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[1]

I.

Der Frühling bracht' entsetzlich schlechtes Wetter,
Zum großen Mißgefühl für Stadt und Landschaft,
Wie, wenn der Mai, als des Novembers Vetter,
Einmal beweisen wollte die Verwandtschaft.
Da war denn das Theater noch ein Retter
Für viele, die nicht gerne die Bekanntschaft
Zu früh besuchten, und Gesang und Reigen
Vorzogen, um sich ruhend auszuschweigen.

Auch Ulrich nahm zur Oper eine Karte;
Verwünschend bald den alternden Tenor,
Der sein Gehör mit Fisteltönen narrte,
Derweil die Sängerin, mehr als zuvor,
In allerlei Manieren quiekt' und quarrte,
Und maulaufsperrend orgelte der Chor.
Und während andre schrien und klatschten mächtig,
Fand Ulrich dies Vergnügen niederträchtig.

[2] Er hielt's kaum aus. Allein was sonst beginnen?
Da draußen war's noch Tag. Zu seinem Buche
Nach Hause gehn durch Wind und Regenrinnen?
Zur Schwester? Aber da war zum Besuche
Heut' Damenkranz – da galt's doch, sich besinnen!
Der Schwager pflegte dann mit stillem Fluche
Das Haus zu meiden, selbst der Schwester Lage
Litt unter solchem Fest für viele Tage.

So blieb er sitzen. Doch im Zwischenakte
Ging er hinab, wo in der Treppenhalle
Sich, was das Haus bisher zusammenpackte,
Begegnet, drängend, in gemischtem Schwalle;
Der Galerieentstiegne, der Befrackte
Des ersten Rangs, hier fanden sie sich Alle,
Sich zu begrüßen, sich vorbei zu ducken,
Die meisten nur, einander zu begucken.

Da durchs Gedränge kommt ein Bürschlein eben
Mit braunem Krauskopf, hellem Augenpaar,
Schlank, wohlgebaut, das in dem bunten Leben,
So schien's, noch keineswegs recht sicher war.
Bescheiden ging es, fast mit Widerstreben,
Vorüber an der selbstbewußten Schar.
Doch Ulrich kannt' es, rief es an mit Gruße:
»Ei, Freund Ascan! Wir kosten gleiche Muße?«

[3] »Wie lang' hab' ich von Ihnen nichts vernommen,
Noch Sie gesehn!« – Es fliegt ein rosiger Schein
Durch seine Züg', und überrascht, beklommen
Versetzt der Knab': »Herr Ulrich, Sie verzeihn,
Daß, von der Galerie herab gekommen,
Ich meinen Schritt gewagt in diese Reih'n –«
Doch plötzlich schweigt er, läßt vorbei sich drängen,
Um zu verschwinden in den Logengängen.

Und neben Ulrich stand, mit Späherblicken
Dem Knaben folgend (Kneifer auf der Nas')
Ein Herr und sprach mit Lächeldrohn und Nicken:
»Freund Ulrich, Sie verstehen, in den Spaß
Auch ohne Karneval sich noch zu schicken!
Ein Stelldichein? So gut das Röckchen saß –
Ich hab' ein Aug', die Dinge recht zu sehen!«
Ulrich erstaunt: »Wie soll ich das verstehen?«

Herr Guido zählte nicht zu den Erkornen
Von Ulrichs Freunden, aber that doch so.
Er war Baron, doch nicht von den gebornen;
Sein Vater ward des Freiherrntitels froh
Als Hofbankier. Der Sohn gab die verlornen
Geldwechslertage hin als leeres Stroh,
Und fand er sonst das Leben schon genießlich,
Lebt' als Baron er dem Genuß ausschließlich.

[4] »Worauf beliebten Sie denn hinzudeuten?«
Fuhr Ulrich fort. »Ein Stelldichein? Wie das?«
Und Jener: »Das Gespräch, deß Sie sich freuten,
Bemerkt' ich. Sprach der Knabe schon im Baß?
Die Männerkleidung giebt ihm unter Leuten
Doch nur notdürftig einen freien Paß!
Und kurz – ich zähle nicht zu Ihren Neidern –
Es steckt ein Mädchen in den Männerkleidern!«

Er sprach's im Flüsterton. Doch Ulrich lachte
Getrost ihm ins Gesicht: »Herr Guido gilt
Für einen Kenner sonst, doch diesmal machte,
Wenn's ernst gemeint, er sich ein falsches Bild!
Und denkt er sich – was ich noch niemals dachte,
Weil's abgeschmackt – hier ein verkapptes Wild,
Kann ich versichern, daß sein Kennerauge
Nur wenig ihm zum Unterscheiden tauge!«

»Nun, nun! Wir werden sehn! Zwar ich erstaune,«
Versetzt Herr Guido, ȟber Ihren Wahn!
Wenn's nicht Verstellung oder eine Laune!
Warum entlief man denn bei meinem Nahn?
Und kurz, ein Mädchen ist der hübsche braune
Krauskopf! Ich bin schon lang' auf seiner Bahn.
Hals, Schultern, Büste, Haltung und Betragen –
Ich kenne das, will jede Wette wagen!«

[5] »Sie könnten mich erschrecken, wenn Sie richtig
Gesehn, Baron!« rief Ulrich, »denn ich sprach
Stets mit dem Knaben, zwar nicht unvorsichtig,
Doch frei und rückhaltlos, und nie bestach
Sein Wesen mich, nur eines Zweifels wichtig,
Obgleich Gelegenheit mir nicht gebrach.
Drum ist Ihr Schreckschuß mir kein Terror Panicus!
Ich weiß, der Jung' ist Lehrling beim Mechanikus.«

»So, so! Mechanikus!« Die schmalen Lippen
Leckt der Baron mit seiner Zungenspitze
Und prüft zugleich mit leisem Ziehn und Tippen,
Ob ihm die Schleif' am Halse richtig sitze.
Darauf mit Lächeln und bequemem Wippen
Beginnt er neu, vertrauend seinem Witze:
»Wo wohnt er denn?« – »Baron, ich kann's nicht sagen.
Am besten thun Sie, selber ihn zu fragen.«

»Ich thu's vielleicht, – wenn sich's so machen sollte.
Wie kamen Sie denn an ihn?« – »Umgekehrt!
Er kam an mich! Weil er ein Sümmchen wollte
Von unsrer Bank, geschäftlich unbelehrt,
Was man denn monatlich seither ihm rollte,
Sein Taschengeld, am Ersten stets begehrt.
Das kleine Kapital ward eingesendet
Von – weiß nicht wo, noch wer es ihm gespendet!«

[6] »Oh, allerliebst!« spricht der Baron. »Da findet
Sich auswärts ein Beschützer schon! Natürlich!«
Doch Ulrich, dem Geduld und Laune schwindet,
Lacht ins Gesicht ihm nochmals unwillkürlich.
Und da ihn an den Laffen gar nichts bindet,
Dreht er sich um, und hält es für gebührlich
Ihn stehn zu lassen, da zugleich die Glocke
Zu seinem Sperrsitz ruft im untern Stocke.

Da sitzt er denn, und, nicht ist's zu verschweigen,
Durch das Gespräch recht grüblerisch bewegt.
Mocht' ihm auch niemals ein Verdacht entsteigen,
Wie ihn Herr Guido plötzlich angeregt,
So schien ihm jetzt, daß heut' im Gehn, Verneigen,
Ascan sich anders gab, als er gepflegt,
Auch scheu, bis zu verlegener Bedrücktheit –
Doch solch ein Argwohn – nein, es wär' Verrücktheit!

Er kannt' ihn eigentlich nur oberflächlich.
Des Knaben hübsches Aussehn zog ihn an,
Doch der Verkehr mit ihm bestand hauptsächlich
Nur im Begegnen draußen, wo sie dann
Ein wenig plauderten, wohl auch gemächlich
Hinschlendernd, bis gemessen Seit verann.
Ihm schien Ascan aus gutem Haus geboren,
Obgleich er sich ein Handwerk auserkoren.

[7] Daß er zur Kunst sich fühlte hingezogen,
Gestand er, ob er gleich verschwiegen war,
Was etwa ihn um solch ein Ziel betrogen.
Fremd war er in der Stadt, kein halbes Jahr
Noch fühlt er sich umrauscht von ihren Wogen,
Und lebte still und jedes Umgangs bar.
Was sucht' er hier? Was mochte her ihn führen?
Doch Ulrich dachte nicht ihm nachzuspüren.

Nun aber gilt es Antwort auf die Frage:
Wer ist denn Ulrich? – Leider in gesammter
Poeterei erfährt man alle Tage,
Kein altes Vorurteil ist festgerammter,
Als daß der Held »romantisch« sich betrage!
Enthüllt sich jetzt, daß Ulrich Bankbeamter,
So fürcht' ich gleich, wie alles ja beschwätzt wird,
Daß seine Heldenstellung unterschätzt wird!

Ja, Bankbeamter! Nicht mehr ist's zu wenden.
Jurist von Haus aus, mit dem Doktorgrad
(Vielleicht wird diesem doch man Anteil spenden)
Verließ er früh den langen Dienst im Staat,
Und die Gelegenheit mit beiden Händen
Ergriff er, die sich bot auf andrem Pfad.
Die Lage bringt Gewinn ihm und Genügen.
O wollt' auch Euch in seine Stellung fügen!

[8] Gebildet ist er sehr. Spielt gut die Geige,
Und für Gelegenheiten reimt er auch
Nicht übel, ohne die Poetensteige
Aufwärts zu klimmen bis zum Lorbeerstrauch.
Kein Vorwurf trifft ihn, daß sein Herz sich neige
Zu andrem, als zu edler Menschen Brauch.
Er liest auch viel. Doch alledies Bedürfnis
Bringt ihn mit seinem Stand in kein Zerwürfnis.

Doch ist als Held er gar nicht zu betonen,
Nicht mal als Hauptperson. Er teilt den Rang
Für diesesmal mit vier bis fünf Personen,
Von welchen jede sich ihr Recht bedang.
Zwar dem Poeten wird man's übel lohnen,
Daß er gewagt so regellosen Gang!
Kurz, er erklärt, ob auch darum verdächtigt,
Die vier bis fünf Personen gleichberechtigt.

Da ist nun Ulrichs Schwester Rosamunde,
Vermählt mit einem Künstler großen Stils,
Bildhauer – weit ist seines Ruhmes Kunde –
Gefährtin seines Glücks und Lebensziels.
Auch mit dem Bruder in dem schönsten Bunde,
Den Männern nie Verderberin des Spiels.
Sie ist noch wunderhübsch mit fünfunddreißig,
Meist frohen Mutes, und im Hause fleißig.

[9] Zur Sache wieder! Ulrich saß noch immer
Im Sperrsitz, sehr gelangweilt und zerstreut.
Entsetzlich findet er das Frauenzimmer,
Das im Ballet dem Blick die Schenkel beut.
Bis über des Finale Schlußgewimmer
Die Menge sich noch einmal heftig freut,
Mit klatschendem Hervorruf: Alle! Alle!
Doch Ulrich war schon draußen in der Halle.

Er stellt sich auf, er will Ascan erwarten.
Die Sache geht ihm doch im Kopf herum.
So stand er denn, wo auch noch andre harrten,
Denn wissen will er – hält er's gleich für dumm,
Ob ihn bisher denn seine Blicke narrten?
Die Menge drängt vorüber mit Gesumm,
Und heimwärts stiebt der aufgelöste Knäuel,
Kaloschenfroh, durch Nacht und Pfützengräuel.

Doch kein Ascan erschien, und unersprießlich
Schien alles Warten. Konnte doch der Knab'
Schon draußen sein! So machte sich verdrießlich
Auch Ulrich aus dem Haus' und auf den Trab.
Was lag denn viel an der Geschichte schließlich,
Da sonst er nichts auf Guidos Worte gab!
Zur Schwester ging er, wo es noch erhellt war,
Zu sehn, wie's nach dem »Kranz« mit ihr bestellt war.

[10] Nach wenig Tagen, da vom Bankgebäude
Herr Ulrich einen kleinen Umweg nahm,
Es grünten Bäume, Rasen und Gestäude
Nach langem Regen heut' so wundersam,
Da sah er, wie mit unverhehlter Freude
Ascan des Weges ihm entgegen kam.
Und wie er ihn erreicht mit einem Sprunge,
Wer zweifelt noch – das war denn doch ein Junge!

Sogar ein prächt'ger Bursch! Die Band ihm reichend
Spricht Ulrich: »In der Oper neulich sahn
Wir uns nur flüchtig, da Sie, mir entweichend,
So schien's, den Weg verfolgten!« Drauf Ascan,
Die heiße Stirn mit seinem Tuche streichend:
»So war's! Zu Ihnen trat ein Herr heran,
Dem ich, jedoch an passenderem Orte,
Ohrfeigen aufbewahre statt der Worte!«

Ulrich, belustigt, hemmt nicht sein Gelächter.
»O Guido!« denkt er, »weh dir! Hier ist Kraft,
Sich selbst zu schützen ohne fremden Wächter!
Froh bin ich, daß mein Auge mangelhaft,
Und mir, auf den du blickest als Verächter,
Gefahr nicht droht, wie deiner Kennerschaft!«
Dann mit Ascan, im stillen Triumphieren,
Geht Arm in Arm er noch ein Stück spazieren.

[11] Und so, im Wandeln, glaubt er zu verstehen,
Obgleich er jeden Zweifel niederschlug,
Was Guidos Blick in eigner Art gesehen.
Wenn sich Ascan nicht mädchenhaft betrug,
So konnt' ihm doch ein Rückhalt nicht entgehen,
Vielleicht des lautersten Gemütes Zug,
Kurz, eine Eigenart, nicht leicht zu fassen.
Nun gut, er wollt's dabei bewenden lassen.

Die Tage wurden jetzt, nachdem abscheulich
Der Mai zu Anfang war, ganz frühlingsklar.
Rein blieb die Luft, die Sonne bot getreulich
Jedweden Morgen ihre Strahlen dar,
Die Gärten blühten um die Stadt erfreulich.
Zur Elbterrasse wandert Schar um Schar,
Denn schöner, als man irgendwo gefunden,
Sind hier Natur und Kunst in Eins verbunden.

Schon drängte, hergewälzt auf allen Gleisen,
Des Sommers Völkerwanderung herzu.
Man wähnt Vergnügen durch das Weltall kreisen,
Und keinen Einz'gen drück' ein Sorgenschuh.
Und unversehens mußt' auch Ulrich reisen
In eiligstem Geschäft. Denn X für U
Wollt' eine Bank in Warschau sich erlauben,
Und schnell zu prüfen galt es Niet' und Schrauben.

[12] Nicht lieblich war die Aussicht. Denn auf Wochen
Erstrecken konnte sich der Aufenthalt,
Da's, wie die Dinge lagen, anzupochen
Vielleicht sogar bei den Gerichten galt.
Schnell bei der Schwester hat er vorgesprochen
Zum Abschied, sein Gepäck ist schon geschnallt,
Und mit dem Nachtzug will er fort in Eile,
Gefaßt auf unerhörte Langeweile.

Schnell schritt er durch die Dämmerung, denn vergessen
War ein Geschäft und Auftrag noch. Da prallt
Ascan mit ihm zusammen, den indessen
Er lange nicht gesehn. Der Knabe lallt
Entschuld'gung, um beiseit den Schritt zu messen,
Erschreckt, doch Ulrich ruft ihm lachend Halt!
Da schon Ascan von seinem Arm umspannt war,
In den er blindlings in der Hast gerannt war.

Doch kaum gefangen, weiß sich aus den Schlingen,
Die Ulrichs Arm ihm nicht zu kräftig zog,
Ascan mit rascher Wendung loszuringen.
Und Ulrich sah, wie er von dannen flog,
Und hastig ihn um eine Ecke springen.
Er blickt ihm nach. Das Staunen überwog
Die Ueberraschung. Denn was er umschlungen,
Kam heut' ihm gar nicht vor nach einem Jungen.

[15] Das war nicht männliche Gestalt, und sicher
Nicht eines Achtzehnjährigen! »Was soll
Ich denken,« fragt er, »von so wunderlicher
Bestürzung? Guidos Blick – Es wär' doch toll!«
Und langsam jetzt entlang die Straße schlich er,
Von neuem aufgeregt und zweifelvoll.
Doch plötzlich fällt ihm ein, er muß sich sputen,
Denn schon zur Abfahrt drängen die Minuten.

Für seine Unterhaltung in Gedanken
Auf einer Nachtfahrt ist nun wohl gesorgt,
Will er mit Guido, mit Ascan sich zanken.
Und sicher, daß vom Schlaf die Zeit er borgt,
Da, zu dem Aerger über Warschaus Banken,
Im Busen ihm der neue Zweifel worgt.
Wir aber geben unsern Reisesegen
Ihm mit, der schönen Polakei entgegen. –

»O Himmel, wie prosaisch, wie alltäglich!«
So hör' ich's rufen. In der That, man reist
Heut' nicht poetisch, und es kränkt unsäglich
Auch mir das Herz! Mit schöner Schild'rung weist
Ein Eisenbahngehäus sich unverträglich.
Und alles Aeußre meint ihr doch zumeist,
Das Schildern, Malen glänzender Umgebung
Verlangt ihr zur poetischen Erhebung.

[14] Wer Alpenhäupter braucht, ins Blau geschwungen,
Italiens Landschaft für den Hintergrund;
Und für die Handlung Götterdämmerungen,
Geschichten aus des Mittelalters Mund;
Und, künstlerischer Schneiderhand entsprungen,
Kostüm von Sammt und Seide, knapp und rund:
Der muß, verwöhnt von so viel Freudetrümpfen,
Bei diesem Lied enttäuscht die Nase rümpfen.

Doch wer des Menschen Fühlen und Empfinden
Inmitten einer wüsten Alltagswelt,
Den Kampf mit ihr, sein ringend Ueberwinden,
Selbst wenn das Lachen sich dem Ernst gesellt,
Versteht und wert hält, mit ihm anzubinden,
Zu sehn, wie's innerlich mit ihm bestellt,
Und Glück und Thorheit menschlich sich erneuen,
wird vor Alltäglichem zurück nicht scheuen.

Denn gleich prosaisch war zu allen Tagen
Die Welt, ob noch so schön herausgeputzt.
Nur wo der Mensch mit seinen innern Fragen –
Doch halt! Ich fühle wirklich mich verdutzt,
So Selbstverständliches noch vorzutragen,
Was doch als Weisheit ziemlich abgenutzt!
Und somit sei für solcherlei Gemeinplatz
Abschweifungssücht'ger Art hier fürder kein Platz!


[15]

II.

Des Meisters Werkstatt lag im Erdgeschosse
Des großen Hauses, in der Stadt »das alte
Palais« genannt. Ein einst'ger Fürstensprosse
Erbaut' es sich zum Sommeraufenthalte.
Jetzt, da verschollen die Rokoko-Posse,
Lag's in der Vorstadt, eine mißgestalte
Vergraute Masse, drin die Lüfte wehten.
Der untre Stock war Künstlern abgetreten.

Doch rückwärts fand sich noch ein großer Garten,
Darinnen einst, wie's oft genug geschildert,
Geschorner Hecken grüne Wände starrten,
Von Tanzfigürchen schäkerhaft durchbildert.
Sie fehlten längst schon. Zehn Jahrzehnte karrten
Die Trümmer weg. War alles gleich verwildert,
So war es der Natur zurückgegeben,
Und ein Jahrhundert schuf ihm neues Leben.

[16] Aus einst'gen Becken wuchsen Stämm' und Kronen
Hochauf, einander engend und bedrängend,
Drin wie im Walde Fink und Amsel wohnen.
Die Wege, schnurgerad sich einst verlängend,
Bedeckt das Erdreich, drauf Salat und Bohnen
Der Pförtner zieht; indessen überhängend
Die Linden stehn, durchsummt von Bienentönen
Im Blütenmeer, wie leises Orgeldröhnen.

Zuweilen summt ein Bienchen selbst im Saale,
Zu dem es sich verlor durch offne Thüren,
Ein Falter läßt sich prüfend in die kahle
Bildhauerwerkstatt zum Besuch verführen,
Und an die Fenster, riesig wie Portale,
Schlägt des Gefangnen ängstlich Flügelrühren.
Groß ist der Raum, doch seine Pracht gewichen,
Auch der Olymp der Decke längst verblichen.

Und drinnen ist es nicht, wie Malerweise
Sich schmückt den Arbeitsraum, bunt und behaglich;
Glanz, Farbe, schöner Stoff, der hoch im Preise,
Ist hier im weißen Staubgewölk nicht waglich.
Holzwerk und Thongebild nur steht im Kreise,
In nassen Tüchern, rätselhaft und fraglich.
Gesell und Meister, gleich, in Leinwandkitteln,
Uebt hier die Kunst mit unscheinbaren Mitteln.

[17] Und Meister Guntram zählte zu den Größten,
Zu dem der Jünger viele hoffend sahn.
Doch mußte mancher lange sich vertrösten,
Bis seine Werkstatt endlich ihn empfahn,
Und wenn sie nicht Vertraun ins Herz ihm flößten,
Trieb er sie auch wohl hart aus seiner Bahn.
Doch heut: »Mit allem«, rief er »macht ein Ende!
Ich bring was Seltnes Euch für Aug' und Hände!

Um den Modelltisch nehmt im Kreis die Plätze!
Bewaffnet euch mit Griffel oder Thon,
Indes ich mitten unter Euch mich setze.
Nach viel Entbehrung giebt uns heut zum Lohn
Natur einmal ein Pröbchen ihrer Schätze,
Um das ich mich bemüht seit lange schon,
Den prächt'gen Fund als Muster uns zu wahren.
Ein Jüngling ist's von siebzehn, achtzehn Jahren.

Beim Bad, im Wasser, hab' ich ihn gefunden
(Wo sieht man sonst natürliche Gestalt?)
Und bat ihn um den Dienst auf einige Stunden
Für meine Kunst. Allein sehr stolz und kalt
Schlug er mir's ab. Bis endlich überwunden
Sein Widerstand, da es der Kunst doch galt!
Er möchte lieber selbst als Bildner schaffen,
Als sich beschämt hinstellen zum Begaffen.

[18] So sagt er. Nun, wer weiß? Ihr aber werdet
Ihn gut empfangen! Nehmt es auch nicht wahr,
Wenn er etwas verlegen sich geberdet:
Kein hingeworfnes Wort, kein Lächeln gar,
Und nichts, was die Gefälligkeit gefährdet!
Was er versprach, schon reut's ihn offenbar.
Doch bring' ich gleich ihn her, drum setzt Euch immer,
Ich hab ihn schon bereit im Nebenzimmer.«

Nicht lange harrten sie. Der Meister führte
Herein den Apollin und gab genau
Ihm Stellung. Alle sahn, wie sich's gebührte,
Mit Künstlerblick des Körpers reinen Bau.
Der Jüngling aber, hoch errötend, spürte
Beschämung vor so ungewohnter Schau
Und senkt den Blick; indessen, wie gekräftigt
Vom Anschaun, jeder sich am Werk beschäftigt.

Wie Andacht durch des Künstlers Seele geht es,
Zeigt ihm Natur des Menschenbilds Vollendung
Als Muster, oft ein lang' umsonst erflehtes.
Und eingedenk der heilig ernsten Sendung,
Gezogen, wie von Kräften des Magnetes,
Erfüllt ihn ganz der eignen Kraft Verwendung,
Um der Natur – er fühlt es oft beklommen,
Der lebenden, nur eben nachzukommen! –

[19] Bald faßte sich auch Apollin, und schickte
Die Augen neubegierig durch den Saal.
Und was an Bild und Formen er erblickte
Trat nah und näher ihm mit einemmal.
Ihm war's, der Musenkopf da drüben nickte
Ihm zu, belebend ihn mit Hoffnungsstrahl.
Wohin vergeblich jeder Wunsch gestanden,
Hier war das Ziel und hier die Bahn vorhanden!

Und aufmerksam erkennt er in der Runde,
Wie jedes Auge glänzend und erhellt war,
Wie in des Meisters Schul' in dieser Stunde
Das eigne Bilden jedem seine Welt war.
Er fühlte fast sich mit im schönen Bunde,
Und rein den Dienst, zu dem er aufgestellt war.
Im weiten Raum ein feierlich Verstummen,
Die Biene nur hört man vorüber summen.

Da plötzlich hebt im Gang sich ein Geträller
Im lieblichsten Sopran. Es stört der Klang
Die Jünger nicht. Doch keinem Vogelsteller
Entflog die Drossel je so schreckensbang,
Als Apollin erschrak, daß er mit schneller
Bewegung vom Modelltisch niedersprang.
Ihm ist's, als müßt' er in den Boden sinken –
Man kommt! Schon hört er's an der Thüre klinken.

[20] »Verriegelt! Heine Sorge!« spricht der Meister.
Doch Apollin, von jähem Schreck gejagt,
Als stürmten hinter ihm der Hölle Geister,
Nach Zuruf nicht noch nach Versichrung fragt.
Fortstürzend, fast aus ihren Angeln reißt er
Die Glasthür, und – wie Angst das Tollste wagt –
Rennt, wie er ist, durch Sonnenschein und Linden.
Im Freien größre Sicherheit zu finden.

Sie springen auf, sie sehn ihn schon im Weiten.
Doch, statt des Pürschgangs auf das edle Wild
Gesell und Meister halten sich die Seiten
Vor Lachen über des Entsetzens Bild.
Doch dann, erwägend die Verlegenheiten
Für den Entflohnen draußen im Gefild,
Faßt sich der Meister: »Bleibt zurück! Ich hole
Ihn selbst, und hätt' er Hermes' Flügelsohle!«

Der Flüchtling aber schoß dahin im Bogen
Durch Park und Buschwerk, wie im Schwalbenflug,
Bald hier, bald dort um ein Versteck betrogen,
In das zu hell des Lichtes Welle schlug,
Bis ihm des Busens überhetztes Wogen,
Des Atems Stocken sagt, es ist genug!
Zugleich auch inne wird er, schambefangen,
Der Thorheit, die er in der Hast begangen.

[21] Wie soll er nun zurück ins Haus sich wenden,
Aus so viel kreuz und quer durchlaufnem Raum?
Kein Weg! Und wenn sich offne Wege fänden –
Gewandlos, wie er ist, er wagt es kaum!
Wie soll für ihn das Abenteuer enden?
Er fühlt sich wie in angsterfülltem Traum.
Bis endlich, zu erspähen nur die Richtung,
Er sich behutsam wagt zu einer Lichtung.

Da hört er singen – diesmal ungefährlich,
Mit Männerstimme. Da ist auch ein Weg,
Etwas verwachsen und betreten spärlich,
Und lauschend schleicht und blickt er durchs Geheg,
Und was er sieht – erscheint's auch unerklärlich,
Macht neues Zutrau'n den Verzagten reg',
Und hoffend, daß er Hilfe finden werde,
Springt er hervor mit flehender Geberde.

Doch Ulrich fährt zurück, durch die Verneinung
Jedweder Tracht zum Lachen angeregt.
»Woher in so fragwürdiger Erscheinung,
Mein junger Freund? Sie haben abgelegt –
Der Tag ist heiß, ich bin derselben Meinung,
Doch machten Sie sich's leichter, als man pflegt!
Zwar steht es Ihnen gut – doch so im Grünen
Zu wandeln, ist ein seltsamlich Erkühnen!«

[22] Er hemmt das leichte Wort, denn fast in Thränen,
Vom Zorn gepreßt, sieht er Ascan, und hört,
Wie er in abgerissnen Redespänen
Ihm hastig meldet, was ihn ganz verstört,
Und, ohne lustig den Moment zu wähnen,
Um rasche Hilf' und Kleider ihn beschwört,
Zu kennen scheine Ulrich Haus und Garten,
Er selber wolle sein im Dickicht warten.

Bekannt genug war Ulrich hier am Orte
Als Meister Guntrams Schwager. So besaß
Er auch den Schlüssel zu der Mauerpforte,
Durch die er langen Weg sich kürzer maß
Und heut auch kam. Noch ein paar Trostesworte,
Durch die Ascan schon halb der Angst genas,
Dann eilt er sich, daß er den Wunsch erfülle,
Zu holen ihm die heiß ersehnte Hülle.

Da tönt ein Rufen. Das ist Guntrams Weise!
»Nur her!« antwortet Ulrich. »Er ist da!«
Doch jener mißt im weiten noch die Kreise,
Und manchen Ruf noch gilt es, bis er nah.
Doch kommt er schon. »Verwünschte Zirkelreise
Und Hetzjagd! Gott sei Dank, da ist er ja,
Der Leichtfuß!« Doch Ascan verstummt, denn leider
Kommt Guntram ohne die erwünschten Kleider!

[23] »Was trieb Sie, junger Freund, Reißaus zu nehmen?
Wenn meine Frau mich sucht, dann mit Gesang
Verkündet sie's, und weiß sich zu bequemen,
Erkennt verriegelt sie die Thür zum Gang.
Sie weiß dann, daß den Eintritt wir verfehmen,
Und rechnet's uns nicht an als Mißempfang.
Ulrich, zu Tisch erhofft Dich Deine Schwester!
Sie aber folgen mir zurück, mein Bester!«

Ascan beteuert, nicht den Mut zu haben,
Sich so zu wagen durch das Sonnenlicht.
Der Meister spricht zum Trost dem guten Knaben:
Es dring' in diesen Garten kein Gesicht,
Man säße wie vor aller Welt vergraben,
Und auf ein Spähn sei niemand hier erpicht.
So endlich ließ Ascan mit sich verhandeln,
Zur Werkstatt wohlgeführt zurück zu wandeln.

Nicht in die Werkstatt einzutreten dachte
Jetzt Ulrich, weiß er doch, die Zeit gehört
Der Arbeit, die ja schon vom Unbedachte
Des jungen Freunds genugsam ward gestört.
Er dankt ihm, daß er dieses Opfer brachte
Dem Meister und der Kunst. »Sei nicht bethört,«
So flüstert er, »verbanne Sorg' und Sagen!
Du dankst der Stunde noch in künft'gen Tagen!«

[24] Und so empfahl er sich. Mit bestem Mute
War heute morgen er zurückgekehrt,
Da, was auf seiner Gegenwart beruhte,
War abgethan, und der Erfolg ihn ehrt.
Die Schwester freute sich auf die Minute
Des Wiedersehns, da sie ihn lang' entbehrt,
Drum eilt er aus des Schwagers Paradiese
Zu ihrer Wohnung an der »Bürgerwiese«.

Und lachen mußt' er unterwegs des tollen,
Verrückten Zweifels, dacht' er an Ascan.
Und lachen wollt' er, lachen aus dem Vollen,
Käm' Guido wieder ihm mit seinem Wahn!
Doch das beiseit! Dem Jüngling, der verschollen
Im Handwerk lebte, hofft' er jetzt die Bahn
Zur Kunst, die Wunsch und Sehnsucht ihm verhießen,
Durch Meister Guntrams Führung zu erschließen.


[25]

III.

Es war ein Sonntagsmorgen, wenig Tage
Darauf, als Ulrich, wie er sich gewöhnt,
Tritt ins Museum mit dem Glockenschlage,
Um sich, vom fremden Laut noch nicht umtönt,
Ersatz zu holen für die Wochenplage.
Hier fühlt er jeden Widerspruch versöhnt
Und, von der Schönheit Glanz und Licht umflutet,
Zu weihevoller Stimmung angemutet.

Er ist, wie unter Freunden und Bekannten,
Hier schon zu Haus, bekannt mit jedem Bild.
Nicht immer sucht er sich die vielgenannten,
Er weiß auch manches, das so hoch nicht gilt,
An das ihn dennoch manche Züge bannten.
Und hatt' er so durchmustert sein Gefild,
Beschloß er wohl mit Rafael die Reihe,
Um aufzuschaun zu der Madonna Weihe,

[26] So weit noch war er nicht gekommen heute,
Da er in einer Seitengalerie
Vor manchem Bild erst den Besuch erneute,
Da hört er plötzlich nahen Tritt, und sieh,
Ascan steht vor ihm. Doch der Jüngling scheute
Vor ihm zurück, und helle Glut verlieh
Der Schreck dem Antlitz, ja er schien verlegen,
Gleichwie ertappt hier auf nicht rechten Wegen.

»Was hast du nur, Ascan? Ganz unverständlich«,
Ruft Ulrich, »ist Dein Wesen, Deine Angst!
Bedrückt Dich so, daß neulich – etwas ländlich
Du mir im Gartenraum entgegen sprangst?
Sei wohlgemut! Wir sind allein, drum endlich
Vertrau mir, Kind! Und wenn du Rat verlangst –«
Doch Ulrich stockt, wie auf den Mund geschlagen,
Und weiß verdutzt kein fernres Wort zu sagen.

Zwei Augen sieht er groß auf sich gerichtet –
Ascans? Nun ja! Doch wieder – nein! So fragend
Wie wenn auf ein Verständnis man verzichtet
Von dunklen Worten. Plötzlich, nicht mehr zagend,
Als ob sich innen ein Entschluß gelichtet,
Das Widerstrebende nun endlich wagend,
Verneigt Ascan sich, um – ist's nicht zum lachen? –
Mit hast'gem Kehrt sich aus dem Staub zu machen!

[27] Und Ulrich ruft, als die Gestalt verschwunden:
»War ich verrückt bis heut? Gott steh' mir bei!
Zum Gaukelspiel hat man sich mir verbunden!
Jetzt liegt's am Tag mir, es sind ihrer Zwei!
Ja, zweie sind's! Das wär nun ausgefunden!
Ein Jung' ist einer! Was der andre sei –
Noch steht's dahin! Doch gleich will ich's erspüren,
Am Narrenseil soll man mich nicht mehr führen!«

Er schreitet aus dem Seitengang. Entgegen
Tritt wieder ihm Ascan. Ist's zweifellos
Der richtige? Doch diesmal unverlegen
Beginnt er: »Wüßten Sie, o Herr, wie groß
Oft unser innrer Kampf um Ihretwegen,
O Sie verziehen sicher den Verstoß!
Zwillingsgeschwister sind wir – sei's gestanden!
Ich und die Schwester, welche hier Sie fanden!

Warum sie gleiche Tracht mit mir erwählte,
Sie sollen alles wissen mit der Zeit!
Sie wird gestehn, daß oft ich bat und schmälte,
Denn Sie allein, Herr, wünscht' ich eingeweiht,
Doch drang sie in mich, daß ich nichts erzählte.
Heut aber ist zur Lösung sie bereit
Und schickt mich her – komm, Fides, laß dich schauen!
Ich hoffe noch, wir dürfen ihm vertrauen!«

[28] Doch Ulrich lächelt, staunend und vergleichend.
Vor seinen Augen zweimal steht Ascan;
Allein, des andern Wuchs nicht ganz erreichend,
Ist einer doch von Anmut mehr umfahn,
Indes befangen und dem Anblick weichend
Die Augen unstet jetzt zu Boden sahn.
Der jüngre Bruder schien er, wenn nicht näher
Die Unterscheidung prüft ein kund'ger Späher.

Ulrich darauf, der Lage schnell sich fügend:
»Verpflichtet ist, wenn solch Vertraun sich beut!
Doch staunen muß ich, seh' ich augentrügend
Sebastian und Viola hier erneut
Aus »Was ihr wollt!« Und drum, dem Kleid genügend,
Nenn' ich das Brüderchen Ascans von heut
Cesario, wie sich Viola nannte,
Da sie zum Schutz in fremde Tracht sich bannte.«

»Der Nam' ist mir bekannt und längst mein eigen!«
Spricht Fides, schon ermutigter. »Denn so
Nennt mich Ascan, seitdem wir hier uns zeigen,
Vielmehr verbergen!« – »Nun, so bin ich froh,«
Fällt Ulrich ein mit höflichem Verneigen,
»Als Freund zu grüßen auch Cesario!
Er muß verzeihn, da ich verkannt sein Wesen,
Wenn oft mein Wort nicht ziemend war erlesen!

[29] »Sie haben zweimal nur mit mir gesprochen,
Herr Ulrich! Im Theater einst – ich schalt
Mich selbst, daß ich Ascan verlor! Nach Wochen
Darauf war's gegen Abend, wo Sie Halt
Mir riefen, und in Angst und Herzenspochen
Ich feig die Flucht nahm in Ascans Gestalt.
Sie sehn, da heut' Sie wieder mir begegnet,
Cesario ist mit Mut nicht sehr gesegnet!«

»O, er hat Mut genug! Ich weiß auch Tage,«
Versetzt Ascan – »wie damals in Paris,
In Rom dann, wo er sich in schlimmer Lage
Besonnen zwar, doch auch beherzt erwies!«
Cesario winkt, daß er zu viel schon sage,
Mit Vorwurfsblicken. Ulrich aber ließ
Den Augen Freiheit, jeden Zug erhaschend.
»Wie? Rom? Paris? Sieh, das ist überraschend!«

Drauf spricht er: »Wenn's Cesario gefiele,
So bät' ich, daß fortan in unsrem Bund
Ein wenig ich den ältren Bruder spiele!
Schon nicht mehr günstig ist im Saal die Stund',
Es drängt schon mächtig, und darunter viele,
Die, wenn sie schon die Augen in die Rund'
Und auf und nieder zu den Bildern schicken,
Noch lieber forschend auf die Leute blicken.

[30] Drum rat' ich, heut, der Kunst sich zu entschlagen,
Zu folgen mir in sicherstem Geleit.
Gar schattig draußen sind die Parkanlagen,
Und hat in Freundschaft und in Offenheit
Ascan, Cesario etwas mir zu sagen,
Zu hören steh ich herzlich gern bereit!«
Cesario wendet sich, sieht das Gedränge
Und lenkt voraus schon durch die Seitengänge.

Doch unterwegs, an Ulrichs Ohr, im Gehen
Beginnt geheim Ascan im Flüsterton:
»Was ich gewünscht so lang', ist heut' geschehen,
Und sorgenloser ist der Tag mir schon!
Eins bitt' ich nur: Wie Sie mich jüngst gesehen
Bei Guntram – reden Sie kein Wort davon!
Cesario weiß noch nichts von meinen Streichen,
Ich sagt' ihm nichts. Er kennt noch nicht dergleichen.«

Zum schattenkühlen Platz hinabgestiegen
War Ulrich mit dem jugendlichen Paar.
Am Herzen sehr schien es Ascan zu liegen,
Dem Freund zu künden, wie ihr Leben war.
Was sie erzählten – oder auch verschwiegen,
Denn manche Rücksicht galt es offenbar,
Und häufig rötet sich Cesarios Wange –
Erzählt das Lied nun im Zusammenhange:

[31]
Ascan und Fides lebten als Geschwister
Bei ihrem Vater, früh schon mutterlos.
Es ist kein Grund da, ihr Geschlechtsregister
Zu melden bis zur letzten Ahne Schoß.
Der Vater war ein Doktor und Magister,
In Sprachen Asiens berühmt und groß.
Sein ganzes Leben bibliothekarisch,
Und Alles, was er trieb, war antiquarisch.

Doch Unruh trieb ihn stets von Ort zu Orte,
Denn ein Magnet war jeder Büchersaal.
Bald waren's im Sanskrit drei goldne Worte,
Für deren Stand sich nur Paris empfahl;
In Rom, in London bald, sah er die Pforte
Zum Himalayasprachenarsenal.
Und da ein klein Besitztum bot Genügen,
War er jahraus, jahrein auf Reisezügen.

Doch zu bewegen wär' er nicht gewesen,
Der Kinder sich auf Reisen abzuthun.
Ein Sonderling, von wenig Federlesen,
Ließ er daheim das Pärchen auch nicht ruhn.
Und ging ein Ziel auch bis zu den Chinesen,
Er packt sie auf mit seinen Büchertruhn
Und hielt sie so in bester Art geborgen,
Denn die Erziehung wollt' er selbst besorgen.

[32] Und so für all das Hin- und Wiederfahren
Steckt er auch Fides in die Knabentracht.
Cesario hieß sie schon in Minderjahren.
Sie hatte niemals anders sich gedacht
Und schien, mit kurzen krausgelockten Haaren,
Ein Bübchen, dem der Schalk im Auge lacht,
Ganz gleich Ascan; und wer der Knab' von beiden,
Der Vater konnt' es oft nicht unterscheiden.

Und so in gleicher Art auch unterrichtet
Er selber sie nach auserlesnem Plan.
Zwei Stunden täglich fühlt er sich verpflichtet,
Im Gasthof oder auf der Eisenbahn,
Und lenkt durch alles, was er aufgeschichtet,
Die jungen Köpf' in die gelehrte Bahn.
Sie wissen, eh sie's zehnte Jahr erreichen,
Bescheid schon im Sanskrit und Sprachvergleichen.

Von selbst verstand sich ja das Lesen, Schreiben,
Das Rechnen nebenbei. Geographie
Lernt unterwegs man gut. Geschichte treiben
Kann man an jedem Ort, der irgendwie
Historisch ist. Auch ließ man das nicht bleiben,
Und lernte, was Bedeutung ihm verlieh.
Die Herrlein wußten viel in jungen Jahren,
Nur nicht, was andre Kinder sonst erfahren.

[33] Sie blieben doch sich selber überlassen
Die meiste Seit, denn ganze Tage saß
In Studiensälen unter Büchermassen
Der Alte forschend. Da er sie vergaß,
So suchten sie die Welt für sich zu fassen
Und liefen ihren Weg, wie Neugier, Spaß,
Wie frühgeweckter Wissenstrieb sie lockte,
Selbstbildnerisch, wo die Erziehung stockte.

In Rom, durch Kirchen, Galerien, Museen,
Ging oft ihr Weg. Sie liefen eben mit,
Sahn sie die Leute kommen, drängen, gehen,
Sie huschten auch hindurch mit leichtem Schritt.
Sie sahn begierig, ohne zu verstehen.
Man kannt' auch sie, und da man gern sie litt,
Die zum Verwechseln Gleichen, scheu wie Schwalben,
Zutraulich selten, grüßt man allenthalben.

Hier war's, in Rom, in den Antikensälen,
Wo in Ascan, der eben fünfzehn Jahr',
Der Trieb zur Kunst erwacht, und sie zu wählen
Als Lebenswerk ward plötzlich in ihm klar.
Cesario freut sich mit ihm. Sie erzählen
Dem Vater dieses Glück. Der aber war
Nicht solcher Ansicht, kann sie nicht verstehen,
Zumal die Reise soll nach England gehen.

[34] Und zwar schon morgen früh. Denn auf der Fährte
Nach einem Werk (in London mußt' es sein)
Zu neuer Forschung weiß sich der Gelehrte.
Die Kinder dringen bittend auf ihn ein,
Doch Thorheit scheint ihm, daß Ascan begehrte
In Rom zu bleiben, sich der Kunst zu weihn.
Schnell aufgepackt! Die Bücher mögt ihr tragen!
Sanskrit getrieben wird im Reisewagen!

So ging es fort. Und so in noch zwei Jahren
Faßt es den Alten an mit Reisewut.
Man lebt wie auf der Flucht; man kommt gefahren,
Packt gar nicht aus, besucht ein Institut
Gelehrter Art, fährt ab. Da offenbaren
Sich Spuren, daß ein Schriftenkonvolut
Im Staatsarchiv der Dogenstadt noch ledig
Genauer Prüfung. Auf! und nach Venedig!

Der Forscher sitzt in Pergament versunken,
Die Kinder nehmen, was sich bietet, hin,
Und da geweckt schon des Erkennens Funken,
Gereift zur Größ' und Schönheit jetzt ihr Sinn,
Durchschwelgen sie die Tage freudetrunken;
Ein jeder ist Erhebung, ist Gewinn.
Und wonnig war's, wenn sie die Wasserstraßen
In offner Barke früh und spät durchmaßen.

[35] Da kehren sie zurück einst durch viel krause
Kanälchen, als man ihren Vater tot,
Vom Schlaganfall getroffen, bringt nach Hause.
Gewandelt war das Glück in bittre Not,
Und ratlos weinten sie in ihrer Klause.
Sie nahmen gern die Hülfe, die man bot,
Den Fremden, die nicht Haus noch Freunde hatten,
Um ihn nach Landessitte zu bestatten.

Ob unerfahren, galt es sich zu fassen,
Jetzt fester nur einander zugesellt.
Doch was beginnen, um sich anzupassen
Den tausendfachen Fordrungen der Welt?
Sie waren fremd in allen Lebensklassen
Daheim und draußen, auf sich selbst gestellt.
Gewandtheit freilich hatten sie auf Reisen,
Und Mut, sich rasch den eignen Weg zu weisen.

Daß frei Ascan jetzt, um der Kunst zu leben,
Stand beiden fest. Doch in Italien nicht,
In Deutschland sollt' es bessre Meister geben,
So hörten sie, und Namen von Gewicht.
Denn längst im stillen war es ihr Bestreben,
Sich zu erlauschen kundigen Bericht.
Schnell galt es nun, zur Elbstadt zu gelangen
Und dort ein neues Leben anzufangen.

[36] Die Mittel aber flossen nur noch spärlich.
Denn was gereicht wohl für bemessnen Plan,
Dreifach erfordert, zehnfach, war es jährlich
Und sinnlos bis auf kleinen Rest verthan.
Das Handelshaus in Frankfurt legt es klärlich
In Zahlen dar: Cesario und Ascan
Vermochten, nur mit mancherlei Entbehren,
Ein Jahr noch etwa von dem Rest zu zehren.

Sie nahmen's leicht. Wie sollt' es denn nicht glücken?
Zwar einen Wunsch, genährt seit langer Zeit,
Im stillen mußte Fides unterdrücken:
Zu zeigen endlich sich im Frauenkleid.
Allein zu teuer war's in allen Stücken,
Und so bezwang sie noch den innern Streit.
Sie hoffte, war Ascan nur erst geborgen
Für seine Kunst, schon für sich selbst zu sorgen.

Erzogen war sie nicht, um auf Verschönung
Zu denken, oder Schmuck nach Frauenart,
Viel eher zu des Modetands Verhöhnung.
So mocht es gehn auch noch auf dieser Fahrt.
Vorhanden war einmal, wie die Gewöhnung,
Ihr Anzug, mit dem Bruder gleichgepaart,
Zwiefach sogar, für Wochentage einer,
Und für den Sonntag ein besonders feiner.

[37] Und so nach Dresden waren sie gekommen
Vor kurzer Seit. Allein Ascan sah bald
Der schönen Hoffnung Funken schon verglommen.
Bei all dem Reisen ohne Aufenthalt
War jede Zeit zur Uebung ihm genommen,
Ja dem Versuchen selbst geschah Gewalt.
Man lacht den Armen aus für sein Erdreisten,
Erst mög' er Proben des Talentes leisten!

So gab er sich verzweifelnd in die Lehre
Des Handwerks. Besser war's, als Müßiggang.
Cesario trug mit ihm die ganze Schwere
Des Druckes, doch nicht um die Zukunft bang.
Und daß er nicht der Aussicht ganz entbehre,
Sagt ihm sein Meister, da ihm bald gelang,
Durch mancherlei Gebild aus Mußestunden
Sein künstlerisches Ringen zu bekunden.

So war's bis heut'. Es lauscht dem Lebensgange
Des jungen Paares Ulrich tief berührt.
Wahrheit und Unschuld hat aus jedem Klange
Des Worts, der Wechselreden er gespürt.
Er dankt dem Tag in seinem Herzensdrange,
Der Glück und schöne Sorg' ihm zugeführt,
Er dankt auch ihnen, heißt sie mit Vertrauen
Zu Schutz und Freundenspflichten auf ihn bauen.

[38] »Und so laßt uns den Tag, der uns verbindet,«
So spricht er, »feiern, einfach aber froh!
Ich weiß ein Mühlenthal, wo man verschwindet
Vor allem Sonntagslärmen und Halloh.
Gehn wir zum Fluß, wo sich ein Nachen findet,
Der hin uns trägt! Was sagt Cesario?«
Ascan springt auf, von Freud und Lust getragen,
Cesario, lächelnd, will es nicht versagen.


[39]

IV.

Von diesem Tag an, glücklich und beschämend,
Will Fides nicht Cesario mehr sein.
Wenn sie bisher, den innern Wunsch bezähmend,
Die Tracht Ascans behielt, ist ihr zur Pein
Die Hülle jetzt, jedweden Vorsatz lähmend,
Und einz'ger Trieb, von ihr sich zu befrein.
Unmöglich ist's, sie hat es längst erfahren,
Zu bergen sich darin und zu bewahren.

Das ging wohl noch im ruhelosen Hetzen
Der letzten Jahre, wechselnd Ort um Ort.
Und wollt' ein Auge forschend sie verletzen,
Am andern Tage war man wieder fort.
Hier will sie jeder Tag in Furcht versetzen,
Sie bebt erschreckt zurück vor jedem Wort.
Im stillen hat, seit sie sich hier befanden,
Sie von der Welt ein bittres Teil verstanden.

[40] Am tiefsten fühlt sie doch ein innres Trauern,
Daß Ulrich sie gesehn in solcher Tracht.
Ihr war's, als ob sein Auge mit Bedauern
Auf ihr geruht, obgleich er mit Bedacht
Sich arglos gab. Und sie erkennt mit Schauern,
Daß längst ein fremd Gefühl in ihr erwacht,
Ein Wehgefühl, das sie seit jenem Tage
Bestürmt im Ueberschauen ihrer Lage.

Sie redet mit dem Bruder. Einverstanden
Ist er mit ihrer Wandlung, ging' auch gleich
Auf einmal drauf, was noch an Gut vorhanden!
Des Jünglings Herz ist jetzt so überreich,
Seit vor dem Freund die Heimlichkeiten schwanden!
Fortan spielt ihm die Hoffnung keinen Streich,
Er fühlt's! Und will er selbst sein Glück empfangen,
Soll Fides auch zu ihrem Recht gelangen. –

Auch Ulrich ist, seitdem er mit den Kindern
Den Sommertag verlebt in Wald und Thal,
Oft in Gedanken, die ihn fast verhindern
Zu lesen, was ein Brief begehrt, empfahl,
Ob Werte steigen oder sich vermindern.
Er ruft zur Ordnung sich wohl zwanzigmal
Am Tag, und giebt der Stimme doch Erhörung,
Die ernster spricht als leichte Selbstbethörung.

[41] Vor Augen immer stehn ihm die Gestalten
Ascans, Cesarios, durch Despotenmacht
Der Unvernunft, der keine Rechte galten,
Um Kindheit und um Jugendglück gebracht!
Wie konnten sie harmonisch sich entfalten,
Entbehrend, was mit sorglichem Bedacht
Erziehung, Haus und Heimat vorbereitet,
Durch aller Regel Widerspruch geleitet?

Sie hatten Herzenssprache nicht empfangen,
Als durch einander; kreisend durch die Welt
An viel des Großen hatt' ihr Blick gehangen;
Doch wie des Lebens engster Kreis bestellt,
Ersahn sie mit Verwunderung und Bangen,
Nun alles anders sich dem Aug' erhellt.
Ulrich erfuhr's aus Fragen, Blicken – Schweigen,
Wie fremd sie im Alltäglichen sich zeigen.

Er sah, wie hier Natur in Eins verwoben
Die schönsten Gaben, um in Form und Geist
Als rein und unantastbar zu erproben
Die Kraft, die still den eignen Weg sich weist,
Jedwedem Niedren innerlich enthoben.
Er sah's bewundernd; sah zugleich verwaist
Und haltlos sie durch Lebenswogen steuern,
Die täglich ihren Widerstand erneuern.

[42] Vor allem darf nicht länger die Verkleidung
Cesarios dauern! Doch Gefahr auch bringt
Die Wandlung, selbst wenn still und mit Vermeidung
Zu raschen, offnen Wechsels sie gelingt!
Wer aber wär' befugt hier zur Entscheidung?
Als Freund wohl möcht' er's, thät' es unbedingt –
Allein er weiß, daß selbst ein Wunsch gefährlich!
Ascan verriet, warum die Tracht erklärlich.

Er möchte helfen, doch wie dürft' er's wagen?
Zwar mit Ascan –! Allein Cesarios Art
Zu blicken, schien von innrem Stolz zu sagen,
Und Ulrich dacht' in diesem Punkte zart.
Und so auch hat bis heut er Scheu getragen
(Obgleich Ascan auch dies ihm offenbart),
Die beiden Kämmerchen zu sehn, die ihnen
Vier Stock hoch, unterm Dach, zur Wohnung dienen.

Und Sorg' und Wut zugleich will ihn ergreifen,
Denkt er an Guidos Späherblick! Es muß
Ein Plan zur Wahrung für Cesario reifen!
Unleidlich wird die Sorge, wird Verdruß
Und der Gedanken ruheloses Schweifen!
Er faßt, nach manchem Zaudern, den Entschluß –
Es gilt ja kein Geheimnis hier zu brechen,
Sich seiner Schwester offen auszusprechen.

[43] Inzwischen hatte still Frau Rosamunde
Den Bruder schon betrachtet manchen Tag.
Was ging denn vor? Ob ihm im Herzensgrunde
verhüllt wohl eine schöne Neigung lag?
Und als er anhub nun zu guter Stunde:
»Hör an, was ich nicht länger bergen mag –«
Blickt sie ihn an mit lächelndem Erwarten
Und sieht im Geist schon die Verlobungskarten.

Doch sehr enttäuscht ist sie, fast ungehalten,
Durch die Geschichte, die sie da empfing!
Sie zweifelt sehr an Idealgestalten –
Ein Mädchen, das in Männerkleidern ging!
Sie war nicht prüde, ließ so manches schalten
Und gehn, was wunderlich zusammenhing,
Allein sie blickte scharf, und nicht geheuer
Schien ihr des Bruders Herzensabenteuer.

Daß seine Schutzbefohlnen durch Verschlingung
Des Schicksals hier getrieben auf den Strand,
Fast Kinder noch – man wünschte zur Bedingung
Für gutes Zutraun doch ein bessres Pfand!
Und gar zu dieser Fremden Unterbringung!
Und endlich, zwischen siebzehn, achtzehn stand
Ihr Lebensalter! Weß sich schon beflissen
Zwei so erwachsne Kinder – wer kann wissen –?

[44] Doch Ulrich unterbricht sie, mit dem vollen
Gefühl der Ueberzeugung, ja mit Glut
Vertritt er sie, die ihm gehören sollen,
Ja, ihm allein! – Frau Rosamunde thut,
Als wär' es nicht so ernst mit ihrem Schmollen,
Und ruft begütigend! »Nun gut, nun gut!
Bis morgen werden sie uns nicht entfliehen,
Wir wollen Guntram auch zu Rate ziehen!«

So war denn Ulrich eigentlich nicht weiter
Gediehn, ja, mehr noch sorglich, denn zuvor.
Und was er jetzt erfuhr, war auch nicht heiter,
So daß er etwas die Geduld verlor.
Abreisen muß er wiederum, als Streiter,
Den für verzwickten Fall man auserkor.
Man ahnt nicht, giebt man ihm Vertraun und Ehre,
Daß er sich heut den Teufel darum schere!

Denn im Kurierzug, sonder Abschied, nächtlich
Geht's fort. Der Schwester, unterwegs schon, schreibt
Er kurz (obgleich's im Fahren kaum ermächtlich),
Wohin und welches Wegs der Wind ihn treibt,
Und daß er für acht Tage sich beträchtlich
Den Rechtsbeflissnen wieder einverleibt.
Auch muß noch, um die Fahrt ihm zu versüßen,
Cesario und Ascan ein Kärtchen grüßen. –

[45] Derweil vermindert, trotz der Julihitze,
Sich nicht die Reisevölkerwanderung,
Geführt bald, bald vertrauend eignem Witze,
Beim Sprachenallerlei von Alt und Jung;
Indes nach einem kühlen Sommersitze
Der Eingebornen mancher auf dem Sprung,
Wenn er nicht längst die heiße Stadt verlassen,
Für ein Asyl in Wald und Bergterrassen.

Doch wer der Stadt verbleibt, um auszudauern,
Weil ihm das Glück ein solch Asyl verwehrt,
Tritt er lustwandelnd nur aus seinen Mauern,
Ist seinem Blick Gebirg und Strom beschert.
Und will das bunte Treiben er belauern,
Das auf der Brüstung täglich sich erneut,
Wo Vetter Sehrdumm grüßt Cousine Sehrreich,
Wird jede Stunde für den Klugen lehrreich.

Und so auch sieht man durch die Menge steuern
Herrn Guido, regsam prüfend Tag für Tag.
Wenn seinen Sommer sonst mit Abenteuern
Er meist in Bädern zu verbringen pflag,
Scheint Reiselust ihn noch nicht zu befeuern.
Er will ja fort, versteht sich, ohne Frag'!
Allein nicht Helgoland, nicht Baden-Baden
Läuft ihm davon. Ein Aufschub kann nicht schaden.

[46] Doch hier scheint etwas ihm davon zu laufen,
Ganz unverständlich! Was er aufgespürt
Einst in der Maientage Regentraufen,
Hat es der Sommer wirklich ihm entführt?
Nein! Nein! Es ist noch da! Im dichtsten Haufen
Des Pavillon-Konzertes eingeschnürt,
So saß er jüngst und sah – o dies verfluchte
Konzert! – durchs Fenster draußen, was er suchte.

Es ist noch da! Und jetzt will er es finden!
Er muß es! Wär' es auch, um Ulrich nur,
Den Zweifler, endlich doch zu überwinden!
Den Heuchler auch vielleicht, der längst die Spur
Gekannt, um ungehindert anzubinden!
Das stand jetzt über jeder Sommerkur,
Es ward zur Ehrensache! Hier nicht siegen,
Das hieß, als Kenner überhaupt erliegen!

So war denn all sein Tagewerk, die Gruppen
Nah zu betrachten, jegliche Gestalt,
Vom Knaben aufwärts, wachsam zu beschnuppen,
Und wo die Menge sich zusammenballt
Zu mustern, was daraus sich will entpuppen.
So mußt' er Wege gehen mannigfalt,
Und plagt mit seiner Arbeit sich wie sinnlos,
Wiewohl bisher war sein Bemühn gewinnlos. –

[42] Aus einer Woche wurden vierzehn Tage,
Ja drüber, als sich Ulrich, wie erlöst,
Der Heimkehr freut mit lauterm Herzensschlage.
Und da ihm Hoffnung schmeichelnd eingeflößt,
Mit Glück zu wenden jetzt der Kinder Lage,
So fühlt er, daß er nun nicht mehr verstößt,
Wenn er sogleich, sich selbst auch zur Belohnung,
Sie aufzusuchen wagt in ihrer Wohnung.

Ein finstres Gäßchen war's, im ältsten Teile
Der Stadt, wo es der engen Treppen vier
Zu klimmen galt. Und doch mit einer Eile,
Als wär's auf eben fröhlichem Revier,
Stieg er hinauf. Dann sucht er eine Weile
Nach einer Thür und pocht. »Wer ist allhier?«
So ruft's. Ein altes Weib tritt aus der Klause.
»Verzeihung! Sind die jungen Herrn zu Hause?«

»Gehn mich nichts an!« erwidert ungewogen
Und finsterblickend die Bewohnerin.
»Da drüben wohnten sie. Sind ausgezogen
Vor vierzehn Tagen schon. Weiß nicht wohin.«
Doch Ulrich, um das Wiedersehn betrogen,
Erschrickt, und gar nicht will es ihm zu Sinn,
Was sie vermocht – obgleich es ohne Frage
Nicht sehr behaglich hier im Taubenschlage.

[48] Noch einmal fragt er, doch er muß erkennen,
Daß sein Erkund'gen wenig Gunst genoß.
Zumal am Herd schien etwas anzubrennen,
Da mit Gezisch ein Töpfchen überfloß.
Er sieht zum Herd die Mißgelaunte rennen.
»Der Wirt, ein Seiler, wohnt im Erdgeschoß!«
So ruft sie. »Ob sie der hinaus gezwungen –
Kann sein! Was kümmern mich die dummen Jungen?«

Der Seiler zeigt sich auch nicht unterrichtet.
Die Burschen zogen aus, bezahlten auch.
Zu fernrem Anteil ist er nicht verpflichtet,
Zumal das Ausziehn oben sehr in Brauch,
Da schnell man auf den Sommer hier verzichtet,
Und, wer's vermag, auf Winters Kält' und Rauch.
Ulrich verläßt das Haus, in Groll und Jammer,
Daß Fides einst gewohnt in solcher Kammer!

Und hastig fühlt er weiter sich getrieben,
Auskunft zu suchen beim Mechanikus.
Der wird doch wissen, wo Ascan geblieben!
Umsonst der Weg! Für Ulrich welch Verdruß,
Daß sich der Mann beim Wette-Kegelschieben
(Ein Hammel war der Preis) befinden muß
Mit Weib und Kind. Die Magd vertrat die Meinung,
Man wisse nichts, gelöst sei die Vereinung.

[40] Was ist, um Gotteswillen, vorgefallen?
Zur Gartenwirtschaft, wo der Kegelschub
Zum Kampfe lockt, entschließt er sich zu wallen.
Und wie er sich mit hast'gem Schritt enthub,
Bedrängt, da um Cesario vor allen
Die Sorge tiefer sich ins Herz ihm grub,
Kann, da die Schwester er noch nicht gesehen,
An Guntrams Haus' er nicht vorüber gehen.

Ein kurz Willkommen nur! Doch was bedeuten
Geschlossne Fensterladen um das Haus?
Er schellt und schellt, und lange muß er läuten.
Ist es denn leer bis auf die letzte Maus?
Bis endlich, da wie Sturm die Glocken dräuten,
Beugt sich mit Seelenruh ein Kopf heraus,
Und lächelnd grüßt ihn unter ihrer Haube
Die alte Kinderfrau, die äußerst taube.

Er selbst war unter ihrer Mühewaltung
Erwachsen einst, ja Rosamunde schon,
Und jetzt genoß in Guntrams Hausentfaltung
Für treue Dienste sie den Gnadenlohn.
Daß sich mit dieser keine Unterhaltung
Anstimmen ließ, wenn nicht mit Donnerton
Den ganzen Platz bestürmen will der Frager,
Erseufzend still bedacht' es Guntrams Schwager.

[50] So mußt' er ihr geduldig überlassen,
Was sie ihm mitzuteilen gut befand.
Und kurz, bis auf die Hof- und Hintersassen
Und sie, das ganze Haus verlassen stand.
Denn ihrer Herrschaft thät' es grade passen,
Die Wohnung zu beziehn, die auf dem Land
Sich plötzlich bot, und schnell entschlossen waren
Vor einer Woche sie dahin gefahren.

Denn immer liebte sehr Frau Rosamunde –
Und für die Kinder lag's so hübsch im Frei'n,
Das abgelegene Haus im Mühlengrunde.
Der Herr Professor aber blieb allein
Zurück, weil er zu thun hat. Vor 'ner Stunde
Jedoch, es können anderthalb auch sein,
Macht' er sich auch hinaus, zum Wochenschließen,
Den Sonntag mit den Seinen zu genießen.

Das war nun dieses! Ulrich spannt die Segel
Der Hoffnung, die noch ganz ihm nicht verdirbt,
Nach jener Wirtschaft, wo im Kampf der Kegel
Man froh sich um den Hammelpreis bewirbt.
Ist solch Lokal auch außer aller Regel
Für ihn, so will er, eh' der Tag erstirbt,
Durch den Mechanikus von dem Verschwinden
Cesarios und Ascans die Spur noch finden.

[51] Weit ist der Weg. Ging er auch wohl den richtigen?
Spät kommt er an. Der Garten – öd und leer!
Und unschön war die Stätte zu besichtigen,
Auf der kein Kämpfer, kein Beschauer mehr.
Der Kellner tröstet ihn auf des gewichtigen
Bewerbungstages bald'ge Wiederkehr!
Doch Ulrich wendet sich, um, an Gedanken
Und Leib erschöpft, zur Stadt zurück zu wanken.


[52]

V.

Und wieder Sonntag war's, und auch, wie immer,
Erhob sich Ulrich früh. Doch was zu Nacht
Ihn quält' und seit der Sterne letztem Schimmer
In Sorgen hält, ist auch mit ihm erwacht.
Er überlegt. Da – springt Ascan ins Zimmer
Und ruft, zu Freudenjubel angefacht:
»Ach, Sie sind endlich da! Wie oft am Tage
Verklang hier sonder Antwort meine Frage!«

Und Ulrich atmet auf. Nun galt's zu lauschen
Dem Redestrom, in dem Ascan erzählt,
Zuerst sich mit an seinem Glück berauschen,
Daß Guntram ihn zum Schüler auserwählt.
Cesario dann – nein, nein, den Namen tauschen
Sie jetzt, mit dem sich Fides lang' gequält,
Die Guten, Edlen – Ulrich hört's beklommen –
In deren Haus jetzt Fides aufgenommen!

[55] »Wer? Was für Leute? Wo?« Den Atem stocken
Fühlt Ulrich. »Aufgenommen? Seid ihr toll?«
Allein Ascan entgegnet mit Frohlocken:
»Frau Rosamund' und Guntram!« Das erscholl
Wie ein Versöhnungsruf, wie Sonntagsglocken!
Und Ulrich dankt den Seinen liebevoll.
Doch muß er, horchend, noch auf viel verzichten,
Denn sehr im Zickzack geht Ascans Berichten:

»Die große Stunde war's, da Fides eben
Ihr Mädchenkleid zum erstenmale trug;
Ich stand bewundernd, denn in meinem Leben.
Sah ich sie so nicht! Und ihr selber schlug
Das Herz, ich merkt' es wohl, in Freudebeben.
Ein Trauerkleid nur, aber hübsch genug!
Doch trotz der Freude mußte sie gestehen,
Sie ängstigte sich fast, drin auszugehen.

Da pocht es an die Thür. In unsern Zellen
Besuch? Erstaunlich! Doch wie Sonnenlicht
Kam's über uns mit plötzlichem Erhellen!
Zugleich mit Schreck! Die Dame brauchte nicht
Sich als Herrn Ulrichs Schwester vorzustellen,
Von fern schon kannten wir dies Angesicht.
Doch Fides konnt' ihr Kleid nun doppelt segnen,
Dem hohen Gast als Mädchen zu begegnen!

[54] Frau Rosamunde selbst! Und gütig sagte
Sie bald, sie wünschte zur Gesellschaft sehr
Ein junges Mädchen sich. Vielleicht behagte
In ihrem Hause Fides der Verkehr?
Sie sprach so lieb, als ob sie kaum es wagte,
Als ob für Fides solch ein Wechsel schwer!
Doch die, vor Überraschung ganz benommen,
Besann sich gar nicht, gleich mit ihr zu kommen.

Und oh, das Glück! Auch ich war nicht vergessen!
Daß eine Prüfung ich bestehen sollt',
In Meister Guntrams Werkstatt unterdessen,
Sie sagt' es mir, und was ich je gewollt,
Ich darf's nun werden, freudig ohn' Ermessen!
Ein neues Dasein hat sich uns entrollt!
Fides, mit Thränen zwar, verließ die Schwelle
Und kehrte nicht zurück zur Bodenzelle.

Nun mit Frau Rosamunden auf dem Lande
Ist sie ein Mädchen ganz – Sie werden sehn
Ich mußte drauf Cesarios Gewande,
Die jetzt ihr so verhaßt, zum Bündel drehn,
Und, daß für alle Zeit die Konterbande
Nun abgethan, damit zum Trödler gehn.
Sie hat, seit diesen Zwang sie überwunden,
Ins Leben freudiger sich schon gefunden.

[55] Heut aber soll ein Wiedersehn uns glücken
Im Mühlenthal! Es ist mein Sonntagsziel.
O gehn Sie mit!« Und Ulrich mit Entzücken
Springt auf, und da's in der Gedanken Spiel
Ihn drängt, ein Etwas an die Brust zu drücken,
So war's Ascan, der ihm zum Opfer fiel.
Gerüstet sind sie schnell und schreiten munter
In guter Stunde noch zum Schiff hinunter.

»Doch sag –!« spricht Ulrich unterwegs: »Seit Wochen
Verließest du die Kammer unterm Dach –
Wohin hast Du Dich, Sausewind, verkrochen?«
– »Oh, leichtlich fand ich Futteral und Fach,
Seit Guntrams Werkstatt ich bin zugesprochen!
Ein Kamerad nahm mich in sein Gemach.
Der Meister selbst beriet, das anzuknüpfen,
Und wär's auch nur zum ersten Unterschlüpfen.«

Die Freunde gehn zu Schiff, das dampfgetrieben
Stromab die Wogen teilt, behend und glatt.
Im Morgenduft ist schon zurückgeblieben,
Ein fernes Bild, die schöngetürmte Stadt,
Doch vorwärts tauchen Bügel, fein umschrieben,
Und Berg' empor, noch nebelfarbenmatt,
Bis prächtig groß sich Bild um Bild entschleiert,
Drin Aug' und Herz die Sonntagsfrühe feiert.

[56] Ein Kahn vom Ufer, tanzend auf den Fluten,
Empfängt die Freund' und bringt ans Land sie bald.
Durch Ährenfelder, die in Sommergluten
Zur Ernte reifen, Gärten mannigfalt,
Dorfstraßen, die in tiefster Stille ruhten,
Zieht sich der Weg zum schattenkühlen Wald,
Aus dem der Bach, befreit vom Widerstande,
Sich schäumend niederstürzt zum ebnen Lande.

Sie aber gehn den Pfad, den er verlassen,
Durch Felsenkluft und mächtiges Gestein,
Das Riesenwurzeln klammerfest umfassen,
In kühler Feucht', indes der Sonnenschein
Noch oben spielt auf grünen Wipfelmassen.
In Lüften, im Geäst des Hähers Schrei'n,
Im tiefen Grund des Baches wild Gedröhne
Sind dieser Einsamkeit ureigne Töne.

Und höher, nie berührt von Rosseshufen
Noch Rädern, wendet sich der Weg hinan,
Mühsam und steil, bis über Felsenstufen
Das Dämmergrün zu lichten sich begann.
Ein Weg, für den nicht jeder Fuß berufen,
Doch wer's beherzt den Kräften abgewann,
Fühlt sich belohnt und sieht mit einemmale
Des Baches Windung tief im Mühlenthale.

[57] Die Wandrer eilten jetzt, hinabzusteigen
Zum bergumgebnen frischen Wiesengrund
Am Waldesrande unter Buchenzweigen.
Schon machen dumpf sich Mühlenräder kund,
Und Thalbewohner hier und da sich zeigen.
Da jubelt's plötzlich laut von Kindermund,
Und von dem Wegrain springen Ulrichs Neffen
Und Nichten, froh, die Gäste hier zu treffen.

Doch Ulrich steht versunken ganz in Schauen.
Ist's Fides, der Ascan entgegen eilt?
Im schwarzen Kleid, das Haar nach Art der Frauen,
So kraus es ist, gescheitelt und geteilt –
Wo blieb Cesario? Nur im dunkelblauen
Gestirn des Auges, in den Zügen weilt
Sein Abbild noch, doch sonst, in Wuchs und Haltung
Ein Mädchen ist's in reizender Gestaltung.

Errötend kommt sie näher. Doch entgegen
Geht Ulrich ihr und bietet ihr die Hand.
»Sie sehn verwandelt mich, und noch verlegen!«
Beginnt sie. »Macht mich glücklich dies Gewand,
Beglückt es mehr mich, daß des frühern wegen
Ein Freund mich nicht bezweifelt noch verkannt!
Ein schönres Dasein, fühl' ich, hat begonnen,
Seitdem Cesario wie ein Traum zerronnen!«

[58] So fühlt, wenn seine Chrysalidenschale
Der Schmetterling, das Sommerkind, zerbricht,
(Der Trauerfalter auch) zum erstenmale
Des Sonnenlebens überströmend Licht!
So wiegt er prüfend sich im Zauberstrahle
Und kennt der eignen Schönheit Zauber nicht!
– Dies dacht' Herr Ulrich, aber ließ verschwiegen
Und klug im Herzensgrund das Gleichnis liegen.

Nun aber setzt sich alles in Bewegung,
Die Kinder, Fides, Ulrich und Ascan,
Mit eingestandnen Hungers Morgenregung.
Guntram vernimmt von fern des Zuges Nahn,
Und von des stillen Platzes Dornumhegung
Eilt Rosamund, den Bruder zu umfahn
Und frohen Mutes ihres Amts zu warten
Am langen Frühstückstisch im Mühlengarten.

Und als man ausgeruht im heitern Kreise
Und wohlbefriedigt war durch Speis' und Trank,
Nahm Rosamund in still geschickter Weise
Des Bruders Arm, und lenkte zu der Bank
Im Buchenschatten einer Waldesschneise,
Um über viel, was sie vielleicht zu Dank
Ihm that bisher (vielleicht auch nicht), vernünftig
Zu reden und zu planen auch für künftig.

[59] Sie war für Fides schon mit Herz und Seele
Gewonnen und bereute den Verdacht.
Und da dem lieben Kind ein Vormund fehle,
So habe Guntram sich dazu gemacht.
Denn seit des Vaters Tode – sonder Hehle
Gestand sie's, hat kein Auge sie bewacht,
Als das Ascans, der nicht begreifen wollte,
Was ihr und ihm ein Vormund nützen sollte?

»Das wirst Du, hoff ich, ihm begreiflich machen!
Mein Töchterchen – das soll mir Fides sein,
Und Freundin auch – will ich bei mir bewachen,
Und Pflicht für sie und Sorge nenn ich mein!
Jedoch, mein Freund – so stehen nun die Sachen:
Wir sind im Haus schon sieben, groß und klein,
Mit Fides acht! dem neunten – Guntram hätte
Getrost auch ihm geboten Haus und Stätte!

Denn er ist sehr zufrieden mit dem Jungen
Und hat ein groß Talent in ihm erkannt.
Ich aber hab' mir von ihm ausbedungen,
Zu wenden mich zuerst an Deine Hand.
Du bist nur Einer! Viel ist Dir gelungen
Und wohlbefestigt des Besitzes Stand –
Sei Du sein Vormund! Übernimm die Pflichten!
Ich will erziehend auch nicht ganz verzichten.

[60] Denn dieses hab' ich noch hinzu zu fügen:
Sie haben nichts mehr! Gute Wirtschaft war
Zu lernen nicht auf ihren Wanderzügen.
Ascan hat mir bekannt, daß blank und bar
Die Kasse – ja, er sagt es mit Vergnügen!
Und Guntram lacht bei solchem Leichtsinn gar!
Nein, Ulrich, laß uns beide nach Gebühren
Im Sorgenschifflein jetzt das Steuer führen!«

Ulrich ergriff beglückt der Schwester Hände.
Mehr, mehr noch hätt' er gerne längst gethan!
Sie dacht' es auch, allein daß man am Ende
Sich besser in geordnet sichrer Bahn
Nach innen und nach außen hin befände.
Und so war schnell gefaßt Entschluß und Plan,
Damit, was etwa sich gestalten wollte,
Mit Anstand vor der Welt bestehen sollte. –

Ein Sommertag im Freien! Waldesschatten
Und Wiesenduft von frisch gemähtem Heu,
vergnügte Jugend, springend ohn' Ermatten,
Und Herzen ohne Rückhalt, ohne Scheu,
Und mitten drunter die beglückten Gatten:
Für Fides war das noch so wunderneu!
Und wunderbar auch deucht' ihr das Erscheinen
Des Freundes in dem heitren Kreis der Seinen.

[61] Seit jenem Tag, da aus dem Bildersaale
Sie und den Bruder Ulrich hergeführt,
Wie oft und gern verweilt' in diesem Thale
Ihr Denken, froh, und traurig doch berührt!
Damals Cesario noch, der vor dem Strahle
Des Tages Mädchenfurcht zuerst gespürt!
Erstaunt, am selben Orte mit Vertrauen
Frei mit den Freien um sich her zu schauen!

Ihm dankte sie's! Ihm, der zuerst verstanden
Zu schonen ihr Gemüt, auch unterm Trug,
Und dessen Lippen gute Rede fanden,
Beruhigend den angstgelähmten Flug!
Ihm dankte sie's, daß, jetzt befreit von Banden,
Ihr Herz getrost in Mädchenweise schlug!
So sah den Freund in ihm sie, ja, den ersten,
Für den ein würdig Dankeswort am schwersten.

Der schöne Tag ging, nur zu bald, zur Neige.
Die Männer sind des Heimwegs schon bedacht.
Doch nicht auf dem gewalt'gen Felsensteige,
Nein, übern Hügel, wo als gute Wacht
Der Weiser steht mit langem Fingerzeige.
Dahin geleiten, schon bei Sternenpracht,
Die Frauen sie zum letzten Abschiedsagen:
Auf glücklich Wiedersehen in acht Tagen!


[62]

VI.

Von Morgendunst noch war das Thal durchwoben,
Als Fides, früh erwacht in Jugendlust,
Dem Triebe folgt, von ihrem Fenster droben
Einmal zu singen recht aus voller Brust.
Es war wie ein beglückendes Erproben
Der Töne, die, ihr selbst noch unbewußt,
Zu Tage drängten und mit schönstem Klange
Hinwogten in getragenem Gesange.

Sie selbst war überrascht von dieser Kunde
Der innren Gabe, die in ihr geruht.
Und sehr erfreut vernahm auch Rosamunde,
Denn sie verstand sich drauf, der Töne Flut.
Sie lauscht dem Wohllaut, froh im Herzensgrunde,
Den Schatz zu bilden, der in ihrer Hut,
Und hofft, von Donizettis Opernklängen
Zu führen sie zu edleren Gesängen.

[63] Und Fides, freudig nun bestürmt mit Fragen,
Bekennt mit Lächeln: »Weiß ich selbst doch heut
Zum erstenmal von Sang und Klang zu sagen!
Denn als Cesario hätt' ich mich gescheut
Und durft' es, trotz des innern Triebs, nicht wagen.
Nur summen durft' ich leis, was mich erfreut.
Doch im Gehör blieb alles mir vollkommen,
Was ich, und wär's auch einmal nur, vernommen.

Das beste war's wohl nicht, was so im Fluge,
Wie wir's erhaschten, mein Gehör vernahm,
In Rom, Paris, auf stetem Reisezuge,
Niemals gewählt, nur wie es eben kam.
Doch hielt ich offnes Ohr auch, wenn ich kluge
Gespräche hört' und ›leerer Opernkram‹
Nur war, was gestern noch gefiel uns beiden.
Was half's uns, schlecht und gut zu unterscheiden?

In aller Kunst uns selber überlassen,
Nahm uns allein der Zufall in die Lehr'
Und irrt' uns oft im Lieben und im Hassen.
In Einem aber ward uns nach Begehr:
Denn früh schon durften wir das Glück erfassen
Der Wunderwelt des Shakespeare und Homer.
Das waren, immer nur in holder Blindheit
Durchschwelgt, die Märchenbücher unsrer Kindheit.

[64] Und wenn der Wagen auf den Eisenbahnen
Für viele Tag' oft unser Wohngemach,
Lebt' ich im Kriegszelt unter Heinrichs Fahnen,
Indes Ascan sich wohl den Kopf zerbrach,
Warum denn Hamlet, trotz des Geistes Mahnen
Nichts that, und so viel Monologe sprach?
Wir sind doch stets erfüllt davon gewesen,
Und gar die Odyssee war ganz zerlesen!

Dem Vater war das recht. Er nahm nicht Anstand
Zu lachen, wenn er hörte, daß zur Wahl
Für Knaben Shakespeare und Homer im Bann stand.
Ich kannte nicht, was man dafür empfahl.
Allein Ascan, der früh schon seinen Mann stand,
Verteidigte sein Buch mit scharfem Stahl.
Wir haben, wie man sonst uns auch erzogen,
Aus dieser Freiheit doch kein Gift gesogen.

Mir aber war's ein tröstlich Wiederfinden,
Sah ich Viola, Julia, Imogen,
Nerissa, Jessica, Porzia, Rosalinden
In Knabenkleidern, wie's auch mir geschehn,
Durch manche Fährlichkeit des Tags sich winden,
Konnt' ich auch oft ihr Denken nicht verstehn.
Und sah ich sie erlöst am Schluß der Handlung,
Hofft' ich für mich auch die Zurückverwandlung.«

[65] Frau Rosamunde freute sich unsäglich,
Wie Fides schöner, innerlicher nur
Sich ihr erschloß, und sie erkannte täglich
In großen Zügen echteste Natur.
Ihr Wesen schien dem höchsten Schwung verträglich,
Und wenn des Neuen sie so viel erfuhr,
Berührt Geringes auch sie freudeweckend,
Nur vor dem Kleinlichen steht sie erschreckend.

Zuweilen aber, wider ihr Verhoffen,
Stutzt Rosamunde. Zwar die Freundin zeigt
Ihr weibliches Empfinden rein und offen,
Allein ihr Denken und ihr Urteil steigt
Zum Ungewöhnlichen und steht betroffen,
Daß Frauenart zu andrem Sinne neigt.
Giebt's vor dem Großen, das sie unbefangen
Als groß erkannt, ein rätselhaftes Bangen?

Nach Männerart erzogen, unterrichtet,
Wähnt sie befremdet durch das andre Kleid
In ihrem Geist und Denken sich vernichtet.
Frau Rosamunde meidet jeden Streit,
Und fühlt sie gleich zur Mahnung sich verpflichtet,
So will sie nichts erzwingen vor der Zeit,
Vorbeugen nur mit mildernder Beschränkung
Des Vorwurfs und des Mißverstandes Kränkung.

[66] Von manchem Streit auch hatte zu genesen
Einst Rosamund', eh' sie sich selber fand.
Verwöhnt und früh entwickelt, galt ihr Wesen
Den Leuten allzufrei und überspannt.
Des reichen Hauses Kind, war sie erlesen,
Das Gut zu wahren durch ein gleiches Band,
Doch sie erkämpfte, standhaft ohn' Ermatten,
Den armen Künstler Guntram sich zum Gatten.

Der Fall war unerhört, und erst nach Jahren,
Da Guntram Lob erwarb und reichen Lohn,
Gestand man ein, daß sie nicht schlecht gefahren.
Sie selbst war glücklich. Daß in andern Ton
Zu stimmen war ihr Wollen und Gebahren,
Sie sah's in erster Zeit der Ehe schon,
Denn Guntram war ein Mann. Zu überwinden
Gab's viel, doch selig war das Ruhefinden.

So hofft die junge Freundin sie zu lenken
Mit kund'ger Hand, zu ihrem Besten nur.
Sie fand in Fides' innerem Versenken
Und Urteil stets die tiefere Natur:
Fremd in der Welt, zu Haus' im eignen Denken,
Im Kleinen bang, frei auf des Großen Spur;
Sie sah's, um täglich mehr mit seinen Gaben
Dies wunderbare Mädchen lieb zu haben.

[62] Und Sonntags, wenn die Männer dann erschienen,
Guntram, Ascan und Ulrich – jederzeit
Erstaunten sie, wie an Gestalt und Mienen
Fides erblüht, von Jugendglanz geweiht.
Sie war nicht scheu mehr, konnte lächelnd dienen,
Wenn Guntram neckend sie berief zum Streit.
Ulrich jedoch empfand es als Entbehrung,
Fand er für sich nur dankende Verehrung.

Vier schöne Wochen waren so vergangen,
Auf morgen früh die Heimkehr festgestellt.
Da widerstand nicht Fides dem Verlangen,
Noch jener Felsenschlucht geheime Welt
Einmal zu grüßen, die sie oft empfangen,
Wo unterm dämmrig grünen Buchenzelt
Die Einsamkeit, erhabner Wildheit Dauer,
Sie stets ergriff mit stillem Freudeschauer.

Frau Rosamunde wollte sie begleiten
Ein Stückchen nur hinunter, wo sich groß
Die Felsenwände um den Abgrund weiten.
Hier ruhten sie auf Steinen, grün von Moos,
Umschlossen von Geklüft auf allen Seiten.
Tief unten hörten sie des Bachs Getos,
Sahn um sich her des Farnkrauts schlanke Fächer
Und hoch hinauf der Buchenwipfel Dächer.

[68] »Du hast doch, Kind, schon Größeres gesehen!«
Begann die Freundin: »Südliche Natur,
Das Meer, Italiens Berg' und blaue Seen.«
Und Fides drauf: »Ich sah's von Ferne nur
Mit Kinderaugen, ohne zu verstehen.
Und als wir selbst der Schönheit auf der Spur,
Vom Dampf getrieben, sahn wir und ersehnten
Umsonst die Lande, die sich vor uns dehnten!

Das flog dahin an mir wie all die Jahre,
Da ich Cesario hieß! Das ist nun aus!
Hier blick' ich, wie ich neu so viel erfahre,
Auch der Natur zuerst ins eigne Haus;
Bewundernd, was sie auch mir offenbare,
Den schönen Frieden, oder Kampf und Strauß.
Und wie ich selbst gekämpft in Lieb' und Hassen,
Will das Gewalt'ge noch mich mehr erfassen!

Allein verzweifle nicht an mir! Mein Leben
Ist Dein! Die Mutter, die ich nie gekannt,
Ist nun in meiner Freundin mir gegeben.
Und ich vertraue mich in ihre Hand!
Belehre mich – und schilt mich auch daneben!
Du liebst mich ja, Du hast mich Kind genannt –«
Sie stockt, und liegt, von Thränenmacht bezwungen,
Still weinend, von der Freundin Arm umschlungen.

[69] Beruhigt drauf und plaudernd sitzen beide,
Wie Kind und Mutter, Arm in Arm. Da lacht
Es über ihnen durch Gebüsch der Haide –
Ist es ein Kobold aus des Berges Schacht?
Doch größeren Schrecken hätt' im Koboldkleide
Ein Wesen Rosamunden nicht gebracht.
Sie sieht den wildesten von ihren Jungen,
Der, trotz Verbotes, ihnen nachgesprungen.

Sie ruft ihm angstvoll. Nieder rutscht er gleitend.
Ein Sprung noch. Doch zu hoch! Er überschlägt
Sich selber, fehlt den schmalen Pfad, der leitend
Von steiler Felsenwandung abgeschrägt;
Er stürzt, sich tödliche Gefahr bereitend,
Hinunter, wo Gebüsch noch halb ihn trägt,
Und schwindet in des Abgrunds Wipfelzweigen.
Die Mutter sieht's – ein Schrei! Dann starres Schweigen.

Doch Fides fliegt hinab die Felsenstufen
Des Weges. Eine Lichtung dort! Sie läßt
Hinab sich am Gestrüpp. Die Dornen schufen
Ihr Wunden. Stamm und hangendes Geäst
Dient ihr zum Niederklimmen. Lautes Rufen
Giebt sie der Luft, und durch das Dickicht preßt
Den Leib sie, gleitend mit Geröll und Steinen.
Da hört sie über sich ein jammernd Weinen.

[70] Er lebt! Hinauf denn! Ein gefährlich Klettern
Von Block zu Block! Von Wunden nicht verschont,
Ein Fehltritt kann, ein Wanken sie zerschmettern.
Sie folgt dem Laut. Dort, wo die Buche thront
Am Vorsprung, schlank, ein breiter Schirm von Blättern.
Dort kam es her! Ihr Mühen scheint belohnt,
Schon näher klingt's. Allein dahin zu dringen,
Auf weitem Umweg kann es nur gelingen.

Der Mut verläßt sie nicht. Den Schmerz der Wunden
Vergißt sie tapfer. Fast des Atems bar
Frohlockt sie: Der Verlorne ist gefunden:
Der Knabe lebt! Durch welke Blätter war
Und Moos, die dicht den Buchenstamm umrunden,
Gehemmt des wenig tiefen Falls Gefahr.
Und Fides ruft hinauf, die Stimm' erhebend:
»Er ist gerettet, und ich bring' ihn lebend!«

Allein, verstaucht am Fuße, war der Knabe
Des Wegs nicht mächtig. Fides hob die Last
Auf ihren Arm, um die ersehnte Habe
Hinauf zu tragen in der Freude Hast.
Doch gleitend, strauchelnd, mußte sie die Gabe
verzögern auf dem Weg durch manche Rast,
Bis endlich, weit vom Weg, den sie genommen,
Das Ziel des Felsenpfades war erklommen.

[71] Noch einen Ruf! Die Mutter fliegt mit Bangen
Der Kommenden entgegen. Fides bringt
In ihrem Arm das Kind, von Freud' empfangen.
Doch ihre Kraft ist hin. Und, wie sie ringt,
Erschöpfung, Ohnmacht zeigen Blick und Wangen,
Es wankt ihr Fuß, kaum daß es ihr gelingt
Zur Felsenwand, zum nächsten Stein zu kommen.
Dort sinkt sie hin, von Mattigkeit benommen.

Und Rosamunde schaudert beim Entdecken
Des Bildes, das die Retterin ihr bot:
Das Kleid zerfetzt, der Hände blut'ge Flecken,
Der Kraft Versagen und des Atems Not –
Den Knaben setzt sie nieder mit Erschrecken,
Und fängt, die selbst von mehr Gefahr bedroht,
In ihren Armen auf, um sie zu halten,
Der jetzt vor allem Dank und Sorge galten.

Doch Fides, nach minutenlangem Schweigen,
Beginnt mit Lächeln schon: »O, wie beschämt
Es mir das Herz, so schwach mich Dir zu zeigen!
Es ist vorbei, was mir die Kraft gelähmt.
Wo ist der Knabe? Laß hinauf uns steigen,
Den Wilden trag' ich, den die Angst gezähmt!«
Und willenskräftig hofft sie, wird es glücken,
Der eignen Wunden Schmerz zu unterdrücken.

[72] Doch wehrt die Freundin ihr. Den neu Geschenkten,
Sie trägt ihn selbst, den jetzt so stillen Wicht. –
Doch wie zur Mühle nun den Schritt sie lenkten,
Und wie darauf beim nächsten Tageslicht
Sich alle in die Wagenkissen senkten,
Und in der Stadt, mit welchem Angesicht
Die Männer sehr erschrocken sie empfingen:
Das wäre lang zu sagen und zu singen!

Die Sommerfreude schloß mit Niederlage.
Für kurze Seit nur. Bald war alles gut.
Doch Fides erntete von jenem Tage
Den höchsten Ruhm für ihren tapfern Mut.
Und ward ihr Dank und Lieb' in gleicher Wage.
Zu teil jetzt in der Freunde Sorg' und Hut,
So will beglückt in keinem Punkt verzichten
Des Hauses Tochter auf des Hauses Pflichten.


[73]

VII.

Nun war's August, und früher kam den Tagen
Die Dämmrung schon, als einst Ascan den Schritt
Nach Hause richtet von der Werkstatt Plagen.
Ja, Plagen! Denn verzweiflungswütig litt
Der Schüler oft schon an dem Unbehagen,
Beschert jedwedem, der um höchstes stritt.
Der Will' ist mächtig, aber zum Betrüben,
Daß sich die Hände nur so langsam üben!

Er soll den Kopf des Aeschines kopieren,
So will der Meister. Doch der Rednermund
Des Griechen macht ihn die Geduld verlieren,
Die Lust sogar. Denn lange war ihm kund,
Daß dieser Tückebold an Herz und Nieren,
Mit seines Vaterlandes Feind' im Bund,
Sich dem Demosthenes entgegensetzte
Und so zu dessen Tod das Messer wetzte.

[74] Und so, historisch-künstlerisch im Argen,
Geht er des Wegs – nun freilich, nicht um gleich
Sich in die schlimmste Stimmung einzusargen!
Da ist ihm in der Dämmerung Bereich,
Darin sich mehr und mehr die Dinge bargen,
Als ob ihm jemand auf den Fersen schleich'
Und näher bald, dann wieder etwas weiter
Zurück, ihm folg' als dauernder Begleiter.

Ascan hat gute Augen. Bald erkennen
Im Umriß sie Herrn Guido, den Baron.
Zwar denkt er garnicht ihm davon zu rennen,
Im Gegenteil, er wünscht ihm lange schon
Ein Siegel der Begegnung aufzubrennen;
Doch geht er seines Wegs. Will der Kujon
Etwas von ihm, im üblen oder guten,
So hatt' er Zeit genug seit zehn Minuten.

Doch kaum ist er in seinem Zimmer oben,
Da hört er's stolpern auf dem Treppengang,
Dann Pochen an der Thür. Hereingeschoben
Kommt etwas, das an seiner Stimme Klang
Ascan erkennt. »Wie reizend aufgehoben!
Da find' auch ich wohl freundlichen Empfang?«
Herr Guido spricht's. Ascan vernimmt's mit Schaudern.
Doch jener fährt vergnüglich fort zu plaudern:

[25] »Mein schönes Kind, daß Sie mir's schwierig machten,
Gesteh' ich! Doch Sie kennen mich nicht gut,
Wenn Sie vor mir sich zu verbergen dachten!
Die Perle, die in fremder Schale ruht,
Erkannt' ich gleich. Wir werden uns mitsachten
Verstehn, mein holdes Fräulein Uebermut!«
Mit solchem Wort, nicht sorglich ums Gelingen,
Will er die Beute seines Wahns umschlingen.

Da kommt ein Rückstoß. Ueber Guidos Wangen
Klatscht es vernehmlich, fühlbar links, und rechts.
Und eh' er sich bewußt, was er empfangen,
Sitzt schon ein Faustschlag männlichen Geschlechts
Auf seiner Nase, während mit Verlangen
Ascan gewärtig ferneren Gefechts.
Guido entsetzt sich, seine Nase blutet –
Solch eine Wendung kam ihm unvermutet.

»Was Teufel – sind Sie denn – ?« so stammelt bänglich
Herr Guido. Doch Ascan reißt auf die Thür
Und ruft, der Gastlichkeit heut' unzugänglich:
»Hinaus, Du Flederwisch! Sonst nach Gebühr
Belohn' ich Deinen Schleichweg überschwänglich!«
Und als Herr Guido zaudert für und für,
Weiß ihn Ascan am Kragen zu ergreifen
Und rüstig bis zur Trepp' hinauszuschleifen.

[76] Die steigt nun Guido, bis zum Tod verdrossen
Und tappend nieder, ohne Stock und Hut,
Von blut'ger Nase Spuren stark umflossen,
Indes Ascan, wie der Zufriedne thut,
Wenn Edles er vollendet und genossen,
Sich in das Fenster legt und freudig ruht.
Da sieht er Guido vor der Thür, und munter
Wirft er ihm grüßend Hut und Stock hinunter.

Ascan beschloß zu schweigen von der Sache.
Doch nicht so Guido, welcher polizeilich
Sofort zu ordnen wünschte seine Rache.
Das heißt: im ersten Augenblick; denn freilich –
Gefährlich plaudern konnte jener Drache!
Ihm selbst erschien sein Irrtum unverzeihlich!
Denn daß es zwei, die wechselnd ihn befangen,
Dem Kenner war's noch jetzt nicht aufgegangen.

Im Kreise des Barons erscholl die Kunde
Von einem schweren Fall, den er gethan.
Beträchtlich schwoll die Nas', auch ohne Wunde,
Doch fehlte ihm dafür ein Vorderzahn,
Und Grün und Gelb verbreitet in der Runde
Sich auf dem Antlitz. Niemand darf ihm nahn.
Der Diener wehrt den Eintritt jedem Frager.
Der Arzt allein, kopfschüttelnd, sitzt am Lager.

[77] Des Uebels Wurzel lag nach seiner Meinung
Nicht in der Nase, sondern im Gemüt.
Drum, wenn des fremden Farbenspiels Erscheinung
Nur erst in Guidos Zügen abgeblüht,
Soll in ein Bad er gehn, wo, in Vereinung
Von Heilkur und Gesellschaft, man bemüht,
Der Schwermut Qual, die lastende, zu bannen.
Bald reist denn auch der Leidende von dannen. –

In Meister Guntrams Haus drang keine Kunde
Von solchen Dingen. Hier war gute Zeit,
Wenn Fides, mit der Kinderschar im Bunde,
Zu Spiel und fröhlichem Gesang bereit.
Den Wildfang auch, den aus dem Felsengrunde
Sie trug, zu bänd'gen wußte sie Bescheid.
Er blieb der wildeste vom ganzen Rudel,
Doch folgt' er Fides wie ein treuer Pudel.

Das schwarze Kleid hat, durch der Freundin Willen,
Sie abgelegt und trägt sich modisch fein.
Und Rosamunde freut sich schon im stillen,
Sie bald auch der Gesellschaft einzureihn.
Weiß ihre Stimm' auch kunstgerecht zu drillen,
Denn sie versteht's, und sucht sie einzuweihn
In alles Schönste, Beste, voll Entzücken,
Daß alle Lehren ihr bei Fides glücken.

[78] Und auch die Männer (zwar kein Wort verlieren
Sie drüber in des Mädchens Gegenwart)
Bekennen sich bewundernd zu den Ihren.
Des Meisters Künstleraug' ist wie vernarrt
In Hoffnung, ihren Kopf zu modellieren,
Wozu er nur der günst'gen Stunde harrt.
Ascan sogar muß schweigend sich gestehen,
Ein schönres Mädchen hab' er nie gesehen!

Wie aber nun? Noch vor sechs Monden glichen
Sie zum Verwechseln sich? Nicht eitel war
Ascan. Die Zeit auch hatte viel gestrichen
Und umgebildet an dem Zwillingspaar.
Fides, seitdem Cesarios Kleid gewichen,
War jungfräulich entwickelt ganz und gar,
Indes Natur den Bruder hoch beglückte
Mit einem Bärtchen, das zu Tage rückte.

Doch er, der jeden ihrer Blicke buchte,
Herr Ulrich, blieb beinah im Hintergrund.
Zwar gab ihm Fides stets, wo er sie suchte,
Wie sehr sie ihn verehrte, offen kund;
Doch, ungeduldig, haßt' er die verfluchte
Verehrung in so mancher bittern Stund'
Und wünscht' in seines Innersten Bewegung
Ersatz dafür durch eine andre Regung.

[79] Und gar der Schwester mußt' er beinah grollen,
Die alles darauf anzulegen schien,
Statt Hilf' und Beifall seinem Wunsch zu zollen,
Ihr Pflegekind ihm möglichst zu entziehn.
Man schöpft im Hause Frohsinn aus dem Vollen,
Ihm ist, so scheint's, das Zusehn nur verliehn,
Ihm, der zuerst doch die Beziehung knüpfte,
Die seiner Hand nun mehr und mehr entschlüpfte.

Nun wurd' es gar im Haus ganz ungeheuer
vergnügt! Man sprach von Tanz und Winterball.
Doch Fides war in diesem Punkte scheuer,
Sie hatte nie getanzt. Auf jeden Fall
Zu lernen war's. Ascan, schon ganz in Feuer,
Bot sich zum Dienst bei den Geschäften all;
Und bald gewährt den Saal zur ersten Stunde
Den Jünglingen und Jungfraun Rosamunde.

Herr Ulrich sah's und ärgerte sich bitter –
Nicht über Fides, nicht der Tanzeslust;
Ihn ärgerten die jugendlichen Ritter,
Die sie ihm raubten, schon so selbstbewußt.
Oft saß im Dunklen er wie ein Gewitter
In seiner Ecke, Scheelsucht in der Brust –
Es blitzt beinah, sieht er im Kreis sie hasten
Mit Guntrams Schülern oder Gymnasiasten!

[80] Und doch, obgleich Verstimmung ihn umflorte,
War er zu jeder Stund' als erster da.
Die Schwester merkte, was in ihm rumorte,
Und lächelt nur. Doch als sie einst ersah,
Wie Langeweil und Unmut in ihm bohrte,
Begann sie: »Freund, der Kotillon ist nah!
Wenn Einer mich auffordern sollte, tanz ich.
So thu's doch auch! Du bist erst neunundzwanzig!«

Herr Ulrich fährt vom Sitz, und fliegt im Saale,
Auf Fides zu, und bittet um den Tanz.
Errötend, überrascht, zum erstenmale
Den Wunsch zu hören, spricht sie, Freude ganz:
»Wenn ich mit diesem seltnen Tänzer prahle,
Versteht mich wohl der ganze Mädchenkranz!
Zwar mit Ascan schon hab' ich mich versprochen,
Doch der mag sehn, wo anders anzupochen!«

Von dieser Stund' an zündet neue Lichter
In Ulrichs Brust die Hoffnung wieder an.
Wenn diese Lehrzeit fröhlicher Gesichter
Und flinker Beine nur zu schnell verrann,
So war ihm jetzt zu Mute wie dem Dichter,
Der eben frohgemut ein Werk begann.
Und wirklich fing auch Ulrich im geheimen
(Sein Zustand macht' es nötig) an zu reimen.

[81] Nur ganz für sich; es sollt' es niemand wissen.
Derweil begann der Winterfreuden Zug
Schon seine Feststandarten aufzuhissen:
Theater und Gesellschaft gab's genug.
Bei Guntram aber war man nicht beflissen
Zu huldigen dem ganzen Lug und Trug.
Hier war die Kunst das erste. Sonst'ge Freuden,
Man nahm sie wahr, doch ohne Selbstvergeuden.

– November war's. Ascan und Fides standen
Am Fenster. »Heute sind wir achtzehn Jahr'!«
Begann sie. »Welch ein Glück wir beide fanden,
Mir scheint es oft wie traumhaft, wunderbar!
Wie wir gekommen, fast um hier zu stranden,
Wie wir entzogen wurden der Gefahr,
Was wir geworden, ach – was wir gewesen!
Mir ist's, im Märchenbuch hätt' ich's gelesen!

Und welche Welt hat man uns hier erschlossen!
Haus und Familie, die wir nie gekannt!
Wir bringen nichts, und dennoch, unverdrossen,
Bringt man uns Lieb' und Güte, reicht die Hand
Den Fremden dar, als dauernden Genossen!
Mir überfließt das Herz! Ach, dieses Band,
Das hier die besten Menschen um uns schlangen,
Ist's denn verdient? So frag' ich mich mit Bangen!

[82] Und wie sie freundlich heut' den Tag uns schmückten
Mit Blumenfülle, Gaben aller Art,
Die ungesprochnen Wünsche selbst beglückten!
Oh, Lieber! Halten wir uns stets bewahrt,
Daß Füll' und Ueberfluß uns nie berückten!
Wir zwei, durch Schicksal und Natur gepaart,
Wir wollen treu zusammenstehn, und halten
Was sie erwarten für ihr gütig Walten!«

Ascan darauf: »Du sagst, was mir die Seele
Wie Dir bewegt! Und wenn, als einz'gen Lohn,
Ich Fleiß und Würdigkeit mir anbefehle,
Klingt mir im Herzen fort der wärmste Ton,
Den ich den Bringern meines Glücks nicht hehle!
War's doch, als ob den Menschen wir entflohn,
Im Jagen durch der Menschenländer Fernen!
Wir haben Menschen jetzt erst kennen lernen!

Und Meister Guntram ist's, durch dessen Lehren
Und Vorbild in der Kunst ich erst erwacht!
Frau Rosamunde werd' ich stets verehren,
Die fast des Sohnes Lieb' in mir entfacht!
Doch Ulrich ist's, ich kann dem Zug nicht wehren,
Der, wenn er überreichlich mich bedacht,
Nicht nur zum höchsten Dank mich zwingen mußte,
Nein, mich im Innersten zu finden wußte!

[85] Er war es, der zuerst den fremden Jungen,
Den er nicht kannte, freundlich an sich zog;
Der durch der Güte Macht uns abgedrungen,
Was insgeheim uns quälte, was uns trog;
Ja, der zuerst uns sprach mit Menschenzungen!
Und wie mein Herz ihm gleich entgegenflog,
So muß ich Lieb' und Dank zuerst ihm schenken!
Doch Du – teilst darin leider nicht mein Denken!«

»Ich schätz' ihn sehr, Ascan!« Und halb verlegen
Geht Fides langsam an den Gabentisch.
Der Bruder folgt ihr, überblickt den Segen,
Der ihm auch gilt. Ihr aber duftet frisch,
Nur ihr allein, die Rosenpracht entgegen,
Die Ulrich ihr geschickt verschwenderisch.
»Wer schätzt ihn nicht?« So spricht Ascan. »Doch heute
Wär's schön, wenn ihn ein herzlich Wort erfreute!«

Der Achtzehnjährige sagt es unbefangen,
Unkundig noch, daß tiefer Wort und Sinn
Schon zum Gehör der Zwillingsschwester drangen.
»Ich will's! Ich weiß, daß ich's ihm schuldig bin!«
So spricht sie. Doch sie fühlt auf ihren Wangen
Ein steigend Rot, und schnell zur Seite hin
Hat sie von ihrem Bruder sich gewendet,
Den Rosen zu, die ihr der Freund gesendet.


[84]

VIII.

Bald in den Wintermantel eingeschlagen,
Von Flockenspiel umschauert liegt die Stadt.
Der Meister hadert mit den kurzen Tagen,
Die früher gehn, als er des Schaffens satt.
Am Abend aber rasseln hundert Wagen,
Genuß verkündet jedes Zeitungsblatt.
Konzert, Theater, groß' und kleine Bälle,
Wer's haben kann, der hat's für alle Fälle.

Und Einblick hat auch Fides schon erhalten
In der Gesellschaft wunderliche Welt,
Die so berückend ihres Scheins Entfalten
Jedwedem Neuling vor die Sinne stellt.
Und nicht nur den gefeierten Gestalten
War Fides auf dem Plan schon zugesellt,
Sie war sogar, nach aller Kund'gen Meinung,
Des Ballsaals eigentliche Glanzerscheinung.

[85] Auch Ulrich tanzte wieder, was er lange,
Und schon für immer, abgethan geglaubt;
Mit ihr vor allen, und mit kleinem Zwange
Noch da und dort, wo's die Geduld erlaubt.
Und doch erklärt ihm Fides, unterm Klange
Des eigens selbst, die Zeit für weggeraubt
Dem schöneren Genuß der Abendstunden
Daheim, zu fesselndem Gespräch verbunden!

Ja, diese Abendstunden! Ulrich kannte
Nichts Schönres selbst. Wenn Fides Lieder sang
Und das Gehör, die Herzen selber bannte
Durch ihrer Glockenstimme tiefen Klang:
Es war, als ob sie einen Zauber spannte,
Der aus dem Innersten der Seele drang.
Und Rosamunde fühlt' ein stolz' Genügen,
Sah sie den Eindruck in der Hörer Zügen.

Nun mußt' auch Ulrich seine Geige bringen,
Bald mit der Schwester spielen, bald ein Lied,
Das Fides sang, mit Saitenklang umschlingen,
Wie Rankenwerk den vollen Ton umzieht.
Er war geschäftig, alles zu erschwingen,
Was es nur gab auf solcherlei Gebiet.
Doch, hindernd stets ein leidenschaftlich Hasten
Und leitend, saß die Meistrin vor den Tasten.

[86] Der Meister lauschte gern, auch wenn er Mappen
Durchblätterte, derweil beim Lampenlicht
Ascan mit seinem Stift in leichten, knappen
Charakterstrichen Stellung und Gesicht
Der Musikanten suchte zu ertappen.
Dann reicht' er, auf ein Urteil stets erpicht
Des Meisters, ihm das Blättchen, der den Zügen
Ein Pünktlein lächelnd pflegt' hinzu zu fügen.

Und Ulrich brachte Bücher, stets die besten,
Davon er selbst ein gutes Teil besaß
(Doch nicht den Modetand der goldgepreßten),
Und ward so gern gehört, als gern er las.
So schuf man sich die Abende zu Festen,
Und fand des Ernsten und des Heitren Maß;
So daß, wenn All' einmal der Schwarm zerstreute,
Sich jedes auf den stillern Abend freute.

Vor allen zählt Herr Ulrich die Minuten.
Denn was er für Cesario einst empfand,
Des Anteils Regung, ward zu Herzensgluten.
Sein Schicksal liegt in der Geliebten Hand,
Er muß es sagen – bald, der Einz'gen, Guten!
Da flüstert eines Abends ihm gespannt
Die Schwester zu: »Beschränke Dein Bemühen!
Ich bitte dringend Dich, nichts zu verfrühen!«

[87] Verfrühen? Was? Es faßt ihn wie Empörung.
Nein, von Verspätung fürchtet er Gefahr!
Und doch, der Schwester dringende Beschwörung –
Hier liegt ein Hindernis noch, offenbar!
Hat er gelebt in eitler Selbstbethörung?
Ward Fides seiner Neigung nicht gewahr?
Noch einmal fühlt er, schaudernd, sich von allen
Beklemmungen des Zweifels überfallen.

Und Fides' Auge konnt' es nicht entgehen,
Was aus den seinen sprach, aus seinem Ton.
Und dennoch, durfte sie sich's eingestehen,
Was sie gefühlt seit erster Stunde schon?
Der Mann, der als Cesario sie gesehen,
Vor dessen Blicken gern sie wär' entflohn,
Er könnte – Er, vom Glück so reich gesegnet,
Vergessen, wie sie ihm zuerst begegnet?

Sie war auch stolz, von jenem Stolz durchdrungen,
Der Unschuld, Armut, Seelenkraft belebt:
Sie sah für Ulrich manches Netz geschlungen,
So manches Zauberfädchen angewebt!
Es ward nach seiner Hand gekämpft, gerungen,
Nach seinem Reichtum überaus gestrebt:
Sie sah's, von Scham erfüllt, mit Furcht und Schrecken,
Um sich vor ihm nur tiefer zu verstecken.

[88] Nun war man dieser Tage sehr beflissen,
Ein Künstlerfest in Masken zu begehn.
Man möchte Guntrams Haus dabei nicht missen
Und hofft' auch Fides bunt geschmückt zu sehn.
Sie aber will von fremder Tracht nichts wissen
Und bittet flehend, davon abzustehn.
Seit abgethan Cesarios Gefieder,
Ist jegliche Verkleidung ihm zuwider.

Man zwingt sie nicht, doch mag ihr nicht erlauben
Sich damit auszuschließen von dem Ball.
Will sie ein Vorgefühl der Lust berauben,
Befällt sie Furcht schon vor dem Maskenschwall,
Man lacht sie aus und nennt es Aberglauben.
Kurz, im Gesellschaftskleide gehn sie all',
Es ist die Mummerei nicht vorgeschrieben.
Ascan allein mag's halten nach Belieben.

Der Abend kam. Und wer da Lust zu schildern,
Zu malen hätte, was sich durch den Saal
Bewegt' an hübschen und verrückten Bildern,
Trotz vieler Fracks, dem stände reiche Wahl.
Doch hieße das ins Breite sich verwildern.
Hier giebt es mehr zu thun. Genug, die Zahl
Der Lustigen überwiegt. Man lacht der Witze,
Man neckt und jagt sich, trotz Gewühl und Hitze.

[89] Ein Festspiel war dem Tanz voraufgegangen,
Man hatte sehr geklatscht und viel gelacht.
Nun scholl Trompetenruf. Die Ordner sprangen
Und drängten, auf des Tanzens Raum bedacht,
Auf welchem bald sich hundert Beine schwangen.
Da kämpft ein Herr sich durch den Maskenschacht,
In Hast auf manche Höflichkeit verzichtend,
Den Weg nach ganz bestimmtem Ziele richtend.

Herr Guido ist's. Nach seiner Badereise
Verbracht er dann die Nachkur in Paris,
Wo er so angenehm befand die Kreise,
Daß er sich auf sechs Monat' niederließ.
Allein sein Kassenstand, die hohen Preise,
Ein ärgerlicher Handel überdies
Auch dort, macht' ihm den Aufenthalt beklommen.
Vorgestern erst ist er zurück gekommen.

Dies Maskenfest – es gab doch was zu schauen!
Der Zutritt wurde dem Baron nicht schwer.
Da sieht – er durfte seinem Glas vertrauen –
Da sieht er etwas –! Seltsam! Mehr und mehr
Glaubt er's zu kennen. Durch der Menge Stauen
Macht er sich Bahn, trotz mancher Gegenwehr.
Auf der Estrad', umringt von Narrenkappen –
Die Aehnlichkeit! Es wär' zum Ueberschnappen!

[90] Wo ist sie hin? In Kreisen der Gestalten
Nicht sichtbar. Drum im Nebensaal vielleicht
Weiß war sie, weiß! Noch einmal aufgehalten,
Entdeckt er, da die Schwell' er schon erreicht,
Im großen Saal sie doch, mit einem alten
Professor im Gespräch. Herr Guido schleicht
Sich näher, mustert – ist es ein Erkennen?
Erstaunlich wär's, ein Wunder müßt' er's nennen!

Die Anmut der Gestalt, vom hellen Lichte
Schneeweißer Kleidung reizend eingefaßt;
Mit weißen Rosen auch geschmückt das schlichte
Gewand, dem braunen Haar auch angepaßt;
Doch Jugendglanz im rosigen Gesichte!
Und wie er steht und schaut, um auch in Hast
Auf ihre feine Hand den Blick zu lenken,
Muß er, wie starr – an seine Nase denken!

Unmöglich! Doch nur zu! Man wird's erfahren!
Schnell tritt er vor, um, wie er sich verneigt,
Sich lächelnd als bekannt zu offenbaren.
»Dein Anblick, schöne Maske,« spricht er, »zeigt
Mir Züge, die schon längst bekannt mir waren!
Nur daß Dich, was Dein Wesen heut' verschweigt,
Zu einer Zeit die Maskenkleidung zierte,
Da sonst nicht leicht ein andrer sich maskierte!«

[91] Erbebend hört' es Fides. Sie erkannte
Die Stimme, der sie öfter schon entflohn.
Doch faßt sie sich, und ihr im Auge brannte
Dämonisch etwas, das sie ihm mit Hohn
Und mit Verachtung als Entgegnung sandte.
Sie wendet schweigend sich. Doch der Baron,
Gar nicht gewillt auf Antwort zu verzichten,
Beginnt aufs neu, das Wort an sie zu richten.

Da sieht sie Ulrich, der sie durch die Massen
Des Saals gesucht. Ihr Aug' ist freuderhellt.
»Ich bitt' um Ihren Arm!« spricht sie gelassen.
»Der Herr dort, der sich mir nicht vorgestellt,
Scheint Maskenfreiheit etwas frei zu fassen!«
Mit Feindesblick, das Herz von Zorn geschwellt,
Betrachtet Ulrich prüfend seinen Gegner.
Doch Guido lächelt, darum nicht verlegner.

»Herr! Wenn Sie wagten, hier sich zu erdreisten –!«
Ruft Ulrich, »wenn mit Ehre Sie vertraut,
So werden Sie mir noch Genüge leisten,
Denn diese junge Dam' ist – meine Braut!«
Es war heraus! Er selbst erschrak am meisten,
Und dennoch war er sehr davon erbaut.
Fides, erglühend, wandte sich zur Seite.
Den Freund, den aufgeregten, im Geleite.

[92] Doch Guido steht verdutzt. Und noch verdutzter
Durch einen Pritschenschlag, der von Gewicht.
Und vor ihn springt ein prächtig aufgeputzter
Hanswurst und grüßt ihn mit Ascans Gesicht.
Guido erschrickt. Sein Witz ist abgenutzter
Als jemals, da die Fassung ihm gebricht,
Als ihm Hanswurst mit wohlbekannten Zügen
Droht mit der Faust in lachendem Genügen.

Jetzt übermannt der Zorn ihn funkensprühend.
Da trifft von hinten ihn ein neuer Schlag.
Er dreht sich wütend um, und farbenblühend
Sagt ihm ein Arlechino guten Tag.
Ein neuer Pritsch! Von neuem Aerger glühend
Fährt Guido schnell herum. Doch garnicht zag
Weiß Arlechin' ihm noch eins zu versetzen.
Man lacht bereits des Schauspiels mit Ergetzen.

Und da es lustig auf dem Platze herging,
Ist plötzlich Schellenbub und Pulcinell,
Und was an Narren sonst noch kreuz und quer ging
Im Saal, Bajazzo, Pierrot, auch zur Stell',
Und, unbesorgt warum man ins Gewehr ging,
Macht es den schwarzen Frack zum Trommelfell,
Den Guido trug, mit Lachen, Springen, Tänzeln
Und ausgelassnem Hinundwiederschwänzeln.

[95] Wenn Guido mitgelacht, den Spaß verstehend,
Man hätt' ein Ende bald dem Spiel gemacht.
Doch er, entrüstet sich im Kreise drehend,
Zur Rede stellend, heftig aufgebracht,
In hocherzürnten Worten sich ergehend,
Erhöhte nur den Drang der Jubelschlacht.
Das hüpft und pritscht, das neckt in jeder Weise,
Und lachend steht man rings im großen Kreise.

Man fragt nicht was, und ob er was verbrochen,
Auch war der Scherz kein angelegter Plan;
Allein die Losung da, auch ungesprochen,
Beim ersten Pritschenschlag, den er empfahn.
Man liebt' ihn nicht und gönnte seinen Knochen
Auch mehr als das. Da bricht er durch die Bahn
Und stürzt in Wut sich, wie von der Tarantel
Gezwickt, hinaus und ruft nach Hut und Mantel.

Doch Fides ging an Ulrichs Arm indessen,
Im Innern bebend vor des Wortes Laut,
Das ihm entschlüpft so rasch und selbstvergessen.
Er aber sprach: »Dem Glück hab' ich vertraut,
Indem ich mich des höchsten Glücks vermessen!
Ich rühmte mich: Die Dam' ist meine Braut!
Ich rief es aus des vollsten Herzens Treiben –
O Fides! Fides! Soll es dabei bleiben?«

[94] Und, Rosenglut auf ihren Mädchenwangen,
Mit einem Blick, der ihre Seel' ergoß,
Sprach sie, ergriffen von des Glückes Bangen:
»Es soll – so bleiben!« – Aus dem Narrentroß,
Für den von neuem Flöt' und Hörner klangen,
Eilt Ulrich, der sein Liebstes an sich schloß,
Zum Nebensaal und kann für sein Entzücken
Nur ihren Arm an seine Seite drücken.

Da ist schon Guntram, da ist Rosamunde!
Ein Flüstern, Händeschütteln, Thränen fast
Auf eine hier doch nicht verhoffte Kunde;
Und, trotz der Mahnung, längst darauf gefaßt,
Ist nun die Schwester auch im Herzensbunde.
Doch da der Ort nicht hier für schöne Rast,
Spricht Guntram: »Gehen wir nach Haus'! Uns allen
Wird's besser jetzt im engsten Kreis gefallen!«

So kommt Hanswurst-Ascan herbei gesprungen.
Er hört, und da dem Glück das Wort versagt,
Hat Fides er, hat Ulrich er umschlungen,
Wie's beide unter sich noch nicht gewagt.
»Nur fort!« ruft er von Uebermut durchdrungen:
»Beisammen bleibt die Narrheit, bis es tagt –
Ich geh' mit Euch, zu Haus' Euch zu verloben,
Und kehr' zurück, hier weiter auszutoben!« –

[95] Erscheint nun für den Gang der Weltgeschichte
Was sich ergab in dieser Festesnacht
Im ganzen von nur mäßigem Gewichte,
So stand, was sie dem Einzelnen gebracht,
Doch hoch genug und in verschiednem Lichte.
Denn wer im kleinsten etwas mitgemacht,
Weiß besser, was die Sach' für ihn gewesen,
Als die's im Halbschlaf hören oder lesen.

Die Mehrzahl hatte gut sich unterhalten,
Als sie der Morgenwind nach Hause blies,
Und dann war's aus und alles blieb beim alten;
Indes nur wenigen der Tag sich wies
Zu freudevollem Lebensumgestalten,
Das unerschöpflich reiches Glück verhieß.
Doch wer da heimgekehrt in Aergers Banden,
War ärgerlich auch morgens aufgestanden.

Herr Guido sehr verstimmt. Denn er bedachte,
Daß er so gut wie ausgefordert war,
Und traute Ulrich zu, daß Ernst er machte.
Da stellt ein Freund sich zum Besuche dar.
»Nun? Wohl bekommen?« rief der Gast und lachte.
»Sie wissen doch das Neuste schon vom Jahr?
Daß Ulrich unerhört sein Glück erprobt hat,
Der mit dem Stern der ›Season‹ sich verlobt hat?«

[96] Herr Guido schweigt. Gleichgültig dann von Mienen
Versetzt er: »Lange Zeit war ich vereist.
Wer ist sie denn, die hier als Stern erschienen?«
Der Gast darauf: »Im Hause Guntram heißt
Sie Mündel. Eine Schönheit, sag' ich Ihnen –!
Und eine Stimme! Dazu Bildung, Geist,
Es heißt sogar, sie sei gelehrt erzogen!
Und dabei ist ihr alle Welt gewogen!

Ihr Vater war Gelehrter, hört' ich sagen,
Guntram befreundet, der nach seinem Tod
Sein Haus den beiden Kindern angetragen,
Zugleich als Vormund sich dem Mädchen bot.«
– »So? Sind es zwei?« so fällt mit raschem Fragen
Herr Guido ein, von Aerger neu bedroht.
»Zwillingsgeschwister, ja! Des Fräuleins Bruder
Lernt Guntram an in Thon und Marmorpuder.

Er soll ihr zum Verwechseln ähnlich sehen.
Demnach ein feiner Bursch. Ich kenn' ihn nicht.
Doch – Ulrichs Glück! Es ist, man muß gestehen
Als hätt' er's überall in Dienst und Pflicht,
Daß es ihm diese stolzeste der Feen
Mit ihrer Zaubermacht zu eigen spricht!
Geld hat sie freilich nicht. Doch dafür sorgen
Wird er schon selbst. Und somit guten Morgen!«

[97] Herr Guido schrieb, sobald der Gast gegangen,
An Ulrich einen wohlgesetzten Brief:
»Versöhnung sei sein innigstes Verlangen!
Von einem Irrtum – er beklag' ihn tief –
Fühlt' er sich einen Augenblick befangen,
Der doch zugleich ihn aus der Täuschung rief.
Verzeihung – Reumut – endlich zum Begleiter
Das schönste Glück auch ferner –« und so weiter.

Ulrich erhielt und las den Brief und lachte.
War er zum Lachen heut doch aufgelegt!
Denn das Gefühl, mit dem er früh erwachte,
Die Seligkeit, die ihm den Tag bewegt,
Da seiner Braut den Morgengruß er brachte
Und schöner jeder Lebenstrieb sich regt –
Das alles macht verzeihn ihn jedem Laffen,
Vor dem er selbst sich Ruhe weiß zu schaffen.

»O mein Cesario! Laß mir dieses Zeichen –«
So rief er, an sich schließend seine Braut,
»Laß diesen Namen, der mir ohnegleichen
Im Herzen tönte wie ein Zauberlaut,
O laß ihn mir, wenn wir die Hand uns reichen,
Im stillen nur! Da kling' er uns vertraut!
Da laß uns denken, wie wir einst uns fanden
Und uns im ersten Augenblick verstanden!«

[98] Und Fides, wehrend den Erinnerungen,
Hebt lächelnd zu ihm auf das schöne Haupt!
»Er bleibe, weil er schön für Dich geklungen,
Er kling' auch mir, weil Du an mich geglaubt!
Und würd' er jemals durch die Seit verdrungen –
Wir finden schwer, was früh uns ward geraubt!
So wird an Fides wohl im Lebenstreiben
Ein Stückchen immer von Cesario bleiben!«

* * *


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