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Die Äbtissin von La Joye

Die großen Barone waren es eben, die im Laufe des Mittelalters die zahllosen weiblichen Abteien gegründet und so reichlich und überreichlich begabt hatten, und wenn nun in späteren Jahrhunderten dieselbe hohe Aristokratie dieselben reichen Abteien ein wenig als ihr Eigentum und als Versorgungsanstalt für ihre überzähligen Töchter betrachteten, ließ sich dagegen vom Standpunkt der weltlichen Gerechtigkeit nicht viel einwenden; eine Aristokratie darf ihre Besitztümer nicht zersplittern, wenn sie sich nicht selber schwächen und zuletzt gar vernichten will.

Freilich sollte der Eintritt in ein Kloster im Sinn einer religiösen Selbstopferung geschehen, der ein sehr strenger Sinn ist. Daß aber ein solcher bei den zahllosen Aristokratentöchtern, fürstlichen, herzoglichen, gräflichen und so weiter zuletzt sehr oft fehlte, weil man sich mit einer Abtei vor allem gut und standesgemäß versorgen wollte, und daß also mit der weltlichen Gerechtigkeit auch ein ausgesprochen weltlicher Sinn in die Klöster seinen Einzug hielt, das ließ sich nun einmal nicht vermeiden in einer Welt, wo auch die göttlichen Dinge (wenn wir sie so nennen wollen) von menschlichen Händen verwaltet werden und seien es auch Hände von Königstöchtern und noch so reinliche und zarte und durchgeistigte Hände, als welche aber, wie alles Köstliche, immer ein wenig zu den Ausnahmen und Seltenheiten gehören.

Ob die hochehrwürdige Äbtissin von La Joye in der Stadt Auxerre sie besaß? Eine Königstochter war sie nicht, aber immerhin aus hohem herzoglichen Hause und gewiß nicht schlechter als viele andere, die vor ihrem Unglück bewahrt geblieben sind. Und wenn auch ihr Kloster sich des schönen Namens La Joye erfreute, den ein wüster Frechling sogar mit dem deutschen Namen Freudenhaus in Beziehung bringen könnte, so hätte doch in der ganzen Stadt Auxerre niemand gewagt, ihr reiches Haus, und es war sehr reich, irgendwie der Unsittlichkeit oder auch nur der Unordentlichkeit zu zeihen.

Doch freilich etwas weltlich, wie eben überall damals, verlief das Leben auch in La Joye, besonders in der Prälatur, der üppig ausgestatteten Abbatialwohnung ihrer Hochehrwürden, denn so nannte man die Äbtissin trotz ihres zarten Alters von zweiundzwanzig Jahren und aller sonstigen Zartheiten und Gebrechlichkeiten, die in einem solchen Fall unter den faltenreichen, keuschen Gewändern des Ordens der heiligen Ursula versteckt sein mochten.

Ja, etwas weltlich ging es zu. Die Herrin dieser reichen Abtei gehörte, und nicht nur als Äbtissin mit fürstlichem Einkommen, sondern noch mehr als das Kind einer alten herzoglichen Familie, zu den vornehmsten Persönlichkeiten der Stadt, die jedes Haus hoch beehrte, das sie gastlich zu besuchen sich herabließ. Und bei der selber gesellschaftlich zu verkehren, bedeutete in der altangerauchten Stadt Auxerre kaum weniger als der Verkehr bei Hof für den Hochadel von Versailles, ganz abgesehen von dem bezaubernden Reiz der jungen, zarten Wirtin, ihrer Hochehrwürdigkeit zum Trotz.

Als echte französische Herzogstochter – ihr Vater galt mit Recht für die glänzendste Persönlichkeit am Hofe des vierzehnten Ludwig, was etwas heißen will – verfügte sie reichlich über alle die Talente, welche auch die verfeinertste Geselligkeit an den Menschen stellen kann, und doch glänzte sie nicht so sehr durch Geist, diesem bekannten Vorzug ihrer Rasse, ihrer Familie und ihres Herkommens, worin es ihr aber andere zuvortaten: als durch ihre Begabung und Leidenschaft für Musik, für die sie, und böse Menschen haben ja keine Lieder, vor allem zu leben schien.

Wer sich in dieser Neigung und entsprechendem Talent ihr verwandt fühlte, gewann leichter ihre Freundschaft als die übrigen, und dieses Vorzugs durfte sich besonders der Marquis von Lavardin rühmen, der als blutjunger Leutnant bei dem Regiment Gaston zu Auxerre in Garnison stand und der so entzückend die Laute spielte, daß sogar der alte Heidengott Apollo auf ihn hätte neidisch werden können, um so mehr, als der angehende Krieger in seiner Uniform in Rot und Weiß dem Schinder des armen Flötenbläsers Marsyas auch an jugendlichem Schönheitszauber kaum nachstand.

Er wurde darum von vielen beneidet; denn die hochehrwürdige Äbtissin von La Joye mit ihren zweiundzwanzig Jahren begnügte sich bald nicht mehr damit, und das war gewiß eine große Unvorsichtigkeit, den süßen Lautenschläger niemals bei ihren größeren oder kleineren Gesellschaften fehlen zu lassen, sie berief ihn auch in außergesellschaftlichen Stunden immer häufiger zu sich in ihre privatesten Gemächer, nicht gerade, um mit ihm den Rosenkranz zu beten, denn Uno con una non dicunt pater noster, aber um ihren Gesang, der ihr das halbe Leben bedeutete, durch sein zartes Saitenspiel zu beleben und zu erhöhen.

Und da konnte es denn nicht fehlen, daß zwischen der hochehrwürdigen Mutter Äbtissin, unter deren heiligen Gewändern sich nun einmal ein junges Mädchen von zweiundzwanzig Jahren verbarg, und dem apollohaften Leutnant ganz langsam jene nicht gerade seltene aber vorkommendenfalls immer wieder wie ein Himmelswunder angestaunte Blume aufwuchs, deren mächtig gewaltiger Duft auf Sinn und Gemüt eine so beglückende und berückende, ja manchmal verhängnisvolle Wirkung übt, die zu unsagbarer und unfaßbarer Beseligung, zum jauchzenden Höchstgefühl des Lebens, zu den glühendsten Gipfeln alles Daseins oder auch, je nach Ort und Umständen, und ein Kloster besonders ist ein solcher Ort, in Schmach und Schande, in Tod und Verdammnis führen kann.

Denn es steht nun einmal so, und nicht nur die Gärtner wissen dies, daß wir uns gerade bei den wundersamsten Blumen und Blüten vielfach mit deren Schönheit und Duft gern begnügen und an ihre Frucht vielleicht nicht einmal denken; ja Ort und Umstände, und ein Kloster besonders ist ein solcher Ort, mögen es mit sich bringen, daß eben der Gedanke an die Frucht sich sehr wenig erfreulich ausweist und sogar, sobald er zur Gewißheit zu werden droht, mit Schrecken und Entsetzen erfüllt.

Und mit Schrecken und Entsetzen bekam es auch die Äbtissin von La Joye, als durch erst kaum merkliche, dann aber immer deutlichere Anzeichen die unerbetene Frucht sich derart in Aussicht stellte, daß dem guten Herzogentöchterlein kaum noch ein Zweifel, aber um so mehr Hoffnung, sozusagen gute Hoffnung blieb, die aber dennoch, dem Ort und den Umständen gemäß, für sie keine gute bedeutete.

Vielmehr geriet sie darüber in die äußerste Verzweiflung, um so mehr, als ihr noch obendrein die Möglichkeit fehlte, sich mit dem Marquis von Lavardin vertraulich auszusprechen und dabei einigen Rat und Trost einzuheimsen.

Denn der Frühling war angebrochen – die Äbtissin machte aber deswegen doch keinen Schritt mehr in ihren Garten, so prangend und verlockend er da drunten lag, sie mochte keine Blumen mehr ansehen, und die stolzen weißen Lilien, aus deren Grund es wie mit goldenen Sporen hervorstach und die sie einst so sehr geliebt, sie machten ihr das Herz weh, seitdem sie ihr Geheimnis verstand. – Der Frühling war angebrochen und mit ihm blühten nicht nur die friedlichen Blumen neu auf, die leuchtenden goldenen Schlüsselblumen und sanften blauen Veilchen, sondern auch die Schwertlilien und Rittersporne und Eisenhüte, da es damals keinen Frühling gab in Frankreich ohne Feldzug, sei es über den Rhein oder die Pyrenäen, sei es an die Schelde oder in den Jura, und auch der Marquis von Lavardin war mit seinem Regiment ins Feld gezogen.

Da wurde die junge Äbtissin von Tag zu Tag blasser und leidender aussehend, sie sang keinen einzigen Ton mehr, wie sehr auch die Amseln und Drosseln von den hohen Baumwipfeln des Parks herüber sie aufzufordern schienen. Auch ihre Einladungen gab sie auf wie ihre Besuche in der Stadt und hielt sich streng zurückgezogen in ihren innersten Gemächern.

Die Nonnen hielten sie für schwerkrank, doch wollte sie von keinem Arzt hören, nur als man ihr von einer Badereise sprach – sie pflegte alljährlich eine solche zu machen, wenn auch zu späterer Jahreszeit, und zwar in die Bäder von Bourbonne – schien ihr der Vorschlag einzuleuchten. Doch schob sie die Reise immer wieder hinaus, sei es wegen der Bangigkeit ihres Zustandes oder aus falschen Berechnungen oder sonstwelchen Gründen. So vergingen denn mehrere Monate, ehe sie endgültig ihren Entschluß faßte, der Frau Priorin die nötigen Vollmachten ausstellte und dann den Reisewagen rüsten und ihren Koffer packen ließ; wobei sie von seiten ihrer guten Kinder, der Nonnen nämlich, trotz deren Ahnungslosigkeit dem zärtlichen Vorwurf nicht entging, daß sie in unverantwortlicher Weise und wahrscheinlich zu ihrem Schaden viel zu lang gezögert habe. Und damit hatte es denn auch seine Richtigkeit, wie sie dies aufs grausamste nur allzubald erfahren mußte.

Doch nun befand sie sich auf dem Weg, wohlverpackt mit den zwei dienenden Schwestern in dem geräumigen, hochgetürmten Wagen – auf dem Weg nach den Bädern von Bourbonne. Doch schon bei der nächsten Straßenkreuzung, nach ungefähr einer Stunde Fahrens, befahl sie dem Kutscher, nordwärts abzulenken und den Weg auf Fontainebleau zu nehmen, wo sie ein Geschäft zu erledigen habe.

Sie wollte nicht nach den Bädern von Bourbonne, sie hatte sich die Sache anders überlegt. Ihre Gedanken standen auf Paris, als ihren Absichten dienlicher als der kleine vielbesuchte Badeort, wo man sie von früher her kannte und wo außerdem in einigen Wochen die große Welt zusammenkam, was sie damals, in jenen lustigen Tagen und mit dem Nachtigallengesang in ihrer Kehle sehr erfreulich fand, ihr aber in ihrer jetzigen gar nicht mehr lustigen und gar nicht mehr singerlichen Stimmung nicht anstand.

Bei dieser Überlegung war ihr die alte Pensionsfreundin in den Sinn gekommen, ihre Herzensvertraute von ehemals im Kloster zu Chaillot, mit der sie noch immer hie und da Briefe wechselte. Diese hatte sich unterdessen verheiratet, war dann früh Witwe geworden und lebte nun, zwar von gutem Adel aber arm, zu Paris in großer Zurückgezogenheit und höchst beschränkten Verhältnissen. Bei ihr sicherer als irgendwo, hoffte sie von ihren Wehen und Ängsten zu genesen.

Drei Tage Fahrens auf schotternden Wegen und sechsmaligen Pferdewechsels bedurfte es, bis sie bei einbrechender Nacht endlich den kleinen Ort Fontainebleau erreichte, von wo sie des andern Tags allein und mit Benutzung des Postwagens die letzte Strecke nach Paris zurückzulegen gedachte.

Ein noch kleinerer Ort als heute war damals Fontainebleau, doch vornehm, und bequeme Gasthäuser gab es da in erklecklicher Anzahl; denn wenn, wie es im Jahr zweimal geschah, der Hof dort weilte, da reichten die Räume des alten zierlichen Königsschlosses bei weitem nicht aus, all das Volk zu beherbergen, all diese glänzenden und vornehmen Herrschaften mit ihrem Bediententroß, das alles dem König folgte überallhin und ihn in ewiger Aufgeregtheit umdrängte wie ein Bienenschwarm.

Zum Unglück der Äbtissin von La Joye weilte nun gerade auch jetzt der Hof zu Fontainebleau, infolgedessen sie alle besseren und mittleren Gasthäuser vollgepfropft fand von oben bis unten mit Herrschaften und Dienerschaften und zuletzt froh sein mußte, in der sehr volksmäßigen Hotellerie zu den zwei Schwertern noch ein einziges notdürftiges Zimmer zu ihrer Verfügung zu finden, und auch dieses Haus wimmelte von Lakaien aller Art.

Wo nun aber der König Hof hielt, da durfte am wenigsten der Mann fehlen, der uns von den deutschen Höfen und Höfchen her unter dem Titel des Oberhofmarschalls bekannt ist. Unter dem vierzehnten Ludwig hieß er des Königs Großkämmerer. Und wer war dieser Mann?

Man begegnet ihm bei den Chronisten der Zeit bald unter dem Namen des Herzogs von Beauvilliers, bald unter dem des Herzogs von Saint-Aignan, denn der König hatte auch dessen Grafschaft von Saint-Aignan zum Herzogtum erhoben, hatte ihn überhaupt reich und mächtig gemacht über alle und selbst seine Töchter dabei nicht vergessen, von denen die zwei jüngsten mit den reichsten Abteien ausgestattet worden, die außer dem königlichen Maubuisson damals in Frankreich zu vergeben standen.

Und selbstverständlich (in jener Zeit) bekleidete der allmächtige Hofmann noch eine Menge anderer Ämter außer dem des Großkämmerers, er besaß den Generalsrang in der Armee, bezog die Einkünfte zweier Statthalterschaften und wurde öfter zu vorübergehenden heimlichen oder öffentlichen Botschaften verwendet; kurz, er war ein ganz Großer und überdies der persönliche Liebling und Vertraute des Königs, der keinen andern seiner Höflinge so angenehm unterhaltend fand als diesen Herzog von Beauvilliers, als welcher immer die letzten und pikantesten Neuigkeiten aufzutischen und höchst spaßhaft aufzutischen verstand, worin höchstens noch der andere Liebling des Königs mit ihm zu rivalisieren vermochte, jener etwas abenteuerliche Herzog von Lauzun, von dem damals sogar hinsichtlich einer Base des Königs, der sogenannten Grande Mademoiselle, die seltsamsten Gerüchte umgingen.

Auch waren beide sich ihrer Gegnerschaft wohl bewußt und haßten sich gegenseitig herzlich bei aller noch so vollendeten Liebenswürdigkeit der Formen. Im großen und ganzen aber wußte der zwar in der Tat weniger geistreiche aber umtulichere und vor allem weniger wählerische Beauvilliers, wie das meistens so geht, den Vogel abzuschießen und den heikleren Lauzun zu übertrumpfen.

Nur in dem vorliegenden Fall ist ihm sein Triumph ein wenig daneben geraten. Es geschah das am Morgen nach der Ankunft der Äbtissin von La Joye zu Fontainebleau. Schon lang nicht mehr hatte der königliche Großkämmerer, während ihn seine Diener ankleideten, so unzufrieden und verdrießlich vor sich hingeblickt; denn in einer halben Stunde bereits sollte er beim großen » Lever« des Königs erscheinen (hinter welchem geheimnisvollen Wort sich etwas so königlich Vornehmes versteckt, daß es in unserer gut bürgerlichen deutschen Sprache gar nicht auszudrücken ist), sollte erscheinen und wußte nicht die geringste Neuigkeit, nicht die kleinste Anekdote, keinen einzigen Witz, kurz, einfach nichts, um seine Majestät damit zu regalieren. Bei Gott, er fühlte sich in einer mehr als peinlichen Lage.

Aber wo die Not am größten, da ist Gott am nächsten, sagt das gemeine Sprichwort, und das sollte auch der Herzog von Beauvilliers erfahren. Seine Verzweiflung näherte sich bereits ihrem Höhepunkt, wie das Ankleidegeschäft seiner Vollendung, da, als gerade sein erster Kammerdiener am Boden kniend ihm als letztes die weißen Atlasschuhe mit den gewaltigen Schleifen an die Füße zu streifen im Begriff stand, da trat plötzlich sein Fourier herein, und das grinsende Gesicht und die ganze Person des kleinen Kerlchens zeigte an, daß etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein müsse.

»Was Neues? lieber Lenoire,« rief ihm der königliche Großkämmerer bereits erleichtert entgegen; »wahrhaftig, es scheint dir aus allen Poren zu schwitzen. Aber nun schnell, was gibt's?«

Eine tolle Geschichte gab's. Eine Geschichte zum Totlachen. Eine ganz unerhört närrische Geschichte. Auch war sie gewiß noch nicht in das Schloß gedrungen, und abgesehen von einigen Lakaien, die wie der Erzähler selber in den Zwei Schwertern wohnten, wußte gewiß noch niemand etwas davon außerhalb jenes Hauses, die Kameraden aber hatten ihm Verschwiegenheit gelobt.

Der allmächtige Doppelherzog mußte sich Gewalt antun, um dem herzigen Lenoire nicht vor freudiger Dankbarkeit um den Hals zu fallen.

Nun, Gott sei Dank, nun hatte er seine Neuigkeit. Und was für eine!

Und mit gehobener Brust wie ein Triumphator und siegstrahlend im ganzen Gesicht machte er sich auf – er wohnte als königlicher Großkämmerer natürlich im Schloß – machte er sich auf nach den Vorzimmern des Königs, die er bereits dicht erfüllt vorfand von Ministern, Generalen und Marschällen, von Grafen, Herzögen und Fürsten. Sein Eintritt rief eine kleine Bewegung hervor. Alle sahen es ihm sofort an, daß er etwas Ungewöhnliches in petto haben müsse!

Und von allen Seiten umringte man ihn. »Was ist los, liebster Herzog, was bringen Sie? Was haben Sie wieder einmal aufgefischt, Sie Glücklichster der Sterblichen.«

Und der Großkämmerer mit Würde: »Ja, meine Herren, Sie raten richtig. Eine Geschichte habe ich, Sie werden sich bucklig lachen.«

»Bitte, erzählen!« rief's von allen Seiten. »Bitte, allerliebster Herzog.«

Aber der königliche Großkämmerer machte die Miene schmerzlichen Bedauerns: »Ich muß Sie leider um Geduld bitten, meine Herren, erst vor Seiner Majestät.«

Ein fast kleines, aber äußerst zierlich gebildetes Herrlein mit schmal ausrasiertem blonden Bärtchen auf der Oberlippe, der Herzog von Lauzun, ergriff das Wort.

»Was wetten Sie, mein lieber Beauvilliers,« sagte er boshaft lächelnd, »was wetten Sie, ich weiß Ihre Neuigkeit.«

»Unmöglich,« rief der Großkämmerer leicht erblassend, »unmöglich; ich habe sie eben frisch aus der Quelle geschöpft.«

Aber da flüsterte der kleine Lauzun dem Großkämmerer leise etwas ins Ohr, wovon die Nahestehenden nur das Wort Äbtissin verstanden und worüber der Herzog von Beauvilliers einen Augenblick wie vernichtet stand. Mit aufgesperrtem Mund und fast blödsinnig aussehend stand er da, bevor er endlich den Gebrauch seiner Zunge wiederfand.

»Aber liebster Freund,« stotterte er, »Sie werden doch nicht, Sie werden mir doch das Vorrecht nicht streitig machen wollen.«

Der Herzog von Lauzun lachte lustig.

»Wo denken Sie hin, mein Lieber,« antwortete er, »bin ich denn so einer, der die andern um ihr Eigentum betrügt. Beruhigen Sie sich, ich erhebe keine Ansprüche, ich will Sie nicht um Ihr Autorenrecht bringen.«

In diesem Augenblick öffneten sich die Flügeltüren nach dem Schlafgemach des Königs und die Höflinge nahmen ihren Eintritt, streng nach der Rangordnung und unter Beobachtung der vorgeschriebenen Schritte, so viel nach links und so viel nach rechts nebst den dazugehörigen Kratzfüßen und tiefen Verbeugungen.

Seine Majestät hatte sich schon erhoben und auch die Nachtmütze mit der hohen Perücke vertauscht. Und wie beim Meßopfer am Altar vollzog sich die Händewaschung, der erste Kammerdiener hielt das goldene Becken unter, der zweite Kammerdiener goß vorsichtig das warme Wasser über die königlichen Finger, der diensthabende erste Kammerherr reichte das Handtuch. Dann wurde, wieder vom ersten Kammerdiener, feingefältet gleich der priesterlichen Alba, das Hemd gereicht, aber nicht dem König, sondern dem Herzog von Bourbon, dem vornehmsten im Rang unter den Anwesenden, der es seinerseits dem König nicht eben nur darbot, sondern ihn auch, über die hohe gepuderte Perücke hinweg, wobei er sich auf die Zehenspitzen strecken mußte, damit bekleidete, während die Majestät das Nachthemd darunter zu Boden gleiten ließ. Die Strümpfe, man konnte sich fast wundern, zog sich der König höchst eigenhändig an, in den amethystfarbenen seidenen Schlafrock half ihm wieder der erste Kammerdiener, worauf sich Seine Majestät an einem kleinen Tischchen zu Ihrer Schokolade setzte mit dem gemütlichen: »Nun, meine Herren, was gibt's Neues?«

In Wahrheit ging es nicht so rasch, noch vielerlei peinliche und sogar einige nicht ganz reinliche und mehr oder weniger umständliche Zeremonien mußten ebenfalls erledigt werden, doch haben diese mit der Geschichte weiter nichts zu tun, kurz, der König saß endlich vor seiner Schokolade, auf goldener Platte in goldener Tasse dargereicht, und geruhte endlich an diesem Tag sein erstes Wort zu sprechen, das gleiche und unvermeidliche wie an jedem Morgen: »Nun, meine Herren, was gibt es Neues?«

Auf diesen Augenblick hatte der Herzog von Beauvilliers mit brennender Ungeduld gewartet, und innerlich zitternd vor Angst, der kleine Lauzun könnte ihm doch noch zuvorkommen, schoß er nun los.

»Sire,« begann er unvermittelt, »darf man den Ohren Eurer Majestät eine heikle Geschichte zu Gehör bringen, eine etwas allzu skandalöse Geschichte, die sich heute nacht nur wenige hundert Schritte von hier zugetragen hat?«

Der König blickte streng. »Ein Mord? Ein neues Duell, dem wieder einmal einer meiner Tapferen zum Opfer gefallen ist?«

»Kein Mord, Sire,« fiel hier zum Schrecken des Großkämmerers der Herzog von Lauzun ein, »kein Mord, eine Geburt, die Geburt eines gesunden, drallen Jungen, wie es in den Anzeigen zu heißen pflegt; aber Verzeihung, mein lieber Beauvilliers, Ihr habt das Wort.«

Und dieser, mit einer dankbaren Verbeugung gegen seinen Rivalen:

»So ist es, Sire,« bestätigte er, »aber jedes Ding hat einen Anfang und ein Ende, und ich weiß nicht, ob man Eurer Majestät einen Gefallen tut, indem man eine Geschichte von hinten anfängt, wie es meinem geistreichen Freund, dem Herzog von Lauzun beliebt, der es vielleicht sogar fertigbringt, bei seinem Pferd, wenn man es aufzäumt, mit dem Schwanz anzufangen. Nein, nicht um den drallen Jungen handelt es sich zunächst, sondern um eine hochehrwürdige Mutter Äbtissin, eine reiche und vornehme ihrem ganzen Aufzug nach, vielleicht einer der besten Familien von Frankreich angehörig, und fast noch ein Kind an Jahren. Gestern abend in später Nachtstunde kam sie hier an, und nur noch in der elenden Dienerherberge zu den Zwei Schwertern fand sich noch ein Zimmerchen für sie, ein elendes, notdürftiges Zimmerchen, für sie und ihre zwei Dienerinnen. Nun, in der Not ... Aber was geschieht dann in der Nacht? Man hört Schreie, Mark und Bein durchdringende Schreie. Ermordete man die Äbtissin? Ihre beiden Nönnlein rufen entsetzt um Hilfe. Und bei Gott, es brauchte der Hilfe, wie es der Wirt und die Kellner und ein halbes Dutzend Schlafgäste und was nur alles hinzueilte mit Lichtern und Laternen, nur gar zu schnell erkannten. Aber was für einer Hilfe? Einer ganz absonderlichen Hilfe. Nichts als ein paar gelehrter und erprobter Frauenhände, und dann – ja aber zum Teufel, was red' ich denn noch, das ist ja nur noch schlapprige Milch, von der mir mein verehrter Freund Lauzun den Rahm bereits abgeschöpft hat.«

Und alles lachte, und nicht nur über die drollige Schlußwendung und das ebenso drollige Gesicht des Großkämmerers (als ob er es vorher vor dem Spiegel einstudiert hätte), sondern auch über die Geschichte an sich, und zwar der König zuerst, denn er war damals noch jung und noch nicht der strenge Sittenrichter, zu dem er sich später unter den Auspizien der Marquise von Maintenon ausgewachsen hat. Der Herzog von Beauvilliers konnte zufrieden sein.

Alles lachte. Nur zum Lachen fand man den schmerzlichen Vorfall. Nur das lächerlich Allzumenschliche, nur das blamabel Komische sahen diese hohen Herren in der bitteren Bedrängnis einer Verunglückten, der eigenen satyrhaften Roheit ahnungslos in ihrer oberflächlichen Heiterkeit.

Sie lachten. Hatten sie nie etwas vernommen von jener doch gar nicht so seltenen, aber vorkommendenfalls immer wieder wie ein Himmelswunder angestaunten Blume, deren mächtig gewaltiger Duft auf Sinne und Gemüt eine so beglückende und berückende, ja manchmal verhängnisvolle Wirkung übt, die zu unsagbarer und unfaßbarer Beseligung, zum jauchzenden Höchstgefühl des Lebens und den glühendsten Gipfeln alles Daseins wie zu Schmach und Schande, zu Tod und Verdammnis führen kann?

Sie lachten. Keiner dachte an Mitleid mit der Ärmsten, die eine augenblickliche Bezauberung, ein augenblickliches Selbstvergessen so schwer büßen mußte und auf ihrer scheuen und schamvollen Flucht nach einem fernen und heimlichen Versteck gerade in den bösesten Hofklatsch und seine laute Schadenfreude mitten hineinfallen mußte.

Und doch sollte ein anderer dabei noch böser hineinfallen.

Denn an den königlichen Großkämmerer wandte sich jetzt von neuem der Herzog von Lauzun mit einem Ausdruck im Gesicht, der nichts Gutes ahnen ließ.

»Bravo, mein Bester,« rief er, »habt's gut, ganz prächtig habt Ihr's gemacht. Nur den Vorwurf für mich hättet Ihr behalten sollen. Ich soll Euch den Rahm abgeschöpft haben von Eurer Milch. Im Gegenteil, ich will sogar gern dazu beitragen, Eure Milch erst recht fett zu machen.«

»Keinen Zank, meine Herren, auf eine so heitere Geschichte hin«, mahnte der König scherzhaft.

Der Herzog von Lauzun verbeugte sich tief.

»Sire,« sagte er, »unser Verhalten wäre schon strafbar, wenn es auch nur die leiseste Mahnung von seiten Eurer Majestät bedürfte. Nur eine harmlose Frage an meinen lieben Beauvilliers möge mir gestattet sein.«

»Fragt denn, fragt«, antwortete der König etwas ungeduldig.

»Also, mein Allerliebster,« wandte sich mit liebenswürdigstem Lächeln der Herzog von Lauzun an den Großkämmerer, »also wer ist die Äbtissin? Das habt Ihr zu sagen vergessen. Aber ich bitte Euch, Teuerster, fuhr er mit verbindlichster Freundlichkeit fort, ich bitte Euch, schaut mich nicht so bös an. Ich weiß wirklich ein Wort mehr als Ihr, und so wollet denn die Güte haben, mir zu erlauben, daß auch ich mein Wörtlein sage, der Majestät und auch Euch und allen Anwesenden. Die Äbtissin, von der Ihr so eine unterhaltsame Geschichte zu erzählen wußtet, ist die ehrwürdige Frau von La Joye zu Auxerre.« Diese wie harmlos und in aller Form feinster höfischer Höflichkeit hingesprochenen Worte wirkten gleich einem Donnerschlag aus heiterem Himmel, der König fuhr förmlich von seinem Sitz in die Höhe, alle Anwesenden zuckten in sich zusammen wie von einer elektrischen Berührung, der Herzog von Beauvilliers und Saint-Aignan stand totenblaß.

Die hochehrwürdige Frau von La Joye war seine eigene leibliche Tochter.


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