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Dr. von Duhnin fehlte beim Abendbrot und niemand erkundigte sich nach den Gründen seines Fernbleibens; Max referierte dem Fräulein Kronenhaupt über die akutesten Anekdoten der letzten »Jugend« und besorgte die Konversation für alle übrigen Anwesenden, bis Adolf eine Pause benutzte, um die Geschichte seines von einem waschechten Prinzen anerkannten Reittalentes zu wiederholen, doch hinderte ihn das nicht, der blonden Fontagne neugierige Blicke zuzuwerfen.
Schon vor neun Uhr stimmten Damen und Herren überein, daß sie müde seien und zu Bett zu gehen gedächten.
Und wünschten einander eine geruhsame Nachtruhe.
Noch auf der Treppe, anstatt des gewohnheitsmäßigen Gutenachtkusses, zischte Ihre Exzellenz Frau Melanie Fontagne der Tochter haßerfüllt durch die Zähne zu: »Das ist Deine Schuld, Du ...«
Worauf in sehr gemessenem, direkt bescheidenem Tone einfach geantwortet wurde: »Die Schuld? Wohl nicht ... vielleicht aber die Ursache ... Gute Nacht, Mama.«
* * *
In ihrem Zimmer wog Eva nicht ängstlich ab, ob ihre Mutter mit dem Vorwurfe im Recht war, oder sie selbst in der mechanischen Abwehr der Anklage das Richtige traf; sie nahm ausnahmsweise das Geschehene als unaustilgbare Tatsache hin und strengte sich nun an, das Kommende zu überlegen; dabei marterte das Mädchen ein stechender Schmerz in den Schläfen, als bohre eine mutwillige Hand mit einem scharfen Instrument ...
Mit Anstrengung legte sie sich die Ereignisse zurecht: ... der Steppenrit wird den Duhnin gefordert haben ... nein – umgekehrt ... Morgen oder übermorgen findet das Duell statt ... gut ...
Soweit reichte die Logik des schmerzenden Kopfes; nur daß es so werden mußte, das sah er noch ein ... und daß es so wurde, befriedigte die zum Zerreißen angespannten Nerven beinahe.
Endlich eine Klärung ...
Merkwürdig, sie war darüber froh.
Mit dem Schwinden der Aufregung quoll aus dem nachtdunklen Zimmer ein dürres Gespenst – die Furcht ...
Eine entsetzliche Angst um Klaus von Steppenrit.
Das Mädchen drückte die glühende Stirn an den kalten metallenen Griff eines Papiermessers; das schaffte ihr Erleichterung.
Auf dem Gang erschollen Tritte; die Blonde hielt den Atem an – ein Pochen an einer Tür. An der Tür des Bruders.
»Schlafen Sie schon, Herr Fontagne?«
»Nein. Wer ists?«
»Duhnin.«
Ein wisperndes Gespräch.
»Gute Nacht.«
»Schlafen Sie wohl.«
Die Schritte entfernten sich über die Stiege zum zweiten Stock.
Als es wieder still war und nur die wasserarme Wehr des Auenbaches rauschte, schlich Eva auf den Zehenspitzen in den Korridor und rief gedämpft: »Max ...«
Und sofort die Antwort: »Du wünschest Eva?«
»Bist Du alleine?«
»Ja. Komm herein und schließe vorsichtig die Tür; Achtung, denn die Angeln knirschen. Mama schläft.«
»Ich möchte in die frische Luft. Begleitest Du mich? Mein Kopf tut mir weh und ich ertrage die laue Temperatur hier nicht.«
»Sofort ...«
Schon wenige Augenblicke hernach erschien Max Fontagne und stülpte die Sportmütze auf: »Bitte …«
Sie stiegen die steile Treppe hinab; ein Lämpchen in der Mauernische leuchtete ihnen; in der Flur meinte der Bruder: »Nimm einen Kragen um, Eva; Du wirst Dich erkälten.«
»Nein ... Sag, was wird sein?«
»Nicht hier. Das Stubenmädchen räumt noch im Speisesaal und die Affäre gehört nicht an die große Glocke.«
Als sie schon ein gutes Stück auf dem Fußsteig längs des Flusses schweigend gegangen waren, wollte Eva nochmals fragen, aber da begann Max eben von selbst: »Eigentlich darf ich Dir keine Auskunft geben; der Kodex in Ehrenangelegenheiten ist sehr streng und verbietet ...«
Doch die Schwester schnitt die skrupulösen Bedenken, die er nur in seiner angeborenen, unbehilflichen Unentschlossenheit vorbrachte, energisch ab: »Unsinn! Und in diesem Fall liegen die Dinge anders, als gewöhnlich. Ehrensache ...!« Sie lachte trocken: »Schöne Ehrensachen das ... Ihr könnt Euch darauf etwas einbilden ... Wenn man sich wie der Duhnin benimmt, wie ...« und das Mädchen unterdrückte den Rest.
In Max Fontagne blitzte eine Erkenntnis auf und forschend, mit einem prüfenden Seitenblick, entgegnete er bedeutsam: »Man kann auch sagen – wenn man sich so benimmt, wie der Steppenrit!«
Da wurde sie unwillig, als träfe sie selbst die Beschuldigung: »Er war der Angegriffene. Verdreht doch die Sache nicht ... Aber ...« das Mädchen beherrschte sich: »Aber das ist gleichgiltig ... Wie wird es enden?«
»Enden?« Max genoß voll den prickelnden sensationellen Kitzel, der für Momente sogar seine unwiderstehliche Liebenswürdigkeit besiegte; ungefähr und von oben herab sagte er: »Ich schätze, übermorgen um diese Zeit wird Klaus von Steppenrit ein toter Mann sein. Alexander fehlt auf fünfzig Schritte den Kreuzer nicht, den man zwischen zwei Fingern hält. Auf Ehre!«
Und Eva antwortete skeptisch: »Das heißt es immer.«
Er ereiferte sich und begann die Sache als eigene zu betrachten: »Und wenn ich das Kunststück mit eigenen Augen gesehen hätte?«
»So beweist das immer noch nichts.« Ein hartnäckiges, geringschätzendes Zweifeln.
»Willst Du so gnädig sein, mir zu erklären, warum dieses Faktum plötzlich nichts bedeutet?« Dem Liebenswürdigen gelang die Ironie nur mäßig und es klang mehr wie verärgerter Hohn.
Gerade durch den Spott abgekühlt, erwiderte Eva: »Halte mich doch nicht für so albern! Erstens benutzt man bei Duellen ungezogene Pistolen und nicht Präzisionswaffen; zweitens rebellieren in gewissen Situationen auch dem Mutigsten die Nerven, denn es gilt in der Regel nicht als Beruhigungsmittel, wenn unser Gegenüber uns über den Lauf einer Pistole weg fixiert!«
»Teilweise magst Du ja recht haben, nur vergiß nicht, daß der bessere Schütze jedenfalls auch die besseren Chancen hat.«
»Und der bessere Schütze ist natürlich der Duhnin!«
»Vermutlich.«
Der demaskierte Hohn der Blonden jetzt war ebenso wenig echt, wie früher ihre abgerungene Ruhe: »Wenn Du Dich nur nicht irrst, lieber Max – wenn nur nicht Dein angebetetes Ideal den Kürzeren zieht!«
Sie lachte; um das Weinen zu ersticken, das ihr näher lag.
»Ideal?« Die Wendung, die das Gespräch nahm, verletzte die Eigenliebe des jungen Mannes und er wollte kränken: »Du ergreifst ja sehr temperamentvoll Partei. Sollte Mama wirklich nicht so ganz daneben tappen, wenn sie Dir die Hauptschuld an dem häßlichen Renkontre zuschiebt?«
»Sie wird wirklich ganz daneben tappen ...« Eva Fontagne accentuierte jede Silbe einzeln: »Oder hetzte ich den Duhnin und den Steppenrit gegeneinander? Mein unsühnbares Verbrechen besteht einzig und allein darin, daß ich einem Menschen dankbar war, der mir in einer hilflosen Lage Beistand leistete – und daß ich heute den, der sich anständig betrug, gegen, den, der ihn auf offener Straße ohne Anlaß insultierte, in Schutz nehme ... Ist es nicht so? Urteile doch einmal in Deinem Leben selbständig und plappere nicht nur Vorgesagtes kritiklos nach!«
Dem Bruder fehlte die richtige Antwort darauf, deshalb schwenkte er ab: »Du hast also nicht die Absicht, Alexander zu heiraten ... Wenn Du so über ihn denkst. Ich sage nur meine eigene Meinung, wenn ich seine Bezeichnung durch Steppenrit für hart – aber begründet halte.«
»Der Steppenrit ... geht mich weiter nichts an ...,« das Mädchen wurde in dem Gefühl, mehr verraten zu haben, als ihm lieb war, unsicher, »aber Herrn von Duhnin werde ich gewiß nicht heiraten.«
Wortlos schritten die Geschwister nebeneinander, Eva auf dem schmalen Steig, Max schleifte seinen Mantel im feuchten Gras nach; sie sammelte sich und setzte endlich die abgebrochene Aussprache mit gesuchter Herzlichkeit fort: »Es ist doch zwecklos, Max, daß wir uns à tout prix herumzanken; die Affäre ist unglücklich genug und greift mich an ... Wozu müssen wir uns auch noch in die Haare fahren und verletzende Worte sagen ... Mit Mama kann ich gar nicht mehr sprechen ... Sei nicht herzlos und quäle mich nicht. Ganz objektiv: wie steht also die Sache?«
Der vernünftige Appell rührte seine Gutmütigkeit: »Liebe Eva – gut steht die Geschichte leider gar nicht ... Auf Duhnins Ersuchen fragte ich den Steppenrit, auf wen er die Drohung mit der Reitpeitsche münzte; er deutete auf Alexander und bevor ich noch wegen einer Entschuldigung für die schwere Beleidigung anklopfte – ich bestrebte mich Deinetwegen, den Zwischenfall möglichst gütlich aus der Welt zu schaffen; der Duhnin legt auf eine verwässerte Versöhnung wahrlich kein Gewicht –, schnitt der Steppenrit auch schon jeden Ausgleich ab: »Die Chose ist unendlich einfach,« sagte er, »jener Herr und ich werden uns schießen, paßt Ihnen das?« Ich entgegnete selbstredend: »Das paßt meinem Mandanten.« Und dann versprach ich ihm noch, zwei Vertreter zu beschaffen, weil er in der Gegend fremd ist. Mehr konnte ich mit dem allerbesten Willen nicht tun! – Alexander war ganz meiner Ansicht und ich depeschierte sofort an das Offizierkorps der Kaiserjäger nach Oberburg um vier Herren und einen Arzt. Ich habe auch schon eine Antwort – übermorgen geht der Tanz los, morgen können sie unmöglich ab.«
Nachsinnend blieb Eva Fontagne stehen: »Und Du weißt keinen Ausweg mehr, Max? ... Gar keinen?«
»Keinen.« Und nach kurzem Überlegen, das in keinem Punkt über die Schranken des Ehrencodex hinausdachte: »Außer der Steppenrit tut kurz vor Torschluß noch Buße in Sack und Asche. Das sieht dem Mann aber nicht ähnlich.«
Zaudernd – eindringlich forschte das Mädchen: »Und der Duhnin ... würde er sich zuerst entschuldigen ...? Er war doch der Angreifer ...«
»Da kennst Du ihn schlecht!« bestimmt und abweisend.
»Wenn ich ... wenn ich ihn darum bäte?«
Max Fontagne wurde heftig und seine Stimme rauh: »Das laß nur bleiben! Misch Dich nicht ein und spiele nicht den Friedensengel ... Ich hätte Dir gar nichts mitteilen sollen. Ihr Weiber, mit Ausnahme von Mama, habt ja keine Idee von der männlichen Ehre.«
Der junge Mann war mit sich zufrieden; er kam sich sehr großartig und sehr erhaben vor.
Die Blonde antwortete um so milder: »Wenn Du willst, verspreche ich Dir, dem Duhnin kein Wort zu sagen ... Ich möchte Dir keine Unannehmlichkeiten bereiten.«
»Danke! Du handelst nur in Deinem eigenen Interesse, wenn Du ein Feuer nicht bläst, das Dich nicht brennt.«
Einsilbig, nur selten ein Wort, das nichts besagte, hinwerfend, gingen die Geschwister heimwärts.
* * *
Bis sie die Tür ihres Schlafzimmers von innen verriegelt hatte – so lange hielt Eva Fontagnes Selbstbeherrschung an; dann aber warf sie sich verzweifelt aufschluchzend aufs Bett; das tränenlose schreckliche Weinen erschütterte den Körper des Mädchens, das den Kopf in den Kissen barg, um nicht aufzuschreien vor Weh und Angst ... Sie nannte sich eine Mörderin, die mit dem Einen ein gewissenloses Spiel trieb und gleichzeitig den Anderen an sich zog; sie schalt sich eine verwerfliche Kokette, die niemand liebte – niemand lieben konnte ...
In perverser Lust und Qual häufte sie Selbstanklagen auf Selbstanklagen ...
Allmählich kehrte erst wieder eine gewisse Besonnenheit zurück.
In sich zusammengesunken kauerte Eva am Bettrand und krampfte die Nägel ins Holz.
... Wie ungestört, in einer geraden Linie, war ihr bisher das Leben verlaufen; sie meinte ihr Schicksal in der Hand zu haben, dessen Problem für ihre Kurzsichtigkeit einfach genug lautete: Duhnin oder nicht ... Mit einem einzigen Schlag entglitt das Steuer – und sie zweifelte, ob sie es jemals führte, ob sie sich nicht nur mit der Strömung hatte treiben lassen und in einer verhängnisvollen Selbsttäuschung für eine freigewählte Bahn hielt, was der Kurs einer unerbittlichen Notwendigkeit gewesen war.
Weit hatte sie es gebracht, beneidenswert weit: die eigene Mutter wurde ihr fremd, Max beteilte sie großmütig mit wertlosen Liebenswürdigkeiten, weil er nicht anders konnte – und der Duhnin, den hatte sie dahin getrieben, daß er den einzigen Menschen töten würde, den sie liebte ...
Eva Fontagne liebte Klaus von Steppenrit.
Ohne Scheu gestand sie vor sich die Leidenschaft, die sie so unsinnig verleugnete – so lange geleugnet hatte, bis es zu spät war.
Und diese Liebe schien ihr eine alte, uralte Wahrheit zu sein, selbstverständlich und natürlich, wie nur ewige Weisheiten sein können.
Wenn der Mann fiele, ihretwegen fiele, dann wäre auch ihr Leben zu Ende und auch sie müßte sterben ...
Und sie verzweifelte und rang in trostloser Selbstverachtung die Hände, weil sie wußte, daß sie auch dann nicht sterben, sondern feig ein verlorenes Leben ausleben würde, denn der brutale Lebensinstinkt der Jugend bebte vor dem Gedanken an den Tod ... vor der Flucht aus dem Dasein ...
Jetzt erst fand Eva Fontagne Tränen – Tränen über sich selbst.
In der tiefsten Zerknirschung erwachte die Hoffnung aus Rettung ...
Dieser irrlichternde, trügerische Abglanz einer gleißend glimmenden Hoffnung beruhigte das Mädchen merkwürdig.
Sie kleidete sich aus und legte sich nieder, um zu schlafen; und schlief einen bleiernen Schlaf.
Nicht traumlos ...
Als die Blonde erwachte, graute fahl und farblos der Tag und das verwirrte Hirn ordnete die wüsten Phantasien des Schlafes ...
Eva Fontagne hatte den Steppenrit tot im blumigen Gras liegen gesehen – das Gesicht des Toten schnitt seiner Mörderin eine greuliche Fratze und Alexander von Duhnin krallte die geglätteten Fingernägel wollüstig in den bläulichen Hals der Leiche.
Da erwachte sie.
Und erhob sich.
Noch vor dem Frühstück huschte die Blonde behutsam aus dem Haus ins Freie, in die klare Morgenluft, wo die Sonne siegreich ihre ersten Strahlen Heil und Segen verkündend über Berge und Täler sandte ...
Tiefer, tiefjubelnder Friede!
Majestätisch purpurn glühte das Schwerthorn.
In Eva Fontagne floß aus der Allmacht der Natur die Kraft, jenen Weg zu gehen, der ihr in all den Irrgängen als der gute Weg erschien.
* * *
In der Pension International herrschte eine gedrückte Stimmung.
Die Kronenhaupt entdeckten, daß es geradzu wunderbar wäre – »klassisch schön« drückte sich Mara aus – einen Ausflug ins nahe Krakental zu unternehmen, und im Markte Balustre, in einer Ansiedelung, deren Gründung den römischen Imperatoren zugeschoben wird, zu mittag zu speisen; das Projekt gelangte nicht zur Ausführung; Exzellenzfrau Fontagne trug eine Leidensmiene zur Schau und versicherte jedermann, der wehende Südwind verursache ihr Migräne; dagegen regte sich kein Lüftchen und erst gegen Abend konstatierte der knarrende rote Wetterhahn auf der Kirchturmspitze einen erfrischenden Ost. Max pendelte geschäftig zwischen dem Hotel und dem Postamt hin und her und zog die Augenbrauen beängstigend hoch, wie es Ärzte an Krankenbetten zu tun pflegen, und beantwortete die dringendsten mitfühlenden Fragen nach »Neuigkeiten« mit vorsichtig umflorter Stimme, die das Schlimmste vermuten ließ: »Bedauere, geehrtester Herr Adolf, es sind strengste Geheimnisse!«
Und nur für das rege Interesse Maras, die ihrerseits wieder großmütig den Anderen unter dem heiligsten, beschworenen Siegel der Verschwiegenheit als Eingeweihte geheimnisvolle Mitteilungen zuraunte, fielen von Seiten des verliebten Fontagne einige Nachrichten ab.
So waren bald alle orientiert.
Dr. Alexander von Duhnin blieb unsichtbar in seinen Kemenaten, schrieb Briefe und empfing die Visiten seines rührigen Vertreters.
Eva raffte die Freundlichkeit und Höflichkeit zusammen, die ihr zu Gebote stand, und bestrebte sich, eine zartfühlende Tochter und Schwester, eine angenehme junge Dame zu sein, aber sie stieß nur auf verschlossene und reservierte Menschen, die verdrossen antworteten; ›Du bist für sie eine Verworfene!‹ dachte das Mädchen und die Erkenntnis weckte seinen Hochmut –; was kümmert es mich ...
Doch innerlich litt die Blonde darunter. –
Vor Sonnenuntergang, wie zufällig und wie ohne Ziel, wanderte Eva Fontagne langsam durch die noch vom Jahrmarkt her mit Papierresten und Strohüberbleibseln beschmutzten Dorfstraßen, an dem Ringelspiel vorbei, wo noch immer die Drehorgel, noch krächzender und verstimmter als am Tage vorher, Märsche und Walzer werkelte; erst jenseits des Auenbaches beschleunigte sie ihre Schritte. Mehrmals blickte sie rückwärts – niemand, keine Menschenseele ...
Die golden Blonde strebte zum Wolfsnest; es war derselbe Weg, den sie damals freudig gegangen war, als der Grat des Schwerthorns ihr Ziel gewesen; aber heute pochte ihr Herz heftig ...
Dämmerung.
Die Nachtschatten wuchsen, der sterbende Widerschein der Sonne, die noch auf die Bergspitzen strahlte, vergloste matt; aus den Bäumen und dem ungezügelten Sträucherlabyrinth tauchte gespenstig der morsche Turm der Ruine auf, dann der restaurierte Seitenflügel.
Sie trat in den verwahrlosten Burghof; Nesseln bedeckten den Boden, Huflattich und wilde Rosen.
Ein schwarzer Neufundländer schlug ein wütendes Gebell an und die Kette, die ihn bändigte, klirrte bei den Sprüngen des erbosten Tieres.
Eva schaute um sich – keine Klingel am Tor und von dem eichenen Türklopfer nur klägliche, abgebrochene Spuren; kunstvolle Kupferbeschläge zerfraß Grünspan.
So pochte sie mit den Fingerknöcheln, anfangs bescheiden und später energischer, als niemand kam; endlich ein schleifendes Geräusch aus dem Inneren und der Schlüssel arbeitete im Schloß; die vergrämte Brigitta öffnete einen ärmlichen Spalt und schielte mißtrauisch aus den kleinen, rotgeränderten Hexenaugen.
»Ist Herr von Steppenrit zu sprechen?«
»Weiß nicht.« Unbestimmt und mürrisch.
»Bitte melden Sie Herrn von Steppenrit, eine Dame wünsche ihn zu sprechen.« Jedes Wort bereitete dem Mädchen Anstrengung.
Die Alte versperrte wieder sorgsam das Tor; der Hund kläffte unablässig. Hätte Eva Fontagne sich nicht geschämt, sie wäre fortgelaufen, wie ein unartiges Kind, das schuldbewußt die Strafe fürchtet. Minuten wartete sie da und kein Laut aus dem Schlosse drang zu ihr; die Minuten dünkten ihr zu Stunden gedehnt; dann nochmals die schleppenden Tritte und die gebückte Brigitta erschien: »Der Herr läßt bitten.«
Die grauhaarige Beschließerin gab kaum so viel Raum, daß das Mädchen ins Haus schlüpfen konnte; und hier mußte sie sich allein zurechtfinden, denn die Wirtschafterin verschwand brummend.
Die Fontagne stieg die Treppe hinauf, die sie kannte; kein Licht brannte und eine ausgefressene Stufe brachte sie beinahe zu Fall.
Vor dem Turmzimmer schöpfte die Erregte tief Atem und klopfte beklommen.
»Herein.«
Sie stand dem Stegreifritter gegenüber.
Im dämmrigen Dunkel sah sie nur die hohe, breitschultrige Gestalt des Mannes und nahm nur die undeutliche legere Bewegung seiner Hand wahr, welche die Worte illustrierend begleitete: »Bitte nehmen Sie Platz, gnädiges Fräulein; womit kann ich Ihnen dienen?«
Die Blonde suchte tastend einen Sessel; der Steppenrit rührte sich nicht; sie wußte kaum, wo er war. Mit der Zeit gewöhnten sich die Augen an die Finsternis und da entdeckte sie auch den Lederfauteuil unter dem Bild des gerichteten Ahnen, der dem Brandenburger zum Opfer fiel. Zuerst stockten ihre Worte, dann sprach sie fließend und geläufig. Der Stegreifritter unterbrach sie nicht – ›vielleicht hört er Dir gar nicht zu‹, schoß es dem Mädchen durch den Sinn.
»Sie werden sich über mein Kommen wundern, Herr von Steppenrit – und Sie sollen auch nicht glauben, daß ich mir nicht bewußt bin, etwas Ungewöhnliches zu tun, das mir die sogenannte Welt nie verzeihen würde ... Wenn ich mich dennoch dazu entschloß ... Sie werden morgen in einem Kampf auf Leben und Tod stehen ... und Ihr Gegner ist – mein Verlobter ...« Eva Fontagne erhob die Stimme: »Das Duell darf nicht stattfinden ...« Hier hielt sie inne, als erwarte sie eine Entgegnung; der Mann an den gotischen Fensterstock gelehnt, sagte kein Wort – fragte nicht, antwortete nicht. Das Mädchen fuhr fort: »Ich bitte Sie, daß Sie sich bei Herrn von Duhnin entschuldigen.«
In diesem Moment erst fühlte sie das Wahnsinnige des Begehrens.
Und die Gestalt löste sich aus dem Dunkel des verschwimmenden Hintergrundes und tat einen Schritt vorwärts; die Worte klangen gepreßt, als müßten sie einen zähen Widerstand gewaltsam überwinden: »Es tut mir leid, aber ich kenne keine Macht im Himmel oder auf Erden, die mich bewegen könnte, Ihrer Bitte zu willfahren. Ich habe nur den einen Wunsch, Herrn von Duhnin zur Strecke zu bringen.«
Die Fontagne erhob sich.
Entschieden, ein halber Befehl, sagte er: »Bleiben Sie, Sie müssen auch meine Gründe erfahren.«
Mutlos sank sie in den Polstersessel zurück.
Der Stegreifritter überlegte; seine Stimme schien von weit, weither zu kommen: »Alles hat seine Vorgeschichte und wer ein Buch liest, mit einem Vorwort, der soll die Einleitung nicht überblättern ...
Vielleicht enthält sie oft das wichtigste. – Ich stamme aus einem Geschlecht, das mit der Mark verwachsen ist, das am eigenen Leib jedes Glück und jede Schmach Preußens kennen lernte. Der große Friedrich sagte zu meinem Großvater: ›Er ist bettelarm und hochmütig wie ein Fürst‹; das mochte ungefähr stimmen, wenn der König damals auch im Zorn sprach. Meine Vorfahren gefielen sich als mittelmäßige Diplomaten und als Offiziere, die mit dem Degen in der Faust besser umzugehen verstanden, als mit den Prinzipien der Strategie. Die Leute nannten uns eine vornehme Familie – trotz unserer Armut, die die Kirchenmäuse beschämte. Bis mein Vater als leichtlebiger Husarenleutnant eine steinreiche Frau heiratete und dem königlichen Dienst Adieu sagte; da schien es, als würden die Steppenrits das Motto Friedrichs II. für Jahrhunderte, wenn nicht für immer Lügen strafen. Meine Mutter starb jung, ich blieb das einzige Kind, wurde in renommierten Erziehungsanstalten und Instituten herumgeschoben und lernte – oder lernte auch nicht. In unseren Kreisen bedeutet das erstere ja nicht viel, das letztere gar nichts. Die Universität absolvierte ich auch und trat in den Staatsdienst – natürlich ins Auswärtige Amt, wozu mich Name und Vermögen prädestinierten ... In den Augen meines Vaters wenigstens, von dem ich nicht viel mehr wußte, als daß er frohe Feste liebte, in Paris und London ständige Wohnungen hatte und dem Sohn unbegrenzte Geldmittel zur Verfügung stellte. Genau genommen, war mir mein alter Herr ein unbekannter Mensch, der nachsichtig lächelte, wenn ich im Strudel der Gesellschaft und der gedankenlosen Geselligkeit schwamm – und ihn imitierte. Das ging so einige Jahre und ich sollte als Attaché nach Petersburg.
Plötzlich starb mein Vater.
Der Tod bleibt stets eine traurige Sache – halten Sie mich nicht für gefühllos, weil ich so objektiv erzähle ... ich zwinge mich dazu ... Und wenn man den mächtigen Herrn nun gar noch selbst herbeirief ... Es ist ja möglich, daß Kohlenoxyd durch einen Röhrenbruch des Ofens ausströmt und vergiftet, doch begleiten besondere Umstände diesen Unglücksfall, dann darf man füglich zweifeln, ob alles nur purer Zufall gewesen ist ... Fast zugleich mit der Todesnachricht rief mich unser Bankier telefonisch an, ich möchte mich in sein Bureau bemühen; mir schwante Böses und so ging ich sofort; er kondolierte zeremoniös und legte vor mich einen Stoß Papiere: »Wollen Sie gefälligst Einsicht nehmen!« Ich nahm Einsicht und mir schwindelte – zahllose Wechsel, prolongierte, fällige, verfallene und alle trugen sie meines Vaters Unterschrift und mir graute vor den Summen ... Der Bankier setzte seinen Klemmer umständlich auf die Nase, wühlte in den Scheinen, suchte einige heraus und tippte fragend auf die Unterschrift – auf meinen Namen: »Das sind Ihre Züge?« Halb ein zweifelndes Forschen, halb ein Bedauern und die Augen des gewiegten Geschäftsmannes, der die Welt auch von ihrer Schattenseite kannte, blickten mich sonderbar an. Ich stützte mich auf die Tischkante, um nicht umzusinken, – und der Tisch schwankte: »Allerdings, es sind meine Züge ...« Und eindringlicher, warm und freundlich die mahnende Frage: »Sehen Sie genau zu – ist es nicht nur Ihr Name, ist es auch Ihre Hand?« Ich hätte jeden Meineid geschworen und sagte hochmütig: »Ihre Nachforschungen beleidigen uns, mein Herr.« Als einzige Antwort zuckte der Mann mit den Schultern und wurde nur mehr Geschäftsmann; er notierte die Summen der Wechsel untereinander auf ein Blatt Papier; es waren zwei Zahlenreihen ... mit sieben Stellen ...
»Ich werde bezahlen.«
»Womit?« Er fragte sanft, nicht beleidigend.
»Mit meinem Vermögen und kostet es den letzten Pfennig.«
»Gestatten Sie eine Bemerkung, die Ihnen unbekannt zu sein scheint: Ihr Herr Vater hinterläßt nichts.«
Nun erfuhr ich die ganze niederschmetternde Wahrheit: das Spiel, verfehlte Spekulationen an der Börse, Leichtsinn, Vertrauensseligkeit und Verschwendung hatten das immense Kapital verschlungen; die letzte unerwartete, unberechenbare Baisse, da der Desperado mit einem kühnen Zug, der alles retten sollte, auf eine Hausse den gewagtesten Einsatz riskierte, gab ihm den Todesstoß.
Er war ruiniert ... mehr als das ...
Ein Krampf schnürte meine Kehle: »Ich werde dennoch bezahlen ... noch besitze ich unser Stammschloß, die Güter in Rußland ...«
Mitleidig schwieg der kühle Rechner.
Und die Erfahrung lehrte mich, daß die riesigen Ländereien nicht die Hälfte der Schulden meines Vaters deckten.
Ich verließ das Bankhaus wie mit einem betäubenden Schlag auf den Kopf und torkelte durch die Straßen Berlins; aus dem Rattern der Droschken, dem Sausen der Straßenbahn und dem Gesumme der Menge raunte es ununterbrochen: ›Du wirst bezahlen ... Du wirst bezahlen ... Du mußt bezahlen ...‹
Schon bei der Beisetzung fehlte mancher Bekannte – die guten Freunde wichen mir erst ein wenig später aus, wenn ich ihnen zufällig begegnete!«
Leise, nebenhin, sagte der Steppenrit: »Und eine wohlerzogene junge Dame sandte mir ein kleines Briefchen – das gab den Rest ...«
Im gewöhnlichen Ton fuhr er fort: »Ich quittierte den Staatsdienst, verkaufte unser Stammschloß, verschacherte die Güter und feilschte tagelang um Groschen. Der Konkurs wurde vermieden, jedenfalls aufgeschoben; das war ein winziger Erfolg. – Den Bankier unterrichtete ich von meinen Zukunftsplänen: »Ich fahre nach Amerika, werde arbeiten, Geld verdienen, bezahlen ...« Er schüttelte herzlich meine Hand: »Glück auf – und alle Achtung!«
Geglaubt hat auch er an mich nicht.
Der Steppenrit zündete eine Zigarette an: »Sie erlauben mir, gnädiges Fräulein ...« Das verglühende Kraut rötete den Rauch. »Nun bin ich bald fertig. – Mit hundert Mark in der Tasche begann ich drüben das neue Leben. Als Ablader der Frachtschiffe in New-York – ich nahm fürs erste, was sich bot, denn auch in dem Land, wo das Geld angeblich auf der Straße zum Einstreichen liegt, gibt es mehr Arbeiter als Arbeit. Ich brach unter den Lasten zusammen und lud neue auf – es mußte sein. Da an Ersparnisse zu denken – Wahnsinn! Ich versuchte alles: Agent, Reporter, Reitlehrer, Instrukteur, Gärtner – nur gerade auf den Kellner und den Bedienten sank ich nicht herab. Wer weiß, wären mir die vorbehalten geblieben, hätte ich nicht unglaubliches Glück gehabt ...«
Der Stegreifritter sog gierig den Rauch ein und lachte verbissen: »Glück! Glück – das macht es allein! Ohne Glück kann man sich den Bast von den Fingern schinden und hungern ... Nach vier Jahren entnervender Arbeit hatte ich den Gläubigern schändliche fünftausend Dollar abgezahlt und saß zu sechst in einem Kontor, um täglich, für vierzig Dollar die Woche, zehn Stunden zu schuften ... Vergleichen Sie die Zahlen mit der halben Markmillion, die ich schuldete ... Eines Abends kommt ein Mann zu mir: ›Herr, ich habe eine grandiose Erfindung gemacht – Tinte aus einem Stoff zu fabrizieren, den die Fabriken als unbrauchbaren Abfall wegschütten ... Es sind Hunderttausende zu verdienen. Ich halte Sie für einen Gentleman; ich besitze keinen Cent und benötige fünfhundert Dollar. Wenn ich mich an die Geldleute in der City wende, betrügen sie mich. Beteiligen Sie sich mit der Summe an meinem Unternehmen – auf Halbpart, Herr!‹
Ich verstand nichts von der Sache; der Mensch, den ich nur ungefähr kannte, konnte ein Narr, ein Schwindler sein – was lag daran? Wer nichts einsetzt, gewinnt nichts. Alles oder nichts! Mein Geld aber – gehörte es noch mir? Ich fragte nicht danach, kritzelte den Chek und wir faßten den Kontrakt ab – Teilung des Reingewinns.
In zwei Minuten war die Sache erledigt.
Mister Grundlow meinte trocken: »Danke Sir; ich habe ein gutes Geschäft gemacht und Sie auch.«
Er hatte Recht und hielt sein Wort.
Die Gläubiger meines Vaters sind befriedigt und mir blieb noch genug übrig ...« Sarkastisch brachte der Stegreifritter den Schluß, wie ein Pointe: »Dafür schreiben die Leute jetzt mit Tinte und Palmixol. So tauften wir großmütig den ganz besonderen Saft.«
Die Blonde hatte gespannt zugehört; sie vergaß, warum sie gekommen; der Mann selbst erinnerte sie erst wieder daran.
»Sehen Sie, mein verehrtestes gnädiges Fräulein,« Klaus von Steppenrit zog das Resümee obenhin, lächelnd, aber mehr und mehr brach sich eine tückische Erbitterung Bahn, die er nicht eindämmen konnte, vielleicht nicht einmal dämmen wollte: »man hat mich für fremde Sünden verantwortlich gemacht – ich trug es; die Gesellschaft brach den Stab über einen Unschuldigen, der es nicht verdiente, verachtet zu werden – ich erduldete die Entwürdigungen; ich bin ein reicher Mann geworden, weil ich das große Los gewann – Fatum, alles Fatum ... Zufall ... Damals und jetzt aber habe ich nichts anderes, als das Bewußtsein, ein anständiger Mensch zu sein und mein Ehrenschild rein erhalten zu haben, da mein Vater unser Wappen in den Kot zog ... Ich bin zurückgekommen und will mich sammeln für eine ehrliche Arbeit, will etwas leisten ...« Er warf die Zigarette fort und zertrat achtlos die stiebenden Funken auf den Steinfließen; seine Stimme klang metallen: »Da kommen nun abermals die Menschen, gönnen mir neidisch meine Ruhe nicht und zerren hämisch an meiner Ehre ... Da haben Sie die Lösung, warum der Herr von Duhnin vor die Pistole muß. An mir wird es nicht liegen, wenn ihn meine Kugel nicht niederstreckt, daß er das Aufstehen verlernt ...«
Eva Fontagne verstand ihn; während er sprach, war sie mit ihm entehrt worden, hatte sie an seiner Seite gerungen, wurde sie mit ihm beschimpft ... Tonlos fragte sie: »Und wenn Sie fallen, Herr von Steppenrit ...«
»Mein Gott ...« sie glaubte in dem undurchdringlichen Dunkel in seine fatalistischen Augen zu blicken: »was ist dann weiter, als daß ein Leben ausgelebt ... Schade ist es darum nicht und niemand wird mir eine Träne nachweinen ...«
Dumpf grollend sagte das Mädchen: »Und an mich denken Sie nicht ... Wenn er Sie tötet, bin ich Ihre Mörderin ... denn ich trage die Schuld an allem ...«
Eva fühlte das Aufblitzen der grünschillernden Augen des Mannes, der ganz nahe auf sie zutrat: »Sie ... ja, Du ... warum mußte ich Dich auch lieben, da mich schon die andere Frau verraten hat ... Ihr seid alle gleich ...« Und er packte sie, die sich nicht wehrte, und küßte ihren Mund und seine Zähne bissen ihre roten Lippen wund.
So urplötzlich wie er das Mädchen in seine Arme geschlossen, so unvermittelt gab er es frei: »Verzeihen Sie – ich habe den Augenblick mißbraucht; ich werde es zu sühnen wissen ...«
Eva Fontagne atmete keuchend, die geweckten Sinne verwirrten ihr Denken – zitternd und doch schneidend antwortete sie: »Hoffentlich trifft die Kugel morgen auch den Richtigen!«
Sie wußte kaum, was sie damit meinte.
»Hoffentlich, gnädiges Fräulein ...«
* * *
Die Fontagne taumelte über die finstere Treppe.
Das Tor war unversperrt.
Als sie durch die Wiesen und Felder schritt, über die Brücke ging und durch die spärlich erhellten Gassen von St. Magdalena, da tanzten die Berge, die Häuser, die Sterne einen wahnsinnigen Fiebertanz vor ihren Augen. Sie versuchte, das Erlebte zu begreifen – sie hatte alles gewonnen und verlor alles wieder, weil sie das Glück nicht zu bannen verstand, dem sie so nahe gewesen ... Blöd und eigensinnig engten sie verstaubte Vorurteile ein, statt daß sie jauchzend an die Brust des Geliebten sank ...
Schon leuchteten die Fenster der Pension – die Blonde wollte umkehren, zurückeilen. Und tat es nicht.
Wozu auch ...
Die Würfel fielen.
Mag es gehen, wie es geht ...
Eva lachte laut auf der einsamen Straße, weil das Leben so komisch ist und die Leute so unsinnig sind, Gesetze zu schmieden, die befehlen und verbieten und ... töten. Denn jetzt würde sie nicht feig schwanken, ihm zu folgen und die längste Nacht ... wenn die Kugel den »Richtigen« trifft ...
Den sie liebt.
Eva Fontagne war nicht mehr schwach. –
Beim Abendessen erzählte sie ausgelassen und übermütig eine Geschichte, eine mit Dichtung vermengte Wahrheit, die in England passierte.
Der Duhnin fehlte an der Tafel.
Mama Kronenhaupt und Tochter verbargen nicht verwundertes Staunen; die Exzellenzfrau musterte die Tischdecke, Adolf markierte wundersam verliebte Mienen wie damals, als er sich von der Vorsehung zu ihrem Kavalier auserkoren glaubte; und der Bruder murmelte der Schwester zu: »Morgen um zwölf Uhr ... Und Du wirst mit Mama den Frühzug benutzen und Ihr werdet irgendwohin fahren. Abends erwarte ich Euch am Bahnhof.«
Irr blickten ihn die hellen Augen des Mädchens an und überlaut sagte sie: »Ich denke, wir haben einen herrlichen Tag – morgen ...«
Der Gute-Nacht-Wunsch blieb ungesprochen, als sie aufstand und fortging. Am Geländer mußte sie sich halten, die Kraft versagte.
Auf den verschabten, zerfaserten, elenden Teppich des öden Hotelzimmers sank sie nieder und preßte das geknüllte Taschentuch zwischen die Zähne und schlug mit der Stirn an einen Tischfuß ...
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