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Sein Verstand. So nannten ihn alle Freunde, die den weinseligen Maler und seinen vielgerühmten Verstand mit dunkelm Vollbart und leichtgewelltem Haupthaar jeden Abend am Stammtisch begrüßten. Der Verstand war nämlich kein wesenloser Begriff, sondern ein wirklicher Mensch mit zwei langen Beinen und zwei langen Armen. Ein Student war es, der den schmalen Kopf wie ein freier Künstler emporreckte und das bleiche Gesicht in nachdenkliche Falten zog. Ging es aus, dann trug er einen hohen Filzhut mit breiter Krempe und ließ unter den langen Wimpern seine wasserblauen Augen spielen, die gar deutlich verrieten, daß sie niemand schöner finden konnte, als der glückliche Besitzer.
»Sein Verstand,« stießen sich auch heimlich die Damen an, wenn sie ihn so durch die Straßen steigen sahen, denn der schöne Student und sein Spitzname waren überall bekannt.
»Mein Verstand,« nannte ihn der Maler selber, wenn er die dritte Flasche hinter die weingetränkte Binde gegossen hatte. Um diese Stunde begann er sich auf dem eichenen Stuhle seiner Stammkneipe in fortwährende Bewegung zu setzen, auch fuhr er mit dem Glimmstengel mehrmals über das runde Gesicht, als wollte er lästige Fliegen verscheuchen. Dabei lachte er ohne Unterbrechung wie der Vollmond in der Nacht und klopfte mit der kleinen, fetten Hand dem Studenten eins auf den Rücken:
»Mein Verstand!« Es klang wie das befriedigte Knurren eines unförmigen Tieres, das sein Junges bei sich hatte.
»Prosit, Maëstro,« erwiderte der Verstand.
»Prosit, Maëstro,« riefen die Freunde.
Der Maëstro wiegte sich auf dem breiten Gesäße und zeigte seine gelben Zähne vom ersten bis zum letzten:
»'s ist doch ein fideler Kerl!«
Den Verstand meinte er, und um ihn wieder einmal auf die Probe zu stellen, fragte er ihn mit breitem Gegrinse, wann denn eigentlich der olle Karl der Große regiert habe.
Der ganze Tisch stimmte ein lautes Gelächter an, der Student aber wehrte ab:
»Maëstro, Sie sind ja schon wieder besoffen.«
Alles konnte der Maëstro vertragen, nur nicht diese bittre Wahrheit. Er verlor sofort seine Laune und schlug auf den Tisch:
»Ich bin nicht besoffen.«
»Wie kommst du dann zu so einer gelehrten Frage, alter Griesgram?« höhnte die Runde.
Der Maëstro lachte wieder und trug neue Flüssigkeit zu den Lippen.
»Peperl,« rief er der Kellnerin zu, »kannst du mir sagen, wann Karl der Große regiert hat?«
»Ach, hören S' auf mit Ihren Schweinereien,« sagte das Mädchen sichtlich entrüstet.
Der Tisch johlte um die Wette.
»Na, wo bleibt denn mein Verstand?« rief der Maëstro. »Wo bleibt er denn?«
»Zu solcher Stunde pariere ich nicht mehr,« sagte der Student. »Wenn Sie's wissen wollen, dann kommen Sie morgen zu mir herüber.«
»Da schlagen Sie's wohl erst im Lexikon nach?« lachte der Maëstro.
Sein Verstand sah ihn an, als wollte er fragen, ob sich der Maëstro etwa unterstehen wolle, heute noch dies heikle Gebiet mit ihm zu betreten.
Der Maëstro aber hätte dies niemals riskiert. Er nickte nur mit dem großen Schädel, gleichzeitig griff er sich an das glattrasierte Kinn:
»Ja, ja, 's ist schon gut, 's ist schon gut, ich sage ja nichts mehr, Sie wissen doch alles.«
Und er bildete sich nicht wenig ein auf seinen Verstand. Alle Abende folgte ihm der treue Geselle in die rauchgeschwängerte Kneipe und hinterher in die alte Mietskaserne, denn der Verstand wohnte in dem gleichen Stockwerk, wo der Maler seit vierzehn Jahren sein Atelier aufgeschlagen hatte.
»Gute Nacht, Maëstro,« sagte er, wenn er seinen schwankenden Herrn vor der Thüre abgeladen hatte.
Dann schlüpfte er eilig in seine Bude, weil in der Nacht auch der Verstand mal zur Ruhe kommen wollte.
Der Maëstro hingegen angelte mit dem Schlüssel noch eifrig herum, bis er endlich den Docht seiner Unschlittkerze am flackernden Streichholz erwärmte. Ging er des Morgens darauf mit einem Brummschädel an die Staffelei, dann freute er sich, daß ihm wenigstens sein Verstand in der letzten Nacht treugeblieben war.
Doch kam es auch vor, daß er ihm zürnte, denn manchmal erwachte der Maëstro aus dumpfem Schlafe und fand neben sich in der engen Bettstatt zu seinem uferlosen Erstaunen ein lockres Mädchen, das nur gegen prompte Bezahlung die liebgewordene Stätte räumte. Da kamen dann Augenblicke, wo der Maëstro an seinem Verstande verzweifelte.
»'s ist doch eine Gemeinheit,« murmelte er und kratzte sich in den wenigen Haaren, die ihm noch über der hohen Stirn verblieben waren.
»Eine Gemeinheit,« widerholte er nach einer bangen Pause und pochte heftig an die Thür seines Nachbarn.
»Sie! Ich bin wieder 'mal mit einem Frauenzimmer heimgekommen.«
»Schämen Sie sich 'was,« lautete die übermütige Antwort.
»Natürlich,« knurrte der Maëstro, »Sie können lachen! Warum passen Sie nicht besser auf mich auf?«
»Bin ich denn auch noch Ihr Tugendwächter?«
»Ach, Sie sind ein . . . .«
Er sprach es lieber nicht aus, das böse, Wort, sondern zog Hose und Schlappschuhe an, kopfschüttelnd über sich und die sündige Welt. Auch fuhr er wohl manchmal mit frischem Wasser über Gesicht und Hände, ehe er an die Arbeit ging.
Sein Verstand nahm es dagegen genauer mit waschen und ankleiden. Er brauchte eine Stunde bis jedes Härchen zurechtgestrichen war und die Flügel der schwarzseidenen Binde wie Siegesfahnen unter dem weiten Halskragen hervorflatterten. Nun nahm er mit übergeschlagenen Armen eine gute Weile Stellung vor seinem Spiegel, nickte sich einigemale zu wie ein Feldherr, der eben eine Schlacht gewonnen hat, und zog seinen großen Radmantel an, um langsam ins Freie zu wandern.
»'s ist doch ein fideler Kerl,« sagte der Maëstro, wenn er ihm manchmal die Treppe nachblickte. »Einen Dusel hat er bei allen Familien, bei allen Weibern, bei seinen Lehrern . . .«
Und er beschloß im stillen, sich auch einmal so fein anzuziehen.
Mit der Ausführung haperte es ein bischen. Der Maëstro ließ keinen Salonrock anfertigen, sondern trug seinen gelben Anzug, den er vor einigen Jahren gekauft hatte, ohne Bedenken weiter und entschädigte sich für allen Familienverkehr durch die Schlickenrieder Nanni, seinem besten, weiblichen Modelle. Ihr hatte er den Vorzug gegeben vor allen anderen, die ihm die Bude belagerten, denn sie erfüllte alle Bedingungen die der Maëstro an ein richtiges Modell zu stellen pflegte. Sie roch nicht nach Patchouli, sie trug weder Hut noch Sonnenschirm, wohl aber Schürze und Kopftuch wie die Mörtelweiber und war von oben bis unten in festes, kräftiges Fleisch gepackt.
»Hören S' auf,« quietschte sie, wenn sie der Maëstro in einer fröhlichen Arbeitspause in die Hüften zwickte.
»Ach, du dummes Luder,« brummte der Maëstro, »du wirst doch nicht prüde thun.«
Die Schlickenrieder Nanni that weder prüde, noch nahm sie 'was übel, sondern patschte auf ihre Schenkel herunter, daß es klang wie in der Küche, wenn fette Koteletten gehackt werden.
»Bei Ihnen da gefällt mir's, Herr Maëstro,« wieherte sie.
Eigentlich mußte ihr's auch gefallen. Wo sie hinblickte, aus allen Ecken des Ateliers lugte ihr rotes Gesicht. Dazwischen wand sie sich auch vor einem Totenkopf auf der Erde als büßende Magdalena mit nacktem Leib und aufgelösten Haaren, oder sie umschlang als lüsterne Hetäre einen heiligen Antonius, der sich in tausend Nöten krümmte.
»Sie sind zu kraß, Maëstro,« sagte der Verstand, wenn er mit prüfendem Auge vor den Bildern weilte, »zu derb, zu naturalistisch.«
»Hm, hm,« brummte der Maëstro.
»Ich verkenne ja nicht,« fuhr sein Verstand fort, »wie eminent das alles gemacht ist, wie echt und wie wahr, aber ich will Ihnen sagen, es fehlt Ihnen doch etwas, was bei einem Künstler nicht so sehr zu verachten ist: Phantasie!«
»Hm, hm!«
»Sehen Sie doch die alten Meister an,« sagte der Verstand und hielt eine längere Rede über Rubens und Tizian.
Der Maëstro aber dachte sich mancherlei:
»Teufel! Sollte mein Verstand zu üppig werden? In letzter Zeit hat's fast den Anschein.«
Und er besann sich, wie er denn eigentlich zu seinem Verstande gekommen war.
Das hatte sich zugetragen wie die einfachste Sache von der Welt. Eines Morgens stieg er bei ihm zu der Thüre herein, ohne viel Umstände, ohne anzuklopfen und ohne den Hut abzunehmen.
»So, da bin ich,« sagte er kurz.
Der Maëstro stand in Flanellhemd und Hose vor der Staffelei und malte gerade die splitternackte Schlickenrieder Nanni.
»Wer sind Sie? Was wollen Sie?« fragte er wütend.
Der Student sah ihn an:
»Na, Sie gefallen mir. Haben Sie mich nicht gestern Abend selber aufgefordert, ich soll Sie mal besuchen?«
Damit ging er zu der kichernden Nanni und streichelte ihr mit größter Seelenruhe die großen, runden Backen, eine nach der andern.
»Meine vierzig Jahre ist mir eine solche Frechheit nicht vorgekommen,« dachte der Maëstro.
»Wissen Sie's wirklich nicht mehr?« fragte der Student, der sich an seinem Erstaunen weidete.
»Was soll ich wissen?«
»Na, daß Sie an meinen Tisch gekommen sind mit Glas und mit Flasche.«
»'s ist doch eine Gemeinheit,« murmelte der Maëstro.
Also war er richtig wieder einmal seinem alten Laster verfallen, die Gäste der Reihe nach abzuwandern und wie ein guter Kneipwart gehörig anzutrinken. Dabei mußte er natürlich auf den verdammten Musenjüngling geraten, der nun wie ein feiner Kunsthändler alle Bilder der Reihe nach musterte.
»Sie malen wohl nur Huren und Heilige, Maëstro?«
»Das geht Sie 'nen Dreck an,« entgegnete der Gefragte. »Sie kaufen doch keines von meinen Bildern.«
»Ich freilich nicht,« lachte der Student. »Aber ich habe einen Onkel, der kauft viele Bilder.«
»Lassen Sie mich aus mit Ihrem Onkel.«
»Recht haben Sie, Maëstro,« sagte der Studiosus. »Mein Onkel ist ein Schafskopf, ein alter Filz! Übrigens, weil wir gerade von ihm reden: können Sie mir vielleicht hundert Thaler pumpen?«
Kalter Schweiß trat auf die Stirne des Maëstro. War das Scherz, oder hatte er diesem Windbeutel in der Besoffenheit wirklich verraten, daß er in seinem alten Großvaterspinde immer einige blaue Scheine und auf der Sparkasse einen ganz anständigen Brocken ererbtes Vermögen liegen hatte? Imstande wäre er dazu gewesen, denn bei seinen feuchten Rundreisen schwatzte er mancherlei, was er am Tage niemals über seine Lippen gebracht hätte. Diese verdammte Sauferei! Schon wollte er den furchtbaren Schwur leisten, nie wieder den breiten Fuß in die elende Spelunke zu setzen, als ihm der Student noch rechtzeitig seine finstern Gedanken vom zusammengekniffenen Gesichte las.
»Er glaubt's faktisch,« rief er lachend. »Ach, Maëstro, Sie sind ein gottvoller Kerl.«
Die Atemführung des Maëstro wurde wieder regelmäßiger, sein Blick etwas freier.
»Na, ich hätt' Sie auch die vier Treppen 'runtergeschmissen«, sagte er wesentlich freundlicher.
»So gefallen Sie mir, wertester Kneipgenosse.«
Und der Student gefiel jetzt auf einmal auch dem Maëstro ganz gut.
»Sie sind ja ein fideler Kerl,« sagte er langsam.
»Bin ich auch,« nickte eifrig der Student.
Der Maëstro sah kopfschüttelnd auf den bartlosen Gesellen.
»Was doch für Sachen passieren auf der Welt!« sagte er zu sich selber. »Man lernt doch nie aus, wenn man noch so alt wird.«
Früher als gewöhnlich ging er diesen Abend in die Kneipe.
»Ich bin über Nacht zu einem neuen Freunde gekommen,« sagte er mit besonderem Nachdruck.
Am Stammtisch saß um diese frühe Stunde nur ein einziger das Karlchen, wie er kurzweg genannt wurde. Er erschien pünktlich zu jeder Jahreszeit beim Anbruch der Dämmerung in tadelloser Kleidung, mit scharfgezogenem Scheitel und aufgewichstem Schnurrbart, als ob er vom feinsten five o'clock und nicht vom Atelier käme. Lange Reden waren nicht seine Sache, deshalb beantwortete er die Mitteilung des Maëstro nur damit, daß er seinen goldenen Kneifer noch fester auf die stark herausspringende Nasenwurzel setzte und wieder das Peperl in Augenschein nahm, das vom nahen Schanktisch zu ihm herüberschmachtete. Peperl nämlich war Karlchens Herzenswonne. Beide schienen unermüdlich im Austausch von Geschenken. Sie hatte ihm seinen stolzen Namenszug schon in sämtliche Socken, Hemden und Taschentücher mit kühnen Schwingungen gestickt, er wieder hatte ihr ein ganzes Album voll schnurriger Zeichnungen gewidmet, in das jeder Stammgast nach Mitternacht seine Gefühle in Wort und Bild niederlegte.
»Hast du nicht gehört, Karlchen?« fragte der Maëstro, dem der schwarze Student nicht mehr aus dem Sinne wollte.
Karlchen riß den kleinen Kopf ärgerlich nach der Seite.
»Das ist mir wurscht,« sagte er schnodderig.
In derselben Nacht noch trank er Brüderschaft mit dem Studenten und brannte ihm einen solchen Schmatz auf die rosigen Lippen, daß das Peperl fast eifersüchtig wurde.
»Na, und wir zwei, Maëstro?« fragte der Student mit hochgehaltenem Glase.
Der Maëstro winkte ab, als wollte man ihm wieder an die Börse.
»Nein, nein, das thun wir lieber nicht.«
»Machen Sie doch keinen Unsinn,« jubelte der Student und umarmte ihn stürmisch.
»Hol uns der Teufel,« schrie der Maëstro ganz außer Atem.
»Hol uns der Teufel,« schrie der Student und zerrte ihn unter dem Beifall der Gäste mit lautem Gesang durch die ganze Stube.
Der Maëstro begann nach dem Takte zu tanzen wie ein Bär, dem der Ring durch die Nase gezogen ist. Aber Brüderschaft trank er doch nicht.
»Ich begreife dich gar nicht,« sagte einer der Zechkumpanen zu ihm, der ihn zu später Stunde nach Hause geleitete.
Es war ein breitschultriger Mann, dessen weiche, singende Stimme seltsam von der kräftigen Erscheinung abstach. Muckl wurde er immer am Tische genannt, und unter diesem Namen kannte so ziemlich jeder lustige Lebemann das fette Gesicht mit der niedern Stirne, denn der Muckl verdiente Geld und gab flotte Gesellschaften in seiner prächtigen Wohnung.
»Ja, wirklich, ich begreife dich nicht, du hast doch auch mit mir Brüderschaft getrunken und mit manchem andern, warum nun gerade nicht mit dem Studenten? Das ist doch ein reizender, prächtiger, lieber Kerl, ein ganz famoser Bursche. Faktisch! So einer hat mir schon lange gefehlt, unserm Tische aber auch, denn sag' 'mal ehrlich, wir waren alle auf dem besten Wege zu versumpfen.«
Der Maëstro hatte wieder tüchtig geladen und konnte sich nicht mehr auf lange Dispute einlassen. Er brummte nur sein »hm, hm« und trat mit beiden Füßen abwechselnd den Bürgersteig herauf und herunter.
Muckl aber konnte sich noch immer gar nicht beruhigen.
»Was der Kerl gescheit ist! Hast du gehört, wie er geredet hat? Wie'n Buch. Ja, der versteht was von der Kunst, das merkt man sofort.«
Und vor der Hausthüre erklärte er ganz aufgeregt, er werde Karlchens Beispiel folgen und mit dem Studenten nächstens auch Brüderschaft trinken.
Der Maëstro wollte das nicht thun und bildete sich nicht wenig ein auf seinen festen Charakter.
Am andern Morgen wachte er freilich mit leichten Gewissensbissen auf:
»Teufel! Wenn der Student das übelgenommen hat, kommt er vielleicht gar nicht wieder?«
Auch an den Onkel dachte er, der so viele Bilder kaufen sollte. Vielleicht wäre es doch möglich gewesen, daß dieser kunstverständige Mann eine Schlickenrieder Nanni erstanden hätte, die zum tiefen Kummer des Maëstro immer noch nicht ziehen wollte.
»Ich hab' 'mal wieder eine Dummheit begangen,« sagte er, während er dem begeisterten Muckl im stillen recht gab.
Ärgerlich drehte er sich auf die andre Seite und weil der Morgen so grau und das Zimmer so kalt war, kamen ihm immer trübere Gedanken. Er ließ die verkaterten Augen von Möbel zu Möbel wandern und heftete sie schließlich mit schmerzlichem Ausdruck auf das alte, treue Spinde. Da drinnen verstaubte in sammtener Hülle die goldene Medaille, die sie ihm einmal auf der großen Ausstellung für eine Kreuzabnahme verliehen hatten.
»Alles Schwindel,« schimpfte der Maëstro, »ich möcht' am liebsten die lumpige Medaille verklopfen und versaufen. Was hilft sie mir denn? Kein Mensch kauft meine Bilder, kein Mensch kennt mich, kein Mensch kümmert sich um mich. Und dabei werde ich ein alter Mann, dem die paar Kröten auf der Sparkasse das Kraut auch nicht fett machen. Ja, ja, es ist schon ein Elend, es ist . . .«
Weiter konnte er den finstern Gedankengang nicht ausspinnen, denn im selben Augenblick kam der Student herein, so froh und so munter, als ob nichts geschehen wäre.
»Guten Morgen, farbenprächtiger Meister,« rief er mit tiefer Verbeugung.
Schmunzelnd entwand sich der Maëstro dem schützenden Linnen. Sein ganzer Trübsinn war verflogen, sein Charakter war wiedergekehrt, seine Zukunft war vergessen.
»Sind Sie schon auf?« brummte er zufrieden.
»Schon auf? Erlauben Sie, es ist elf Uhr!«
»Na ja, es war auch nur eine Redensart,« lachte der Maëstro. »Nun muß ich Ihnen aber gleich etwas wichtiges sagen.«
Er nahm den Studenten bei der Hand und erhob den Zeigefinger zu einer feierlichen Erklärung. Wenn er jemandem Brüderschaft verweigere, so habe das seine wohlberechtigte Ursache in einem gewissen Prinzip, das er sich aus verschiedenen Gründen gestellt habe, und deshalb dürfe es ihm auch keiner verübeln, wenn er –
»Verübeln?« lachte der Student. »Wo denken Sie denn hin? Das ist mir doch ganz wurscht, ob ich zu Ihnen, du alter Esel oder Sie alter Esel, sage.«
»Hm, hm,« brummte der Maëstro.
Er hatte sich etwas anderes auf diese schöne Auseinandersetzung erwartet und fragte den Studenten, ob es sich mit seinem Onkel auch so leicht rede.
»Mit welchem Onkel?« fragte der Student, als höre er eine Stimme aus dem Jenseits.
»Na, mit dem, der die vielen Bilder kauft?«
Ein schallender Gelächter schlug dem Maëstro in das verdutzte Gesicht.
»Sie sind aber schon mehr wie naiv. Glauben Sie denn alles, was man Ihnen sagt?«
»'s ist doch ein fideler Kerl,« dachte der Maëstro.
Am nächsten Abend ging er wieder mit ihm in die Kneipe, wo der Muckl schon lange wartete und Karlchen in aufrechter Haltung dem Peperl gegenübersaß.
»Das ist 'mal recht,« rief der Muckl mit ausgebreiteten Armen. »Nun kommen Sie nur gleich her, mein Bester, und schauen Sie sich die beiden Brüder an, die gestern nicht dagewesen sind: Der eine mit den paar blonden Sardellen auf dem Kopfe ist der Lockspitzel, der andere mit der kupferroten Nase ist der Gewerbe-Otto.«
»Sie haben ja reizende Namen,« sagte der Student.
»I, das will ich Ihnen erklären,« eiferte der Muckl. »Lockspitzel nennt man den Herrn, weil er einem jeden so zu sagen die Würmer aus der Nase zieht – er ist nämlich Journalist und schreibt manchmal niederträchtige Artikel, hingegen unser Gewerbe-Otto –«
»Halloh,« rief der Student, »das ist wohl derselbe, der alle Nachttöpfe in Lilien und Tulpen verwandelt?«
»Erraten! Erraten!« schrie der Muckl, der vor Lachen fast unter den Tisch fallen wollte.
Auch dem Lockspitzel und dem Maëstro zuckte es um die Lippen. Nur Karlchen sah unbeweglich zum Peperl hinüber, und der Gewerbe-Otto faßte mit seinen langen Fingern nach einem Glase Citronenwasser.
»Sie studieren wohl jedenfalls Kunstgeschichte?« fragte er, ohne eine Miene seines schmalen Gesichtes zu verziehen.
»Wie denn?«
Der Gewerbe-Otto lächelte mit einer gewissen Überlegenheit:
»Es kommt mir halt so vor.«
Eine leichte Röte zog über die mageren Backen des Studenten.
»Sie irren sich,« sagte er gezwungen. »Nationalökonomie, Finanzwissenschaft und Jurisprudenz, das sind meine Fächer.«
»Was es doch für gelehrte Dinge giebt!« sagte kopfschüttelnd der Maëstro, indem er neuen Wein in sein Glas goß.
Der Student war wieder lustig geworden.
»Nicht wahr? Aber ich pfeife nächstens auf die Universität und schmeiß' den ganzen Krempel in die Ecke.«
»Schade,« sagte der Gewerbe-Otto, »Sie hätten alle Anlage zu einem ordentlichen Professor gehabt.«
»Denke gar nicht daran,« lachte der Student. »Ich weiß überhaupt noch gar nicht, was ich werden will – oder halt, daß ich die Wahrheit sage: eine Leidenschaft habe ich, ein Dichter möchte ich werden.«
»Ein Dichter!« sang der Muckl mit dem Ausdruck höchsten Wohlgefallens.
»Oder Künstler, oder so 'was ähnliches,« rief übermütig der Student. »Jedenfalls was freies.«
Ohne auszusetzen sprang er vom Stuhle:
»Fort mit dem Staube der Pandekten,
Mit Afterweisheit und mit Wahn.
Die Sonnenstrahlen, die mich weckten,
Geleiten mich zum Licht hinan.
Nicht länger mehr will ich verrosten,
Ich heb' den Becher hoch mit Wein.
Ich will die gold'ne Jugend kosten,
Will Sänger, will ein Dichter sein.«
»Haben Sie schon eine Harfe?« warf der Gewerbe-Otto ein.
Der Muckl aber riß ihm das Wort aus dem Munde.
»Großartig! Großartig! Und jetzt wird mich keiner mehr von euch verfluchten Stockfischen abhalten, Brüderschaft zu trinken.«
»Sollst leben!« rief der Student.
»Ein Prachtkerl bist du,« jauchzte der Muckl.
Der Musenjüngling erwiderte seine Bruderküsse und drehte sich zu dem vorüberhuschenden Peperl.
»Du bist auch ein Prachtkerl,« sagte er und faßte ihr mit beiden Händen in den weitausgeschnittenen Busen.
»Ach, was wollen S' denn, Sie Hanswurst?« rief die Kleine entrüstet.
»Was ich will?« flüsterte der Student mit der Grimasse eines Schauspielers. »Euer Schlafzimmer, Lady Anna, Euer Schlafzimmer.«
»Das kannst du bleiben lassen,« schrie Karlchen, der plötzlich rebellisch geworden war.
Der Student kümmerte sich den Kuckuck um seinen Einspruch. Er drückte der widerstrebenden Hebe einen festen Kuß auf die zuckenden Lippen und wandte sich gleich darauf mit ausgebreiteten Armen zu den andern:
»Ward je in solcher Laun' ein Weib gefreit?
Ward je in solcher Laun' ein Weib gewonnen?«
»Shakespeare, Shakespeare!« klatschte der Muckl mit beiden Händen.
»Ja, aber schlechter Shakespeare,« sagte der Student.
Der Gewerbe-Otto lächelte wieder so eigentümlich wie immer:
»Sie hätten die Szene natürlich viel besser geschrieben.«
Diesmal hatte er kein Glück mit seinen Sticheleien, denn der Student nickte, als wäre ihm die gewöhnlichste Alltäglichkeit unterlaufen.
»Ganz gewiß hätte ich diese Szene besser geschrieben! Das traue ich mir ohne Überhebung zu behaupten.«
»Na, da müssen Sie halt den Shakespeare umdichten,« sagte plötzlich der Maëstro nach einer feierlichen Pause.
Er hatte beide Handgelenke unter den weitherabhängenden Schnurrbart gehoben und wackelte mit dem Kopfe wie eine Pagode.
Der Student sah ihn an, als wollte er sich erst überzeugen, ob man den Herrn überhaupt ernst nehmen könne.
»Haben Sie sich jemals mit Psychologie befaßt?« fragte er kurz.
Mit freundlichem Gezwinker erwiderte der Maëstro die forschende Frage. Seine großen Augen, die am Morgen immer so verschleiert blickten, als ob die Spinnen darüber gekrochen wären, sahen jetzt so klar und pfiffig drein wie nach zweitägigem Dauerschlafe.
»Ich habe mich nie mir Psychologie befaßt, aber mir hat die Sache auch ohne so etwas immer ganz gut gefallen.«
»Dann fehlt Ihnen eben für derartige Dinge der Verstand,« sagte der Student, mehr mitleidig als erregt.
»Da soll ich mir wohl einen Verstand suchen?« lachte der Maëstro.
»Höchste Zeit! Sonst blamieren Sie sich noch länger mit der Behauptung, daß eine solche Szene möglich ist.«
Ganz verwundert schwieg der Maëstro einen Augenblick und überlegte sich wirklich, ob er selber der Esel sei oder der junge Bursche, der so eine Sprache führte.
»'s ist doch richtig,« knurrte er und schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Nein,« schrie der Student. »Stellen Sie sich vor: Ein Mann soll ein Weib in dieser Zeit herumkriegen – am Sarg ihres Gatten. Ich trau' mir ja auch was zu bei den Frauen, aber so was, das giebt's nicht.«
»Mir ist das auch schon öfters aufgefallen,« mischte sich plötzlich der Muckl ein.
Lachend drehte sich der Maëstro zu ihm:
»Schwatz' doch kein Blech!«
»Er sagt nur die Wahrheit,« donnerte der Student, »und ich will Ihnen sofort beweisen . . . .«
»Quatsch! Quatsch!« schrie Karlchen wütend dazwischen.
»Halt's Maul,« schrie der Student. »Shakespeare hat die ganze Figur der Anna . . .
»Mir ist die Anna wurscht, mir ist der Shakespeare wurscht, mir ist überhaupt alles wurscht,« schrie Karlchen.
Um den ganzen Spektakel zu überbrüllen, war der Student auf den Stuhl gesprungen und hatte den Maëstro bei den Schultern gepackt:
»Wenn Sie den Wahrheitsbeweis antreten wollen,« rief er mit blitzenden Augen, »dann nennen Sie mir eine Frau, eine Witwe, eine Königin, mit der Sie so etwas schon einmal erlebt haben.«
Auf vieles war der Maëstro gefaßt gewesen – diese Wendung hatte er nicht erwartet. Ihm waren in seinem ganzen Leben außer der Schlickenrieder Nanni nur noch Damen ähnlicher Kreise, noch niemals aber eine Frau, eine Witwe oder gar eine Königin zu Gefallen gewesen.
»Sehen Sie!« rief der Student von seinem erhobenen Standpunkt herab, als der Maëstro, gänzlich verstummt, seinen dicken Schädel wieder nach Art der Pagoden in Bewegung setzte.
»Sehen Sie!« rief der Gewerbe-Otto.
»Siehst du!« rief der Muckl befriedigt. »Der hat dir's besorgt.«
»Jawohl,« nickte der Gewerbe-Otto. »Und da suchen Sie noch nach Ihrem Verstande?«
Lächelnd schon der Maëstro die Achseln auf und nieder, als könnte er es selbst noch nicht fassen, was er eben erlebt hatte. Endlich hob er sein Glas zu dem Student empor:
»Na, da kommen Sie halt her, mein Verstand.«
»Sein Verstand!« jubelte der Muckl.
»Sein Verstand!« johlte die ganze Kneipe.
So war der Maëstro zu seinem Verstand gekommen.
Aus Freude darüber leerte er in jener Nacht so viele Flaschen, daß ihn am frühen Morgen drei Kneipbrüder wie einen Elefanten nach Hause zogen, der nicht mehr in seinen Käfig hinein will.
»Das muß anders werden,« sagte er unwillig, als er nach langem Schlummer wieder die Farben mischte.
Überhaupt war es ein Unsinn, die dumme Geschichte mit dem hergelaufenen Studenten. Der Kerl schwatzte ja einen Mist zusammen, den die ganze Stadtverwaltung in Tagen und Monden nicht wieder entfernen konnte. So über Shakespeare zu urteilen, mit solcher Frechheit, solchem Unverstande, von dem elenden Gedichte, das der Bursche selber verbrochen hatte, schon gar nicht zu reden! Und da sollte sich der Maëstro hergeben, den guten Onkel zu spielen? Nein, dazu war er denn doch schon zu alt geworden und auch zu sehr Künstler, um sich von einem solch grünen Jungen anulken zu lassen. Er wollte der Sache mit dem sogenannten Verstand für immer ein Ende bereiten.
»Ein einzigesmal noch gehe ich in die miserable Spelunke,« knurrte er. »Dort werd' ich dem Studenten meine Meinung sagen, und dem Muckl will ich's schwarz auf weiß geben, daß er ein Esel ist, weil er solches Geschwätz ernst nimmt.«
Vorher aber wollte er den Journalisten aufsuchen, der gestern Abend kein Wort geredet hatte. Lockspitzel hatte eben diesen Windbeutel gleichfalls gründlich durchschaut, und weil er somit der einzig Vernünftige war, lenkte der Maëstro seine Schritte am selben Abend zu ihm.
Der immer freundliche Herr empfing ihn an der Thüre seiner behaglichen Wohnung mit kavaliermäßigem Gruße und einem Rufe angenehmster Überraschung:
»Besser konnten Sie's gar nicht treffen! Denken Sie sich, drinnen bei der Miez sitzt Ihr Verstand.«
Der Maëstro wollte etwas erwidern, er wollte dem Lockspitzel in schroffer Form abwinken, aber, ehe er noch den Mund aufbrachte, war er bereits in die Stube geschoben, wo der Student auf weichem Sofa einem elegant gekleideten Frauenzimmer den dicken Cigarettenrauch in den weitgeöffneten Mund blies.
»Trinken Sie doch,« bat der Journalist und reichte dem Maëstro ein Glas Wein.
»Ich trinke nie etwas am Tage,« war die barsche Antwort.
»Na, na, renommieren Sie 'mal nicht,« drohte lächelnd der Student.
»Ach« – der Maëstro hatte schon wieder etwas recht böses auf den Lippen, aber er sprach es doch nicht aus, sondern ließ sich von dem Journalisten willenlos auf einen Stuhl drücken.
»Siehst du, Miez,« sagte der Student nach einer weihevollen Pause, »das ist der Maëstro.«
Gegen diese Thatsache konnte der neue Gast keinerlei Widerspruch erheben. Er preßte mit beiden Händen seinen schäbigen Filz auf den knorrigen Griff seines Stockes, als fürchtete er, es könnte ihm ein frecher Dieb dies kostbare Heiligtum gemeinerweise entwenden. Dabei redete er kein Wort, nur manchmal wandte er mit leichtem Hüsteln das starkgerötete Antlitz nach der kleinen Person auf dem Sofa, der der Student so vertraut mit den Augen zunickte, als sei sie seine Geliebte und nicht die des Journalisten.
Lockspitzel schien wenig eifersüchtig zu sein, sondern das kosende Spiel eher mit freundlichen Blicken zu verfolgen. Er drehte sich eine Cigarette und wies dabei mit bedeutungsvollem Winke auf den Studenten:
»Er hat uns eben seine Gedichte vorgelesen. Ganz famos, sage ich Ihnen.«
Der Maëstro besann sich, daß er eigentlich hierher gekommen war, um über die Dichtkunst seines Verstandes bittere Klage zu führen. Statt dessen saß er da, und es ging ihm wie so häufig im Leben, er fand wieder 'mal keine Worte.
»Eminent, wie gesagt,« fuhr der Journalist fort. »Wir werden einige in der Sonntagsbeilage veröffentlichen.«
»In der Sonntagsbeilage?«
Der Maëstro drehte die Krempe seines Hutes durch die fettigen Finger und trommelte mit beiden Absätzen unablässig auf den Boden. Sein ganzer Groll, den der anfangs empfunden hatte, verwandelte sich bei der Mitteilung des Journalisten in scheue Bewunderung.
»Da kommt dieser junge Laffe daher,« sagte er sich, »lernt durch mich den Lockspitzel kennen, steigt ihm gleich auf die Bude, kneift sein Mensch in die Schenkel und giebt ihm aus Dankbarkeit seine elenden Gedichte, für die der Schafskopf noch obendrein ein teures Geld zahlt. Ich aber, dem schon die Haare ausgehen, bleibe immer auf dem gleichen Fleck sitzen und bekomme alles von den illustrierten Blättern zurückgeschickt. Ja, ja, man lernt halt nie aus im Leben.«
Seine Bewunderung stieg immer mehr, daß er sogar den Widerwillen gegen das noble Frauenzimmer verwand und schließlich doch noch den dargebotenen Wein ergriff.
»Wir wollen eins trinken,« lachte er, nun wieder ausgesöhnt mit dem Leben und mit seinem Verstande.
»Wir wollen eins trinken,« rief auch der Student und las nun noch einmal seine Gedichte vor.
Geduldig hörte der Maëstro zu, als er aber nach einer Stunde mit dem Studenten zur Kneipe wanderte, nahm er ihn mit einer gewissen Feierlichkeit unter den Arm, wie er das immer that, wenn er etwas besonders wichtiges zu sagen hatte:
»Ich freu' mich für Sie, daß Sie so viel Glück haben, aber ganz im Vertrauen: Ihre Gedichte finde ich miserabel, ja, ganz miserabel.«
Er war froh, daß er es endlich heraus hatte, denn dies zu sagen, war ihm eine heilige Pflicht gewesen, mochte der andere nun erwidern, was er wollte.
Seltsamerweise nahm jetzt der Student die vernichtende Kritik seiner Lieder ebenso wenig krumm, wie die Ablehnung der Brüderschaft, sondern bemerkte ganz ruhig, daß sie bis auf eines oder zwei so ziemlich alle nichts wert seien.
Mitten auf der Straße blieb der Maëstro stehen:
»Ist das möglich?«
»Gar nichts halte ich davon,« lachte der Student. »Nur sage ich mir mit voller Klarheit: Sie sind nicht besser und nicht schlechter als die andern, die gedruckt werden, und da sie denn der Lockspitzel um jeden Preis herausgeben will, müßte ich doch ein furchtbarer Hornochse sein, wenn ich sie ihm nicht verkaufen wollte.«
»Da hat er recht,« dachte der Maëstro.
Als er sich aber wieder vom Platze bewegte, sagte er sich:
»'s ist doch ein fideler Kerl, mein Verstand. 's ist doch ein fideler Kerl.«
Und er staunte ihn immer mehr an, je öfter er in den nächsten Wochen mit ihm zusammenkam. Am meisten imponierte ihm die Art, wie er mit den Weibern umzuspringen wußte. Eins, zwei, drei, da hatte er sie schon, ob's in der Kneipe war, oder auf den gemeinsamen Spaziergängen, denn alle Kellnerinnen, alle Kindermädchen, alle Modelle lachten glückselig, wenn ihnen der Student auf einmal sein bleiches Gesicht hinstreckte, als ob er sie küssen wollte. Peperl war die einzige gewesen, die sich geweigert hatte, die andern nahmen es hoch auf, und der Maëstro wäre zu jeder Wette bereit gewesen, daß auch seine Schlickenrieder Nanni gar gerne ein Techtel-Mechtel mit dem hübschen Burschen begonnen hätte.
»Gelt, der gefällt dir?« fragte er einmal.
»O mein, mir ist 'n jeder recht,« sagte die Nanni ganz gleichgültig.
»Na, aber das wäre dir doch der liebste?«
Die Nanni zuckte die fleischigen Schultern:
»Ich weiß nicht. Der Mensch macht immer solche Augen.«
»Was denn für Augen?«
»Nun ja, er macht halt solche Augen.«
Sie konnte es nicht recht ausdrücken, daß ihr andere Vorzüge viel lieber gewesen wären.
Diese sonderbare Zurückhaltung nahm der Maëstro sehr krumm. Er nannte sie eine eingebildete Gans, die sich 'was besseres dünken wollte. Wenn ihr so ein Adonis nicht gut genug war, ja, was wünschte sie sich denn eigentlich? Der Student brauchte sie wahrhaftig nicht, dem liefen ganz andere Weiber nach. Hatte es doch der Maëstro selber schon beobachtet, daß ihm sogar feinste Damen freundliche Blicke zuwarfen, wenn er sie mit voller Unverfrorenheit im vorübergehen musterte.
Neulich gar, wenn die Nanni dabei gewesen wäre bei dem großen Feste, das der Muckl dem Studenten zur Ehren veranstaltete. Da hätte sie 'was erleben können, denn an jenem Abende gab es nicht nur die erlesensten Weine, die besten Trüffeln und Austern, sondern auch wunderschöne Frauen, die den Studenten nicht eher in Ruhe ließen, bis er endlich mit dem Maëstro die Wohnung des gastfreien Malers verließ.
»Kinder, seid vergnügt,« hatte der Muckl geschrieen, seine aufmerksame Gemahlin aber war von Stuhl zu Stuhl gewandert, um fleißig zum Essen aufzufordern.
Beim Maëstro war das eigentlich nicht nötig; er aß auch ohne die dringenden Bitten der Hausfrau mit großem Behagen, nachdem er den ersten Ärger über die geputzten Weiber und die fremden Leute mit mildem Sherry ein bischen hinabgeschwemmt hatte.
»Sonderbar,« sagte er sich, »was der Muckl für eine Unmasse Bekannte hat.«
Jedesmal sah man neue Gesichter bei ihm, und mit allen war er verbrüdert, als kenne er sie von Kindesbeinen an. Wo die alten blieben, das erfuhr weder der Maëstro, noch einer der andern Stammtischbrüder, die in angemessener Abwechslung so ziemlich die einzig wiederkehrenden Gäste waren.
Heute nun schien es ein besonders gewählter Kreis zu sein. Ein hagerer Herr mit kurzgestutztem Vollbart und großer Glatze saß an der reichbesetzten Tafel und redete in belehrendem Tone über Kunst und Litteratur. Alle Anwesenden verfolgten seine Worte, nur der Maëstro ließ sich nicht stören, sondern aß eifrig weiter, bis sein ohnehin schon zu enger Frack wie ein Weinschlauch gebläht war. Als die Stimme aber fortwährend in sein Ohr drang, wie der Schall des Perpendikels, setzte er einen Augenblick aus und hörte, daß sich der redselige Herr gerade gegen einen Vorwurf des Studenten verteidigte.
»Nein nein, wir sind keine Reaktionäre mehr auf den Universitäten,« tönte es herüber. »Für diese Type können Sie die verblaßte Figur aus den Witzblättern nehmen. Heutzutage freut man sich über jede junge Saat und bringt dem wahren Talent ein offenes Herz entgegen.«
»Wo hat der Muckl nur diesen Kerl wieder aufgegabelt?« fragte sich der Maëstro im eifrigsten Kauen.
Der gescheite Herr hatte keine Ahnung, daß am Tische so häßliche Gedanken gebrütet wurden und redete immer weiter.
»Herr Professor,« nannte ihn der Muckl, der zur Abwechslung wieder 'mal ganz begeistert war.
»Herr Professor,« nannte ihn auch der Student, der sich gar nicht verblüffen ließ.
Rede und Gegenrede wechselten, endlich erklärte der Student mit aller Seelenruhe, er könne nur sehr bedingt beipflichten. Bis zu einem gewissen Grade möge der Professor ja recht haben, im allgemeinen aber hätten sich die Universitäten sehr zopfig gegen die junge Bewegung verhalten.
Um die Lippen des Professors ging ein Lächeln, das er selber für sehr geistvoll zu halten schien:
»Ob daran nicht doch vielleicht die junge Bewegung Schuld gewesen ist?«
»Keine Ahnung,« sagte der Student, »einzig und allein die verdammte Reaktion.«
Und jetzt führte er das große Wort am Tische statt des Professors, der den Zuhörer spielen mußte.
Er sprach gewandt, mit gefälligen Bewegungen, daß die Damen aufmerksam wurden. Sie rückten zusammen, um den gebildeten, jungen Mann näher ins Auge zu nehmen, und der Maëstro, der ununterbrochen weiter aß, bemerkte deutlich, daß der Student seiner Nachbarin unter dem Tische verstohlen die Hand drückte.
»Ich habe Ihre Gedichte gelesen,« sagte die Dame dabei mit bedeutungsvollem Blicke.
»Nun, gefallen sie Ihnen?«
»Reizend, ganz reizend finde ich sie.«
»Die Gedichte in der letzten Sonntagsnummer, die sind von Ihnen?« mischte sich der Professor ein.
Der Student bejahte mit einer Miene, die höchst verwundert schien, daß man diese Gedichte überhaupt einem anderen zutrauen konnte.
»Na, sehen Sie,« rief der Professor, »die haben mir gut gefallen vom ersten zum letzten.«
Wieder machte der Student ein sonderbares Gesicht, diesmal drückte es eine gewisse Selbstverständlichkeit aus, als ob man seine Gedichte doch unmöglich anders beurteilen könne.
»Und dabei reden Sie von Zurückhaltung und Reaktion!« rief der Professor. »Ich erkenne es gerne an, aus den Gedichten spricht ein guter Geschmack, ein maßvoller Zug, und, was ich doch bei allem Neuen nicht völlig vermissen möchte, ein idealer Schwung.«
»Ganz meine Ansicht,« lächelte wieder die Tischnachbarin des Studenten.
Der Herr Professor winkte mit einer leichten Handbewegung, als ob er ihm gratulieren wollte:
»Jedenfalls sind Sie ein starkes Talent.«
»Bin ich wohl auch,« nickte der Student.
»Das will ich meinen, er ist ja mein Verstand,« tönte es plötzlich die Tafel herunter.
Der Maëstro war's. Er hatte genug gegessen und die Serviette abgelegt. Jetzt war die Stunde gekommen, wo er reden und trinken wollte.
»Na, Sie wissen ja, was ich von Ihren Gedichten halte, Sie maßvolles Rauhbein,« grinste er zu seinem Verstande hinüber.
Herren und Damen drehten sich mit sichtlichem Erstaunen zu der neuen Erscheinung, die plötzlich auftaute, wie der Eisklumpen in der Sonne, der Professor aber warf dem Maëstro einen Blick zu, als wollte er sagen:
»Ich kann Ihnen im Augenblick nicht mit Worten ausdrücken, wie sehr ich Sie verachte.«
Einige Engel gingen durch den Speisesaal, unhörbar und leise wie Engel nun einmal auftreten. Diese Sorte himmlischer Erscheinungen konnte der Muckl gar nicht vertragen:
»Ich denke . . . . wir . . . . wir sind hier vergnügt genug gewesen, vielleicht gehen wir 'mal . . . . in mein Bibliothekzimmer hinüber.«
Drüben reichte er große Cigarren auf kostbaren Schalen herum, und als er zum Maëstro kam, flüsterte er:
»Lieber Freund, thu' mir den Gefallen und fange keinen Krakehl mit dem Professor an . . . . Das ist ein riesig bedeutender Mensch . . . . schon viele Jahre hier an der Universität . . . . Litteraturhistoriker, erste, wissenschaftliche Kraft, und dabei durch und durch moderner Mensch wie wir . . . . Na, du hast's ja selber gemerkt.«
Zum Professor aber sagte er gleich darauf:
»Sie dürfen ihm nicht böse sein, 's ist ein herrlicher Kerl, der Maëstro, nur trinkt er bisweilen zu viel.«
»Auch Maler?« fragte der Professor leichthin.
»Sogar einer unserer ersten. Hat schon die goldene Medaille.«
»Jedenfalls sehr modern?«
Der Muckl bejahte eifrig:
»Von der äußersten Linken!«
»Das dachte ich mir aus seinem Wesen,« sagte der Professor. »Dieser Mensch malt, wie er trinkt.«
»Vollkommen erraten,« lachte der Muckl. »Der Maëstro geht zu weit. Ich bin ja selbst geborener Revolutionär, aber schließlich weiß ich doch immer, wo die Grenze liegt.«
»Es hängt das eben alles von dem jeweiligen Grade von Bildung ab, die der einzelne Künstler besitzt,« bemerkte der Professor.
Dabei sah er die hohen Wände hinauf, die über und über mit Büchern tapeziert waren.
»Sehr richtig,« sagte der Muckl und streichelte die kostbaren Einbände, als wären es liebgewordene Schoßhündchen.
»Ich lese wenigstens immer,« fügte er bei. »Ich könnte gar nicht anders existieren.«
»Nicht so aufschneiden!« rief der Student aus der andern Ecke des Zimmers.
Als ob er eine Schrotladung in den Rücken bekommen hätte, drehte sich der Muckl um:
»Aufschneiden . . . .?«
Der Student hielt einen Band in die Höhe:
»Jawohl! Nicht so viel mit der Bildung aufschneiden, lieber die Bücher aufschneiden!«
Der Muckl war ganz außer Fassung:
»Auf der Stelle giebst du das Buch her . . . . ich habe es erst gestern erhalten . . . . ich . : . .«
»Beruhigen Sie sich,« sagte der Professor, »wie ich sehe, haben Sie nicht viel damit versäumt, es ist wieder einmal der griesgrämige Apotheker aus Norwegen.«
Und er erzählte dem Studenten, ein Kollege aus Christiania habe ihm beim letzten Psychologenkongresse versichert, daß die Menschen da oben ganz anders seien, als sie von dem alten Brunnenvergifter fortwährend geschildert würden.
»Das ist schon ein ganzes Viech,« brummte der Maëstro auf dem Heimweg.
»Warum denn?« fragte sein Verstand.
»Wenn Sie dafür noch eine lange Erklärung brauchen . . . .«
»Darum bitte ich allerdings,« sagte der Student, der die Ansichten des Professors über Erziehung und Bildung ganz vortrefflich nannte.
»Na, da lassen Sie sich von ihm doch zum Dichter abrichten,« höhnte der Maëstro.
»Jedenfalls werde ich ihn 'mal aufsuchen, sobald ich aus den Ferien zurückkomme.«
»Sie gehen fort? Wohin denn?«
Der Student that äußerst geheimnisvoll:
»Das darf ich nicht verraten.«
»So lassen Sie 's bleiben,« knurrte der Maëstro, indem er mitten auf der Straße umkehrte.
Geraden Weges eilte er in die Kneipe, denn heute mußte er sich noch ausschimpfen, und außerdem merkte er auch mit Bedauern, daß er noch lange nicht die nötige Bettschwere im Leibe hatte.
»Mein Verstand ist ein greulicher Kerl,« sagte er seufzend zu Karlchen.
Karlchen saß in aufgeregter Haltung dem Peperl gegenüber und erwiderte nichts, aber der Gewerbe-Otto, der auch mit am Tische saß, lächelte mitleidig:
»Zu dieser wertvollen Entdeckung haben Sie Monate gebraucht?«
»Ach . . . ,« der Maëstro hatte schon wieder was recht böses auf den Lippen, und gerade dem Gewerbe-Otto hätte er's gern ins Gesicht geschleudert, weil er gegen ihn schon seit einiger Zeit einen leisen Groll hegte. Indessen bezwang er sich noch einmal und brummte nur:
»Kann ich dafür, daß ich auf so was verfalle?«
»Wer denn sonst?« lachte der Gewerbe-Otto.
»Sie sind die Ursache,« brummte der Maëstro. »Sie haben sich nicht mehr um mich gekümmert, während Sie früher täglich bei mir aus und ein gingen.«
Alles, was er gegen ihn mühsam zurückgehalten hatte, brach jetzt auf einmal heraus.
»Sie brauchen mich doch nicht mehr,« meinte der Gewerbe-Otto, »Sie haben ja jetzt Ihren Verstand.«
»Ich pfeif' auf ihn,« sagte der Maëstro und sehnte im Stillen die Zeiten herbei, wo der Gewerbe-Otto auch so was ähnliches wie seinen Verstand vorgestellt hatte.
Mehrere Jahre hatte das gut gethan, eines Tages aber war es vorbei. der Maëstro konnte die Sticheleien und das fortwährende Lachen nicht mehr ertragen, und die plötzliche Ankunft des Studenten schlug dem Fasse noch vollends den Boden aus.
»Da ist doch Frische, da ist doch Jugend da ist doch Herzlichkeit,« hatte der Muckl immer gesagt, und der Maëstro hatte das gleiche gefunden.
Heute freilich nannte der Maëstro den gastfreien Muckl das größte Kameel für diese Entdeckung und sich selber auch.
Frische und Jugend! Ha, ha, ha! Eine blasierte Nervenmolluske war der Student, und der Maëstro hätte die ganze grüne Schulweisheit des albernen Jungen für einen einzigen Ratschlag des Gewerbe-Otto hingegeben, der denn doch anders zu reden verstand.
Wie man sich so irren mochte, wie man so hinter's Licht geführt werden konnte – es war schon eine Gemeinheit!
Immerhin wollte er lieber Schwefelsäure in seinen Rotspohn gießen, als den Gewerbe-Otto um eine Gnade bitten.
»Mag er draußen bleiben wie der andre,« sagte er zu sich selber, und vielleicht hätte er's auch über den Tisch geschrieen, wenn nicht im selben Augenblicke der Muckl als später Nachzügler ins Zimmer gewankt wäre.
»Kinder, mit dem Studenten ist es nichts,« sagte er wie einer, der eben vom Friedhof kommt und dort etwas teures für immer begraben hat.
»Na, warum denn?« fragte der Gewerbe-Otto.
»Er wird ein Poseur.«
»Jetzt auf einmal?«
»Ich hab's schon immer gemerkt,« meinte der Muckl, »aber so wie heute ist mir's noch nie aufgefallen. Ihr hättet ihn nur sehen sollen, wie er die Damen angesäuselt hat, und wie er sich erst gegen den Professor gebläht hat – ekelhaft, einfach ekelhaft.«
»Na, dein Professor ist aber erst recht nichts wert,« sagte der Maëstro mit gereiztem Gesicht.
»Das verbitte ich mir,« schrie der Muckl.
»Gar nichts ist er wert.«
»Ich will mich nicht streiten,« sagte der Muckl, »denn du verstehst von den Menschen so viel wie die Katze vom Malen.«
»Na, weißt du . . . .«
»Wie die Katze vom Malen,« wiederholte der Muckl, »sonst hättest du uns erwachsenen Leuten den jungen Burschen überhaupt gar nicht in die Kneipe bringen können.«
»Wer hat denn die dicke Freundschaft angebändelt,« schrie der Maëstro, »du oder ich?«
»Du hast angefangen,« antwortete schlagfertig der Muckl. »Du hast mit ihm herumgetanzt am ersten Abend, als ob du schon zwanzig Jahr sein Busenfreund wärst.«
»Na, so hab' ich herumgetanzt,« schrie der Maëstro. »So hab' ich Freundschaft geschlossen, und so soll's mich nicht reuen, denn der Student ist mir noch lieber als dein Professor und als alle die kalten Menschen, die nur mit dem Kopf rechnen.«
»Wenn er Ihnen so lieb ist, warum haben Sie dann auf ihn geschimpft?« fragte der Gewerbe-Otto, ohne eine Miene zu verziehen.
Der Maëstro rutschte auf seinem Sitze herum:
»Weil . . . . weil . . . . Himmel, Herrgott, 's ist eben eine Gemeinheit, daß ich immer von so einem Kerl abhängig sein muß.«
»Schlimm genug bei deinem Alter,« sagte der Muckl.
»Eben bei meinem Alter,« eiferte der Maëstro. »Um mich wird's immer einsamer, und ihr laßt mich elend auf dem Strohsacke verenden, wenn's drauf und dran kommt. Der Student aber, der schaut sich wenigstens noch nach mir um, und wenn er zehnmal ein Schafskopf ist, er hat wenigstens Treue und Anhänglichkeit.«
»Auch was gescheites,« höhnte der Muckl. »Treue ist, so lang kein andrer kommt.«
Der Maëstro sah weniger auf ihn als auf den Gewerbe-Otto, der fortwährend mit einem Zahnstocher gespielt hatte.
»Sagt, was ihr wollt, alle miteinander, 's ist doch ein fideler Kerl, mein Verstand.«
Dabei schlug er mit geballter Faust auf den Tisch und fragte den Lockspitzel, wie lange solche Ferien dauerten.
Das war nun schon eine hübsche Zeit, so lange, daß sich der Maëstro genügend den Kopf zerbrechen konnte über den mutmaßlichen Aufenthalt seines Verstandes. Zu Muttern war er nicht gegangen, das hatte er von der Hauswirtin erfahren, die beiden die Betten richtete und alle heilige Zeiten das Zimmer wischte. Also, wo war er? Der Maëstro dachte und dachte, denn ohne Verstand herumzulaufen war ihm auf die Dauer sehr schmerzlich.
»Verdammte Geheimniskrämerei!«
Wenn der Kerl wenigstens eine Karte hinterlassen hätte! Aber nein, er verduftete spurlos, und als der Maëstro nach jener Gesellschaft bei Muckl am späten Mittag erwachte, da war der Student schon lange aus dem Zimmer entwichen, das er erst vor kurzem bezogen hatte.