Alexander Roda Roda
Der Schnaps, der Rauchtabak und die verfluchte Liebe
Alexander Roda Roda

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Das Guckloch der Reitschule.

Unterfahrkanonier Bedö hutschte sich schlaftrunken auf dem Streifbaum zwischen Rex, dem Chargierer, und Leda, dem Eigenpferd des Herrn Hauptmanns. – Es war fünf Uhr nachmittag – nun mußte sie ja bald kommen.

Bedö betrachtete zufrieden sein Tagwerk. Ein schmaler Sonnenschein fiel durch den kunstvollen Strohvorhang des Fensters auf Ledas Kruppe und löste sich im Deckhaar des Fuchses zu flimmerndem Opalglanz auf. – O, seine Pferde wartete Bedö gut – da konnte der Herr Hauptmann zufrieden sein. Überhaupt – wie die andern mit den Pferden umgehen – und wie er, Bedö, umgeht – das ist doch tausend und eins. – Das dort unten – die Zugpferde der Geschützlinie mit ihren dicken Mähnen – na, denen sieht man die Rekrutenarbeit gehörig an. Seine Leda aber – das ist auch ein Tierchen! Wenn sie in der freien Sonne steht – das lautere Gold. Die Füßchen, das Kopferl, die feinen Ohren . . . Und wenn die Frau oben sitzt . . . .

Da kommt sie eben.

Bedö braucht nicht erst nach der Tür zu sehen – Rex und Leda passen auf sie wie die Haftelmacher.

Frau Adele tritt kaum in den Stall, und Rex wiehert schon trotz einem Araberhengst. Leda fängt an, wie närrisch zu weben und folgt mit ihren dunkelbraunen Augen jedem Schritt der Herrin. Wenn Frau Adele zögert, um ihre Stute zu necken, da weiß sich Leda nicht zu fassen. Sie packt den Rex am Kamm, packt 40 den Bedö am Rock, setzt ihr Gebiß auf die Krippe und zerrt und zerrt, daß die Halfterkette reißen möchte.

Bedö springt auf.

Die Stallwarten und der Inspektionskorporal grüßen steif-militärisch.

Frau Adele nickt ihnen zu und geht langsam den Stall entlang. Als sie die Ungeduld der Gäule sieht, lächelt sie leise.

Leda hat auf Rexis Mähne Schaum zurückgelassen. Bedö wischt ihn rasch ab und stellt sich zum Salut – hart an die Stute, damit die Frau Hauptmann ungefährdet in den Stand treten könne.

Adele öffnet ihr Körbchen und teilt Brot und Rübenbissen unter die beiden drängenden Schnauzen. Rexis andrer Nachbar, der Trompeterschimmel, sieht gar so neidig zu – auch er kriegt unter Rexis Hals durch einen Happen.

»Fressen die Pferde gut?«

»Jawohl, gnä Frau.«

»Sie sehen auch prächtig aus.« – Frau Adele klopft ihre Pferde ab. – Bedö errötet glückselig.

Zuletzt kriegen Rex und Leda noch Zucker – um den müssen sie aber bitten. Das hat sie Bedö gelehrt.

»Ich werde morgen Leda reiten. – Warten Sie . . . Sie können heut abend in die Küche kommen, Sie sollen was zum Nachtmahl haben. Wollen Sie?«

»Jawohl, gnä Frau.«

»Adieu.«

41 Frau Adele geht und ahnt nicht, wie ihr – Pferdewärter an ihr hangt mit schwärmerischen Augen.


Bedö wäscht sich am Tränktrog sehr umständlich Kopf und Hände, kämmt sich und kleidet sich an. Um sieben Uhr sitzt er schon in der Küche des Herrn Hauptmanns.

Theres wirtschaftet laut und flink um ihn und balanciert ein und das andre Bratblech in absichtlicher Nähe seiner Nase. Sie hat wenig Respekt vor schüchternen Leuten. – Und Lorenz, der Diener, soll sehen, daß sie sich nichts aus Bedö macht.

Bedö sitzt still und schaut und schaut und wartet. Auf sie.

Die blasse Frau Adele tritt leise ein. Bedö ist aufgesprungen. Sie winkt ihm, er möge sich setzen, und ordnet an, daß er was zu essen bekomme.

Kaum ist sie gegangen, da sagt Lorenz zu Theres:

»No – hab ich recht?«

»Freilich, es ist wieder Krieg drinnet. Sie hat ganz verweinte Augen.«

Bedö hält den Atem an. Er möchte für sein Leben gern mehr erfahren.

Er möchte fragen, aber ihm schnürt etwas die Kehle zu: die Furcht, daß diese zwei sein Geheimnis erraten könnten.

Denn er hat ein Geheimnis: er ist verliebt in Frau Adele.


Er liegt auf dem harten Strohsack im Zugszimmer und findet keinen Schlaf. In seinen fieberglühenden 42 Träumen geht die blasse schlanke Frau um mit rotgeweinten Lidern.

»Krieg is drinnet.«

Ah, ihm fällts wie Schuppen von den Augen. Jetzt versteht er die bleierne Trauer seiner Herrin, ihre zuckenden Lippen, ihre bebenden Nüstern.

Sie hat keine Kinder. Sicherlich kommt sie zu ihren Pferden in den Stall, weil sie niemand hat, dem sie ihr Leid klagen könnte.

Einmal – einmal, da hat sie Leda umhalst, hat den Kopf an die Ganaschen der Stute gelegt und geschluchzt, daß es ihren Leib nur so durchzuckte. – Bedö hats mit blöden Augen gesehen. – Jetzt begreift ers.

Bedö erfährt zum erstenmal, daß auch die Herrenleute ihr Kreuz zu tragen haben. Er sieht in einen Abgrund. Es ist also bei den Offizieren und ihren Frauen gerade so – wie dort, zu Haus im Dorf:

»Krieg is drinnet.«

Dieser Herr Hauptmann kennt kein Erbarmen mit seiner Mannschaft – er hat auch keins mit sich und seiner Frau.

Mit ihr, Adele, die Bedö verehrt wie die heilige Jungfrau Maria.

Wenn Frau Adele ausreitet, darf er immer hinterdrein folgen. Dann verschlingt er jede ihrer Bewegungen mit gierigen Augen. Sein Herz steht still, so oft Leda vor einem Papierfetzen stutzt. Er zittert, wenn Frau Adele in leichtem Galopp an die Hindernisse geht. Reitet sie in Gesellschaft, da möchte er die Herren niederschlagen dürfen, die sie 43 ehrfurchtslos ansehen, und die erst, die ihre Hand zum Gruß berühren.

Manchmal reitet der Herr Hauptmann mit. Der schweigt meistens – wenn er aber redet, klingts rauh und kurz.

Bedö hat nicht gewußt, was den Nacken des Herrn Hauptmanns manchmal so verdunkelt. Jetzt weiß er auch das: der Zorn ists, eine schwarze Blutwelle, die ihm zu Kopf steigt.

Einmal stürzte Leda.

»Dummes Ding!« stieß der Herr Hauptmann hervor.

Oh, damals meinte er Frau Adele – Bedö weiß nun alles ganz genau. – Er ist roh, der Herr Hauptmann, und grausam, ganz wie dort, zu Haus im Dorf, Bedös Nachbar, der seine Frau schlägt, und Bedös Bruder, der sie auch schlägt und Bedös Vater, der . . .

Da fällts Bedö erst ein: im Dorf schlagen alle ihre Frauen.

Am Ende . . .?

Bedö springt auf und stiert um sich.

Rechts und links schlafen die Kanoniere.

»Hast von Spangen traamt?« fragt der Korporal vom Tag. Der sitzt am Tisch.


Bedö hat eine furchtbare Nacht hinter sich. Er hat gesonnen und gesonnen – er weiß keinen Ausweg.

Wenn Frau Adele ausreitet, er hinter ihr, wird er plötzlich – draußen auf der Heide – vorspritzen, Leda an der Trense fassen und mit sich fortziehen . . . wohin?

44 Ah, er will sterben. Wozu noch auf der Welt bleiben, die ihm das einzige versagt?

Einmal nur möchte er ihr Haar streicheln dürfen. Ihre rosafarbenen Finger küssen.

»Warum bist du so still, heilige Maria, Mutter Gottes, wenn sieben Schwerter dein Herz durchbohren?«


»Bedö,« schreit der Feuerwerker, »is der Herr Hauptmann da?«

»Nein, Herr Feierwerger!«

»Wo is er nachher?«

»Vielleicht daß er auf der gedeckten Reitschul is, Herr Feierwerger.«

»Was – vielleicht? Es gibt kein Vielleicht bei die Kaiserlichen. Geh hin und schau.«

Bedö läuft durch den finstern Gang zum Guckloch der Lambrine und blickt in die gedeckte Reitschule. Da steht mitten in der Manege in den weichen Knoppern der Herr Hauptmann. Er hat einen Revolver in der Faust und feuert jetzt und jetzt einen blinden Schuß in die Luft, der die Pferde der Abteilung nervös macht.

Da steht er also und lärmt und schreit . . . O, so ein Revolver . . .! Anlegen . . . schießen . . . hin wär er, der Hauptmann! Und die gnä Frau hätt a Ruh . . .

Bedö kommt zurück und meldet:

»Der Herr Hauptmann ist dort.«

Der Feuerwerker dreht sich auf den Hacken um und geht.

Bedö ist wieder bei den Pferden.

Plötzlich gibts ihm einen Riß.

45 Er stürmt in die Dislokation, greift in die Patronentasche eines Mannes, der heut auf Pulverturmwache geht, nimmt einen Karabiner vom Rechen und läuft in die Futterkammer – ans Guckloch.


Jetzt sitzt er wieder auf dem Streifbaum zwischen Rex und Leda und hutscht sich.

Gleich werden sie draufkommen, daß der Hauptmann . . . geschossen ist . . .

Bedö hat ja lang und ruhig gezielt.

Auf den Rücken, mitten auf den Rücken.

Den Karabiner hat er weggeworfen.

Dann ist er durch den finstern Gang hierher gelaufen.

Ob ihn jemand gesehen hat? Er weiß es nicht.

Mag man immerhin draufkommen. Ihm ist alles, alles gleich. 46

 

Abschied.

Mitten im Ticktack des militärischen Jahres wars, als der Oberst plötzlich den blauen Bogen bekam.

»Ew. Hochwohlgeboren wird hiemit bekanntgegeben, daß das k. und k. Kriegsministerium auf Ihre Dienste nicht weiter reflektiert und daher die demnächstige Vorlage Ihres Pensionierungsgesuches gewärtigt wird.«

So stand es grausam deutlich in althergebrachtem Soldatendeutsch geschrieben . . .

Oberst Herdina merkte zum erstenmal: er war alt geworden. Ihm wars, als sei plötzlich der Tod gekommen, ihn zu grüßen. Der Oberst und der Tod – sie waren ja zwei alte, vertraute Freunde – noch von Custozza her – und hatten einander nur ein wenig aus den Augen verloren in solch langem, faulem Frieden. Nun begegneten sie einander, tauschten einen flüchtigen Händedruck und riefen sich zu:

»Auf Wiedersehen, Herr Oberst!«

»Auf Wiedersehen, Eure Majestät!«

Dann reichte der Oberst sein Gesuch ein.

Drei Wochen später stand er vor der Kommission, die ihn invalid befand, und wieder drei Wochen später wies ihn das Verordnungsblatt zur ewigen militärischen Ruhe. Der Orden versüßte die bittere Pille nicht.

Da saß er nun, der alte Oberst, am offenen Fenster und blickte in die Nacht. Aus dem Festungsgraben hallte das Quaken der Frösche mit erdfernem Klang und verlor sich in dunkle Weiten. Ein leiser Wind summte in den Telegraphendrähten.

47 Der Herr Oberst dachte nach – und die weltweisen, himmelsschönen Sterne sahen ihm mit glitzernden Äuglein zu. Er dachte an Freund und Feind, an Hohe und Niedre, denen er im langen, langen und doch so kurzen Menschenleben begegnet war . . .

Im ganzen wars ja recht und schlecht gegangen. Wenn er die Gegner zusammenzählte, warens ihrer weniger, als der Freunde. Mein Gott – wer zieht unangefochten von der Wiege bis zum Gra –

Nein, zum Grab hats Zeit. Er fühlt noch immer Kraft genug in sich. Und wenn er dem oder jenem wieder ins Gesicht blicken soll, tät ers am liebsten über zwei brennscharfe Klingen.

Er hatte ja so viel zu leiden – von bösem Willen und von grünem Neid. Gar mancher, der vergeßlich war wie Spiegelglas, hatte gute Hilfe mit Undank vergolten. Andre mißverstanden ihn, wenn er, ein rauher Reiter, mit kriegsmäßiger Brutalität dreinfuhr . . .

Bah – seis, wie es sei! Vorüber ists nun einmal. Wars kurz wie ein Rosenleben, so wars auch schön. Hat er manches Arge schweigend tragen müssen: denken hat er sich allerlei dürfen. Vom Denken tut man ein nit henken. Und nicht einmal des Gedenkens ist es wert.

Schlafen, träumen und vergessen ist ja allemal das Ende vom Lied – und das Lied schließt versöhnlich.


Am nächsten Tag ist Abschiedsempfang. Wer ihn so sieht: das weiße Haar ist hoch aufgekämmt, aus den Katzenaugen blitzt unter buschigen Brauen die Courage 48 des Troupiers – wer ihn so sieht, der weiß: unter diesem dekorierten Waffenrock schlägt ein Herz voll Blut und Leben. Die Hand umklammert jetzt, vor Verlegenheit bebend, den Roßbusch am Tschako – sie möchte lieber den Säbel ziehen und dreinhauen und Schädel spalten – je mehr, je besser und immer noch nicht genug.

Er hat sich eine kurze Rede zurechtgelegt, die soll niemand weh tun. Aber die Stimme – wie oft hat sie wie Trompetenschall den Kanonendonner durchschnitten – jetzt will sie ihm nicht parieren. Er macht lieber ein Gesicht wie sieben Meilen böser Weg, als daß er verriete, wie ihm um die Seele ist. Wenn ihm die Augen dabei brennen, wird ihr Blick noch härter.

Endlich preßt er irgend eine Phrase hervor und reicht einem Herrn nach dem andern stumm die Hand. Er beginnt am linken Flügel. So hat ers immer gehalten – ihm haben gerade die jüngsten Soldaten die besten geschienen.

Beim Hauptmann Winter verweilt er ein wenig. Dem ist er in zwei Regimentern begegnet – und beidemal ungern. Er hat ihn sogar gezwirnt, wie man in der Kaserne sagt. Jetzt möchte er ihm fast abbitten. Aber er bringt das gute Wort nicht über die Lippen. Dieses Lächeln macht es ihm unmöglich. Das hat ihn noch immer wütend gemacht.

Der Herr Major spritzt eine schöne Ansprache: von wohlverdienter Ruhe des Alters und seiner Müdigkeit – die hat der Oberst nie minder verspürt als in diesem Augenblick. Sie haben ihn im besten Galopp vom 49 Pferd gerissen und wollen ihn jetzt zum harmlosen Jubelgreis stempeln –?

Man lädt ihn zu einem Liebesmahl, und er nimmt nickend an.

Dann geleiten ihn alle auf den Kasernenhof. Die Fahrkanoniere in schmutzigen Stalljacken hantieren am Brunnen, polieren Bügel und Zaumzeug, grüßen und blicken neugierig nach, wie er dahinschreitet, vom parademäßig adjustierten Offizierkorps gefolgt.

Grün der Rasen auf dem Formierungsplatz. Die Kastanien rundum blühen wie Christbäumchen, und über alles gießt die Sonne ihre verschwenderischen Strahlen. – Den Rasen hat er gesäet, die Bäume er gepflanzt. Nun werden sich andre seiner Arbeit freuen. Aber Rasen, Bäume und Sonnenschein werden immer ihm gehören, die Berge und Wälder ringsum, der blaue Horizont.

Sein schönes Regiment aber, das wird ein andrer führen, und nach drei, vier Jahren nennt man beim Nachmittagskaffee in der Offiziersmesse so obenhin seinen Namen: 's war einer von den komischen alten Herren aus der Zeit der Vorderlader – von den komischen alten Herren, die so klug gewesen sind.

Das tut ihm weh.

Er tritt in den Stall.

»Habt acht!« ruft der Korporal und meldet ihm . . .

Er weist ihn an den Herrn Major. Ihn gehts ja nichts mehr an. Zum erstenmal überfällts ihn so recht. 50

»A Befehl kummt denen Bauern:
»Nemmts 'n Spaten,
»Kummts begraben, kummts begraben
»Dö Soldaten . . .«

Dort hinten im Stabswinkel, da stehen auch seine Braunen. Sie heben die kleinen trockenen Köpfe und schnauben. Reh wirft gar den Hals empor, daß die Ketten rasseln und die glänzende Mähne vom Kamm aufflattert. Sie möchte Zucker haben.

Der Herr Oberst tritt in den Stand. Willig weicht Reh zur Seite und knabbert ihm am Handschuh. Er tätschelt sie ab.

»Die wer ich jetzt auch verkaufen müssen.«

Hauptmann Winter tritt rasch vor. Er hat schon längst darauf gewartet.

»Wenn sie nicht zu teuer is . . . aus alter Freundschaft, Herr Oberst . . . Sie solls gut bei mir haben.«

Oberst Herdina beißt sich auf die Lippen und nennt einen lächerlichen Preis. Kaum hat ers gesagt, bedauert ers. Schade – gerade der hätte Reh nicht haben sollen.

Am Abend gehts in der Messe hoch her. Der Abschiedswein fließt in Strömen. Später, als die Stabales, der Oberst voran, gegangen sind, da begießt man noch den Pferdekauf.


Der neue Kommandant kommt.

Die erste Ausrückung hat einen seltsamen Zuschauer: den Obersten Herdina – in Zivil. Er kommt, sieht zu und geht wieder.

51 Er kommt noch drei Wochen lang alle Tage – aber immer in Zivil.

Just als er anfängt, eine ständige, also lächerliche Figur auf dem Formierungsplatz zu werden, bleibt er plötzlich aus. – Er ist nach Graz übersiedelt, der Pensionopolis.


Ein Jahr noch duldete es den Obersten hier. – Der eiserne Mann verfiel, das Rot blich auf den frostgewohnten Backen, die Muskeln erschlafften.

Wieder im Mai warb ihn Seine Majestät, der Tod zu den himmlischen Heerscharen.

Wenn jetzt die Rede auf den alten Obersten kommt, sagt Hauptmann Winter:

»Ich hab schon viele abschießen gesehen – aber keiner hat so gern den Zylinder aufgesetzt wie der Oberst Herdina. Kaum ist er draußen aus der Mühle gewesen, – gleich hat er den Steuerträger gespielt.«

Herr Oberst, laß dichs nicht verdrießen! Du reitest oben mit den himmlischen Heerscharen, und dir zur Seite Edelsheim, Oettingen und Hadik.

Und willst du einst ein Regiment anwerben, das gegen den Teufel geht, so ruf uns nur: wir alle, die dich lieb gehabt, wir werden Handgeld nehmen. 52

 

Die Zähne.

Dem Kanonier Wondrak hatte das Zugpferd Bertha vier Vorderzähne ausgeschlagen.

Nach einigen Wochen kam er vollkommen geheilt aus dem Truppenspital zurück, machte auch anstandslos wie immer seinen Dienst – aber seine Sprache war fast unverständlich.

Der Hauptmann wollte den tüchtigen Mann für den Dienst retten und beantragte, dem Wondrak auf ärarische Kosten vier künstliche Zähne einsetzen zu lassen.

Nach eingehenden Erwägungen bewilligte denn auch das Regimentskommando die Zähne. Aus Sparsamkeit nur zwei – »welche jedoch so zu dimensionieren sein werden, daß sie die fehlenden vier Zähne vollkommen ersetzen.« 53

 

Die Laterne.

Als Doktor Rickel noch Regimentsarzt in Galizien war, blieb er auf einer Fahrt über Land grade vor dem Wirtshaus von Zolkiew im Dreck stecken, verlor ein Rad vom Wagen und mußte über Nacht bleiben.

Der Doktor ging ins Offizierszimmer zu den Ulanen; Srole Leimbauch, der Kutscher, aber begann in der Schwemme ein Gespräch mit den Gästen.

»Wen führst dü da?« fragte man ihn.

»En Dakter.«

»Püh, en Dakter! Hast e Glück! Wo doch Jankew Pinkes Weib e so krank is, kümmt grod e Dakter. Da wern mr ihn doch gleich bitten, er soll se kurieren.«

Den Nathan Feigheit verbanden mannigfache Wechselbeziehungen mit den Ulanen. Er war also kühn genug, an die Tür des Offizierszimmers zu pochen.

»Herr vün Dakterleben,« sagte er, »hier im Ort is e sterbenskranke, arme Frau. Möchten Sie se nix ansehn?«

Doktor Rickel tut einen Blick durchs Fenster in die regnerische Wildnis und brummt bös:

»Ich bin kein Doktor.«

»Dos wollen Se üns einreden? Ma seht doch an Ihrem Gesicht, daß Se ja sein e Dakter. – Es is e sehr en arme Frau und toitkrank.«

Wenn in Zolkiew eine Frau für todkrank ausgegeben wird, hat sie alle Aussicht, Urgroßmutter zu werden.

Doktor Rickel weiß das und bleibt ruhig sitzen.

Da kommt die ganze Schar herein und bittet und 54 bittet und beschwört ihn. Das geniert den Regimentsarzt vor der großen Gesellschaft.

»In Gottes Namen,« sagt er, »ich geh. – Laßts a Latern bringen!«

Man bringt die Laterne, und sie waten drauf los.

»Is es weit?«

»Am End vom Ort, Herr vün Dakterleben. E klaane halbe Stund.«

Man hat Jankew Pinke von der Ankunft des Arztes verständigt. Er kommt dem Zug auf halbem Weg entgegen, übernimmt den Doktor und die Laterne und führt weiter – immer weiter durch den grundlosen Brei.

»Gott solls Ihnen zohlen tausendmal, Herr vün Dakter, daß Se sich e so bemiehen fer en armen Menschen. So lang iach leb, wer iach Ihnen dos nix vergessen, un bis in Grob erein wer iach noch mitnehmen de Dankbarkeit fer Ihnen.«

Sie gehen immer weiter, Doktor Rickel fühlt die Befriedigung eines guten Werkes.

»Tate! Tate!« schreit auf einmal ein Bengel aus dem Dunkel der Nacht. »Komm schnell heim, de Mame is toit.«

»Toit?« sagt Jankew. »De brave Frau!« – Bläst die Laterne aus und geht.

Doktor Rickel steht heut noch dort in der Stockfinsternis und findet nicht den Weg ins Wirtshaus. 55

 

Die Hymne.

Zu Ehren Seiner Exzellenz, des Kriegsministers sollte im Lager Fackelzug stattfinden. Herr Franz Sedlatschek – wie schon der Name sagt, Militärkapellmeister – erhielt den Auftrag, eine Hymne dazu zu komponieren.

Den Text hat der talentierte Oberleutnant von Heimel gedichtet:

»Dir, o Held, Soldatenvater,
Doch im Herzen Jüngling noch,
Habsburgsthrones Marmorquader,
Bringen wir ein dreifach Hoch.«

Der Kapellmeister hatte aus seiner Studienzeit eine Melodie vorrätig, die im großen und ganzen paßte, nur brauchte er in jeder Verszeile eine Silbe mehr. Er dichtete sich also den Text um:

»Dir, o Held, Soldatenväterlein,
Wo im Herz Begeistrung koche,
Habsburgsthrones Marmorquaderstein,
Bringen wir drei male Hoche.« 56

 

Das Pferd.

Nein, dieses Pech! Knapp vor den großen Manövern stand dem Herrn General sein treuer Fliegenschimmel Zebaoth um, der Lenker so vieler Schlachten. Zebaoth, der das Radel bei der Defilierung jedesmal instinktiv auf der richtigen Hand gemacht hatte und hinter dem inspizierenden Vorgesetzten immer gerade so lang stehen geblieben war, bis er ihn sagen hörte:

»Ich danke, Herr Major!«

»Ich danke, Herr Oberstleutnant!«

»Ich danke, Herr Oberst!«

Und in den letzten Jahren: »Ich danke, Herr General!«

Dann flog Zebaoth davon – jedesmal nur bis auf die Kammlinie des Hügels. Drüben aber, wo sein Reiter gegen Sicht gedeckt war, fiel er in Paß . . .

Und dieses Prachtpferd stand um – knapp vor den großen Manövern.

Der Herr General ging mit sich zu Rat. Ein Pferd finden, ist nicht leicht – besonders ein Generalspferd. Es muß figurant sein wie der Kriegsgott – stark (denn der Herr General ist schwer), äußerlich unbändig trotz einem Jaguar, innerlich aber fromm wie ein versilberter Weihwedel. Das Pferd muß im Feuer stehen, darf nicht schlagen, nicht beißen, muß die Fliegen vertragen . . . und soll nicht viel kosten. Denn aus Staub ist der Mensch gemacht und . . . kann pensioniert werden.

Und solch ein Pferd fand der Herr General. Es gehörte einem Dragoneroberleutnant, der verlangte tausend Gulden dafür.

Der Herr General versuchte das Menschenmögliche, 57 den Mann milder zu stimmen – der Dragoner ließ nicht einen Kreuzer nach. Nicht einen Kreuzer.

Da sagte der Herr General:

»Herr Oberleutnant, kommen Sie mit dem Pferd in einer Stunde in die Kaserne – dann werden wir sehen . . .«

Sinnend schritt er voraus. Tausend Gulden! Der Gaul ists wert. Ob er aber auch fromm genug ist? Die Herren Kavalleristen haben für das Ruhebedürfnis eines Infanteriegenerals wenig Verständnis . . .

»Warte, ich will dich!« rief der General plötzlich erleuchtet und ließ den Kapellmeister rufen.

»Herr,« sagte er ihm, »stellen Sie sich mit der ganzen Musik da im Dunkel des Torbogens auf. Wenn ein Oberleutnant auf einem Rappen durchreitet, lassen Sie plötzlich einen Marsch einschlagen.«

Und so geschah es.

Der Dragoner kommt – furchtbares Brimborium von Pauken und Posaunen. Das lange Torgewölbe verzehnfacht die Klangwirkung.

Lächelnd sieht der General den Oberleutnant erschrocken zusammenfahren.

Aber der Rappe ist ruhig geblieben.

Der Herr General klopft anerkennend die feine Mähne des Pferdes und überreicht dem Oberleutnant lächelnd einen neuen Tausender.

Ebenso maliziös verbeugt sich der Dragoner auf dem Pferd oben und sagt:

»Herr General, ich meld gehorsamst – jetzt kosts Ferd fuchzehnhundert.« 58

 

Der Sybarit.

Seit der alte General Zimmermann pensioniert ist, genießt er sein Leben auf wahrhaft raffinierte Weise.

So oft es draußen stürmt oder schneit, muß ihn der Diener um vier Uhr früh wecken mit dem Ruf:

»Herr General, Seine Exzellenz, der Herr Korpskommandant ruft Sie.«

Dann erhebt sich der alte General Zimmermann im Bett und tut einen Blick durchs Fenster.

»Was?« gröhlt er mit teuflischem Lachen – »der Herr Korpskommandant ruft mich? – Ich, der pensionierte General Zimmermann, dem niemand nix zu befehlen hat, soll in den Regen hinaus? Sag du dem Herrn Korpskommandanten, er kann mich gern haben.«

Sprichts, legt sich aufs andre Ohr und schläft selig weiter. 59

 

Das Erkennungszeichen.

Wir ritten von einer Übung heim.

Drüben, weit, weit im Wald, Trompetenklänge – da marschierte eine Infanterieabteilung.

Es entstand eine Kontroverse darüber, welche Kompagnie es wohl wäre.

»Das is meine Kompagnie,« sagte Hauptmann Pichler sehr bestimmt. »Ich erkenn das, mein Trompeter, der Samuel Kohn, mauschelt immer so beim Blasen.« 60

 

Krieg und Frieden.

Batterierapport.

»Kanonier Nowak,« sagte der Herr Hauptmann, »Sie sind dabei betreten worden, daß Sie während des Wachtdienstes gesessen haben. – Vor dem Feinde sterben Sie dafür den Tod durch Pulver und Blei. Das ist der Krieg. – Da wir im Manöver sind, bestrafe ich Sie mit einem strengen Verweis beim Rapport. Das ist der Frieden.« 61

 

Der Prinz.

Bei den Kavalleriemanövern in Schlesien . . . – Herrgott, ich werde es nie vergessen: Leutnant Prinz Drachenfels stürzt vom Pferd, und als er sich erheben will – den Helm hat er verloren – als er sich erheben will, da bäumt sich der Gaul kerzengrad und schlägt dem Prinzen mit den Vorderhufen auf die Schädeldecke.

Wir eilten bestürzt hinzu. Dem Prinzen war, Gott sei Dank, nichts geschehen.

Aber der Gaul hatte sich die beiden Vorderbeine gebrochen und mußte vertilgt werden. 62

 

Die Belohnung.

Im Jahr 1899 begann der Oberst Schweinwedel mit der Bearbeitung des neuen Infanterieregiments und vollendete die Arbeit in wenigen Monaten mit überraschendem Erfolg.

Im selben Jahr noch wurde er zum Kommandanten der Schießschule ernannt, führte eine gründliche Reorganisation der ihm anvertrauten Abteilung durch und machte sie zu einer Musteranstalt für alle Militärstaaten.

Ihm verdankt die Armee auch die moderne Einrichtung des Sanitätswesens und das glänzend geschriebene Buch über den Feldzug vom Jahr 1809.

Die Belohnung für so viel Dienste blieb denn auch nicht aus:

Mit Verordnung vom 29. v. M. erlaubte das Kriegsministerium dem Obersten Schweinwedel, die beiden w in seinem Namen zu streichen. 63

 

Die Haferlieferung.

Eines Tages kam eine Kommission, bestehend aus drei Offizieren, einem Wachtmeister und einer Stehleiter, zu Joschkele Seidenfutter nach Mikulintze bei Tarnopol und begehrte das Fouragemagazin zu sehen.

Joschkele öffnete jammernd, der Wachtmeister stieg auf die Leiter und besichtigte eingehend den Plafond des Magazins an zwanzig Stellen und in allen Fugen und Ecken.

Als er fertig war, salutierte er und sagte:

»Herr Oberst, ich meld ghorsamst, es is nix.«

»Hm,« sagte der Herr Oberst und weidete sich an dem Anblick des geängstigten Joschkele – »möchten vielleicht Herr Leutnant die Güte haben –?«

Also stieg der Herr Leutnant auf die Leiter – mit einigen Segenswünschen für die Andersgläubigen – pochte den Plafond von links nach rechts ab, dann von rechts nach links – hinten und vorn – – – nichts.

Der Herr Rittmeister deutete den flehenden Blick des Obersten ganz richtig, indem er ebenfalls auf die Leiter stieg. Er holte mit seiner besten Ulanka die Spinnweben von der Magazindecke, aber auch er fand nichts.

Endlich der Herr Oberst selbst. Er drohte zuerst dem Joschkele mit der Faust und kletterte dann. Er bohrte mit dem Finger in alle Ritzen. Er fand einen verstaubten Riß im Plafond, den die andern alle nicht gefunden hatten, war sehr stolz auf ihn, putzte ihn sauber aus, besah ihn so lang, bis ihm der Schmutz in beide Augen fiel – nichts. 64

Die Kommission ging, und Joschkele versperrte die Tür.

Draußen zog er sehr tief den Zylinder und sprach:

»Se entschuldigen schon, Euer Gnaden, Herr vün Oberst, bis hündertzwanzig Johr sollen Se leben ün gesünd sein und lauter Fraad erleben. Aber wos kloppen Se mr auf mei Boden erüm?«

»Das will ich Ihnen sagen, Herr Seidenfutter« – der Herr Oberst zog ein Schriftstück aus der Brusttasche – »Sie haben vor ein paar Wochen im Offertweg die Fouragelieferung für das Ulanenregiment Nr. 9 erstanden?«

»Jo, Herr vün Oberst, bis hün . . .«

»Mit zwanzig Hellern per Zentner unter dem Marktpreis?«

»Wos tüt e Mensch nix for dem Militär, Herr vün Oberst?«

»Sehr schön, daß Sie Patriot sein, Herr Seidenfutter – aber die Leut glauben was andres. Da – lesen S' den anonymen Brief, was ich gestern kriegt hab! Wenn der Proviantoffizier und Tierarzt den Hafer übernommen haben und das Magazin versiegelt is, sollen Sie durch ein Loch im Plafond schlechten Hafer herunterschütten.«

»E Konkorrenzmanöver, Herr vün Oberst, bis hün . . .«

»Schon gut – ich weiß – wir haben uns überzeugt. Aber wir wollen ein wachsames Aug auf Sie haben – richten Sie sich darnach!«

»Ich soll nix essen können, Euer Gnaden, wenn bei mir so eppes vorkümmt, Herr vün Oberstleben!«


65 Zwei Tage später kam eine neue Kommission: drei Herren, ein Wachtmeister und eine Leiter. Sie suchten wieder das Loch in der Lage und fanden es wieder nicht.

Es kam noch eine dritte Kommission am Montag früh, eine Donnerstag nacht, eine am Sonntag nachmittag.

In der folgenden Woche gabs täglich Untersuchungen: vom Regiment, von der nächstbeteiligten Schwadron, vom Verpflegungsmagazin, vom Militärstationskommando, noch einmal vom Regiment und noch einmal von der Schwadron. – Immer ohne Erfolg.


Dann setzte sich Joschkele Seidenfutter hin und schrieb einen Brief:

»Lieber Schwager Ignaz Germteig, Branntweinbrennerei und Schlempenerzeugung in Tarnopol!

Ich dank dir, lieber Schwager, daß du bist gewesen eso freindlich, aber vün jetz an schreib ka anenime Briefe mehr. Warüm? Weil auf den letzten is schon gar ka Komession mehr gekümmen. Jetzt kann die Konkorrenz schreiben, bis se zerspringt. Daweil hob ich mr schon geloßt machen das Loch in Plafon.

Mit tausend Griße

Joschkele.« 66

 

Peters Urlaub.

Am Morgen nach dem großen Regimentsfest hatten wir ein scharfes Frühstück, das dauerte bis tief in die nächste Nacht. Als ich endlich heimkam – mit verglasten Augen – da sagte mir Peter:

»Herr Leidnant, i bitt ghorsamst um acht Tag Urlaub.«

..Urlaub? Grad heut?«

»Jawohl, Herr Leidnant, i bitt ghorsamst. Mei Schwester heirat . . .«

»Na, meinetwegen – ich bin einverstanden. Geh morgen in die Kasern, laß dich zum Rapport aufschreiben und meld dem Herrn Hauptmann gehorsamst, daß ich gegen an achttägigen Urlaub nix einzuwenden hab.«

»Jawohl, Herr Leidnant.«

»Aoh – noch etwas: es muß ein verläßlicher Mann von der Batterie herkommen – an deine Stelle. Du wirst ihn belehren, was er zu tun hat und wie man mich wecken muß. Besonders morgen wer ich kaum aufzukriegen sein. – Aoh – ich bin furchtbar, furchtbar schläfrig nach den zwei durchwachten Nächten.«

»Jawohl, Herr Leidnant.«

»Wenn die . . . die Wiederbelebungsversuche vorbeigelingen, muß er mir an Krug Wasser übern Kopf schütten – verstehst? Und ein schneidiger Bursch muß er sein, der nit gleich davonlauft, wann ich aufwach. Ich wer wahrscheinlich ziemlich grob sein. Sehr grob, Peter.«

»Jawohl, Herr Leidnant.« 67

»Aaohohoho – ich bin nämlich furchtbar schläfrig, furcht–bar schläfrig, Peter.«

»Jawohl, Herr Leidnant.«

»Dann also angenehme Reise – adieu, gute Nacht!«



»Herr Leidnant! Herr Leidnant! Herr Leidnant!«

»Hja – was is denn?«

»Herr Leidnant! Sie missen aufstehn – es is sechs Uhr.«

»Ah – Teufel!« – Und ich wende mich aufs andre Ohr.

»Herr Leidnant!«

»Rrruh geben, Peter!«

»Naa, Herr Leidnant – es is sechs – die hexte Zeit. Um halber sieben soll die Batterie gstellt sein – in Sommermarschadjustierung – es is Garnisonsmarschibung.«

»H?«

»Es ist Garnisonsmarschibung.«

»Was sagst? Garnisons . . .? Ja, wer hat das, wann und wohin angeordnet?«

»'s is gestern im Befehl gstanden, Herr Leidnant.«

»Blödsinn. Kein Wort is davon im Befehl ge . . . aoh – ge . . . – aoh . . .«

»Herr Leidnant! Herr Leidnant!«

»Noch fünf Minuten, Peter!«

»Herr Leidnant, i meld ghorsamst, i hab des Wasser scho bracht.«

»Was für Wasser, Peter?«

68 »Des, mit wo ich Sö ghorsamst begießen wer, wann Sö net aufstehn tun.«

»Na – ja, schon gut, aohoh. Ich bin ja wach. – Na, also. Guten Morgen! Regnets?«

»I meld ghorsamst, nein. Es is scheen klar.«

»Merkwürdig. Gestern abend hats ausgschaut, als sollt es wenigstens eine Woche regnen. Wo sind die Strümpf? Die Stiefel?«

Ich stand auf und begann mich anzukleiden. Ein Blick fiel auf den Spiegel.

»Du, Peter, sag einmal, warum bin ich denn so staubig?«

»Herr Leidnant, i meld ghorsamst, i waaß net.«

»Hm. Sonderbar. Das reinste Dornröschen. Und warum is denn der Spiegel so staubig, wenn ich bitten darf? Da – schau – man kann drauf schreiben.«

Peter blickte die Buchstaben an und schüttelte bekümmert den Kopf.

»Ma mecht net glauben,« sagte er, »wie schmutzig daß manche Burschen sein tun.«

»Welche – manche?«

»Halt der Unterkanonier Drahtstift, Herr Leidnant.«

»Was hat denn der Drahtstift mit dem Spiegel zu schaffen?«

»Halt der Drahtstift, mei Stellvertreter für die Zeit vom Urlaub.«

»Ja – richtig, Peter! Ich hab so eine dunkle Vorstellung . . . Sag einmal, hast du nicht auf acht Tage Urlaub gehen wollen?«

Peter sah mich verständnislos an.

69 »Mir is doch so . . . Peter . . . als hättst du . . . – Oder hab ich das nur geträumt?«

Peter glotzte.

»Unglaublich, wie lebhaft man träumen kann. Ich hätt geschworen, daß du mich um acht Tage Urlaub gebeten hast und hast mir einen verläßlichen Mann von der Batterie versprochen . . .«

»Is er denn net hier gwesen, i bitt ghorsamst, Herr Leidnant?«

»Wer – er?«

»Der Drahtstift.«

»Was hast du denn heute ewig mit dem Drahtstift, um Himmels willen?«

»Aber, Herr Leidnant, i meld ghorsamst, i war ja schon auf acht Tag Urlaub, un der Drahtstift hätt mich vertreten sollen. Jetz is der Kerl net kummen, un der Herr Leidnant haben mei ganzen Urlaub verschlafen.«

»Ah – so – darum! Ich hab mich gleich so wunderbar ausgeruht gefühlt.« 70

 

Der Invalid.

Dem Gemeinen Anton Pamminger haben die Preußen übel mitgespielt.

Eben ist der Arme als hilfloser Krüppel im Feldspital erwacht und sieht neben sich seine amputierten Gliedmaßen liegen.

»Ich bitt,« fragt er den Stabsarzt, »sagts mir jetz nur aans: bin ich selbst ich – oder lieg ich dorten im Winkel?« 71

 


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