? fragte der Amtmann.
H. Ernst Haberfeld.
A. Wo bist du her?
H. Von Hillenhausen.
A. Wo kommst du her?
H. Von Rittersleben.
A. Warum hast du gesagt, du kämest von Ilsenhayn?
H. Weil ich die Nacht zuvor in Ilsenhayn logirt hatte.
A. Bei wem?
H. Bei dem alten Kornland.
A. Warum hast du dir einen falschen Namen gegeben?
H. Herr Amtmann! hören Sie mich an.
A. Ich bin nicht taub.
H. Sehen Sie, ich hatte meine Gedanken eben bei einem guten Freunde, der Martin heißt. Da mich nun der Dragoner zornig fragte: Kerl wie heißt du? so fuhr mir in der Angst der Name Martin heraus.
A. Das sind faule Fische. Wie bist du zu dem vielen Gelde gekommen?
H. Den Doppeldukaten hat mir Kornlands Tochter in Ilsenhayn geschenkt.
A. So? Wofür denn?
H. Wenn Sie darauf bestehen, so will ich es Ihnen sagen. Ich fand eine Geldkatze voll Geld, die der alte Kornland, bei dem letzten Brande, verloren hatte, und brachte sie ihm wieder. Dafür –
A. Und woher das übrige Geld?
H. Das hat mir der Herr von Rothkopf geschenkt, wegen einiger Dienste, die ich seinem Sohne geleistet hatte, der im Duell erstochen wurde.
A. Du bist ein ausgelernter Spitzbube. Sogleich gestehe, wie du zu dem Gelde gekommen bist, oder ich lasse dich prügeln.
H. Das können Sie, denn ich bin in Ihrer Gewalt. Sie haben aber Obrigkeit über sich, und jeder Schlag, den Sie mir geben lassen, soll Ihnen theuer zu stehen kommen. Wenn Sie mir nicht glauben wollen, so ist ja der kürzeste Weg hinter die Wahrheit zu kommen, daß Sie an die Orte schreiben lassen, die ich Ihnen genannt habe.
Auf diese Worte wurde ich wieder in mein Gefängniß geführt, wo ich freilich trübe Stunden hatte. Aber ich suchte doch über meine Traurigkeit Herr zu werden, indem ich immer an Gott dachte, und – daß unter seiner Leitung alles gut sein, und die Gefangenschaft auch zu meinem Besten dienen müsse. Mir fiel auch wieder der Spruch ein: es ist alles Euer. Das Gefängnis; soll, dachte ich, auch mein sein, ich will mich darin recht in der Geduld und in der Sanftmuth gegen den groben Landknecht üben, in dessen Gewalt ich bin. Wirklich that ich es, und freute mich nicht wenig darüber, daß ich im Stande war, gelassen zu bleiben, bei alle den Grobheiten, die mir dieser Mensch sagte. Dabei hatte ich rechte Muße über meine Lebensgeschichte nachzudenken, und jemehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde ich in dem Glauben bestärkt, daß der liebe Gott mich immer recht gut geführt habe. Nun sagte ich zu mir selbst: der mir bisher geholfen hat, der wird auch ferner helfen.
Indem ich so sagte, that sich die Thür des Gefängnisses auf. Wißt ihr, wer herein trat? Der alte Kornland. Weiß der liebe Gott, das war doch, wie wenn ein Engel herein träte. Um Gottes willen! sagte er, lieber Haberfeld, wie kommt Er denn hierher?
Ich erzählte ihm die ganze Geschichte.
Nun sagte er, ich habe bei dem Herrn Amtmanne ausgemacht, daß Er aus dem Gefängnisse gehen, und bei meinem Schwager wohnen darf, bis Antwort aus Seiner Heimath gekommen ist. Freilich habe ich für Ihn mit meinem ganzen Vermögen Caution leisten müssen, ich weiß aber, daß ich es mit einem ehrlichen Manne zu thun habe.
H. Guter Mann! Er hat viel gewagt; Er kennt mich ja nicht –
K. Ich kenne Ihn! Ich kenne Ihn!
So wurde ich denn aus dem Gefängnisse zu dem Herrn Amtmanne geführt, der mir ankündigte, daß ich von nun an bei Balthasar Kohlrüben wohnen könnte, weil Kornland mit seinem ganzen Vermögen für mich Caution geleistet hätte; entwischte ich, so wäre Kornlands Vermögen verloren.
Wenn Sie sonst keinen Kummer haben, als diesen, Herr Amtmann! sagte ich, so können Sie ruhig schlafen.
So ging ich denn zu Balthasar Kohlrüben, wo ich eine freundliche Familie und einen gedeckten Tisch fand. Man trug Reiß und Rindfleisch auf – das schmeckte – wie mir lange nichts geschmeckt hatte, denn in dreimal vier und zwanzig Stunden war kein warmer Bissen über meine Zunge gekommen.
Nach vierzehn Tagen wurde ich auf das Amt gerufen, wo mir der Herr Amtmann ankündigte, daß ich hingehen könnte, wohin ich wollte. Er gab mir auch mein Geld wieder, bis auf 6 Dukaten, die ich, für aufgelaufene Gerichtskosten, im Stiche lassen mußte. Ich bat ihn, mir ein Zeugniß meiner Unschuld zu geben, und erhielt es auch, nachdem ich ebenfalls einen Speciesdukaten erlegt hatte. Zwei Dukaten bot ich meinem Wirthe für die Verpflegung an, die ich bei ihm genossen hatte; er konnte aber durch kein Bitten bewogen werden, sie anzunehmen. Ich konnte ihm also für alle bewiesene Gutthaten nichts geben, als – einen herzlichen Händedruck.
Nachdem Balthasar Kohlrüben seinen Händedruck erhalten hatte, eilte ich, was ich konnte, um zu meinem Kathrinchen zu kommen. Es begegnete mir auf dem Wege noch vielerlei, das ich aber nicht viel bemerkte, weil meine Gedanken immer bei Kathrinchen waren. Jetzt sah ich sie, wie sie eben zur Hausthür hinein gehen wollte, sprang zu, faßte ihre Hand, aber – o weh! Sie zog die Hand trotzig zurück und sagte: so bekannt sind wir noch nicht mit einander.
Warum denn nicht? antwortete ich, habe ich Ihr die Hand nicht schon mehreremale gedrückt?
Die Zeiten ändern sich, erhielt ich zur Antwort. Sie ging zur Thür hinein, und mich ließ sie vor der Thür stehen.
Diese Art des Empfangs kam mir so unerwartet, daß ich etliche Minuten da stand, ohne zu wissen was ich thun sollte. Endlich entschloß ich mich, in die Stube zu gehen, die ich aber leer fand. Ich ging im Hause umher, in die Küche, den Hof, sah aber und hörte Niemanden. Wie ein Träumender schlenderte ich wieder nach der Hausthüre zu, da kam Jeremies aus einer alten Rumpelkammer mit einem ziemlich finstern Gesichte getreten.
Was muß man von Ihm hören, Haberfeld! sagte er.
H. Wie ich hoffe, nichts Böses.
J. Aber wahrlich auch nichts Gutes. Sage Er mir, ist es denn wahr, daß Er bei dem Landknechte gesessen hat?
H. Das kann ich nicht leugnen.
J. So? Und untersteht sich doch in ehrlicher Leute Haus zukommen, und um ein ehrliches Mädchen anzuhalten?
H. Wenn ich es verschuldet hätte, so wäre es freilich nicht Recht; so aber – hier lese Er mein Attestat.
J. Das Attestat ist wohl gut, ich begreife aber doch nicht, wie man einen ganz unschuldigen Menschen, ohne allen Grund und ohne alle Ursache, bei dem Landknecht setzen kann. Es muß doch so ein Häkchen haben.
Da erzählte ich ihm die ganze Geschichte ausführlich. Er hörte mir aufmerksam zu, und sagte endlich: was mich betrifft, so habe ich gleich vom Anfange behauptet, wenn Haberfeld ein schlechter Kerl ist, so weiß ich nicht, wem ich auf der Welt noch trauen soll. Nach dem, was Er mir da erzählt hat, halte ich Ihn für ganz unschuldig.
Ich habe aber eigentlich den Auftrag von meinem Vater und meiner Schwester, Ihn an der Thüre abzuweisen.
Will Er denn das thun? fragte ich.
Eigentlich sollte ich es thun, antwortete er, unterdessen gebe Er mir Sein Attestat her, ich will zum Vater gehen und sehen, was ich bei ihm ausrichten kann.
H. Nicht auch zur Schwester?
J. Hernach, wenn der Vater erst besänftigt ist.
Wohl eine Viertelstunde mußte ich warten, ehe Jeremies zurückkam, und mir war, als wenn ich auf Kohlen stände. Endlich kam er getreten und brachte auch den Vater mit. Er sah etwas ernsthaft aus, gab mir aber doch die Hand und sagte: willkommen Haberfeld! Es ist mir leid, daß Er solche Fatalitäten gehabt hat.
H. Mir, meiner Treue! auch Am meisten wurmt es mich, daß Er Seine gute Meinung von mir geändert hat.
V. Komm Er doch mit in die Stube – setze Er sich. Hm! Hm! Er ist also ganz unschuldig an Seiner Verhaftung?
H. Ganz unschuldig.
V. Bei alledem ist es doch ein böses Ding. Er hat nun einmal ein Klebefleckchen, das Er in Seinem Leben nicht wieder los wird. Unter solchen Umständen gebe ich Ihm den Rath, daß Er sich nach einem andern Mädchen umsieht. Es gibt ihrer ja noch mehrere in der Welt.
H. Das weiß ich wohl; mir ist aber an einem Mädchen nichts gelegen, ich will ein Mädchen, das so brav ist, wie Seine Tochter, und das ich so lieb haben kann, wie sie. Ein solches Mädchen findet man so leicht nicht. Und ob Seine Tochter in ihrem Leben wieder einen Freier bekommen wird, der so ehrlich ist, wie ich, und der sie so herzlich lieb hat, wie ich, daran zweifle ich sehr. Herr Martin! Bedenke Er was Er thut! Wenn Seine Tochter einmal einen Mann bekommt, der sie nicht für gut hält, wenn –
V. Nun lieber Haberfeld! Das ist meine Sorge. Jetzt ist unsere Sache abgethan. Wenn ich Ihm die Wahrheit sagen soll, so hat es mir auch gar nicht gefallen, daß Er so lange im Lande herum streicht. Meine Tochter muß einen Mann haben, der zu Hause bleibt, und seine Wirthschaft ordentlich besorgt. Was soll sie mit einem Landläufer thun?
H. Lieber Mann! Von Jugend auf habe ich meine Sachen ordentlich besorgt, das kann mir die ganze Gemeine bezeugen.
V. Das hat sie auch gethan.
H. Nun da sieht Er es. Wie aber manches Menschen Schicksal ist; durch besondere Umstände wurde ich umher getrieben. Wenn Er es hören will, so will ich Ihm alles haarklein erzählen.
V. So erzähle Er denn, mache Er es aber nicht zu weitläufig, ich habe nicht lange Zeit, und Er wird heute auch noch einen weiten Weg vor sich haben.
Da erzählte ich ihm denn meine Geschichte vom Anfange an. Als ich auf den Punkt mit der Geldkatze kam, die ich gefunden, und Kornlanden zurück gegeben hatte, wußte ich selbst nicht, ob ich etwas davon sagen sollte, oder nicht. Da ich aber bedachte, daß es jetzt darauf ankäme, diesen Mann zu überzeugen, daß ich ein ehrlicher Bursch sei, so rückte ich damit heraus.
Er machte große Augen, als er es hörete, und fragte, ob ich wirklich der Bursch sei, der des alten Kornlands Geldkatze gefunden hätte?
Der bin ich, war meine Antwort. Zum Beweise dient dieser Doppeldukaten, den mir Kornlands Tochter schenkte, daß ich ihn einmal meiner Braut um den Hals binden sollte. Ich dachte, ich wollte ihn heute anbringen –
V. Zeige Er mir ihn doch einmal.
Da er ihn besehen hatte, gab er ihn mir zurück und sagte: ganz richtig, das ist der Doppeldukaten, den Kornland meiner Schwester zum Mahlschatze gab.
H. Also ist der alte Kornland Sein Schwager?
V. Das wollte ich meinen.
Jetzt kam die Tochter mit einer frischen Wurst und Brod hereingetreten, setzte beides auf den Tisch und sagte: Vater, wir können den Burschen doch nicht so gehen lassen, ohne ihm etwas vorzusetzen.
V. Ei freilich. Kannst du denken, Kathrine? Das ist der Bursch, der deines Vetter Kornlands Geldkatze gefunden hat.
T. Und den der Vetter Kornland so sehr lobte, und Euch schrieb: wenn seine Tochter noch frei gewesen wäre, und der Bursch hätte um sie angehalten –
V. Es ist gut, das Uebrige behalte nur bei dir.
T. Schade, daß meine Muhme schon versprochen war.
H. Und andere Mädchen, die nicht versprochen sind, geben mir den Korb.
T. Den Korb? ( indem sie nach dem Vater schielte.)
V. Willst du ihm denn den Korb geben?
T. Ich lasse alles auf Euch ankommen. Ich habe ein bischen an der Stubenthüre gehorcht.
Jetzt sprang Jeremies dazwischen, und sagte: Leute, laßt mich Mittelsmann werden. Ihr, Vater! habt Haberfelden lieb bekommen, und du Schwester, noch lieber. Das läugne nur nicht. Nun ist etwas dazwischen gekommen, wodurch Ihr Eure Meinung von ihm geändert habt. Ihr sehet aber alle ein, daß ihr hierzu keinen Grund hattet. Ich dächte also, wir ließen es bei dem Alten. Was meinst du Schwester?
Sie lächelte, sah bei Seite und gab mir die Hand. Jeremies legte des Vaters Hand auf unsere Hände, und so wurde es richtig. Ich band meinen Doppeldukaten um Kathrinchens Hals, sie ward meine Braut, und ich ihr Bräutigam.
Wir überlegten nun hin und her, ob es besser sei, wenn sie zu mir, oder ich zu ihr zöge, und wurden am Ende darüber eins, daß sie zu mir ziehen sollte.
Ich reisete also nach Hause, brachte meine Haushaltung in Ordnung, und nach sechs Wochen holte ich meine Braut, und machte mit ihr Hochzeit.
In den ersten Wochen, daß wir bei einander waren, suchte ich meine Frau zu meinem Glauben zu bringen, und sie zu belehren, wie man, durch Beherrschung seiner Begierden, frei werden könne. Im Anfange konnte sie gar nicht begreifen, was ich damit haben wollte. Da ich es ihr aber durch mancherlei Exempelchen recht deutlich machte, so brachte ich sie zur Einsicht. Wir nahmen uns vor, daß wir uns in Beherrschung der Begierden üben wollten, und hielten Wort. So wurde ich als Frohnbauer frei, freier als mancher Freiherr – frei von Sorgen, Kummer, Proceß, Krankheit, und fast allem Elende, das in großen Häusern so gut als in kleinen wohnt.
Ich habe meine Frau nun zwei Jahre, und noch niemals haben wir uns gezankt. Fiel auch bisweilen ein Wortwechsel vor, so ging es doch gleich wieder vorbei, weil wir über unsern Zorn Herren waren. Da wir in keinem Stücke ausschweiften, so blieben wir gesund, und haben noch beide so rothe Backen, wie damals, da wir vor dem Altare standen. Meine Frau hatte eine Neigung allerlei Flitterstaat zu kaufen, und ich war von sonst her gewohnt in das Wirthshaus zu gehen. Wenn aber einem von uns so eine böse Lust ankam, so besiegten wir sie, und legten das Geld, das wir damit ersparten, in ein Kästchen zurück. Damit erwarben wir uns einen Nothpfennig, und konnten voriges Jahr eine hübsche Grummetwiese kaufen, die mir jetzt recht gut zu statten kommt.
Die Frohnen wollten mir anfänglich freilich nicht schmecken. Wenn ich aber bedachte, daß mich der liebe Gott doch einmal zum Frohnbauer hatte lassen geboren werden, und daß es meine Schuldigkeit sei, mich in diese Ordnung zu fügen, so that ich meine Frohndienste mit Freuden. Am Ende, da der Herr von Rothkopf von seiner Reise zurück kam, bat ich ihn, daß er doch meinen Frohndienst in eine Abgabe an Geld verwandeln möchte. Der liebe Herr drückte mir die Hand und sagte – mit Vergnügen. So wurde ich auch von Frohnen frei.
Freilich habe ich manche Fatalitäten gehabt. Voriges Jahr fiel mir ein Pferd, das unter Brüdern seine 30 Carolins werth war, und ich bekam einen unverträglichen Nachbar. Dies; alles hat mir aber wenig Kummer gemacht. Denn weil ich immer bei Verstande blieb, so war ich immer im Stande zu überlegen, wie ich den Schaden wieder gut machen, und gegen meinen bösen Nachbar mich in Sicherheit stellen konnte. Ich habe jetzt eine kleine Tochter, an der ich meine größte Freude sehe. Wenn sie mir meine Frau auf den Abend, wenn ich vom Acker komme, auf den Arm gibt, so bin ich gewiß vergnügter, als alle meine Nachbaren, die hinter der Karte sitzen. So hoffe ich denn als ein glücklicher freier Mann auch künftig zu leben.
Gott vergelte es dem lieben Herrn Pfarrer Goldammer und dem Herrn Amtmann Specht, daß sie mich auf einen so guten Weg gebracht haben!