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Als im April auch dieses Jahr,
Wie oft schon, mein Geburtstag war,
Ward zierlich mir von Schwesterhand
Ein duftig Kränzlein zugesandt.
Die Silberschleife dran gebunden
Besagte, wie seit jenem Spiel,
Das einst der Jugendlust gefiel,
Nun fünfundzwanzig Jahr' entschwunden;
Und daß, wenn in vergnügtem Leiern
Waldmeisters Brautfahrt einst ich sang,
Wir still nun, ohne Jubelklang,
Waldmeisters Silberhochzeit feiern.
Ja, was in fünfundzwanzig Jahren
So durch ein Menschenleben geht –
Wer's durchgekostet, der versteht!
Ihr Jüngern werdet's auch erfahren.
[2] Drum nichts davon! Doch bot die Zeit
Genug, was innen sich gestaltend
Das Glück der Stunde mir geweiht,
Und was, zum Leben sich gestaltend,
Der Werkstatt trügerischen Schein
Vergessend, in die bunten Reih'n
Des grellen Tageslichts sich wagte.
Ob ihr's gesehn, ob's euch behagte,
Ob
nicht gefiel – wir lassen das!
Auf manchem Hügel wächst das Gras;
Und wenn Erinnrung ungemessen
Uns Glück und Leiden wiederbringt,
Ist's Glück genug auch, wenn's gelingt
Vergessenswerthes zu vergessen.
Doch im Gedächtniß und Gemüt
Verbleiben immer uns die Stätten,
Die an die frohe Zeit sich ketten,
Da uns im Innersten erblüht
Was frisch gewagt, hinaus gegangen,
Gleichviel, wie es die Welt empfangen.
Wie oft, von Tageslast befreit,
Bin ich zum alten Rhein gefahren!
Und grüßt' ihn stets, wie in der Zeit
Da er und ich noch jünger waren.
Ihn freilich drückt die Zeit nicht sehr,
Dem ein Jahrhundert nichts bedeutet;
Bei Unsereinem sagt's schon mehr,
Wenn man ein Viertel ausgebeutet,
[3]
Und nun durch den Jahrhundertlauf
Die zweite Hälfte klimmt hinauf.
Beglückt, wem noch die Lust des Strebens
Der höchste Inhalt blieb des Lebens!
Beglückt, wer seine Schaffenswelt
Noch frohgemut umschlossen hält! –
Nun saß ich jüngst in Ferienmuße
Am Fuß des Drachenfels, und sah
Den Schiffen zu von fern und nah,
Des Städtchens Rast, der Kinder Spiel;
Und als zurück ich dann zu Fuße
Nahm meinen Weg zum Abendziel,
Gen Honnef, unter Nußbaumzweigen
Und Sternenlicht, den Rhein entlang,
Fühlt' ich dem zaubernächt'gen Schweigen
Noch einmal alter Zeiten Klang
In ungetrübter Lust entsteigen.
Und kaum daß ich noch lange sann
Den Kreis von fünfundzwanzig Jahren
Zu schließen da, wo er begann,
Die Bilder schon beisammen waren.
Gestalten schlossen bald sich an,
Und sprachen zu mir ganz verständlich,
Man ward bekannter Schritt um Schritt,
Und so zur Herberg bracht' ich endlich
Schon fertig die Gesellschaft mit.
Doch sind es nicht die leichten Scharen,
[4] Die einst der Träume Netz gewebt.
Die Zeit ist ernster hingefahren,
Und Großes haben wir erlebt.
Und so durchlebten's meine Leute,
Von Freud' erhöht, von Leid gepreßt,
Bis all ihr Sorgen sich zerstreute
Zum Schluß im allgemeinen Fest.
Das Bild ist fertig. Doch noch fehlen
Zwei wicht'ge Dinge, schwer zu wählen,
Und oft des Bildes bester Glanz:
Ein Titel und ein hübscher Rahmen.
Doch da zu spät mir beide kamen,
So schling' ich einen Rebenkranz
Anstatt des Rahmens um das Bild,
Und tauf' es gleich auf seinen Namen.
Und da es doch Erinnerung gilt,
So sei, die Jahre zu bekunden,
Die Silberschleife dran gebunden!
So will getrost den Kranz euch Allen
Ich senden, denen einst das Lied
Aus Jugendtagen hat gefallen,
Und segn' euch ohne Unterschied!
Zu gern erfüllt' ich mein Verlangen
Und ließ auch eure Namen all'
Auf meinem Widmungsblatte prangen,
Allein das ist ein eigner Fall –
Nicht alle kann das Blatt umfassen,
[5] Und wünscht' doch keinen wegzulassen.
So schreib' ich's einem Einz'gen zu:
Ihm, der Poeten Herbergsvater
Und stets ermunternden Berather
In seiner Klause würd'ger Ruh.
Gelingt es, zu den alten Plätzen
Im Bild ihn an den schönen Rhein
Noch einmal fröhlich zu versetzen,
Will ich damit zufrieden sein.
Hoch über Strom und Thalesbreite
Durch Rebengärten führt ein Weg
Entlang die ganze Bergesseite,
Und höher, bis zum Waldgeheg.
Ein alter Nußbaum, stolz gehoben
Von felsbegründeter Bastei,
Zum Schatten wölbt die Zweige droben,
Vereinsamt, königlich und frei.
Von niederm Mäuerchen umgeben,
Mit Ruhesitz und Tisch von Stein,
Ist wie ein Sommerhaus in Reben
Der Platz, voll Duft und Dämmerschein.
Im Rücken stufen Weinterrassen
Sich höher auf zum Waldesrand,
Doch in der Tiefe rings umfassen
Die Augen all das schöne Land:
Das Städtchen rechts an Rheineswogen,
[7] Zu Gold verklärt vom Sonnenstrahl,
Von Gärten auf und ab umzogen,
Und links im Grün das Mühlenthal.
Doch vorwärts, frei, enthüllt den Blicken
Sich weit der Erde Herrlichkeit,
Als wär' von segnenden Geschicken
Dies All der Freude nur geweiht.
Nicht weit von jenem Plätzchen droben
Blickt auch ein alterthümlich Haus
Durch Reben, die es grün umwoben,
Gar seltsam in die Welt hinaus.
Jahrtausend' alt scheint seine Mauer,
Von rohem Stein, doch unverletzt,
Bis dann ein späterer Erbauer
Das Giebeldach darauf gesetzt,
Dazu das Thürmchen an der Ecke;
Doch beides auch, im dichten Kleid
Der immergrünen Epheudecke,
Aus ferner Unvordenklichkeit.
Ob einer Wart' aus Römertagen
Noch allerletztes Trümmerstück,
In dem die Spätern mit Geschick
Ihr Zwingerlein sich aufgeschlagen?
Gleichviel; so wunderlich und klein
War diese Burg in Rebengärten,
Daß nur für ein paar Kämmerlein
Die dicken Mauern Raum gewährten.
[8] Jetzt war's nur noch ein Wingertshaus
Des reichen Weinherrn, dem der Segen
All dieser Berge weit hinaus
Zum Eigenthume reift' entgegen.
Im Sommer wohnt ein Hüter drin;
Doch diesmal auch zwei fremde Gäste.
Es war nicht eben um Gewinn,
Daß ihnen seine Zwergenfeste
Der Weinherr eingeräumt zur Wohnung.
War sie bequem den beiden Herrn,
So überließ er die Belohnung
Dafür den Untergebnen gern.
Und aus des Thürmchens enger Pforte,
Des einz'gen Eingangs zu dem Haus,
Zwei Männer treten jetzt heraus,
Und wenden zu dem Schattenorte
Des Nußbaums langsam ihren Gang,
Die Rebenpflanzungen entlang.
Der weiße Schnurbart, Schritt, Manier
Des Aeltern zeigt dem ersten Blicke
Den altgedienten Offizier,
Der, ob gebeugt auch vom Geschicke,
In fester Haltung sich bewährt.
Und hart genug hat er zu tragen.
Denn ihm zur Seite, tief beschwert,
Von Leiden, Unmut und Entsagen,
Ein Jüngling geht an seinem Arm,
[9] Sein einz'ger Sohn. Er trug den grauen
Soldatenmantel, der zu warm
Ihm auch am Sommertag nicht däuchte,
Und der die Spuren ließ erschauen
Von Kriegesmärschen, Regenfeuchte,
Von Schlachtenfeuer und Sonnenbrand.
Es knüpft ein rührend innres Band
Den Vater an dies junge Leben.
Zwei Söhne hatt' er hingegeben
Dem Vaterland' im letzten Kriege,
Den frevelhaft des Franken Ruf
Erweckt, und Deutschlands schönste Siege,
Ihm selbst die Niederlage schuf.
Auch dieser Jüngste, kaum an Jahren
Zum Jünglingsalter noch gereift,
Ließ Hörsaal, Studien, Bücher fahren,
Und Tand und Spiel war abgestreift,
Um jugendfeurig einzutreten
Mit Tausenden in großer Zeit
Für Deutschlands Ehr' im Waffenstreit.
Der Krieg war aus. Die Fahnen wehten
An Siegesfesten überall,
Zu Glockenton und Dankgebeten;
Daheim erklang der Freudenschall,
Und unter Jubelchören fanden
Die Herzen sich, denn aus dem Krieg
In Ruhmesglorie war erstanden
Ein deutsches Reich, als schönster Sieg.
[10] Vor all dem Großen, was erworben,
Verbarg sich schweigend der Verlust,
Ob Tausende, die nicht gestorben,
Dem Todesschmerz in tiefer Brust
Gewaltsam nur am großen Tage
Versagten Bitterkeit und Klage.
Der Oberst auch trug als Soldat
Der Söhne Tod, im Feld begraben.
All seines Lebens Sorg' und That
Gehört nun seinem jüngsten Knaben.
Gelöst zwar hatt' er schon das Band
Des Dienstes, das ihn noch gebunden
In Schleswig und im Böhmerland,
Um in der Muße zu bekunden
Durch Schrift und Wort, was manches Jahr
Im Dienst ihm aufgegangen war.
Und da verödet stand sein Herd
Seit ihm die Gattin ward entrissen,
Galt ihm in Schmerz und Kümmernissen
Die Arbeit bald gedoppelt werth.
Bis durch des Franken Kriegsgeschrei
Von neuem ward das Schwert gezogen,
Das seine Söhne alle drei
Mitführte in die Kriegeswogen.
Da fühlt' auch er durch das Gebot
Des Innern sich zum Werk gedrungen,
Er wollt' es in Gefahr und Noth
Nicht besser haben als die Jungen.
[11] So durch Verluste vorwärts drang
Er selbst, vom Kriegsglück auserlesen,
Erhöht in Stellung, Würd' und Rang,
Indeß verarmt sein inneres Wesen.
Des Daseins werth galt ihm allein
Der Rest von Glück, den er geborgen.
Dem Dienst entsagt' er, um in Sorgen
Dem Sohne pflegend sich zu weihn.
Geheilt zwar galten Friedrichs Wunden,
Ob tief und schwer – doch tiefre Noth
Schien jetzt ein Leiden zu bekunden,
Das langsam zehrend ihn bedroht.
Gefordert von zu jungen Jahren
Erschien ein Uebermaß von Kraft,
In Wettern, Lagern, Schlachtgefahren
Des Lebens Blüte hingerafft.
Und leicht ertrug nicht das Entbehren
Die junge Brust, der Seele Glut,
Und suchte trotzig sich zu wehren
Mit Lebensdurst und Hoffensmut.
Der Vater ordnet mit Bedacht,
Was er, den Liebling zu zerstreuen,
Zu unterhalten, mitgebracht:
Die Bücher, die ihn stets erfreuen,
Die Mappen, Griffel, Reißbesteck,
Ein Schachspiel auch für alle Fälle;
Und forscht, ob auf gewohntem Fleck
[12] Auch für den Fuß die trockne Schwelle;
Er prüft, ob auch nicht feucht das Gras,
Und nicht zu kühl der Zugluft Fächeln;
Doch wehrt der Sorgen Uebermaß
Der Sohn mit Dankesblick und Lächeln.
Und so in der Nachmittagstunde
Genießen sie der Ruhestatt
In der Gewohnheit stillem Bunde.
Der Alte wählt ein Zeitungsblatt,
Und läßt den Sohn für das Entbehren
Der Jugendlust am Sommertag
Mit seinem Zeichenstift gewähren,
So lang er ihn befried'gen mag.
Doch Friedrich legt ihn bald bei Seite.
Gestützt das Kinn auf Arm und Hand
Schickt er die Augen in die Weite,
Von Lebenssehnsucht übermannt.
Wie edel rein sind diese Züge,
Wenn auch der Frische heut beraubt!
Wie kündete Gedankenflüge
Dieß schöngeformte Lockenhaupt,
Das über dem gemeinen Kleide
Des Krieges sich so stolz erhob! –
Doch all der Landschaft Augenweide
Vor dem umflorten Blick zerstob.
Nicht Schauenslust, nicht mattes Träumen,
Sein tiefres Regen ist erwacht,
[13] Um wider der Entsagung Macht
Mit Jugendtrotz sich aufzubäumen.
Zeigt alle Schätze ihrer Huld
Die Welt dem brennenden Begehren,
Und er soll länger noch entbehren
Als Will' ihn fesseln und Geduld?
Mit Jugendungestüm ertragen
Was selbst das Alter schwer erträgt,
Der Leiden Wucht, der Kraft versagen,
Wenn doch das Herz noch fordernd schlägt?
Wenn unberührt noch, unempfangen,
Die Kränze, die das Leben flocht,
Und jugendlichen Glücks Verlangen,
Auf seines Daseins Rechte pocht!
Sein Aug' erzählt, warum verklagend
Im Widerstreit der Gegenwart,
Es aus dem blassen Antlitz fragend
Verstummend in die Weite starrt.
Der Oberst, über seine Brille
Blickt seitwärts von der Zeitung her,
Doch unterbricht er nicht die Stille.
Er ahnt und fühlt gedoppelt schwer
Was seines Sohnes Brust durchschauert.
Doch selbst dem Seufzer, mit Gewalt,
In eigner Brust gebeut er Halt.
Sein Blick nur, leise prüfend, lauert
[14] Hinweg zuweilen von dem Blatt,
Das ihn zum Schein gefesselt hat.
Da plötzlich tönt auf Liederschwingen
Ein Jubelruf vom Wald herab,
Entfernte Burschenweisen singen
Von Wanderlust am Wanderstab.
Und wenn Natur den muntern Söhnen
Zum Lied auch wenig Kunst verlieh,
Die Freude macht es doch verschönen,
Die Ferne klärt's zur Harmonie.
O wie bekannt, wie selig schlagen
Die Tön' an Friedrichs Herz und Ohr!
Wie oft in kurzen Freudentagen
Sang er sie mit im Jubelchor!
Er zuckt empor, er lauscht; sie schwinden
Verhallen in Gebirg und Wald,
Und alle Fesseln, die ihn binden
Fühlt er mit doppelter Gewalt.
Vor's Antlitz schlägt er beide Hände,
Als gält's vom Leben ein Ade,
Geduld und Fassung scheint zu Ende
In einem Sturm von bittrem Weh.
Der Alte, schnell an seiner Seite,
Auf seine Schulter legt die Hand.
Daß Rede wenig Trost bereite,
Er hat es selber längst erkannt.
[15] Doch schon, in ringender Bewegung,
Umschlingt ihn Friedrichs Arm mit Hast:
»Ertrage mich! Verzeih der Regung,«
So ruft er, »die mich hart erfaßt!
Du weißt, ich habe mich gehalten
In Feld und Schlachten unverzagt,
Bei Wunden, die für tödlich galten,
Stumm ausgeharrt und nicht geklagt;
Doch elend durch das Leben schleichen,
Gehemmt von Siechthum jammervoll,
Und jeden Anspruch auszustreichen –
Ich weiß nicht, wie ich's tragen soll!
Zwecklos der Welt, mir selbst ein Grauen,
Und dir, mein Vater, Last und Qual!
Dem Tod wollt' ich ins Auge schauen,
Dem Schlachtentod, noch hundertmal!
Nur nicht, gebannt von seinen Schergen,
Ein Sklav' des Körpers, lebenslang
Vor jedem Glück das Auge bergen,
Das Ohr vor jedem Freudenklang!
Ich will's auch nicht! Ich will in Tagen
Die jede Brust zum Leben weihn,
In Thorenbangen und Verzagen
Ein Wegwurf der Natur nicht sein!
Ich leb', und hab das Recht zu hoffen!
Doch du verzeih, wenn Leidenschaft
Im Augenblick mich schwach getroffen,
Und überwältigt meine Kraft!
[16] Du sollst mich so nicht wieder finden,
Das sei gelobt mit Hand und Mund!
Und schon, ich fühl's, im Ueberwinden
Wird's leichter mir im Herzensgrund.«
Ein Lächeln zwingt sich in des Alten
Erschrocken prüfendes Gesicht.
Er drückt des Sohnes Hand, und spricht:
»Wir wollen treu zusammen halten!
Ich kenne dich, und werde drum
Auch nicht dir dein Gefühl verdenken.
Ein Sturm ist besser, als ein stumm
Verzehrend quälendes Versenken.
Ich hoffe selbst bei guter Zeit
Noch einmal mit dir jung zu werden,
Dann theilen wir, wie einst das Leid,
Gemeinsam alles Glück der Erden.
Und was uns heut schon trösten mag –
Ich wußte, daß es kommen müßte!
Uns fehlte was, wenn einen Tag
Uns Eva's Fröhlichkeit nicht grüßte!
Die langen Stufenreih'n herauf,
Die sich im Zickzack durch die Reben
Des Weinbergs steingefügt erheben,
Kam jetzt in ungehemmtem Lauf
Ein Mägdlein, an der Gränze kaum,
Wo unbefangen Kindheit scheidet
[17] Für Mädchenahnung, Mädchentraum,
Und Kindersinn so hold noch kleidet.
Geröthet ist das Angesicht,
Die Augen leuchten vor Vergnügen;
Das Sommerkleid wie Blüthenlicht,
Und blühende Anmuth in den Zügen.
Vom breiten Strohhut fliegt das Band;
Schon winkt sie grüßend mit der Hand,
In der den Rosenstrauß sie trägt,
Und fördert ihren Schritt, und legt
Mit Freudelachen ihre Spende,
Den Rosenstrauß, in Friedrichs Hände.
Sie war des Weinherrn Schwesterkind,
Seit frühsten Jugendjahren Waise,
Für das er liebevoll gesinnt
Bereitet seines Hauses Kreise.
Er nahm's als des Geschicks Ersatz,
Da ihm ein Töchterlein gestorben,
Und Eva hatt' an ihrem Platz
Sich Lieb' und Kindesrecht erworben.
Ein fröhlich Herz, ein kluger Sinn,
Im offnen Aug' ihr ganzes Wesen:
So schien vom Glück sie auserlesen
Zur holden Freudespenderin.
An jedem Tag erschien sie oben
Mit Blumen, Früchten, was sich bot,
Und Friedrich ward durch sie gehoben
[18] Aus seiner Sorgen düstrer Noth.
Sie sprach, sie konnt' ihn reden machen,
Vermied, was tiefer ihn bewegt',
Und endlich mußt' er mit ihr lachen,
Wenn sie zum Lachen aufgelegt.
Wie manche Stunde sah beklommen
Der Oberst sehnlich in das Thal!
Er wußte, sah er sie nur kommen,
Das Dunkel wich dem Sonnenstrahl.
»Ihr sitzt ja,« rief sie, »viel zu lange!
Der Friedrich muß ein wenig gehn.
Hier oben auf dem ebnen Gange
Kann's ohne große Müh geschehn.
Und wird's ihm schwer, kann ich ihn führen,
Und besser nützen, als sein Stab,
Kein Steinchen soll sein Fuß berühren!
Doch leg nur erst den Mantel ab!
Er ist ja viel zu warm beim Gehen,
So fühl' nur, wie die Sonne brennt!
Auch mag ich dich viel lieber sehen
Hübsch angezogen als Student.«
Willfährig war er zu erfüllen,
Da sie zu wünschen wohl verstand,
Sich aus dem grauen Rock zu hüllen,
Den wirklich er jetzt lästig fand.
Und als sie, glücklich, ihm zu dienen,
[19] Sich eilte hülfreich um ihn her,
Da glänzt' ihr Aug', und ihre Mienen
Verriethen, er gefiel ihr sehr.
»Und weißt du,« fuhr sie fort, »es sagte
Der Doktor heut bei uns zu Haus,
Mit all dem Leiden, das dich plagte,
Säh es doch gar so schlimm nicht aus!
Du seist nur von den schweren Wunden
Und Krankenlagern so geschwächt,
Du würdest doch noch ganz gesunden.
Doch für den Winter wär's ihm recht
Ihr gingt zu südlich wärmern Landen.
Der Fritz ist noch nicht zwanzig Jahr,
Er hat so viel schon überstanden,
Daß nun vorüber die Gefahr.«
Ein rascher Blick fliegt zu dem Alten
Aus Friedrichs Augen; Freudenlicht
Bringt neuen Lebensstromes Walten
Vom Herzen ihm zum Angesicht,
Indeß der Oberst still die Wangen
Der holden Botin kosend streift,
Und neckend nach den Zöpfen greift,
Die ihr im Nacken nieder hangen.
Entschlüpfend, hat sie zum Geleite
Schon ihres Freundes Arm erfaßt,
Der muthiger an ihrer Seite
Vergißt der Sorgen eitle Last.
[20] Wie leicht ist Freude zu entfachen
Durch hold beredten Kindermund!
Der Oberst hört sie plaudern, lachen,
Und – seufzt aus allertiefstem Grund.
Dann blickt er lang' in stillem Brüten
Ins sonnig lebenswarme Thal,
Und mahnt sein Herz, sich zu behüten
Vor allzuschönem Hoffnungsstrahl. –
Natur, du herrliche! du tröstest,
So sagen sie, was schmerzgebannt;
Doch ob du je ein Herz erlöstest
Von seiner Qual – wer hat's erkannt?
Du legst in schönen Lebensbildern
Das All dem Auge lockend dar,
Doch wirst du dessen Schmerz nicht mildern,
Der zu dir kommt, des Trostes bar.
Du wirst nicht heilen seine Wunden,
Wenn du ihm zeigst, was er entbehrt,
Wenn er im Innersten verschwunden
Die Freude gab, die er begehrt.
Nur tiefer fühlt er sein Entsagen
In deiner Schönheit Gegenbild,
Darf er zu hoffen nicht mehr wagen
Was reichlich doch für Alle quillt.
Du sprichst gewährend und verständlich
Nur zu den Glücklichen allein,
[21] Die sich in dir beschaun, unendlich
Verklärt von deinem Glorienschein.
Aus Menschenaugen muß es blicken,
Und tönen aus der Menschenbrust,
Was uns versöhnen mit Geschicken,
Uns lindern soll des Glücks Verlust.
Wenn überrascht wir wiederfinden
In fremdem Blick, was wir verhehlt,
Wenn oft ein Wort nur, rein verstanden,
Die Seele trifft wie gleichbeseelt:
Da trägt durch alle Dunkelheiten
Ein Licht oft tiefern Trostes Spur,
Als alle deine Herrlichkeiten
Vermögen, herrliche Natur!
Von Menschen ist, von unsres Gleichen,
Was wir an Glück, an Qual ersehn,
Die uns erfassen, uns entweichen,
Verstehen oder mißverstehn. –
Nicht lang, so kommen neue Gäste,
Die, nicht mit Eva's leichtem Fuß,
Des Nußbaums breite Schattenäste
Erspähn zu Labung und Genuß.
Der Weinherr steigt herauf die Gänge,
Und fächelt Kühlung seinem Haupt:
[22] Ein Mann von wackrer Breit' und Länge,
Der besten Kraft noch unberaubt.
Stets formgerecht und wohlgekleidet,
Wie zum Besuch, so zum Empfang;
Wenn selbstbewußt, doch unverleidet
Durch Prahlen oder Geltensdrang;
Er wußte, was er war und hatte;
Ernst im Geschäft, im Haus bequem,
Ein guter Bürger, Vater, Gatte,
Und recht gesprächig außerdem.
Mit ihm erschien der Rektor oben,
Auch er ein starkgeschaffner Mann,
Das Haupt mit Sicherheit erhoben,
Doch eben nicht als Schultyrann.
Des Weins ein Kenner, und dazu
Des Weinlands und des Rheins Geschichte.
Kein Mäuerchen ließ er in Ruh,
Bis in historisch klarem Lichte
Urkundlich es gefesselt war.
Was in der Gegend alterthümlich
Hatt' er gebucht seit manchem Jahr,
Und was in neuen Tagen rühmlich
Nahm er mit frischen Sinnen wahr. –
Ein Diener folgt', und aus den Taschen
Des Korbes holt er mit Bedacht
Die grünen Römer und die Flaschen
Die er dem Weinherrn nachgebracht,
Und ordnet auf dem Steintisch Alles.
[23] »Ah! ruft der Weinherr: da man hier
Gewärtig nicht des Ueberfalles,
So rüsten einmal selber wir!
Die Freiheit, die ich mir genommen,
Erklärt ein Fest – Ihr hört es gleich.«
Der Oberst heißt die Herrn willkommen.
Der Weinherr drauf: »Doch im Bereich
Fehlt unser junger Held? Wir haben
Ihm etwas Gutes zugedacht
Von unsern allerbesten Gaben,
Das, hoff' ich, ihn getröstlich macht.«
Der Rektor wendet sich, da eben
Von breitem Wege durch die Reben
Ein lustig Zwiegelächter kam.
»Ei!« rief er, da im angeregten
Gespräch, das sie in Anspruch nahm,
Sich Fritz und Eva herbewegten:
»Ist das der Falk, den flügellahm
In unserm Römerthurm wir hegten?
Der blickt ja schon ganz anders drein,
Und regt mit frischen Kräften wieder
Sein jugendfröhliches Gefieder!
Geht, geht mir! Laßt das Seufzen sein:
Der bringt sich durch! Nur folgt dem Rath,
Und führet, wenn der Winter naht –
Zur Vorsicht will's der Doktor haben,
Ins Pyramidenland den Knaben.
Das bringt dem Bäumchen frischen Schuß.
[24] Und auch für Studium und Genuß
Ist manches übrig da geblieben,
So Viel' auch schon das Land beschrieben,
Von Herodot bis Lepsius.
Da kann er lernen, forschen, sehn.
Ich wünscht' ich könnte mit Euch gehn!«
Schon war das junge Paar am Ort,
Und Eva zwang mit That und Wort
Den Freund in mütterlichem Walten
Jetzt wieder in des Mantels Falten.
Bald saß man, fragte her und hin
Am Tisch, und lachte und erzählte,
Indessen Eva's Kindersinn
Das Mäuerchen zum Sitz erwählte.
Der Weinherr schenkt die edle Flut
Aus seinem goldnen Segensbronnen,
Und hob den Römer wohlgemut
Liebäugelnd in das Spiel der Sonnen.
Dann nippt er schweigend, um im Kreis
Sich fragelächelnd umzuschauen.
Der Rektor zog herauf die Brauen,
Und zeigt in hoher Kennerweis
Im Blick die allerhöchste Achtung;
Und auch die prüfende Betrachtung
Des Alten ließ ein Einverstehn
Um Aug' und Nas' und Schnurbart sehn.
[25] »Nun seht,« begann drauf mit Behagen
Der Weinherr, »seht den Hügel dort!
Der ist's, der dieß Gewächs getragen,
All meines Kellers schönsten Hort.
Und dieser Trank, so feurig klar,
Ist heute zweiundzwanzig Jahr,
Und ist verknüpft durch eigne Bande
Seitdem mit meinem Hausbestande.
Denn als einst in der richt'gen Stund'
Ich prüfend fand, daß er gesund
Im Keller jährig ausgegohren,
Ward mir die Freudenbotschaft kund,
Daß wieder mir ein Sohn geboren.
Mein einz'ger jetzt. Seit jenem Tag
Der nach Verlusten viel mir lohnte,
Empfand ich, wie's das Herz vermag,
Daß Freude wieder bei mir wohnte.
So sah ich, da in rüst'ger Kraft
Mein Sohn gedieh mit diesem Weine,
Etwas wie Zwillingsbrüderschaft
Seitdem in meiner Hausgemeine.
So hielt ich's gern. Heut ist der Tag,
Da mein Justin, der nun sein Jährchen
In Straßburg ausstudiren mag,
Und dieser Wein, als wackres Pärchen,
In zweiundzwanzigem bestehn
Geburtstäglich ihr Fest begehn.
[26] So gönnt mir, daß beim Gläserklingen
Ein Wohl dem fernen Sohn wir bringen!«
Die Gläser gaben hellen Klang.
Der Rektor wußte sehr zu preisen,
Wie gut gefördert sich bislang
Justin in mannigfachen Kreisen;
Und daß auf der Akademie
Er höre Staats- und Wirthschaftskunde
Und allen Fortschritt der Chemie,
Um mit dem Vater einst im Bunde
Haus und Geschäfte zu versehn.
So werd' er auch für größre Pflichten
Den Blick ins Weltgetriebe richten,
Und seiner Tage Ruf verstehn.
»Nun ja,« begann der Weinherr drauf:
»Es soll mir recht sein, nimmt er wacker
Einmal ins Große seinen Lauf!
Bis jetzt ist's noch ein bunt Geflacker,
Doch er ist jung! Das Studienjahr
Gönn' ich ihm gern, zumal sein Leben
Schon ernstlich mir gefährdet war,
Da ihn – ich denke dran mit Beben!
Die Frankenkugel vor Paris
Für viele Wochen warf darnieder!
Nun, Gott sei Dank! ich kriegt ihn wieder,
Die Kugel mit, die er mir später
[27] Zum Angedenken überließ.
Er wurde kräftig und gesund,
Ich wieder froh, wie andre Väter.
Und gern gedenk' ich jener Stund'
Als unsre Stadt, geschmückt mit Fahnen
Und Kränzen, unsrer tapfern Schaar
Die Rückkehr zum Triumph zu bahnen
So jubelvoll gerüstet war.
Und wie mit Jauchzen, Freudesingen,
Mit Lorbeerkränzen, Band und Strauß,
Es war ein festliches Umschlingen
In allen Straßen, jedem Haus!
So schmückte sich mein eignes nicht
Am Tag, der mir den Sohn geboren,
Als da er nach erfüllter Pflicht
Einzog mit freud'gem Angesicht
Zu seinen väterlichen Thoren!«
Der Oberst blickte stumm ins Glas,
Und seitwärts zu dem Sohn hinüber,
Der tief, so schien es ihm, in trüber
Und brütender Betrachtung saß.
Denn nichts von Siegs- und Freudechören
War damals im verschlossnen Raum
Des Hospitals für ihn zu hören,
Von alldem wußte Friedrich kaum.
Kein Strauß und Kranz war ihm geflogen,
Geschmückt für ihn kein Heimatherd;
[28] Nach treuer Pflicht schien er betrogen,
Um Alles, was der Jugend werth.
Er sah des Krieges rauhstes Walten,
Nicht seinen Lohn, nicht seinen Glanz,
Und was ihm weiter vorbehalten,
In Nebel schien's verloren ganz.
Mit solcherlei Gedanken schienen
Des Alten Züg' in hartem Streit,
Doch ruhig blieben Friedrichs Mienen,
Sein Auge blickte hell und weit.
Der Rektor merkte, was das Denken
Des Alten hielt in schwerem Bann,
Und, anders das Gespräch zu lenken,
That einen Zug er, und begann:
»So oft ich die zufriednen Blicke
Dort über unsern lieben Rhein
Und seine schönen Gauen schicke,
Und seh' im hellen Sonnenschein
Die Städte, Thürme, Dörfer, Fluren,
So denk' ich: dies begehrte Land
Trägt seit Jahrtausenden die Spuren
Von Kampf und fremder Siegerhand.
Der Römer baute Weg' und Brücken,
Und Wall und Lager ward geschanzt,
Und feste Thürm' auf Bergesrücken
Sah'n Roma's Adler aufgepflanzt.
Und auch des Franken Siegerhände
[29] Verrathen uns den Rhein entlang,
Gesprengte Thürme, Mauerbrände,
Der Städt' und Schlösser Niedergang.
Rom
baute: Roma's Herrn befahlen
Am wilden Rheine Roms Kultur;
Des Franken Lust war Siegesprahlen,
Und die
Zerstörung seine Spur.
Und denk' ich weiter, dies Gefilde
Von solchen Siegern überschwemmt –
Wer fühlt vor solchem Schreckensbilde
Das Herz im Busen nicht beklemmt?
Doch sie sind frei, und werden dauern
Solang wir selber klar bedacht,
Daß unsrer Kraft lebend'ge Mauern
Allein bestehn der Grenzen Wacht.
Wohl blicken jetzt wir mit Vertrauen
Zum ferngedehnten Horizont,
Wo Alles sich in diesen Gauen
In neuen Friedens Fülle sonnt;
Und hoch will es das Herz beglücken,
Was drüberhin wir uns ersiegt,
Daß bis an die Vogesenrücken
Ein
deutsches Elsaß wieder liegt!
Nun wohl, wir haben es gewonnen,
Und mehr als Hoffnung sich erdacht;
Und doch ist erst das Werk begonnen,
Der deutschen Größe, Stärk' und Macht.
Euch Jüngern bleiben große Pflichten:
[30] Ihr halft zu richten uns das Haus,
Ihr habt es nun auch einzurichten
Für Enkelkinder weit hinaus.
Doch Allen, die da hochgemutet
Am großen Werke mitgethan,
Und die gelitten und geblutet,
Daß Freiheit wir und Glück empfahn;
Vor Allen Einem will ich heben
Den Römer voll Genesungssaft:
Hier unser junger Held soll leben
Und schaffen mit befreiter Kraft!«
Der Rektor bot das Glas zum Klingen
Mit heitern Augen Friedrich dar,
Der, ob belebt von Freudeschwingen,
Verwirrt doch, schien der Rede bar.
Und als nun angeklungen Alle,
Und selbst der Oberst, froh berückt
Von Hoffens innrem Wiederhallen,
Dem Rektor still die Hand gedrückt;
Erhob der Jüngste sich im Kreise,
Erhob sich Friedrich, ernst und fest,
Als wär auf wunderbare Weise
Gewichen seiner Leiden Rest.
Es blühten wieder seine Wangen,
Mit Staunen blickt ihn jeder an,
Sein Wort und Ton, nicht mehr befangen,
Klang froh und frei, da er begann:
[31] »Leicht ist für solchen Trank der Reben,
Doch schwer für solches Wort der Dank!
Ja, leben will ich! Ich will leben!
Und wenn mein Hoffen einmal sank,
So schelt' ich selber, was in Stunden
Des Bangens mir den Muth gebunden.
Noch that ich nichts, wo Andre schufen,
Kaum ging mein Handeln in die Lehr'!
Ich focht, in Reih und Glied berufen,
Ich that die Pflicht, und sonst nichts mehr.
Hat länger mich in Zucht gehalten
Der Kriegesgeißel blinde Wuth,
Heut fühl' ich wieder Lebenswalten,
Und fühle neuen Lebensmuth.
Und für das allgemeine Leben
Das jetzt uns ruft, dem Ernst geweiht,
Gefordert fühl' auch ich mein Streben
Zum Friedenswerk der neuen Zeit.
Ich hab' den Krieg und seine Schrecken
Gesehn, getragen seine Last,
Mag nicht in der Erinnerung wecken
Sein Treiben, das mir tief verhaßt!
Und doch, käm' über die Vogesen
Der Racheschrei mit Waffenmacht,
Auf's neu zu stören unser Wesen,
Zu rütteln an der deutschen Macht:
Noch Einmal stellt' ich in die Reihen
Des Krieges mich, um, was ich bin
[32] Dem deutschen Vaterland zu weihen
Mit alter Pflicht, in altem Sinn.
Doch heut, im Anblick all der Güte,
Die mich erweckt hat wundergleich,
Ruf' ich aus innerstem Gemüte:
Dieß Glas dem neuen deutschen Reich!«
Auf sprang der Rektor, lauten Tones,
In dem er Friedrichs Schulter klopft;
Auf sprang der Oberst, daß des Sohnes
Gehobnes Glas im Klange tropft;
Auf sprang der Weinherr, nur beklagend
Daß sein Justin so weit entrückt;
Indeß des Vaters Auge fragend
In Friedrichs glüh'ndes Antlitz blickt.
Auch Eva war herabgesprungen
Von ihrem Mäuerchen im Nu,
Als ihres Freundes Wort erklungen
So voll und so getrost dazu.
Ob unbeachtet auch im Kreise,
Stand sie mit strahlendem Gesicht,
Und lacht, beglückt auf ihre Weise,
Umtanzt von Laub und Sonnenlicht.
Wenn Sommerfäden, zart gesponnen,
Durch Feld und Wiesen leise ziehn,
Und hoch im Blau zu wärmern Sonnen
Die Wandervögel wieder fliehn,
Dann wissen wir, des Jahres Gaben
Sind eingebracht, ob groß, ob klein,
Und was wir noch zu hoffen haben
Ist trügerischer Farbenschein.
Und dennoch knüpft ein neues Hoffen
Sich an den Rest von Farbenglut,
Und was dem Jahr nicht eingetroffen,
Vom nächsten hofft es Herz und Mut.
So unermüdlich giebt der Zeit sich
Erwartung, Sehnsucht, Wunsch anheim,
Und neuen Glücks Empfinden reiht sich
Schon an des Frühlings ersten Keim.
Denn ob sie scheinbar nichts erfüllte,
[34] So hebt, wenn stumm die Leidenschaft,
Aus dem Verlust das unverhüllte
Gefühl sich der gestählten Kraft.
Was wenig dünkt dem, der begehrlich
Ein ganzes Füllhorn sich erlas,
Und rastlos, was ihm selbst beschwerlich
Der Wünschen giebt im Uebermaß;
Dem Andern ist's, mit anderm Hoffen
Im Flug' erhascht, unendlich viel:
Ein Funke, leuchtend, zeigt ihm offen
Den Weg zu ungemeßnem Ziel.
Vom Römerthurm die Sommergäste
Sie waren längst gen Süden fort,
Indeß am Rhein man Erntefeste
Noch feiert spät von Ort zu Ort.
Da lacht und ruft's beim Traubenlesen
Von Berg zu Berg, und frischt den Gang
Der Arbeit wie ein lustig Wesen
Mit Festgebräuchen und Gesang.
Und Last auf Lasten kommt zur Kelter
Vom Berge heim das goldne Gut,
Und stürzt, gewandelt, zum Behälter
Als schaumgetrübte Wirbelfluth.
Gebändigt will in sicherm Schlusse
Der kaum befreite Neuling sein,
Bis, ausgetobt, zu klarem Flusse
Die reinen Kräfte sich befrein.
[35] Wie regt sich Alles so geschäftig
Bis hoch zum Felsterrassengrat!
Die Luft, noch blau und herbsteskräftig
Erleichtert den beschwerten Pfad.
Die Keller, die Gewölbe schwellen,
Die Ernte steht in Reih und Glied:
Nun knallen Schüsse, Jauchzer gellen,
Zum Tanz geschmückt die Jugend zieht.
Was wissen all die Völkerschaaren,
Die dampfgeführt den Rhein entlang
Nach Nord und Süd vorüberfahren,
Von unsres Städtchens Lebensgang?
Sie gönnen einen Blick verwundert
Der Landschaft in zerstreuter Weis',
Und sehn es an wie andre hundert,
Als dumpf beschränkten Lebenskreis.
Doch besser wissen die drin leben
Wie's drin und draußen ist bestellt,
Und daß so manches tücht'ge Streben
Sie mit der Welt zusammenhält.
Denn wo das Leben vielgestaltig
Sein schwärmend Volk vorüberführt,
Da wird im Kleinsten mannigfaltig
Des Kernes Wachsen bald gespürt.
Doch zu den kleinsten nicht zu zählen;
Ist unser Städtchen, dem schon lang
Besitz und Wohlstand zu vermählen
[36] Der schönen Lebensform gelang.
Ein Kreis von hochgebauten Villen
In aufgestuften Gärten zeigt
Wie hier, von Kunst erhöht, im Stillen
Des Lebens Werth und Freude steigt.
Und während so, vergnügten Zieles
Die Stadt sich wachsend dehnte fort,
Empfand man, daß im Innern Vieles
Nicht mehr genügt' an seinem Ort.
Den Vätern däuchte schon seit lange
Ein neues Rathaus an der Zeit;
Das alte war dem mächt'gen Drange
Der Tag' ein gar zu dürftig Kleid.
Allein sein Platz war gut: Gehoben
Von aufgestuftem Felsengrund
Macht' es nach unten und nach oben
Den Sitz des Raths den Blicken kund.
Doch schöner war, was sie umfaßten.
Doch da der Rector längst erklärt,
Daß der baufällig alte Kasten
Historisch ohne allen Werth,
So gab man's willig dran, und wollte
Das neue, das erhöhter jetzt
Den Bürgerstolz bekunden sollte,
Auch auf den alten Platz gesetzt.
Verhandelt hatte man seit Jahren,
Und Pläne gab es bald genug,
[37] Bis dann die Väter einig waren,
Daß
einer glänzend alle schlug.
Die Zeichnungen und Risse kamen
Von einem Meister, alt bekannt,
An dessen vielbekannten Namen
Die Väter endlich sich gewandt.
Der schrieb: Da seine eignen Kräfte
Zu überbürdet durch Geschäfte,
So hab' er diese Arbeit frei
In eine jüngere Hand gegeben,
Und Einem, der in Kunst und Streben
Auch schon ein junger Meister sei.
Die Arbeit werd' es offenbaren,
Die er in jedem Sinn empfahl.
Den Namen sollten sie erfahren,
Wenn sie entschieden für die Wahl. –
Vorüber war des Streites Hitze,
Nun sollt' es bald an's Bauen gehn.
Schon sah man, gleich der Farbenskizze,
Das neue Prachtwerk fertig stehn.
Und wie es geht, die Lust berückte
So manchen schnell, nun auch zu bau'n,
Sein Plänchen, wenn die Rechnung glückte,
Dem fremden Meister zu vertrau'n.
Nun war's, da man so lang geplant,
Als müsse was Besondres kommen.
Auch kam's – ob jedes Jahr geahnt,
[38] Doch immer wieder froh vernommen:
Des Kuckucks Ruf vom hohen Wald,
Das junge Grün am tiefsten Ufer,
Und Gärten, Berg und Thal durchschallt
Vom Lied beschwingter Frühlingsrufer.
So sonnig war das Jahr erwacht,
So früh erblüht der blaue Flieder,
So warm und wohlig sank die Nacht
Auf Strom und Thal und Hügel nieder,
Daß Alles, wie zum Fest bereit,
Genoß das Glück der schönen Zeit.
Und so am Abend, hinterm Haus,
Im altgewohnten Rebengange,
Der schon sich schmückte grün und kraus,
Sitzt in Gesprächen man schon lange.
Die Ampel mit gedämpftem Schein
Hängt überm Tisch, und zeigt auch heute
Bei einem Schöppchen Lieblingswein
Den alten Kreis gesetzter Leute,
Die nach des Tags bewegtem Gang
Beschaulich ihrer Muße pflegten,
Und wenn der Stund' es sonst gelang,
Die Red' auch ernster wohl bewegten:
Der Weinherr und der Arzt; dazu
Der Rector, meist ein ernster Hörer
Gelehrigem Kreis; kein Ruhestörer,
Doch Störer schlaffer Geistesruh.
[39] Der Oberförster fehlte nie,
Und die Gerichtsherrn äußerst selten,
Und sonst der Wackern viel noch stellten
Sich ein hier in der »Harmonie.«
Und während fern die Völkerwogen
Und Reisezüge drängten fort,
Saß man behaglich eingezogen
Daheim und doch am schönsten Ort.
Nur selten warf auf fremde Stirnen
Am Tisch die Ampel ihren Schein.
Heut war ein Fremder doch erschienen,
Sein Gastfreund führt ihn höflich ein.
Es war ein kleiner Herr, man gab ihm
Den Titel Bibliothekar,
Und setzte, wohlgewählt, zur Lab' ihm
Das Beste vor vom besten Jahr.
Doch traf man's eben nicht zum Besten,
Der Gast war mürrisch, war verstimmt.
Es scheint, als ob ihm ein Gebresten
Die Lust zur Unterredung nimmt.
Doch endlich will er's nicht mehr tragen,
Sein Unmuth kommt in Redefluß,
Daß Alles er seit Jugendtagen
So ganz verändert finden muß!
An beiden Ufern Eisenbahnen,
Terrassenbauten, Prachthotels,
[40] Landhäuser, Schlösser, Wimpel, Fahnen,
Und Gärten bis zum höchsten Fels!
Die Zeit vor guten dreißig Jahren,
Da er zuletzt den Rhein gesehn,
War so an ihm vorbei gefahren,
Den Wechsel konnt' er nicht verstehn.
Er suchte jenes traumerwählten,
Erfundnen Mittelalters Spur,
Wo alte Burgen sich erzählten
Von Ritterthat und Treueschwur.
Von Festen in gethürmten Mauern,
Von klösterlichem Mißgeschick,
Von Einsamkeiten, Lüfteschauern,
Und tiefer Stille Trauerglück.
In dumpfer Bücherhaufen Staube
Lag die Romantik seiner Zeit,
Die ihm sein trotz'ger Aberglaube
Zur einz'gen Poesie geweiht.
In Stubenluft zu früh veraltet,
Entschloß zur Reis' er sich nur schwer,
Nun ging, da manches umgestaltet,
Ihm jede Stimmung kreuz und quer.
Und daß man gar in Eisenstraßen
Den Rhein gezwängt, sei unerhört,
Die Gegend über alle maßen
Verungestaltet und zerstört!
Das ist nicht mehr – so endlich schloßen
Die lange Hadermelodei'n,
[41] Wegwerfend, höhnisch und verdrossen,
Das ist nicht mehr der alte Rhein!
Der Weinherr wiegte nur das Haupt,
Und sprach: »Vor fünfundzwanzig Jahren,
Da mußte langsam und bestaubt
Auch ich im Reisewagen fahren,
Wenn, im Geschäft von Ort zu Ort,
Kein Dampfer mich an's Ufer setzte.
Nun freilich kam man so auch fort!
Und wer es etwa heut noch schätzte
Gemütlich und mit Zeitverthun,
Mit Füttern, Aufenthalt und Ruhn,
Und mit Befried'gung oder Gähnen
Den heißen Reisetag zu dehnen,
Dem ist es keiner Zeit benommen.
Ein Wäglein kann er stets bekommen.
Wir Andern aber werden kaum
Den Schienenwegen widerstreben,
Die uns erobern Zeit und Raum,
Und Wohlstand und Geschäft und Leben
Ist unser guter Rheinstrom doch
Nicht bloß zu müßigem Begaffen:
Es wohnen daran Leute noch,
Die vorwärts gehn in rüst'gem Schaffen.
Denkt nur der Oertlein, wie sie waren!
Dem alten Burggemäuer gleich,
Das modernd seit vielhundert Jahren
[42]Der Eulen häusliches Bereich.
Bestäubt und grau, mit Thürmen, Zinnen
Befestigt – gegen welchen Feind?
Das Feste längst vermodert drinnen,
Das Leben kümmerlich versteint!
Da plötzlich stört ein Pfiff gewaltig
Die mittelalterliche Ruh,
Und weckt ein Leben vielgestaltig.
Der Pfiff – nun ja, ich geb' es zu,
Ist nicht das lieblichste Gedröhne,
Und lieber hört mein lauschend Ohr
Die angenehmen Liedertöne
Von unserm jungen Männerchor –«
Den Redner unterbrach ein Lachen
Und Beifallrufen, denn man war
Sehr eifrig im Parademachen
Mit seiner jungen Sängerschaar,
Die kürzlich bei dem großen Feste
Ersungen einen Preis und Kranz,
Und so dem lieben Heimatneste
Verliehen Stolz und Ruhmesglanz.
Doch Jener sprach gelassen weiter:
»Nicht aller Orten hier am Rhein
Kann schon so klar, melodisch heiter
Der arge Pfiff entwickelt sein.
Doch wo er gellt, da plötzlich zittern
Die alten Mauern, Thurm und Wall,
[43] Vergangenheit mit Unheilswittern
Blickt ratlos aus dem Traumverfall.
Die blöden Augen muß sie schließen,
Der Zauberschrei giebt ihr den Tod.
Doch hundert Lebensquellen schießen
Vom Boden auf durch sein Gebot.
Und aus den engen Dächergassen
Am Ufer quillt es rechts und links,
Als wär gewärtig man des Winks
Das neue Leben schnell zu fassen.
Ist schmal der Raum, so packt man kühn
Der alten Berge Felsenrippen,
Und baut mit kräftigem Bemühn
Die neue Stadt sich auf den Klippen.
Und all das Leben, das sich regt,
Entsprang dem Ruf der Schienenstraße.
War's besser in so hohem Maße
Als man noch finster eingehegt
In malerischen Trümmern hauste?
War würdiger das ganze Sein,
Und war es schöner denn am Rhein,
Als man von Köln nach Mainz vor Jahren
Acht Tag' im Schlepptau mußte fahren?«
Indeß im Kreis man spricht und lacht,
Der Rector schiebt bei Seit' die Flasche,
Und räuspernd sich mit Wohlbedacht,
[44] Zieht er ein Büchlein aus der Tasche.
Und er beginnt: »Als heute früh
Ich ordnet' meine Bücherstände,
Fiel dieses hier, mit großer Müh
Errungen einst, mir in die Hände.
Vergessen lange, gab es heut
Mir Stimmung auf besond're Weise.
Ich nahm es mit, vielleicht auch beut
Es gleiche Stimmung diesem Kreise,
So dacht' ich. Und wie nun zur Stund'
Hier das Gespräch den Weg genommen,
Kann wohl aus zuverlässigem Mund
Kein Zeugniß uns gelegner kommen.
Denn wie bequem einst ein Besuch
Am Rhein in alter Zeit gewesen,
Das giebt in seinem Tagebuch
Herr Albrecht Dürer uns zu lesen.
Die Zeit war's, da im Reich die Herrn
Gen Niederland mit Pomp und Prangen
Hinzogen, um den neuen Stern,
Den fünften Karl, dort zu empfangen.
Von Spanien kam er. Große Feste,
Von Künstlerhänden ausgeschmückt,
Erwarteten die tausend Gäste.
Und so auch fühlte sich berückt,
Verlockt von künstlerischem Streben
Des wackern Meisters Phantasie,
Denn größres Schauspiel konnt' er nie
[45] Für seines Griffels Kunst erleben.
Doch für Geschäft auch und Gewinn
Ersprießlich konnte sein die Reise,
Das macht' ihm klar mit kund'gem Sinn
Die Meisterin nach ihrer Weise.
So packte man zur langen Fahrt
Die Kisten voll der Herrlichkeiten,
Mit Bildern, Stichen aller Art.
Die Reise hofft man zu bestreiten
Durch den Verkauf von manchem Stück,
Bringt auch ein Sümmchen wohl zurück.
So hub mit Weib und Magd, zu Drei'n,
Der Meister Dürer sich zum Rhein,
Weil für die Güter, ohne Wahl
Die Wasserstraße sich empfahl.
Nur freilich war am Rhein der Zoll
Für all sein Gut verhängnißvoll,
Den sich mit scharfer Faust erbaten
Drei Dutzend kleiner Potentaten.
Bei jeder Biegung hinterm Riff,
Begrüßt ein Zollhausthurm das Schiff,
Und ward das Gut durchwühlt am Land
Mit lüsterner bewehrter Hand.
Der Meister hat sich vorgesehn,
Und hofft die Reise zu bestehn.
Sein Tagebuch führt er genau,
Wohl unterstützt von Magd und Frau.
Und so, wie auf dem Rhein die Fahrt
[46] War dazumal nach Brauch und Art,
Nur davon hört, und nur ein Stück,
Wie Dürer preist sein Reiseglück:
›– Zu Bingen drauf mit viel Beschwer
Fiel um den Zoll man auf uns her.
Zeigt' ich mein Brief mit Rechten ihn'n,
Da mußten sie mich lassen ziehn.
Zu Lorche legt man drauf an's Land,
Mein Zollbrief hatt' ich in der Hand,
Da ließen sie mich fahren frei.
Lorchhausen kamen wir vorbei.
Nach diesem ging's auf Bacharach,
Da fragt man meinem Zollbrief nach,
Den wies ich ihn'n, man ließ mich gehn.
Viel Andrer mußten lange stehn,
Dieweil ihr Sach nicht recht und gut,
Und gab's viel Drang und üblen Muth.
Ich that für Wein und Krebs daneben
Zwölf guter Pfennig dort ausgeben.
Darnach wir fuhren bis gen Caub,
Zeigt' ich mein Brief und kriegt' Urlaub.
Zu Boppart drauf an's Land man steiget,
Mein Zollbrief ich da wieder zeiget,
Da ließ man mich, und blieben wir
Zu Nacht auf morgen in Quartier.
Des andern Tages zu Kapellen
Mußt' ich mein Zollbrief wieder stellen,
[47] Da ließ man mich, und fuhr man bald
Durch viel unlustig Berggestalt.
Zu Niederlahnstein wieder steiget
Man aus, ich meinen Zollbrief zeiget,
Da ließ man mich. So fuhren wir
Auf Coblenz, mußt man harren hier.
War da von Andern viel Geschrei,
Zeigt' ich mein Brief, man ließ mich frei.
Hinwiederum ging's fort gen Bonn,
Mein Zollbrief bracht mich gut davon.
Von Bonn auf Cöllen fließt der Rhein,
Wird da das Land gar eben fein.
Zu Cöllen in der geistlich Stadt
Zu gutem Glück mein Brief ich hatt',
Sonst ging mir all mein Sach zu Scheiter –‹
– »Und somit weiter und so weiter:
Ein immer gleiches Zollvergnügen
In gründlich schöner Langsamkeit,
Gestört von keinen Dampfeszügen,
Das war die alte gute Zeit!«
Der Gast empfand den Stich mit Grollen,
Zumal aus so gelehrtem Mund.
Ein unverhehltes Uebelwollen
Gab sich in seinem Schweigen kund.
Indeß man sprach von neuen Bauten,
Von Schule, Politik und Reich,
[48] Ließ er kein Wörtchen mehr verlauten,
Und saß, der grauen Eule gleich,
In lichtscheu regungslosem Sinnen.
Der Gastfreund sucht in gutem Muth
Zum Wort ihn wieder zu gewinnen,
Und, wie man eben Fragen thut
Um anzubinden, that die Frage
Ob ihm das Weinlein wohl behage?
Der Fremde schoß den Blick umher,
Als wär er neu gereizt zum Schelten,
Und anerkennen gar zu schwer.
Er sprach, er lasse diesen gelten,
Der Wein sei nicht von übler Art.
Doch könn' er wirklich ausnahmsweise
Nur loben, da sich auf der Reise
Befremdliches ihm offenbart:
Vor dreißig Jahren gab man willig
In jedem Wirtshaus jedem Gast
Die besten Weine äußerst billig;
Doch heute sei's unmöglich fast,
Und kaum mit Gold noch aufzuwiegen,
Etwas Erträgliches zu kriegen!
Und säh' er kaum noch eine Spur
Des Rheines, der ihn einst empfangen,
So fänd' er auch die Weinkultur
Gar kümmerlich zurückgegangen.
Man tränke nirgends schlechtern Wein
Als heutzutage grad' am Rhein.
[49] Ein Lächeln machte drauf die Runde,
Ein halbes Lachen, Murren fast,
Und Mancher fühlt in dieser Stunde
Nur Mitleid mit dem armen Gast.
Der Weinherr ruhig nahm die Rede:
»Mein werther Herr Bibliothekar,
Darüber lassen wir die Fehde!
Doch bietet sich ein Gleichniß dar:
Die Sammlung, die Ihr groß verwaltet
Hat hunderttausend wohl an Zahl
Und mehr der Bände, vielgestaltet,
Und Bücher stehen da zur Wahl,
Die einen Meisterwerke, selten,
Gelehrt und kostbar; and're dann,
Die nicht für gar so wichtig gelten,
Die man so eben mitgewann,
Weil man der Wissenschaften Kreise
Vollständig wollt' in jeder Weise.
Nun käm' ein Mann zu Euch herein,
Und sagt, er wünsch' ein Buch zu haben,
Doch müß' es etwas Hübsches sein.
Ihr denkt nicht groß von seinen Gaben,
Und steckt ihm eben in die Hand,
Was sich in Eurer Nähe fand.
Doch tritt ein Kenner in die Halle,
Der weiß, und fordert was er sucht,
Das Seltenste, die Quellen alle
Zeigt im Gedächtniß eingebucht –
[50] Ah! Der ist durch sich selbst empfohlen!
Da eilt Ihr Euch herbei zu holen
Das Allerbest' aus jedem Schrein.
Es ist fast so bei uns am Rhein.
Die Massen, die vorüber jagen,
Beschaun, genießen, ruhelos,
Befriedigt loben, oder klagen,
Als Kenner sind sie selten groß.
Doch wer die Quellen hat ergründet,
Der jagt nicht, weilet mit Bedacht.
Wo er als Kenner sich verkündet,
Wird ihm das Beste dargebracht.«
Indeß der Rector Beifall brummt,
Und Andre lächelten dem Gleichniß,
War bei Gesprächen bald verstummt
Des Fremden Haderpunktverzeichniß. –
Da nähert grüßend sich dem Tisch
Ein junger Mann, bekannt im Kreise.
Hoch die Gestalt, die Züge frisch,
Die Kleidung halb nach Jägerweise.
Und jeder Blick der Aeltren ruht
Mit Wohlgefühl auf der Vereinung
Von kräftgem Wesen, leichtem Blut,
In seiner fesselnden Erscheinung.
»Oh! ruft der Weinherr: »ward ich schon
So gänzlich zum Pantoffelhelden?
[51] Die Weiber senden mir den Sohn,
Die Zeit zur Heimkehr anzumelden!«
»Für diesesmal,« beginnt Justin,
»War's eigner Trieb, der mich beseelte,
Da ein Besuch, der dich verfehlte,
Mir von Belang vielleicht erschien.
Ein alter Herr. Ich wollte gehn
Dich abzurufen, wenn er warte,
Doch hofft er morgen dich zu sehn.
Er wohnt im ›Hirsch‹. Hier seine Karte.«
Der Weinherr hob zum Ampellicht
Die Kart' und sann für kurze Weile,
Und rief zum Rector dann in Eile:
»Der alte Oberst – ist das nicht
Derselbe, der – es ist drei Jahr'
Und länger – mit dem kranken Sohne
Mein Sommergast im Weinberg war?
Er muß es sein! Doch welche Zone
Schickt den uns wieder an den Rhein?
War's nicht Egypten, Doctor? Herzlich
Willkommen! Doch er kommt allein –
Wenn da nur nicht geschah, was schmerzlich
Dem Vater wird zu künden sein!
Der Sohn war schlimm bestellt – wir hatten
Ihn auf den Beinen fast, da warf
Ihn alter Wunden Unsal scharf
[52] Und plötzlich in ein neu Ermatten.
Der arme Oberst! Doctor, kommt,
Wir machen gleich uns zu dem Alten,
Um, was da etwa ziemt und frommt
Gemeinsam rathend zu gestalten!«
Sie brachen auf, der Rector mit,
Theilnehmend jener Zeit gedenkend.
So förderten sie ihren Schritt,
Den späten Weg zum »Hirschen« lenkend.
Justin auch ging. Man rief ihm nach,
Den Kreis nicht allzusehr zu lichten.
Er grüßte lächelnd nur, und sprach
Entschuldigend von andern Pflichten. –
Ja, Pflichten! hieß es. Pflicht und Lohn
Zugleich, da läßt man sich nicht stören!
Und der da mag wohl liebern Ton
Als unsere Unterhaltung hören!
Das Bäschen Eva ist der Pol,
Um den sich dreht sein Sinn und Streben,
Und eh wir's denken wird es wohl
Im Haus da eine Hochzeit geben!
Verirrt zu dir ist meine Seele,
Und weiß doch, daß sie nur verirrt,
Wie eine fortgewehte Blüte,
Und, ewig fremd dir im Gemüte,
Umsonst die Heimat suchen wird.
Vergeblich, daß ich mir verhehle,
Wie du nicht ahnst, was um dich ringt!
Kein Hoffen täuscht das stille Baugen,
Und doch verstummt nicht das Verlangen,
Das keinen Frieden je mir bringt.
Sie fragen quälend, was mir fehle?
Der Tag ist blau, die Biene schwirrt:
Bin nicht daheim, bin nicht im Leben,
Seit ich die Seele hingegeben,
Die willenlos zu dir verirrt!
[54] So tiefer Wehmut bange Klagen
Jungfräulich bergend im Gemüt,
So weit von Sehnsucht fortgetragen,
Und doch so wunderschön erblüht,
Stieg Eva oft zu jener Schwelle,
Seit Jahren ihrem Glück vertraut,
Wo auf der alten lieben Stelle
Der Nußbaum in die Lande schaut.
Wie oft sie schon hinaufgestiegen,
Gewünscht in's luftige Bereich
Weit über Fluß und Thal zu fliegen,
Hinweg, dem Wandervogel gleich:
Wie oft? Sie wußte nur, noch immer
War all ihr Hoffen bang verhüllt,
Und was sich bot an holdem Schimmer,
Ein höchster Wunsch blieb unerfüllt.
Und doch lag golden in der Tiefe
Das Land gebreitet sonnenwarm,
Als ob zum Freudentag es riefe,
Mit Strahlenwink, mit offnem Arm!
Da fernhin zog durch grüne Auen
Das Wölkchen auf der ebnen Bahn,
Da flog der Zug und schwand im Blauen,
Von fernen Hügeln schon empfahn.
Da fuhren sie auf weiten Straßen,
Dahin, daher, von Ort zu Ort,
Was sie erhofften, was vergaßen,
Es kam und flog mit ihnen fort.
[55] Doch unter tausend von Gestalten
Nicht eine kam, nicht die allein
Des Herzens Blüte durft' entfalten,
Erlösen und zum Leben weihn.
Dann zuckte schreckhaft wohl das Bangen
Durch ihre Brust: Wenn schon in Nacht
Zu früh sein Lebenstag vergangen,
Indeß ihr Herz noch lebt und wacht?
Nein, dieses Auge muß noch offen
Und freudig in das Leben sehn!
Zu schön die Welt, zu schön das Hoffen,
Um schon im Dunkel zu vergehn! –
Das Lebewohl, das einst vor Jahren
Erschreckend traf des Kindes Brust,
Es war ein ernsteres Erfahren,
Als sich das Herz noch selbst bewußt.
Zur Jungfrau wuchs in stillen Schranken
Das Kind, in Schönheit aufgeblüht,
Und mit ihr wuchs auch in Gedanken,
Was einst ergriffen ihr Gemüt.
Von Lieb' und Güte rings umgeben,
Und selbst getreu in Haus und Pflicht,
Gab sie dem Tag, gab sie dem Leben
Was er verlangte rein und schlicht.
Nicht unbekannt auch konnte bleiben
Des Mädchens Anmut und Gestalt,
Denn vielbeweglich war das Leben
[56] Des Hauses, das vor vielen galt;
Das altbefestigt, reichlich blühend,
Dem Gaste stets geöffnet war,
In das, mit Wünschen sich bemühend
Auch Mancher trat mit einem Jahr.
Der Weinherr sah es herzlich gerne
Wenn durch sein Töchterchen – denn ganz
Hielt er sie so – bis in die Ferne
Sein Haus erhielt besondern Glanz.
Und Eva konnte freundlich lachen,
Und Güt' erwiedern, die man bot;
Und Freud' auch konnte wohl entfachen
Die Wangen ihr mit tieferm Roth.
Und doch war etwas, unverkündet,
Im ganzen Wesen ihr verliehn,
Geheimnißvoll und unergründet,
Das reizt' und doch unnahbar schien.
Ob sie gefiel? Was ihr gefallen?
Es schien so fern ihr und entrückt.
Ein holdes Räthsel war sie Allen,
Das fremd erscheint und doch entzückt,
Denn tief im Innersten verschlossen
War ihre Welt, ihr Glück, ihr Leid,
Wo ihre Lebensquellen flossen
In schweigender Verborgenheit.
So war sie heut hinauf geschritten
Des Weinbergs lange Stufenreihn.
[57] Im Haus hat es sie nicht gelitten,
Sie wollte fern sein und allein.
Ja, heut allein im Sturm der Freuden!
Denn nach des Bangens stiller Qual
Ist's nun ein seliges Vergeuden
Von Hoffnungen mit einemmal.
Er lebt! Er kommt! O süße Kunde!
Sein Vater brachte sie voraus,
Sie hörte selbst von seinem Munde
Die Botschaft jubeln durch das Haus.
Er lebt! Er kommt! Er ist genesen!
Der Oberst wies der ganzen Schaar,
Die ihn gesehn wie er gewesen,
Mit Stolz des Sohnes Bildniß dar.
Sein Bild – was stand so wunderbar
In diesem Angesicht zu lesen?
Er war es noch, und ganz und gar,
Und doch erhöht in jedem Zuge
In der Gesundheit Kraft erblüht –
Sie wandte sich, sie fühlt' im Fluge
Des Herzens ihr Gesicht erglüht;
Sie eilt, um einsam und geborgen
Zu hüten ihres Herzens Schlag.
Wann kommt er wohl? Vielleicht schon morgen?
O nun ist goldner Frühlingstag!
Und dennoch, in das Glück der Stunde
Dringt ein Gedanke peinvoll bang:
[58] Wenn nun in seiner Seelen Grunde
Ihr eignes Glück nicht wiederklang?
Die weite Welt hatt' er durchmessen,
Und aller Schönheit reich Gebiet –
Gewiß, er durfte sie vergessen,
Sie war ein Kind noch, da er schied!
Vielleicht noch bringt ein leicht Erinnern
An Kinderspiel er mit zurück,
Indeß gefesselt tief im Innern
Sein Herz von einem andern Glück?
Vielleicht auch schon zu ewiger Dauer
Fühlt er gedrungen Herz und Pflicht –
Des Mädchens Brust erfüllt ein Schauer.
Die Hände schlägt sie vor's Gesicht,
Und an dem Steintisch sinkt sie nieder,
Und stützt das Haupt. Doch aufgescheucht
Vom innern Ruf, verscheucht sie wieder
Was grausam unerfaßbar däucht.
Und so umspielt vom jungen Laube,
Das duftend quillt im Frühlingslicht,
Verklärt ein selig süßer Glaube
Ihr jugendliches Angesicht. –
Da horch! Da sieh, wie aus den Zweigen
Ein Fink auf's Mäuerchen sich schwingt,
Und plötzlich, wie um sich zu zeigen,
Sein schallend Trillerliedchen singt!
Er wiegt sich fast in Wohlbehagen,
[59] Und hüpft und pfeift, und blickt sie an –
Sie regt sich nicht – es scheint zu wagen,
Er fühlt sich keck, ein ganzer Mann:
Und auf den Tisch mit raschem Schwunge
Läßt er sich nieder, stimmt den Ton,
Und regt mit aller Kraft die Zunge,
Als gelt' es einen Botenlohn.
Sie lächelt, hebt das Haupt nur leise –
Husch, husch! Adjes! Da fliegt er fort.
Meint du, es geh allein die Reise
Durch's
Thal zum auserwählten Ort?
Hoch von den Bergen auch, im Rauschen
Des Frühlings, schreitet Wanderlust.
Hab Acht, wie bald bei deinem Lauschen
Du überrascht dich wenden mußt! –
Wenn durch den Wald, vom Schall getragen,
Entfernter Knabenstimmen Ton
Sich hebt bei wildem Spiel und Wagen,
Bald Jauchzen, bald Gebieterdrohn:
Wie herzerquickend dringt das Rufen,
Ob ungebändigt auch, zum Ohr!
Die Lust, die sie nun sich erschufen,
Klingt mit im vollen Waldeschor.
Denn Wald und Wildheit paßt zusammen,
Wo rückhaltlos und regelfrei
Die Klänge der Natur entstammen,
Ob Kuckucksruf, ob Bubenschrei.
[60] Doch mächtger kommt der Klang gezogen,
Der tiefer zum Gemüte dringt,
Wenn durch den Wald im Windeswogen
Ein Chor von Jünglingsstimmen klingt,
Wenn aus der Quellenflut der Töne
Die Ordnung sich zum Wohllaut hebt,
Und in des Liedes tiefrer Schöne
Der Menschenbrust Empfindung lebt;
Da klingt, was die Natur verschwendet,
Gesammelt wieder und geweiht, 5
Und rauscht zu ihr zurückgewendet
Daher in Waldesfestlichkeit:
O Frühlingsruf in Wald und Feld,
Wohin dein Wink mich leitet,
Ist überall mein Haus bestellt,
Und festlich zubereitet!
Gegrüßt, ihr Thäler und Felsenhöhn,
Und du grünende Buchenhalle,
In der Feierzeit, o wie wunderschön,
Sei gegrüßt mit Liederschalle!
In der Feierzeit durch die blühende Welt
Zu ziehn mit den frohen Genossen,
Wie auf Schwingen den Wandervögeln gesellt,
Und die Seele dem Jubel erschlossen!
[61] Sei gegrüßt in der Tiefe du rauschender Strom,
Und ihr Städtchen voll rosiger Wangen!
Sei gegrüßt du unendlicher Himmelsdom,
Der uns Alle zur Feier umfangen!
So kommt's heran. Auf Felsenstufen
Schon sichtbar wird die Sängerschaar.
Und dann ein lautes Jubelrufen
Dem Ausblick, der erstiegen war.
Ein Ruhn, von Laub und Gras geborgen,
Für weitre Fahrt nach kurzer Rast.
Nur Einer blieb, der seit heut Morgen
Gesellt zu ihnen war als Gast.
»Wir scheiden, sprach er, da hinunter
Mein Weg mich heut zum Ziele bringt!
Ich dank' Euch, daß Ihr frei und munter
Den Fremden unter Euch empfingt!
War's auch ein Tag nur, kurz gemessen,
Ein Wandertag macht schnell bekannt,
Er sei mir werth und unvergessen!
So lebt denn wohl mit Gruß und Hand!«
Nur Eins noch, hieß es, laßt uns fragen:
Ihr seid's, der uns verschönt den Weg.
Erzähltet uns von großen Tagen,
Und hieltet uns gespannt und reg'
Als wanderfahrteten wir doppelt:
[62] Mit Euch im Pharaonenland
Und hier, und sahn recht schön verkoppelt
Des Niles und des Rheines Strand.
Die Neugier müßt Ihr nun verzeihen –
Uns freilich, uns verkennt man nicht,
Die bunte Kapp' in unsern Reihen
Läßt allen leuchten unser Licht!
Ihr nanntet Euren Namen – aber
Befremdlich däucht es, daß vom Nil
Zu jenem Nest Ihr Schusters Traber
Kutschirt, als Eurem Reiseziel!
»Oh!« lachte Friedrich; »gerne will ich
Auch dies Geheimniß Euch vertraun!
Ich soll im Städtchen hübsch und billig
Den Herrn ein neues Rathaus baun!«
Seht! rief man; heimlich gab's ein Streiten,
Und Keiner hat's doch recht entdeckt!
Doch einig war man aller Seiten,
Daß was Besondres in Euch steckt.
So laßt's Euch drunten wohl ergehen,
Und bauet Euer stattlich Haus!
Und eilt Ihr Euch, so kann's geschehen,
Daß wir uns sehn beim Richtungschmaus!
Man lacht' und schied mit Wandergrüßen,
Und Friedrich sah den Frohen nach,
Die singend und mit hurtigen Füßen
Im Wald verschwanden allgemach.
[63] Nur wenig älter, war in Jahren
Gereift sein Wesen tiefer schon,
Wenn auch bei muntrem Wanderfahren
Er gern gestimmt in Jugendton.
Dann wandt' er sich, und schritt am Rande
Des Waldes, lächelnd vor sich hin:
»Nun komm, o Seele, zu Verstande,
Für neuen Lebenslaufs Beginn!
Wir müssen uns sehr ernstlich fassen,
Ein mäßiger Mann jedweder Zoll,
Das Werk betreiben würdevoll
Fein selbstbewußt, und fein gelassen,
Mit Hochgefühl, nach Meisterart.
Schon mocht' auf seiner schnellern Fahrt
Mein Alter in den Hafen treiben,
Dem es, in kleinem Stolz, gefiel
Der Meisterschaft Beglaubgungsschreiben
Voraus zu bringen an das Ziel.
Der Meisterschaft – ihr ewgen Musen!«
Er lachte laut indem er's sprach,
Ein Echo rief das Wort im Busen
Belustgend ihm und spottend nach.
»Mein beßrer Meister! Mir zu nützen
Liehst meiner Arbeit wohlgemut
Du deines Namens Unterstützen,
Und wußtest wohl, es half mir gut!
Doch kommt ein Schüler nun statt deiner,
[64] Der große Nam' entschlüpft dem Plan.
Erinnert mein sich doch wohl Keiner
Von Denen, die mich damals sahn!
O damals! Guter Gott, da hockte
Verzweifelnd ich, ein siecher Wurm,
Gewärtig, daß mein Leben stockte,
Dort in dem alten Römerthurm!
Mag ich doch selber mein nicht denken
In jener Zeit! Vorbei, vorbei!
Wer mag, wenn er gesund und frei,
In alten Jammer sich versenken?
Ein halbes Leben scheint's mir fast,
Und doch nur Jahre sind vergangen.
Ein Reisewinter nahm die Last
Mir bald, die trübe mich befangen.
Dann frohe Heimkehr, Lehrlingszeit,
Und Lebensfreud' und Schaffenswonne,
Gefühl, daß alle Seligkeit
Du mir noch bringst, o Frühlingssonne!
Mir ist, als säh' ich dieses Thal,
Da ich's mit frischem Aug' betrachte,
Den schönen Rhein zum Erstenmal,
Als ob ein Glück hier für mich wachte!«
Und hastig fördert er den Schritt
Die grünen Weingeländ' hinunter.
»Da bist du schon!« so ruft er munter,
»Du Zwingerthurm, in dem ich litt!
[65] Nun sei gegrüßt von dem Gesunden!
Noch Alles so: Das Dach umwunden
Von Epheu; hier der Rebengang;
Der Weg das Mäuerchen entlang,
Und dort der Nußbaum. Schau, im Schimmer
Des Sonnenlichterspiels noch immer
Ein Strohhut und ein hell Gewand?
Als müßt' ich, trotz der Zeiten Schwinden,
Das kleine Ding auch wieder finden,
Das frohe Kind, das klug und lieb
So oft die Sorgen mir vertrieb.
Sie ist's! Sie hat mich schon vernommen –
Willkommen, Evchen! Gottwillkommen!«
Er ruft's, und flügelt seinen Fuß.
Das Mädchen hört den Freudengruß –
Mit leisem Schrei, von Schreck befangen,
Springt Eva auf mit glühnden Wangen,
Und fühlt, im Herzen unbewacht,
Der Ueberraschung ganze Macht.
Und Friedrich, wider sein Vermuten
Ergriffen, steht in gleichen Gluten,
Und starrt sie an, verlegen, wirr,
Und wähnt, sein Auge führt' ihn irr' –
Das ist nicht Eva! Diese Blüte
Der Jugendschönheit, dieses Licht
Der Anmut, überströmt und bricht
Ihm wie ein Zauber zum Gemüte.
[66] Und dennoch ist sie's – muß sie's sein!
O Thor! Aus Kindern werden Leute,
Und du auch bist ein Andrer heute –
So schilt er in sich selbst hinein,
Und mag zu reden kaum noch wagen,
Da ihre Lippen lächelnd schon
Ein zögerndes Willkommen sagen.
Dann ruft er mit befangnem Ton:
»Grüß Gott – o Jungfrau! Laßt mich fragen,
Seid Ihr denn wirklich – jenes Kind,
Das Eva hieß, und hold gesinnt
Mir Freund war in vergangnen Tagen?
Verzeiht! Doch seid Ihr's – dann, o dann –!«
»Nun ja, ich bin's!« ruft sie mit Lachen.
Verschwunden ist des Schreckens Bann,
Und wie mit seligem Erwachen,
Errötend doch, reicht sie die Hand
Dem Freund, der staunend vor ihr stand.
Wie anders war es nun gekommen!
Was war mit ihnen nur geschehn?
Sie fühlten Beide sich beklommen
Beim unverhofften Wiedersehn.
Doch Eva fand den rechten Ton,
Erzählte, daß sein Vater schon
Vor ihm im Städtchen eingetroffen,
Und daß er selber zum Empfang
Sich frohe Mienen dürf' erhoffen,
[67] Da ihm sein Werk so schön gelang.
Auch sei von um so größrer Freude
Der alten Freunde Kreis erfüllt,
Daß für das neue Rathsgebäude
In
ihm der Meister sich enthüllt.
Das war Musik von Engelsmund!
Und Friedrich fühlt des Mädchens Worte
Nachklingen bis zum Herzensgrund.
Bald saßen an dem alten Orte
Die Freunde wie in alter Zeit,
Sie sprachen, plauderten und lachten,
Wenn ihrer Scherze sie gedachten
In glücklicher Vergessenheit.
Ein Glanz durchflog die Angesichter,
Ein Klang in jedem Worte lag,
Als ob die schönsten seiner Lichter
Gesammelt hier der Frühlingstag.
Doch plötzlich, innerlich erschrocken,
Erhob sich Eva, ließ den Fluß
Der unbefangnen Rede stocken,
Und schnell, dem Freunde zum Verdruß,
Hat sie zum Abschied sich gewendet.
Kaum daß ihr Mund ein grüßend Wort
Zum Wiedersehen ihm noch spendet,
So schnellen Fußes eilt sie fort,
[68] Hinab des Gartens Stufenreih'n.
Und Friedrich träumend bleibt allein,
Nachspähend, bis die Rebenlauben
Die leuchtende Gestalt ihm rauben.
Da weckt ihn aus des Traumes Rast
Geräusch von Tritten, die in Hast
Sich nähern auf dem breiten Wege,
Der steigend trennt die Weingehege.
Er wendet sich. Ein junger Mann
Im Jägerkleide kommt heran,
Und sichtbar aufgeregt zur Fehde
Fährt er ihn an mit heft'ger Rede:
»Mein Herr – ich weiß nicht wer Sie sind,
Und welcher Straße Staub und Wind
Zu diesem Platze Sie geführt –
Doch was dem dreisten Sinn gebührt
Des Fremden auch, will ich Sie lehren!
Es scheint, ich habe nichts zu ehren
An Ihnen, der so freier Art
Hier eine Dam' auf seiner Fahrt
Mit Worten zu verletzen wußte,
Daß sie zur Flucht sich wenden mußte!
Von Ferne sah ich's, doch ich kam
Für den, der sich die Freiheit nahm,
Zu spät nicht, daß ich ihm erkläre,
Daß Züchtigung ihm dienlich wäre!«
[69] Der Redefluß, der hohe Ton,
Des Worts beleidigender Hohn
Trieb alle Zornesglut und Flammen
In Friedrichs Angesicht zusammen.
Doch faßt' er sich, und ohn' ein Wort
Der Lösung, wie mit Stund' und Ort
Erlebniß, Zufall, sich verbunden,
Erklärt er scharf und unumwunden:
Daß Wortgefecht, so albern quer,
Er nie gemocht und nie getrieben,
Zumal in bess'rer Waffenwehr
Er seit dem Kriege stets geblieben.
Kurzum, daß er zu jeder Zeit
Zum Kugelwechseln steh' bereit.
Die Karte, die er höflich bot,
Erweckt der Ueberraschung Rot
Auf seines Gegners Stirn und Wangen.
Doch der war schon zu weit gegangen,
Um nun nicht auch sein Namenszeichen
Auf blankem Kärtchen darzureichen.
Befremdet standen beide dann
Und sahn einander musternd an.
Der neue Meister also: dachte
Justin – mit dem ich etwas dumm
Und übereilt Bekanntschaft machte!
Die Sache liegt nun ziemlich krumm!
Bei mir zu Haus hat man ihn gern,
[70] Den Oberst auch, den alten Herrn;
Nach dem, was ich von ihm vernommen,
Hieß ich ihn selber mir willkommen.
Schöß' ich ihn tot – das käme sehr
Dem neuen Rathaus in die Quer!
Und Friedrich dachte: Also der!
Des Weinherrn Söhnlein, das die Ehr'
Und Wohlanständigkeit der Stadt
So musterhaft vertreten hat!
Doch ist es schlimm, daß den nun grade
Zum Kugelnwechseln ich mir lade.
Schieß' ich ihn tot, das käme sehr
Mir für das Rathaus in die Quer!
Hilft nichts! Der Bursch ist ungezogen,
Und dienlich scheint den hohen Wogen
Des Uebermuts ein Damm zu sein.
»Wohlan, mein Herr! zum Stelldichein
Will in der fünften Morgenstunde
Gerüstet ich zu Diensten stehn,
Dort, wo wir überm Mühlengrunde
Am Fels die beiden Buchen sehn.
Beliebt von mir noch weitre Kunde,
So werd' ich unten, nah am Rhein,
Im ›Hirschen‹ anzutreffen sein.«
Justin verneigt sich einverstanden.
Denn wenn auch Zorn und Hitze schon
[71] Zur Hälfte seiner Brust entschwanden,
So setzt der freie, stolze Ton
Des Andern noch einmal sein Blut
Und Angesicht in Zornesglut.
Nur einen Augenblick vergaßen
Die Feinde sich, indem sie stumm –
Sie wußten selber nicht warum,
In ganzer Höh' einander maßen.
Der Blick war eigen, räthselhaft.
Zwei Burschen, prächtig aufgeschossen,
Sahn sie sich an in voller Kraft –
Als Gegner? oder als Genossen?
Durch beider Mienen schoß im Flug
Fast innern Wohlgefallens Zug.
Doch schnell, und ohne mehr zu sprechen
Verbeugten sie sich, gern bereit,
Frühmorgens mit Verbindlichkeit
Und Kunst die Hälse sich zu brechen.
Justin erwählt den Stufengang
Des Gartens, um hinab zu steigen,
Indeß für Friedrich bergentlang,
Der Straße Windungen sich neigen.
»Ein eigner Schluß der Wanderfahrt!«
So denkt er, langsam sich bewegend:
»Und eine Rückkehr eigner Art
In diese altbekannte Gegend!
Doch wo in aller Welt ist nur
[72] Mir dies Gesicht schon vorgekommen?
Mir scheint's bekannt, doch jede Spur
Hat die Erinnrung mir genommen.«
Schnell wendet er sich noch einmal,
Und sieht, wie Jener, auch gewendet,
Und aufrecht wie ein Rebenpfahl
Ihm nach die Blicke forschend sendet.
»Der auch? Als wären wir verkappt,
Und suchten uns nach Faschingsitten!«
Doch schnell, als fühlt' er sich ertappt,
Ist schon Justin hinabgeschritten.
So zieht auch Friedrich seine Straße,
Und sucht zu ordnen mit Bedacht,
Was, hart am Ziel, mit reichem Maße
Die letzte Stund' ihm noch gebracht.
Die Nachricht, daß im Städtchen heute
Der fremde Meister sei erschienen,
Verlockt zur »Harmonie« die Leute
Mit gar erwartungsvollen Mienen.
Des Weinherrn Gattin wünschte sehr
Die Gäste Abends zu behalten,
Und Eva bat sogar die Alten,
Doch schien unmöglich ihr Begehr;
Der Weinherr mußte selbst erklären,
Daß sie zum Harmoniebesuch
Doch heute noch verpflichtet wären.
So wagten keinen Widerspruch
Die Frauen und die Männer gingen. –
Nicht klein war heut der Väter Zahl,
Die den Erwarteten empfingen,
Und Friedrich sah sich ohne Wahl
Von Gruppen hier und dort erfaßt,
[74] Begrüßt, belobt, gedrängt, geschoben,
In zehnerlei Gespräch verwoben,
Als ein gar sehr begehrter Gast,
Und fühlt bei all den lauten Stimmen
Sich steigernder Berathungslust
Auch des Humors ein Fünkchen glimmen
In meisterhaft verschwiegner Brust.
Der Rector faßt indeß den Alten
Behaglich lächelnd untern Arm,
Und wies auf Friedrich, der vom Schwarm
Der Gönner wurde festgehalten:
»Ich wünsch' Euch Glück! Doch habt Ihr's schon,
Und habt's verdient Euch stramm und tüchtig!
Wenn heut' die Väter eifersüchtig
Auf Euch – es ist kein kleiner Lohn!«
Der Oberst nickt, als wüßt' er's schon,
Und blickt hinüber nach dem Sohn,
Dem Hören fast und Sehn vergingen.
Der Oberst auch war mit der Zeit
Noch ein ganz andrer Mann geworden,
Gealtert nicht, nein, hoch und breit,
Verjüngt, kam er zurück nach Norden,
Sah strahlend aus, sogar verschmitzt,
War glücklich in des Sohnes Schaffen,
Und hatt' auch schon die Arbeitswaffen
Für sich mit Eifer neu gespitzt.
Gern schuf er mit dem Sohn im Bunde.
[75] Schon ward von ihm vor einem Jahr
Ein Werk edirt – ich glaub' es war
So etwas aus der Festungskunde.
Nicht minder wurd' er heut geehrt
Als der bedrängte Rathausschöpfer,
Wenn auch nicht so mit Gunst beschwert
Wie Friedrich, welcher unbewehrt
In seiner fragewüt'gen Schröpfer
Sich immer enger zieh'ndem Ringe,
Sich sehnt nach Odem, und, wenn's ginge,
Nach einer zweiten Zunge noch,
Um all' dem wackern Baubestreben
Der Väter Auskunft schon zu geben,
Vom Dachstuhl bis zum Kellerloch.
Zu groß und bunt war das Gemisch,
Das heut im Garten sich vergnügte,
Als daß die Ampel über'm Tisch
Wie sonst dem ganzen Kreis genügte.
In Gruppen saß man hier und da,
Heut' mit den Alten auch die Jungen.
Man kam und ging, und drängte nah'
Doch dahin, wo gesetztern Lungen
Heut' ungewohnte Macht entquoll,
Und lautes Lachen oft erscholl.
Justin auch steht, und blickt, geborgen,
Vom Schatten, forschend nach dem Feind,
[76] Dem Alles huldigend sich eint,
Und dem er mit dem frühen Morgen
In Waffen sich begegnen soll.
Die Aussicht war ihm unbehaglich.
Nicht weil das Abenteuer waglich,
Vielmehr, er fühlte reuevoll,
Daß gar zu vorschnell er gehandelt.
Schien doch, was feindlich er begann,
In wenig Stunden umgewandelt:
Sein Feind gefiel ihm, zog ihn an.
Zumal, er mußte diesen Zügen
Schon früher einst begegnet sein!
Doch wann? Doch wo? Nicht hier am Rhein,
Noch sonst auf seinen Wanderflügen.
Er sinnt, und sucht nach Bahn und Richt'
In Bildern, die sich bunt vermischen,
Und sucht vergeblich dies Gesicht
In der Erinn'rung aufzufrischen.
So grübelnd steht er stumm allein.
Doch leise fängt's ihm an zu dämmern –
Sein Herz mit überraschtem Hämmern,
Bestätigt ihm: Der muß es sein!
Der ist's! Aus der Erinn'rung sprießen
Zwei Knospen, Ehr' und Dank, empor,
Und in ihm ruft's: Ich blöder Thor!
Wie kann ich mich mit dem noch schießen?
Unmöglich ist's – bei meinem Leben,
Ich bitt' ihm ab, er muß vergeben! –
[77] Wie aufgeschnellt aus einem Wahn
Beeilt er sich, und drängt sich Bahn,
Um das Erkennungswort und Zeichen
Nur bald von Jenem zu erreichen.
Da plötzlich zuckt ein jäher Blitz
Aus schwarzer Luft, von Donners Krachen
Im Nu gefolgt, daß man das Lachen
Vergaß auch auf den besten Witz.
Des schweren Frühlingswetters Droh'n,
Das sich genähert lange schon,
Stand über'm Haupt, eh' man im Rauschen
Der Unterhaltung drauf gehört.
Minutenlang ein stummes Lauschen –
Dann war in Lüften aufgestört
Mit einemmal des Sturms Gefieder.
Mit Riesenkräften brach's hernieder,
Daß Baum und Strauch im Wirbel rang,
Der, wie er heulend sie umschlang,
Rings um den Tisch, als erste Beute,
Des Blütenschnees Gestöber streute.
Denn großer Tropfen schwerer Fall,
Und Blitz und Schlag und Wiederhall,
Und prasselnd durch der Laube Fugen
Ins Glas die Hagelkörner schlugen.
Die Ampel kommt in Pendelschwingung,
Ihr Licht erlischt. Man springt und lacht,
[78] Und fühlt sich, tappend durch die Nacht
Verirrt in fremden Arms Umschlingung.
Gelächter, Wirrwarr, wilde Flucht,
Und Rettung nach dem Haus und Saale,
Denn immer mächtiger bricht die Wucht
Des Hagelwetterschlags zu Thale.
In furchtbar großer Majestät
Geht's flammenzuckend durch die Lüfte,
Mit Schlag auf Schlag, daß lang' und spät
Die Antwort rollt im Schall der Klüfte.
Der kleine Saal genügte kaum
Für die geflüchtete Versammlung,
Die, eingedrängt bis zur Verrammlung,
Sich fand in schlecht erhelltem Raum;
So daß Justin, auf Friedrichs Spur,
Trotz Späherblick und Ellenbogen
Vergeblich hin und wieder fuhr.
Indessen strömten Wasserwogen
Zur Erden, zwischen Finsterniß
Und grellen Lichtes Zackenriß,
Und bänglich ward es im Gedränge.
Die Jugend zwar, mit lustigem Hohn,
Versucht ihr Glück durch Chorgesänge,
Doch sie auch stimmt herab den Ton.
Der Väter aber mancher blickte
Mit ernstem Schweigen wohl hinaus,
[79] Wenn die Gedanken er nach Haus
Und fragend zu den Seinen schickte.
Da scholl noch einmal ungeheuer
Ein Krachen, in der Flammen Bund,
Als stünden Erd' und Luft in Feuer,
Und spalte sich der Felsen Grund.
Dann ward es still. Man hörte leise
Des Regens letzte Schauer nur,
Und schon durch schwarze Wolkenkreise
Entdeckt sich eines Sternes Spur.
Man athmet auf. Da kommt im Zagen
Ein banger Ruf die Straß' entlang:
Es brennt! Der Blitz hat eingeschlagen!
Allein woher das Rufen drang,
Kein Mund vermag es noch zu sagen.
Man drängt hinaus, man läßt das Fragen,
Denn jeder denkt nur an die Stelle,
Die seine kleine Welt umfaßt,
Und sucht in seiner Sorge Hast
Zu fliegen von des Saales Schwelle.
Schon leerer wird's, da drängt und bricht
Mit schreckverstörtem Angesicht
Ein Knecht sich Bahn, dem Strom entgegen;
Von Angst entsetzt, zum Wort bereit,
Kann er doch kaum die Zunge regen;
Er sucht den Weinherrn, stammelt, schreit;
[80] »Bei
uns, Herr! Schon zum Dach hinaus
Die Glut –! Es schlug in
unser Haus!«
Der Weinherr wurde blaß. Im Fluge
War Friedrich draußen, und Justin
Gefolgt von hülfbereitem Zuge.
Nur einen Augenblick erschien
Des Weinherrn Wesen wie gelähmt,
Dann schnell, wie vor sich selbst beschämt,
Gefaßt, beeilt auch er die Schritte
In der erschreckten Freunde Mitte.
Er sah den Dampf hoch über's Dach
Sich ringeln in geschwärzter Masse,
Das Haus umdrängt, gefüllt die Gasse,
Doch hundertarmig auf und wach
Der jungen Mannschaft rüst'ges Schaffen
Mit flammenbändigenden Waffen.
Er fand die Frau'n auch bei der Hand,
Ob zitternd noch vom ersten Schrecken,
Gefaßt, zur Thätigkeit ermannt,
Das beste Gut aus allen Ecken
Zu bergen vor der Flammen Drohn.
Er ging, zu bergen auch das Seine.
Der Oberst kommandirte schon
Kurzweg die ganze Hausgemeine,
Ließ tragen, was er selbst nicht trug,
Zum Gartenplatz, entfernt genug,
[81] Und stellt den Rector an als Drachen,
Den Schatz im Freien zu bewachen.
Doch droben ward in hartem Kampfe
Viel heißer Arbeit Werk gethan,
Und schon erschien, verhüllt vom Dampfe,
Gebrochen die Zerstörungsbahn.
Da plötzlich kracht und klirrt ein Prasseln,
Noch eine Wand des Daches bricht –
Die Menge schreit, die Schiefer rasseln,
Und aufgeschrecktes Flammenlicht
Zeigt auf dem Balken zwei Gestalten
Verloren in der roten Glut.
Vom Garten sehn es auch die Alten –
Wo blieb die Sorg' um Hab und Gut?
Ein Angstruf von des Weinherrn Lippen
Um seinen Sohn verzweifelt gellt,
Dem Oberst hämmert an die Rippen
Das Herz, wie fest er sich auch hält,
Und Alle beben voll Erwarten.
Des Daches Sturz, der Menge Schrei,
Treibt auch die Frauen in den Garten,
Es eilt was Füße hat herbei.
Noch stehn im roten Schein, gefährlich
Umrissen, Friedrich und Justin –
Da naht die Leiter, die beschwerlich
Dem Sparrwerk anzulehnen schien.
Friedrich ergreift sie – schwindelnd faßt ihn
[82] Justin, dem Sturze schon verfallen –
Doch Friedrich, ob die schwere Last ihn
Im Wanken selbst will niederballen,
Hält fest, umklammert ihn, und ringt
Sich rettend mit ihm zu den Sprossen
Der Leiter, bis es ihm gelingt
Zu sichern den Gefahrgenossen.
Sie hören hundert Freudestimmen
Im Rufen, das nicht enden will;
Sie sehn um sich die Funken glimmen,
Sie sehn sich an – und schweigen still.
Sie steigen nieder. Auch die Glut
War bald im Wasserstrahl erstorben.
Gerettet waren Haus und Gut,
Und mehr als das schien neu erworben.
Wie drauf von dem beglückten Kreis
Justin und Friedrich ward empfangen;
Wie diesem so viel Lob und Preis
Für seine Rettungsthat erklangen,
Daß unbehaglich ihm erschien
Was jeden doch zu sagen freute;
Wie, hastig und verstört, Justin
Die Augen Aller mied und scheute,
Versuchend, da das Herz ihm schwoll,
Im Ordnen, Handeln, sich zu fassen:
Dies abzuschildern rührungsvoll
Sei diesesmal dem Lied erlassen.
[83] Spät war die Stunde, Mitternacht
Nicht fern, vorbei Gefahr und Sorgen.
Man trennte sich, und ließ der Wacht
Die heiße Stätte bis auf morgen.
Die beiden Gegner hatten zwar
Gewechselt schon, sich selbst vergessend,
So manches Wort, nur die Gefahr
Und gleicher Arbeit Drang ermessend;
Nun stand Entfremdung und Vermeiden,
So unerträglich es erschien,
Erkältend wieder zwischen beiden.
Da, schnell entschlossen trat Justin
Zu dem, der ihn mit Fleiß vermieden,
Und bat ihn noch um einen Gang
Zum Zwiegespräch am Rhein entlang.
Und Friedrich war es gern zufrieden. –
Längst spannte nach des Wetters Toben
Sich aus der schönen Sterne Pracht,
Des Stromes Flut nur ging gehoben
Und tiefer rauschend durch die Nacht.
Gebirg, mit Wald und Felsenklüften,
Verschwimmt im dunklen Thalesgraun,
Die Häupter nur in Aetherlüften
Sind sternumfunkelt zu erschaun.
So rein die Luft, nur hin und wieder
Ein kosend Wehn um Baum und Strauch
Als sendeten vom Berge nieder
[84] Schon Rebenblüten ihren Hauch.
Der ersten Nachtigall, die leise
Sich wagte, nach der Wolke Drohn,
Antwortet nah und fern die Weise
In reichem stets geschwelltem Ton.
Als wär' in Lüften nichts geschehen,
Als gäb' es keiner Flammen Strahl,
Nicht Seelennot, kein Ueberstehen,
So breitete sich durch das Thal
In Frühlingsdämm'rung, Stromeswallen,
In wehendem Duft, im Sternenschein,
Durchtönt von tausend Nachtigallen,
Die holde Zaubermacht am Rhein.
Die Jünglinge verfolgten schweigend
Am Ufer langsam ihren Gang.
Viel war geschehn, was ernster steigend
Zu klar gemess'nem Wort sie zwang.
Justin begann: »Trotz unsrer Fehde,
Die morgen früh sich lösen soll,
Erlaubt, daß ich berichtend rede
Von etwas, das mich fragevoll
In diesen Stunden hat beschäftigt.
Daß ich auch vor dem Feinde stand,
Vielleicht, wenn's Euch noch nicht bekannt,
Wird es durch den Bericht bekräftigt.
Es war in jener Sommernacht,
Die glorreich, doch nicht jubelklingend,
[85] Nur Ruhe den Erschöpften bringend,
Gekommen nach der
Wörth'er Schlacht.
Geschäftig halb, halb in Ermattung,
Zog sich die Lagerstatt am Wald
Von Truppen jeder Waffengattung,
Versprengt, zu kurzem Aufenthalt.
Mich plagt' es, daß ich nicht vermochte
Was ungesucht die Andern traf,
Denn eine erste Wunde pochte
Mich gar vernehmlich aus dem Schlaf.
Ein Streifschuß, nur gering, den kauernd
Dort in der Weingehege Wacht,
Ein schwarzer Turkoteufel lauernd
Viel kräftiger mir zugedacht.
Noch ließ der Schmerz mich ungeschoren,
Doch über Nacht auf kühlem Grund,
Zumal den Mantel ich verloren,
Gab fieberlich er doch sich kund.
Daß ich verwöhnt war, fühlt' ich bitter,
Da ich in jener Nacht gelechzt
Nach Dach und Fach, ein schlechter Ritter –
Weiß Gott, ob ich nicht gar geächzt!
Da sah ich, über mich gebogen
Ein Antlitz – freilich fühlt' ich's mehr,
Denn in dem Dunkel um uns her
Ward um die Züg' ich noch betrogen.
Es war, der forschend mir genaht,
Von fremdem Corps ein Kamerad,
[86] Und als er sah, was mich bezwungen,
Hat er den Mantel schon im Nu
Von seinen Schultern abgeschwungen,
Und deckt gar brüderlich mich zu.
Den Rest auch seiner Flasche nahm
Ich willig, wie er willig kam.
Dann rafft er Moos mit beiden Händen,
Und Streu, die er zusammen klaubt,
Und legt mir sorglich seine Spenden
Als weiches Kissen unter's Haupt.
Sogar ein Reisigfeuer glühte
Bald auf und zeigt mir die Gestalt
Des Kameraden, dessen Güte
Für mich gesorgt so mannigfalt.
Er war so jung noch, und mich rührte,
Wie er so saß in stiller Nacht
Und stumm die Flamme für mich schürte!
Ich lag in seinem Mantel warm
Und bald in festen Schlafes Arm.
Und als erquickt ich dann erwacht'
Nach guter Rast, im Morgenschimmer,
Saß fröstelnd bei mir auf dem Rasen
Mein guter Kamerad noch immer –
Da ward zum Aufbruch schon geblasen!
Ich war bewegt – doch knapp das Wort
Das Dankes, das ich konnte sagen.
Doch weiß ich's noch. Wir mußten fort,
Und trennten uns beim ersten Tagen.
[87] Oft blickt' ich suchend wohl umher,
Ich sah das junge Blut nicht mehr,
Und dacht' auch wohl mit Trauern seiner.
Das war bis heut. Doch heut ist Einer,
Der doch vielleicht mir zum Erkennen
Das Losungswort vermag zu nennen!«
»Und welches ist das Losungswort?«
Rief Friedrich, denkend jener Stunde.
»Das letzte!« fuhr der Andre fort,
»Das letzte, recht von Herzensgrunde,
Wenn auch als Dank nur kurz gemessen!
Ich wollt', es wäre nicht vergessen!«
»Nun denn – das Wort ist eben selten,
Wenn's gar als Losung dienen muß,
Bei zwei Erzürnten, die zum Schuß
Die Waffen schon zurecht sich stellten!
Und nicht mehr feindlich ist die Zunge,
Die es einmal verlauten ließ.
Doch weiß ich's noch. Kurzum, es hieß:
Kam'rad – du bist ein lieber Junge!«
In heller Freude nimmt Justin
Des Andern Arm: »Ich will's drauf wagen,
Was einst als Dank so arm erschien,
Das Wort noch einmal dir zu sagen!
Doch du vernimm's, wie damit heut
[88] Mein ganz Gemüte sich dir beut!
Verzeih' mein heftiges Betragen,
Das bäurisch, roh und unbedacht,
Ich selbst am tiefsten muß beklagen!
Kamerad, wir waren diese Nacht
Im Feuer schon zum zweitenmal
Seit jenem rauhen Tag bei Wörth –
Versuchten wir's aus freier Wahl,
Zum drittenmal, wär's unerhört
Für uns – so wie für unsre Alten!
Vergieb mir, laß uns Frieden halten!«
»Von ganzem Herzen!« Seine Hand
Bot Fritz versöhnlich dem Genossen,
Der schnell ergriff das Unterpfand.
So ward der neue Bund geschlossen.
Noch lange gingen Arm in Arm
Die Freund' am Ufer auf und nieder,
Und da die Herzen jung und warm,
Ging froh die Rede hin und wieder.
Wie bei der Menschen Wiedersehn
Das Nächste und das Allerfernste,
Und helles Lachen mit dem Ernste,
Schnell durch die erste Stunde gehn:
Nimmt junger Freundschaft erste Stunde
Des Lebens ganzen Inhalt auf,
Und hastet sich, und drängt zum Bunde
[89] Bisher getrennter Quellen Lauf.
So ließen ihre Kriegeszeit
Die Freund' im Redetausch erwachen,
Mit Ernst erlebt, und doch bereit,
Der Abenteuer schon zu lachen;
Und wie sie Kunst und Leben sahn,
Und Tag und Arbeit sich entrollte,
Und manchen wundervollen Plan,
Der sie von nun vereinen sollte.
Da hemmt Justin den raschen Fuß,
Und spricht: »Ich bin dir Auskunft schuldig,
Weßhalb ich meinen ersten Gruß
So barsch gefügt und ungeduldig.
Mein Bäschen Eva ist mir wert
Und kann im Werte kaum mir steigen!
Doch sagt mein Wesen noch im Schweigen
Was es an Glück von ihr begehrt.
Ob sie's versteht –? ich möcht' es hoffen!
Sie war mir sonst das Kind im Haus,
Ich neckte viel, wir fochten offen
So manchen kleinen Krieg und Strauß,
Er lief doch stets versöhnlich aus.
Doch mit der Zeit stand ich betroffen –
Mehr durch mich selbst. Sie wußte gut
Mein thöricht Necken einzuschränken.
Mir schwand dahin der Uebermut,
Und sehr verändert ward mein Denken.
[90] Du sahst sie! Mußt du nicht gestehn,
Man fühlt vor dieser Jugendblüte
Der Mädchenanmut, im Gemüte
Jedweden andern Wunsch vergehn?«
Die Frage schien in Friedrichs Sinn
Befang'ne Regung aufzustören.
Sollt' er geheim etwas darin
Wie Prüfung und Versuchung hören?
Gleichgültig stimmt er seinen Ton,
So gut als er's zu Stande brachte,
Und sagt: Er habe früher schon,
Da sie als Kind noch mit ihm lachte,
Gemeint, sie werde mit der Zeit
Sich wohl recht hübsch – recht nett entfalten,
Und in der That sei er bereit
Für – gar nicht übel sie zu halten.
– Er spricht's, und fühlt doch grenzenlos
Mit dem Gewissen sich verwickelt,
Ja, daß die eigne Faust ihm prickelt
Zum stark verdienten Rippenstoß!
Er mochte nicht dem Freunde lügen,
Nicht unwahr vor sich selber sein,
Und schnell sein eigen Wort zu rügen,
Begann er: »Du auch mußt verzeihn!
Sie war ein Kind – wir beide standen
Vor Jahren auf vergnügtem Fuß,
Drum, wie wir heut' uns wiederfanden,
[91] Ward etwas herzlicher der Gruß.
Erst wie ich staunend sah gewandelt
Zum Mädchen sie, zur Schönheit gar,
Fühl' ich, daß ich nicht recht gehandelt,
Ob im vermeinten Rechte zwar,
Zu plaudern wie in jenen Stunden
Mit ihr, zu Zweien überdies!
Kann sein, sie hat das selbst empfunden,
Da sie den Platz so schnell verließ.
Nun dein Geheimniß ich vernommen,
Und weiß, daß hoffend du gewählt,
Soll keine Stunde wiederkommen,
Die darum uns verwirrt und quält!«
»Ich glaub's! Ich weiß es!« ruft beglückt
Justin, indem er warm und kräftig
Die Hand des neuen Freundes drückt:
»Wie ist im Innern man geschäftig
Mit frohem Hoffen, wenn einmal
Getroffen ist des Herzens Wahl!
Die Eltern sind ihr sehr gewogen,
Und hießen's gut – oh, keine Frag'!
Ist sie im Hause doch erzogen,
Und kennt's, und weiß, was es vermag.
Doch sieh' dort oben jenen Schimmer!
Heut giebt's im Haus wohl keine Nacht?
Das Lichtlein kommt aus Eva's Zimmer,
Verratend, daß auch sie noch wacht!«
[92] Sie waren wandelnd zu den Gassen
Der Stadt gekehrt, und sahen fern
Hoch über aufgestuften Massen
Das Licht, wie einen hellen Stern.
Doch Friedrich wandte sein Gesicht.
Sie trennten sich, und an der Pforte
Des Hirschen wiederholte schlicht
Justin die alten Dankesworte. –
Doch Friedrichs Ruhe war der Macht
Geschäft'gen Geisterbanns verfallen,
Er hörte ferne Nachtigallen
Und Stromesgang die ganze Nacht.
Du mein Gestirn, dem in der Frühe
Mein erster Gruß beglückt erwacht!
Du meines Tages Sorg' und Mühe,
Die leuchtend meines Ringens lacht!
Mein Hoffnungspol im Abendreigen,
Wenn Leidenschaft beruhigt quillt!
Mein Traum, mein Sagen und mein Schweigen,
Du heißgeliebtes Menschenbild!
Du magst, in deines Daseins Blüte
Dich selig sonnend, nicht verstehn
Die Regungen, die durch's Gemüte
Mir selbst unfaßbar, quälend gehn.
Ein Ahnen sagt dir nur mit Bangen
Die fremde Glut, die du entfacht,
Du gehst vorüber halb befangen,
Und übst doch deine ganze Macht!
[94] Du kommst und gehst, so kommt mein Hoffen,
So treibt mein Trotz es in die Flucht,
So fühlt mein Wesen sich getroffen
Von Ungeduld und Eifersucht.
Du nahst mit Lächeln meinen Kreisen:
Wer glaubt's, wie bald ein Herz vergißt?
Ich steh gebannt von Zauberweisen,
Und muß dich lieben, wie du bist!
Wenn solcherlei Gedankenwogen,
Wie innrer Stimmen Wettgesang,
In reicher Tag' und Monde Gang
Des jungen Meisters Brust durchzogen,
So war's im Stillen nur, und hart
Gerügt vom eigenen Gewissen.
Und täglich war er neu beflissen
In arbeitsvoller Gegenwart
Sich zu entziehn dem Zauberkreise.
Gab's zur Genüge doch zu thun,
Und jede Stunde sah Beweise,
Daß alles Schlendern, alles Ruhn
Verloren war, wo er regierte.
In jedem Schaffen rasch voran,
Das sich um Schwierigkeit nicht schierte,
Griff er die Arbeit tapfer an.
Und so, befeuernd, wußt' er gut
Sich Will' und Herzen zu verbinden,
[95] Daneben auch in heitrem Mut
Mit Widersachern abzufinden. –
Des Weinherrn Haus war ohne Dach.
Soll er's von Grund aus neu erbauen?
Kann man dem alten nicht gemach
Noch Leib und Leben anvertrauen?
Vielleicht ein wenig auch verschönt,
Modern besimset und bekrönt?
Der Meister sollte das entscheiden.
Der aber that den Meistermund
Zum Urtheil auf, und gab sich kund
Mit solcher Red': Es wär ein Leiden,
Modern zu machen solchen Bau!
Zwar trüg' er, groß und alterthümlich
Nicht eben großen Stil zur Schau,
Doch mehr als das sei daran rühmlich,
Charakter nämlich, ja, Charakter!
Denn trefflich sei hier die Durchdringung
Von Boden, Zeit- und Ortsbedingung.
Wie wär ein modischer, vertrackter,
Blitzblanker Bau hier angebracht?
Des wuchtigen Unterbau's Terrassen,
Der Keller und Gewölbe Macht,
Der alten Bäume grüne Massen,
Verböten, daß in ihrer Nähe
Ein andres Haus sich störend blähe.
Und kurz – orakelte zum Schluß
[96] Der Meister – auf das alte muß
Ein neues Dach, ganz wie das alte!
So bleibt es, wie auch rings umher
Die Stadt zu Füßen sich entfalte,
Wo man das Beste und das Tollste
Zusammenwürfelt nach Begehr,
Doch immer das charaktervollste,
Merkwürdigste Gebäu der Stadt!
Der Weinherr staunt, daß er bis heute,
Was ihn von ganzem Herzen freute,
Nicht selbst schon eingesehen hat,
Und sah mit einer Art Behagen,
Unsehenswert, als Modetand,
Die vielen neuen Häuser ragen,
Die sonst er gar nicht übel fand. –
Auch Eva wußte Dank zu sagen,
Daß sie, vom Bau nun unvertragen,
Ihr Erkerfensterchen behielt,
An dem sie schon als Kind gespielt,
Und wo sie heut noch gern die Schiffe
Sah gehn und kommen auf dem Strom
Die Burg dort auf dem Felsenriffe,
Und groß und weit den Himmelsdom.
Nun aber muß zur Ueberdachung
Der junge Meister selbst heran.
Denn, kann es auch der Zimmermann,
[97] So gilt es höchste Ueberwachung.
Denn jeder Schieferdachstein soll
Jetzt würdig und charaktervoll
Sich im Lokalstil präsentiren.
Auch darf man keinen Blick verlieren,
Daß jede Klammer, jeder Nagel,
Nicht wie der modische Janhagel
Dergleichen unbesehen nimmt,
Auch passend zu dem Ganzen stimmt.
Dachreiterlein und Wetterhahn,
Und dann der Traufe Regenbahn,
Und Andres, früher nie betrachtet,
Ward vom Besitzer sehr genau,
Geprüft, gesichtet und beachtet:
Des Hauses neu getünchtes Grau,
Die zahllos grünen Fensterladen,
Nur abgetönt, daß sie nicht grell
Dem alt ehrwürd'gen Eindruck schaden,
Und nichts zu dunkel, nichts zu hell!
Der Weinherr, sonst in seinem Denken
Und Thun ein ganz moderner Mann,
Hat plötzlich seine Freude dran
Sich alterthümlich zu beschränken,
Seitdem er weiß, sein altes Haus
Sieht würd'ger als die neuen aus.
So waren Friedrichs Nebenstunden
Dem Dachbau gar vergnügt geweiht,
[98] Wenn alle seine Tageszeit
Ihn an sein größres Werk gebunden.
Schon war der Grundstein auch gelegt,
Man hatt' ein großes Fest gefeiert,
Gesprochen viel und angeregt,
Gesungen und im Reim geleiert;
Getafeltoastet, durch die Reihn,
Daß manche Kehle sich verstaucht,
Getanzt am Abend – bis nach Dreie,
Und viel Getränk den Tag verbraucht.
Noch Wochen lang bewegt die Geister
Der Nachgenuß, und denkt man gar
Des Walzers mit dem jungen Meister,
Glänzt manches Auge wunderbar.
Dann ließ man's ruhn. Die Arbeit rückte
Von Tag zu Tag, man sah's mit Lust.
Der Sommer kam, die Schwüle drückte,
Und schwül auch ward's in mancher Brust.
Denn freilich war kein Tag vergangen,
Wo Friedrich Eva nicht gesehn,
Und keiner, wo zum Widerstehn.
Nicht Warnungsstimmen in ihm saugen.
Denn, die der Freund ihm anvertraut,
Die Neigung mußt' er heilig achten,
Und strafte sich, daß schon zu laut,
Die gleichen Wünsch' in ihm erwachten.
Er hält mit Trotz sich oft verwahrt,
[99] Und sucht mit Absicht zu vermeiden,
Und dennoch will des Hauses Art
Nicht Fremdheit noch Entfernung leiden.
Er soll sich heimisch fühlen. Froh
Kommt ihm die Hausfrau stets entgegen.
Der Weinherr zeigt ihm lichterloh
Verehrung, Freundschaft, Dankesregen.
Justin ist herzlich, arglos, frei,
Und zwingt ihn selber in die Falle –
Sie haben sich verschworen Alle,
Sogar sein Alter ist dabei!
Und sieht dann Friedrich, wie Justin
Und Eva gleich Geschwistern leben,
Wie er gefällig und ergeben,
Doch mehr im Scherz zu huld'gen schien;
Wie Eva, unbefangen, ganz
Wie mit dem ältern Bruder, lachte,
Und nie für ihn ein hellrer Glanz
In ihrem schönen Aug' erwachte –
Demselben Auge, das doch oft
Verrätherisch ihn selber bannte,
Wenn schöner leuchtend unverhofft
Es zu dem Jugendfreund sich wandte –
Dann mußt' er zu dem hellen Glück,
Er fühlt' es, Thür und Thor verbauen!
Sogar ein Schatten fiel zurück
Auf seines Freundes Selbstvertrauen.
[100] Ihm, der ihn herzlich ausersehn,
In einem Wahn sich glücklich wußte,
Ihm konnt' er nimmermehr gestehn,
Was sie auf ewig trennen mußte.
Und hielt sich Friedrich wohl in Acht,
So fühlt' er doch in trüben Stunden
Den Reif, der in der Frühlingsnacht
Schon fiel, da sie sich erst gefunden.
Doch Eva selbst war wie der Tag,
Der nur erscheint, um zu erfreuen.
Was schön in ihrem Wesen lag,
Schien holder noch sich zu erneuen.
Für Alle sorgend, strahlt und lacht
In Ihrem Schaffen, Kommen, Gehen,
Ein Glück, das Alle fröhlich macht,
Und wär' es nur, sie anzusehen!
Der Oberst, seit dem ersten Gruß,
Trieb lust'ger schon mit ihr sein Wesen,
Stand mit ihr auf dem alten Fuß,
Und machte nicht viel Federlesen.
Sie wußt' es zierlich und gewandt
Zuweilen ihm zurück zu geben,
Er lachte dann, und ward galant,
Und ganz respektvoll auch daneben.
Und Friedrich – sie verstand es nicht,
Warum er oft so kalt, gemessen?
[101] Und doch verstand sie sein Gesicht,
Wenn er sich unbewacht vergessen.
Kaum brauchte sie für sich ein Wort
Wenn er im Hause ward empfangen,
War glücklich, ging er heiter fort,
Und traurig, wenn er ernst gegangen.
Die Hausfrau aber stimmte schon
Aus reiner mütterlicher Güte
Mit Friedrich einen andern Ton,
Der neu ihm tauchte zum Gemüte.
Sie war von stattlicher Person,
In jener Jahre Silberblüte,
Wo Würd' und innrer Anmut Walten
Verschönen, trotz der Jahre Falten.
So wie sie ging, wie sie sich trug,
Gewählt und in der besten Weise,
So lenkte würdig, fest und klug
Sie Alles selbst in ihrem Kreise.
Als Wirthin kundig, wohlgewandt,
Gesellig gern dem Tag gewährend;
Als Hausfrau, mit geübter Hand
In Ruhewalten schlichtend, klärend;
Als Mutter doch die höchste Macht,
Wenn eben auch nicht rührsam weichlich,
Gab und empfand sie überreichlich,
Doch stets mit ruhigem Bedacht.
[102] Seit jener Stunde, da zusammen
Sie ihn gesehen mit Justin
Gefährdet in des Hauses Flammen,
Seit jener Stunde sah sie ihn,
Der ihr den Sohn gewußt zu wahren,
Im Herzen an als ihren Sohn.
Und was sie sonst von ihm erfahren
Bewegt' ihr Herz seit lange schon.
Vor Allem, daß er, hart erzogen,
Die eigne Mutter kaum gekannt,
Kein Haus und keiner Heimat Band
Der Jugend Glück ihm zugewogen.
Sie hätt' ihm etwas davon gern
Ersetzt im eigenen Bereiche.
Betrachtete sie im Vergleiche
Den Sohn und ihren Eheherrn,
Wir brauchten beide so nothwendig
Der Mutter und der Frau im Haus!
Es ging das Sorgen unabwendig
Um die Verwöhnten niemals aus.
Und nun der Oberst, stark in Jahren,
Und Friedrich, vielfach unerfahren –
Wie machten sie's, sich in der Welt
So ohne Hülfe durchzubringen?
Es war gewiß in manchen Dingen
Bei beiden nicht gar wohl bestellt!
Gern hätte sie dem Hausverbande
Die Heimatlosen eingereiht,
[103] Raum war genug, auch seit dem Brande,
Doch war, als gar zu dienstbereit,
Der Vorschlag besser zu vermeiden.
Allein behaglich sollte beiden
Und häuslich sein der Freundesherd.
So war für Friedrich aufgegangen
Was unbewußt er doch entbehrt,
Und froh im Innersten empfangen.
Und stärker zog's ihn zu der Pforte,
Wo sorglich mütterliche Worte
Ihm, wie ein neuer Lebenswert,
Zum dankerfüllten Herzen drangen. –
Der Oberst auch war in der Stadt
Zu Macht und Ansehn schon gedrungen,
Seitdem er all die wackren Jungen,
Die mitgethan als Schlachtensieger,
Mit Ernst um sich gesammelt hat
Zum dauernden »Verein der Krieger.«
Man hatt' ihn, wie's natürlich war,
Einmütiglich gewählt zum Vorstand.
Und da nun unter seiner Schaar
Der halbe junge Sängerchor stand,
So gab's viel Leben im Verein,
Denn Andre, die nicht mitgefochten,
Doch etwas im Tenor vermochten,
Ließ man zuweilen Gäste sein.
Gesang und Klang, und Lust und Possen
[104] Verrief man nicht als ausgeschlossen.
Doch kommandirte unumschränkt
Der Oberst seine junge Truppe,
Und schnäuzt' er einmal vor dem Rauch
Der Lichter gar zu lust'ge Schnuppe,
So blieb man meistens ungekränkt,
Und jeder suchte gern den Alten
Mit Anstand in Humor zu halten.
Man sah als Gast den Rector auch
Und hörte von ihm vorgetragen
Von altem Römerkriegsgebrauch
Und Eigenart im Waffentragen.
Der Oberst aber, kundig, gab
Vergleichend aus den spätern Zeiten
Bemerkenswerthe Einzelheiten;
Auch ließ er kritisch Heer und Stab
Der neusten Schlachten aufmarschiren.
Kurzum, man konnte sich beim Wein
Sehr wissenschaftlich instruiren,
Und fehlte niemals im Verein.
Daß Friedrich und Justin nicht fehlten,
Geschah dem alten Herrn zu lieb',
Obschon sie nicht mit gleichem Trieb
Zu den Begeistrungsvollen zählten.
Auch ward es Sitte nach und nach,
Daß jeden Sonntag die »Verwaisten«,
(Wie scherzend man im Fraungemach
[105] Von Friedrich und dem Alten sprach)
Im Haus des Weinherrn Mittags speisten.
Es war ein Sonntag im August,
Nach Tisch, wo jeder sich nach Lust
Im Garten hin und her zerstreute.
Es kam viel schöne Jugend heute
Aus Eva's Kreis, voll Fröhlichkeit,
Um in der jungen Herrn Geleit
Im Nachen übern Strom zu setzen,
Und drüben sich mit Klettergang
Und Aussicht, Lachen und Gesang,
Auf der Ruine zu ergetzen.
Viel helles Lachen scholl im Chor,
Bei zögernd angenehmem Warten,
Und lebhaft that sich durch den Garten,
Das muntre Wort Justins hervor.
Die Hausfrau und der Oberst schritten
Entfernt ein wenig nur, und sahn
Und hörten, wie sich um den Plan
Der Fahrt Justin und Eva stritten.
Er, neckend und voll Uebermut,
Sie, zwar mit Vorwurf, doch mit Lachen,
Indeß die Andern all' in Glut
Partei für Eva's Vorschlag machen.
Der Oberst wies mit Schelmerei
Hinüber, und begann vertraulich:
»Was stets sich neckt – es bleibt dabei,
[106] Das alte Sprüchwort sagt erbaulich,
Wie sich verschlingt und knüpft der Faden!
Man wird zum Fest doch auch geladen?«
Die Hausfrau wandte ihr Gesicht,
Und sprach mit lächelndem Verstehn:
»Justin und Eva? Denkt das nicht!
Daß sie ihm wohlgefällt, nun freilich,
Er läßt es klar und offen sehn!
Allein ob solche Wahl gedeihlich –
Ich zweifle sehr. Die Beiden sind
Einander viel zu nah erzogen.
Und da ich diesem lieben Kind
Wie einer Tochter bin gewogen,
Und stolz auch bin auf meinen Sohn,
So säh ich ungern Schatten drohn,
Die Beiden unausbleiblich wären.
Ich hoff', es wird sich anders klären.
Ja, wandelte zum Ernst Justin
Sein halb geschwisterliches Scherzen,
Es dürfte, was so leicht ihm schien,
Doch scheitern wohl an Eva's Herzen.
Denn Eva ist von eigner Art.
Wenn immer mädchenhaft und zart,
Geht doch phantastisch durch ihr Wesen
Ein Zug, der nach dem Großen schaut.
Sie liebt, was geistig auserlesen,
Und über das Gewohnte baut,
[107] Und strebend, auch mit Kampf und Ringen,
Nach einem Höchsten sucht zu dringen.
Bedarf sie schon sich frauenhaft
In Lieb' und Demut anzuschmiegen,
Sie wäre fähig, sich mit Kraft
Auch durchzukämpfen, durchzusiegen.
Reizlos erscheint ihr, was der Tag
Bequem und sicher läßt erreichen,
Doch zauberisch und ohne gleichen,
Was strebend nur der Geist vermag.«
Die Hausfrau hemmte Schritt und Rede.
Sie sah sich um. Denn plötzlich war
Verstummt der Jugend lust'ge Fehde.
Zum Gartensaale zog die Schaar
Der aufgeweckten Tagesgeister.
Nur Zweie blieben noch zurück,
Nur Eva und der junge Meister.
Sie standen auf dem Rasenstück,
Wo Rosen noch in allen Farben
Und Düften um den Vorrang warben,
Und Eva frisch vom Zweige bricht
Die purpurdunkle, halb erschlossen,
Und sie mit leuchtendem Gesicht
Beschert dem dankenden Genossen.
Die Hausfrau lächelte, und wies
Nach jenem Bild den Blick des Alten.
»Nun, werter Freund – gefiel' Euch dies?
[108] So, denk' ich, wird es sich gestalten.
Mir sagte längst die Ahnung so.
Ich seh's, und bin von Herzen froh!«
Der Oberst fühlt den Athem stocken,
Und wie sein Mund nach Rede schnappt,
Ist ihm, als säh er sich erschrocken
Auf Katersteigen selbst ertappt.
Die Hausfrau spricht: »Kann dieß Entdecken
Euch stutzig machen – gar erschrecken?
Ich sehe nur zur Freude Grund,
Wenn Eva sich und Friedrich finden,
Und hoffe sehr, daß ihr Verbinden
Uns Allen ein beglückter Bund.«
Dem Alten fährt es durch die Glieder,
Als hätt' ein Wunder er gesehn.
Kaum kann vor Freud' er weiter gehn,
Setzt auf die nächste Bank sich nieder,
Und läßt die Dame vor sich stehn.
Sein ganz Gemüt ist in Bewegung:
Sein Sohn – der Junge – will der schon –
Doch ja – warum nicht? Jede Regung
Des Glückes spricht aus seinem Ton
Mit dem er ruft in hast'gen Fragen:
»Mein Fritz und Eva? Ohne Spaß?
Das Goldkind will es mit ihm wagen?
Er kriegt sie? Kriegt sie wirklich – was?«
[109] Die Hausfrau mahnt ihn, sich zu fassen,
Und spricht: »Wir warten da ganz still,
Wie sich's vor uns entwickeln will.
Man muß das langsam reifen lassen.«
So mächtig lockt das neue Glück,
Der Alte möcht' es gleich ergreifen.
Nur mühsam hielt er sich zurück
Und schwieg, und – ließ das langsam reifen. –
Der Jugend aber gab der Tag
Im Freien seine Freudenspende.
Es brachte sie der Ruderschlag
Den Strom hinüber, und behende
Betrat man den gewundnen Pfad
Durch Wald und Fels zum Burggemäuer,
Und grüßt hinunter zum Gestad
Nach froh bestandnem Abenteuer.
Man ruht und schaut ins Land hinaus,
Sucht Waldesblumen sich zum Strauß,
Man wandelt unter Buchenzweigen,
Und mag ermüden nicht im Steigen.
Der Himmel hoch, die Welt so weit,
Das Herz zu jeder Lust bereit.
Am Felsenrand läßt man sich nieder
Und stimmt die alten lieben Lieder,
Die nie veralten, nie vergehn,
Und lautes Glück, geheimes Fragen,
[110] Von Waldeslüften fortgetragen,
Hinaus in alle Lande wehn.
Da hieß es: Eva! Laß ein Lied
Von deiner schönen Stimm' uns hören!
Wir leisten nichts mit unsern Chören,
Doch dein Gesang bewegt und zieht
Das Herz empor wie Zauberweise.
Sing von Jorinden uns das Lied,
Vom Knappen, den ihr Herz verrieth,
Du sangst es letzt in unserm Kreise –
O sing' es uns, laß dich bewegen!
Doch Eva, sang sie noch so gern,
War grade diesem Lied entgegen.
Es war so wild, lag ihr so fern.
Nur von der Töne Macht bezwungen
Hat sie es früher wohl gesungen.
Doch bat man sehr und grad um dieß,
Bis Eva dann mit Ueberwinden
Der Stimme Klang ertönen ließ,
Im Lied erzählend von
Jorinden:
Sie lachte so hell, und der Troß war weit,
Jung Diethelm ritt an der Herzogin Seit'.
Holde Rast hier am Waldesrande!
Er hob sie vom Zelter. »O Herrin mein,
So halt' ich dich, laß mich begnadet sein!
Jorinde, du Schönste im Lande!«
[111] Sie lacht: Jung Diethelm, ich seh' Euch gern,
Doch bieten mir Kronen viel edle Herrn,
Was seid Ihr zu bieten im Stande?
»Ich biete mein Herz und mein junges Blut!
Meinen Lebensdurst, meinen Todesmut,
Jorinde, du Schönste im Lande!«
Jung Diethelm, Ihr hegt viel kecken Mut,
Ihr werbt wie ein Knab' um der Minne Gut,
Sie will gar verschwiegene Bande!
»O Herrin, ich schweige bis in das Grab,
Wenn ich alle Seligkeit funden hab,
Jorinde, du Schönste im Lande!«
Sie lacht und sie neckt mit verwirrendem Spiel,
Aufstieg der Mond, und die Dämmrung fiel,
Und die Rosse scharrten im Sande.
»O Herrin, du lachst mir mit Augen und Mund,
Mein mußt du werden zu dieser Stund,
Jorinde, du Schönste im Lande!«
Zu Roß! Horch, horch des Jagdhorns Ton!
Laß ab, du schaffest dir bittern Lohn,
Und schaffest mir Zorn und Schande!
»Ich laß dich nicht! Wenn ich denn sterben muß,
So sei es jauchzend in deinem Kuß,
Jorinde, du Schönste im Lande!«
[112] Herbrauset der Zug, und ein Schrei wird laut,
Blank zucket ein Schwert, vom Blute bethaut,
Und ein Odem erstirbt auf dem Sande.
Und als sie heimwärts ritten die Straß,
Hoch saß sie zu Roß, wie der Tod so blaß,
Jorinde die Schönste im Lande.
Sie schwiegen All'. Im Blumenkranz
Den ihr die Freundinnen gewunden,
In goldner Sonnenlichter Glanz,
Die durch das Grün ihr Haupt gefunden,
Saß Eva, gleich der Waldesfee,
Um die die Jugend lauschend kauert,
Von ihrer Lieder Lust und Weh
Berückt, gehoben und durchschauert. –
Da rief Justin: »Doch nun geschwind
Ein Lied für wieder muntre Seelen!«
Und wie er prüfend nur beginnt
Stimmt Alles wie aus vollen Kehlen,
Und klang gedoppelt freudenvoll
Was Allen aus dem Herzen quoll.
In der Früh, in der Früh, wenn die Sonn' erwacht,
Von dem Fenster bieg' ich die Reben,
Hab' geträumet von dir wohl die ganze Nacht,
Grüß dich Gott, grüß dich Gott, du mein Leben!
[113] Ueber Tag, über Tag, was ich schaff' und thu',
Blick ich hundertmal um die Reben,
Denn mein Sinnen ist dein, und mein Denken bist du,
Grüß dich Gott, grüß dich Gott, du mein Leben!
Und zu Nacht, und zu Nacht, bei der Sterne Schein,
Schlägt der Wind mir an's Fenster die Reben,
Wach ich auf, denk ich dein, über's Jahr bist du mein,
Grüß dich Gott, grüß dich Gott, du mein Leben!
Zur Heimkehr mußte Eva treiben,
Und schritt mit Friedrich schnell voran,
Indeß die Schaar mit Zögern, Bleiben,
Den Rückweg langsam nur begann.
So kamen sie zum Sammelplatze
Der Burg, und blieben lang' allein.
Erzählend gern auf ihre Fragen
Bald dieß, bald das aus Wandertagen,
Hielt Friedrich, mitten fast im Satze,
Wie innerlich betroffen ein,
Und wandte sich. – »Nur weiter, weiter!«
Erscholl befremdet Eva's Ruf:
»Ihr steht allein auf dem Vesuv,
Im Dampfe schwinden die Begleiter,
Die Tiefe gähnt um Euch – wie kamt
Zusammen Ihr, und heil hinunter?«
Sie rief es so gespannt und munter,
Daß Friedrich, schnell gefaßt, das Wort
[114] Das ihm im Augenblick erlahmt,
Mit Hast erzählend führte fort.
Berichtet bald war das Erlebte:
Wie man sich an des Kraters Rand
Im Dampf verlor, zu suchen strebte,
Und Alles dann sich wieder fand –
Als Abenteuer kaum zu schildern,
Nur so aus den Erinnrungsbildern
Ein leichtes, hingeworfnes Blatt.
Doch ihm im Herzen ward es bänger,
Wenn Eva's Blick, so rein durchstrahlt,
Ihm den versagten Himmel malt.
Er fühlt, sein Herz bezwingt nicht länger
Was es bisher bezwungen hat.
Und schnell, zu bergen die Bewegung,
Erhebt er sich, und tritt zur Seite
Mit starren Blicken in die Weite.
Doch Eva sieht die fremde Regung
Und sein verändertes Gesicht,
Und tritt besorgt zu ihm und spricht:
»Schon wieder finster und verschlossen?
Was habt Ihr? Wenn am guten Tage
Die Red' Ihr froh und frei ergossen,
Und wendet Euch dann plötzlich ab,
Erschreckt mich's, und ich forsch' und frage,
Ob ich es selbst verschuldet hab'?
In mir kann ich es nicht erschaun.
Doch quält ein Kummer Euch, ein Leid!
[115] Sind wir nicht Freund' aus alter Zeit?
Weßhalb verdien' ich kein Vertrauen?«
Doch Friedrich, tiefer nur durchschauert
Von ihrer Stimme reinem Klang,
Entgegnet unter bittrem Zwang:
»Nein, Eva, nein! Mein Herz bedauert,
Wenn ich Euch jemals weh gethan!
Nur fragt mich nicht! Ich darf nicht sprechen –
Ein einzig Wort, es wär' Verbrechen,
Das Unheil fände freie Bahn!
Zu sehr schon hab' ich schuldbefangen
Die Pflicht auch gegen Euch umgangen!«
Mit großen Augen, die von innen
Sich staunend heben, fragevoll,
Steht Eva in ergriffnem Sinnen,
Und weiß nicht, wie sie fragen soll.
Dann spricht sie ruhig: »Welche Pflichten
Ihr gegen mich umgangen habt,
Ihr müßt es selber mir berichten.
Wie Ihr in Wort und That Euch gabt,
Nur Schönes sah ich stets und Gutes,
Und Edles nur hab' ich gehört.
Doch daß ich Eures düstern Mutes,
Der oft so plötzlich Euch verstört,
Nur daß ich dessen Grund entbehre,
Nicht kennen soll – dies kann allein
[116] Für mich, da ich Vertraun begehre,
Verletzend nicht, doch traurig sein.«
Und Friedrich, sich zur Ruhe zwingend,
Beginnt: »Wir müssen unverzagt,
Gelassen tragen, was bedingend
Vertraun und Freundschaft uns versagt.
Steht zwischen uns doch, dessen Hoffen
Und Wünschen Euch so wohlbekannt!
Er birgt es nicht, er zeigt es offen,
Das Glück war stets ihm zugewandt.
Wir dürfen nicht der Zeit gedenken –
O Eva – seht mich so nicht an!
Nicht soll betrüben Euch, nicht kränken,
Was ich nicht mehr verschweigen kann!«
Er rief es, doch erfüllt von Schrecken.
Was gäb' er nicht, wär' unenthüllt
Geblieben Räthsel und Entdecken!
Sein Herz, von Reu' und Groll erfüllt,
Verklagt sich selbst. Kaum mag er wagen
Den Blick vor Eva aufzuschlagen.
Doch Eva hemmte mit Gewalt
Der Ueberraschung Herzenspochen.
»Ihr habt in Räthseln mannichfalt,«
Begann sie, »heute mir gesprochen;
Doch frag' ich jetzt, wer ist gemeint,
Der wünschend, hoffend, glückverzogen,
[117] Sich zwischen Freunde drängt als Feind?
Doch nicht Justin? Ihr scheint zu träumen!
Ist er's, der uns zu trennen scheint?
Dem ich als Bruder sehr gewogen,
Doch ohn' ein Recht ihm einzuräumen,
Das mich in Fesseln drängt und übt!
Geht, Friedrich! Wär't Ihr nicht betrübt,
Ich wär' bei solchen Thorensachen
Gestimmt, Euch tüchtig auszulachen!«
Da bröckelt's oben am Gestein
Des Mauerwerks. Es rauscht, als knickte
Gebüsch und Zweig. Betroffen blickte
Sich Friedrich um. Vom Neste schwang
Ein großer Vogel sich mit Schrei'n,
Und kreist' umher. Zugleich erklang
Schon näher kommend durch der Gänge
Begrünte Wehr und Dämmernacht
Ein Wirren fröhlicher Gesänge,
Gesungen halb, und halb gelacht.
Beisammen ist der Kreis. Die Sonne
Beglänzt die Burg mit letztem Strahl
Und scheidend zieht mit Sangeswonne
Die jugendliche Schar zu Thal. –
Seit diesem Tage ging vermeidend
Und sinnend Jedes seinen Weg.
Sich kühl nur grüßend, kühler scheidend,
[118] Verbergend was im Busen reg'
Und reger nur mit jedem Tage
Sich drängt zur selbstverwehrten Frage.
Von jungfräulichem Stolz verschönt
That Eva, was die Stunde wollte.
So neu es schien, daß unversöhnt
Dem Freunde sie begegnen sollte,
Sie kann's nicht ändern, daß im Stillen
Ein Groll sich ihr im Herzen regt,
Ein Groll, von Mitleid doch bewegt
Und Sorglichkeit um seinetwillen.
Denn Friedrich mied seither das Haus.
Ihn freilich fesselten Geschäfte,
Die grade jetzt, tagein, tagaus,
Erheischten jedes Maß der Kräfte.
Denn fast die halbe Stadt erbat
Sich seinen Rat zum Baurumoren,
Als wär' von Geistern eine Saat
Von Nöten ihm heraufbeschworen.
Doch ganz verändert sah Justin
Die Tage gehn, in finstrem Brüten.
Nur schwer, was ihm unfaßbar schien
Konnt' er im Innersten behüten.
Denn leider drang im Mauerring
Der Burg zum Ohr ihm fremde Kunde
Von Eva's, wie von Friedrichs Munde,
Die tief erschreckend er empfing.
[119] Es lag ihm fern, sie zu belauern.
Ganz arglos und mit leichtem Blut
Beschloß er, nach den Fenstermauern
Zu klimmen, und im Uebermut
Die Freunde aus verborgnen Ecken
Mit Uhukrächzen zu erschrecken.
Der ächte Uhu fuhr verstört
Vom Nest mit schlagendem Gefieder,
Der falsche klomm behutsam nieder,
Nach dem, was schaudernd er gehört.
Und dennoch mahnt ihn sein Gemüte
Zu bergen sich mit Grimm und Pein,
Daß er, um Alles, sich behüte
Vor des Belauschers argem Schein!
Es galt ein heftig innres Wehren.
Was je Justin erlebt, erreicht,
Empfing er ohne zu entbehren,
Das Leben ward ihm schön und leicht.
Und wenn er wacker sich gehalten,
So hemmt ihn doch das liebe Glück
Schon fest sein Inn'res zu gestalten.
Ein Schwanken blieb ihm noch zurück,
Unsicherheit in ernsten Stunden,
Mit schroffem Selbstgefühl verbunden.
Unedel nicht, empfand er tief,
Daß er sein Wünschen sah verdorben,
Da doch, was seinen Kreis durchlief,
Bisher um seine Gunst geworben.
[120] Zu Friedrich zog zum erstenmal
Ihn frohe Neigung, freie Wahl.
Und nun – er sah sich nicht betrogen,
Allein verdrängt, bei Seite stehn,
Er sah von Eva vorgezogen,
Den er sein Innres ließ ersehn.
So fremd und neu war das Erfahren,
Zurück zu stehen mit Verzicht,
Daß er den Ingrimm kaum bewahren,
Kaum tragen kann des Ernsts Gewicht.
Er mied den Freund. Sie sahn sich selten.
Und wollt' es so das Haus, so stellten
Geberd' und Blick sie in Gewahrsam
Und wogen Wort und Rede sparsam.
Und doch gab jeder forschend acht,
Was an des Andern Thun verklaglich,
Und fühlt vom Andern unbehaglich
Auch sich belauert und bewacht.
So unerträglich auch die Lage,
Sie lastete von Tag zu Tage.
Ja, so bedrohlich, daß die Last,
Als wollten Stahl und Stein zusammen,
Von einem Funken nur erfaßt,
Sich drängt gefährlich aufzuflammen.
Wenn einst ein Waffenruf den Bund
Der Achtung und der Lieb' erschaffen,
Sah tieferer Erbittrung Grund
Bald einz'ge Lösung durch die Waffen. –
[121] So ging der Monat fast zu Ende.
Im Städtchen rührt man vielbedacht
Dem Siegesfeste schon die Hände
Zum Jahrestag der Sedanschlacht.
Schon musterte man Flaggen, Fahnen,
Man sorgte für Gewind' und Kranz,
Für Schulgesang, Beleuchtungsglanz,
Die Redner ließen stark sich ahnen.
Der Oberst mit dem Kriegerbund
Ward auch für die Berathung wichtig.
Der Jugend scheint in letzter Stund'
Ein Tanz erwünscht und folgerichtig.
Man streitet, rüstet, kommt zum Schluß,
Und freut sich schon am Vorgenuß.
»
Man muß das langsam reifen lassen!« –
Der Oberst dacht' es jeden Tag,
Und konnt' es manchen Tag nicht fassen,
Daß das noch immer ferne lag.
Denn jeder Tag schien ein Versäumen
Des Glückes, das ihm wundervoll
In Hoffnungsbildern, wachen Träumen,
Zum alten Herzen freudig quoll.
Schon in der Bilder holdem Gaukeln
Sah er krausköpfig Allerlei
Auf seinen Knie'n sich lustig schaukeln,
Und wünscht' es nur recht bald herbei!
Was ihm nur kurze Zeit gelungen,
Was er ein Leben lang entbehrt,
Das wünscht' er bald dem Sohn errungen:
Im eignen Haus den eignen Herd.
Ein Herd – schon sah er ihn erglommen
Auch seinem Leben zum Ersatz,
Gesichert wußt' er zum Willkommen
[123] Für sich daran den wärmsten Platz.
Warum denn wollt' es noch nicht glücken?
War denn das Reifen gar so schwer?
Warum denn lief der Fritz umher?
Als trüg' er Lasten auf dem Rücken?
Was ging ihm peinlich in die Quer,
Daß schweigend er, mit ernstern Mienen
Als man seither an ihm gewohnt,
Im Haus des Weinherrn selbst erschienen,
Wo sich's zu reden doch verlohnt?
Die gute Zeit ging fast verloren!
Und so versucht' er sein Geschick,
Anspielend, mit verschmitztem Blick,
Zu kneifen etwas und zu bohren.
Doch kam er damit übel an.
Er stutzt', und sah – doch ihm gefiel es –
Der Fritz sei doch ein eigner Mann,
Dem man die Richtung seines Zieles
Nicht kreuzen durfte mehr, noch ebnen.
So ließ er denn den ganz vergebnen
Nachhülfedruck. Doch da er fand,
Daß doch das Reifen günstig stand,
Versucht' er nun an Eva's Seite,
Was bei dem Starrkopf ihm mißlang.
Er nahm sie gern sich zum Geleite,
Lustwandelnd durch den Schattengang
[124] Des Gartens, der mit seinen Bäumen
Hochaufgemauert niederschaut.
Da war ein Plätzchen, recht zum Träumen,
Und Eva's Herzen sehr vertraut,
Hart an der Mauer, grün umsponnen,
Mit schönstem Blick auf Stadt und Fluß.
Hier schien, in des Gesprächs Genuß,
Der Oberst heute sich zu sonnen
In Eva's Augen, die zwar scheu
Zuweilen sich zur Seite wandten,
Und doch so kindlich wahr und treu
Des Herzens Lauterkeit bekannten.
Schon näher war er heut gerückt,
Und hatte manches, was er dachte
Verblümt und listig ausgedrückt.
»Nun ja, der Fritz« – so fuhr er sachte
Verbindend fort – »ich denke doch
Wir werden wohl zusammen bleiben –
Der Fritz und ich! Jung ist er noch,
Doch sollt' er jemals sich beweiben –
Ich meine nämlich, sollt' er je
Ein herzig liebes Mädchen finden,
Das sich entschließen kann zur Eh' –
Mit ihm, versteht sich! – nun, dann schwinden
Doch Aussicht, Hoffnung nicht für mich,
Daß sich das Holdchen wird bequemen,
Den Alten mit in Kauf zu nehmen.
O nicht zur Last – nein, sicherlich!
[125] Das macht sich schon. Und die Gefahr,
Als wollt' ich gleich bei ihnen wohnen –
Nicht doch! Ich werde sie verschonen!
Zum wenigsten im ersten Jahr,
Auch länger wohl – doch in der Nähe,
Da ich doch gern das Leben sähe
Der Glücklichen! Und warum kann
Sie denn mit ihm nicht glücklich werden,
Als wie mit einem andern Mann?
Und mehr! Wo giebt es denn auf Erden
Viel Kerls, wie ihn? Von Herzensgrund
Geschickt und brav, ein Staat von Junge,
Und – übrigens jetzt ganz gesund!«
Der Alte war im besten Schwunge,
Doch hemmt er sich, denn plötzlich sah
Sein Blick das Rot auf Eva's Wangen.
Sie wußte nicht, wie ihr geschah,
Denn sie verstand, und saß befangen.
Er aber streichelt ihre Hand
Und spricht mit lächelndem Behagen,
Den Ton zum Flüstern fast gewandt:
»Ja, ja, ich könnte manches sagen!
Allein ich bin einmal Soldat
Und darf nicht aus dem Dienste schwatzen,
Sonst, Kindchen, wär's vielleicht probat
Mit ganzer Red' heraus zu platzen –«
[126] Das war für Eva doch zu viel
Der fein gegebnen Anspielungen.
Und halb von kleinem Zorn durchdrungen,
Halb lachend, setzt sie ihm ein Ziel,
Um mit der Hand den Mund des Alten
Halb abgewendet zuzuhalten.
Doch als nun der in zartem Spiel,
Als ob er sich nichts Schön'res wüßte,
Das reizende Vorlegeschloß
Durch seinen weißen Schnurbart küßte,
Da zeigte, daß sie das verdroß,
Ihr Blick, nicht mehr so unbefangen,
Von vorwurfsvollem Ernst belebt.
Er sieht, wie sie sich schnell erhebt –
Sie wär' ihm auch davon gegangen,
Doch plötzlich kam die Mutter her,
Und Eva flog an ihre Seite,
Beglückt, daß Rettung nach Begehr
Sie von dem Plagegeist befreite.
»Ei!« rief die Hausfrau. »Also hier?
Mein werther Freund, verlockt Ihr mir
Zum Müßiggang am hellen Morgen
Mein Kind? Da doch so viel zu sorgen!
Justins Geburtstag bringt uns heut
In Schwärmen her die Abendgäste.
Der Kreis erweitert sich zum Feste,
Das neue Rüstung schnell gebeut.
[127] Ich hörte was von Fackelzuge,
Von Ständchen und von Sängerchor,
Die Nachricht sichert uns im Fluge
Auch unsrer schönen Jugend Flor.
Wir dürfen heut in Haus und Garten
Ein Völkerfest zu Nacht erwarten.
Drum an die Hausgeschäfte, Kind!
Doch halt! Noch hab' ich Eins gesehen,
Was als das schönste Angebind,
Zum Fest uns Allen, ist geschehen!
Ich sah vom Erkerfensterlein
Justin und Friedrich lange wandeln,
Sie gingen auf und ab am Rhein,
Und hatten Ernstes zu verhandeln,
Und, wie mir schien, nicht ohne Glück:
Sie kehren Arm in Arm zurück!«
Ja, Arm in Arm! So war's gekommen.
Was zwar der Oberst nicht erkannt,
Die Mutter aber, ernst beklommen,
Und Eva's banges Herz verstand:
Die lastende Verstimmung drängte
Zum Spruch die Freunde – welchen Schluß
Das Wort auch über sie verhängte!
Und Friedrich fühlte mit Verdruß
Wie Thätigkeit und Lust am Schaffen
Gestört, gehemmt von innrer Last,
Ihm droht gefährlich zu erschlaffen.
[128]
Bis eines Morgens er, gefaßt
Beschloß den Ausgang zu befahren.
Es war der Tag, den er vor Jahren
Schon mitgefeiert, ohne den
Zu kennen damals, dem die Feier
Im Zwillingswein man ließ ergehn;
Der Tag, der sein Gemüt auch freier
Nach langer Qual gehoben fand;
Justins Geburtstag. Schnell entschlossen,
Erleichtert schon, eilt er hinaus.
Doch eh er noch erreicht das Haus,
Sieht er des Weges den Genossen
In gleicher Eil' ihm zugewandt.
Justin ergreift des Freundes Hand:
»Ich will zu dir!« – Und ich zu dir!
– »Laß diesen Tag nicht so entschwinden,
Wie all die letzten!« – Geht's nach mir,
Soll er vereint uns wiederfinden! –
Er sah vereint sie und versöhnt,
Als hätten sie sich erst gefunden.
Und so, in ihres Herzens Drang,
Zur Mutter, Arm in Arm verbunden,
War der Versöhnten erster Gang.
Sie kamen strahlend, wie verschönt
Durch neuen Lebens Sonnenwende,
Und ohne daß ein Wort ertönt
Von Streites Anfang oder Ende
[129] Verstand der Mutter Blick sie ganz.
Sie reichte beiden ihre Hände.
Und sprach mit hellem Freudenglanz:
»Ich baut' auf euch! Und nun sich klärte
Das Herz in edlem Selbstbefrei'n,
Laßt uns den Tag, der dies bewährte,
Schon heut zum Siegesfeste weihn!« –
Zum Feste ward er ohne Gleichen.
Und konnte Friedrich nicht vor Nacht
Die Hand der Jugendfreundin reichen,
War doch Justin so mehr bedacht,
Auch ungesprochen zu bekennen,
Was ihn vor Eva's Blick empfahl,
Und sie des Tags wohl hundertmal
Sein liebes Schwesterchen zu nennen;
Sein Schwesterchen, der jeder Zeit,
Und ob sie trennten Welt und Leben,
Er brüderlich, mit Herzlichkeit
Und alter Freundschaft, bleib ergeben.
Und Eva war im Herzen froh,
Wie er geschäftig nützt die Stunden,
Und meint, sie hätt' ihn niemals so
Gesetzt und männlich brav gefunden.
Denn selber ging er an die Hand
Zu rüsten für die Abendfeier.
Er wußte, was in Aussicht stand,
Und wünscht' es eigentlich zum Geier,
[130] Doch wollt' er heute keinen Spaß
Den Feierdurstigen verderben,
Selbst wenn man ihn, des Hauses Erben,
Zum Freuden
opfer mehr erlas.
So kam der Abend. Durch den Garten,
Geschmückt mit bunten Lampenreih'n,
Ging schon ein festliches Erwarten,
Halb Mondeslicht, halb Zauberschein.
Die Tafel unter alten Bäumen,
Und wohlbeleuchtet, zeigt die Hand
Der Hausfrau, welche nicht zu säumen,
Zu ordnen meisterhaft verstand.
Ein Aufbau zwischen Blumenschalen,
Wo aller Früchte Segen schwoll,
Pfirsich und Trauben, wie zum Malen,
Und erst zu kosten – wundervoll!
Gebäck und Imbiß aller Sorten,
Es war für jede Stimmung Rath,
In Glanz wetteiferten die Torten
Mit Fisch, Pasteten und Salat.
Und gar des Weines! An der Quelle
Wer ahnte nicht die reinste Flut?
Hier Bowlen in krystallner Helle,
Dort noch gefesselt goldne Glut.
Und prächtig zeigt die Goldumschildung
In kranzumwobnen Flaschenrei'hn,
[131] Und auserwählter Römer Bildung,
Den festgeweihten Zwillingswein.
Obgleich man niemand eingeladen,
War man auf Viele doch gefaßt.
Und schon in allen Altersgraden
Begrüßt der Weinherr Gast um Gast.
Hier glänzen rosige Gesichter,
Dort lacht der Oberst schallend drein.
Der Rector bringt sein Töchterlein.
Und durch des Gartens Dämmerlichter
Lustwandelnd schwirrt's in leichtrem Husch,
Als der erwachten Abendfalter
Schwerfälliges Taumeln durch den Busch.
Der Weinherr, als des Festes Walter,
Winkt seinen Sachverständ'gen zu,
Im engern Kreis und guter Ruh'
Vom Auserlesnen zu kredenzen.
Nun kommt auch Friedrich. Heute glänzen
Die Augen ihm von Freudelicht.
Justin erblickt ihn, eilt entgegen,
Und späht, mit lauten Herzensschlägen,
Nach Eva's schimmerndem Gewand.
»Da ist sie! Komm –!« er ruft es heiter.
»Da ist er, Schwesterchen! Er schaut
Heut anders drein. Wir sind gescheiter,
Als wir's uns selber zugetraut!«
[132] So flüstert er in's Ohr ihr leise,
Und eilt davon, und sucht im Kreise
Sich Pflichten, Frauendienst und Scherz.
Und lauter pocht auch Friedrichs Herz,
Als Eva, feenhaft und reizend
Und einfach doch, zum Fest geschmückt,
Mit ihrem Lächeln nicht mehr geizend,
Die Hand ihm reicht, so froh beglückt.
Und Eva sah ihn an, und hörte
Aus Ton und Rede, frei und klar:
Das ist er wieder wie er war,
An dem kein fremder Zug mehr störte!
Sie wissen, daß sie glücklich sind,
Das muß genügen heut zum Feste,
Es darf des Hauses schönes Kind
Nicht übersehn die andern Gäste.
Schon huscht und flüstert man: Sie kommen!
Und in des Gartens Tiefe stellt,
Als wär' ein Sternenzug erglommen,
Der Sängerchor sich auf, gesellt
Dem jugendlichen Kriegerbunde.
– Der Fackelzug war falsche Kunde,
Die Stablaternen thaten's auch,
Und überdies war so der Rauch
(Der Weinherr liebt ihn nicht) vermieden;
Und endlich, da nur dreißig Mann
Dem ganzen Doppelbund beschieden,
[133] Gab man die Fackeln willig dran. –
Schon aus der Ferne tönt der Chor,
Ein Preis dem glückgegebnen Tage,
Geübt nach Kräften, ohne Frage,
Nur daß die Worte man verlor.
Dann stumm sich nähernd durch den Garten
Vor der Gesellschaft hält der Zug,
Die mit vergnüglichem Erwarten
Nach der Entwicklung schweigend frug.
Da trat in der Versammlung Runde
Ein junger Sprecher aus dem Chor,
Gab allgemeiner Wünsche Kunde,
Trug dann Justins Verdienste vor
Um Vaterland und Deutschlands Ehre,
Sprach auch von Wunden, Ruhmesglanz,
Und daß man heut ihm neu bescheere
Den wohlverdienten Lorbeerkranz.
So schließend sucht er, zum Ergetzen
Des Kreises, unter Lebehoch
Den Kranz Justin auf's Haupt zu setzen.
Der aber war geschwinder noch,
Den Kranz ihm aus der Hand zu winden,
Bevor er seine Stirn erreicht.
»Ihr werten Freunde!« ruft er leicht
Und heiter – »sollt mich dankbar finden
Für Eurer Wünsche guten Klang
Zu meiner ferneren Erhaltung,
[134] Papierlaternen und Gesang,
Und sonst'gen Eifers Mühewaltung.
Ihr habt den Lorbeer seit dem Frieden
Mir schon zum viertenmal beschieden.
Das ist, verzeiht! für unser Haus
Ein wenig reichliche Verschwendung!
Die Mutter kommt mit weniger aus
Im Jahr für ihre Speisekammer,
(Man lachte sehr bei dieser Wendung)
Da wär' es wirklich denn ein Jammer
Blieb' unbenutzt das liebe Gut.
Und da nun nicht auf jedem Haupte
Der Lorbeer gleich verdienstlich ruht,
Und nicht so kleidsam, als man glaubte,
So wünsch' ich ein für allemal
Mich selber nicht damit zu krönen.
Doch weiß ich, gleich Euch zu versöhnen,
Dem Lorbeer eine andre Wahl.
Denn unter uns ist, dessen Streben
Und Kunst und Lieb' uns Alle freut,
Und dem wir's danken, daß mich heut
Noch grüßt der Tag und frohes Leben!
Der aus des Hauses Flammenbrand
Mich rettete mit Freundeshand!
Der Meister, dessen Künstlerschaffen
Die Stadt den schönsten Schmuck verdankt,
Durch dessen Leben Ruhm der Waffen
Und Ruhm der schönen Kunst sich rankt:
[135] Er ist's, dem ich den Kranz bescheere,
Ihm ziemt der Lorbeer und die Ehre!«
Er ruft's, und, Friedrich zugewandt,
Hat er ihm auf die braunen Locken
Den Kranz gestülpt mit fester Hand.
Zwar wehrt sich Friedrich, halb erschrocken,
Indeß der Sprecher der Vereine
Sich lächelnd neigt zum andernmal,
Zufrieden auch mit dieser Wahl,
Und laut die ganze Festgemeine,
Vergnügt, daß es so hübsch verlief,
Mit Händeklatschen Beifall rief.
Doch Friedrich hat die grüne Bürde
Schon hastig von dem Haupt gestreift,
Und spricht: »Des schönen Festes Würde,
So wie der Gabe Wort und Sinn,
Wär' angetastet und dahin,
Wenn der, dem nicht der Kranz gewunden,
Auch wenn er selbst nicht danach greift,
Ihn tragen darf in diesen Stunden.
Nimm denn zurück, was dir gebührt,
Nimm es zurück von meinen Händen!
Wenn heut ein Kranz dein Haupt berührt,
Wir beide wissen's, ich und du,
Daß gute Geister ihn dir senden,
Für Kampf und Sieg und Friedensruh'!
[136] Nimm ihn, Justin, den du erfochten,
Als wär' er dir von mir geflochten!«
Indeß man staunt der Räthselrede,
Die nur die Mutter in Gedanken
Verstand, und Eva, schweigend jede –
Ergriffen scheint Justin zu schwanken.
Doch plötzlich, lachend, weicht er aus.
Die Deputationen stehen
Verlegen, was nun soll geschehen,
Und wohin mit dem Kranz hinaus,
Den Friedrich gab in Eva's Hände.
Sie steht besinnend, wie zum Schluß
Sie es mit gutem Fug noch wende –
Da tritt der Rector in die Schanze,
Zu meiden störenden Verdruß,
Und greift entschieden nach dem Kranze.
»Wohlan!« so ruft er: »Will kein Haupt
Der Jungen sich dem Kranz bequemen,
So soll ein älteres ihn nehmen,
Das er nach Würdigkeit umlaubt.
Der würd'ge Mann, mit frischen Sinnen,
Der lang gedient dem Vaterland,
Des Kriegerbundes Haupt und Hand,
Den wir nun ganz für uns gewinnen,
Der ihn verdient sich, voll und ganz,
Er trage heut des Festes Kranz!«
So sprechend setzt er das Gewinde
[137] Auf's Haupt dem Obersten geschwinde.
Ein neuer Beifall, muntrer schon,
Geht durch die ganze Festgemeine,
Und durch die Deputation,
Indeß der Sprecher der Vereine
Sich lächelnd neigt zum drittenmal,
Zufrieden auch mit dieser Wahl.
Der Oberst aber hört und stutzt,
Greift an den Kopf sich ganz verdutzt,
Springt auf und ruft: »I Gott bewahre!
Mein lieber Herr, Ihr seid verrückt,
Daß Ihr, zum Hohn mir meiner Jahre,
Noch Grünzeug auf den Schädel drückt!
Mich laßt damit nur ungeschoren!
Da liegt das Ding! Doch halt einmal –
Der hübsche Kranz sei unverloren,
Ich weiß dafür noch eine Wahl!«
Man lachte laut. Der Rector schrie:
»Nun aber bin ich doch begierig!
So ausgeboten, und so schwierig
Empfangen ward ein Lorbeer nie!«
Der Oberst aber hob und streckte
Sich in den Schultern, und begann:
»Wenn Ehr' und Dank der Kranz bezweckte,
So weiß ich auch dafür den Mann!
Doch der soll sich nicht unterstehen,
[138] Uns länger damit aufzuhalten!
Die Ehren, die dem Hause galten,
Die laß' er über sich ergehen!
Den kränz' ich jetzt, von dessen Saaten
Obgleich sie all' ihm wohl gedeih'n,
Zwei Dinge sind zumeist geraten:
Der Sohn, und dessen Zwillingswein!
Wir freu'n uns beider. Er nicht minder.
Da sitzt der Kranz! Und somit, Kinder,
Laßt's gut mit der Komödie sein!«
Der Oberst rief es laut, und fuhr
Dem Weinherrn über die Frisur,
Daß gräulich schief auf seinem Haupte
Der Kranz die Nase fast belaubte.
Ein neuer Beifall, Jubelruf,
Die lauthin durch den Garten tönten,
Indessen Eva dem Bekrönten
Um Stirn und Schläfen Ordnung schuf.
Der Sprecher aber der Vereine
Neigt lächelnd sich zum viertenmal,
Zufrieden auch mit dieser Wahl,
Und unterm Lärm der Festgemeine,
Winkt er zu neuen Preisgesängen.
Auch war's den Lorbeerspendern lieb,
Daß doch, nach so viel Wandergängen,
Der Kranz in der Familie blieb.
Der Weinherr aber ließ gerührt
[139] Den Kranz dann wirklich auf sich sitzen.
Und seiner Augen muntres Blitzen
Zeigt, daß er, schmeichelhaft berührt,
Auch fühlt und weiß, was ihm gebührt.
So lief er denn den ganzen Abend
Vergnügt im Lorbeerschmuck umher,
Als Wirt die Gäste nach Begehr
Freigebig labend und begabend.
Man langte zu, man saß, spazierte,
Man lauschte neu dem Sängerchor,
Der heut sein Bestes producirte,
Und Lust und Laune war in Flor.
Doch, ach, daß alle schönsten Stunden,
Begonnen kaum, vorüber gehn!
Und daß es, wenn der Freuden Schranke,
Der sorgend lästige Gedanke
An morgen, erst sich eingefunden,
Schon um die halbe Lust geschehn!
Wie wunderschön man saß geborgen,
Es dachte Mancher doch an morgen,
Den Tag von Sedan, der als Fest
Die Stadt im Großen feiern sollte,
Und dem man nicht der Kräfte Rest
Erschüttert nur bewahren wollte.
Die Jugend dacht' es freilich nicht.
Justin auch wollte, fortgerissen
Von Munterkeit und schöner Pflicht,
[140] Von Aufbruch, Abschied, noch nichts wissen.
Wer ahnte wohl in seiner Schaar,
Wie er sich gab, als wilder Bube,
Daß ihm so um die Herzensgrube
Doch noch nicht ganz geheuer war?
Doch Friedrich wußt' es, und besonnen
Hielt er von Eva sich zurück.
Und doch, ein rasches Wort, ein Blick,
Ward oft genug ihr abgewonnen;
Ein Lächeln, wenn sie feengleich
Vorüber huschend durch die Gäste,
Verrieth, für ihn so überreich,
Was ihr das Schönste heut und Beste!
Er kennt sein Glück, er möcht' es fassen,
Nun kein Gebot mehr widerspricht,
Und soll's noch meiden, soll gelassen
Noch hüten Wort und Angesicht?
Zu günstig winkt ihm die Minute –
Dem Zögernden wird sie zum Hohn!
Zu mächtig pocht in seinem Blute
Das Recht auf die Erfüllung schon.
Noch einmal, im Vorüberstreifen,
Trifft ihn des lieben Mädchens Blick,
Da ist's, als rief ihn sein Geschick,
Rasch die Minute zu ergreifen.
»Bleib'!« ruft er: »Eva! Nur ein Wort!«
Sie hört; sie bleibt; sie blickt ihm fragend
[141] In's Antlitz. »Eva!« fährt er fort:
»Bin ich ein Thor, daß halb verzagend
Ich suche zum Geständniß Mut?
Ich liebe dich! Bist du mir gut?«
Ein leiser Schreck, ein holdes Bangen
Durchbebt des jungen Mädchens Brust,
Und machte erröten ihre Wangen.
Sie spricht: »Hast du das nicht gewußt?
Ich hab' es niemals dir verborgen!
Und daß ich nicht um Ungebühr
Und um Verkennung durfte sorgen,
Dein Auge bürgte mir dafür!
Doch sprich nicht weiter! Laß auf morgen,
Was ich ja weiß – doch hören will,
Weil du es sagst! Nur heute still –!«
»O morgen! Keine reine Stunde
Kommt morgen am bewegten Tag,
Die ihre Gunst uns schenken mag!
Und doch, aus tiefstem Herzensgrunde
Möcht' ich dir sagen –« Friedrich hält
Das Wort zurück; entzückend fällt
Ein Lichtblick dennoch auf die Mühe
Des nächsten Tags. »Oh!« ruft er schnell,
»Doch eine Stunde, morgenhell,
Sie bleibt uns noch – im Thau der Frühe!
Dort wo der alte Nußbaum ragt,
[142] Wo wir als Kinder herzlich lachten,
Wo wir im Wiedersehn erwachten –
Ich werde dort sein eh' es tagt!
Ich werde harren – komm! Ein Leben
Möcht' ich für diese Stunde geben!«
War das ein Rufen in der Schaar
Der Gäste? Denn von Eva's Munde
Ertönt's: »Ich komme!« – Selige Kunde
Dem Hörer! Schnell entschwunden war
Der Augenblick. Die Sänger hoben
Ein allerletztes Lied zum Schluß,
Und dann, im Abschied, ist zerstoben
Des Festes Jubel und Genuß.
Nur du, o Jugend, siehst die Spende
Des Glücks auch unterm Festesjoch,
Du rufst: Das Fest ist heut' zu Ende,
Doch morgen kommt ein schön'res noch! –
Ein höchstes dem, für dessen Hoffen
Der Sonne nächstes Morgenlicht
In Liebesarm, erwartungoffen,
Beseligten Empfang verspricht.
Mag schlafen, wer ein hold Genügen
Nur hofft, das gern der Tag verleiht,
Und bald entführt auf seinen Flügen!
Doch wach, vom Schlummer ungeweiht,
Durchirrt das Herz der Stunden Schweigen,
[143] Dem nur ein letzter Sternenreigen
Noch wehrt des Glückes Ewigkeit.
Der junge Meister ließ die Gassen
Des Städtchens jetzt in Nacht gehüllt,
In seiner Seele sich zu fassen
Im Hoffnungsrausch, der ihn erfüllt.
Er steht am Fluß, sieht in der Ferne
Das Licht in Eva's Fensterlein –
O du, viel schöner als die Sterne!
Und holder als des Mondes Schein! –
Und rastlos treibt ihn inn're Regung,
Er möcht' es seh'n so lang es glimmt,
Und schaffen doch, was zur Bewegung
Der jugendlichen Kräfte stimmt!
Liegt dort am Ufer nicht ein Nachen?
Er springt hinein, er stößt vom Land,
Und, alle Kräfte angespannt
Dem Strom entgegen, läßt er frei
Der Ruderschläge Takt erwachen
Im Gang der Wogenmelodei.
Zürnt nicht der Strom dem mächt'gen Drängen
Durch seines Laufes Wellenreihn?
Tönt's nicht von Loreleigesängen
Um jeden Fels im Vollmondschein?
Was Stromeszorn! Bethörungsstimmen!
Der Schiffer jauchzt, der Schiffer lacht,
Er sieht am Strand das Lichtlein glimmen
[144] Sein Leuchtgestirn durch Strom und Nacht!
Will es verschwinden? Rasch gewendet,
Läßt treiben er hinab den Kahn –
Da ist es glänzend noch, und sendet
Ihm Gruß auf seiner Wellenbahn!
Mögt, holde Augen, ihr nicht schlafen?
Was seht ihr noch in später Nacht?
Was soll der Freund im Ruhehafen,
So lang ihr leuchtend, liebend, wacht? –
Das Licht erlischt. Nun denn, zu Lande!
Doch sieh', ist das der Morgen schon,
Der von sich streift der Dämm'rung Bande?
Gellt nicht des Rufers Stimme schon,
Vom Hof, des Tages Nah'n zu künden?
Geduld! Geduld! Der Nebel nur,
Hell von des Mondes Silberspur,
Steigt aus der Berge dunklen Gründen. –
Im Innern wach, von Arbeit matt,
Gekleidet und zum Tag gerüstet,
Mißgönnt, den keine Ruh gelüstet,
Sich Friedrich fast die Lagerstatt.
Doch schleichend kommt das Unbegehrte,
Und leis berückt der Schlaf das Haupt,
Indem er selbst sich das Verwehrte,
Den Zoll gesunder Jugend raubt.
Und Ruhe, die das All gebunden,
Deckt auch dem Liebenden die Stunden. –
[145] Im Osten dämmert's, herbstlich fahl,
Der Wind steigt von den Höhen nieder,
Und weckt mit Ungestüm im Thal
Der Dünste schläf'riges Gefieder.
Die Nebel reißen. Blendend schaut
Der erste Strahl von Bergesspitzen.
Durch leichten Dampf die Wellen blitzen,
Und tausendfarbig aufgebaut
Entsteigt die Welt in Morgenfeier,
Erwärmt, der Dämm'rung grauen Schleier.
Der Hochwald steht in Sonnenpracht;
Der Hirsch mit mächtigem Geweihe
Kommt langsam aus der Buchennacht,
Und tritt zum Felsenrand ins Freie.
Er trinkt die Luft, und blickt umher,
Das stolze Haupt emporgehoben.
Schon regt sich's unten, klingt es droben,
Und grüßt des Tages Wiederkehr.
In Gärten prangt mit Perlentropfen
Der Spätlingsrosen Farbenpracht;
Selbst in die Fenster ohne Klopfen,
Kommt Sonnenschein, verstohlen, sacht
Zum Frühbesuch hereingelacht.
Aus seinem Schlummer fährt mit Schrecken
Der junge Meister, blickt hinaus –
Ließ er vom hellen Tag sich wecken?
Er eilt beflügelt aus dem Haus,
[146] In Furcht, die Stunde zu versäumen.
Tag ist es, Tag! Vorbei das Träumen!
Was zwischen heut und gestern lag,
Es wird zur Wahrheit, es ist Tag! –
Doch immer noch gar frühe Stunde,
Und so zu hasten keine Not!
Ward denn ein Sturmlauf zum Gebot?
Es bellen hinter dir die Hunde,
Die einz'gen Wesen, die du siehst,
Und die mit witterndem Ergründen
Der Eile, schon dem Tag verkünden,
Daß du geheime Straße ziehst. –
Hinauf! Hinauf! Das Glück ist droben!
Weh, wehe, wenn es schon verpaßt!
Nur Schritte noch, nun ist er oben
Auf freiem Platz – der erste Gast.
Er athmet auf. Mit Wipfelrauschen
Der Nußbaum seinen Gruß ihm weht,
Und zwischen Purpurblättern lauschen
Geschwellte Trauben, thaubesät.
Dies ist der Weg, hier muß sie kommen!
Horch! Hat nicht auf der Stufenreihe
Er schon den leichten Schritt vernommen?
Noch nicht! Es heißt geduldig sein.
Wie lange dehnt sich die Minute,
Wie lang die Viertelstunde gar
[147] Dem wartend aufgeregten Mute!
Verfehlung, Täuschung und Gefahr
Erschafft in quälerischem Bangen
Das Herz sich pochend in der Brust,
Wenn sie zum zweitenmal vergangen
In unersetzlichem Verlust.
So sieht er an des Platzes Mauer
In hastigem Auf- und Niedergeh'n,
Sich füllen schon der Stunde Dauer.
Verzweifelnd bleibt er endlich steh'n,
Um in die morgenduft'gen Kreise
Der Ferne starr hinaus zu seh'n.
Da fühlt auf seiner Schulter leise,
Berührend kaum, er eine Hand –
Und Friedrich, hastig umgewandt,
Begegnet selig Eva's Augen,
Die hold errötend vor ihm stand.
So fest war längst der Seelen Band,
Was sollten nun noch Worte taugen,
Bekennen, Fragen und Bejah'n?
Sie hielten sprachlos sich umschlungen,
Und was sie in den Augen sah'n,
War Wort genug für tausend Zungen.
Der Nußbaum rauscht, die Sonne lacht,
Es ist wie in den alten Tagen,
Und doch, als wär' aus Räthselfragen
Die Welt für sie erst heut erwacht.
[148] Doch horch, dringt auf der Lüfte Wogen
Nicht her gedämpfter Glockenton?
Ein hellerer kommt dort gezogen,
Ein tiefrer klingt zusammen schon.
Aus aller Ferne hergetragen,
Bald summend, dröhnend, theilt die Luft
Der Glockentöne Flügelschlagen.
Den ganzen Rhein entlang erklingen
Im sonnengoldnen Morgenduft,
Aus Dörfern, Städten, Glockenschwingen,
Und in dem weitgedehnten Chor
Von Tongewog' und Klangverschwimmen
Bewegen bald die Thurmesstimmen
Des heimatlichen Thals sich vor.
Die Liebenden umfließt das Rauschen,
Als wär' es schon ihr Brautgeläut,
Dem sie, ergriffen, selig lauschen.
Wacht auf! Für Millionen heut
Ist festlich von den ehernen Zungen
Des Siegestages Ruf erklungen!
Doch nehmt getrost auch euer Theil
Vom Tag, der Allen ward gegeben,
Und wär's die Stunde nur, die Heil
Und Weihe giebt dem ganzen Leben!
Da schaut ein frohes Angesicht,
Doch unversteckt, vom Rebengange.
Friedrich erblickt es: »Zaud're nicht!«
[149] So ruft er: »Komm, wir sind nicht bange!
Du bist und sollst der Erste sein,
Der uns Vereinte darf begrüßen!«
Justin, mit lautem Jubelschrei'n,
Eilt aus dem Gang auf hurtigen Füßen,
Umarmt die Freunde, springt und lacht,
Und ruft: »Ich hab' es wohl gedacht,
Man muß Euch selber wieder holen,
Sonst sitzt Ihr bis zum jüngsten Tag,
Laßt feiern, was da feiern mag,
Und spart zum wenigsten die Sohlen!
O Musterwirtschaft! Doch schon dröhnt
Der Böllerschüsse Kanonade –
Gleichviel, ob's Euch das Fest verschönt,
Hinunter müßt Ihr ohne Gnade!
Sie wissen längst, was euch verstrickt,
Mein Schwesterlein und ihren Helden!
Ich bin der Narr, den sie geschickt,
Und geh', die Schuldigen anzumelden!«
Er eilt hinab. Nun wird das Haus
In lang erhoffter Freude stehen,
Und Alles läuft wohl so hinaus,
Wie's oft schon ward vorausgesehen.
Die Mutter wird mit erstem Gruß
Und off'nen Armen sie empfangen;
Der Oberst all' sein Glückverlangen,
Erfüllt zum Freudenüberfluß,
[150] Mit unaussprechlich weicher Regung
Und losen Worten vor sich seh'n;
Der Weinherr aber wird versteh'n
In festlicher Gemütsbewegung
Und Würd' und Anstand wohl bewahrt,
Zu ordnen nach des Hauses Art,
Was ziemend ist in solchem Falle;
Justin wird jeden Scherz erneu'n,
Der Rector furchtbar laut sich freu'n –
Sie werden da sein All' und Alle,
Doch für die Liebenden allein
Befangen wird die Stunde sein.
Drum noch die Stille der Minute
Genützt, die ihnen übrig bleibt,
In's Herz mit reinem Lebensmute
Zu fassen, was ihr Glück umschreibt!
In Lüften ist verrauscht das Dröhnen,
Und Ruhe liegt und gold'ner Strahl
Auf aller Schönheit Farbentönen
Vom Horizont zum nächsten Thal.
Es reift in vollem Herbstessegen
In Gärten und Bergeshang
Des Erntetags erwünschtem Klang
Die sonnendurst'ge Frucht entgegen.
Die Zukunft in verklärtem Licht
Giebt schrankenlos sich dem Vertrauen.
So steh'n die Liebenden und schauen
[151] Einander froh ins Angesicht,
Und fühlen Kraft, ihr Glück zu tragen,
Vom Uebermaß doch unbethört,
Und mit dem Schatten es zu wagen,
Der in den Lebenstag gehört.
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