J. J. Rudolphi
Schneeglöckchen
J. J. Rudolphi

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Der Wunderhahn

Mit einem großen Tragkorb auf dem Rücken, in dem allerlei Federvieh saß, ging ein alter Mann der Stadt zu, um sein Geflügel dort zu verkaufen. Schon Jahre lang hatte er sein Geschäft getrieben, und sein dürftiges Auskommen dabei gehabt, aber ersparen konnte er sich nichts, und was er heute verdiente, das brauchte er auch morgen.

Aber jetzt waren nun durch die Last der Jahre seine Glieder steif geworden, und er gedachte mit ängstlicher Besorgniß an das Ende seines Lebens. »Wie wird es mir noch ergehen,« sprach er zu sich selbst, »wenn mich nun meine Beine nicht mehr in die Stadt tragen können? Weib und Kind hab' ich nicht, die meiner pflegen könnten, und wer wird sich meiner annehmen, wenn ich vor Altersschwäche mir und andern zur Last bin?« Während er so mit sich selber sprach, hörte er hinter sich ganz in der Nähe eine Stimme, die klang so sanft wie Flötenton, und er sah sich um, aber er sah nichts. Da ging er weiter, aber die Stimme ertönte auf's Neue, und er sah sich um, aber er konnte nicht erkennen, woher die liebliche Stimme komme. Da stellte er seinen dicken Knotenstock unter seinen Tragkorb, und lehnte ihn an einen Eichbaum, er selbst aber zog die Arme aus den Tragriemen, um sich besser umsehen zu können, da schien es ihm, als käme der Flötenton aus seinem Korbe, und er hielt das Ohr daran, und deckte das alte Tuch, das er darüber gehängt hatte, ein wenig auf, da sah er, wie ein Hahn auf der Stange saß, und die schönen Töne sang. »Ey, das ist ja ein Wundervogel, den ich da habe,« sprach er erfreut, »ich trage schon dreißig Jahre Hühner in die Stadt, aber ein solcher Hahn ist mir noch niemals vorgekommen. Der soll mir einmal gut bezahlt werden!« »Nur nicht zu gut,« sagte auf einmal der Hahn, »es möchte dich sonst gereuen!« Als der Mann hörte, daß der Hahn auch sprechen konnte, verstummte er eine Zeitlang vor Erstaunen, dann aber nahm er eilig den Tragkorb auf den Rücken, und lief, was er laufen konnte, der Stadt zu.

Aber sein allzu großer Eifer war bald erkaltet, denn der Weg war weit, und er begann müde zu werden. Darum setzte er den Korb nieder, und sah mit Begierde nach, ob er auch den kostbaren Hahn noch habe. Der Hahn saß noch auf der Stange, und sprach: »Lieber Mann, wenn du mir einen großen Dienst erweisen, und dir manches Unangenehme ersparen willst, so öffne deinen Korb, und laß mich fliehen!« »Dich soll ich fliegen lassen?« sagte der Mann. »Wie kommst du zu einem solchen Gedanken! Ich will dich um Gold verkaufen, und dann meine alten Tage in Freude verleben. So einen seltenen Vogel fängt man nicht alle Tage.« »Nun, wenn ich doch verkauft werden soll,« sagte der Hahn, »so verkaufe mich der Königin. Sie wird dich ohne Zweifel reichlich belohnen, aber wenn du mir folgen willst, so behalte von dem, was sie dir gibt, nur das, was dir das Geringste däucht, und laß ihr das Uebrige; es bringt dir doch keinen Segen.« »Dafür laß mich nur sorgen,« sagte der Alte, »ich will schon nehmen, was mir gut dünkt.« Damit nahm er den Korb wieder auf den Rücken, und ging, wiewohl weniger eilig, in die Stadt. Der Hahn aber ließ von Zeit zu Zeit seine Flötentöne hören, und wer dem Manne begegnete, der fragte ihn, und sagte: »ey sagt mir doch, was für einen kostbaren Vogel habt ihr denn in eurem Korb, ihr handelt ja sonst nur mit Hühnern und Gänsen?« »Das ist ein Königsvogel!« erwiderte der Alte ganz kurz und ging in die Stadt.

Diesmal aber ging er gar nicht auf den Markt, wie er sonst that, wenn er Hühner verkaufte, sondern eilte gerade zum königlichen Schloß. Dort ging er in die Schloßküche und setzte seinen Korb auf den Heerd nieder.

»Wir brauchen keine Hahnen,« sagte der Koch, »ich habe gestern schon eingekauft.« »Das glaube ich,« lachte der Mann, »aber einen Hahn, wie ich einen habe, den habt ihr gewiß nicht. Hört nur einmal.« Bei diesen Worten sang der Wunderhahn wieder mit wunderschöner Stimme, so daß der Koch und alle Küchenjungen verwundert um ihn her standen. »Das ist etwas Unerhörtes,« sagte der königliche Koch, »den muß ich unserer gnädigen Frau, der Königin, bringen.« Da holte er aus einem Zimmer einen prächtigen großen Käfig mit vergoldeten Dräthen, und setzte den Wunderhahn hinein. Darauf hieß er den Mann warten, und trug ihn zur Königin. »Gnädige Königin,« sprach er, »da bring ich euch einen Vogel, wie gewiß noch keiner in Eurem königlichen Pallaste gesehen worden ist,« und zeigte auf den Hahn. »Nun was ist denn das?« sagte die Königin. »Das ist ein ganz gewöhnlicher Haushahn, wie man sie alle Tage sieht. Ich habe geglaubt, du bringst mir vielleicht einen seltenen Vogel aus fernen Landen, aber der Hahn da sieht aus, wie alle andere Hühner auch, oder hat er vielleicht besondere Eigenschaften an sich!« »Das ist es eben, gnädige Königin,« sagte der Koch, »den sollt ihr einmal singen hören.« Da fing der Vogel, als ob er es verstanden hätte, an zu singen, und die Königin war entzückt von seiner wunderbaren Stimme. »Den muß ich haben,« sagte sie, »rufe mir sogleich denjenigen, dem er gehört.« Da rief der Koch den Alten herauf zur Königin und er verbeugte sich tief vor ihr und fragte, was sie von ihm begehre. »Den wunderbaren Hahn,« sprach sie, »möchte ich haben; was fordert ihr dafür?« »Er steht zu Euren Diensten,« sagte der Mann, »gebt mir dafür, was Euch beliebt!« Da ging die Königin an einen Schrank, und schloß ihn auf, und nahm daraus einen Beutel, der war gefüllt mit Goldstücken bis oben an. Den nahm sie, und gab ihn dem Manne und sprach: »ich denke, ihr werdet zufrieden seyn.« Der Alte aber verbeugte sich tief, und ging fort; aber als er schon vor der Thüre war, ließ ihn die Königin noch einmal rufen, und sprach: »Hört, ich habe mich bedacht, und gefunden, daß die Belohnung, die ich euch für den seltenen Vogel gegeben habe, doch zu gering sey. Solche Seltenheiten können nur mit anderen Seltenheiten bezahlt werden. Da hat mir vor einiger Zeit ein Mann, der fremde Länder durchreis't hat, drei Stückchen Holz mitgebracht, die die Kraft haben sollen, den glücklich zu machen, der sich desselben auf die gehörige Weise bedient. Du darfst denn nur, wenn du in einem Unglück bist, ein Stückchen davon abschneiden, und es verbrennen, so wird sich dir bald eine Gelegenheit darbieten, wo du Jemand einen großen Dienst erweisen kannst; den thue ihm, und du wirst reichlich dafür belohnt werden. Aber sehe dich wohl vor, daß du ihm auch alles erfüllst, um das was er dich bittet, denn sonst wird es dich nicht viel nützen.« Der Alte schüttelte aber dabei ungläubig den Kopf, er nahm es aber doch an, und ging eilig von dannen, so eilig, daß er vergaß, seinen Hühnerkorb aus der Küche mitzunehmen. Als es ihm aber vor der Stadt einfiel, da dachte er: »nun an dem Korbe ist mir jetzt nichts mehr gelegen, den mag nun ein anderer tragen. Jetzt will ich mir's wohl seyn lassen.« Da ging er heim, und sogleich zum Zimmermann, der mußte sein Häuschen niederreißen, und ihm ein neues, viel größeres Haus erbauen; er kaufte sich schöne Stühle, Tische, und schöne Kleider; aß, trank, lebte herrlich und in Freuden. Seine Nachbarn aber konnten nicht begreifen, wo der Mann den Reichtum her habe. »Bei dem ist das Glück recht eingekehrt,« sagten sie, »wenn es uns doch auch einmal so über Nacht käme!«

Der Alte lebte nun eine Zeit lang sehr vergnügt in seiner neuen Wohnung. Aber wenn er in seinen Garten hinausging, und sah die schönen Felder seiner Nachbarn, und das Ritterschloß, das vor ihm auf einem Berge lag, und hörte die Jagdhunde bellen, und gedachte, was der Ritter doch für ein lustiges Leben da oben führe, da kam es ihm vor, als sey sein Häuschen doch gar zu klein, und sein Reichtum sey gegen den des Ritters doch für nicht mehr zu achten, als ein Glas Wasser in einem Brunnen. Da ward er denn traurig, und es gereute ihn, daß er den kostbaren Hahn so wohlfeil weggegeben hatte. »Was bin ich denn jetzt,« sprach er zu sich, »mehr als ich vorher war? Es ist wahr, ich habe ein neues Haus, und einen schönen Garten. Ich brauche nicht dreimal in der Woche in die Stadt zu gehen, und meinen schweren Korb zu tragen, ich kann essen und trinken mehr und besser, als meine Nachbarn, – aber was habe ich im Ganzen gewonnen? Werde ich darum von andern mehr geehrt? Meine Nachbarn reden noch gerade mit mir, und wenn sie mich grüßen, so sagen sie, guten Abend Hans, als wenn ich noch den Hühnerkorb auf dem Rücken hätte! Nein, das muß anders werden! Aber wie? Nun, da fällt mir ein, die Königin hat mir da ein Stückchen Holz gegeben, das soll die wunderbare Eigenschaft an sich haben, Unglückliche glücklich zu machen. Das will ich doch einmal probiren. Unglücklich bin ich zwar nicht, was man so sagen kann, aber bin ich denn glücklich? Das ist eine andere Frage. Nein, ich bin's nicht, bis ich ein Rittergut habe, und so ein Schloß, wie der gestrenge Herr da oben.« Damit ging er in sein Haus und suchte in einem Schranke das Stückchen Holz, das er, als kaum der Mühe werth, in eine Ecke geworfen hatte. Das nahm er, ging in die Küche, und zündete ein Feuer an. Dann schnitt er ein kleines Stückchen ab, und warf es in's Feuer. Er erwartete nun, daß die Mauer sich öffnen, und eine Fee heraustreten werde, die ein Paar kleine Dienstleistungen von ihm begehren, und ihn dann reichlich belohnen werde; aber die Mauer that sich nicht auf. Statt dessen klopfte es an seiner Thüre, und er ging hin, um zu sehen, wer da sey. Als er die Hausthüre öffnete, stand ein armer alter Mann, noch älter als er selbst, da, und bat um ein Stückchen Brod. »Ich habe jetzt keine Zeit,« sagte der Alte, schloß die Thüre schnell hinter sich zu und ging wieder in die Küche, um zu sehen, ob die Fee noch nicht da sey. Aber sie war noch nicht da. Da dachte er, vielleicht war das Stückchen Holz zu klein, daß der Geruch nicht zu ihr kommen konnte. Er schnitt darum ein größeres ab, und warf's in die Flammen, aber die Mauer that sich nicht auf. Aber an der Thüre jedoch klopfte es noch einmal. Da ging er schnell hin, und öffnete sie, und der Alte bat gar kläglich um eine kleine Gabe. »Ich habe jetzt keine Zeit,« gab er ihm zur Antwort, »ich habe wichtigere Geschäfte.« Da verschloß er die Thüre, und ging wieder in die Küche, und sah nach der Fee, aber sie war noch nicht da; da schnitt er ein drittes Stück ab, und warfs in die Flammen, so daß ihm nur ein kleines Stückchen übrig blieb. Aber es verbrannte wie die vorigen, und er sah und hörte nichts, als das Klopfen des Armen an der Thüre. »Ich hab' euch schon gesagt,« sprach er, »daß ich jetzt keine Zeit habe. Laßt mich in Ruhe, und geht eurer Wege.« Darauf ging er wieder in die Küche, und sah nach der Fee, aber sie war noch nicht da. Da ward er ungeduldig. »Ich habe es gleich gedacht, daß nichts an dem einfältigen Holze sey. So wird man in der Welt angeführt. Da hat mir der Wunderhahn gesagt, ich soll von dem, was die Königin mir gäbe, nur das Geringste nehmen. Hätt' ich's gethan, was hätt' ich jetzt? Und die Königin glaubte mir was rechtes zu geben, als sie mir das Wunderholz gab, wie sie sagte. Da habe ich was rechtes daran! Fort mit ihm, sonst ärgert es mich, wenn ich es ansehe.« Damit warf er es zum Fenster hinaus in den Garten, wo eine Menge Holzspäne aufgehäuft waren. Dort lag es, und er kümmerte sich nicht mehr darum.

In der Nacht aber kamen Diebe, die stiegen zum Schornstein herein, und schlichen zu ihm an's Bett, und drohten ihm mit dem Tode, wenn er einen Laut von sich gebe. Dann räumten sie seine Schränke und Kisten aus, und nahmen ihm sein Geld, und seine schönen Kleider, und als sie alles leer gemacht hatten, gingen sie davon. Der alte Hans machte zwar viel Lärm und rief seine Nachbarn zusammen, aber die Diebe waren nicht mehr einzuholen. Da betrübte er sich, und schloß sich einen ganzen Tag ins Haus, und ließ sich gar nicht mehr sehen. Aber der Hunger trieb ihn am Abend heraus. Er ging zu einem Nachbarn, und bat ihn, ihm einiges Geld zu leihen. Das that auch der Nachbar. Da kaufte sich Hans Lebensmittel, und lebte einige Tage davon, er ging aber nicht aus, denn er schämte sich in den alten Kleidern, die ihm die Diebe glücklicher Weise gelassen hatten, sich zu zeigen. Aber in der dritten Nacht brach Feuer in seinem Hause aus, und es brannte so schnell, daß er sich kaum retten konnte. An's Löschen war gar nicht zu denken, denn ein brausender Sturmwind trieb die Flammen immer zu neuer Wuth an, und es war keine Stunde vergangen, da war Hans so arm, als er vorher gewesen war. Denn sein Nachbar, der ihm das Geld geliehen hatte, nahm seinen Garten dafür in Beschlag und unserm Hans blieb nichts übrig, als sein alter Rock, ein Stab und ein Bettelsack, und ein Herz voll Kummer und Sorge. Da verwünschte er den Tag wo er den Wunderhahn in seinem Tragkorb gehabt hatte, und die Stunde, wo er ihn der Königin verkaufte. »Jetzt bin ich ärmer, als arm,« sagte er, und ging jammernd um die Brandstätte, wo sein Haus gestanden hatte, und in den Garten, dessen Früchte nun ein anderer einerndten sollte. Wie er aber so über die Trümmer hinging, da sah er auf einem Haufen ausgebrannter Kohlen das Stückchen Holz liegen, das er vor ein Paar Tagen zum Fenster hinausgeworfen hatte. Er hob es auf, und verwunderte sich, daß es bei dem gewaltigen Feuer nicht verbrannt sey. »Das ist doch wunderbar,« sprach er bei sich, »das Holz muß doch etwas besonderes an sich haben. Sollte es vielleicht möglich seyn, daß es mir noch Glück brächte? Nun, ich will es einmal versuchen.« Darauf nahm er Abschied von seinen Nachbarn, und jeder schenkte ihm ein großes Stück Brod oder einen Kreuzer Reisegeld, denn der arme Hans dauerte sie doch in seinem Unglück, ob er gleich im Glück so hochmüthig gewesen war.

Er ging nun fort, und wußte nicht, wo er hinging. Da kam er in einem großen Wald, und als er an eine freie Stelle kam, sammelte er eine Handvoll dürres Gras und Reiser, und zündete ein kleines Feuer an, dann warf er das Stückchen Holz hinein, und seufzte dabei, und sagte: »Das ist das Letzte, wenn das nicht hilft, so weiß ich nicht, was ich anfangen soll.« Das Stückchen Holz war aber noch nicht völlig verbrannt, da rauschte etwas oben in den Aesten der Bäume, und er sah, wie ein Adler herabflog und etwas in seinen Klauen trug, und es auf den Boden legte. Er besann sich nicht lange, sondern griff nach einem Stein, und traf den Adler so geschickt auf den Kopf, daß er todt niederfiel. Dann lief er hin, um zu sehen, was der Adler in seinen Krallen gehabt habe, und glaubte gewiß eine Kostbarkeit darin anzutreffen, aber wie erstaunte er, als er statt dessen ein kleines Kind darin fand, das in feine Windeln und Decken eingehüllt war.

»Das ist mir ein wahres Unglücksholz,« rief er aus, »das mir die Königin da geschenkt hat. Kaum hatte ich das erste Stück verbrannt, so kommen auch gleich Diebe, und rauben mir, was ich habe; ein Wunder ist's, daß sie mich am Leben gelassen haben; dann brennt mir gar das Haus ab, und ich bin ein elender Bettler. Nun, da ich mein Glück zum Letztenmal versuche, führt mir das Unglück den Adler daher, und der bringt mir ein Kind. Was soll ich damit anfangen? Bin ich nicht selber arm genug, wie werd' ich für das arme Würmchen sorgen können? Aber doch darf ich's nicht liegen lassen, das wäre gottlos gehandelt.« Darauf nahm er das Kind auf seinen Arm, und wollte weiter gehen, da fiel ihm der Adler ein. »Den will ich doch mitnehmen,« sagte er, »die Leute glauben mir sonst nicht, wenn ich ihnen die Geschichte erzähle.« Darauf ging er weiter, und kam auf einen einzelnen Hof, dort gab ihm eine mitleidige Bäuerin zu essen, und kochte dem Kindlein einen Brei, und fütterte es, bis es satt war. Dann schlief es wieder ein, und der Alte nahm's auf den Arm, und ging mit ihm weiter. Er war noch nicht weit gekommen, da hörte er hinter sich Pferdegetrapp, und ein wohlgekleideter Reiter hielt bei ihm an, und sprach: »Sagt, habt ihr nicht einen Adler gesehen, der etwas in den Klauen trug?« »Ja freilich,« sagte der Alte, »wenn ihr ihn sehen wollt, da ist er, aber ich will euch lieber zuerst zeigen, was er getragen hat.« Damit wickelte er die obere Decke ab, und darunter lag das Kind und schlief so ruhig, als ob ihm heute noch nichts geschehen sey. Als aber der Reiter das Kind erblickte, nahm er's in seine Arme, und rief hocherfreut: Gott sey gedankt, ich habe mein Kindchen wieder. Darauf mußte ihm der Alte erzählen, wie er dazu gekommen sey. Der Reiter aber sprach: »ihr sollt dafür belohnt werden.« »Was soll ich euch geben? Soll ich euch Geld geben, oder soll ich euch ein Haus bauen?« »Ich danke euch dafür,« sagte der Alte, der durch Unglück weise geworden war: »wer Geld besitzt, dem stellen die Diebe nach, und wer ein Haus hat, dem kann es abbrennen, und er wird ärmer, als er zuvor war. Wenn ihr mir aber eine Gnade erweisen wollt, so nehmt mich zu euch, und behaltet mich bis an mein Ende, denn ich bin alt, und meine Beine werden mich nicht mehr weit tragen.« »Das soll geschehen,« sagte der Reiter, »für jetzt setzt euch einen Augenblick nieder, ihr sollt gleich bei mir seyn.« Darauf nahm er das Kind unter seinen Mantel, und ritt so schnell, als das Pferd laufen konnte, davon.

Der Reiter aber war ein vornehmer, reicher Graf, der hatte sein Schloß auf einem Berge, und er wohnte dort mit seiner Gemahlin und seinem einzigen Söhnlein. Da war am Morgen die Amme mit dem Kinde in den Garten gegangen, und hatte es unter einen blühenden Rosenstock gelegt, und war einen Augenblick von ihm gegangen. Da kam ein großer Adler herabgeflogen, und packte das Kind, und trug es davon, und ehe die Wärterin noch hinzueilen konnte, war er auch schon davon geflogen. Der vornehme Graf und seine Gemahlin aber waren vor Schrecken und Betrübniß außer sich, daß sie ihr einziges Kindlein sollten verloren haben sollten. Er schickte darum Boten in alle Gegenden, und ließ nach dem Adler und dem Kindlein forschen, und ritt selbst durch alle Dörfer und fragte alle Menschen, die ihm begegneten. Aber jetzt, da er sein liebes Kindlein wieder hatte, und mit ihm in den Schloßhof hereinritt, da lief ihm seine Gemahlin entgegen und rief ihm ängstlich zu: »hast du unser Kindlein?« Da reichte er es ihr hin, und sie nahm es und küßte es, und vergoß Thränen der Freude, wie nur eine Mutter über ihr verloren geglaubtes Kindlein weinen kann. Dann aber erzählte ihr der Graf, wie er dazu gekommen sey, und schickte einen schönen Wagen hinaus mit gepolsterten Sitzen, der mußte den alten Hans auf das Schloß führen, und der Graf und die Gräfin konnten nicht aufhören, ihm ihre Dankbarkeit zu bezeugen. Da erkannte Hans, daß es doch noch kostbarere Güter gebe, als Gold und Silber, nämlich den Dank aus lauterem Herzen, den man sich verdient. Der Graf aber sprach: »ihr sollt bei mir bleiben, so lang ihr lebt!« Darauf wieß er ihm eine schöne Stube an, so schön, wie Hans auch in seinem neuen Hause keine gehabt hatte, und ein Bett stand darin, dessen sich ein Graf nicht hätte schämen dürfen. Da lebte denn Hans ruhig und zufrieden, und fütterte die Hühner und die Tauben, und die Pfauen und die Fasanen, und als der kleine Graf heranwuchs, schnitt er ihm schöne Steckenpferde, und lehrte ihn Ball werfen und Kegel schieben, wie er's selber in seiner Jugend gethan hatte. Er lebte aber noch manches Jahr in ruhiger Zufriedenheit, und starb endlich, betrauert von allen, die ihn kannten.


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