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Wer Leben und Werk Benno Rüttenauers überblickt, dem springen zunächst große Gegensätze in die Augen. Schon die Schauplätze seines Lebens sind gegensätzlich gespannt: Dörfliche Idylle steht neben der großen Welt. Und in seiner Kunst lassen sich fränkische Stoffkreise von weltgeschichtlichen trennen. Dazu beseelt freie Formung die eine Gruppe der Werke, bindende Gestaltungsgesetze herrschen in der andern. Benno Rüttenauer ist Heimatdichter, aber auch Bildungsdichter.
Was beim ersten Eindruck als Gegensatz, ja als Bruch erscheint, erweist sich bald als Beginn und Blüte einer Entwicklung, die ihre Wurzeln im Frankentum des Dichters hat. Der Franke ist dafür bekannt, daß er aus heimatlicher Enge in die Weite drängt und sich leicht in fremdes Wesen einleben kann.
Benno Rüttenauer wurde zu Lichtmeß 1855 in einer kleinen Gerberei zu Oberwittstadt geboren, also in dem Landstrich südlich des unteren Mains, längs den Odenwaldhöhen, zwischen Neckar, Jagst und Tauber, in »Hinterwinkel«, wie der Dichter diesen Zipfel Nordbadens nennt. Die heitere, weltfrohe Landschaft ging als Hauch und Ton beschaulicher Ländlichkeit in sein Wesen ein. Von einem fränkischen Stoffkreis nähren sich die ersten Dichtungen. Nach kleineren Frühwerken läßt er die » Weltgeschichte in Hinterwinkel« (1909) erscheinen. Mit dem » Alexander Schmälzle« (1913) umschreibt er dann die Lehrjahre eines einfachen Dorfkindes und malt Dichtung und Wahrheit seiner Jugendtage, seines Wachsens aus kleinen Verhältnissen zu freiem Menschentum. Ein versonnenes und versponnenes deutsches Leben zieht durch diesen Entwicklungsroman, den man als eine der schönsten lebensgeschichtlichen Schöpfungen unseres Schrifttums in die Nähe Kellers und Raabes gerückt hat. Das Buch ist zum wahren Volksbuch geworden. Das zeigt sich schon in der Verbreitung von 35 000 Stück der Hausbüchereiausgabe durch die Hanseatische Verlagsanstalt in Hamburg. Zum fränkischen Stoffkreis gehören dann noch die sieben heimatlichen Erzählungen » Aus der Landschaft von Hinterwinkel« (1920) und » Der Pfeifer von Niklashausen« (1924). Auch die hier abgedruckten Proben entstammen fast alle dem heimatlichen Stoffkreis. Die Werke mit fränkischem Einschlag gehen naiv im Formen auf und lesen sich fast wie mündliche Erzählungen. Benno Rüttenauer zeigt sich als gemüthafter Fabulierer, der da und dort leise zuckende Lichter des Humors, aber auch der Wehmut aufsetzt.
Die fränkische Landschaft deutet gern aus dem Gegenwärtigen hinaus. Die Kunst des Barock und Rokoko, die oft genug kleinste Städte und Dörfer prächtig schmückt, weist den aufgeschlossenen Franken leicht auf die Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts. Das Weltläufige in Rüttenauers Natur, das übrigens auch in längeren Aufenthalten in Italien, der Schweiz, Belgien, Frankreich, Nordafrika seinen Ausdruck findet, erleichtert ihm das Einleben in die räumlichen und zeitlichen Fernen vordemokratischer Geschichtsepochen, wo der Lebensstil noch unbürgerlich, abenteuerlich und machthungrig war. Aus Bekenntnissen geistreicher Weltleute und aus geschichtlichen Anekdoten holt er sich nun die Gegenstände zu seinen Werken. Neue Bildungsstoffe schenkt er so dem deutschen Schrifttum, er selbst wird darüber zum Bildungsdichter. Zum geschichtlichen Stoffkreis gehören die Romane » Prinzessin Jungfrau« (1911), » Der Kardinal« (1912), »Graf Roger Rabutin« (1912), » Die Enkelin der Liselotte« (1912), das Novellenbuch » Pompadour« (1921), der Frauenspiegel » Der Blaustrumpf am Hofe« (1925) und schließlich die Historien- und Legendensammlung » Frau Saga« (1930).
Das geschichtliche Stofferlebnis war zugleich ein Verzicht auf das zutiefst persönliche Erzählen. Die gehobenen Gegenstände verlangten nach einer mehr entpersönlichten, gesetzmäßigen, ja schönen Gestaltung. Diese besitzt er als echter Deutscher aber nicht von Natur aus, sondern muß sie sich erst erwerben. Vielseitige Studien über bildende Kunst schenkten ihm Grundeinsichten in den großen Stil, verschiedene Übersetzungsarbeiten ringen der deutschen Sprache neue Möglichkeiten ab. Rüttenauer wird zum bewußten Meister. Jetzt kann er seine gefundenen Geschichten zu ebenmäßigen, plastischen Gebilden schmieden. Der architektonisch gebauten Novelle gilt sein besonderes Streben.
Bei aller Wandlung wird Rüttenauer nie ein blinder Formanbeter. Südliche und westliche Formkunst bleibt ihm innerlich fremd, obwohl er sie kennt und hochschätzt. Von seinen geschichtlichen Romanen hat Wilhelm Schäfer einmal mit Recht gesagt, daß ihr eigentlicher Reiz nicht in der erzählten Geschichte und noch weniger in irgendeiner romanischen Form liege, sondern in dem manchmal »wahrhaft Lutherischen Dazwischenpoltern«. Zu den Worten des Freundes mag man noch hinzufügen, daß sich auch fränkische Eigenschaften, nämlich Lachgeist und Ironiefreude, als unverlierbarer Ton im geschichtlichen Erzählwerk Rüttenauers finden.
Nach diesem kurzen Blick auf Benno Rüttenauers Werk und Wesen muß man sagen: Ein fränkisch-deutscher Grundzug geht durch alle seine Dichtungen und bindet die Gegensätze zur Einheit. In seiner ersten Zeit sprach sich seine fränkisch-deutsche Grundnatur in ursprünglichen Erlebnissen und heimatlichen Gesichten aus. Später war es die fränkisch-deutsche Weltsehnsucht, die sich fernes Geschehen und gehobene Form aneignete, ohne daß der Dichter sich selbst oder gar sein Volkstum aufgab.