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Als eine der schönsten Besitzungen im nördlichen Alabama galt Elliots Farm, Oaklea genannt, ebenso unter den Freunden des Idyllischen wie unter den praktischen Menschen, welche eine Plantage nur nach ihrer Größe und Ertragsfähigkeit beurteilen. Das Landhaus, aus weißem Sandstein, auf einer sanft emporsteigenden Anhöhe erbaut und mit einem breiten, von Säulen getragenen Portico geschmückt, war von Gartenanlagen umgeben, durch welche sich helle Kieswege schlängelten; den Fuß des Hügels aber umzog ein dicker Kranz von Eichen und bildete dort ein schattiges Wäldchen. Ein Stück hinter dem Hause, den Abhang hinab, lagen die Negerhütten, ein kleines Dorf bildend, das von einem klaren Gebirgsbach durchströmt ward. Von hier aus erstreckten sich die weitläufigen, wohleingezäunten Felder und Wiesen weit nach allen Seiten hin und gaben sowohl von der guten Bewirtschaftung wie von dem Reichtum des Besitzers ein sprechendes Zeugnis.
Diese Ecke von Alabama sowie ein Teil des angrenzenden nördlichen Staates Georgia war 1850 noch nicht fünfzehn Jahre in dem ausschließlichen Besitz weißer Ansiedler. Das Land hatte zur Reservation (Staatsland) der Cherokeeindianer gehört, welche hier indes fast sämtlich feste Wohnplätze gehabt, Ackerbau betrieben und das Land in einer Weise unter Kultur gebracht hatten, wie es nur der weiße, intelligente Ansiedler imstande gewesen wäre. Unter ihnen hatten auch schon längst Amerikaner gelebt; aber erst in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre wurde eine amtliche Vermessung des Landes vorgenommen und den Indianern ein neuer, westlich liegender Landstrich für ihre Wohnstätten angewiesen – sie wurden, mit dürren Worten gesagt, von dem Boden, den sie urbar gemacht, vertrieben, der Früchte ihres Fleißes beraubt und ohne Rücksicht auf den Grad der Zivilisation, welcher bei ihnen bereits Eingang gefunden, wieder in die Wildnis gejagt, um ihre wohlkultivierten Heimstätten dem weißen Manne zur Verfügung zu stellen.
Elliot, von Haus aus nur von geringem Vermögen, aber spekulativ, hatte die Gegend durchreist, den Platz, auf welchem sich seine jetzige Plantage befindet, zuerst mit Beschlag belegt und dann, als die vermessenen Ländereien zum öffentlichen Verkauf kamen, um einen geringen Preis erworben. Der Ackerboden war so vortrefflich ausgerodet, daß nirgends mehr ein alter Bäumstumpf zu finden war, und so war es ihm, mit Hilfe eines Kapitals, das ihm seine Frau zugebracht, und vorsichtigem Zusammenhalten des Erworbenen schon in den nächsten zehn Jahren gelungen, sich zu einer der respektabelsten Stellungen unter den Grundbesitzern der Umgegend in die Höhe zu arbeiten. Erst zwei Jahre zurück hatte er das steinerne Wohnhaus bauen und die Parkanlagen um dasselbe ausführen lassen.
Es war nachmittags. In einem Zimmer des oberen Stockwerks, in welches das Licht des Sommertages kaum einen lichten Schein durch die dicht geschlossenen Jalousien und dicken Vorhänge zu werfen vermochte, lag Ellen nachlässig hingeworfen auf einem der gebräuchlichen sofaähnlichen Ruhebetten. Am Fenster stand Sara neben einem Korbe voll weißer, geplätteter Unterkleider und Nachtgewänder, welche sie sorgsam zusammenfaltete und in die ihr zur Seite stehende Kommode legte.
»Cäsar war schon zweimal abends hier, Ma'am,« unterbrach die Schwarze das Schweigen, welches bis jetzt geherrscht hatte, ohne jedoch von ihrer Beschäftigung aufzusehen.
Die junge Frau erhob langsam den Kopf. »Etwas besonderes, Sara?«
»Gar nichts, als daß ich mich ärgere, Ma'am; er ist gerade so starrköpfig wie sein Herr – er will nichts weiter wissen, als daß der ruhig seinen Geschäften nachgeht.«
Ellen richtete sich halb aus ihrer liegenden Stellung auf. »Merke eins, Sara,« sagte sie; »Mr. Helmstedt ist noch immer dein Herr, wie er mein Mann ist, wenn wir auch jetzt in meines Vaters Hause wohnen; ich mag Ausdrücke, wie du sie eben gebraucht, nicht hören.«
Die Schwarze warf einen kurzen Blick in das Gesicht ihrer jungen Herrin. »Sie wollten doch selbst gern wissen, Ma'am, was im Hause in der Stadt vorging, seit Mr. Helmstedt zurück war!« entgegnete sie und bog den Kopf tiefer auf die Kleider, mit denen sie beschäftigt war.
»Well, Sara, was hat das mit deinen Ausdrücken zu tun?«
»Ich habe mich doch geärgert, daß der Cäsar wie ein Stock schweigt, und wenn ich mich deshalb einmal vergesse, schelten Sie mich für den guten Willen.«
Die junge Frau schien antworten zu wollen, legte sich aber wieder langsam zurück.
»Ich möchte wahrhaftig gern die Zeit ganz und gar vergessen, wo wir in der Stadt lebten und Mr. Helmstedt mich unter fremde Leute geben wollte, nur weil ich eine Stunde aus dem Hause gewesen war,« fuhr die Schwarze, eifriger ihre Wäsche faltend, fort; »ich will gern nicht wieder fragen, was dort vorgeht.«
Ein Pochen an die Tür unterbrach die Stille, welche den letzten Worten gefolgt war. Sara verließ ihre Arbeit und öffnete halb. »Mr. Elliot!« sagte sie, sich zurückwendend.
Ellen sprang auf und ging ihrem eintretenden Vater entgegen. »Laß uns allein, Sara, bis ich dich wieder rufe,« sagte sie, während der Pflanzer sich bequem auf einem Stuhl niederließ; und als die Schwarze das Zimmer verlassen, faßte sie beide Hände ihres Vaters und sah diesem erwartungsvoll ins Gesicht.
»Ich habe ihn gesprochen,« sagte Elliot nach einer kurzen Pause, in welcher beider Augen ineinanderhingen, »aber, meine Tochter, es ist wenig Aussicht vorhanden, glatt von ihm loszukommen. Er will einer Scheidung nichts in den Weg legen, aber er verlangt, daß du zuerst in sein Haus zurückkehrst und dich mit ihm auseinandersetzest.«
»Und was hast du ihm gesagt?« fragte sie, ihn mit ängstlicher Spannung ansehend.
»Daß daraus nichts werden könne,« erwiderte er mit Bestimmtheit. »Er mag sich seine eigenen Bedingungen für eine anderweite Abfindung stellen; ich habe ihm zwei Monate Zeit dafür gegeben – und wenn du, Kind, mit deinen Eltern wieder auf dem alten Fuße leben willst, so schlägst du dir die ganze Angelegenheit aus dem Sinne und läßt mich für dich handeln.«
»Aber ich kenne ihn, Pa!« sagte sie, die Hände des Pflanzers pressend. »Er geht nicht ab von dem, was er seine Ehre nennt; du hast schon in seinem Prozesse gesehen, daß er sich lieber in Lebensgefahr brachte, ehe er mich bloßgestellt hätte. Und ich wußte es, als du mich bei Mortons Ableben mit dir nahmst, welche Kämpfe noch folgen würden. Wäre es denn nicht besser, ich ginge zu ihm und sagte: ›August, wir verstehen uns nicht; die Aufregung hat uns zusammengeführt, laß uns jetzt in Frieden scheiden!‹ Er verdient es gewiß, Vater,« rief sie, als Elliot das Gesicht finster zusammenzog, seine Hände den ihrigen entwand und von seinem Stuhle aufstand.
Der Pflanzer ging nach der Tür, kehrte dann zurück und blieb vor seiner ängstlich harrenden Tochter stehen. »Wir müssen offen miteinander reden, Ellen, denn du hast dich jetzt zu entscheiden,« sagte er. »Ich bin schwach gegen dich gewesen, nur zu schwach, während deiner ganzen Jugend, dafür habe ich aber auch von dem Augenblick deiner Flucht an mehr innerlich leiden müssen, als du weißt und dir Gott jemals auferlegen mag. Ich bin jetzt vollkommen klar mit mir, und sollte ich auch noch mehr zu leiden haben, so will ich doch frei von Vorwürfen gegen mich selbst sein. Entweder hältst du jetzt zu deinen Eltern und gewährst ihnen die Genugtuung, welche sie sich selbst verschaffen werden, oder du kehrst zu diesem – zu deinem Manne zurück und scheidest dich dadurch ein für allemal vom Vaterhause. Einmal kann das Elternherz einen Schritt, der unter besonderen Verhältnissen getan wurde, vergeben, das zweitemal aber, wenn die Gelegenheit verworfen wurde, wieder gutzumachen, was geschehen, mag man wohl noch Mitleid fühlen – die einmal zurückgestoßene Verzeihung aber kommt niemals wieder. Entweder habe ich mich sowie Mr. Nelson in dir getäuscht, und nur eine Laune hat dich für kurze Zeit zu uns zurückgebracht, oder du hältst fest an deinem natürlichen Boden und läßt mich zu deinem Besten handeln.«
Er sah der jungen Frau, die erblaßt, aber mit einem Ausdrucke der reinsten Kindlichkeit die dunklen Augen zu ihm aufgeschlagen hatte, eine Minute schweigend ins Gesicht; dann nahm er ihre beiden Hände. »Ich will dich jetzt nicht drängen, Ellen,« sagte er; »überlege in Ruhe, aber ich denke, meine Tochter wird vernünftig sein.« Er küßte sie auf die Stirn und verließ langsam das Zimmer.
Ellen ging mit gesenkter Stirn nach ihrem früheren Platze und drückte den Kopf, das Gesicht in beide Arme geborgen, in das Polster.
»How do you do Squire?« rief es in der Halle, als Elliot die Treppe hinabschritt; »ich freue mich, Sie zu Hause anzutreffen, habe Sie schon in der ganzen Stadt gesucht, da ich Sie heute morgen dort sah.«
Das lachende Gesicht eines wohlgenährten Mannes, welcher, nach der Reitpeitsche und den Lederhandschuhen in seiner Hand zu urteilen, eben vom Pferd gestiegen war, sah dem Pflanzer entgegen, und dieser beeilte sich, ihn mit derbem Händeschütteln willkommen zu heißen. »Kommen Sie mit nach der Bibliothek, Sir,« sagte er und faßte den Angekommenen unter den Arm; »es ist dort am kühlsten, und wir können es uns nach Belieben bequem machen. Sie haben mich schon in der Stadt gesucht und machen noch einen Extraritt hierher?« fuhr er fort, während er die Tür zu seinem Arbeitszimmer, das er gern Bibliothek nannte, obgleich kaum drei kleine Reihen Bücher darin zu sehen waren, öffnete und seinem Gaste Hut und Reitpeitsche abnahm; »es muß doch etwas ganz Besonderes sein, was Sie zu der Anstrengung treibt! Setzen Sie sich, Sir, hier sind Zigarren, und ich denke, ich habe auch noch einen Tropfen bei der Hand, um die Hitze niederzuschlagen.« Er nahm aus einem Wandschranke eine Flasche mit Brandy und setzte sie nebst dem weißen Wasserkruge und zwei Gläsern auf den Tisch.
»Ausgezeichnete Fürsorge bei der Hitze!« lachte der Angekommene und streckte sich bequem in seinem Stuhle; »aber Sie haben recht, es ist eine Teufelsgeschichte, die mich zu Ihnen treibt.« Er füllte die Hälfte eines Glases mit Brandy und mischte ihn mit Wasser. »Exzellenter Stoff, Sie sind ein ganzer Mann, Squire,« fuhr er, mit der Zunge schnalzend, fort, »aber jetzt setzen Sie sich zu mir und raten Sie, was mich herbringt.«
»Wie soll ich das wissen, Mr. Griswald?« erwiderte Elliot, sich ihm gegenübersetzend. »Irgendeine Rechtssache jedenfalls, denn zum Spaße setzt sich ein Advokat der Hitze nicht aus.«
»Richtig, und was für eine Rechtssache! Teufel! Ich habe soeben davon Wind bekommen. Sie kennen den jungen Murphy aus Limestone-County, der erst vor ein paar Monaten hierherkam und überall herumschnüffelte – nun, ich sage Ihnen, Sir,« fuhr der Redende lachend fort und schlug sich auf den Schenkel, »er ist der geriebenste Spitzbube, und es kann noch einmal etwas aus ihm werden. Was denken Sie, was er will, he? Ihnen die ganze Farm abprozessieren, Sir! Nichts anderes, sag' ich Ihnen, und wenn Sie gesehen hätten, was mir vor die Augen gekommen ist, würden Sie auch sagen, das ist eine Teufelsgeschichte, Sir!«
Elliot sah den Sprechenden eine Weile ungewiß an. »Ich verstehe Sie nicht recht,« sagte er dann; »er will mir meine Farm abprozessieren? Auf welchen Grund hin – oder wie? Ich begreife kein Wort von dem, was Sie sagen!«
»Nicht wahr?« lachte der Advokat, »und doch ist es so! Ich sage Ihnen, ich habe Respekt bekommen vor dem jungen Sappermenter; er muß eine Nase haben wie ein Spürhund, sonst weiß ich nicht, wie er zu seiner Kenntnis der Dinge hat kommen können. Und die Geschichte trifft Sie nicht allein, Sir, wenn Sie auch wohl am schlimmsten dabei fahren werden –«
»Well, Sir, wollen Sie mir nicht kurz sagen, um was es sich handelt?« unterbrach ihn Elliot ernst.
»Ich bin eben dabei, Squire! Es ist ein älterer Besitztitel als der Ihrige da – Grenzen und Beschreibung des Landstücks äußerst richtig angegeben – ein Besitztitel, der sieben Achtel von Ihrer Farm und noch Stücke von Ihren nächsten Nachbarn in Anspruch nimmt –«
»Das ist unmöglich, Sir, oder es ist ein Betrug!« rief Elliot, aufgeregt in die Höhe springend. »Ich habe mein Land schon vor Beendigung der Vermessung gesetzlich mit Beschlag belegt und es dann von den Vereinigten Staaten gekauft; hier ist jeder Anspruch von irgendeiner Seite her abgeschnitten.«
»Well, Squire, ich weiß, was Sie sagen wollen,« erwiderte der Advokat, sich das Kinn streichend; »aber Sie können mir glauben, daß ich mich nicht so geschwind zu Ihnen auf die Beine gemacht hätte, wenn die Sache so einfach wäre. Der Besitztitel stammt aus der Indianerzeit; es mag sein, daß das Stück Land mit einer Gallone Whiskey erworben worden ist – jedenfalls ist aber in dem Titel den gesetzlichen Kaufbedingungen genug getan. Er ist während der kurzen Zeit, in welcher die erste Landoffice im Cherokeelande bestand, dort angemeldet worden, um späteren Claims (Ansprüchen) vorzubeugen. Nachher brannte aber die Holzbude mit allem, was sie enthielt, ab, und dann erst kamen Sie mit Ihrem Kaufe, ohne zu wissen, daß das Land schon seinen Besitzer hatte. Daran ist nichts zu ändern. Die einzige Frage ist, wieweit die Vereinigten Staaten den früheren Kauf anerkennen werden. Sie wissen, wie gerade dieser früheren Verhältnisse und der Liederlichkeit in der späteren Registrierung wegen unsere Besitztitelangelegenheiten im argen liegen, wissen, daß jeder ältere Besitztitel mit genauen Bezeichnungen schon in sich selbst die größere Glaubwürdigkeit vor ungenauen späteren, wie es so viele in dem früheren Cherokeelande gibt, trägt, und daß die Angelegenheit jedenfalls einen langwierigen Prozeß abgibt, in welchem die ersten Instanzen, wie es schon mehrmals dagewesen, zugunsten des Klägers entscheiden. Sollte nun auch das Obergericht der Vereinigten Staaten den Verkauf während der Indianerzeit nicht anerkennen, was übrigens immer noch in Zweifel zu ziehen ist, so können doch, besonders wenn man einen so geriebenen Gegner wie den Murphy vor sich hat, so viele Kosten für Sie erwachsen, daß diese Ihre sämtlichen Neger auffressen, denn es würde Ihnen nicht einmal gelingen, auf Ihre Ländereien, solange Ihr Eigentumsrecht daran in Frage gestellt ist, ein Kapital aufzunehmen. So, Squire, habe ich es für meine Pflicht gehalten, Ihnen den Rat zu geben, beizeiten und ehe die Sache zur gerichtlichen Prozedur kommt, ein Abkommen mit dem Inhaber des alten Besitztitels zu versuchen – selbst ein großes Opfer muß noch immer ein Gewinn für Sie sein. Aber ich nehme ein Zigarre, Squire; Sie haben immer ausgezeichneten Stoff in jeder Beziehung!«
Elliot stand da, die Arme übereinander geschlagen und mit zusammengezogenen Augenbrauen in das Gesicht des Sprechers starrend. »Und woher kommt dieser ältere Besitztitel mit einem Male?« fragte er, als der Advokat seine Zigarre anzündete.
»Wie kommt der Teufel in die Welt, Sir?« sagte Griswald, den Dampf vor sich herblasend. »Ich habe Ihnen gesagt, der Murphy ist der geriebenste Spitzbube,« fuhr er lachend fort, »und Gott mag wissen, wo der Elementer das Papier aufgetrieben hat; aber richtig und vollkommen gesetzlich ist es, soweit ich sehen kann; ich habe es mit eigenen Augen geprüft.«
»Aber in des Himmels Namen, es ist ja doch fast unmöglich!« rief Elliot und stand eine Weile, die Hand gegen die Stirn gepreßt. Dann schritt er einigemal die Stube auf und ab und blieb zuletzt wieder vor dem Advokaten stehen. »Sie werden einsehen, Mr. Griswald,« sagte er, »daß, soviel ich auch auf Ihren richtigen Blick in allen Rechtsfragen gebe, ich mich doch erst näher über diesen beabsichtigten Raub zu unterrichten habe – als etwas anderes kann ich es nicht betrachten – und zugleich die Meinung einiger Freunde hören muß.«
»Vollkommen verständig!« nickte der Advokat, einen Schluck aus seinem Glase nehmend. »Wir sind alte Bekannte, Squire, und deshalb habe ich Ihnen die Sache bündig und klar vor die Augen geführt, ohne mich selbst als Rechtsanwalt zu denken. Sie kennen den alten Spruch: ›Des Klienten Hoffnung ist des Advokaten Futter‹, und so wohlgetan es auch ist, die Meinung anderer zu hören, so möchte ich Ihnen dabei nur den Rat geben, sich vor denen zu hüten, welche aus dem Fall eine Bagatelle machen wollen – wir haben lange keinen so fetten Prozeß im County gehabt, als dieser es werden muß; daran denken Sie!«
»Sie meinen also auf Ehre und Gewissen, Griswald, daß eine wirkliche Gefahr aus dem Anspruch für mich erwachsen könnte?«
»Könnte? Sie kann nicht nur, sie wird nicht nur, sie ist schon da, Squire!«
» Very well!« sagte Elliot, den Kopf energisch aufrichtend, »so mag sie mich suchen; ich aber werde mein wohlerworbenes Eigentum mit allen Mitteln verteidigen, die mir zu Gebote stehen!«
Der Advokat zuckte die Achseln und erhob sich. »Ich habe Ihnen meine Meinung als Freund gesagt, Elliot, und kann nichts weiter tun,« erwiderte er. »Lassen Sie durch irgendeinen anderen Sachverständigen das Dokument untersuchen – Murphy hält seinen Anspruch nicht geheim – und jeder, der nicht ein Nebeninteresse hat, wird meine Meinung bestätigen.«
»Warten Sie einen Augenblick,« sagte der Pflanzer, als Griswald nach Hut und Reitpeitsche griff. »Wieviel verlangt dieser Mr. Murphy für seinen Anspruch?«
Der Advokat sah ihn groß an. »Was er verlangt? Ihre Farm verlangt er, Sir, nichts mehr und nichts weniger! Wenn eine Übereinkunft getroffen werden soll, so ist es an Ihnen, Sir, die nötigen Schritte deshalb zu tun. Murphy denkt gar nicht daran, und nur unserer alten Bekanntschaft wegen bin ich hierher gekommen, um Sie von dem heranziehenden Ungewitter zu benachrichtigen und Ihnen zu raten, sich jetzt, wo es vielleicht noch Zeit ist, nach einem Blitzableiter umzusehen.«
»Ich danke Ihnen, Griswald,« erwiderte Elliot finster; »der Schlag kommt in der Tat über mich wie ein Blitz aus heiterm Himmel; ich werde morgen beizeiten in der Stadt sein, und dann sprechen wir weiter darüber. – Aber noch eins!« rief er, als sich der Advokat zum Gehen wandte, und sah eine Weile sinnend vor sich nieder. »Steht der junge Nelson nicht in genauerer Beziehung zu diesem Mr. Murphy? Wenigstens entsinne ich mich, daß ich sie stets beieinander gesehen.«
»Wie nahe ihre gegenseitige Beziehung ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen,« entgegnete Griswald, »jedenfalls aber weiß ich, daß es ihr Plan war, miteinander gemeinsam eine Office zur Betreibung von Advokatengeschäften zu gründen.«
Elliot nickte und reichte dem Sprecher die Hand »Ich will Sie nicht länger aufhalten,« sagte er; »morgen früh sehe ich Sie, und dann denke ich, ruhiger urteilen zu können.«
Griswald ging, von dem Pflanzer bis an die Haustür begleitet; dann aber kehrte dieser nach seinem Arbeitszimmer zurück und ging dort in tiefem Sinnen auf und ab. Erst nach einer Weile hielt er seinen Schritt an, strich mit der Hand über das Gesicht, als wolle er jeden sorgenvollen Zug daraus verwischen, und ging dann langsam nach dem Parlor. Dort saß in Gesellschaft mit der Frau vom Hause ein junger, eleganter Mann, und das Gespräch schien, nach den aufgeregten Mienen beider, ein belebtes gewesen zu sein. »Es tut mir leid, Mr. Nelson, daß ich so lange abgehalten worden bin,« sagte der Pflanzer eintretend; »mein alter Freund Griswald sprach im Vorbeireiten ein und hatte so viele Geschichten zu erzählen, daß ich nicht eher abkommen konnte. Jetzt bin ich zu Ihrer Disposition, und wenn uns Mrs. Elliot entschuldigen will, so gehen wir nach der Bibliothek, machen es uns dort bequem und rauchen eine Zigarre, Ich denke, Liebe,« wandte er sich an seine Frau, »Ellen wird mit dir einiges zu beraten haben.«
Der junge Mann verbeugte sich gegen die Hausfrau und folgte dem Pflanzer.
»Tun Sie wie zu Hause, Sir!« sagte dieser, als sie in das Arbeitszimmer traten, und zog den Schaukelstuhl näher dem Tische zu. »Hier ist Eiswasser und ein Schluck, um den Magen vor Erkältung zu hüten; hier sind Zigarren, langen Sie zu!« Er nahm aus dem Wandschranke ein reines Glas, setzte sich dann auf seinen früheren Platz und zündete sich selbst eine Zigarre an.
» Well, Sir,« begann er, »Sie wollen meine Ellen heiraten, Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich im Grunde genommen nichts dawider haben kann; mit meiner Frau haben Sie ebenfalls gesprochen, und Ellen«, fuhr er lächelnd fort, »scheint mir auch nicht viele Einwendungen machen zu wollen. Die Scheidung von ihrem bisherigen Manne soll, hoffe ich, schon im nächsten Monate vor sich gehen, und so weit würde bald alles in bester Ordnung sein. Jetzt erlauben Sie mir aber eine Frage: Wie stehen Sie mit Ihrem Freunde Murphy? Ich höre, Sie wollen Ihre Advokatenpraxis hier mit ihm gemeinschaftlich beginnen?«
»Wenn es bei unserer früheren Verabredung bleibt, allerdings, Sir,« erwiderte Nelson, »Er ist, wie ich heute hörte, von seiner Neuyorker Reise zurückgekehrt, und ich denke, ihn morgen zu sprechen. Murphy ist ein gewandter Advokat, mit dem ich jedenfalls gut fahren werde.«
Elliot lehnte sich bequem zurück. »Gewandt scheint er wirklich zu sein,« sagte er; »Griswald erzählte mir soeben erst, daß er einen alten Besitztitel aufgespürt habe, wodurch er zweien oder dreien unserer Pflanzer im County das Land unter den Füßen wegnehmen wird.«
»O, wirklich so weit?« rief der junge Mann, überrascht aufstehend; »er hat mir nie recht klaren Wein über die Angelegenheit eingeschenkt, mit der seine Reise nach Neuyork in Verbindung stand; er prophezeite mir nur im glücklichen Falle einen splendiden Anfang für unsere hiesige Praxis.«
»Well, Sir,« sagte Elliot, seine Zigarre weglegend und seinen Gefährten fest anblickend, »ich weiß nicht, wieweit Ihre Liebe zu meiner Tochter geht, aber ich muß Ihnen als ehrlicher Mann sagen, daß der gute Anfang, von welchem Sie sprechen, wahrscheinlich der Ruin meiner Familie sein und somit auch Ellen zu einer blutarmen Partie machen wird. Der Hauptangriff, welcher getan werden soll, geht gegen mein Besitztum.«
Der junge Advokat sah ihn einen Augenblick groß an. »Ist denn das wohl möglich?« rief er dann aufspringend.
»Ob es möglich ist, weiß ich noch nicht!« erwiderte Elliot, finster lächelnd; »daß aber Ihr Freund Murphy soeben versucht, es möglich zu machen, ist gewiß genug. Versichert mögen Sie sein, daß ich mich nicht gutwillig ergeben werde. Indessen ist jetzt für mich die Hauptfrage, welchen Weg Sie selbst in der Angelegenheit einzuschlagen gedenken. Wollen Sie nach den jetzigen Eröffnungen noch Ihre Absicht in bezug auf Ellen festhalten, so werden Sie sich wahrscheinlich das einstige Erbe Ihrer Frau nicht selbst abprozessieren wollen – im anderen Falle natürlich –«
»Lassen Sie mich ein Wort sagen,« unterbrach ihn Nelson. »Ich danke Ihnen, daß Sie mir die Sache sofort mitgeteilt haben; unser Verhältnis wird dadurch zur rechten Klarheit kommen. Wenn ich um Ellen geworben habe, so war mir jeder Nebenzweck dabei fremd, und mögen die Dinge sich jetzt gestalten, wie sie wollen, so bleibt es bei unserer Verabredung. Ehe wir aber an den unglücklichsten Fall denken, wollen wir uns die Gefahr etwas näher betrachten. Ich werde sofort gehen, um mit eigenen Augen zu prüfen; ich werde Murphy sprechen, und schon heute abend, wenn es auch spät werden sollte, will ich Ihnen Bericht erstatten.«
»Gut, Sir,« rief Elliot und hielt dem jungen Manne die Hand hin, welche dieser drückte; »wenn ich auch weiß, daß Ihr Einfluß auf Murphy kaum ins Gewicht fallen kann, wo es sich bei diesem um einen großen Gewinn handelt, so freue ich mich doch über Ihre Gesinnung, welche mir aus Ihnen einen natürlichen Bundesgenossen macht. – Sehen Sie zu, wie die Sache steht, und erwarten Sie mich morgen früh in der Stadt – ich möchte vor unseren Ladies im Hause vorläufig die ganze Angelegenheit noch verschwiegen halten, und da es auffallen müßte, wenn Sie noch am späten Abend hier ankämen, so lassen wir lieber jede weitere Besprechung bis morgen früh.«
»Wie Sie wollen, Sir,« erwiderte Nelson; »wenigstens will ich jetzt aber keinen Augenblick mehr verlieren, um an die Arbeit zu gehen. Sie werden mich doch bei den Ladies entschuldigen?«
»Schon recht, Sir!« sagte Elliot, dem jungen Manne nach der Tür folgend, »und ich verspreche Ihnen, daß ich die Hindernisse, welche noch zwischen Ihnen und Ellen liegen, so schnell beseitigen werde, daß Sie sich deshalb nicht eine einzige unruhige Minute mehr zu machen brauchen. Unser Interesse ist von heute an ein vereintes.«
Nelson drückte mit beiden Händen die Rechte des Pflanzers und verließ dann, von diesem bis zum Portico begleitet, das Haus.
* * *
Es war mehrere Tage später, als Helmstedt von einem abendlichen Ritt nach der Stadt zurückkehrte. Zwischen seinen Augen lag ein Ausdruck von Sorge und Bestimmtheit; wenn er sich aber über das, was ihn drückte, hätte klar aussprechen sollen, wäre es ihm wohl kaum möglich gewesen. Er hatte seit dem letzten Gespräche mit dem Vater seiner Frau den Rest seiner Liebe für diese zu Grabe getragen; wußte er doch, daß ohne ihren eigenen Willen niemand den Versuch hätte machen können, sie von ihm zu scheiden. Auch das neue Gefühl, das ihn zu Pauline Morton zog, hatte er so weit unterdrückt, daß es ihm nur noch dann und wann im Traume vor die Seele trat: seine ganze Natur war zu kräftig, als daß sie sich ohne Widerstand einer unerwiderten Neigung hätte hingeben sollen, und sah es nun auch so öde in ihm aus, daß er gar nicht mehr an die Zukunft denken mochte, so war es doch noch ein Druck anderer Art, der ihm, wie die Ahnung von einem herbeikommenden Unglück, auf dem Herzen lag. Seit zwei Tagen glaubte er in dem Wesen seiner meisten Schülerinnen eine Veränderung wahrzunehmen, die er sich nicht erklären konnte. An die Stelle der freundlichen Herzlichkeit, mit welcher ihm einzelne sonst immer begegneten, waren Kälte und Einsilbigkeit getreten, rebellische Charaktere, welche die Achtung vor ihm stets in den gehörigen Schranken gehalten hatte, waren aufsässig und schnippisch geworden, und wo er sonst Fleiß und Eifer gesehen, schien eine plötzliche Lässigkeit und Unlust sich geltend zu machen. Er hatte am ersten Tage wenig darauf geachtet; als aber bei seinem abendlichen Besuch in einzelnen Familien ihn eine sonderbare Stille empfing, als ihm weder da, wo ein Piano im Hause war, die gewöhnliche Aufforderung, etwas vorzutragen, wurde, noch an anderen Orten seine Schülerinnen es der Mühe wert fanden, während seiner kurzen Anwesenheit im Zimmer zu bleiben; als am zweiten Tage sich bei seinem Unterricht dieselbe Erscheinung wie tags zuvor zeigte und bei einem Ritt in die Umgegend ihm in zwei Pflanzerfamilien ein ähnlicher Empfang wie in der Stadt wurde, da fühlte er, daß eine feindliche Macht in sein Leben griff, ohne daß er sich das Wie und Warum hätte erklären können.
Er hatte, sich mit zehnerlei Vermutungen herumschlagend, von welcher keine Stich halten wollte, die ersten Häuser der Stadt erreicht, als er einen einsamen Spaziergänger in der Dämmerung sich entgegenkommen sah, bei dessen Erblicken er sein Pferd zu langsamerem Schritte zügelte. Er hatte den Vorsteher der Akademie erkannt, einen Mann, welcher ihm immer mit der herzlichsten Freundlichkeit begegnet war, und der Gedanke durchschoß ihn, daß, wenn ihm jemand, seine Zweifel lösen könne, dieser es sein müsse. Er, fühlte sich innerlich so wund, daß er keinen Augenblick, in welchem ihm die Gelegenheit zu einer Aufklärung geboten wurde, vorüberstreichen lassen mochte, und ehe noch der Spaziergänger herangekommen, war Helmstedt abgestiegen und ging, sein Pferd am Zügel nachführend, ihm entgegen.
»Mr. Pierce, ich freue mich, Sie zu treffen, und Sie entschuldigen, daß ich Sie hier so ohne weiteres aus offener Straße anrede.«
»Sie sind mir an jedem Orte willkommen, Sir!«
»Ich danke Ihnen! Ich möchte eine offene Frage an Sie richten, Sir, und wenn, das jetzt eben geschieht, wo ich Sie zufällig treffe, so ist es, weil, ich Stimmungen um mich her, die ich nicht verstehe, und gegen welche mich mein Gewissen freispricht, nicht ertragen kann. Wissen Sie irgendeinen Grund, warum die Leute, mit denen ich in Berührung bin, anders gegen mich sind als jemals früher? Wissen Sie eine Ursache, die mir meine Schüler entfremdet haben könnte, wie es mir seit zwei Tagen so auffällig entgegengetreten ist, daß, es mir wehe getan hat? Ich mag Ihnen mit meinen hastigen Fragen aufgeregt erscheinen, Mr. Pierce, und Sie, müssen mich deshalb entschuldigen; aber die Veränderung um mich her ist seit einigen Tagen so sonderbar und hat mich eben erst so empfindlich berührt, daß nur das Begegnen mit Ihnen wie eine Fügung erschien, um mir Gewißheit über meine Stellung zu verschaffen.«
»Ich glaube, ich kann Ihnen die nötige Aufklärung geben, wenn wir es auch hier nicht vornehmen wollen,« erwiderte der Vorsteher in einem Tone, der Helmstedt wohltat; »und ich gestehe Ihnen, daß ich selbst die aufrichtigste Betrübnis über den Stand der Dinge fühle. Wir haben nur wenige Schritte bis zur Akademie, lassen Sie uns dort einige Worte in Ruhe miteinander sprechen!«
Er wandte sich zurück, und Helmstedt ging schweigend an seiner Seite, bis sie das Schulgebäude erreicht hatten. Dort band der junge Mann sein Pferd an die Staketeinzäunung und folgte dem Vorsteher nach dessen Arbeitszimmer.
»Ich muß Ihnen sagen,« begann der letztere, nachdem beide Platz genommen hatten, »daß ich wahrscheinlich schon morgen Sie ersucht haben würde, sich mit mir auszusprechen, und es ist mir lieb, daß Sie dem selbst zuvorkommen. Ich will ohne Umschweif zu Ihnen reden. Sie wissen, wie gern ich Sie hier engagiert habe, als Sie Mr. Morton mir empfahl, und wie sehr zufrieden ich mit allen Ihren Leistungen gewesen bin. Aber Mr. Morton, der unser beiderseitiger Freund war, ist jetzt tot, und sein Einfluß, welcher manches während seinen Lebzeiten ausglich, existiert nicht mehr. Ihre junge Frau ist zu ihren Eltern zurückgekehrt, und die verschiedensten Versionen über die Ursachen dafür sind plötzlich in Umlauf gekommen. Dabei ist aber das Schlimmste, daß Sie, wie es heißt, des zu erwartenden Vermögens wegen in keine Scheidung willigen wollen, und daß, wenn diese ja auf irgendeine Weise erzwungen werden sollte, alle Eltern für ihre Töchter, welche sie hierher zur Erziehung geben, fürchten, solange Sie den Musikunterricht leiten.«
Helmstedt wollte sprechen, aber der Vorsteher unterbrach ihn. »Lassen Sie uns alle unnützen Worte sparen, Sir,« sagte er. »Ich glaube vor allem, was in Umlauf gesetzt worden ist, kein Wort, ich habe Ihrem Prozesse beigewohnt und Sie während Ihres nachherigen Lebens genauer als vielleicht irgend jemand kennen gelernt; aber ich hänge nicht von mir allein ab, ich bin selbst nur Beamter der Gesellschaft, welche die Akademie gegründet hat, und muß dem, was die Mehrzahl der mir zur Seite gesetzten Vertrauensmänner beschließt, folgen. Ich entlasse Sie ungern, sehr ungern, Mr. Helmstedt, aber ich wäre gezwungen gewesen, Ihnen diese Nachricht schon morgen zu geben.«
Helmstedt saß eine Weile ohne ein Wort zu reden da, »Well!« sagte er dann, »ich kenne die Quelle, aus welcher alles dieses fließt – wenigstens bin ich doch jetzt nicht mehr im unklaren. Ich bin entlassen, weil ich so handelte, wie es jeder rechtliche Mann für allein ehrenhaft gehalten hätte; ich soll Order parieren, weil man glaubt, mich durch meine Armut dazu zwingen zu können. Wir werden sehen! Ich danke Ihnen, Mr. Pierce, für die Freundlichkeit, mit welcher Sie mich stets behandelt haben,« fuhr er aufstehend fort; »danke Ihnen für Ihre gute Meinung über mich, vielleicht kann ich, Ihnen noch einmal beweisen, daß Sie recht hatten. Gute Nacht!« Er drückte kräftig die Hand des Vorstehers und schritt aus dem Zimmer, Als er sein Pferd losgebunden, saß er mit einem Schwung im Sattel, daß es zum Galopp ansprengte, und bald hatte er sein Haus erreicht, wo Cäsar auf ihn wartete.
Er ging nach seinem Zimmer, brannte Licht an und warf sich in den Lehnstuhl, vor seinem Arbeitstische. Eine Weile ließ er alle die Gedanken und Gefühle, welche das Gespräch mit seinem bisherigen Prinzipale in ihm erregt hatte, durcheinanderwogen; bald aber setzte er sich aufrecht und begann seine augenblickliche Lage bestimmt ins Auge zu fassen. Ein Wunsch stand im Vordergrunde seiner Seele: dem Angriffe, welcher so heimtückisch aus seine Existenz gemacht worden war, nicht weichen zu müssen. Er wußte, daß, wenn er den Staat verließ, wozu man ihn jetzt wahrscheinlich zwingen wollte, es leicht gering gemacht war, eine Scheidung seiner Frau von ihm zu erzielen – gaben doch schon seine jetzt mangelnden Subsistenzmittel Grund genug dafür ab, und wenn er mich, wie das Verhältnis zwischen ihm und Ellen stand, einer Trennung nie einen eigentlichen Widerstand hätte entgegensetzen mögen, sobald nur seine Mannesehre dabei gewahrt wurde, so empörte sich doch alles in ihm gegen die Weise, wie sie ihm abgedrungen oder gegen seinen Willen bewerkstelligt werden sollte. Die Frage war jetzt: wie materiell bestehen, um nicht seinen Feinden ohne Schlag das Feld zu räumen? Mit einem ferneren Erwerbe durch Musikunterricht war es wenigstens in der nächsten Umgegend zu Ende, und seine ganzen Mittel bestanden in der Summe, welche ihm wenige Tage vorher als Betrag des Unterrichtsgeldes für den laufenden Monat ausgezahlt worden war. Sollte er sich an ein anderes Erziehungsinstitut im Staate um Erlangung von Beschäftigung, wenden, oder mußte er nicht fürchten, daß der Einfluß, welcher ihn von hier vertrieb, ihm auch dorthin folgen würde?
Während seines Grübelns hatte sich die Tür, geöffnet und Cäsar sich an den Eingang postiert. Helmstedt sah auf – er kannte die verschiedenen Arten von Gesichtsausdruck des Schwarzen und wußte, daß dieser jetzt irgend etwas zu erzählen hatte – aber er kam ihm damit ungelegen. »Was ist es, Cäsar?« fragte er kurz.
»Ich wollte nur etwas fragen, wegen Little Valley, Sir, nichts Bedeutendes gerade –«
»Dann laß es bis ein andermal, ich bin jetzt beschäftigt.«
Der Schwarze verschwand, und Helmstedt gab seinen Gedanken wieder Raum. Er begann in Gedanken sein ganzes Besitztum durchzugehen, um zu berechnen, was ihm aus dem Erlös desselben erwachsen könne; er öffnete zu dem Zweck ein Fach seines Schreibtisches, in welchem sich eine Kostenberechnung aller Anschaffungen bei seiner Verheiratung befand. Hier aber fiel ihm zuerst Mortons Brief in die Hände, der unerbrochen und vergessen dagelegen hatte, seit er ihn aus Paulinens Händen erhalten. Helmstedt, wollte ihn im ersten Moment wieder beiseite legen, aber als sein Auge auf die unsichere Handschrift der Adresse fiel, kam ihm wieder das ins Gedächtnis, was der Vorsteher der Akademie über die Freundschaft des Verstorbenen zu ihm und den Einfluß, den er zu seinem Besten geltend gemacht, gesprochen hatte; er sah das biedere Gesicht des alten Pflanzers vor sich, er erinnerte sich, daß dieser an ihn noch in seinen letzten Stunden gedacht, und in plötzlich gemilderter Stimmung löste er das Kuvert. Ein neuer, mit Papieren gefüllter Umschlag und ein teilweise beschriebener Bogen zeigten, sich. Helmstedt entfaltete den letzteren und las:
»Mein lieber, junger. Freund!
Ich ahne, daß ich Sie nicht wiedersehen werde, und so benutze ich eine Stunde, welche, mir vielleicht zum letztenmal einige Kraft zurückgibt, um ein Lebewohl an Sie zu richten und Sie an das Versprechen zu mahnen, welches Sie mir bei unserem letzten Zusammensein gaben. Pauline weiß nichts von. unserem Übereinkommen: ihr Herz ist so stolz und stark, daß sie wohl glauben mag, sich selbst genug sein zu können, daß sie jeden aufgedrungenen Beistand von sich weisen würde. Aber ich weiß auch, daß sie ihre Stärke nur durch Entsagung und Aufopferung erlangt hat; ich kenne mehr von diesem Herzen, dem ich doch nur Schutz und keine Befriedigung geben konnte, als sie weiß, und ich erkenne alle die Schwierigkeiten, welche ihr nach, meinem Tode, solange sie in den. jetzigen Verhältnissen lebt, entgegentreten und sie verwunden müssen. Darum lassen Sie das Auge nicht von dem, was um sie vorgeht, wenn auch unbemerkt von ihr – der Blick eines von der Welt Scheidenden sieht klarer als sonst, und mir ist es, wenn ich die Dinge um mich her betrachte, als würde auch noch einmal ein Frühling für sie blühen und ihr ein Schutz werden, unter dem sie sich gern bergen wird.
Die Wertpapiere, welche ich hier beigelegt habe, betrachten Sie als das Vermächtnis eines Freundes und als ein Zeichen meiner Achtung und Anhänglichkeit; es sind 2000 Dollars. Auch hiervon weiß Pauline nichts, damit Ihr Zartgefühl, das so leicht verletzt ist, geschont bleibe – mögen sie bei irgendeiner Gelegenheit Ihnen einmal passend kommen.
Und nun sei es genug, das Schreiben wird mir schwer; – wenn wir uns nicht wiedersehen sollten, so widmen Sie bisweilen einem Manne, der Ihnen von Herzen wohlgewollt,
einen freundlichen Gedanken.
Jas. Morton.«
Helmstedts Hand zitterte, als er zu Ende war; eine lange Weile sah er stumm vor sich hin, bis sich seine Brust endlich in einem tiefen Atemzuge Luft machte. Dann begann er die Zuschrift noch einmal von Anfang an durchzulesen. Mit jeder Zeile, die er langsam beendete, war es ihm, als liege ein tieferer Sinn in diesen letzten Worten des alten Pflanzers, als er bei der ersten raschen Durchsicht wahrgenommen; er hielt bei einzelnen Stellen an und begann darüber zu grübeln. Nicht die unerwartete Hilfe, welche ihm so plötzlich geworden, war es, die ihn hauptsächlich beschäftigte – seine Gedanken waren bei dem stolzen, starken Herzen, wie es Morton genannt, dem Herzen, das er doch so weich gekannt, und dem er jetzt so gern alle Opfer und Entsagung hätte vergessen machen mögen. »Des Toten Wille soll treulich erfüllt werden«, sagte er still vor sich hin. »Ich will über sie wachen, ohne daß sie es weiß, will die Sorge für sie zu meinem Lebenszweck machen, bis sie selbst sich wieder einen natürlichen Schutz gewählt.« Er konnte einen halben Seufzer nicht unterdrücken, aber, wie ärgerlich über sich selbst, sprang er auf ... »Wie das Schicksal will!« rief er, beide Arme von sich streckend; »jetzt aber heißt es: dem eigenen Herzen wie der Außenwelt Trotz geboten!«
Soeben trat der Schwarze wieder ein, um frisches Wasser für die Nacht zu bringen. Er wollte sich nach Beendigung seines Geschäfts leise entfernen, aber Helmstedt, der seinen früheren Platz wieder eingenommen hatte, rief ihn zurück. »Jetzt magst du erzählen, Cäsar,« sagte er, »du hattest etwas wegen Little Valley auf dem Herzen, was ist es?«
Der Neger zog ein halb verlegenes Gesicht und rieb seine Hände, »'s ist nur etwas vom Hörensagen, Sir, aber ich möchte doch fragen, ob Sie etwas davon, wissen. Es heißt, daß Mr. Bartlett, der Aufseher, fortgeschickt werden soll, und das ist schon unter allen Schwarzen in Little Valley herum. Sie wissen ja wohl, die Köchin in Mortons Haus ist wegen ihrer Horcherei dort nach Little Valley zum Kochen geschickt worden, und die hat im Ärger über ihre Versetzung dem Aufseher gesagt, lange werde sie doch nicht dableiben, nur so lange, bis er weggejagt sei, und das werde bald genug geschehen, sie wisse das genau; wenn erst der neue Aufseher komme, dann sei keine Gefahr mehr, daß ihr gutes Herz ihr wieder, einen Streich spiele. Der Aufseher hat geflucht und sich nach seiner Peitsche umgesehen, da hat sie aber nach einem Topf voll kochenden Wassers gegriffen und gesagt, er solle nur versuchen, sich an ihr zu vergreifen, sie fürchte sich gar nicht, ihn zu Tode zu brühen, sie wisse, wie sie stehe. Da soll Mr. Bartlett ganz blaß geworden sein, über verdammte Weiberwirtschaft geflucht haben, und daß er sich schon helfen werde. Seit dem Tage aber ist er kaum ein paarmal aufs Feld gekommen und hat die Arbeiter tun lassen, was sie gewollt; die zwei schwarzen Mädchen aber, mit denen er in seinem Hause lebt, haben erzählt, daß er noch einmal soviel Whiskey trinke als sonst und die Hälfte des Tages verschlafe. Die Köchin hat sich bis jetzt noch nicht getraut, die junge Mistreß wissen zu lassen, wie es steht, und so habe ich gedacht, es wäre gut, wenn ich es Ihnen erzählte, Master.«
Helmstedt hatte aufmerksam zugehört, und ein Zug von Befriedigung trat in seinem Gesichte hervor; war es ihm doch, als sei Cäsars Erzählung der erste Ruf an ihn, der übernommenen Pflicht gegen Pauline Genüge zu leisten. Er dachte eine kurze Weile nach. »Willst du mir wohl angeben,« sagte er dann, »woher du den ganzen, genauen Bericht hast? Ist dir wieder einer von den Schwarzen aus Little Valley begegnet?«
Cäsar verzog das Gesicht und kratzte sich erst aus der einen und dann aus der anderen Seite des Kopfes. »Wenn Sie es zu wissen verlangen, Master, so muß ich es Ihnen sagen«, erwiderte er mit einem Ausdrucke, der aus Laune und Ängstlichkeit gemischt schien. »Ich besuche jetzt bisweilen die Mary in Mortons Hause – es ist noch eine alte Liebschaft von früher her, Sir!« setzte er wie entschuldigend hinzu. »Seit ich der Sara nichts klatschen wollte, was hier im Hanse vorging, ist sie so bissig geworden wie eine Katze und hat mir, als ich das drittemal nach Oaklea kam, nicht einmal ihre Tür aufgemacht. Da habe ich an die Mary gedacht, die mich immer gern gehabt, als ich noch auf Mr. Mortons Farm war; ich bin aber damals so versessen auf die Sara in Oaklea gewesen, ich glaube wahrhaftig nur, weil sie so stachlig war und nichts von mir wissen wollte, daß ich der Mary immer aus dem Wege gegangen bin. Well, Master, der Mary ist die ganze Geschichte gesteckt worden, und sie hat sie mir erzählt; sie hat aber der Köchin wegen der jungen Mistreß noch kein Wort zu sagen gewagt.«
Helmstedt schüttelte, wie von einem eigentümlichen Gedanken berührt, langsam den Kopf. »Komm her, Cäsar,« sagte er nach einer Pause, »du bist ein verständiger Bursche, du möchtest mir auch etwas zuliebe tun, wie du neulich sagtest – und so will ich dir einen Auftrag geben, bei dem ich mich ganz auf dich verlassen muß. Höre aufmerksam zu! Ich möchte gern, daß Mistreß Morton, die seit ihres Mannes Tode jeden männlichen Beistand verloren hat, von den Unannehmlichkeiten, die ihr bei den jetzigen Verhältnissen erwachsen könnten, befreit bliebe. Wenn ich aber auch gern alles zu ihrer Unterstützung tue, so habe ich doch nicht die Zeit, jeden Tag nach Mortons Hause zu reiten, um zu sehen, was dort geschieht – nebenbei will es sich auch nicht recht schicken, daß ich eine junge, alleinstehende Frau so oft besuche. Jetzt, Cäsar, sollst du mir helfen. Gehe und mache deiner Mary den Hof, aber teile mir jeden Morgen mit, was in Mortons Hause vorgegangen ist – ob gering oder nicht, ist gleichgültig; jede kleine Nachricht wird mich über den Stand der Dinge dort im klaren halten, wird mir zeigen, ob es meinerseits nötig ist, etwas zu tun oder nicht, und ich kann unbesorgt meinen eigenen Geschäften nachgehen. Du wirst dabei einsehen, daß von deinem Auftrage nicht das Geringste verlauten darf, wenn die junge Mistreß nicht beleidigt werden soll – ich hoffe, du hast mich vollkommen verstanden, Cäsar?«
»Warum soll ich Sie nicht verstehen, Mr. Helmstedt?« erwiderte der Schwarze mit einem fröhlichen Grinsen. »Entschuldigen Sie, wenn ich lache; es kam mir nur eben so sonderbar vor, daß meine Torheit mit der Mary noch zu etwas Gutem helfen kann. Sie sollen ordentlich bedient werden, Master, rechnen Sie auf den Cäsar – und«, fuhr er mit einem halben Stocken fort, »Sie werden's gewiß auch so einrichten, daß die Mary keinen großen Schaden von ihrer Gutmütigkeit gegen mich hat.«
»Verlaß dich darauf!« nickte Helmstedt befriedigt, »sie soll nirgends erwähnt werden. Nun geh und laß mich sehen, ob du ein Bursche bist, dem sein Herr etwas anvertrauen kann!«
Der Schwarze antwortete nur mit einer Kopfbewegung voller Entschluß und verließ das Zimmer; Helmstedt aber lehnte sich nachdenkend in seinem Armstuhle zurück. Er war im Grunde seiner Seele nicht ganz einig mit sich selbst, ob er durch seinen Auftrag an Cäsar recht gehandelt oder nicht. Es sträubte sich etwas in ihm gegen die Weise, auf welche er sich Nachrichten von Paulinens Begegnissen verschaffen wollte, und doch sah er keinen anderen Weg; zudem gab er, seit er in Amerika so manchen Kampf hatte kennen lernen müssen, etwas auf Schicksalswinke, und Cäsars Mitteilung von seiner Liebschaft in Mortons Hause, gerade zu einer Zeit, wo es dem jungen Manne schwer geworden wäre, zu bestimmen, wie er sich von dort laufende Nachrichten verschaffen solle, war ihm wie ein bedeutsamer Fingerzeig erschienen. Er rieb sich lange die Stirn, ohne ganz mit sich klar zu werden, bis er endlich beschloß, wenigstens vorläufig den gemachten Anordnungen ihren Lauf zu lassen, bis sich ihm ein anderer Weg zu seinem Zwecke zeigen würde. Er putzte das Licht, suchte Papier hervor und begann in einem Briefe an den alten Doktor Ford diesem die gegenwärtigen Verhältnisse in Little Valley mitzuteilen.