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Was die wahre Glückseligkeit des Menschen ausmacht, muß ein Gut des Menschengeistes, und seiner Natur nach dauerhaft sein. Wäre es außer dem Menschen, wie machte es ihn glücklich? Wäre es wandelbar, wie könnte es bestehen, und wenn es selbst nicht besteht, wie Glückseligkeit gewähren?
Was dem Wechsel und der Umkehrung so sehr unterworfen ist, wie Reichtum, Ehre, weltliche Hoheit, Schönheit, Gesundheit und zugleich, wie diese Dinge, außerhalb des Menschengeistes ist, kann das rechte Glück des Menschen nicht ausmachen. Er ist zu edel und ist seiner Natur nach zu sehr über diesen Gütern, als daß er in dem, was unter ihm ist, sein Wohlsein finden könnte.
Was die wahre Glückseligkeit des Menschengeistes ausmacht, muß an keinen Stand, an kein Alter, an kein Geschlecht, an keinen zufälligen, von der Erwerbsfähigkeit des Menschen unabhängigen Unterschied gebunden sein, sondern von Armen wie von Reichen, von Niederen wie von Hohen, von Kranken wie von Gesunden, von Ungelehrten wie von Gelehrten erreichbar, muß ein allgemeines Gut, ein Gut für alle Geister, so allgemein wie die Natur des menschlichen Geistes sein. Denn wenn es nicht allgemein wäre: so könnte der Mensch nicht als Mensch glückselig werden und die Glückseligkeit wäre etwa ein Familiengut, wie der Erbadel, oder ein Glücksgut, wie gewonnenes Geld.
Was die wahre Glückseligkeit des Menschengeistes ausmacht, muß uns in jedem Zustande des Lebens zufrieden machen und zufrieden erhalten können. Denn fände der Mensch in dem, was ihn glückselig machte, kein Gegengift gegen die Unzufriedenheit: so würde er eben deswegen uneins mit sich, unruhig, also elend und nicht glücklich sein.
Was die wahre Glückseligkeit des Menschengeistes ausmacht, muß so unzertrennlich mit ihm eins sein, daß es ohne seinen Willen nicht geraubt und von ihm über das Grab und in die zukünftige Welt hinübergenommen werden kann. Elende Glückseligkeit, die die Motten zernagen, der Dietrich des Diebes rauben oder die Fluten wegschwemmen und die Zeit zerstören können.
Was die wahre Glückseligkeit des Menschengeistes ausmacht, das muß ein unsichtbares Gut sein, wenn es auch von Tausenden mißkannt, von Hunderten gelästert werden kann; unsichtbar wie der Menschengeist, mißkennbar, wie alle Wahrheit, und der Lästerung ausgesetzt mit allen, dem Reiche der Leidenschaft widerstrebenden Kräften.
Wie heißt denn aber das Gut, das die Glückseligkeit des Menschengeistes ausmacht?
Fragst du nach der Fassung des Geistes, die seine Glückseligkeit ausmacht, oder nach der letzten Wurzel dieser Fassung?
Fragst du nach der Fassung des Menschengeistes, so denke dir eine solche, in der wir eine lautere, gebietende Achtung und Liebe haben gegen die Urquelle alles Guten und Wahren, und um ihretwillen alles Wahre und Gute achten und lieben; und von dieser Achtung und Liebe belebt, all das Gute, das wir tun können froh vollbringen, das Bessere getrost erwarten, das Widrige willig tragen; und endlich durch Achtung und Liebe gegen alles Gute und Wahre, durch Tun des Guten, durch Erwartung des Besseren, durch Duldung des Widrigen täglich reiner und froher, und der allerhöchsten Freude würdiger werden. Diese Fassung des menschlichen Geistes ist mir die wahre Glückseligkeit, und ich darf kühn sagen: Wer etwas Besseres kennt, der nenne es!
Verstehst du aber unter dem, was mich eigentlich glückselig macht, die Wurzel, dieser Fassung: so können wir sie außer Gott nirgends finden, weil er die Urquelle aller Tugend und aller Glückseligkeit selbst ist, und müssen sie in Ihm suchen, weil unser Geist nach seinem Bilde geschaffen ist, und nur in seinem Ebenbilde Ruhe finden kann. Und so wäre das höchste Gut in sich auch das höchste Gut für uns, und ich müßte mit den Weisen bekennen: Gott! Du hast mein Wesen mit einem Zuge zu dir erschaffen: und es ist unruhig, bis es in dir Ruhe findet.
Somit ist die Glückseligkeit 1. eine Glückseligkeit des Geistes, der im Menschen den Menschen ausmacht, angemessen der Freudefähigkeit des Menschen und der Erfreuungskraft der Dinge, 2. in diesem Leben schon erreichbar, wenn auch noch nicht frei von allen Beimischungen, da der vollkommene Genuß und Besitz des höchsten Gutes einem besseren Lande aufbehalten ist. 3. dem Gutsein des Menschen nicht nur nicht entgegen, sondern erst durch das Gutsein möglich und wirklich, kann ohne Gutsein nicht bestehen, und nimmt mit dem Zunehmen des Gutseins auch zu. 4. Keine Glückseligkeit ohne oder außer Gott, da sie die Glückseligkeit des religionsfähigen Menschen ist, der ohne oder außer der Religion nicht glückselig werden kann.
Diese Glückseligkeit ist kein Widerstreit mit dem Christentum, vielmehr führt das ernste Ringen nach dieser Glückseligkeit ein in das Heiligtum des Christentums, – wo uns ein besserer Lehrmeister übernimmt, dem sich die nüchterne Vernunft und der gute Wille ohne Widerstand unterwerfen.