Felix Salten
Herr Wenzel auf Rehberg und sein Knecht Kaspar Dinckel
Felix Salten

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dieses sind die Begebenheiten / die ich jetzt erzählen will. Denn ich habe heute vernommen / wie des Kaisers Leben sich gewendet hat. Und ist von dieser Kunde ein heller Abglanz in mein Gemüt gefallen / also daß alle meine Erinnerungen aufleuchten / wie die Fenster eines Hauses in der abendlichen Sonne.

Ich war fünfundzwanzig Jahre alt und saß allein auf meinem festen Schlosse Rehberg / das in Böhmen liegt. Da kam Botschaft von meinem neuen Anverwandten Nikolaus Perrenot / dem Handwerkerssohn / der sich jetzt Herr von Granvella nannte und beim Kaiser Karl V. hoch begnadet war. Er habe 6 gehört / schrieb mein Anverwandter / daß ich in den Wissenschaften erfahren / wie auch in der Kriegskunst wohl unterwiesen sei. Deswegen lade er mich ein / in des Kaisers Dienst zu treten und wolle sich gerne unterfangen / mir zu meinem Glück zu verhelfen. Es stünde anjetzt bei mir / den Rang und die Güter meines Geschlechtes zu mehren; am Ende gar noch das goldene Vließ zu gewinnen.

Leicht wäre es möglich / daß meine Sippe mir dereinst noch gram wird / weil ich hernach an jener Pforte /durch welche man zu hohen Würden /zu Reichtum und Kriegsglorie eingeht / infolge einer seltsamen Regung des Gemütes meine Schritte verhielt. Hat mich doch Herr Albrecht / der Markgraf von Kulmbach / einen Schelm geheißen / als ich des Kaisers Armada vor der Affäre von Geldern verließ / um für immer heimzukehren. Ich weiß es aber besser / daß ich kein Schelm bin / indem ich nicht 7 anders handeln konnte und alles nur Gottes Wille gewesen ist / der mein Herz erschüttert und meinen Sinn gelenkt hat.

 

Den Zins / den meine beiden Meier mir noch schuldeten / trieb ich damals ein und ritt / von einem Waffenknecht geleitet / gen Augsburg. Es war ein wettergrauer Morgen / als ich eben auf den großen Platz vor des Kaisers Herberge kam. Da rührte sich nun ein erstaunliches Getümmel von Kriegsvolk / Wagen und Pferden / von Edelleuten / Schalksnarren und Schreibern / dergleichen ich noch nie vorher gesehen hatte. Auch der spanischen Kleidung ward ich allhier zum erstenmal gewahr.

Indem ich also langsam durch das Jahrmarktsgedränge ritt / in dem Getöse schreiender / singender und rufender Stimmen / davon der Widerhall sich an den reichen Häusern ringsumher brach / 8 mitten in dem tapferen Schmettern der Trompeten und den Wirbelschlägen der Becken die stattlichen Pferde mir besah / die stolzen spanischen Herren musterte / die vielen kaiserlichen und reichsfürstlichen Fahnen betrachtete / war mir / als solle mein Leben jetzt wie ein rechtes Fest anheben und von Stund ab glanzvoll vor sich gehen. Ich atmete tief / um das Lachen der Freude / das mir vom Herzen her aufstieg / nicht laut herausschallen zu lassen. Es würgte mich ein wenig am Halse / tat aber nicht weh und blieb innen. In dem wunderbaren Tumult / der mich umgab / spürte ich die Nähe der gewaltigen Majestät des Kaisers / war frohen Mutes ihm zu dienen und bis an den Rand meines Wesens geschwellt von Ehrfurcht und Zuversicht.

Wie ich bei dem schweren Fuhrwerk vorbeikam / fiel mir wegen seines sonderbaren Betragens ein Bursche auf / daß ich stille hielt und ihm eine gute Weile 9 zusah. Er stand vor seinen beiden Pferden / redete zu ihnen / und ich sah / wie er plötzlich den Kopf des einen / es war ein schwerer Eisenschimmel / umfaßte und ihn mitten auf die breite Stirne küßte. Die beiden Tiere drangen zärtlich auf ihn ein / und wie er gerade zwischen ihren Köpfen stand / legte jedes die Schnauze an sein Ohr / das eine rechts / das andere links / so daß es schien / als wollten sie ihm freundliche Dinge sagen / und als horche er mit Heiterkeit ihrem Zuspruch. Dann wieder streichelte er ihre Wangen / faßte sie unter dem Kinnbacken / ganz wie man Weiber karessiert. Dermaßen trieb er es eine Zeitlang / schien auf nichts zu achten / mitten im lärmenden Schwalle allein sich zu fühlen und es war einem Gespräch zwischen vertrauten Freunden vergleichbar / wie er mit seinen Rössern tat und seine Gäule mit ihm. War ein hochgewachsener Bursche / breitschultrig und mit mächtigen roten Händen. Wie ich aber sein 10 Gesicht sah / war es völlig das fröhliche / arglose Antlitz eines gesunden Kindes und im selben Augenblicke ergriff mich eine unerklärliche / beinahe heftige Zuneigung für ihn / als sei er auch mein Freund / wie er derjenige seiner Zugpferde war.

Ich ritt dann weiter / behielt aber das anmutige Bild / das sich mir geboten / in meinem Gedächtnis. Vor des Kaisers Herberge / als ich aus dem Sattel gestiegen war / fehlte mein Waffenknecht zur Stelle. Er mochte im Gewühl des Marktes sich verloren haben / und ich fand mich allein. Da begab es sich / indem ich umherspähte / wer wohl mein Pferd derweil halten könne / daß jener Bursche mit einem Male vor mich hintrat und sich dazu erbot. Mir kam wieder jene merkwürdige Zuneigung in das Herz geschossen und ich fragte ihn leutselig nach seinem Namen.

»Kaspar Dinckel / gnädiger Herr« / sagte er mit einer bescheidenen / sanften Stimme.

11 Als ich ihn näher inquirierte / berichtete Kaspar / daß er mit vielen anderen Fuhrleuten aufgeboten sei / die neuen Kanonen / die der Kaiser hier in Augsburg und in Ulm habe gießen lassen / der Armada voraus zu kutschieren.

Da mich sein Wesen nun einmal gefangen hatte / fragte ich ihn / ob er in meine Dienste treten wolle.

Er möchte es schon gerne / meinte er / doch müsse ich ihn zuerst seiner jetzigen Pflicht entledigen.

Wie das zu machen sei?

Ich müsse es vor dem Herrn Hauptmann Rosenzwick / dem Befehlshaber der Kartaunen und Feldschlangen anbringen. Wenn der ihm die Freiheit verwillige und ihn aus dem Gedinge lasse / sei es getan.

Mir war ohnehin der Mut in dieser letzten Stunde gar hoch gestiegen und hier auf dem Markte zu Augsburg dachte ich am Borne aller Gnaden angelangt zu sein / aus dem ich mit vollen 12 Händen schöpfen und ein paar Tropfen wohl verspritzen dürfe. Es stach mich / vor diesem lieben Gesellen als ein vielmögender Herr dazustehen und ich entgegnete mit wichtiger Miene / daß ich dem Herrn Hauptmann Rosenzwick schon ein Wörtlein sagen wolle. Hierauf wandte ich mich ab / um des Kaisers Haus zu betreten / sah aber noch / wie dem Fuhrknecht der helle Freudenfunke aus den Augen sprang / und gelobte mir / mein Wort noch heute zu lösen und den braven Burschen zu mir zu nehmen.

 

Herrn Nikolaus Perrenot traf ich in einem Prunkgemach / wo kostbare / gewebte Bilder aus Flandern von den Wänden niederhingen. Es war ein stolzer Mann mit einem blassen / klugen Antlitz / hatte einen langen / weißen Bart / durch den ich die verkniffenen Lippen sah. Ich war ihm nie vorher begegnet und es bestand keine 13 Gemeinschaft zwischen mir und ihm / ob er gleich mein Anverwandter hieß. Sein Vater war nämlich in Burgund nur ein niedriger Schlosser gewesen und ich meinte nicht anders / als daß er mich mit einer geziemenden Devotion empfangen werde / weil ich ja doch aus edlem Blute stammte. Aber der Sohn des Schlossers war jetzt der Erzkanzler von Kaiser Karl; er führte den Namen Granvella nach einem Dominium in Burgund / das ihm sein Herr geschenkt / und er schien es für nichts zu achten / daß meine Base / eine Rehberg von der Czenstochauer Linie / seinen Sohn geheiratet hatte. Sein Wesen war / ungeachtet seiner geringen Herkunft / so gebieterisch / daß ich / ohne es zu wollen / vor ihm ganz schüchtern dastand / indessen er in seinem Armstuhl sitzenblieb. Er meinte / ich solle erst Soldat werden / um zu vielem Gelde zu gelangen / dann werde er mir eine Gesandtschaft anvertrauen / damit ich an einem fremden Hofe meinen 14 Reichtum mehren könne. Ich wußte nichts / als ja zu sagen und mit dem Kopf zu nicken und es tat mir nicht wohl / wie er mich musterte und mit seinen eiskalten Augen durchsuchte.

Währenddessen wir redeten / trat ein junger Priester in den Saal / den ich sogleich als den Sohn des Granvella erkannte. Er hatte dieselben harten / verschlossenen Mienen und diesen kühlen / herrischen Gleichmut / der ihm stolz aus den dunklen Augen sah. Indem er hörte / daß wir Vettern seien / neigte er nur leicht das Haupt gegen mich / der ich mich von seinem Anstand wie von seinem geistlichen Gewande bezwungen fand / und – ob ich gleich bei mir dachte / es müsse eigentlich umgekehrt sein – bückte ich mich tief vor ihm zu Boden. Er war damalen Zweiundzwanzig / also drei Jahre jünger als ich und war Bischof von Arras. Heute ist er Kardinal und Erzbischof von Mecheln / derweilen ich geblieben bin / was ich in jenem 15 Augsburger Zimmer gewesen: ein armer unbegnadeter Edelmann.

Es kamen / indem ich darinnen blieb / nacheinander viele Menschen in das Gemach / vornehme und fürstliche Personen / wie ich gut merkte /und waren auch etliche Vließritter mit dabei. Betrugen sich aber alle mit vieler Unterwürfigkeit gegen den Sohn des Schlossers und nahten ihm mit Schmeichelworten. Konnten jedoch über die Schranken / die er mit seinen kalten Manieren rings um sich aufgerichtet hatte / nicht hinweg in seine Vertraulichkeit gelangen. Während die Türen gingen / vernahm ich aus der Tiefe des Hauses ein wütendes Hundegebell. Mir aber schien es nicht wie das Bellen richtiger Hunde / vielmehr als ob Possenreißer es wollten nachahmen und des Spaßes wegen vortäuschten. Eben hatten sie ein ganz erschreckliches Heulen angehoben / als ein paar von des Kaisers Sekretären heftig eintraten / unter ihnen Herr 16 Johann Obernburger / für die Reichssachen angestellt / stattlich anzusehn und fett vom Leibe / daß er schnaufen mußte. Es war der einzige / den ich von früher her kannte. Dieser kehrte sich zu dem Großkanzler und fing mit Getöse seine Beschwerde an. Es sei wohl gerecht / wenn der Kaiser die Verleumder strafe / indem er sie auf allen Vieren laufen und gleich dem Hundegezücht bellen lasse. Man könne aber vor solchem Satanslärm nicht arbeiten / werde empfindlich gestört und glaube zuletzt / es gäbe nichts als lauter Verleumder auf der Welt.

Der Schimmer eines Lächelns flog an dem starren Antlitz des Nikolaus Perrenot vorbei / indem er sprach / die Verleumder wüßten eben auf jede Weise die Arbeit der Rechtschaffenen zu kreuzen und man könne ihnen nirgends beikommen.

Der Bischof von Arras befahl: »Laßt sie solange schweigen.«

Ich vernahm dergleichen Dinge mit 17 Staunen und es war mir nicht anders / als sei ich hier im Vorsaal der göttlichen Gerechtigkeit. Noch eine Weile ließ sich das Bellen vernehmen / dann ward es plötzlich still. Ich aber fühlte anjetzt zum zweiten Male und noch weit heftiger als auf dem Markte draußen die Nähe der kaiserlichen Person und erkannte wohl / daß er von Gott gesetzet sei / schon auf Erden hier Seligkeit und Verdammnis auszuteilen. Denn er strafte wie man in der Hölle straft und ließ die Gerechten / ob sie auch von einem Schlosser stammen mochten / im Rate an seiner Seite sitzen. Darob kam eine große Andacht in mein Herz / daß ich die Mauern des Hauses / darin ich war / mit meinen Blicken durchdringen wollte / um der Herrlichkeit Seiner Majestät ansichtig zu werden / gleichwie inbrünstige Beter durch das Gewölbe der Kirche hindurch schauen möchten / den Glanz des Höchsten einmal mit Augen zu erspähen.

Ich stand in großer Bewegung da / 18 indessen die anderen untereinander sich besprachen / als mit einem Male alle Türen geöffnet wurden. Von weitem kamen jetzt Fanfarenklänge herein / ein hastiges Gedränge entstand und sagten etliche / so in meiner Nähe waren / daß der Kaiser eben aus der Messe komme und zur Tafel gehe. Trat auch der Bischof von Arras her zu mir und meinte in seinem kalten hochmütigen Tone: »Kommt mit / Herr Junker / den Kaiser beim Mahle zu betrachten. So könnt Ihr ihn wenigstens aus der Nähe sehen / bis ein schicklicher Anlaß sich findet / Euch zu präsentieren und seiner Gnaden zu empfehlen.«

In den Kammern all / den Treppenhäusern und Galerien / durch welche wir schritten / war ein gewaltiger Zulauf von Menschen und das Gemäuer dröhnte vom Klirren der Waffen / der schweren Sporenschritte / und vom Lärm der Stimmen. Im Saale aber / der weit und hoch war wie eine Kirche / 19 legte sich eine festliche Stille über die Menge / gleichsam als wäre sie von einem dunklen Mantel überbreitet. In der Mitten stand ein artiger Tisch / aber nur ein einziger Stuhl davor mit der Lehne gegen die Fensterseiten / und ich verwunderte mich / daß der Kaiser allein beim Essen sitzen werde. Konnte aber diesem Umstand nicht weiter nachdenken / denn wir mußten uns sämtlich der Ordnung nach in einem weiten Bogen aufstellen. Hinter uns trat eine Reihe von Hellebardenträgern / die hielten ihre Spieße verquer / daß der helle Haufen von Kriegsvolk und Bürgersleuten nicht herzudrängen konnte. Mich hatte der gleißende Saal / die köstliche Vertäfelung /der Prunk des Geschirres und der Kristalle aufs Heftigste gespannt. Dabei fühlte ich mich bedrückt von dem Stolz / dem edlen Anstand und der reichen Kleidung all der vielen Herren rings um mich her. Ich kam mir klein und elend und gar zu nichtig vor / 20 und mein Blut entzündete sich plötzlich in einem heißen / schmerzhaften Wünschen / mühevolle und gefährliche Taten zu vollbringen / vornehm und ausgezeichnet zu werden und mein Haupt so hoch zu tragen / wie ich es jetzt bescheiden gesenkt hielt. Ein jähes Hoffen riß sich in mir los und wie es dieser Stunde in rasendem Flug um Jahre vorausstürmte / wollte es mir schier den Atem rauben.

Unterdessen aber tat sich eine Türe auf und es kamen viele Kämmerlinge herein / Schänken / Truchsesse und Pagen in wohlgeordneten Reihen / die sich alle bei den Kredenztischen / Pfeilern und Fenstern mit ernster Miene an ihre Plätze stellten.

Nun blickte jeglicher gespannt zu der kleinen Pforte in der Schmalwand und als dort zwei Pagen in den Reichsfarben sichtbar wurden / neigten sich alle auf einmal so tief sie nur konnten zur Erde / denn jetzt trat der Kaiser in den Saal.

21 Er hatte unser gar nicht acht / hielt nur einen Augenblick inne und reichte etlichen Personen / die hinter ihm einhergeschritten waren / die Hand. Das waren lauter kaiserliche Prinzen / Kurfürsten und regierende Herren. Durfte aber keiner mit der Majestät zu Tische gehen / sondern nahmen Urlaub / um ihre eigene Tafel aufzusuchen oder traten beiseite und schauten der kaiserlichen Mahlzeit zu / wie wir.

Ich sah / daß der Kaiser düster blickte und erschrak darum / denn ich hatte mir's anders gedacht. Hörte aber später / daß er immer ein verfinstertes Wesen habe. Es war ein wunderbar stattlicher Herr / zierlich und nicht zu hoch gewachsen und hatte eine feine Anmut der Glieder. Passierte er vor den Fenstern / wo eben die Mittagssonne hereinschien / da leuchtete sein glattes Haar goldblond. Kam er jedoch in den Pfeilerschatten / so zeigte es sich / daß es hellbraun war und einen metallischen Glanz besaß. Niemalen aber 22 hatte ich ein Antlitz geschaut / das so bleich war wie dieses. Denn es sah aus wie das Angesicht eines Entsetzten und es war die Blässe der zarten Schläfen / der Stirne / Nase und der Wangen so gleichmäßig wie die weiße spanische Halskrause / die der Kaiser trug. Weil nun auch die Augen so erloschen und ohne allen Glanz blickten / weil ihm dazu der Mund mit seiner breiten / vorgeschobenen Unterlippe zu klaffen schien / war es / als habe man einen Toten auferweckt und als starre er / von der unermeßlichen Schwere des ewigen Schlafes noch trunken / fremd und fern in das Licht der Welt.

Als der Kaiser niedersaß / trugen sechs junge Grafen sechs goldene Schüsseln herbei und boten sie knieend dar. Der Hofmeister / Herr Philippe de Beaume / ein munterer und gefälliger Mann / den ich vorerst in Granvellas Zimmer allerlei Schnurren hatte treiben hören / stand mit unbeweglichen / völlig gefrorenen Mienen dabei und ließ kein Auge vom 23 Kaiser. Dieser musterte die Speisen und hob dann seinen Blick gleichgültig ins Leere. Da wurden alle hinweggenommen und es kam die zweite Tracht / die wieder aus sechs Schüsseln bestand. Diesmal winkte der Kaiser und erwählte unter den leckeren Pasteten und ausländischen Gerichten nur einen Kalbskopf / der vor ihm auf den Tisch gesetzt wurde. Er nahm ein blankes Messer / löste sich vom Fleisch ein tüchtig Stück herunter und schnitt es mit dem Weißbrot zusammen in lauter kleine Brocken. Dann hob er den Teller unter das Kinn und aß / jeden Bissen mit zwei Fingern greifend / so zierlich / daß es eine Lust war. Dabei blinkte auf dem dunklen Bart seine schneebleiche zarte Frauenhand und ich erstaunte / wie er damit wohl ein Schwert oder gar eine Turnierlanze mochte rühren können.

Standen da etliche Narren / Hanswürste und Philosophen in einer Reihe / die allerhand Schabernack trieben und 24 sich heruntermühten / es ihm mit lustigen Späßen und Sentenzen abzugewinnen. Das war jedoch / als ob sie in die leere Luft redeten. Denn von uns blickten alle nur auf den Kaiser / der aber blieb still für sich / als habe er nichts gesehen / noch vernommen. Wie er einmal verlangend das Haupt wandte / traten in ihren langen schwarzen Talaren die beiden Leibärzte an den Schanktisch und mengten aus zwei hohen Kristallkrügen den Trunk in einen großen Becher. Der Kaiser empfing ihn von Herrn Philippe de Beaume / brachte ihn an die Lippen / schloß müd die Augen und leerte den Pokal bis auf den Grund. Ich sah / wie er manchmal inne hielt und Atem schöpfte / aber er setzte dabei nicht ab. Er machte es wie die Kinder tun / die ihre Portion mit eins bewältigen wollen / und da er seinerzeit ein schwächliches Knäblein gewesen / mag ihm wohl mit vielem Zuspruch zu fleißigem Trinken angelegen worden sein / also daß er diese 25 Art gewohnt und bis in sein Alter bewahrt hatte.

Während der Kaiser so an seinem Tische saß und das Mahl seinen Fortgang nahm / stieß mir plötzlich der Satan einen argen Gedanken vor die Stirn: daß nämlich der blasse Mann dort an seinem Tische / den wir alle mit Neugier umstanden / gar wohl einem fremdartigen / gefährlichen Tiere ähnlich sei / das hier / gezähmt / vor einer bangen Gaffermenge seine betrübten Possen agiere. Eilig aber nahm ich meine Zuflucht zur kaiserlichen Person / indem ich scharf in Obacht nahm / wie er von all den Grafen und Edlen unterwürfig bedient wurde / und wie er es in der majestätischen Ruhe seiner Gebärden im stolzen Gleichmut seiner Haltung auszusprechen schien / daß er sich ganz allein im Saale erachte / so viele Augen ihn auch bespähen mochten. Da holte ich ein ander Gleichnis aus meinem Herzen / um es dem Bösen / der mir anwollte / entgegenzustemmen. 26 Erschien mir nämlich der Tisch mit unseres gnädigen Herrn einsamer Person wie ein weltlicher Altar / vor dem wir aus gehöriger Entfernung zusahen / wie eine bedeutsame und erhabene Handlung zelebriert wurde. Ich hatte in diesen wenigen Stunden meines Hierseins viel Macht der Erde geschaut und Größe der Welt. Jetzt in diesem Saale waren sie ja alle beisammen / die mir bisher begegnet / und ihrer noch viel mehr. Aber wo war jetzt im Angesicht des Kaisers ihr Hochmut geblieben? Bei etlichen hatte er sich aufgelöst wie neuer Schnee in der Morgensonne und sie standen kahl in ihrer Demut mit Befangenheit in den Augen. Etliche freilich hatten sich noch höher aufgerichtet / aber es war nicht ihr eigener Stolz. Sie trugen ihn nur wie des Königs Livree; er glänzte an ihnen nur als der Widerschein des Lichtes / das ihnen hier aufgegangen war. Da merkte ich / daß nur er allein von allen die Hoheit besaß / daß nur in seinem Wesen die 27 Freiheit wohne / ihrer selbst nicht bewußt. Und jetzt erst fing ich an / mit der rechten Andacht seine Gegenwart zu verehren.

Der Kaiser stand auf / schob den Stuhl zurück und es ward darauf mit wunderbarer Schnelligkeit alles Gerät hinweggeräumt / Tische und Schüsseln und Geschirr beiseite geschafft / so daß der Saal im Nu wie ausgeleert erschien. Die Schänken / Truchsesse und das ganze übrige erlauchte Gesinde zog ab / mit tiefer Verbeugung nach rückwärts schreitend / und blieb der Kaiser allein im großen Raume stehen. Da trat ganz leise der Bischof von Arras / mein Herr Vetter / zu ihm heran / neigte sich / schlug das Kreuz / faltete die Hände und betete ihm / niedergeschlagenen Blickes / mit seiner kalten Stimme das Gratias vor. Der Kaiser sah ihm dabei mit seinen erloschenen Augen von unten her ins Gesicht und ließ die Unterlippe klaffen. Als dann der Bischof von Arras vollendet hatte / kam Herr Philippe de Beaume herbei / 28 brachte ein Federkielchen / das der Kaiser nahm und sich mit aller Sorgfalt die Zähne stocherte. Hierauf trugen zwei kleine Pagen / die wie himmlische Engel anzusehen waren / ein silbernes Waschbecken heran / das sie knieend über ihre Lockenköpfe in die Höhe hielten und darein der Kaiser seine weißen Hände tauchte. Zuletzt trat er allein in eine Fensternische / zog ein schief Gesicht / als sei ihm übel und blickte nur so für sich hin.

Indem fing die Menge / die im Saale versammelt war / sich zu entfernen an und an meiner Seite stand plötzlich ein Schreiber / der mir sagte / er sei von Granvella gesendet: »Kommt mit / ich soll Euch Euer Quartier weisen.«

 


 << zurück weiter >>