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1 | Komm, laß vom Herzen uns erheben eine Hand, Die morgen heben sich nicht kann aus Staub und Sand. |
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2 | In winterlicher Zeit, o siehst du nicht den Baum, Der durch die Kälte steht der Blätter leer im Raum? |
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3 | Des Mangels leere Händ' erhebet er mit Flehn; Wird vom Erbarmen er mit leerer Hand ausgehn? 278 |
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4 | Ein namhaft Ehrenkleid wird das Geschick ihm senden, Der ew'ge Ratschluß wird im Schoß ihm Früchte spenden. |
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5 | O glaube nicht, daß dort zum nieverschloßnen Thor Je einer hoffnungslos die Hände heb' empor. |
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6 | Sie alle bringen Dienst und Bitte bettlerhaft; So komm, daß zu dem Thron der Bettlerpflegeschaft |
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7 | Wir wie die nackten Zweig' auch unsre Hand erheben; Denn länger können wir der Frucht uns nicht begeben. |
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8 | O Lenker des Geschicks, thu einen Blick der Huld; Denn kommen kann von uns im Leben nichts denn Schuld. |
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9 | Ja, Sünde kommt allein vom staubgebückten Knechte In Hoffnung auf des Herrn vergebungsreiche Mächte. |
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10 | Wir sind die Pfleglinge, Großmüt'ger, deiner Labe, Die Kinder, die gewöhnt sind an des Vaters Gabe. |
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11 | Da wo der Bettler sieht Großmut und Mild' und Spenden, Wird er sich ab vom Schweif des Spendenden nie wenden. |
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12 | Da du in Ehren hier uns hieltest in der Welt, Ist unsre Hoffnung, daß man dort auch so uns hält. |
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13 | Ehr' und Erniedrigung verleihest nur du Einer, Erniedern den von dir Geehreten wird keiner. |
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14 | Bei deiner Ehr', o Gott, erniedrige mich nicht! Beschäme nicht mit Schmach der Schuld mein Angesicht. |
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15 | Vor deinem Angesicht muß ich genug mich schämen; O laß nicht Schande mich vor einem andern nehmen! |
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16 | Gib über mich Gewalt nicht einem meines gleichen; Besser von deiner Hand wird mich die Straf' erreichen. |
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17 | So schlimm auf dieser Welt ist nichts wie dieses Schlimme: Dulden zu müssen Schmach von eines Gleichen Grimme. |
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18 | Doch wenn mir auf das Haupt von dir ein Schatte fällt, So ist mein niedrigstes Gemach das Sternenzelt. |
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19 | Und wenn ein Königsschmuck das Haupt mir soll umlauben, Bewahr ihn mir, daß ihn mir niemand dürfe rauben. 279 |
1 | Nie denk' ich, ohne daß erzittert mein Gebein, An jenes Brünstigen Gebet beim heil'gen Schrein. |
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2 | So sprach der Brünstige, den Busen heiß von Wehn: »Vergib mir, o mein Gott, verschmähe nicht mein Flehn!« |
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3 | So tiefbekümmert sprach er zum Erbarmungsreichen: »Verlaß mich nicht! es wird die Hand mir niemand reichen. |
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4 | Ruf' mich in Huld herbei, treib' mich nicht von der Stelle; Es hat ja keinen Ort mein Haupt als deine Schwelle. |
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5 | Du weißt, daß ohne Hülf' und ohne Rat ich bin Bedrängt von Sinnlichkeit, der bösen Heischerin. |
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6 | Nicht also bäumen sich die trotzigen Gewalten, Daß die Vernunft vermöcht' am Zügel sie zu halten. |
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7 | Wer könnte mit Gewalt begegnen ihrem Sturm? Aufnehmen kann den Kampf mit Tigern nicht der Wurm. |
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8 | O bei den Männern, die auf deinen Wegen gehn, Gib einen Weg und laß den Feinden mich entgehn! |
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9 | Herr, bei der Herrlichkeit, dem Wesen, das dir eigen, Den Eigenschaften des ohn' Ähnlichs, ohne gleichen! |
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10 | Beim Ruf der Pilgerschar im heiligen Gebiete! Bei dem Begrabenen in Jathreb (ihm sei Friede)![Jathreb = el Medina; der Begrabene in Jathreb = Mohammed.] |
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11 | Beim Schlachtruf »Gott ist groß« der Helden in den Schlachten, Die selbst nur als ein Weib den Mann in Waffen achten! |
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12 | Bei aller Frömmigkeit der alten treubemühten, Bei aller Innigkeit der jungen ueuerblühten! |
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13 | Spring mir in diesem Drang der einen Stunde bei Gegen die Schmach, daß ich vom Einen sage Zwei!der einen Stunde = des kurzen nichtigen Lebens (d. h. gegen Abgötterei, vermutlich Christenglauben). 280 |
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14 | Mein Hoffen steht auf die, die gute Werke thaten, Um zu vertreten die, die solcher Werk' entraten. |
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15 | O bei den Reinen, halt' mich vor Besudlung rein; Und wenn ich Schlechtes that, laß es entschuldigt sein. |
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16 | Bei allen Greisen, die mit andachtkrummem Rücken Aus Scham vor Sündigem auf den Fußrücken blicken! |
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17 | Verschließ' mein Auge nicht vor meiner Seele Wohl, Und meinen Mund nicht, wo er dich bezeugen soll! |
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18 | Halt eine Leuchte hin mir auf den rechten Pfad, Und halte mir gekürzt die Hand von böser That! |
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19 | O wende mir vom nicht zu Seh'nden ab den Blick, Und vom Unziemenden zieh' mir die Hand zurück! |
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20 | Ich bin das Stäubchen Nichts im Hauche deines Seins; Dasein und Nichtsein ist in meiner Kleinheit eins. |
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21 | Vom Sonnschein deiner Huld gnügt mir ein einz'ger Glanz, Damit auf ewig man mich seh' in Freudentanz. |
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22 | Sieh einen Schlechten an, der nicht verdient das Glück! Dem Bettler ist vom Schah genug ein gnäd'ger Blick. |
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23 | Willst du mich fassen nach Verdienst und Recht, so klagt Mein Herz, daß deine Huld nicht das ihm zugesagt. |
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24 | O treib' mich nicht, mein Gott, von deiner Thür mit Schmach! Denn denkbar ist für mich kein ander Ruhgemach. |
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25 | Und wenn aus Unverstand ich fern blieb ein paar Tage, Komm' ich zurück, o nicht die Thür vor mir zuschlage! |
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26 | Was zur Entschuldigung der Unzucht führ' ich an? Nur meine Schwachheit bring' ich vor: O reicher Mann, |
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27 | Ich bin ein armer, faß mich nicht bei meiner Schuld! Ein reicher Mann hat mit dem Bettelmann Geduld. |
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28 | Um meine Schwäche was soll klagen ich unnützer? Ich selber zwar bin schwach, doch stark ist mein Beschützer. |
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29 | Aus Unbedachtsamkeit brach ich, o Gott, den Bund; Wo ist Anstrengung, die dem Schicksal widerstund? 281 |
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30 | Bei allem meinem Rat was kommt heraus? Genung Ist dieser Spruch zu meines Fehls Entschuldigung: |
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31 | Du hast all was ich that geworfen übern Hauf; Welch Selbsein nähm' es wol mit dem Selbsei'nden auf? |
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32 | Ich habe nicht mein Haupt entzogen deiner Macht, Von deiner Macht ist's so mir übers Haupt gebracht. |
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33 | Mein Gott, wir nahen dir mit mangelhaftem Zoll; Wir nahn mit leerer Hand und Herzen hoffnungsvoll.« |
1 | Als einen Schwärzlichen einst jemand häßlich hieß, Erwidert' er darauf, was jenen staunen ließ: |
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2 | »Ich selber habe nicht mein Bild hervorgebracht, Daß du mich tadeltest, ich hab' es schlecht gemacht. |
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3 | Was geht die Häßlichkeit meines Gesichts dich an, Da ich kein häßliches noch schönes machen kann?« – |
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4 | Dem, was von Anbeginn du schriebest an mein Haupt, Dem wird nichts zugesetzt, o Herr, und nichts geraubt. |
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5 | Und du weißt wol, daß mir jedwede Kraft gebrach; Allmächtig unbeschränkt bist du; wer bin ich, ach! |
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6 | Wenn du den Weg mir zeigst, gelang' ich hin zum Glück; Und wenn du mich verlierst, bleib' ich vom Ziel zurück. |
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7 | Wenn seinen Beistand nicht verleiht der Welternährer, Wie könnte frommes Werk vollbringen ein Verehrer! |
1 | Wie treffend ist, was einst der schwache Derwisch sprach, Der Buße that bei Nacht, und sie am Morgen brach: 282 |
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2 | »Wenn er die Buße schenkt, dann ist sie dauerhaft; Denn unsre Festigkeit ist ohne Halt und Kraft.« – |
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3 | Bei deiner Wahrheit! schleuß mein Aug' dem Lügenschein! Bei deinem Lichte! gib mich nicht der Feuerpein! |
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4 | Zur Erde vom Verdruß ist mein Gesicht gelegt, Und meiner Sünde Staub zum Himmel aufgeregt. |
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5 | O der Barmherzigkeit Gewölk, gib einmal Regen! Denn vor dem Regen hält kein Staub sich auf den Wegen. |
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6 | Verschuldung gibt mir Raum im Erdenreiche nicht, Und auf das Himmelreich was gibt mir Zuversicht? |
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7 | Du hörst die Seelen, wo die Zungen sind gebunden; Den Balsam gibst nur du für alle Herzenswunden. |
1 | Ein Mage hatte vor der Welt die Thür geschlossen,Mage = Götzendiener, nach V. 11 Christ. Vor einem Götzenbild in Andacht sich ergossen. |
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2 | Nach Jahren ward dem Mann, im Glauben so verkehrt, Durch göttliches Geschick ein harter Stand beschert. |
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3 | Der Arme wälzte sich in Hoffnung, daß ihm müsse Erhörung werden, hin vor seines Bildes Füße: |
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4 | »Ich bin erlegen, reich' mir eine Hand, mein Götze! Ans Leben geht es mir; erbarm' dich und mich letze!« |
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5 | In Dienstbeflissenheit so winselt' er gar oft, Und nie zu Stande kam sein Ding, wie er gehofft. |
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6 | Wie sollt' ein Götzenbild auch eines Manns Anliegen Vollbringen, das von sich nicht wehren kann die Fliegen! |
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7 | In Zorn geriet der Mann: »Du, der Verirrung Strick, Viel Jahre beugte dir umsonst sich mein Genick. 283 |
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8 | Nun dies Anliegen, das ich habe, mir vollbringe! Wo nicht, so bitt' ich es vom Schöpfer aller Dinge.« |
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9 | Noch lag der Mage dort, das Haupt in Staub und Kot, Da ward sein Wunsch vollbracht vom Herrn der Reinheit, Gott. |
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10 | Doch ein Rechtgläubiger ward darum sehr betrübt, Ihm ward die Lauterkeit des Lebens schwer getrübt: |
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11 | »Solch ein hirmschwindliger gemeiner Götzenknecht, Dem von dem Tempelwein das Haupt noch ist bezecht, |
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12 | Der von Unglauben noch das Herz, die Hand von Trug Nicht reinwusch, Gott vollbringt ihm seinen Wunsch im Flug.« |
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13 | Als sein Nachsinnen in dies Rätsel sich verlor, Kam ein Geheimnisgruß zu seinem Seelenohr: |
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14 | »Vor seinem Götzen hat der Alte blöd von Sinnen Viel vorgebracht, und konnt' Erhörung nicht gewinnen. |
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15 | Wenn er von unsrer Thür auch abziehn soll mit Spott, Wo wär' ein Unterschied vom Götzen und von Gott?« – |
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16 | Freund, am lebend'gen Gott laß sich dein Herz ergötzen; Denn was da lebet, ist ohnmächtiger als Götzen.[was da lebet, d. h. die Geschöpfe; sie sind noch ohnmächtiger, als Götzen.] |
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17 | Unmöglich legest du dein Haupt auf Seine Schwelle, Und gehst mit Händen unbefriedigt von der Stelle. |
1 | Ich hört' erzählen, daß ein Trunkner einst von Wein Erhitzt gedrungen sei in den geweihten Schrein. |
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2 | Zu winseln hub er an dort an der Gnadenschwelle: »Im höchsten Paradies, Herr, gib mir eine Stelle.« |
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3 | Am Kragen packte da ihn der Mu'eddhin: »Fort,[Mu'eddhin, Gebetrufer.] Mensch ohne Gottesfurcht! ein Hund und dieser Ort! 284 |
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4 | Was thatst du, um dafür den Himmel zu verlangen? Zum häßlichen Gesicht steht dir nicht an dies Prangen.« |
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5 | Er sprach's, da weinete der Trunkne bitterlich: »Ich bin betrunken; Mann, leg nicht die Hand an mich! |
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6 | Es nimmt dich Wunder, daß zur milden Gnadengabe Des Allernährenden ein Sünder Hoffnung habe! |
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7 | Ich sage nicht zu dir: nimm meine Fürbitt' an; Gott ist mein Hort, die Thür der Reu' ist aufgethan. |
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8 | Ich muß vorm Gütigen mich schämen, seiner Huld[vorm; Rückert: vom.] Genüber irgend groß zu nennen eine Schuld. |
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9 | Wer von dem Alter sich geworfen sieht danieder, Reicht man ihm nicht die Hand, so steht er auf nicht wieder. |
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10 | Ich bin ein solcher so gefallner schwacher Greis; Gott, reiche mir die Hand, um deines Namens Preis! |
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11 | Ich sage nicht, du sollst mir Größ' und Ehre schenken; Du sollst mir meinen Fall und Sündenschwere schenken! |
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12 | Wenn ein Genosse sieht an mir nur kleinen Fehl, Macht er in Unverstand gleich ruchbar meinen Hehl. |
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13 | Du schaust, indes wir scheu uns vor einander wahren, Und deckst Gebrechen, die wir schonlos offenbaren. |
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14 | Die Menschen heben laut von außen ein Geschrei, Du im Verborgnen willst, daß es verborgen sei. |
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15 | Lehnt sich ein Diener auf in unverständ'gem Sinn, So zieht ein güt'ger Herr den Griffel drüber hin. |
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16 | Erlässest du Vergehn nach Maße deiner Huld, So bleibet auf der Welt nicht übrig Eine Schuld; |
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17 | Doch wenn du strafen willst nach deines Zorns Gewicht, So sende mich zur Höll', und nimm die Wage nicht! |
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18 | Wenn du die Hand mir reichst, werd' ich ein Ziel erreichen! Und stößest du mich weg, wer soll die Hand mir reichen? 285 |
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19 | Wer kann Gewalt mir thun, wenn du mir Beistand leihst? Und wer nimmt mich in Haft, wenn du mich, Herr, befreist? |
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20 | Zwei Haufen werden sein am Auferstehungstag; Ich weiß nicht, welches Wegs man dort mich weisen mag. |
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21 | Da nichts durch meine Hand als Unrecht ist ergangen: O Wunder, wenn ich soll zur rechten Hand gelangen! |
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22 | Mein Herz läßt mich von Zeit zu Zeit den Trost vernehmen, Vor meinem weißen Haar werde der Herr sich schämen; |
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23 | Allein, wie sollt' er denn vor mir sich schämen, da Ich vor mir selber nicht geschämt mich habe ja? |
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24 | Hat Joseph, der so lang ertragen Haft und Not, Bis hoch ward seine Würd' und geltend sein Gebot, |
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25 | Den Söhnen Jakobs nicht großmütig einst verziehn? Denn lieblicher Gestalt ist edler Sinn verliehn. |
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26 | Nicht legen wollt' er sie in Haft um ihr Vergehn, Noch den geringen Preis in ihrer Hand verschmähn. |
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27 | Auch ich, Erhabenster, muß dieser Hoffnung leben; Mir, dem der Kaufpreis fehlt, wirst du geschenkt es geben. |
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28 | So schwarz wie mich sah man noch keinen angeschrieben; Denn nichts ist angenehm von dem, was ich getrieben, |
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29 | Als dieses nur, daß ich auf deinen Beistand traue, Und meine Hoffnungen auf dein Vergeben baue. |
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30 | Als einen Kaufpreis bring' ich meine Hoffnung blos: Laß, Gott, nicht von der Huld mich ausgehn hoffnungslos!« |