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Adolf Tigersohn war der offizielle Possenreisser der jüdischen Gemeinde zu Lindenberg. Er war berühmt in Israel, so weit man eben in einer kleinen Stadt, in einem verlorenen Winkel, zwischen Haide und Moor berühmt sein kann.
Tigersohn war zur lustigen Person der göttlichen Komödie geboren. Alles an ihm war komisch, seine hagere Gestalt mit den langen, krummen Beinen, sein galliges, bewegliches Gesicht mit der großen Hackennase, seine großen blauen Rabenaugen, sein Gang, seine Bewegungen, seine Redeweise und doch war er im Grunde ernster als Alle, die ein grämliches Gesicht machten. Vielleicht war er nur ein verkappter Philosoph, dem die Welt aus der Höhe, aus der er sie betrachtete, klein und lächerlich erschien, aber sicher hatte er etwas von einem Narren Shakespeares und von dem Knappen des Ritters von la Mancha an sich.
Seine Talente waren unerschöpflich. Er war zugleich Taschenspieler, Sänger, Schauspieler, Akrobat, Musiker, Zeichner und Poet. Wenn er die Anwesenden nachzuahmen, wenn er Karrikaturen zu zeichnen, Gedichte, Lieder zu improvisiren begann, so nahm die Heiterkeit kein Ende. Alle Welt liebte ihn, die Jugend vergötterte ihn. Wer Tigersohn in seinem Glanze sehen wollte, mußte einer Hochzeit in Lindenberg beiwohnen, da gab er sein Bestes nach dem Spruche des Talmud: »Wer Braut und Bräutigam erfreut, der hat soviel gethan, als habe er eine der Ruinen Jerusalems auferbaut.«
Auch eine Heirath war in der lustigsten Weise vor sich gegangen.
In Lindenberg lebte ein hübsches und kluges, jüdisches Mädchen Fischele Löwenhaupt, ein Muster von einem Mädchen, aber sehr mager. Diese gute Seele hatte den unglücklichen Einfall, eines Tages zu behaupten, daß ein so lächerlicher Mensch, wie Adolf Tigersohn, niemals eine Frau bekommen könne.
»Wer hat das gesagt?« fragte der Possenreißer, als ihm dieses Urtheil hinterbracht wurde.
»Fischele Löwenhaupt.«
»So – gerade sie wird mich nehmen.«
Nicht lange darnach war Purim, der jüdische Karneval. Fischele war zu ihrem Oheim, dem reichen Kaufmann Marderkopf, geladen, und als die jungen Leute heiter zu werden begannen, erschien auch der Possenreißer, denn was wäre Purim ohne Adolf Tigersohn gewesen.
Der heitere Weise war diesmal als Türke gekleidet, hatte eine riesige Maskennase, eine große Brille und eine fuchsrothe Perrücke.
Ein von Frau Marderkopf wunderbar nach Art des Leviathan zubereiteter Hecht gab dem Possenreißer Anlaß, mit den Leberreimen zu beginnen, in denen er besonders groß war. Nachdem er alle Anwesenden mehr oder minder durchgehechelt hatte, wendete er sich an Fischele und sprach unter köstlichen Grimassen:
»Die Leber ist von einem Hecht und nicht von einem Bär, wenn manches Mädchen schweigen könnt', es vielmals besser wär. Die Leber ist von einem Hecht und nicht von einem Rochen, man findet schwerlich einen Mann mit nichts als Haut und Knochen.«
Während die Anderen in ein schallendes Gelächter ausbrachen, floh die arme Fischele hinaus auf den Flur und als Tigersohn sich nun gleichfalls aus dem Staube machte, sah er sie draußen in einem dunklen Winkel stehen und weinen.
*
Der Possenreißer ließ erst ein paar Wochen in das Land gehen, dann kam er eines Tages in das Haus des Tapezierers Löwenhaupt, und da er ein helles Kleid hinter den Stachelbeerhecken erblickte, schlich er vorsichtig in den Garten und sah richtig Fischele in der Laube mit einem Buch und einem Strickstrumpf.
Sie sah ihn gar böse an, wie eine Katze, die sich zum Sprunge bereit macht, aber er kehrte sich nicht daran.
»Na, das ist schon ein guter Anfang,« sprach er, »Sie lachen wenigstens nicht mehr über mich.«
»Gehen Sie, Sie sind ein schlechter Mensch,« rief Fischele, »wenn ich keinen Mann bekomme, so sind Sie daran schuld. Sie allein.«
»Einen Mann bekommen Sie schon,« erwiderte der Possenreißer, »aber hier in der Gegend nimmt Sie keiner – außer mir. Das ist richtig.«
»Sie geben es zu.«
»Gewiß, aber ich nehme Sie.«
Fischele sah ihn starr an, dann begann sie laut zu lachen.
»Sie wollen mich zur Frau nehmen? Das ist doch gar zu komisch.«
Tigersohn setzte sich gelassen auf die Bank zu Fischele und suchte ihre Hand zu erhaschen, aber sie versteckte sie und rückte von ihm fort.
»Hören Sie,« flüsterte er, »jetzt haben wir uns nichts mehr vorzuwerfen. Ich bin lächerlich, Sie sind lächerlich, das stimmt. Tigersohn und Löwenhaupt stimmt auch. Man kann einen Pfau und eine Gans nicht zusammen einspannen, aber zwei reißende Thiere, wie wir, geben ein herrliches Gespann.«
Fischele wendete sich ab und lachte in ihr Taschentuch hinein.
»Sind Sie noch böse?«
Sie antwortete nicht, aber er erhaschte ihre Hand und küßte sie.
»Ich werde aber immer über Sie lachen müssen, Adolf, wenn ich Ihre Frau bin.«
»Es ist doch besser, als wenn Sie über mich weinen müßten.«
»Und ... «
»Was, meine einzige Fischele?«
»Sie lieben doch die mageren Frauen nicht?«
»Ich kenne einen kleinen Doktor, der wird Sie von Ihrer Magerkeit kurieren.«
»Also, Sie wollen mich durchaus?«
»Durchaus?«
»Gut. Ich nehme Sie.«
Der Possenreißer klatschte jubelnd in die Hände, dann packte er das hübsche Mädchen beim Kopf und küßte sie.
Im Herbste feierten sie ihre Hochzeit. Alle Welt wünschte ihnen Glück und Segen, aber heimlich sagte ein Jeder:
Was soll das werden? Ein Narr und eine Närrin! denn wäre sie keine Närrin, hätte sie ihn nicht genommen.
*
Und was wurde es? Die beste Ehe, welche Lindenberg seit Menschengedenken gesehen hatte.
Vor allem geschah ein Wunder, Fischele war mit einem Male nicht mehr mager. Sie fragte wiederholt nach dem kleinen Doktor, der lange auf sich warten ließ, aber plötzlich war er da, es war der kleine Possenreißer, der schreiend in der Wiege lag und komische Gesichter schnitt, wie sein Vater, und zugleich war Fischele zu einem üppig schönen Weibe erblüht, um das mehr als einer den lächerlichen Tiegersohn beneidete.
Sie lebten wie zwei Täubchen. Wenn es überall Zank gab, im Hause des Possenreißers gab es keinen, ja nicht einmal eine Gardinenpredigt, die doch in einem deutschen Hausstand unerläßlich scheint.
»Wie macht es doch dieser Narr,« sagte eines Tages der reiche Moritz Weintraub, »daß ihm seine Frau niemals den Kopf wäscht. Er sitzt doch oft länger im Gasthaus als wir, und niemals hat er Verdruß mit ihr.«
Das war so einfach. Als die Honigwochen zu Ende waren, kam der Possenreißer einmal spät in der Nacht aus dem Wirthshaus zurück. Die junge Frau war schon zu Bett. Tigersohn kam in aller Hast herein und rief: »Schnell, Fischele, steh' auf aber recht schnell.«
»Brennt es denn?« fragte sie erschrocken, während ihr Mann ihr die Hausschuhe anzog.
»Nein, nein, zieh' Dich nur an.«
Sie schlüpfte in den blauen Morgenrock, welchen der Possenreisser bereit hielt.
»So,« sagte er, »noch die kleine Haube, die Dir so gut steht.«
Sie lächelte und setzte auch die Haube mit den rothen Bändern auf.
»Nein, bist Du hübsch!« rief der Possenreißer, wer hat solch' eine Frau in Lindenberg? Niemand als Adolf Tigersohn. So, jetzt kann es losgehen.«
Er kniete vor ihr nieder, faltete die Hände und bat: »Gieb mir eine Maulschelle, Fischele.«
»Warum?«
»Weil ich eine Dummheit begangen habe.«
»Was für eine Dummheit?«
»Bin ich doch geblieben so lang in der Kneipe und hab' so ein Frauchen zu Hause. Ist das nicht eine große Dummheit?«
Fischele begann zu lachen; sie war nicht mehr böse.
»Also – ich bitte Dich ....«
Sie gab ihm noch immer lachend, eine Ohrfeige.
»Noch eine, Fischele.«
Sie gab ihm noch eine.
»Aber weißt Du, daß das eigentlich gar keine Strafe ist?« rief Tigersohn, »das thut so gut, Dein kleines Patschhändchen. Ich habe Dich nur deshalb so hübsch angezogen, weil ich mir die Strafe versüßen wollte, aber ich sehe, daß es überflüssig war, eine Frau, wie Du, kann thun, was sie will, sie wird dem Manne immer ein Vergnügen bereiten.«
Er begann ihre kleine Hände zu küssen und sie – vergaß die Vorwürfe, die sie ihm machen wollte.
Und so geschah es jedesmal. Wenn der Possenreißer irgend etwas auf dem Gewissen hatte, sagte er zu Fischele: »Ich bitte Dich, gieb mir eine Maulschelle.« Und sie gab ihm lachend einen Streich auf die Backe und ärgerte sich keinen Augenblick, wenn er auch wirklich einen Fehler gemacht hatte.
*
Ja, es war eine gute Ehe und eine lustige Wirthschaft. Der Possenreißer spielte seine Schwänke vor keinem Publikum mit soviel komischem Eifer als vor seiner Frau. Sie bekam alle seine Einfälle und Schnurren aus erster Hand.
Eines Abends hatte sie nichts als Bohnen gekocht, die er nicht so sonderlich liebte. Dagegen trank er gern ein Gläschen Branntwein. Tigersohn setzte sich also an die dampfende Schüssel und bat Fischele, die Branntweinflasche auf den Tisch zu stellen. Dann begann er: »Adolfchen, wenn Du die Bohnen aufißt, bekommst Du ein großes Glas Branntwein.«
Nachdem er einige Zeit tapfer zugegriffen hatte, sagte er wieder: »Adolfchen, wenn Du die Bohnen aufißt, bekommst Du ein kleines Glas Branntwein.«
Nun ging es wieder vorwärts. Endlich, als der Teller vor ihm fast geleert war: »Adolf, wenn Du die Bohnen aufißt, bekommst Du einen Tropfen Branntwein.«
Eine letzte Anstrengung, und der Possenreißer hatte die Bohnen gezwungen.
»So,« sprach er, sich den Bauch streichelnd, jetzt bekommst Du erst recht keinen Branntwein, Spatzenkopf, warum warst Du so dumm und hast die Bohnen gegessen.«
Einmal, am Freitag, hatte Fischele eine Kugel gemacht und zum Bäcker getragen. Die Kugel war klein und bescheiden, und als sie zurückkam, war sie groß und duftete gar köstlich.
»Unsere Kugel ist vertauscht worden,« sagte Tigersohn, als sie sich zu Tisch setzten.
»Was macht mir das?« erwiderte Fischele, »ich habe die Köchin des reichen Moritz Weintraub im Hausthor getroffen, es wird ihn nicht umbringen, wenn er einmal unsere kleine Kugel ißt.«
»Du hast recht,« sagte der Possenreißer, aber mit einem Seufzer. Da klopfte es, und ein Schnorrer trat herein und bat um Speise und Trank. Vergnügt lud ihn Tigersohn ein, sich mit ihm an den Tisch zu setzen und ging in seiner Gastfreundschaft sogar so weit, dem Bettler zuerst die Kugel anzubieten. Als das Mahl zu Ende war und der Schnorrer sich entfernt hatte, sprach Fischele: »Und Du verlangst keine Maulschelle?«
»Wofür?«
»Weil Du dem Schnorrer zuerst die Kugel angeboten.«
»Oh!« rief der Possenreißer, »das habe ich wohl überlegt. Wie der reiche Weintraub unsere kleine Kugel aufgetischt bekommen hat, da hat er gewiß ausgerufen: Ersticken soll der, der zuerst von meiner Kugel ißt. Darum habe ich sie zuerst dem Schnorrer angeboten und nicht Dir.«
Fischele lachte und war zufrieden.
Da ihr Mann jedesmal viel Zeit gebrauchte, um sich an- und auszuziehen, stellte ihm Fischele vor, er möchte doch seine Kleider jedesmal ordentlich der Reihe nach hinlegen.
»Du hast recht,« sagte der Possenreißer, und als er Abends nach Hause kam, nahm er Tinte, Feder und Papier und schrieb, so wie er die Gegenstände der Reihe nach ablegte:
Als Fischele am Morgen ihren Mann weckte, rief er: »Nun sollst Du sehen, wie alles am Schnürchen geht.« Hierauf begann er sich anzuziehen und zwar fing er mit Nummer 1 an. Er setzte den Hut auf, zog den Oberrock an, darüber den Rock, die Weste, das Hemd und endlich schrie er: »Aber wo ist Adolf Tigersohn? – hier steht: er liegt im Bett, Du siehst, daß das Bett leer ist. Wo ist Adolf Tigersohn?« Und er suchte sich selbst in der ganzen Stube, während Fischele lachte, daß ihr die Thränen herabliefen.
*
Eines Tages kündigte der Possenreißer an: Morgen ist bei mir ein Pferd zu sehen, das so viel Augen hat, als man Tage im Jahre zählt.
Ganz Lindenberg strömte am folgenden Tage zusammen, um das Wunderthier zu sehen, und jeder bezahlte gern zehn Pfennig Eintritt.
Endlich fühlte der Possenreißer feierlich sein Pferd vor.
»Aber das Thier hat doch nur zwei Augen,« schrie Weintraub, »wie jedes andere Pferd«
»Ich habe gesagt, so viel Augen, als man Tage im Jahr zählt,« erwiderte der Possenreißer würdevoll, »und heute ist der zweite Januar.«
An einem kalten Herbstmorgen ging Tigersohn nach der Stadt. Fischele, um seine Gesundheit besorgt, zwang ihn, seinen schweren Pelz anzuziehen. Doch bald kam die Sonne heraus, es wurde heiß, und der Possenreißer schleppte seinen Pelz keuchend, wie eine Last. Da holte er bei einem Wirthshause den Krämer Nathan Formstecher ein, der gleichfalls nach der Stadt ging.
Nachdem sie eine kurze Strecke gegangen, begann Tigersohn: »Nathan, können Sie mir fünf Thaler borgen?«
»Ich borge nur auf Pfand,« sagte Nathan.
Der Possenreißer, der diese Antwort erwartet hatte, erwiderte: »Natürlich, hier ist mein Pelz, ich verpfände ihn so lange, bis ich die fünf Thaler abbezahlt habe.«
»Abgemacht,« sagte Nathan, zog die fünf Thaler aus der Tasche, gab sie Tigersohn und zog dessen Pelz an.
Nun keuchte Nathan unter der Last, und der Possenreißer schritt leicht und fröhlich neben ihm her, bis zu dem Stadtthor. Hier sagte er; »Hören Sie, Nathan, ich habe mir die Sache überlegt, es könnte kalt werden bis zum Abend. Ich brauche meinen Pelz, geben Sie mir ihn wieder, hier sind die fünf Thaler.«
Nathan nahm das Geld und der Possenreißer seinen Pelz. Er hatte erreicht, was er wollte, der einfältige Nathan hatte ihm den schweren Pelz bis zur Stadt getragen und ihm Mühe und Schweiß erspart.
Ein Landjunker, der seinen Witz auch gern mit jenem des Possenreißers zu messen liebte, stellte sich einmal durch einen Scherz Tigersohns beleidigt und forderte ihn zum Zweikampf.
Tigersohn nahm ruhig an.
»Wir werden uns also schießen,« rief der Landjunker.
»Ja, schießen,« sagte der Possenreißer, »bestimmen Sie nur Ort und Stunde.«
»Also im Grafenwäldchen, morgen um 6 Uhr früh.«
»Sehr gut,« sagte der Possenreißer, »wenn ich aber etwas später kommen sollte, genieren Sie sich gar nicht, fangen Sie nur an.«
Es kam aber auch eine Zeit schwerer Prüfung für den lustigen Philosophen von Lindenberg,
Der alte Rabbiner, der ihm stets begünstigte, starb und der neue war ein Mann der modernen aufgeklärten Schule. Seine erste That war, den Possenreißer, in dem er ein Stück altjüdischen Vorurtheils sah, zu verbannen. Tigersohn war verzweifelt, er sollte nicht mehr den Hochzeiten beiwohnen, nicht mehr beim Purimfeste seinen Geist leuchten lassen, das war nicht zu ertragen,
Fischele weinte und der Possenreißer schwor dem Mann der neuen Schule Rache.
Als wieder einmal eine Hochzeit gefeiert wurde, meldete der Diener während der Mahlzeit, Tigersohn stehe draußen und bitte vorgelassen zu werden, um eine wichtige, religiöse Frage vortragen zu dürfen.
Der Rabbiner wollte anfangs nicht, da aber die Gäste, welche einen drastischen Scherz des Possenreißers erwarteten, für ihn baten, so gab er endlich die Erlaubniß.
Tiegersohn kam hierauf feierlich herein, neigte sich tief vor der Tafelrunde und begann:
»Ich wollte den Herrn Rabbiner bitten mich durch seine Weisheit zu erleuchten und mir eine kitzliche Frage zu beantworten.«
Der Rabbiner gab ein Zeichen, fortzufahren.
»Es steht geschrieben,« sprach der Possenreißer, »der Heilige, gelobt sei Er! wird im Paradiese den Auserwählten ein Mahl zubereiten, das Alles übertreffen wird, was die Einbildung eines Sterblichen erringen könnte. Man wird Lendenbraten speisen von dem wilden Ochsen, dem der Herr vierzig Hügel voll saftigen Grases eingeräumt hat um sie wohl zu mästen. Man wird Ragout vom Leviathan haben in einer himmlischen Sauce, ein Gericht, das alles übertrifft, was uns Erde und Wasser an Leckerbissen liefern. Und vieles andere wird den Frommen vorgesetzt werden, nur – kein Geflügel.«
»Vom Geflügel ist bei dem Mahl der Frommen keine Rede.«
»Wie kommt dies? .Es ist eine ernste Frage, deren Beantwortung, ich von dem weisen Rabbiner erwarte.«
Der Rabbiner zuckte mit den Achseln und sprach: »Ich wette, Du hast die Antwort bereit, also laß' sie hören.«
»Werden Sie mir nicht böse sein, Herr Rabbiner,« sprach der Possenreißer scheinheilig, »wenn ich spreche, wie ich denke?«
»Nein, nein!«
»Ich denke,« fuhr der Possenreißer fort, »die Sache verhält sich sehr einfach. Bei allen anderen Thieren ist es leicht zu unterscheiden, ob das Fleisch koscher ist oder nicht, beim Geflügel gibt es jedoch große Schwierigkeiten, verwickelte Fälle, in denen nur ein Rabbiner richtig entscheiden kann. Da aber niemals ein Rabbiner in das Paradies kommt, müßte man das Geflügel in die Hölle schicken und dort würde es ohne Zweifel von den Verdammten aufgefressen werden. Deßhalb, denke ich, hat der Herr in seiner Weisheit das Geflügel vom Mahl der Frommen ausgeschlossen.«
Der Rabbiner begann laut zu lachen und alle mit ihm, dann sprach er zu Tigersohn:
»Ich sehe, Du bist kein gewöhnlicher Possenreißer, man kann sich den Scherz auch in ernsten Momenten gefallen lassen, wenn sich ein edler Kern, ein tiefer Gedanke in demselben verbirgt. Du sollst fortan frei Deines heiteren Amtes walten und Deine Mitbürger belehren und ermahnen, indem Du sie nur zu belustigen scheinst.«
Der Possenreißer verneigte sich tief und dankbar, und sofort rief es von allen Seiten: »Setzen Sie sich zu uns, Tigersohn, und geben Sie uns etwas zum Besten.«
Der Possenreißer leerte ein Glas Wein, das man ihm reichte, auf das Wohl des Rabbiners und begann dann:
Die Leber ist von einer Gans und nicht von einem Fisch.
Unser Herr Rabbiner schien zu Anfang viel zu kritisch.
Die Leber ist von einer Gans und nicht von einer Meise,
Erst in der Folge sieht man es, wie gütig er und weise.