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Von einem, der sich für den Ritter Blaubart hielt

 

I

Der Herzog von Crouy-Nettencourt, flandrischer Nation, berühmt als der stärkste Mann in dem Jahrhundert vor dem starken August von Sachsen, galt zugleich für einen der tapfersten Soldatenführer unter Ludwig dem Großen, für einen Haudegen der verwegensten Art, einen Drauflosgänger wie keiner. Er war noch ein Braver alten Stils, ein richtiger Landsknecht mit dem Herzogshut, dabei ein etwas plumper unmanierlicher Kumpan und Eisenfresser, auf den der neue Ton von Versailles, wo der Herzog in jungen Jahren das zweifelhafte Vergnügen genossen, eine wenig vorteilhafte Rolle zu spielen, nicht im geringsten abgefärbt hatte.

Das mochte der Grund sein, warum der Tapfere, trotz aller Bravourstücke bei den damals beliebten Dragonaden und anderen Gelegenheiten, auch seines hohen Ranges ungeachtet, über den Grad eines Generalobersten der Kavallerie sein Leben lang nicht hinauskam.

Seine Getreuen pflegten von ihm zu sagen, daß ihm der Marschallstab während zwei Jahrzehnten gleich einem Damoklesschwert über dem Haupte gehangen, und daß es nur an ihm gelegen habe, die Hand danach auszustrecken. Aber da ihn eine solche Würde verpflichtet hätte, von neuem an den Hof zu gehen und sich zu diesem Zweck seinen schönen schwarzen Bart abnehmen zu lassen, mit dem er so stolz tat, habe er alles getan, die Drohung über seinem Haupte von sich abzuwenden.

Denn das gehörte auch zu seinen Tapferkeiten, einen Bart zu tragen in einer Zeit, da kein Mensch mehr einen trug, und daraus schlossen die Spötter, daß der Herzog seine Achillesferse woanders hätte als jener Herr Achilles sie gehabt hat: was ungefähr heißen wollte, daß sie ihn sozusagen ein wenig zu den Dummen und Einfältigen rechneten.

Zu noch böserem Spott forderte eine andere Tapferkeit des gloriosen Herzogs heraus, die er eines Tages damit an den Tag legte, daß er sich, als angehender Fünfziger, ein Fräulein zur Frau nahm aus dem alten Hause von Nesle-Clermont-Mailly, dessen weibliche Überbleibsel derartig im Rufe standen, daß wirklich ein ungewöhnlicher Mut dazu gehörte, sich mit ihnen in Schwägerschaft einzulassen.

Von der älteren Schwester des Fräuleins, einer verheirateten Gräfin von Olonne, hatte sogar der König öffentlich ausgesagt, sie sei die Schande ihres Geschlechts, ohne es jedoch zu wagen, sie von seinem Hof, dieser Pflanzstätte weiblicher Tugend, endgültig zu verbannen: also daß ein illustres Mitglied dieses Hofes, ein gewisser schreibsüchtiger anderer Herzog, genannt von Saint-Simon, Gelegenheit bekam, über sie einige Anekdoten aufzuzeichnen, die beweisen, daß damals auch die fingerfertigsten und klatschsüchtigsten Skribenten noch nicht für Familienblätter geschrieben haben.

Dem Herzog von Crouy-Nettencourt aber verschlug das nichts. Ein Kerl, der sich nicht vor siebentausend Teufeln fürchtete, obwohl er, worin der beste Teil seiner Religion bestand, an Geister und Teufel glaubte als an leibhaftige Wesen, wie hätte der sich vor einer kleinen Teufelin von Weib fürchten sollen? Und wahrscheinlich dachte er, daß eine die andere wert sei und daß ein braver Mann nichts mehr verachtet als das Gerede der Leute. Oder auch, er hielt sich wirklich selber, da ihn seine Dragoner gern so nannten, für einen leibhaftigen Teufel und wollte nicht glauben, daß es jemand einfallen könnte, da Hörner zu pflanzen, wo sie, den Schriften der Gottesgelahrtheit zu glauben, ohnedies natürlich sproßten und ihren Ursprung und Samen hatten von Ewigkeit.

Leider aber war der Herzog für seine Person zu wenig Theologe und Dämonologe, um zu wissen, daß der häufigste von allen Teufeln der dumme Teufel ist.

»So, nun seid Ihr meine Frau,« sprach er am andern Morgen nach der Hochzeit zur jungen Herzogin, »und ich will hoffen, daß Ihr diese Ehre zu würdigen wisset. Man hat mir Angst vor Euch gemacht, aber umgekehrt ist auch geritten. Wisset also, daß ich Euch mit diesen Händen erwürgen und Eure Seele brühwarm dem Herrn Satan in den Schlund jagen werde, wenn es Euch etwa einfallen sollte, Euch Eure lieben Verwandten im geringsten zum Muster Eurer Sitten zu nehmen. Ausdrücklich aber verbiete ich Euch, wenn Euch Euer Leben lieb ist, jede Art Verkehr und Zusammenkunft mit Eurer tugendsamen Schwester, der Gräfin von Olonne.«

Damit wandte er der Verblüfften den Rücken, stieg zu Pferd, und wie weiland der Ritter Blaubart – obwohl sein Bart schwarz war wie die Nacht und nur im günstigsten Licht ein wenig ins Blaue schimmerte – ritt er, ohne sich nur umzusehen, davon und zog hin in die Pfalz am Rhein, wo er dem General Melac zur Ausführung seiner ruhmreichen Taten in Speier, Worms und Heidelberg gerade noch gefehlt hatte.

Die junge Herzogin aber, die die ehemännlichen Brutalitäten ihres Herrn Gemahls in der verflossenen Nacht für übergroße Liebe genommen hatte, wußte nun Bescheid und nahm sich vor, ihr Betragen danach einzurichten; denn daß der sorgliche Herzog ihr eine genügende Anzahl von Spähern und Aufpassern zurückgelassen, stand ihrer weiblichen Klugheit außer Zweifel.

Mehr noch als die Gemahlin fühlte sich die Gräfin von Olonne empört über das Verhalten des bärtigen Herzogs. Dessen sie betreffendes Verbot dünkte sie eine tiefere Kränkung als selbst jene Worte des großen Königs, der, wie sie sich ausdrückte, es eben nötig hatte, wenigstens gegen andere den Sittenstrengen zu spielen. Und sie beschloß bei sich, dem zärtlichen Schwager nichts schuldig zu bleiben, sondern ihm, koste es was es wolle, zu seinem schönen Bart noch einen anderen und wahrlich zeitgemäßeren Schmuck zu verschaffen, der auch nicht von Pappe sein sollte, keinen Stirnschmuck gewöhnlicher Art, sondern einen ganz besonders gedrechselten, geschnirkelten und gezirkelten, gegen den die armen Zinken seiner Herzogskrone elend verblassen und wovon noch Kind und Kindeskinder sich erzählen sollten.

Doch es galt mit äußerster Vorsicht zu Werke zu gehen. Und da die Gräfin in niemand ein so absolutes Vertrauen setzte als in den Marquis von Beuvron, ihren Geliebten, wählte sie diesen zum Werkzeug ihrer Rache. Damit bewies sie, um wieviel mächtiger der Haß ist im Herzen einer Frau als die Liebe.

Aber mit Beuvron erreichte die Gräfin ihr Ziel nicht. Denn gerade um diese Zeit trug sich der Marquis, obwohl er die Dame von Olonne nicht zärtlicher liebte als eben üblich, mit einer bohrenden Eifersucht auf den Chevalier von Candale, den er haßte und den die Gräfin zu begünstigen Miene machte. Darum weckten die Zuflüsterungen und versteckten Andeutungen seiner Dame in ihm den naheliegenden Verdacht, daß man ihn abschütteln und sich seiner in guter Manier entledigen wolle zugunsten des verabscheuten Nebenbuhlers. Um so hartnäckiger nahm er sich vor, den gefährdeten Platz zu behaupten, an dem ihm noch kurz zuvor wenig gelegen schien.

Die unpolitisch-politische Gräfin kratzte sich hinter dem zierlichen Ohr: Das hättest du dir gleich sagen können, dachte sie.

Doch gab sie ihr Spiel deswegen nicht verloren. Sie warf jetzt ihre Gedanken auf den Herrn Gemahl, dem sie sich als gute Ehefrau ohnedies zu mehr als einer Entschädigung schuldig fühlte. Sie wußte, daß der Gute, dem das Haus der Herzogin nicht verboten worden wie ihr, längst ein Auge auf ihre Schwester geworfen hatte, und sie suchte ihn nun auf allerlei Umwegen so weit in seinen Unternehmungen zu ermutigen, als sie es für möglich hielt, ohne sich bloßzustellen.

Und wirklich, der Graf schien willig. Nur umgekehrt als wie es in der Heiligen Schrift geschrieben steht. Willig war sein Fleisch, sein Geist aber war schwach. Und bald mußte die Gräfin durch Beuvron erfahren, der in herkömmlicher Weise mit dem Grafen von Olonne nicht weniger intim stand als mit ihr selber: daß die plumpen und ungeschickten Eroberungsversuche ihres geliebten Eheherrn wenig Hoffnung gaben, ihn je ans Ziel zu bringen.

Auf diese Weise sah die Gräfin ihre Politik zum zweiten Male scheitern, und schon verzweifelte sie fast an ihrem weiblichen Ingenium; dann aber kam sie auf einen Gedanken, ihrer endlich vollkommen würdig, wie es der Erfolg glänzend dartat.

Sie hatte in Erfahrung gebracht, daß die Herzogin von Crouy-Nettencourt unter ihrer zahlreichen Dienerschaft einen Kammerdiener besaß, einen wohlgebauten hübschen Jungen, von dem die Rede ging, daß er aus gutem Hause und nur durch einen jugendlichen Fehltritt in diese Stellung gekommen sei, was damit bestätigt schien, daß er sich stets unter allerlei verlegenen Ausflüchten geweigert hatte, Namen und Stand seiner Familie zu nennen.

Auf ihn baute die Gräfin nun ihre Hoffnung. Sie ließ den Jüngling heimlich zu sich kommen, und der junge Mensch, fast noch ein Knabe mit seinen weniger als siebzehn Jahren, von zierlichem Wuchs und einem wahren Cherubimgesicht, gefiel ihr über die Maßen. Auch seine Reden, die eine gewisse Erziehung nicht verleugneten und Geist und Phantasie verrieten, stimmten zu allem, was man ihr von ihm berichtet hatte.

Er gestand ihr, wegen einer Dummheit von der Schule (einem Jesuitenkolleg seiner Provinz) weggelaufen zu sein, ließ sich aber um keinen Preis dazu bringen, Heimat und Familiennamen zu nennen, was der Gräfin vortrefflich in ihren Plan paßte.

»Am Ende bist du gar ein heimlicher Prinz,« sagte sie scherzend, »und wenn meine Schwester so etwas ahnt, wird sie sich noch in dich verlieben; nimm dich zusammen.«

Der Jüngling errötete. Von allein wäre ihm ein solcher Gedanke nicht gekommen; aus dem Munde der vornehmen Gräfin aber sog er die seltsame Rede in sich ein wie die Süßigkeit einer verbotenen Näscherei.

Und die Dame von Olonne lächelte zufrieden.

»Du bist ein Schelm,« sprach sie leutselig, indem sie dem Überglücklichen einen liebkosenden Streich auf die Wange versetzte, »und wahrlich, wenn die Herzogin nicht meine Schwester wäre, ich weiß nicht, was ich täte.«

Dem guten Jungen, Felix hieß er im Hause des Herzogs, schwindelte nicht wenig der Kopf, als er die große Freitreppe im Palast der Gräfin hinunterstieg. Aber als ein gewitzigter Schüler der Heiligen Väter nahm er sich vor, auf seiner Hut zu sein und sich nicht zum Narren haben zu lassen.

Das aber konnte er nicht verhindern, daß er in der folgenden Nacht von seiner schönen Herrin träumte. Er hielt ihr, die in den Sattel stieg, den Steigbügel, und plötzlich überkam ihn die Kühnheit und er führte seine Lippen an ihren zierlich bestiefelten Fuß, worüber die hohe Frau wohlgefällig lächelte.

Wenn er nur nicht so sicher gewußt hätte, daß er, außer im Traum, einer solchen Kühnheit niemals fähig sein werde.

Nein, eine so ritterliche Art, der schönen Herzogin seine Verehrung zu zeigen, stand ihm nicht an. Dafür aber gab es hundert andere bescheidenere Arten, und niemand konnte ihm wehren, durch erhöhten Eifer im Dienst und alle möglichen kleinen Aufmerksamkeiten gegen die Herzogin sich vor den anderen hervorzutun und sich ihr auf diese Weise wie auch durch besondere Sauberkeit und Sorgfalt in seinem Äußeren bemerkbar zu machen.

Dies schien ihm in hohem Grad zu gelingen. Denn bald konnte er, all seiner Bescheidenheit ungeachtet, nicht daran zweifeln, daß ihn die Herzogin seit einiger Zeit mit anderen Augen ansah als zuvor; ja, er fühlte deutlich, daß sie ihn wiederholt hinter seinem Rücken verstohlen beobachtete. Auch mußte es ihm auffallen, daß er seit kurzem öfter in die Gemächer seiner Herrin gerufen und dort länger zurückgehalten wurde als in den voraufgegangenen Tagen und Wochen.

Das alles zusammen genügte, um ihm, trotz aller Verständigkeit, doch ein wenig den Sinn zu verrücken. Um so mehr, als er den letzten und eigentlichen Grund zu dem veränderten Betragen der schönen Frau Herzogin unmöglich ahnen konnte, da er eben nicht wußte, was für ein seltsames Märchen der Marquis von Beuvron, auf Anstiften der Gräfin von Olonne, seiner Herrin erzählt hatte.

Danach war Felix der Sprößling einer vornehmen Familie aus der Gaskogne, war im letzten Winter als Edelknabe in das Haus des Herzogs von Burgund gekommen, hatte auf einem Fest das Fräulein von Nesle-Clermont, die heutige Herzogin Crouy-Nettencourt, gesehen und sich dergestalt in sie verliebt, daß ihm das Leben nur noch in ihrer nächsten Nähe wünschenswert erschien; kurz entschlossen habe er sich als armen Teufel verkleidet und sei so, nicht ohne Anwendung von mancherlei List, in seinen jetzigen Dienst getreten, nur um täglich seine Angebetete von Angesicht zu Angesicht zu sehen.

Natürlich lachte die Herzogin über die abgeschmackte Erfindung, und der Marquis war klug genug, einzugestehen, daß er selber nicht im geringsten daran glaube. Er kalkulierte mit Recht, dergestalt am besten jeden Verdacht fernzuhalten und die unerfahrene junge Frau damit um so sicherer in die Falle zu locken.

Und eines erreichte der gewandte Marquis in der Tat: der hübsche junge Mann im Lakaienkleid gewann auf einmal für die Herzogin den Reiz des Geheimnisvollen.

Und unter dem Einfluß dieses Reizes fand sie das schmale blasse Gesicht des Jünglings immer feiner im Profil, die Blicke seiner dunklen Augen immer tiefer und ausdrucksvoller, seinen Wuchs schlanker, seine Hände gebildeter, seine Manieren gewählter, sein ganzes Wesen vornehmer.

Vor allem aber ließ es ihr keine Ruhe, sie mußte den Versuch machen, dem Rätsel auf den Grund zu kommen. Darum schien es ihr nicht unschicklich, sich direkt bei Felix nach seinen bürgerlichen Umständen zu erkundigen, und als sie dabei, wie vorher die anderen, auf die verlegen vorgebrachte aber feste Weigerung stieß, über Heimatsort und Familie auch nur das kleinste Wort auszusagen, fühlte sie sich schon fast geneigt, zu glauben, was sie bereits heftig wünschte: daß an der seltsamen Erzählung des Marquis von Beuvron vielleicht doch etwas wahr sein könne.

Und demgemäß behandelte sie von da an den hübschen und ihr so sichtbar ergebenen Kämmerling, nämlich halb als Diener, halb als verwunschenen Prinzen.

Als die Gräfin von Olonne, die durch den spionierenden Beuvron aufs genaueste unterrichtet wurde, die Dinge diesen Lauf nehmen sah, ließ sie den ahnungslosen Felix von neuem zu sich bescheiden.

»Wahrhaftig, Ihr habt Glück,« so empfing sie ihn: »was ich Euch vorausgesagt, ist eingetroffen, meine Schwester liebt Euch.«

Felix fand vor Verlegenheit keine Antwort und schlug beschämt den Blick zu Boden.

»Ah,« rief die Gräfin aus, »ich sage Euch, wie es scheint, nichts Neues, Eure Augen haben Euch bereits unterrichtet. Aber laßt Euch nicht berauschen von den Dingen, die Euer warten. Seid vorsichtig, achtet auf jedes Zucken Eurer Wimper. Denn, lieber Freund...«

Felix sah erschrocken auf.

Die Dame von Olonne lächelte.

»Ihr seid klug,« sprach sie, »Ihr werdet Euch schon aus der Schlinge ziehen. Vor allem aber habt acht, daß Ihr meine Schwester nicht in dem enttäuscht, wofür sie Euch hält.«

Damit entließ sie den armen Jungen, der diesmal die breite Treppe des Palastes gleich einem Betrunkenen hinunterwankte, ganz betäubt von dem Unerhörten, das ihn die gräfliche Fee wie in einem Zauberspiegel hatte sehen lassen.

Aber Felix war wirklich ein kluger Kopf. Das Getriebe der Straße ernüchterte ihn schnell, und er sagte sich, daß der Zauberspiegel der Gräfin am Ende nichts sei als eine verruchte Gaukelei, die ihn leicht ins Verderben locken konnte.

In diesem Sinn beschloß er sein Betragen einzurichten. Und er wäre seinen vernünftigen Vorsätzen auch sicher treu geblieben, wenn nicht ein anderes Betragen, nämlich das der jungen Herzogin von Crouy-Nettencourt, fast noch mehr Kind als Weib, ihn wieder irregemacht hätte.

Denn die hohe Frau, die, abgesehen von den oberflächlichen gesellschaftlichen Galanterien, bis jetzt nichts anderes vom Leben des Weibes erfahren als die rohe und plumpe Behandlung durch ihren Blaubart von Ehemann, hatte unterdessen darauf gesonnen, wie es möglich wäre, den anmutigen Felix etwas mehr in ihre unmittelbare Nähe zu bringen.

Infolge dieser Überlegungen kam sie auf den befriedigenden Gedanken, sich seiner beim An- und Auskleiden zu bedienen, statt des alten Philipp, dessen Hände von Tag zu Tag zittriger wurden. Damit verstieß sie keineswegs gegen die frommen Sitten ihrer Zeit und ihres Standes. Denn jedermann kennt die Geschichte jener sehr tugendreichen jungfräulichen Prinzessin von Orleans, Herzogin von Montpensier, wie sie sich von einem Pagen das Strumpfband knüpfen ließ und was die Prinzessin für ein echt herzoginnenhaftes Gespräch an dieses Strumpfband ihrerseits geknüpft hat.

Die Dame von Crouy-Nettencourt verstieß also mit der geplanten Neuerung in nichts gegen die Sitten ihres Standes und ihrer Zeit; aber was sie damit vollständig umstieß und über den Haufen warf: das waren die Klugheitsregeln und das ganze ohnedies schon wacklige Vernunftgebäude im Kopfe des kleinen Felix, der im Handumdrehen ein großer Sophist wurde mit der Überzeugung, daß nichts dümmer sei als der Verstand, nichts unvernünftiger als die Vernunft, und nichts eitler und alberner und nutzloser als ein Haufen guter Vorsätze.

Denn von diesem Tage an kam ihm der verflixte Zauberspiegel der Dame von Olonne nicht mehr von den Augen: dieser Spiegel, in dem er Bilder sah und Verheißungen, daß es ihm zugleich heiß und kalt durch die Nerven rann, und für deren Erfüllung er bereit gewesen wäre, jeden Augenblick seinen jungen Kopf auf den Block zu legen, wenn das Schicksal es so von ihm forderte.

Und das Bedenklichste: nicht nur in dem Spiegel, der ihm Zukünftiges vorzauberte, auch in der gegenwärtigen leibhaftigen Wirklichkeit bekam sein Auge Dinge zu sehen, solche Dinge, die den heiligen Antonius in der Wüste toll gemacht hätten. Und nicht nur zu sehen mit Augen bekam er sie, sondern auch zu fühlen mit Händen, als welche darüber viel schlimmer zitterten, denn die Hände des alten Philipp, was aber der jungen Frau Herzogin eher ein Wohlgefallen abgewann als das Gegenteil.

Denn da diese gewahr wurde, wie die Augen des schönen Knaben von unheimlichem Feuer loderten, oder schwül sich verschleierten von der Trübe der Begierde; gewahr wurde, wie seine Wangen erblaßten, weil sich ihm alles Blut im Herzen staute, und noch anderes mehr ahnte als gewahrte, weil sie doch im Grunde und ihrem gotteslästerlichen Witwentum zum Trotz ein recht unerfahrenes Ding geblieben war, wenn auch voll versteckter Lüsternheit und Begehrlichkeit: da zweifelte ihr Gefühl (dem Verstand hatte sie Urlaub gegeben) nicht mehr daran, daß der junge Fant wahrhaftig der Kavalier sein könnte, davon man ihr so schmeichelhafte Abenteuer zu erzählen für gut befunden.

Denn nach dem höfischen Sittenkatechismus und Corpus juris der Liebe jener Zeit, die sie beide inwendig und auswendig wußte, konnte sie sich nur einen Mann ihres eigenen Standes in einem Zustand denken, zu dem ihr eigener Zustand eine so intime Ähnlichkeit unverkennbar aufwies.

Die Herzogin hatte bemerkt, daß Felix vor allem ihr schönes goldbraunes Haar mit heimlicher Ekstase zu betrachten pflegte. Unendlich gerührt in ihrem weiblichen Herzen von dieser Wahrnehmung, denn sie tat sich selber auf ihr schönes Goldhaar nicht wenig zugute, dachte sie sofort auf ein Mittel, den scharmanten Jüngling für seine stumme Huldigung zu belohnen.

»Du bist heute recht ungeschickt, meine liebe Jeannette,« sagte sie zu ihrer Jungfer, die sie frisieren sollte; »gib einmal dem Felix die Kämme, ich wette, er macht es besser als du.«

Darin hatte sich nun die Gute gründlich geirrt. Denn so vorsichtig Felix die goldbraunen Strähnen durch die langen milchweißen Zähne von Elfenbein fließen ließ, war er doch des delikaten Geschäftes zu wenig gewohnt, um der prinzessinnenhaft empfindlichen Kopfhaut nicht wiederholt weh zu tun oder der schönen Frau, eben aus lauter Ängstlichkeit, bald die eine, bald die andere rosenblattfarbene und rosenblattzarte Ohrmuschel schmerzlich zu verletzen: woraus zu ersehen, daß Liebe und Inspiration wohl viel zu ersetzen vermögen, nur nicht ein Talent, als welches jederzeit mit viel Mühe und Anstrengung erworben sein will.

Doch die Herzogin machte sich nichts aus den kleinen Schmerzen; vielmehr lächelte sie höchst befriedigt in sich hinein. Denn sie fühlte lebhaft, wie wenig ihre flüchtigen Unannehmlichkeiten zu bedeuten hatten, im Vergleich zu den seltsamen Qualen, die sie dem jungen Mann auf dem blassen, von heimlicher Lust und unheimlicher Angst fast verzerrten Gesicht immer deutlicher ablesen konnte.

Diesem unselig Seligen stand wieder jener Zauberspiegel vor Augen und ließ ihn derartige Bilder sehen und Verheißungen, daß es ihm zugleich heiß und kalt durch die Nerven rann, und daß auf Augenblicke nicht nur seine Hände, sondern auch seine Knie zu zittern begannen.

Unaussprechliches und Unsagbares, so, bis zur Stunde, ihm ganz und gar Undenkliches ließ ihn der Spiegel in Bildern schauen, daß der Jüngling immer weniger wußte, war es heißes Glück oder eisiges Todesbangen, was ihm die Kehle verschnürte und den Atem raubte, und es ihm wie Schleier vor den Augen niederging und er die Dinge um sich her sah wie in einem farbigen Nebel.

Er fühlte sich unerschrockener Eingeweide und eines mutigen Herzens, und in göttlicher Verzückung hätte er und in seligem Taumel gern seinen jungen Kopf auf den Block gelegt. Süß hätte es ihn gedünkt, für die schöne Herrin zu sterben.

Aber Schlimmeres als der Tod, das wußte er wohl, unendlich Schlimmeres stand für ihn auf dem Spiel.

Und während also das Goldhaar unter seinen zitternden Händen zu funkeln und zu knistern schien und ganz nahe vor ihm zwei Rosenlippen sich kräuselten, als ob sie nach seinem Kusse durstig wären, und von Zeit zu Zeit ein weißer Ellenbogen leise und vielleicht zufällig seine Hüften streifte, und unter dünnem Batist ein zartes Knie das seinige wie fragend anrührte: perlten ihm auf der Stirn kalte Tropfen Schweißes, erlosch das lodernde Feuer seiner Augen, umflort von der Trübe der Begierde zugleich und der Bangnis, und wurden, weil sich ihm alles Blut im Herzen staute, seine Wangen zum Erschrecken blaß und blasser.

Und die Liebestollheit in seiner Seele und die aufgestachelte Glücksverheißung in seinem Blut kämpften einen wahrhaft übermenschlichen, kämpften einen tödlich verzweifelten Kampf mit einer unaussprechlichen Angst in ihm. Mit seiner Angst davor, sich vielleicht durch einen Schein von Kühnheit den Unwillen der Angebeteten zuzuziehen und dafür wie ein Schelm mit Schmach und Schande aus ihrer selig unseligen Nähe vertrieben und gar mit verworfenem Gesindel zusammen in einen infamen Kerker geworfen zu werden; während doch schon der Gedanke, einen einzigen ungütigen Blick von ihr zu erhalten, ihm unerträglich schien.

Die schöne Herzogin aber lächelte befriedigt in sich hinein, und ein Moralist würde vielleicht sagen, daß sie an den Qualen des armen Menschen eine Art teuflischer Lust hatte. Aber nur ein Moralist kann ein so schönes und schlohweiß junges Weib mit dem reinsten Atem der Welt und umhaucht außerdem von den süßesten Wohlgerüchen seltener Spezereien mit dem garstigen und stinkenden Teufel in Gedanken zusammenbringen.

Auch fühlte sich die Herzogin keineswegs so sehr befriedigt, als es den Anschein haben mochte. Und wenn ihr die Marter des herzigen Jungen ein Wohlgefallen bereitete, weil sie ihr Hoffnung gab, so wünschte sie dafür aber auch, ihn ganz und gar glücklich zu machen und in seiner Seligkeit erst recht die ihrige zu finden. Die schöne Dame hatte Christentum im Leib, und viel mehr als seine Bangigkeit und Qual und schmerzliche Verzweiflung dies tat, hätte es ihr Freude bereitet, von seiner Kühnheit eine kleine Erfahrung zu machen.

Und sie wurde sogar nach und nach ganz unglücklich darüber, seinen Mut immer wieder schwächer zu sehen als seine Beklommenheit, und seine Marter wahrhaftiger als seine Beseligung.

Denn ob sie ihn auch von Tag zu Tag deutlicher mit holdem Lächeln und versprechenden Blicken ermunterte; ob auch ihr zartes Knie unter dünnem Batist immer häufiger die kurze heimliche Zwiesprache mit dem seinigen suchte und ihr weißer Arm, vom zurückfallenden Ärmel entblößt, immer neue Wendungen fand, seiner Hand, seiner Wange, fast seinen Lippen zu begegnen; und ob auch das luftige duftige Spitzengewölk, das ihr Morgenjäckchen bildete, von einer Sitzung zur anderen sich verwegener öffnete und das blendende Milchweiß auf den zarten Schultern und den benachbarten noch zarteren Rundungen immer freier und ungehemmter in das verblüffte Tageslicht herausschimmern ließ: mit allem zusammen erreichte die Schöne nur, daß zwei Jünglingshände noch heftiger zitterten, daß die Qual ein blasses Gesicht noch schmerzlicher verzerrte und zwei dunkle Augen, nach flüchtigen Momenten jauchzenden Aufloderns, immer deutlicher von todesbanger Hilflosigkeit redeten.

Und das konnte nun freilich von seiten des überschüchternen Jünglings kein kavaliermäßiges Betragen genannt werden. Mehr als nötig zeigte Felix durch eine allzu tief wurzelnde Bescheidenheit seine Zugehörigkeit zur geringeren Klasse. Die Herzogin hätte sich das längst von ihrem Verstand müssen sagen lassen. Aber diesem Kammerdiener hatte die Gute Urlaub gegeben, und Gott mochte wissen, wo sich der ohnedies unzuverlässige Geselle herumtrieb. So sah sich die junge Schöne, von ihrem gotteslästerlichen Witwentum arg in die Enge getrieben, allein auf den Rat ihres Herzens angewiesen, das eine liebe Seele sein mußte, wie die Geduld beweist, die die hohe Frau übte, um das Glück eines Menschen zu machen, der ihr dies so wenig zu danken schien.

Eines Tages aber drohte doch so etwas wie ein kleiner giftiger Zorn gegen den Unkecken in ihrem goldenen Herzchen zu keimen und nach Rache zu schreien. Aber sie war wirklich gut, sie sagte sich noch zur rechten Zeit, daß sie selber den Vorwurf der Feigheit verdiene, da sie aus Angst vor ihrem Ritter Blaubart und seinen Spähern nicht ein einziges Mal den Mut gefunden, in Gegenwart des Felix ihre Zofen aus dem Zimmer zu schicken, was ihr doch ihre Weibheit längst hätte eingeben müssen, wenn auch der Kammerdiener Verstand sich in Urlaub befand.

Doch am anderen Morgen dann, als der genannte Felix wieder zum Dienst bei ihr antrat, erklärte sie den Mädchen, sie wolle noch vor dem Ankleiden wichtige Briefe schreiben, man könne sich entfernen.

»Nein, bleibe,« rief sie dem Felix zu, der ebenfalls im Begriffe stand, sich zurückzuziehen, »bleibe, du schreibst eine hübsche Hand – sie hatte nie einen Buchstaben seiner Schrift gesehen – ich werde dir diktieren.«

Angenehm geschmeichelt blieb Felix zurück.

»Ach,« seufzte die Herzogin, als beide sich allein sahen, »ich bin zum Diktieren schon nicht mehr aufgelegt, du sollst mir die Haare kämmen.«

Damit sank sie lässig in ihren Sessel und reichte Felix statt des schneeig gefiederten Federkiels die elfenbeinernen Kämme.

Wie die Dinge daraufhin verlaufen sind, davon läßt sich nur soviel vermuten, daß die Herzogin sicher noch immer einen ganzen Haufen Geduld nötig hatte, um über die zögernde und blöde Ungeschicklichkeit des improvisierten Haarkünstlers nicht in helle Verzweiflung zu geraten. Aber als die gute Haut, die sie einmal war, brachte sie eben doch soviel Sanftmut auf, als sich nötig erwies. Und damit, und vielleicht auch noch mit anderen Mitteln scheint sie die ärgerliche Unbeholfenheit des armen Felix zu einem noch anständigen Talent gefördert zu haben.

Denn als nach einer Zeit, in der man ohne Überhastung ein halbes Dutzend Briefe hätte schreiben können, die schnippischen Zofen wieder hereingerufen wurden, hatte ihre gestrenge Herrin das Ansehen eines hübschen jungen Weibchens, das noch niemals in seinem Leben zu solcher Zufriedenheit gekämmt und gestrählt, gestriegelt und geschniegelt worden.

Doch sie tat nicht dergleichen. Sie ließ sich von der dürren Jeannette eine Kerze nebst rotem Wachs herbeibringen, siegelte in behaglicher Geschäftigkeit die ungeschriebenen Briefe, kritzelte auf einen davon unter listigem Lächeln und mit übermütig kühnen Schnörkeln die Adresse ihres Herrn Gemahls, auf die anderen die Namen von guten Freundinnen, und übergab alle zusammen dem harrenden Felix zur eiligen Beförderung auf die Post.

Auf diese Weise sah sich der gute Junge zum Geheimsekretär der Herzogin befördert und wartete alltäglich seines Amtes mit einem Eifer, dessen allein die Liebe fähig ist.

Die Liebe. Was dieses verwaschene und mißbrauchte Wort in dem Goldschnittlexikon der kleinen Herzogin für einen Sinn hatte, ist eine Frage, die ein ökumenisches Konsilium oder auch, wie man heute sagt, ein internationaler Psychologenkongreß, ob er nun zu Rom oder zu Berlin tage, wohl kaum zu lösen imstande wäre. Für den unverdorbenen Knaben aber bedeutete es Tod und Leben, Gott und den Teufel, Abgrund der Hölle und höchsten Gipfel alles Glückes, bedeutete es Süßestes und Bitterstes der Welt im goldenen Kelch der Schönheit.

Damit ihm aber von dem ganzen Umfang dieser Bedeutungen ja nichts verlorengehe, dafür sorgte außer der Herzogin, die doch schon nach zwei Richtungen das ihrige tat, auch noch die mehrfach genannte Dame von Olonne und bewies damit, daß der Haß nicht nur stärker, sondern auch unendlich scharfsichtiger ist als die Liebe, aller Philosophie der Sprache zum Trotz, die beide gleichermaßen gern für blind ausgibt.

 

II

Noch bessere Späher als der Herzog von Crouy-Nettencourt besoldete nämlich die Frau Gräfin von Olonne. Und durch diese Dame, seine Schwägerin, das heißt durch ein Schreiben von fremder Hand, das ihm die Gräfin insgeheim zuschicken ließ, erfuhr der närrische Blaubart von der eigenartigen dienstlichen Beförderung des obskuren Kämmerlings.

Das vergiftete Brieflein traf ihn in der Stadt Nanzig, wo er sich nach seinen Menschenschindereien, Mordbrennereien und anderen schönen Dingen auf »eien«, die er in der Pfalz verübt, zurückgezogen hatte, um sich ein wenig auszuruhen. Und noch zur selben Stunde machte er sich, ganz angefüllt von Zorn und Grimm, auf den Ritt nach Paris.

Die Reise kühlte ihn aber etwas ab und ließ ihn überlegen, was für ein unsäuberlich, ja gefährlich Ding so ein anonymes Geschreibsel sei, womit man ihn leicht zum Narren haben oder gar in eine schlimme Falle locken konnte. Er nahm sich darum vor, in seinem Hause zunächst hübsch sachte aufzutreten, und nicht eher loszuschlagen, als bis er genau wußte, wo mit Sicherheit der Nagel auf den Kopf zu treffen wäre.

Seine Vertrauten, die er bei der Herzogin zurückgelassen, wußten ihm in der Tat nichts Verdächtiges zu melden, und sein eigener Argwohn fand, abgesehen von dem leckeren Aussehen des schmucken Felix, nichts Aufreizendes.

Seine Frau empfing ihn, wie er es nur erwarten konnte, und da sie in seiner Abwesenheit, besonders aber in der letzten Zeit, manches gelernt hatte, was sie jetzt mit Nutzen gebrauchen konnte, wußte sie dem unwirschen Kriegsmann derart im Bart zu krauen und auch das übrige rauhe Fell so sänftiglich zu streicheln, daß er fromm wurde wie ein Lamm, was bei einem Esel in der Löwenhaut und einem perfiden Weibchen in der Haut dieser Herzogin gerade nicht zu verwundern brauchte, sondern nur von neuem offenkundig machte, daß der berühmte Bart des berühmten Haudegens beträchtlich mehr in die schwarze als in die blaue Couleur hineinspielte.

Dergestalt geschmeidig wurde der rauhe Held, daß es ihm von Tag zu Tag unmöglicher schien, seinem weißen Schmeichelkätzchen ein Leid zu tun.

Nur der Kämmerling Felix stach ihm wie ein spitziger Dorn in die Augen. Denn in Wahrheit wußte der glorreiche Herzog um so mehr – der Teufel mochte es ihm vernehmlich genug zuflüstern –, je weniger er sich zu glauben den Anschein gab. Und wenn der ehebrecherische Geruch seiner Frau ihn auf wahrhaft schändliche Weise schwach machte, dem Milchbart von Knaben gegenüber fühlte er sich bei Gott Mannes genug. Mit seiner Frau mochte das nun sein wie es wollte – Sicheres weiß ein Mann ja ohnedies nie –, aber der Bube sollte seiner wenigstens nicht spotten.

Zuerst wollte er den Felix unter irgendeinem Vorwand aus dem Hause werfen lassen. Doch von dieser weichherzigen Milde kam er schnell zurück. Er gedachte dann einen Mörder zu dingen, der dem Gecken den Garaus machte. Das aber schien ihm gefährlich. Mörder plaudern manchmal. Und sogar einem Herzog konnte, und sogar in jenem freien und liberalen Jahrhundert, ein Mord wenigstens einen schweren Beutel Gold als Buße kosten. Ein Ehemann aber hat darauf zu halten, daß er in allen Unternehmungen ökonomisch zu Werke gehe. Er mußte die Sache also feiner angreifen, und wirklich bewies er, daß das Rachebedürfnis selbst einen albernen Menschen zeitweilig zum Schlaukopf macht.

War es wirklich im Ernst und ein Ausdruck ruchloser weiblicher Teufelei und Undankbarkeit, oder war es nur zum Schein, um dem Herzog die Schlafmütze vollständig über den gegabelten Schmuck zu ziehen: kurz, die schöne Herzogin behandelte ihren Kämmerling seit der Ankunft ihres Eheherrn einigemal geradezu mit grausamer Härte. Der Herzog lächelte erst dazu, aber eines Tages stellte er sich, als ob ihn die ungerechte Strenge seiner Gemahlin empöre.

»Das darf nicht so weitergehen,« sagte er mit geheucheltem Unwillen, »tritt mir den Burschen ab, wenn du unzufrieden mit ihm bist.«

Darein willigte die Dame, ob gern, ob mit heimlichem Bedauern, läßt sich nicht sagen, und der Herzog machte Felix zu seinem Pagen. Ja, er zeichnete ihn dergestalt vor seinen übrigen Dienern aus, daß alle neidisch auf ihn wurden und jeder gern eine Gelegenheit ergriffen hätte, den neuen Günstling zu verderben.

Diese schien sich wirklich darzubieten. Mit Jeannette, der länglich dürren Zofe der Herzogin, pflegte der säbelbeinige Narziß, der Furier des Herzogs, hie und da nächtlicherweise zusammenzuschlüpfen, und da geschah es, daß einmal die Jeannette ein Glas mehr als sonst von dem für ihren Geliebten auf die Seite gebrachten Burgunder getrunken hatte. Infolge davon plauschte sie dem zärtlichen Narzissus Dinge ins Ohr, worüber diesem, der den Felix vor allen haßte, das Herz so im Leibe lachte, wie nach der Beschreibung gewisser Homiletiker sonst nur die kleinen Teufel in der Hölle lachen. Die listige Jeannette hatte sich nämlich, so wenig sie die anderen merken ließ, wegen der felizianischen Schreiberdienste und Schreiberkünste niemals die bekannten blauen Dünste vormachen lassen.

Und von jenen Künsten und Dingen erzählte sie nun schäkernd dem aufhorchenden Narziß, wie eben nur ein derartiges Mädchen von solchen, wie ihm schien, höchst spaßigen Dingen erzählen kann. Und sie kitzelte damit dem säbelbeinigen Furier dergestalt das Ohr, daß er diese ganze Nacht keinen Schlaf fand, auch dann nicht, nachdem er sich von der länglichen Jungfrau weggestohlen und seinen eigenen Strohsack aufgesucht hatte. Dennoch fühlte er sich sehr zufrieden und weit davon entfernt, den verlorenen Schlaf zu bedauern. Er hatte nun den Günstling Felix in der Hand, konnte ihn verderben. Und wahrlich, an ihm sollte es nicht fehlen.

Nur hieß es vorsichtig sein. Mit der Tür ins Haus zu fallen, schien ihm nicht geraten. Einzig mit versteckten Anspielungen den Herzog nach und nach argwöhnisch zu machen, konnte zum Ziele führen.

Dabei ließ der gute Narziß außer Rechnung, daß der grimmige Herzog sich längst mehr als mit einem vagen Argwohn trug. Denn als er einige Tage darauf bei günstiger Gelegenheit seine wohlausgedachte leise Anspielung vor dem Schwarzbart fallen ließ, fühlte er sich auch schon von seinem Herrn, der auf einmal einen furchtbaren Scharfsinn verriet, an der Gurgel gepackt und so geschüttelt, daß sein dicker roter Kopf braun wurde wie eine Blutwurst.

»Man munkelt, Schurke,« brüllte ihn der Herzog an. »Wer? Wer munkelt? Heraus mit der Sprache oder du bist des Teufels.«

»Jeannette,« keuchte Narziß, und es war höchste Zeit, den Namen hervorzuwürgen, denn schon im nächsten Augenblick hätte ihm der Atem gänzlich dazu gefehlt.

»Hund von einem Hund,« brüllte der falsche Blaubart von neuem, sich wohl bewußt, daß er jetzt energisch auftreten müsse, wenn er es verhindern wolle, daß seine Ehre von den Lakaien durch die Gosse geschleift werde.

Und dann raste er hinaus, und wo er die längliche Jeannette fand, ergriff er sie bei den Haaren und schleifte sie vor die Herzogin.

»Hier, verdammtes Luder,« rief er, »vor dem Angesicht deiner Herrin wiederhole deine Lästerrede.«

Wenn nun die Jeannette die Person gewesen wäre, um dem herzoglichen Paar die Wahrheit frech und unbeuglich entgegenzuhalten, würde sie den Blaubart in keine geringe Verlegenheit gebracht haben. Aber sie war eines solchen Gedankens jetzt nicht fähig, und in Wahrheit liebte sie ihre Herrin ebensosehr, wie sie den ungehobelten Soldaten von Ehemann fürchtete. Sie hatte auch längst bei sich ihr unvorsichtiges Geplauder aufrichtig bereut.

Und also tat sie jetzt nichts anderes, als einzugestehen, was sie geschwätzt habe, sei eine leichtsinnige, nichtsnutzige Verleumdung, und händeringend die Herzogin um Gnade anzuflehen, die hoheitsvoll und unbeweglich dastand, ohne mit einer Wimper zu zucken, wie wenn der ganze häßliche Auftritt sie nichts anginge.

»Auf den Kehricht mit dem Aas,« brüllte der Herzog. Um den kleinen kinderhaften Mund der Herzogin aber spielte jetzt ein feines Lächeln, das jedoch ihre Rosenblattlippen nur unmerklich kräuselte, dann wandte sie sich stolz hinweg. Narziß und Jeannette wurden noch zur Stunde aus dem Dienst gejagt.

 

Das sind äußerliche Vorgänge, die sich leicht erzählen lassen. Und auch das, was in der Seele der schönen Herzogin vorging, könnte man wohl, zum Teil wenigstens, erraten aus ihrem Lächeln, als welches ein Poet vielleicht, bei einem weniger kinderhaften Mund, weniger taubenfrommen Augen und – weniger Puder auf den Wangen und Schminke unter den Schläfen, mit dem grausamen Lächeln jener Wesen verglichen hätte, die man mythologisch ungalant Sphinxe zu nennen pflegt. Denn dieses Lippenkräuseln ist schon von den Weisen des Altertums nicht ungeschickt gedeutet und erraten worden.

Wer aber wollte erraten und aussprechen, was unter diesen sonderbaren Erlebnissen in stiller Nacht dem neugebackenen Günstling des Herzogs durch Herz und Hirn jagte, dem Knaben Felix, für den das Wort Liebe so etwas ganz anderes bedeutet hat, als es geschrieben stand im Goldschnittlexikon der schönen Herzogin, etwas so fremdartig anderes, nämlich Tod und Leben, Gott und den Teufel, Abgrund der Hölle und höchsten Gipfel alles Glückes, Süßestes und Bitterstes der Welt im goldenen Kelch der Schönheit.

Armer Felix, der sich den Göttern gleich gefühlt, ahnungslos, nichts anderes zu sein, als ein verächtliches Werkzeug der Rache in den Händen der Dame von Olonne.

Und sagt, was ist zerbrechlicher als ein Werkzeug? Ja, was ist angefochtener in seiner Existenz als sogar ein Gott? Denn, wer zählt die Götter, die, gleich wie man mit einem verbrauchten Handschuh tut, achtlos vom Menschen beiseite geworfen wurden und nun in den dunkelsten Rumpelkammern der Weltgeschichte, nur von staubigen Gelehrten beachtet, ein ruhmloses Dasein führen, das schlimmer ist als der Tod?

Und – wenn dieser Sprung vom Höchsten zum Niedersten erlaubt ist – habt ihr schon gesehen, wie ein alter ruppiger Kater sich ein zierliches Mäuslein fing und nun damit spielte und es vor sich tanzen ließ und sich nicht genugtun konnte, immer neue Lust zu trinken aus dem irren flimmernden Blick der kleinen schwarzen Äuglein und der todesbangen zitternden Qual des armen Dings, das nicht weiß, wo aus und ein in seiner Angst, und vor dem Kater tanzen muß und Männlein machen und den Schwanz ringeln, wenn es auch vergehen will unter den großen glühenden Augen und ihren grausam harten Blicken?

Ob der Knabe Felix ahnte, daß er ein solches Mäuslein sei?

Sicher ist so viel, daß er sich zwei Tage mit dem Gedanken trug, in aller Stille Reißaus zu nehmen und sich im dunkelsten Rattenloch der dunkelsten Gegend von Paris zu verstecken. Und das hätte ihm bei gutem Glück wohl gelingen mögen, trotz der Tücke des Herzogs, der ihn nicht aus seinen Augen ließ. Aber indem er überlegte, schien es ihm, daß eine solche Flucht eine Felonie und schnöder Verrat wäre an seiner schönen Herrin und er dachte nicht mehr daran.

Der bärtige Herzog aber, nachdem er also die Blankheit seines Schildes und die Ehrensäuberlichkeit seines Ehebettes mit viel lautem Geschrei dargetan, setzte sich abermals zu Pferd und ritt auf die Stadt Nanzig, wo sein Regiment sich ausruhte von den Mordbrennereien und anderen schönen Dingen auf »eien« drüben in der Pfalz am Rhein.

Und mit ihm ritt Felix, sein neuer Page. Die Stadt Nanzig, die erst nachher unter dem vertriebenen Polenkönig Stanislaus Leszczynsky seligen Angedenkens eine so schöne und große Residenz wurde, schien zu jener Zeit ganz in ein wildes Kriegslager verwandelt. Das hinderte nicht, daß der gestiefelte Kater von Herzog seinen Knaben Felix nur mit dem süßesten Zuckerbrot fütterte, ihn tätschelte und hätschelte und ihm vor allen anderen soviel Liebe und Güte bewies, als ein solcher Eisenfresser, und wenn es auch bloß zum Schein war, eben aufzubringen vermochte. Wodurch einige Gescheitlinge sogar auf den Verdacht gerieten, der schöne Page sei in aller Heimlichkeit des Herzogs eigenes Kind, oder gar ein verkleidetes Mädchen, oder sonst ein Vogel ungewöhnlicher Art.

Diesem letzteren Schein zum Trotz aber ritt der Bärtige öfter des Abends weg, und wie die Rede ging, besuchte er dann sein verstecktes Liebchen auf dem einsamen Schlosse Precigny, viel Meilen weit draußen in der Landschaft, wo das lothringische Land an das Herzogtum Luxemburg grenzt. Auf diesen Ritten durfte ihn niemand begleiten als nur einmal sein treuer Felix, der aber vor den Toren jenes Schlosses umkehren und allein nach Hause reiten mußte.

»Es war nur, damit du dir den Weg merkest,« sagte der Blaubart, »denn es mag der Tag kommen, wo du diese Wissenschaft brauchen kannst.«

Und so geschah es. Denn schon drei Tage darauf übergab der Herzog seinem Pagen einen Brief, mit dem sollte er bei Einbruch der Nacht hinausreiten nach Schloß Precigny, und in dem hohlen Lindenbaum links vom Tor sollte er die herzogliche Botschaft niederlegen, denn so sei es mit jener Dame abgeredet.

Und Felix machte sich zur festgesetzten Stunde auf den Weg. Auch hätte ihm der Ritt sehr gefallen ohne den Zwang, unaufhörlich auf den Weg achten zu müssen, den er nicht verfehlen durfte, also daß er mit Gewalt sich zusammennehmen mußte, um gewisse Träume von sich zu scheuchen, die aus seiner Phantasie emporstiegen und ihn lockend umgaukelten, gleich den weißen Gestalten tanzender Feen, deren flimmernder Schein seinen ruhigen Blick gänzlich zu verwirren drohte.

Denn er ahnte nicht, daß ihm nur wieder jener Zauberspiegel der Dame von Olonne vor Augen stand, nur daß er jetzt nichts Zukünftiges darin sah, sondern Vergangenes, und doch die gleichen Dinge, nur deutlicher und bestimmter und in wärmeren Lichtern und brennenderen Farben, und ganz schleierlos in blühender Körperlichkeit, solche Dinge, die sogar den heiligen Antonius in der Wüste toll gemacht hätten: also daß es ihm wieder heiß und kalt durch die Nerven rann und er nicht wußte, waren es verzehrende Wollustschauder oder Schauder des Todes, die ihn anfielen.

Aber zwischen all den Gesichten schien es ihm einigemal nicht anders, als ob sich ihm eine Hand auf die Schulter legte, wovon ein Frösteln ausging, das ihn bis ins Mark hinein durchkältete. Und wurde sich's dennoch nicht bewußt, daß er nicht allein in die herbstliche Nacht hineingaloppierte, sondern, daß einer ihm zur Seite ritt, leis und lautlos.

»Halt, Geselle,« wurde er plötzlich von einer Stimme angedonnert.

Aus dem Weidengebüsch am Wege war ein Reiter hervorgesprengt, hatte den Pagen mit einem Ruck vom Gaul heruntergerissen und zu Boden geschleudert.

Schneller als man es denken konnte, war es geschehen. Ein schweres hartes Knie bohrte sich in den Leib des hingeworfenen Jünglings, eine nervige Hand umkrallte ihm den Hals, und zwei furchtbare Augen funkelten nieder auf den Wehrlosen.

An diesen Kateraugen, die unter buschigen schwarzen Brauen unheimlich wie aus dunklem Gestrüpp hervorglühten, erkannte der Knabe seinen Herrn.

»Du mußt sterben,« fauchte der Herzog, »aber zuvor sage mir die Wahrheit, wie stand es mit der Herzogin?«

Diese Worte rissen Felix aus seiner Betäubung. Aber er wunderte sich nicht, daß er sterben mußte. Er hatte seit langem den Tod gesehen am Ende dieser Dinge und seinen Hauch gespürt; er hatte sich nur gewundert, wie es möglich sei, daß er immer noch lebte. Vorhin war's ihm nicht zu Besinnung gekommen, aber jetzt wußte er's: auf dem ganzen Weg war der stumme Freund neben ihm hergeritten, und mitten in seinen sündlich-poetischen Liebesphantasmagorien hatte er von Zeit zu Zeit dessen kalte knöcherne Hand auf seiner Schulter gefühlt.

Er befand sich also in Fassung, und stolz salutierte seine Seele den Tod.

Dann wandte er sich mit seinem Wort an den Herzog, und der ein armer Kämmerling war und dann ein Page, bewies in seinem letzten Augenblick einen hohen ritterlichen Sinn oder wie man es nennen mag.

»Ist mein Herr unter die Wegelagerer gegangen,« sprach er, »so wird ihn nichts hindern, mich zu töten; aber ein feiger Buschklepper und Gurgelschneider hat kein Recht, nach jener schönen Frau zu fragen, in deren Blicken der reine Strahl des Himmels leuchtete und von seltener Güte und Hoheit erzählte, deren süßer Mund sich nur auftat zu lieblichster Frauenrede, deren Gemüt sich sanfter erwies als das Halsgefieder einer Turteltaube, deren Seele weißer glänzte als das untadelige Rund ihrer unschuldvollen Stirne, deren Atem...«

Weiter kam der Jüngling nicht. Ein kalter Stahl durchbohrte ihm das heiße Herz. Die schwärmerischen Worte und ein Ton von Überlegenheit und Todesverachtung hatten dem Herzog genügt.

Mit dem Westenschoß des Ermordeten wischte er sich den blutigen Dolch ab, schwang sich auf sein Pferd und ritt davon in der Richtung der Stadt Nanzig. Aber siehe da, der eisenfeste Herzog, dieser Menschenmörder von Beruf, sollte diesmal nicht ohne Schrecken davonkommen.

Kurze Zeit ritt er so in der herbstlichen Nacht dahin zwischen den kahlen Ulmen der Straße, die, wenn der Mond für Augenblicke durch die jagenden Wolken blinkte, mit ihren langen Schatten wie Gespenster nach ihm zu greifen drohten. Dann hörte er plötzlich hinter sich etwas traben, er drehte sich um und ein kaltes Entsetzen packte ihn an.

»Beim Gestank des Teufels!« fluchte er.

Denn was sollte das dumpfe Getrabe zu bedeuten haben? War das gar der Geist des Pagen, der ihm auf dem Fuße folgte?

Der Herzog spornte seinen Hengst, der sich wiehernd aufbäumte und, wie behext, nicht von der Stelle wollte. Ein anderes Wiehern antwortete, weicher, wie klagend.

Am Klang erkannte der Herzog die Stute des Ermordeten. Und von neuem gab er dem Hengst die Sporen, der sich noch toller und verteufelter gebärdete und durch nichts von der Stelle zu bringen schien. Zitternd suchte der Herzog nach dem Rosenkranz in der Tasche. Der Teufel konnte auch etwas Gescheiteres tun, als sich einen solchen Scherz mit ihm zu machen. »Hol der ... Corpus christi... Ave Maria...«

Ganz nahe wieherte die Stute des toten Felix, nah und näher klang ihr Hufschlag, dann noch wenige Augenblicke, und sie stand Kopf an Kopf, jetzt freudiger und lauter herauswiehernd, an der Seite ihres Kameraden, dem Herzog die Knie streifend, der plötzlich eine laute Lache aufschlug. Es klang fast, wie wenn er sich damit seines Mutes erst versichern wollte.

Er hatte aber begriffen. »Verdammte Schindmähre,« fluchte er, »mich zu foppen.« Und plötzlich fiel ihm ein, daß er ja nicht mit dem leeren Pferd nach Hause kommen dürfe.

»Dummes Vieh, du bist selber in dein Verderben gerannt,« sprach er, zog eine Pistole aus dem Gurt und schoß der armen Stute zwei Schüsse in die Schläfen, worauf sein Hengst entsetzt mit ihm davonraste.

Einen großen Lärm machte der Herzog am anderen Tage, als ihm die Auffindung des toten Felix und seines Pferdes angezeigt wurde. Und da es sich gerade traf, daß ihm zugleich von einigen verdächtigen Streifzügen der Luxemburger Reiterei Meldung geschah, griff er den glücklichen Zufall am Schopf und bezichtete laut die Luxemburger des Mordes. Er ließ sofort aufsitzen, brach mit seiner Schwadron über die Grenze und brannte, obwohl der feindliche Befehlshaber ihm eiligst die weitgehendste Entschädigung anbieten ließ, den Bauern drei Dörfer über dem Kopfe ab und vier andere überließ er der Plünderung seiner Dragoner.

Dann kehrte er in sein Quartier nach Nanzig zurück, mit dem Gefühl unter dem Brustlatz, just an dem Fleck, an den die Moralisten sonst das Gewissen verlegen, daß er seine Sache gut gemacht habe.

Nach Paris kam er erst vier Monate später, und wieder empfing ihn die Frau Herzogin, wie er es nur erwarten konnte. Sie hatte auch die triftigsten Gründe zu ihrer Liebenswürdigkeit.

Über die ehemalige Drohung des Blaubarts, daß er sie mit seinen Händen erwürgen und ihre Seele brühwarm dem Teufel in den Schlund jagen wolle, lachte sie zwar längst, aber sie hatte dennoch ihre triftigen Gründe. Der Marquis von Beuvron hatte seit Monaten die Gräfin von Olonne infolge eines bösartigen Handels aufgegeben und war der Freund der Herzogin geworden, als Nachfolger des Grafen Olonne, der dem Marquis also doch, trotz seiner Ungeschicklichkeit, zuvorgekommen sein mußte.

Der bärtige Herzog empfing den Marquis als Mann von Welt. Und als der Marquis nicht allzu lang danach den Bischof von Evreux und dieser in noch kürzerer Frist den Generalpächter Hannetoux als Ersatzmann bekam, ließ sich der Bärtige nicht nur von dem Mann der Kirche, sondern auch von dem Pächter der königlichen Gefälle und später noch von vielen anderen aus allen möglichen Ständen herauf und hinunter über den Löffel barbieren, wie man zu sagen pflegt, schon zufrieden, daß ihm trotzdem die Barbierer seinen schönen Bart ungeschoren ließen.

Woraus denn jedermann, der es etwa noch nicht gemerkt haben sollte, leichtlich ersehen mag, daß dieser Ritter ohne Furcht und Tadel sich zwar Held genug wußte, meuchlings einen milchbärtigen Knaben zu morden; daß aber sein Bart deswegen, was auch einige leichtgläubige Gimpel und mehrere phantastische Romantiker glauben mochten, keineswegs ein Blaubart war, sondern schwarz wie die Nacht und dunkel und schimmerlos wie die Dummheit, auch schlicht und ungekräuselt wie die Einfältigkeit, kurz ein Bart wie irgendein anderer ordinärer Ehemannsbart auch, in den nur je ein bramarbasierender Tropf seine Suppe, so ihm die Gnädige eingebrockt, ruchlos vertröpfelt hat.


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