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Man errichte vor allen Dingen eine Pflanzschule für Erzieher. Man berufe die berühmtesten Erzieher aus allen Weltgegenden zusammen, stelle sie als Lehrer der Erziehungskunst an und gebe jedem tausend bis fünfzehnhundert Taler Gehalt, damit er gegen Sorgen gedeckt sei; man stelle einen Lehrer der Zergliederungskunst an und sorge dafür, daß es nicht an Leichnamen fehle, an denen er den jungen Erziehern den Bau des menschlichen Leibes zeigen kann; man berufe ferner einen Lehrer der Heilkunde, welcher Vorlesungen über die Kinderkrankheiten hält und die zweckmäßigsten Heilmittel kennen lehrt; man errichte eine Büchersammlung, in welche alle Schriften aufgenommen werden, die von Griechen, Römern, Franzosen, Engländern, Italienern, Deutschen, Dänen, Schweden über die Erziehung geschrieben worden sind, damit der künftige Erzieher eine recht vielseitige Ansicht von seinem Geschäfte bekomme. Man errichte ferner einen Lesesaal, in welchem alle Zeitschriften, die in Deutschland, womöglich auch in anderen gebildeten Ländern Europas, herauskommen, zu finden sind, damit es die Pflanzschule sogleich erfahre, wenn irgend jemand etwas Neues in der Erziehungskunst erfunden hat. Könnte damit ein Schauspielhaus verbunden werden, in welchem die Erzieher monatlich ein paar Schauspiele aufführten, so wäre es desto besser, so lernten sie Ton, Miene und Anstand des Körpers bilden. Unumgänglich nötig wäre aber die Anlegung eines Gartens, in welchem, soviel als möglich, alle Pflanzen gesetzt würden, die unser Erdball hervorbringt.
Die Ausführung dieses Planes würde freilich große Summen kosten; ist die Erziehung aber nicht das Wichtigste für den Staat? Mir fallen jedoch gegen diesen Plan allerlei Bedenklichkeiten ein. Ich glaube doch, daß es etwas schwer sein werde, die Summen, die zur Ausführung desselben nötig sind, aufzubringen; zweitens, wenn dies auch wäre, so würde darüber so viel Zeit verfließen, daß unsere jetzt lebende Jugend aufwüchse, ohne sich der wohltätigen Wirkung desselben zu erfreuen. Drittens gebe ich zwar zu, daß, wenn alles gelänge, der Staat eine Menge vielseitig gebildeter Erzieher erhalten würde, die von der Erziehungskunst recht viel sprechen und schreiben könnten; ob aber ein einziger imstande sein würde, ein Kind wirklich zweckmäßig zu erziehen, daran zweifle ich sehr.
Ich will also diesen Plan, der sich gut lesen, aber schwer ausführen läßt, lieber ganz aufgeben und jedem, der sich der Erziehung widmet, einen etwas einfacheren vorlegen, der in drei Worten begriffen ist: Erziehe dich selbst!
Dieser hat den Vorzug, daß er sehr einfach ist, wenig Geld kostet, gleich nach Lesung dieses Buches von allen, die dafür Sinn haben, ausgeführt werden kann und Erzieher bilden wird, die nicht bloß von der Erziehung sprechen und schreiben, sondern wirklich erziehen können.
Wer nun glaubt, von mir noch etwas lernen zu können, der merke auf die Winke, die ich ihm jetzt zur Selbsterziehung geben werde.
Ein kranker Mann ist ein armer Mann, alle Geschäfte werden ihm schwer, aber keins schwerer als die Erziehung. Im krankhaften Zustande ist man sehr reizbar, jeder Mutwille, jede Unbesonnenheit der Jugend erregt Unwillen. Man muß sich also in einer Gesellschaft, welcher Mutwillen und Unbesonnenheit eigen sind, sehr übel befinden, weil man sich alle Augenblicke von derselben für beleidigt hält. Und wie will man sie in einem steten Zustande unangenehmer Empfindungen erziehen können? Alle Ermahnungen werden von Galle triefen oder mit einem zitternden Tone vorgebracht werden. Dieser wird nichts wirken, und jene wird schaden. Die vielen Klagen, die man über die Unfolgsamkeit der Jugend hören muß, rühren gewiß meistens von der Kränklichkeit der Erzieher her, und wie kann man sich zutrauen, gesunde Kinder erziehen zu können, wenn man selbst ungesund ist?
Dies ist ja aber, wird man sagen, eine sonderbare Forderung: Sei gesund! Gesund will freilich ein jeder sein; hängt denn die Gesundheit aber von seinem Willen ab?
Allerdings. Vorausgesetzt, daß keins der Eingeweide verletzt ist und du deinen Körper nicht durch Ausschweifungen sehr geschwächt hast, so kannst du gesund sein, wenn du nur ernstlich willst. Der ernstliche Wille hat auf den Körper einen mächtigen Einfluß. Härte ihn nur nach und nach ab, sei mäßig und enthaltsam, widme den Tag der Arbeit und die Nacht der Ruhe, und wenn du dem ungeachtet zu kränkeln anfängst, anstatt zur Apotheke deine Zuflucht zu nehmen, suche lieber den Grund deines Übelbefindens zu erfahren. Dies kannst du, wenn du über deine bisherige Lebensweise nachdenkst. Hast du den Grund deines Übelbefindens erst entdeckt, so wird es dir leicht sein, dir durch einfache Mittel zu helfen. Unpäßlichkeiten z.B., die von der Überladung des Magens herrühren, werden oft durch Versagung einer Mahlzeit aufgehoben. Etwas Mehreres hierüber zu sagen, trage ich deswegen Bedenken, weil es das Ansehen gewinnen würde, als wenn ich den Arzt machen wollte, was mir aber noch nie in den Sinn gekommen ist. Es mache sich ein jeder mit seiner Natur bekannt, erforsche, woher seine Krankheit komme, und lerne die einfachsten Mittel kennen, dieselbe zu heben, so wird er sich eine dauerhafte Gesundheit erwerben können.
Das geht bei mir nicht! höre ich viele sagen. Lieber Freund, versuche es, ich hoffe, es wird gehen. Ich kenne mehrere Personen, die sonst viel mit körperlichen Leiden kämpfen mußten, aber durch Befolgung dieser einfachsten Vorschriften zu einer festen Gesundheit gelangt sind. Geht es aber bei dir wirklich nicht, entweder weil dir der Sinn für echte Gesundheitspflege fehlt, oder weil dein Körper fehlerhaft gebaut, oder weil durch irgendeine Ursache etwas darin zerstört worden, so befolge meinen Rat, entsage der Erziehung und widme dich einem anderen Geschäfte. Sie würde dir äußerst lästig werden, und du würdest, auch bei dem besten Willen, mehr Schaden als Nutzen stiften.
In einer heiteren Stunde ist man unter seinen Zöglingen allmächtig. Sie hängen an uns mit ganzer Seele, sie fassen alle unsere Worte auf, sie befolgen alle unsere Winke. Könntest du immer heiter sein, so wäre kein leichter Geschäft als die Erziehung. Es gibt Personen, denen die Heiterkeit angeboren ist, denen alles von der lachenden Seite erscheint; diese bedürfen dieser Ermunterung nicht, vielmehr muß ich sie erinnern, daß zur Erziehung auch Ernst nötig sei, wenn man sein Ansehen behaupten und seinen Erinnerungen die nötige Wirksamkeit verschaffen will.
Allein die Zahl derer, die von der Natur mit Heiterkeit beschenkt wurden, ist sehr klein, die meisten sind mehr für Mißmut empfänglich und befinden sich daher gewöhnlich in einer unzufriedenen Stimmung des Gemüts. Daß bei dieser unangenehmen Stimmung die Erziehung sehr schwer wird und wenig nutzt, weiß jeder und fühlt daher die Verbindlichkeit, nach steter Heiterkeit zu streben. Sich dieselbe zu verschaffen, ist so schwer nicht, als manche vielleicht glauben werden.
Man suche nur erst den Ursprung des Mißmuts auf, so wird es etwas Leichtes sein, ihn wegzuschaffen. Warum, frage ich dich also, lieber Leser, bist du denn immer mißmutig?
Meine Lage – antwortest du.
Du irrst dich, mein Freund! Es ist wahr, daß immer eine Lage geeigneter ist, den Mißmut zu reizen, als die andere; allein der eigentliche Grund des Mißmuts liegt doch immer in dir selbst. Ein Mann voll Kraft und hellen Einsichten muß imstande sein, sich von seinen Umgebungen unabhängig zu machen und seiner Heiterkeit aus sich selbst Nahrung zu geben. Er ist ruhig, wenn es auch um ihn her stürmt und wetterleuchtet, und zufrieden, wenn um ihn herum Unzufriedenheit herrscht. Ein anderer, dem diese Kraft und Einsichten fehlen, ist finster und mißmutig, auch wenn ihn alles anlacht.
Der Grund des Mißmuts liegt oft in einem fehlerhaften Zustande des Körpers. Wer nun gelernt hat, sich gesund zu erhalten, wird auch gegen diese Art des Mißmuts sich schützen können.
Oft, und vielleicht meistenteils, entspringt er aber aus einem fehlerhaften Zustande der Seele, und zwar vorzüglich aus der üblen Gewohnheit, sich von seinen Umgebungen unangenehme Vorstellungen zu machen. Sehet, liebe Freunde, es gibt eine doppelte Welt. Die eine ist außer uns, die andere in uns. Jene Welt ist von unseren Vorstellungen unabhängig, diese besteht in den Vorstellungen, die wir uns von derselben machen. Auf erstere können wir nur wenig wirken, diese aber ist unser Werk, wir sind Schöpfer derselben. Ist also die Welt außer dir nicht so, wie sie deiner Meinung nach sein sollte, so schaffe dir selbst eine Welt, die dich anlacht, die dich zur Heiterkeit stimmt, lerne allen Dingen eine angenehme Ansicht abzugewinnen, dir von ihnen beruhigende, aufheiternde Vorstellungen zu machen, und – deine Heiterkeit ist fest, wenigstens so fest gegründet, als es in dem Larvenstande, in dem wir uns befinden, möglich ist.
Laß uns einmal mit dieser Schöpfung einen Versuch machen und sehen, ob von dem Kreise, in dem du wirkst, nicht eine angenehme, reizende Vorstellung möglich sei. –
Du wandelst und wirkst in einem Kreise von Kindern.
Wer sind sie? –
Werdende Menschen. –
Wer gab sie dir? –
Gott, der alles gibt. –
In welcher Absicht? –
Um sie zu leiten, daß sie sich zu vernünftigen, freien, tätigen, glückseligen Wesen bilden, und dir dadurch Gelegenheit zu schaffen, dich selbst zu veredeln. –
Aber ihre Untugenden? –
Sind Reizungen zum Nachdenken über den Ursprung derselben und die besten Mittel, sie wegzuschaffen. –
Und die Schwierigkeiten, die man dir in den Weg legt? –
Sollen dich reizen, deine Kräfte anzustrengen, um sie zu überwinden. –
Der Undank, mit dem du belohnt wirst? –
Schafft dir Gelegenheit, dich zu üben, rein sittlich zu handeln. –
Sind solche Ansichten nicht ungemein aufheiternd? Begreifst du nicht die Möglichkeit, wie ein Mann, der sich eine Fertigkeit erworben hat, seinen Umgebungen solche Ansichten abzugewinnen, sich die Heiterkeit eigen machen kann?
Aber solche Ansichten bekommen zu können, muß man freilich einen höheren Standpunkt zu erreichen suchen, auf dem man, über das Sichtbare wegsehend, seinen Blick auf das Unsichtbare richten kann. Hier verschwindet alle Unordnung, Verwirrung und alles Übel und öffnet sich ein Feld, wo lauter Harmonie und erhabene Zwecke sichtbar sind.
Jede Klasse von Menschen hat ihre eigene Sprache und Gewohnheiten, mit welchen man viele Bekanntschaft haben muß, wenn man sich bei ihr wohlbefinden und gefallen will. Daher ist der Stubengelehrte ängstlich und macht sich lächerlich, wenn er in den Kreis der höheren Stände eintritt, und weiß nicht, wie er sich benehmen soll, wenn er in eine Gesellschaft von Ackerleuten kommt.
Ein ähnliches Schicksal haben junge Männer, die nur mit Büchern und erwachsenen Personen umgingen, wenn ihnen Kinder anvertraut werden. Sie wissen nicht, wie sie sich benehmen sollen, sie sind immer in Verlegenheit und gefallen den Kindern nicht, denen ihre Gesellschaft lästig ist. Woher kommt dies? Die Sprache und die Gewohnheiten der Kinder sind ihnen fremd.
Macht euch also mit denselben bekannt! Statt viel über die Erziehung zu lesen und pädagogische Vorlesungen zu hören, sucht lieber Kinder auf, in deren Gesellschaft ihr täglich ein paar Stunden verlebt. Kinder gibt es ja allenthalben, wo Menschen wohnen, ihr werdet sie gewiß auch antreffen auf dem Platze, wo ihr euch befindet. Vielleicht habt ihr einen Hauswirt, einen Nachbar, einen Freund oder Verwandten, der mit Kindern gesegnet ist, und dem es lieb sein wird, wenn ihr sie bisweilen unterhalten wollt. Zum Stoffe der Unterhaltung schlage ich euch zuerst vor die Erzählung.
Die Erzählung hat für alle Kinder Reiz, und sobald eine Person, die gut erzählen kann, ihren Mund öffnet, so sammeln sich die Kinder um sie wie die Küchlein, wenn die Mutter lockt. Und dieses Herzudrängen, diese sichtbare Begierde nach Erzählung macht denn auch dem Erzähler sein Geschäft leicht und angenehm.
In unseren Tagen, wo so viele Bücher für die Kinder geschrieben sind, kann es an Stoff zur Erzählung nicht fehlen. Das beste, das ich kenne, ist der Campesche Robinson.
Wenn du nun zu erzählen anfängst, so bemerke wohl, wie sich deine kleinen Zuhörer dabei benehmen. Sind ihre Augen und Ohren auf dich gerichtet, bitten sie dich, wenn du schließen willst, daß du weiter erzählen sollst, so ist es ein Zeichen, daß sie in deiner Erzählung Unterhaltung finden; werden sie aber schläfrig oder fangen an zu spielen und sich untereinander zu necken, so muß es irgendwo fehlen. Du wirst vielleicht meinen, es fehle am guten Willen der Kinder. Ich glaube aber, daß du dich irrst, da die Kinder, soweit ich sie kenne, alle an Erzählungen Vergnügen finden. Der Fehler liegt vielmehr sicherlich entweder an dem Inhalte der Geschichte, die du vorträgst oder an dir selbst.
Vielleicht enthält deine Geschichte nichts für Kinder Anziehendes. Versuche es daher mit einer anderen; fesselt diese ihre Aufmerksamkeit mehr, so hättest du vorher in der Auswahl der Erzählung gefehlt. Nur hüte dich, deine Kleinen mit Feen- und Zaubergeschichten zu unterhalten. Diese hören sie freilich so gern, als sie Pfefferkuchen essen, sie sind aber ihrem Geiste so nachteilig, als der Pfefferkuchen ihrem Magen.
Solltest du aber finden, daß die Kinder bei allen deinen Erzählungen zerstreut und teilnahmlos bleiben, so liegt der Fehler sicher in dem Tone deines Vortrags, und du hast dann um so mehr Ursache, daran zu bessern, da die Absicht deiner Erzählung doch vorzüglich ist, mit Kindern sprechen zu lernen.
Hier sind einige Winke, wie du deinen Erzählungston verbessern kannst.
Der Mann spricht wie ein Buch, pflegt man zu sagen, wenn man jemandem wegen seiner Unterhaltungsgabe einen Lobspruch beilegen will. Wenn du aber dich mit deinen Kindern unterhältst, so rate ich dir, sprich nicht wie ein Buch, sondern wie ein Mensch im Umgange mit Menschen zu sprechen pflegt, sprich die Sprache des gemeinen Lebens. Wenn man ein Buch schreibt, so wählt man jedes Wort und jede Redensart und vermeidet viele Ausdrücke des gemeinen Lebens als unedel. Vermeide du bei deinen Erzählungen keinen Ausdruck als unedel, dessen du dich im täglichen Umgange nicht zu schämen pflegst; dadurch bekommt deine Erzählung Leben und wird für die Kinder anziehend.
Vermeide ferner, soviel du kannst, allgemeine Ausdrücke, weil diese den Kindern weniger faßlich sind, und nenne lieber die Sachen einzeln, die dadurch bezeichnet werden. Du kannst z.B. sagen: Die Mutter, als sie von ihrer Reise zurückkam, brachte ihren Kindern Früchte und Spielwerk mit; du kannst diesen Satz aber auch so ausdrücken: Da die Mutter von ihrer Reise zurückkam, brachte sie Fränzchen und Wilhelminchen allerlei artige Sachen mit, Äpfel, Birnen, Haselnüsse, eine Schachtel voll kleiner Teller, Leuchter, Schüsseln, Löffel, Bilder u. dgl.; die letzte Darstellung hat für die Kinder sicher mehr Reiz als die erste. Sei ferner in deiner Erzählung etwas umständlich und vergiß nicht, in dieselbe allerlei Nebenumstände einzuweben, die die Handlung begleiten. So kannst du der obigen Erzählung durch Einflechtung folgender Nebenumstände mehr Leben geben.
»Ach, wenn doch die Mutter nur einmal wiederkäme! sagte Fränzchen zu Wilhelminchen. Kaum hatte sie es gesagt, so rasselte etwas unter dem Fenster. Fränzchen sah hinaus, erblickte die Mutter in einem Reisewagen, sprang mit Wilhelminchen hinaus – da stieg die Mutter heraus, umarmte ihre Kinder, ließ den Koffer vom Wagen nehmen und in die Stube tragen. Die Kinder folgten ihr und waren begierig zu sehen, was in dem Koffer wäre. Jetzt wurde er geöffnet und ausgepackt. Auch eine Schachtel wurde ausgepackt und den Kindern hingesetzt. Neugierig öffneten sie dieselbe und fanden darin allerlei artige Sachen, die ihnen Freude machten: Äpfel, Birnen usw.
Führe ferner die Personen immer redend ein und laß sie in dem Tone sprechen, wie sie wirklich würden gesprochen haben.
Z.B.: Fränzchen erblickte ihre Mutter. Wilhelmine! rief sie, die Mutter ist da.
Die Mutter? sagte Wilhelmine – und beide sprangen die Treppe hinab – Mutter! gute, liebe Mutter! sagten sie und fielen ihr um den Hals.
Gute Kinder! sprach diese, indem sie dieselben an ihre Brust drückte, wie sehr habe ich mich nach euch gesehnt.
Ihr seid doch noch gesund?
W.: Recht gesund! Hast du uns etwas mitgebracht?
M.: Wollen sehn! Hans, trage diesen Koffer in meine Stube.
W.: Was wird in dem Koffer sein? usw.
Es versteht sich von selbst, daß du immer in dem Tone sprechen mußt, in welchem die Person, die du redend einführst, würde gesprochen haben, und dir daher Mühe geben, deine Stimme in deine Gewalt zu bekommen. Wilhelmine, die Mutter ist da! muß ganz anders gesprochen werden als das: Gute Kinder! Wie sehr habe ich mich nach euch gesehnt!
Durch diese beständige Abwechselung des Tones bekommt nicht nur deine Erzählung Leben, sondern deine Stimme bekommt auch die gehörige Geschmeidigkeit, die dir unentbehrlich ist, wenn du mit Nachdruck und Herzlichkeit zu deinen Pflegebefohlenen sprechen willst.
Endlich suche auch in deine Erzählung Handlung zu bringen. Dies geschieht alsdann, wenn du durch deine Mienen und die Bewegung deiner Glieder die Handlungen, welche du erzählst, auszudrücken suchst.
Z. B. das: Wilhelmine, die Mutter ist da! muß mit einer Miene gesprochen werden, die den höchsten Grad der Freude ausdrückt. Dabei darfst du nicht in ruhiger Stellung bleiben, sondern mußt eine solche annehmen, in welche ein Kind durch die Freude über die unvermutete Zurückkunft der geliebten Mutter versetzt zu werden pflegt.
Zum Stoffe der Unterhaltung mit Kindern schlage ich ferner vor: Erklärung solcher Bilder, die für Kinder etwas Anziehendes haben.
Freilich haben alle Bilder für Kinder etwas Anziehendes, aber doch immer eins mehr als das andere. Abbildung der lebendigen mehr als Vorstellung der leblosen Natur, Tiere mehr als Menschen, handelnde Wesen mehr als solche, die sich in einer ruhigen Stellung befinden. Die Abbildung eines Hahnenkampfes hat für Kinder sicher mehr Anziehendes als die Vorstellung aller hühnerartigen Vögel. Diese werden Kinder zwar auch einige Zeit mit Vergnügen betrachten, aber sich daran bald satt sehen. Bei Betrachtung des Hahnenkampfes werden sie hingegen länger verweilen und sie öfters mit Vergnügen wiederholen.
Bei Verfertigung der Kupfer zu Konrad Kiefers ABC- und Lesebüchlein, wie auch zum ersten Unterrichte in der Sittenlehre, ist auf diese Bemerkungen Rücksicht genommen worden.
Alles, was von der Erzählung gesagt worden ist, gilt auch von der Erklärung der Bilder; du mußt, wenn sie Kinder an dich ziehen sollen, bei derselben die nämlichen Winke befolgen, die ich dir in Ansehung jener gegeben habe. Über beides könnte ich dir noch vieles sagen; wenn du aber den Drang fühlst, durch Erzählung und Bildererklärung deine Kleinen an dich zu ziehen, so wirst du von selbst alles besser lernen, als ich es dir sagen kann.
Bei den jetzt beschriebenen Unterhaltungen bist du die handelnde Person, und die Kinder sind bloß Zuhörer und Zuschauer. Dieses Verhältnis, so angenehm es ihnen anfänglich ist, würde sie doch ermüden, wenn es zu lange dauern sollte, da ihr Trieb zur Selbsttätigkeit dabei keine Befriedigung findet. Du mußt daher auch Unterhaltungen suchen, an denen sie tätigen Anteil nehmen können. Zu diesen rechne ich zuerst das Spiel, nämlich ein solches, das einen nützlichen Zweck hat, entweder dem Leibe eine freie, angenehme Bewegung und Behendigkeit zu verschaffen, oder die geistigen Kräfte zu üben.
Diese Spiele kannst du zum Teil von den Kindern selbst lernen, wenn du sie von deinen Pflegebefohlenen angeben läßt und bisweilen die Spielplätze anderer Kinder besuchst, teils kannst du Anleitung zu denselben finden in Guts-Muths-Spielen für Kinder.
Bei der Wahl derselben hast du auf zweierlei Rücksicht zu nehmen: daß sie einen wirklich nützlichen Zweck haben und daß sie deinen Kleinen Vergnügen machen. O ihr alle, die ihr euch der Erziehung weihet, lernet, ich bitte euch, lernet mit Kindern spielen! Ihr werdet durch diese Übung drei wichtige Zwecke erreichen: die Kinder an euch ziehen und ihre Liebe und ihr Zutrauen erwerben, die Gabe, mit ihnen zu sprechen und sie zu behandeln, euch mehr eigen machen – und Gelegenheit finden, in das Innerste eurer Kleinen zu sehen, da sie bei dem Spiele weit offener und freier handeln als in anderen Lagen und sich mit allen ihren Fehlern, Schwachheiten, Einfällen, Anlagen, Neigungen zeigen, wie sie wirklich sind.
Wer mit Kindern nicht spielen kann, wer in dem Wahne steht, daß diese Art der Unterhaltung mit Kindern unter seiner Würde sei, sollte eigentlich nicht Erzieher werden. Da wir doch aber nicht bloß zum Spielen bestimmt sind und die Kinder desselben bald überdrüssig würden, wenn sie sonst gar keine Beschäftigung hätten, so wirst du bald das Bedürfnis anderer, etwas ernstlicherer Beschäftigungen fühlen. Worin diese bestehen sollen, ist vorhin gezeigt worden.
Jetzt fragt es sich nur, wie du dir die Geschicklichkeit dazu erwerben kannst. Daher rate ich dir:
Unter deutlicher Kenntnis verstehe ich Kenntnis der Merkmale, wodurch man die verschiedenen Klassen und Gattungen der Naturerzeugnisse voneinander unterscheiden kann.
Dazu fehlt es mir, antwortest du vielleicht, an Gelegenheit. Wirklich? Du lebst ja in der Natur und bist mit Erzeugnissen derselben umgeben, die um dich her wachsen und leben.
Gewöhne dich nur, eins derselben nach dem andern genau zu betrachten und die Merkmale aufzusuchen, wodurch sie sich von anderen, ihnen ähnlichen unterscheiden. Dadurch wirst du deinem Unterscheidungsvermögen schon einige Fertigkeit erwerben. Aber die Worte werden dir fehlen, womit du jedes Naturerzeugnis und seine Merkmale benennen sollst.
Daher mußt du nun einen Freund aufsuchen, der mit der Natur sich bekannt gemacht hat, und der dir einige Anleitung gibt, die Merkmale der Naturerzeugnisse, z. B. in der Pflanzenkunde die verschiedenen Teile der Blumen, aufzusuchen, und dir die Kunstausdrücke, mit welchen sie pflegen benannt zu werden, bekannt macht. In unseren Tagen, wo die Naturkenntnis immer weiter sich verbreitet, sind solche Freunde so selten nicht als vor zwanzig Jahren. Solltest du auch einige Stunden weit gehen müssen, um diesen Freund zu finden, so ist es doch der Mühe wert, bisweilen einen Weg zu ihm zu machen.
Ferner mußt du dir einige Bücher zu verschaffen suchen, die dir Anleitung geben, die Natur kennen zu lernen. Findest du nun ein Naturerzeugnis, von dessen Natur und Namen du dir Kenntnis zu erwerben wünschest, z. B. eine Pflanze, so siehe zuerst auf die Merkmale der Klasse, dann der Gattung, ferner der Ordnung, wobei du dich vorzüglich an die Merkmale halten mußt, die am meisten in die Augen springen, dann schlage dein Buch nach und suche die Klasse und Gattung auf, zu welcher deine Pflanze gehört, so wird es dir nicht schwer sein, auch die Ordnung zu finden, zu welcher sie gerechnet, und den Namen, mit welchem sie benannt wird. Frage dann bisweilen deinen Freund, ob du dich nicht geirrt habest, du wirst dich dann freuen, wenn du wirklich gefunden hast, was du suchtest, und selbst dein erkannter Irrtum wird dir lehrreich sein und dich vor ähnlichen Verirrungen bewahren.
Ich gebe dir diesen Rat um desto zuversichtlicher, da ich aus Erfahrung weiß, daß verschiedene junge Männer während eines kurzen Aufenthaltes in meiner Anstalt sich auf diesem Wege nicht gemeine Kenntnisse der Natur, vorzüglich der Pflanzen, erworben haben.
Da ich vorhin hinlänglich glaube bewiesen zu haben, daß die Betrachtung der Natur zur Unterhaltung der Kinder, zur Weckung und Übung ihrer Geisteskräfte höchst nötig sei, so ergibt sich hieraus von selbst, daß du mit der Natur dich bekannt machen mußt, wenn du mit Vergnügen und mit Nutzen erziehen willst.
Diese Bekanntschaft wird dir große und mannigfaltige Vorteile gewähren. Für dich wird sie eine ergiebige Quelle des Vergnügens sein, weil du nun nicht mehr durch die Welt als ein Fremdling wandelst, dem alle seine Umgebungen unbekannt sind, sondern als ein Einheimischer, der auf den Bergen und in Tälern, im Wasser und in dem Inneren der Erde Bekannte antrifft, mit denen er sich unterhalten kann. Noch wichtiger wird sie dir im Umgange mit deinen Kleinen sein, da sie dir den mannigfaltigsten Stoff zur Unterhaltung und zum Unterrichte darbietet, dich deinen Kleinen wichtig und unentbehrlich macht und dir Gelegenheit gibt, besonders im Sommer manche Stunde bei deinen Kleinen auf eine höchst nützliche und angenehme Art mit dem Sammeln und Trocknen der Pflanzen auszufüllen.
Da diese einen sehr mannigfaltigen Stoff zur lehrreichen Unterhaltung mit Kindern geben, wie ich vorhin zeigte, so ist die Kenntnis derselben unentbehrlich. Bei der sonst gewöhnlichen Erziehung blieb uns dieselbe fast ganz fremd; von den meisten Dingen, die uns umgeben, hatten wir keine deutlichen Vorstellungen, und die Namen der verschiedenen Teile derselben waren uns unbekannt. Suchen wir uns diese Kenntnis nicht zu verschaffen, so können wir sie auch unseren Pflegesöhnen nicht mitteilen, sie werden sich daher gewöhnen, ihre Umgebungen nur oberflächlich anzusehen, und sich mit einer dunklen Erkenntnis derselben begnügen.
Also, Freund! der du dich der Erziehung widmest, bemühe dich, mit den mancherlei Erzeugnissen des menschlichen Fleißes bekannt zu werden, und lerne vorzüglich ihre Materie, ihre Teile, ihre Form, ihren Zweck kennen und richtig benennen. Die Gelegenheit dazu wirst du finden, wenn du sie suchest. Die Person, die die Sache verfertigt hat und die sie gebraucht, wird dir über alles, was du zu wissen verlangst, Aufschluß geben können.
Triffst du z.B. einen Ackersmann an, der deinen Gruß freundlich erwidert, so laß dich mit ihm in ein Gespräch ein über sein Geschäft und über das Werkzeug, dessen er sich bedient, um Furchen zu ziehen und den Acker zur Hervorbringung des Getreides, das dich nährt, zuzubereiten. Laß dir von ihm die verschiedenen Teile des Pfluges benennen und die Absicht anzeigen, in welcher sie an demselben angebracht sind. Er wird mit Vergnügen deine Fragen beantworten, und du wirst da mancherlei kennenlernen, das dir zuvor unbekannt war, und dich freuen, es gelernt zu haben.
So besuche die Werkstatt des Schreiners, des Drechslers, des Schmiedes usw., unterhalte dich mit ihnen über die Materialien, die sie bearbeiten, über die Form, die sie ihnen geben, die Werkzeuge, deren sie sich bedienen, um zu ihren Zwecken zu kommen; besuche ferner die Plätze, wo Maschinen aufgestellt sind, die durch den Druck einer mäßigen Kraft große Wirkungen hervorbringen, z. B. ein Mühlwerk, und laß dir die verschiedenen Teile, ihre Benennungen und Absichten bekannt machen usw.
Du wirst bei solchen Unterredungen mit der produzierenden Menschenklasse oft mehr an nützlichen Kenntnissen und Fertigkeiten erwerben als in dem Hörsaale manches Philosophen. Du wirst mit dieser zahlreichen, so wichtigen, der menschlichen Gesellschaft unentbehrlichen Menschenklasse umgehen und sprechen lernen, eine Gabe, die nicht immer dem Stubengelehrten eigen ist; du wirst einen Schatz von Kenntnissen dir erwerben, die du in der Folge im Kreise deiner Pflegesöhne benutzen kannst; die gewöhnlichsten Dinge werden dir Stoff zur Unterhaltung mit ihnen darbieten; du wirst dich endlich gewöhnen, die Dinge nicht oberflächlich, sondern genau anzusehen, und diese Gewohnheit deinen Zöglingen mitteilen.
Wer den Zucker in der Kaffeeschale mit dem Löffelchen herumrührt, gebraucht seine Hände zwar auch; aber daß man einen solchen Gebrauch nicht verstehe, wenn man den anderen ermuntert, seine Hände brauchen zu lernen, ergibt sich von selbst.
Seine Hände brauchen lernen heißt vielmehr, durch mancherlei Übungen alle Muskeln derselben in seine Gewalt zu bekommen suchen, um damit mancherlei verrichten und verfertigen zu können.
Und da hier von der Bildung zum Erzieher die Rede ist, so mußt du vorzüglich solche Geschäfte verrichten und solche Sachen verfertigen lernen, die dir bei der Erziehung nützlich sein können.
Personen, von denen du in dieser Hinsicht etwas lernen kannst, findest du allenthalben, und sie werden meistenteils geneigt sein, dir die Handgriffe, die sie bei ihren Arbeiten anwenden, bekannt zu machen.
Triffst du z. B. eine Person an, die die Geschicklichkeit besitzt, durch Biegung des Papiers mancherlei Figuren zu verfertigen, so halte dies nicht zu gering, suche es zu erlernen. Es wird dir in der Folge bei den Kindern, die dir anvertraut werden, vorzüglich bei solchen, deren Hände noch zu schwach sind, um Werkzeuge gebrauchen zu können, mannigfaltige Vorteile gewähren.
So nimm auch Unterricht im Netzstricken, wenn du hierzu Gelegenheit findest, weil du auch hiermit deine Kleinen auf eine angenehme und nützliche Art wirst beschäftigen können.
Suche auch einen Gärtner auf, bei dem du bisweilen in die Lehre gehen kannst. Lerne den Spaten und Rechen gebrauchen, ein Gartenbeet anlegen, und mache dir die Vorteile bekannt, die bei der Aussäung, Pflanzung und Abwartung der gewöhnlichen Gartengewächse zu beobachten sind. Wenn dann bei deinen Pflegebefohlenen die Neigung zum Gartenbau erwacht, so wirst du derselben nicht entgegenarbeiten, du wirst sie zu nähren wissen und zu befriedigen suchen, der Gehilfe und Ratgeber der kleinen Gärtner und so für sie eine sehr wichtige Person sein.
Vorzüglich suche Gelegenheit, wo du lernen kannst, Holz und Pappe zu bearbeiten. Diese Arbeiten empfehle ich dir vorzüglich, weil sie so reinlich sind und nicht so, wie viele andere, Veranlassung geben, die Hände, Kleidung und das Zimmer zu beschmutzen, und – weil du dabei mancherlei Werkzeuge, das Schnitzmesser, den Hobel, den Meißel, den Bohrer, den Hammer, den Schraubstock usw. brauchen lernst.
Weißt du mit solchen Werkzeugen umzugehen, dann ist deine Kraft und Wirksamkeit um ein Merkliches vergrößert, und du bist in den Stand gesetzt, sie auf deine Kleinen zu übertragen und sie zu der so wichtigen, nützlichen und angenehmen Selbstverfertigung anzuführen.
Woher will ich, fragst du, die Zeit hernehmen, um dies alles erlernen zu können?
Dadurch veranlaßt du mich, dir den achten Wink zu geben.
Zeit ist Geld, sagte, wenn ich nicht irre, Franklin, vermutlich um Leuten, in deren Augen nichts so großen Wert hat als Geld, den großen Wert der Zeit begreiflich zu machen. Ich sage aber, Zeit ist mehr als Geld, da man durch gute Anwendung der Zeit viel Geld erwerben, aber durch keine Geldsummen sich Zeit erkaufen kann. Die Zahl der Familien ist nicht klein, welche über Geldmangel klagen. Sie besuchen die Schauspiele und Konzerte, bewirten oft ihre Bekannten an Tafeln, die mit den mannigfaltigsten und teuersten Speisen besetzt sind, ahmen in Verzierung ihrer Zimmer den Personen vom ersten Range nach, richten sich in ihrer Bekleidung nach den Gesetzen der Mode und klagen dann, daß ihre Einnahme nicht zureichen wolle.
Wie diesen Familien könne geholfen werden, wie sie in eine Lage versetzt werden könnten, wodurch der Geldmangel mit einem Male aufgehoben würde, sieht ein jeder, nur sie selbst nicht.
Freund, der du fragst, wo soll ich Zeit hernehmen, dies alles zu erlernen? In dem Bilde solcher Familien bist du selbst gezeichnet. Die schönsten Stunden des Tages, die Morgenstunden, bringst du vielleicht im Bette zu. Dann setzest du dich an den Tisch und liesest die Zeitungen, Zeitschriften und andere Schriften, die dir von der Lesegesellschaft, deren Mitglied du bist, sind zugeschickt worden, nachmittags besuchst du Gesellschaften, abends sitzest du bei dem Spieltische. Wenn ich dir nun rate, die Natur kennen und die Hände brauchen zu lernen, so fragst du mich, woher soll ich die Zeit nehmen, dies alles zu lernen? Denke doch nur darüber nach, wie du deine Zeit am zweckmäßigsten anwenden willst, und tue das, was dir deine Vernunft dann raten wird, so wirst du Zeit genug haben, nicht nur dieses, wozu ich dir rate, sondern noch weit mehr zu lernen.
Stehe früh auf, so hast du gleich ein paar Stunden gewonnen, in welchen du viel lernen kannst.
Da bei der Annäherung des Morgens die ganze Natur, die Nachtvögel ausgenommen, erwacht, so ist es unschicklich, daß der Mensch, der in gewissen Rücksichten Herr der Natur ist, dann im Schlafe liege. Die Abweichung von dieser Ordnung der Natur hat gewiß sehr mannigfaltige traurige Folgen, vorzüglich für den Erzieher. Deine Zöglinge müssen doch, wenn sie anders gesund bleiben und vor Entkräftung bewahrt werden sollen, früh aufstehen. Wirst du sie dazu gewöhnen können, wenn du dich selbst von der Sonne in deinem nächtlichen Lager bescheinen läßt? Denken und beobachten muß immer dein Hauptgeschäft sein; dadurch wird deine Geisteskraft geübt, und du sammelst einen Schatz selbsterworbener Kenntnisse, von deren Wahrheit du überzeugt bist und die du bei deinen Arbeiten anwenden kannst. Lesen mußt du auch, um dir mehr Stoff zum Denken zu verschaffen. Geschieht dies mit Mäßigung, mit Auswahl vorzüglich in Hinsicht auf das Fach, dem du dich gewidmet hast, so verschaffst du deinem Geiste eine gesunde, stärkende Nahrung. Liesest du aber, so wie es jetzt gewöhnlich ist, unmäßig, so kommst du mir vor wie ein Mensch, der den ganzen Tag ißt. Sein stets beladener Magen macht ihn zum Denken unfähig, und seine Säfte werden durch die heterogenen Nahrungsmittel, die in dieselben übergehen, verderbt. Das beständige Lesen füllt den größten Teil des Tages aus und raubt dir die Zeit, die du zum Denken und Handeln anwenden solltest. Du fassest eine Menge Begriffe, wahre, halbwahre und falsche durcheinander, auf, die dich verwirren und zu keiner Selbständigkeit kommen lassen. Heute urteilst du so, die nächste Woche behauptest du das Gegenteil, je nachdem das Buch urteilt, das du zuletzt durchgelesen hast.
So nachteilig würde dir das unmäßige Lesen sein, wenn du auch keine bestimmten Geschäfte hättest. Weit größerer Nachteil entspringt aber hieraus, wenn du gewisse bestimmte Geschäfte, wie z.B. die Erziehung, übernimmst.
Jetzt trittst du unter deine Kleinen, aber nur mit dem Körper, dein Geist ist abwesend und wandelt noch in dem Ideenkreise, in welchen ihn die Zeitschrift versetzte, die du eben jetzt aus der Hand gelegt hast. Daher hörst du nicht recht und siehst verkehrt, und deinen Reden fehlt der nötige Nachdruck. Du übernimmst die Aufsicht über sie mit der Zeitschrift in der Hand, verlangst nun von ihnen eine ihnen unnatürliche Stille, damit du im Lesen nicht gestört werdest; bei jedem Geräusche, bei jeder Frage, die an dich geschieht, wirst du unwillig und läßt dich wohl zu einem auffahrenden Tone verleiten. Ihre Handlungen zu beobachten, bist du unfähig, und deine Gegenwart wirkt nicht viel mehr als eine Vogelscheuche, die in den Weizen gestellt ist, um die Sperlinge abzuhalten. Eine Zeitlang fürchten sie dieselbe, nach und nach gewöhnen sie sich daran und setzen sich am Ende gar darauf.
Willst du also, Freund, ein wirklich guter Erzieher werden, so befolge meinen Rat und mäßige dich im Lesen. Bedenke, daß das Lesen immer nur Mittel zur Erreichung höherer Zwecke sein muß und daß du eine Torheit begehst, wenn du das Mittel zum Zwecke machst. Du wirst dann viel Zeit ersparen, die du nun zur Erwerbung solcher Kenntnisse und Fertigkeiten anwenden kannst, die dir bei dem Erziehungsgeschäfte unumgänglich nötig sind. Denke an Pestalozzi! Würde er wohl der mächtig wirkende Mann geworden sein, der er ist, wenn er die Zeit, die er auf das Denken und Beobachten verwendete, mit Lesen zugebracht hätte?
Du wirst ferner eine große Zeitersparnis machen, wenn du dich nicht zu sehr an die Gesellschaftlichkeit gewöhnst.
Aber mehrere halbe Tage die Woche hindurch in Gesellschaften zu verleben, ist Zeitverschwendung, ist wahrer Müßiggang, der, so wie jeder Müßiggang, viel Böses lehrt und dem Erzieher die Zeit raubt, die er auf Vorbereitung und Abwartung seines Geschäftes verwenden sollte. Wirst du nur die Hälfte der Zeit, die du bisher verplaudertest, in der Natur oder in der Werkstatt zubringen, so wirst du bald ein anderer Mann werden.
Noch eins! Du bist doch wohl kein Spieler? Du hast doch wohl nicht die Gewohnheit angenommen, halbe Tage oder Abende hinter der Spielkarte zuzubringen? Wäre dieses, so mußt du von neuem geboren werden, es muß eine gänzliche Änderung mit dir vorgehen, wenn du zum Erziehen tüchtig sein willst. Hast du denn noch gar nicht über den Wert der Zeit nachgedacht; nach gar nicht überlegt, wieviel ein vernünftiger Mensch in einer Stunde denken, lernen und wirken kann? Wie kannst du denn mit deinen Lebensstunden so verschwenderisch umgehen? Wie willst du denn erziehen können, wenn die Spielsucht dich beherrscht? Wirst du, wenn die Spielstunde schlägt und dich zum Spieltische ruft, dich nicht von deinen Pflichten losmachen? Wirst du deinen Pflegebefohlenen wohl Selbstbeherrschung predigen können, wenn du selbst Sklave der Spielsucht bist? Wird dein Exempel nicht auf deine Kleinen Einfluß haben und ihnen Neigung zum Kartenspiele beibringen?
Also, Freund, der du mit dieser Sucht behaftet bist, wähle! Entsage dem Kartenspiele oder der Erziehung, weil beide sich so wenig miteinander vertragen, wie die Arbeiten in einem Hammerwerke mit dem Spielen auf der Harmonika. So glaube ich dir denn die Frage: Wo soll ich denn die Zeit hernehmen, dies alles zu erlernen? hinlänglich beantwortet zu haben. Entsage nur allen den Gewohnheiten, die Zeit zu verschwenden, die du bisher angenommen hattest, so wirst du überflüssige Zeit haben, das alles zu erlernen, was das Erziehungsgeschäft erleichtern und begünstigen kann.
Warum? Das wirst du leicht erraten. Wenn du Erzieher werden willst, so mußt du auch lernen, deine Pflegebefohlenen gesund zu erhalten. Dazu könntest du dir zwar auch die nötigen Kenntnisse in den Schulen der Ärzte und aus den Büchern, die sie schreiben, erwerben; ich glaube aber, du erwirbst sie dir leichter und sicherer im Umgange mit Personen, die es bewiesen haben, daß sie zur Erhaltung der Gesundheit der Kinder die nötige Einsicht und Geschicklichkeit besitzen. Siehe! der Baumgärtner hat mehrere tausend junge Bäume unter seiner Aufsicht, die bei seiner Pflege wachsen und gedeihen, ohne daß er eine genaue Kenntnis ihrer inneren Teile besitzt, ohne Physiologie der Pflanzen studiert zu haben. Er lernte die Behandlungsart derselben von dem Exempel seines Vaters oder Lehrmeisters.
Auf ähnliche Art wirst auch du lernen können, die Gesundheit der Kinder zu erhalten. In dem Umgange mit den Personen, mit denen ich dir rate, in Verbindung zu kommen, wirst du sehen, wie sie die Kinder behandeln, um ihrem Körper Kraft und Festigkeit zu verschaffen, und was sie mit ihnen tun, wenn sie sich übel befinden. Im letzteren Falle mußt du dreierlei verstehen: zu erfahren, wo es den Kindern fehle, was ihr Übelbefinden veranlaßt habe, und das einfache Mittel, wodurch die Unordnung im Körper behoben werden könne. Alles dies wird weit sicherer durch den Umgang mit solchen Personen, unter deren Aufsicht die Kinder gedeihen, als durch ärztliche Vorlesungen und Bücher erlernt, weil man bei den ersteren die Sachen durch die Anschauung und bei diesen durch die Beschreibung wahrnimmt, bei deren Anwendung man sich so leicht irren kann.
Wie nötig dies sei, habe ich vorhin gezeigt. Sobald die Überzeugung da ist, entsteht auch der Entschluß zur Pflichterfüllung. Das Kind tut nun seine Pflichten, nicht weil sie von anderen geboten, nicht wegen der Belohnungen und Strafen, die mit der Erfüllung und Vernachlässigung derselben verknüpft sind, sondern weil es überzeugt ist, daß es notwendig so sein muß.
Deswegen denke selbst oft über deine Pflichten nach und suche dich von der Verbindlichkeit, sie zu erfüllen, zu überzeugen. Solange dir diese Überzeugung fehlt, solange du nur durch die Umstände dich zur Pflichterfüllung bestimmen läßt, solange wird es dir auch schwer sein, sie mitzuteilen, und deine Ermahnungen werden so kalt und unwirksam sein als die Predigten eines Jakobiners von den Pflichten der Untertanen gegen die Obrigkeit. Bist du aber dazu gelangt, so wirst du auch Drang empfinden, sie auf deine Kleinen zu übertragen, der dich beredt machen und deinem Vortrage die nötige Wärme und Wirksamkeit verschaffen wird. Was von Herzen kommt, geht wieder zu Herzen. Ist z. B. die Überzeugung von der Pflicht der Selbstbeherrschung bei dir lebendig geworden, so wird sie dir auch stets gegenwärtig sein, und du wirst sie deinen Kleinen leicht anschaulich machen können. Übe dich nun darin, durch anschauliche Darstellung der Pflichten die Kinder zur Überzeugung davon zu bringen. Jede Übung verschafft Fertigkeit, und je öfter sie wiederholt wird, desto mehr Vorteile, leicht zum Zweck zu kommen, zeigt sie uns.
Dieser Zweck ist bei der Erziehung in moralischer Hinsicht doppelt: erstlich den von ihren Pflichten überzeugten Kindern zur Erfüllung Neigung einzuflößen; zweitens sie zu bestimmen, gewisse. Pflichten sogleich auszuüben. Beide Zwecke wirst du erreichen, wenn du eine Fertigkeit dir erwirbst, alles recht anschaulich darzustellen und die Pflicht gleichsam zu versinnlichen.
Da der Mangel an Geisteskraft die erste und vorzüglichste Ursache ist, warum die Kinder gegen die Pflicht Abneigung haben und auch dann, wenn die Neigung wirklich da ist, sie doch sehr oft vernachlässigen, so mußt du dich mit einem Vorrate von Bildern versehen, unter denen du die Notwendigkeit vorstellest, nach seinen Einsichten zu handeln und die Sinnlichkeit zu beherrschen, damit unsere geistige Kraft immer die regierende, der Leib mit seinen Begierden die gehorchende sein müsse.
Du mußt dir ferner eine Fertigkeit zu erwerben suchen, die Pflichten zu personifizieren oder Personen zum Muster aufzustellen, die sich durch Erfüllung gewisser Pflichten auszeichneten. Dazu findest du reichlichen Stoff in den Schriften für Kinder, welche erdichtete Erzählungen enthalten, deren Zweck Veredelung der Gesinnung ist. Noch weit mehr wirst du aber wirken, wenn du die Beispiele von wirklichen Personen aus der alten und neuen Geschichte sammelst, die du deinen Kleinen als Muster in Erfüllung gewisser Pflichten vorstellen kannst. Erzähle ihnen z. B. die edle Handlung des Herrn von Montesquieu, der in der Stille einen in barbarischer Sklaverei seufzenden Hausvater loskaufte, ihn kleiden ließ und seiner trauernden Familie wiederschenkte, ohne es merken zu lassen, wem sie diese Freude zu verdanken habe. Du wirst gewiß wahrnehmen, daß deine kleinen Zuhörer das Edle dieser Handlung innig fühlen und von dem Entschlusse werden belebt werden, ebenso zu handeln.
Willst du aber deine Kleinen dahin bringen, daß sie gewisse Pflichten sogleich erfüllen, so mußt du dir eine Fertigkeit erwerben, ihnen die Notwendigkeit, derselben recht anschaulich zu machen. Dies kann geschehen, wenn du sie das Unschickliche der Vernachlässigung recht innig fühlen läßt. Gesetzt, der kleine Hieronymus sollte dahin gebracht werden, zu gewissen Stunden bestimmte Arbeiten zu machen, und weigere sich dessen, so könntest du sagen: Wenn du glaubst recht zu haben, so wollen wir es zum Gesetz machen, daß jedes Glied unserer kleinen Gesellschaft in der Arbeitsstunde vornehmen kann, was es will, spielen, singen, umherlaufen, wie es will. Er wird das Ungereimte einer solchen Verordnung sogleich fühlen und sich zur Arbeit bequemen; oder du kannst auch nur kurzweg fragen: Willst du, daß alle Kinder so handeln sollen? und wenn er sich merken läßt, daß er das Unschickliche davon fühle, kannst du weiter fragen: Aus welchem Grunde willst du denn eine Ausnahme von der Regel machen?
Ein andermal, wenn er eine gewisse Pflicht vernachlässigt, kannst du auch fragen: Hältst du mich für einen rechtschaffenen Mann? wirklich? wie kannst du mir denn zumuten, daß ich die Vernachlässigung deiner Pflichten nachsehen soll? Tut das ein rechtschaffener Mann? Würdest du mich nicht selbst verachten müssen, wenn ich mein Aufseheramt gewissenlos verwaltete und zur Vernachlässigung deiner Pflichten schwiege?
Durch solche und ähnliche Behandlungen wirst du viel bewirken, deine Pflegebefohlenen zur Kenntnis und Überzeugung von ihren Pflichten bringen, in ihnen den Entschluß, sie zu erfüllen, erzeugen, sie gewöhnen, pflichtmäßig zu handeln, und nur selten in die Notwendigkeit versetzt werden, ihnen ihre Verirrungen durch Strafen fühlbar zu machen.
Jedes Kind hat, wie ich schon bemerkt habe, einen Hang, so zu handeln, wie' es andere handeln sieht, und es ist geneigter, Handlungen nachzuahmen, als Ermahnungen und Vorschriften zu befolgen.
Dein stetes Bestreben muß also dahin gehen, deinen Zöglingen in jeder Hinsicht Muster zu sein und die Belehrungen, die du ihnen gibst, durch dein Beispiel zu bestätigen. Kinder haben ein ungemein feines Gefühl und bemerken jeden Fehler des Erziehers. Sie vor ihnen zu verbergen, ist eine vergebliche Bemühung; sie zu verteidigen, heißt sie ihnen empfehlen. Das einzige Mittel, zu verhüten, daß deine Fehler keinen nachhaltigen Einfluß auf sie haben, ist – daß du sie ablegst.
Ehe du dich also entschließest, Erzieher zu werden, prüfe dich wohl, ob dir deine moralische Besserung ein Ernst sei und du dir hinlängliche Kraft zutrauest, deinen Kleinen in jeder Hinsicht Muster zu sein. Ist dies bei dir der Fall nicht, so entsage lieber diesem Geschäfte, bei welchem du doch nicht viel Gutes stiften wirst, und wähle ein anderes, bei welchem dein Beispiel für deine Mitmenschen weniger ansteckend ist.
Fühlst du aber bei dir Entschlossenheit und Kraft, deinen Kleinen in jeder Rücksicht Muster zu werden, so widme dich diesem wichtigen Geschäfte mit Freuden und rechne auf einen gesegneten Erfolg desselben. Je eifriger du es treibst, desto vollkommener wirst du selbst werden. Deine Pflegebefohlenen werden deine Erzieher sein, manchen deiner Fehler, der deiner Aufmerksamkeit entging, dir bemerkbar machen und dich reizen, ihn abzulegen. Dein Beispiel wird auf sie wirken, jeder deiner Ermahnungen den nötigen Nachdruck geben, und so wie sie durch den steten Umgang mit dir deine Mundart, so werden sie auch deine Tugenden annehmen.