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Links das letzte Zimmer nach dem Garten hinaus!« – rief mir der Wärter nach, der mich bis zu der Abtheilung der »ungefährlichen«, im gesellschaftlichen Sinne leichteren Geisteskranken geleitet hatte.
Ich war Gast des seiner Zeit oft genannten Irrenanstaltsdirectors Dr. Hermann Schneider in Klosterecken (Salzkammergut), dessen Bekanntschaft ich beim Stiftungsfeste meines Corps in Heidelberg gemacht hatte. Auch mein Vater hatte als »alter Märker«, geschmückt mit der großen Schirmmütze vergangener Tage, dem studentischen Feste in Heidelberg beigewohnt. Die Jugendfreundschaft der beiden Alten war es gewesen, die Dr. Schneider Veranlassung gegeben hatte, mir, dem eben von schwerer Krankheit Genesenen, seine von der Natur reichbegnadete Wohnstätte in Klosterecken als für mein Reconvalescenz klimatisch vortrefflich geeignet vorzuschlagen.
Es war demnach kein wissenschaftliches Interesse, das mich, den eben der Universität entlaufenen Mediciner, hierher geführt hatte. Dr. Schneider galt, wie man sich erinnern wird, in Oesterreich und Deutschland für einen bedeutenden Irrenarzt, ohne es nach meiner heutigen Ueberzeugung gewesen zu sein. Viel Menschenkenntnis, eine eiserne Energie, ein durch keinen Mißerfolg schwankend zu machendes Selbstgefühl und ein trotz großer Strenge kindlich weiches Herz, das sind bestimmt die einzigen arcana gewesen, die man in seiner Anstalt suchen durfte.
Damals war ich freilich anderer Meinung. Noch saß ich bis über die Ohren in der Universitätsscholastik; ich schwur auf Professoren, auf Compendien und natürlich auch auf Irrenanstaltsdirectoren. Auch vor der medicinischen Terminologie hatte ich unsäglichen Respect und hörte gläubig zu, wenn Dr. Schneider im griechisch-lateinischen Apothekerjargon unserer Wissenschaft die räthselhaftesten Fälle seelischer Gestörtheit spielend classificirte und etiquettirte. Hatte er einen passenden Namen gefunden, dann stand auch mir das jeweilige Bild geistiger Krankheit so fest umschrieben, so genau bestimmt vor Augen, wie etwa Cholera nostras.
»Einen meiner interessantesten Patienten, den jungen Baron von Tegern, kennen Sie noch nicht«, hatte mir gestern Dr. Schneider gesagt. »Aber es ist vielleicht ganz gut so«, setzte er hinzu. »Sie sind mir nach Ihrer Krankheit noch immer zu reizbar um hier beliebig Bekanntschaften zu machen.«
Im Gefühl erstarkter Gesundheit lachte ich den vorsichtigen Doctor aus.
So war ich denn auf dem Wege zu dem Kranken. Ich trat nach wiederholtem Klopfen in das mir vom Wärter bezeichnete Zimmer des Erdgeschosses ein. Eine halbgeöffnete Jalousiethür ließ mich gleich beim Eintreten einen Blick auf die unmittelbar an das Zimmer stoßende Veranda thun, die über dem sanft ansteigendem Garten gleichsam thronte und über ihn hinweg eine weite, weite Aussicht auf das blühende, von schneeigen Firnen duftig umkränzte Thal der Salzach gewährte.
Der Bewohner des Zimmers erhob sich von seinem Schreibtisch und stand mir gegenüber. Er war ein junger Mann im Ausgange der zwanziger Jahre stehend, von schlanker, adliger Figur. Sein schmales Gesicht, in welchem die schöne Linie der Nase, trotz des weichen Zuges um den Mund und des fast wehmüthigen Blickes von großer Energie zeugte, war höchst bemerkenswerth. Er strich leicht sein sorgfältig gepflegtes, blondes Haar an den Schläfen zurück und schien befangen. Offenbar faßte er meinen Besuch als einen ärztlichen auf. Gleich bei meinem Eintreten hatte er hastig ein kleines Buch, das ich an Schnitt und Einband als katholisches Meßbrevier erkannte, in einem Schiebkasten seines Schreibtisches verborgen.
»Lassen Sie sich durch mich nicht in Ihrer Lectüre unterbrechen,« bat ich, nachdem ich mich vorgestellt hatte. »Ich komme um Sie zu bitten, mir den Genuß der prächtigen Aussicht von Ihrer Veranda vor meiner Abreise einen Augenblick zu gönnen. Man muß von hier aus weit hineinsehen können in die schöne Alpenwelt!«
»O, entgegnete er lebhaft, »es ist der schönste Aussichtspunkt, den Sie hier oben finden können. Es wird mich freuen, wenn Sie, solange Sie noch hier sind, mich oft besuchen, ich habe von Ihnen gehört. Mein Freund, der Pater Bernhard – Sie wissen, drüben aus dem Jesuiteninstitut, – der hat mir von Ihnen erzählt; er hat Sie wohl beim Doctor kennen gelernt.«
Ein Schatten des Mißvergnügens mußte wohl beim Nennen des Bezeichneten mein Gesicht überflogen haben, denn der junge Baron beeilte sich, ihn zu verscheuchen.
»Sie müssen ihn genauer kennen lernen! Es ist ein prächtiger Mensch, dieser Jesuit. Er ist auch der Einzige, der mich versteht. Doch das kann Sie nicht interessiren. Kommen Sie!«
Er schlug die beiden Flügel der Verandathür weit auf. Im Glanze der Abendsonne lag ein Landschaftsbild vor uns, so überwältigend schön, daß ich geblendet zurückprallte. Mir war, als ob ich die Herrlichkeit der Landschaft zum ersten Male in diesem Augenblicke sähe. Der junge Baron weidete sich an meinem Erstaunen.
»Ist das nicht herrlich? Ich habe die Gaisblattranken und den wilden Wein, die sich über meine Veranda schlingen, dicht zusammenziehen lassen, so daß der Blick des Beschauers stark überschattet wird und das Landschaftsbild sich als leuchtender Hintergrund grell abhebt. Daher Ihre Ueberraschung. Sehen Sie den herrlichen Gletscher dort? das ist der Watzmann. Wie er rosig erglüht – als ob er sich seiner eignen Schönheit schämte! Und dort hinten im blauen Sehnsuchtsduft, das ist der Stauffen.«
Unsere Unterhaltung drehte sich, als wir wieder in das Zimmer zurückgetreten waren, um die unsäglich schöne Landschaft, die der Baron schon in der Kindheit Tagen in jedem lieben Winkel durchstreift hatte. Er holte sein Skizzenbuch hervor, zeigte mir mit leuchtenden Augen, was er mit eiligem Griffel an schönen Erinnerungen festgehalten hatte und freute sich über meine Freude. Wir sprachen von Malerei. Er ertappte mich lächelnd auf Schritt und Tritt bei jener fabelhaften Ignoranz, die häufig genug neben ungeheurem Respect vor der eignen Specialwissenschaft unter den Hüten und Mützen von Studenten als »allgemeine Bildung« zu thronen pflegt. Aber es erhöhte das sein Behagen. Vielleicht freute er sich über die verlegene Ehrlichkeit, mit der ich bei augenscheinlicher Empfänglichkeit für das Schöne als Riesentypus von Unwissenheit in Malerei, Dichtkunst, Musik und vielen anderen Dingen, die er völlig beherrschte, vor ihm saß. Er las mir schließlich auf meine Bitte einige seiner Gedichte vor. Sie entzückten mich in ihrer vornehmen, scheinbar kunstlosen Einfachheit, wie er sie so schlicht und andächtig vorlas, ohne Pathos, ohne Geste und doch jede Silbe aus glühender Seele heraus. Keine halbe Stunde hatte ich bei ihm gesessen und schon bewunderte ich ihn.
Ich war thöricht genug zu sagen, daß ich hoffte, er werde sich, genesen, allen diesen Dingen mit doppeltem Eifer widmen.
Sein Blick wurde düster, seine freundliche Rede schlug in rauhe, ich möchte sagen, dreiste Barschheit um, die mich gereizt haben würde, hätte ich nicht einen Kranken vor mir gehabt.
»Ach,« fuhr er auf, »welch eine thörichte Annahme! Da sieht man's wieder: Sie sind junger Mediciner und haben als solcher kaum einen einzigen Anhaltspunkt, mich zu verstehen und zu wissen, was mir gut ist. – Nehmen Sie mir's nicht übel, ich habe es trotz aller irrenärztlichen Entdeckungen der Neuzeit nie begreifen können, wo die meisten unserer Mediciner bei ihrem einseitig realistischen Bildungsgang den Muth hernehmen, sich nach einigen psychiatrischen Semesterchen auf die verwickeltsten Gemüths- und Seelenkuren zu werfen! Spätere Geschlechter werden darüber lachen, wie wir uns haben verführen lassen können, auf den Nachweis der engen Zusammengehörigkeit von Körper und Geist hin, gleich die gesammte staatliche Irrenpflege den Herrn Medicinern zu überlassen, die oft genug – wahre Dorfbarbiere sind! Sehen Sie z. B. unsern Assistenzarzt hier an, dessen einzige Unterhaltung beiläufig bemerkt, seit ich ihn kenne, der »Bierscat« bildet! Was kann dieses hohle Menschenkind, dessen Gefühlsscala keine anderthalb Octaven spannt, vom Organismus, von der angezeigten Diät einer Seele verstehen, noch dazu einer solchen, wie meine arme anima travagliata eine ist? Wer einem Geiste folgen will, der sich auf den Höhen menschlichen Denkens und Fühlens verstiegen hat, der muß wenigstens geistig klettern können. Das will, das kann unter Hunderten dieser Herren Ärzte kaum ein Dutzend.«
»Sie wissen aber noch gar nicht, ob ich es nicht kann«, warf ich ein.
Er wurde heiter und streckte mir lachend die Hand hin. »Sie haben Recht, ich weiß das nicht – aber es ist besser, Sie versuchen es nicht. Das müssen solche Leute thun, wie mein Freund, der Pater Bernhard, der wird mir auch helfen. Ob Sie es könnten, auch wenn Sie wollten, möchte ich fast bezweifeln. – Sie freuten sich vorher an meinen Gedichten, an meinen Skizzen. Ach, wie hat das Alles – Dichtkunst, Malerei, Musik, Schauspiel, einst mein Glück ausgemacht! und doch haben die nüchternen Philister Recht, die behaupten, daß diese virtuosen Empfindeleien an meinem Unglück Schuld sind. Sie sind ja auch noch jung – wenn ich Ihnen rathen darf, gehen Sie nie ganz auf in Dergleichen – bleiben Sie bei dem einen Spiegel! – Sie verstehen mich nicht? Wissen Sie denn nicht, woran ich leide? Haben Sie Nichts von meinen vier Spiegeln gehört?«
Er deutete mit einem wehmüthig bittenden Blick auf seine Stirn.
Ich machte ein sehr verlegenes Gesicht, auf dem trotz aller medicinischen Kaltblütigkeit etwas von Schreck gestanden haben mag.
Ich schwieg, er hatte sich dem Fenster zugewandt und fuhr mit der Hand über die Augen. Nach einer Weile setzte er sich halb abseits von mir in einen Lehnstuhl, das Gesicht der Thür nach dem Garten zugekehrt. Ohne daß ich ihn durch ein Wort oder durch eine Geste dazu aufgefordert hätte, begann er zu erzählen.
»Ich kam vor acht Jahren als einundzwanzigjähriger Student nach Wien. Von meinem Vater, der General in kaiserlichen Diensten war, auf das Liebevollste und Sorgfältigste erzogen, konnte ich bei einer außergewöhnlichen Beanlagung unter meinen Commilitonen als einer der gebildetsten jungen Männer gelten. Wenn ich auch damals nicht im Stande war, den Abstand zu ermessen, der zwischen meiner geistigen Entwicklungsstufe und der ihrigen bestand, so fühlte ich mich doch schon damals deutlich über meinen Altersgenossen erhaben, auch in Bezug auf Charaktereigenschaften, die ich schon als bartloser Knabe ganz ausgeprägt besessen zu haben glaube. Und glücklich war ich. Heiter und rein fiel das Bild der schönen Welt, die mich umgab, in den klaren Spiegel eines empfänglichen Sinnes, der die empfangenen Strahlen stark und ungebrochen auf einen kräftigen Willen warf.
Da nahte das Verhängniß. Ueber mein leicht erregtes Gemüth brach der Gewittersturm der Liebe mit Himmelsgewalt herein. Ein Mädchen, schön und klug wie Aspasia, aber von Herzen rein wie die Madonna, nahm mich mit allen meinen Gedanken, mein ganzes Ich gefangen.
Sie werden sich wundern, wenn ich Ihnen sage, daß dieses schöne, fromme Mädchen eine Bühnenkünstlerin war; auch mich machte ihr Bühnenberuf anfangs stutzig. Wie reimte sich diese Höhe des künstlerischen Sichselbstbewußtwerdens in jeder Gemüthsregung mit dieser Herzenseinfalt? Und sie liebte mich wieder, nicht mit dem Aschenrest einer ausgebrannten Schauspielerseele, sondern mit der Gluth eines einfältigen Menschenherzens liebte sie mich. Sie wollte mir folgen – überallhin. Ich war einundzwanzig Jahr alt, ein junger Mann von kleinem Vermögen, noch wußte ich gar nicht, was ich studiren sollte und beschloß – sie zu heirathen, – womöglich ohne jeden Verzug! Mein Vater, ein strenger Soldat und eingefleischter Aristokrat, meine zärtlich geliebte Mutter, Beide waren wie vom Donner gerührt über dieses unglückliche Ereigniß, über diesen kindischen Entschluß, dicht an der Schwelle meiner, eben begonnenen Lebenslaufbahn. Mein Vater drohte mich zu verstoßen, meine Mutter lag zu meinen Füßen – nur mein einziger Bruder stand auf meiner Seite.
Aber ich blieb fest und sie, meine Hedwig war entschlossen, bald – wenn alle unsere Angelegenheiten geordnet seien würden – mit mir zu ziehen, wohin ich wollte.
Da, in diesen Tagen der seligen Gewißheit, kam noch ein Brief von meinem Vater; es war nach seiner Auffassung ein letzter Gnadenact für mich, in Wirklichkeit ein kalter, leichenkalter Eiseswind für das Herz meiner Geliebten, die mit einem Schlage aus diesem Briefe die unüberbrückbare Kluft erkannte, die das arme Bühnenmädchen von dem »Aristokraten« trennte. Er stellte, in Wendungen – und allerlei Hindeutungen auf ihre Person und ihren persönlichen Werth, die demüthigende Forderung an sie, gegen »Auszahlung der Erbschaft an uns Beide« der Bühne augenblicklich Valet zu sagen. Sie beantwortete diesen Brief bitter genug damit, daß sie – mich veranlaßte, zur Bühne zu gehen.
Ich fühlte schauspielerisches Talent in mir, und die Schwierigkeiten, die sich selbst unter dieser Voraussetzung dem Beginn einer Carrière an einer leidlichen Bühne in den Weg zu stellen pflegen, schaffte meine jetzt noch gefüllte Börse aus dem Wege. Alles, selbst die furchtbare Prüfung mit ganz untergeordneten Rollen beginnen zu müssen – ich ertrug es in dem seligen Gefühl, meiner Hedwig nahe zu sein. Die letzte Verbindung mit meiner Familie war mit meinem ersten Auftreten unwiderruflich abgebrochen, nur meinen Bruder sah ich oft. Und unsere Heirath? Hedwig hatte sie nach dem Briefe meines Vaters auf weit, weit hinausgeschoben. »Er hat Recht«, sagte sie, »du bist ein Kind, du mußt erst ein Mann werden.« Sie reizten mich bis auf's Blut, solche Worte!
Mit Leidenschaft stürzte ich mich auf die Schauspielkunst; in dem künstlerischen Ziele, das ich mir steckte, suchte ich instinctiv einen annehmbaren Entschuldigungsgrund für mein Verhalten mir selber und meiner Familie gegenüber.
Und ich hatte Glück.
Der Director entdeckte plötzlich, daß ich ein Talent sei, nachdem einige Kritiker von Belang meine sicherlich vom übrigen Personal vornehm abstechenden Person mit ihrem Lobe bedacht hatten. Er gab mir größere Rollen, und ich gefiel.
Schauspielerische Eitelkeit fing bald an, jemehr ich von dem berauschenden Tranke des Beifalls genoß, sich als wucherndes Unkraut in meiner jungen Seele einzunisten. Bald hieß es allgemein, daß in mir ein großer Schauspieler stecke. Nun schlugen die Flammen des Ehrgeizes lodernd über Kopf und Herzen zusammen. Ich wurde ein Anderer in kurzer Zeit! Erst kam jetzt die Kunst, dann die Liebe. So vergingen zwei Jahre.
Gründlicher, tiefer kann kein junger Schauspieler seine Aufgabe auffassen, als ich es that; selten hatte ich noch Zeit, an meine Hedwig zu denken. War ich nicht auf der Bühne beschäftigt, so saß ich allein in meinem Zimmer und tastete in weltvergessenem Grübeln dem Wesen, den feinsten Wurzelfäden des menschlichen Gefühls nach, folgte dem Quell des Empfindens von seinem leise rieselndem Ursprung bis zu seinem Anschwellen zum reißenden Strome, bis zur leidenschaftlichen Brandung auf der Bühne der darstellenden Kunst. Und die tausendfach verschiedene Wirkung jeder Gefühlsäußerung des Bühnenkünstlers auf die tausend verschiedenen Individualitäten der Zuschauer, ich malte sie mir alle nachfühlend aus. So klomm ich nach und nach tollkühn empor zu jener höchsten, schwindelnden Höhe der Empfindsamkeit, zu der noch kein Aesthetiker sich ungestraft hindurchgefühlt hat.
Da kam ein schrecklicher Sturz aus den Nebelhöhen meiner Träume nieder in die furchtbare Realität des Lebens! Meine Hedwig war fort! Ohne Gruß, ohne eine Zeile war sie auf und davon! Wohin? Niemand wußte es. Nur das wußten sie Alle, daß sie mit einem Andern, den Niemand kannte, fort sei – auf Nimmerwiedersehen. Wie mit Geierkrallen fleischte die Reue sich in mein Herz. Hatte ich kläglicher, eitler Thor die Liebe dieses großen schönen Herzens nicht unachtsam aus den Händen gelassen, hatte ich die Gluth ihrer Seele, die sie mir wie ein keusches, heiliges Feuer entgegengetragen hatte, nicht fühllos erkalten lassen? Für was? Für meine selbstgefälligen, weibisch eitlen Zukunftsträume! Nun hatte ich mein Mädchen hinausgestoßen in den Schlamm der Welt! Nun fühlte ich wieder, wie ich sie über alles Denken und Sagen glühend liebte!
Daß ich diesen Sturz in's Elend überleben konnte, daß ich mich nach wenig Wochen wieder mit Lorbeeren überschütten ließ, ist mir jetzt der ekelhafte Beweis, daß ich bereits damals im Dienste der Kunst bis in die heiligsten Schlupfwinkel des eigenen Herzens vergiftet war, nicht mehr souveräner Herr war meiner selbst.
Aber noch war ich nicht da, wo ich hinsollte. Noch war ich – erst bei dem zweiten Spiegel! Sie verstehen dieses Gleichniß noch nicht. Hören Sie. Der gesundempfindende Mensch, wie ihn Gott sich gedacht haben muß, wenn er vorhatte, glückliche Menschen zu schaffen, er gleicht in seinem Innern einem klaren silberhellen Spiegel, der treu und höchst empfänglich jeden Eindruck, den die Außenwelt ihm gegenüberstellt, unmittelbar aufnimmt und wiedergiebt. Der Schauspieler stellt in seiner Berufsthätigkeit einen zweiten Spiegel dar, denn er spiegelt die Eindrücke nicht direct wieder, sondern giebt nur den Eindruck wieder, den Haß, Liebe, kurz jede Leidenschaft auf den natürlichen Menschen, auf den ersten Spiegel machen. Das Verhängniß des talentvollen, des »geborenen« Schauspielers kann es nun nur allzu leicht werden, daß dieses fortwährende Wiedergeben fremder Empfindungen, daß dieses immer wiederholte Heucheln nicht vorhandener Affecte allmählich und ganz leise, leise jedes eigene und ursprüngliche Empfinden verfälscht, überschleiert und nach und nach meuchlerisch erstickt. Der Hölle eines leeren, öden Gemüthes, eines haltlosen Selbst ist er dann unwiederbringlich verfallen, er ist dann bald nur noch die Fassung für die Juwelen fremden Empfindens. Er empfindet, wie ich sagte, nur noch durch den zweiten Spiegel; unkräftig ist sein Wille geworden, denn die Strahlen äußerer Eindrücke fallen gebrochen auf ihn.
Soweit war ich damals. Mein treuer Bruder, auf einer Reise in Italien begriffen, eilte auf die Nachricht von dem Verschwinden meiner Geliebten, von dem er durch Zufall Kenntniß erhalten hatte, unverzüglich zu mir. Er glaubte einen untröstlichen Bruder zu finden. Er fand mich fühllos, innerlich todt, im Taumel meines lüderlichen Comödiantenlebens. Ich sehe noch sein vor Schmerz zuckendes Gesicht, wie er, hinter einem Pfeiler stehend, mich, den treugeliebten Bruder, nach langem Suchen in einem Biergarten fand, wie ich gleichgültig dasitzend, auf die verblümten Liebeserklärungen einer mehr als zweideutigen Theatergrisette antwortete – wenig Wochen nachdem die Geliebte mich verlassen, für die ich Vater und Mutter, Glück und Vermögen dahingegeben hatte.
Heute fühle ich als spitzen Dolchstich die Erinnerung, wie der schmerzlich zuckende Mund des stattlichen Mannes sich rührend verzog, ganz wie in den Kindertagen, wenn ihm zu leid geschehen war; heute fühle ich das; damals fühlte ich nichts, als daß ich nöthig hatte, ihm gegenüber den dankbaren Bruder zu spielen. Auch den feinfühlenden Unglücklichen wollte ich spielen, als ich sah, welche Empfindungen mein Bruder bei mir voraussetzte, aber es gelang mir nicht. Er durchschaute die Wandlung meines Gemüthes und stieß meine Hand, angewidert von der Schmach meiner Existenz, weit von sich; ich habe ihn nie wiedergesehen.
Vater und Mutter starben kurz darauf. Ich weihte ihrem Andenken einige Tage wirklicher Trauer. Bald schwieg auch dies Gefühl. Es war gut, daß Vater und Mutter nun Ruhe hatten, ich war wieder getröstet, ja ich Elender empfand zum ersten Male eine gewisse wohlthuende Ruhe in dem Gedanken: »Du hast nun Alles erlebt, was über eine Menschenbrust hereinbrechen kann, du hast den Leidenskelch bis auf die Hefe gekostet und – lebst doch noch ganz gern.«
Ich Thor, der ich nicht ahnte, daß ich selbst die Harpyen der Verzweiflung und des Wahnsinns zu gerechter Strafe mir langsam großzog! Elender Thor, der ich wähnte, alles Schreckliche müsse von außen her über mich kommen!
So klein das mir durch den Tod meines Vaters zugefallene Erbtheil war, es genügte, um mich vorläufig sorglos in den Tag hineinleben zu lassen. Ich erkannte plötzlich, daß ich den Honig des Künstlerruhmes genugsam gekostet hatte, um nach weiteren Lorbeeren nicht lüstern zu sein, mit einem Worte, ich war angesichts meiner vollen Börse zu faul, um weiter zu spielen. So faullenzte ich denn in blödem Nichtsthun, zechend, verführerischen Weibern den Hof machend, ohne an irgend Etwas Gutem regen Antheil zu nehmen, über ein Jahr lang hin, bis mich die Langewelle wieder in den Kreis der lustigen, ebenso leichtlebigen Bühnengenossen trieb.
In ihrer Gesellschaft erwachte noch einmal die Lust, auf die Bühne zurückzukehren. Sie riethen alle ab und wollten ein Nachlassen meiner schönen Fähigkeiten in Folge meines leichtsinnigen Lebenswandels bemerkt haben. Der Director erklärte mir geradezu, daß er meinem Gedächtniß keine große Rolle mehr anvertrauen möge. Ich drang in ihn, wüthend über sein Urtheil, das ich für Uebelwollen hielt. Er blieb bei seiner Weigerung.
Und die Noth kam heran. Es war kein Geld mehr da, um die Langeweile in den Kneipen und in der Gesellschaft meiner schönen Freundinnen todtzuschlagen. Abgerissen in der Kleidung, mit schiefgelaufenen Stiefelabsätzen und in meinen viel zu sommerlichen Beinkleidern vor Frost zitternd, klopfte ich, der junge Baron, eines Tages arbeitsuchend an die Thür eines bekannten Redactionsbureaus. Ich hatte wieder Glück, denn ich war trotz meiner Lage und Verfassung ein klugberechnender, schlauer Mensch, der den rechten Ton für den Cynismus der beiden mir gegenüberstehenden »Chefs« sofort zu treffen wußte. Ich wurde probeweise für Theaterkritik engagirt. – Wieder umstand dichter Lorbeer meinen Lebensweg; meine Theaterkritiken wurden berühmt, man sagte, sie seien von den Theatergenüssen der Saison das Allerbeste, das Unverwelkliche. Ich wußte neben dem ätzenden Saft beißender Ironie die seltensten Schriftstellergaben zu zeigen. Vor Allem strahlte aus meinen Arbeiten die zarte Empfindung eines großen und guten Herzens scheinbar so ungemacht, so naiv aus tausend geistreichen aperçus, bonmots und feuilletonistisch blendenden Bemerkungen hervor, daß ich auch Leute von Gründlichkeit zu bestechen wußte.
Und mir selber war meine kritische Thätigkeit zuerst eine Wonne. Ein Wunder ging in mir vor. Der Rest von Gemüth, der mir im Taumel meines gefährlichen Lebenswandels geblieben war, er erstarkte allmählich wieder. Wunderbar schärfte sich durch meine Thätigkeit auch mein Urtheil. Im Fluge ging's hinauf zu den höchsten Höhen des aesthetischen Bewußtseins. Zu meinem Unheil ging es diesen Weg! Wohl dem geschulten Kritiker, dem sein gewohnheitsmäßig verfeinertes Urtheil neben den Objecten der Kunst den eigenen Menschen, die eigene Vergangenheit in leidlichem Lichte zeigt! Wehe mir! Als ob mein geistiger Blick nur deshalb sich erweitert hätte, um den Abgrund meines Elends schaudernd zu ermessen, saß ich da, ein Riese an Erkenntniß, kraftlos, hülflos, ein lallendes Kind an Willen, und überblickte mit einem Male den Kirchhof meines Herzens, saß und schluchzte am Grabe meiner Liebe, meines Glaubens, meiner Hoffnung.
Immer qualvoller ward mein Leben. Je begehrter meine kritischen Feuilletons wurden, je elender fühlte ich mich. Wild schrie ich oft das ungeheure Weh meines Herzens in die Nacht hinaus. Das war die Zeit des dritten Spiegels!
Aber es sollte noch nicht zu Ende sein! Es kam eine Zeit, in der ich noch besser »sehen« lernte. Unaufhaltsam ging es vorwärts – bis – bis –«.
Der Kranke schauderte zusammen. Er wischte Schweißtropfen von der glühenden Stirne! Ich aber saß, unfähig vor seinem schmerzdurchfurchten Gesichte ein Wort zu finden, schweigend vor ihm. Und es schien ihm wohlzuthun, daß ich sein langes, stummes Sinnen durch kein Wort der Theilnahme unterbrach, seine Züge nahmen allmählich einen milderen Ausdruck an. Plötzlich stand er leise auf. Meine Gegenwart gänzlich vergessend, schritt er auf den Schreibtisch zu und holte sein Brevier aus dem Kasten. Dann stieß er, während ich lautlos sitzen blieb, die Flügelthüren der Veranda weit auf. Blutroth fluthete das Licht der Abendsonne über seine Gestalt. Wie verzückt schlossen sich seine Augen und seine Lippen flüsterten, indem er das Buch an's Herz drückte, leise: » Ave! ave benigna, mater dolorosa!«
»Kommen Sie heute nicht zu spät nach Hause! Pater Bernhard ist unser Gast!« mahnte Dr. Schneider, als er mir eines Morgens in einem Laubgange seines herrlichen Parkes begegnete.
»Wer ist dieser Pater Bernhard?« fragte ich, mich zu dem Doctor gesellend.
»Da fragen Sie mehr als irgend Jemand hierorts sagen und er selbst Ihnen verrathen wird! Seit der junge Baron bei uns weilt, ist er drüben im Jesuiten-Institut. Ein eigenthümliches Menschenkind. Hochgebildet! – ein Mann, der alle Zweige des Wissens mit wunderbarer Ueberlegenheit beherrscht. Es ist geradezu lächerlich, was er Alles weiß! Erstens ist er Doctor der Theologie, zweitens hat er für eine Arbeit über Kirchenrecht einen juristischen Facultätspreis in Tübingen errungen, drittens hat er ein gelehrtes Buch, »Die Klöster in der Geschichte der Medizin«, geschrieben! Drüben im Institut ist er Custos der ganz bedeutenden entomologischen Sammlungen – kurz, ein ganz encyklopädisches Wissen! Dabei ist mir merkwürdiger Weise immer, als ob ich ihn schon in allen möglichen Lebensstellungen, die mit den vier Facultäten nichts zu thun haben, irgendwo gesehen hätte – als Musikvirtuos, als Schauspieler – Ich frug ihn auch darnach. Er verneinte, und es muß also wohl ein Irrthum sein; aber sein Gesicht scheint auch andern Leuten bekannt vorzukommen. Es giebt merkwürdiger Weise für jeden Menschen Gesichter, die ohne den geringsten thatsächlichen Grund diesen Eindruck hervorrufen. Ich will Ihnen später einmal meine wissenschaftliche Idee über diese Sache auseinandersetzen. – So ist z. B. unser kleiner Rittmeister nicht von der Behauptung abzubringen, den Jesuiten als Reitknecht einer schönen Polin in Monaco gesehen zu haben.«
Der Doctor lachte herzlich auf und ich that aus Interesse an dem Jesuiten nichts, den gesprächigen Mann von unserm Thema abzubringen.
»Der Pater hat sich gleich anfangs bei uns eingenistet«, fuhr der Doctor zu erzählen fort. »Zuerst mochte ich ihn nicht leiden, aber sein tiefes Wissen, sein Humor, der freilich immer etwas nach dem Galgen schmeckt, – sind mir hier in meiner Einsamkeit doch recht schätzbar. Er hat außerdem eine rührende Anhänglichkeit an v. Tegern, der ihn als seinen eigentlichen Arzt betrachtet. Ich habe lange Zeit ein Bedenken gehabt, ob ich den Verkehr der Beiden fortdauern lassen sollte, schließlich bin ich zu der Ueberzeugung gekommen, daß dieser abgebrühte Jesuit, der kalt ist wie eine Hundenase, für den überspannten kleinen Baron gerade die richtige Gesellschaft ist. Er war übrigens sehr ungehalten über Ihren Besuch bei »seinem Patienten«, wie er sich ausdrückt, und will Sie durchaus sprechen. Was er hat, weiß ich nicht. – Also kommen Sie nicht zu spät zurück!«
Ueber die Worte des Doctors nachsinnend schlenderte ich allein durch den lautlosen, heute von sonst Niemanden betretenen Park.
Was mochte es nur sein, das auch bei mir den Eindruck hervorrief, unter irgend welchen ganz anders gestalteten Verhältnissen den Jesuiten schon früher gesehen zu haben? Es konnte keine Einbildung sein. Tausend Bilder und Scenen der Erinnerung aus vergangener Zeit ließ ich an meinem Geiste vorüberziehen. Vergeblich suchte ich nach diesem Gesichte. Nach diesem kalten Blick aus heißen, dunklen Augen. Nirgends, nirgends zu finden. Immer näher rückten die Bilder heran an meine Studienjahre, an die Tage meiner Krankheit, an die Zeit, da ich in – – ich fühlte plötzlich das Herz mir in der Brust stocken! War es ein Teufelsspuk, war es gesundes Gedächtniß, was mich blitzartig auf die richtige Fährte brachte? – Von der schönen Polin des verrückten Rittmeisters in Monaco, die der Doctor vorher erwähnt hatte, sprang meine Phantasie im Fluge der Ideenverbindung nach Wiesbaden. Hier, richtig, hier –. wie konnte ich es nur vergessen? hier hatte ich ihn ja gesehen. Und in welchem entsetzlichen Augenblick!
Das bunte Bild des Wiesbadener Kurlebens tauchte hell in meiner Erinnerung auf. Ich sah sie wieder, die eleganten, verführerischen Frauen aus aller Herrn Ländern, hier versammelt – wie mir damals däuchte, – um an einem schönen Fleck der Erde alles das zu vereinen, was die Natur an holdlockendem Frauenreiz weit über den Erdball, an Völker und Nationen gütig und weise vertheilt hat. Ich sehe sie wieder die »schöne Schwedin«, und ich sehe leider auch mich wieder, wie ich ihr in aufdringlicher Leidenschaftlichkeit den Hof machte, die Skrupel meines Gewissens mit dem Hinweis auf das, was täglich um mich herum im Badepublicum sich abspielte, leichtsinnig beschwichtigend.
Und ich sehe mich wieder, wie ich allein mit ihr in der Laube ihrer Mieth-Villa saß. Ich fühle den Blick ihrer stahlgrauen Augen sich mir in die Seele bohren. »Lieben Sie mich? – – So retten Sie mich!« Alles, Alles höre ich wieder, was Sie mir erzählte, während ich trunken vom Hauch ihres Mundes, berauscht vom Duft ihres Haares, sinnverwirrt neben ihr saß. Daß sie keine Schwedin sei, sondern eine Deutsche. Daß sie bei der Bühne gewesen – in Wien. Daß sie eine Leidenschaft, eine glühende Leidenschaft im Herzen trage. Daß ein böser Dämon sie in einer schlimmen Stunde verführt habe Wien zu verlassen, daß ein Teufel sie bewache, der sie nun mit einem Worte vernichten könne, in den Augen aller Menschen, auch des Geliebten. Und weiter, daß sie fliehen wolle, wenn sie des Geliebten Aufenthalt in Erfahrung bringen könne, fliehen vor dem Entsetzlichen, der fälschlich als ihr Gatte gelte. Ob ich mich aufmachen wolle, den verschollenen Geliebten zu suchen? Und ich weiß es noch, daß ich mechanisch bejahte, daß ich traurig über das Gehörte und doch selig im Gefühl des vertrauten Beisammenseins, und ihrer holden Nähe, schwur, ihm ihre Grüße zu bringen und daß sie widerstandslos, in stummer Verzweiflung ihre Lippen meinem ungestüm frevelnden Munde ließ. Und ich höre es wieder, wie plötzlich raschelnd die Blättergewinde der Laubenwand sich theilen und ein Gesicht, aschfahl im Zwitterlichte des Mondes und der sinkenden Sonne starren Auges hervorblickt. – »Madame!« – dies eine kurze Wort stieß der Entsetzliche höhnisch und grimmig zugleich hervor – er, ja er, – – der Jesuit! Mit einem Entsetzensschrei reißt sich das schöne Weib aus meinen Armen. Sie stürzt hinweg dem Hause zu, indessen ich, zweifach gelähmt vom Taumel seligen Entzückens und dem Todesschrecken meines bösen Gewissens sitzen blieb. – Erst nach Minuten schnellte mich der schamvolle Gedanke, dem Schrecklichen nicht gegenüber getreten zu sein, empor. Ich stürzte ihm sinnlos nach, er hatte das Haus hinter sich verschlossen!
Wüthend vor Scham, innerlich zerrissen von hundert sich kreuzenden Gefühlen kehrte ich in die Laube zurück. Dicht am Eingang lag etwas Glitzerndes. Ich hob es auf. Es war ein Kreuz von rothen Korallen, das ich am Halse der Geliebten, gehalten von doppelten Korallenschnüren, die in sonderbarem Geschmack aus großen und kleinen Steinen aufgereiht waren, noch vorhin gesehen hatte. Das Kreuz mußte durch die jähe Bewegung von der Schnur gelöst und herabgefallen sein.
Am andern Morgen und wieder am nächsten Morgen, und so eine Woche fort – täglich klopfte ich beim Pförtner ihrer Villa. Nicht sie, nicht »ihr Gatte« war zu sprechen. Und immer hörte ich dasselbe, immer wurde es schlimmer mit ihrem Zustand, bis es eines Tages aus war. Die »schöne Schwedin« war todt und ihr Begleiter verschwunden. Ich versuchte den wahren Namen dieses Mannes und besonders den ihres Geliebten durch Fragen an ihre Dienerschaft, mit Hülfe des Gerichtsbeamten, der ihre Hinterlassenschaft zu versiegeln hatte, zu erforschen. Nirgends fand sich eine Angabe. Mit den Wenigen, welche die schöne Dulderin näher gekannt hatten, begrub ich sie. Alle hatten sie bald vergessen, mir aber blieb die Gewißheit ihres schrecklichen Schicksals, ohne die Hoffnung das nur halb enthüllte Räthsel lösen zu können. Wie ein Liebender bewahrte ich treulich das Korallenkreuz unter meinen Reliquien der Liebe und Freundschaft. Und wieder fühlte ich es heute bei dem Gedanken an die Todte auf meinen Lippen brennen – so glühend heiß, wie die Vorwürfe, die ich mir über meine klägliche Rolle von damals oft, unsäglich oft gemacht habe.
Ein Knistern im Kies mir zur Seite schreckte mich auf. Auf einer von Gebüsch verdeckten Bank saß der Schreckliche, mit dem ich mich soeben in Gedanken eifrigst beschäftigt hatte, der verschwundene Peiniger meiner todten Freundin, der Jesuit. Das Blut schoß mir nach dem Herzen. Kannte er mich? Nein, augenscheinlich nicht. Sein Blick hatte sich, als er meiner ansichtig wurde, fast theilnahmlos von dem Buche in seiner Hand zu mir emporgerichtet. Er grüßte mich mit einem höflichen Lächeln, legte sein Buch weg und lud mich mit einer Handbewegung zum Sitzen ein. Mechanisch leistete ich Folge.
»Ich begrüße den Zufall«, begann er, »der Sie mir heute in den Weg führt und muß Sie auf zwei Minuten in Ihrer Promenade stören. Der Doctor wird Ihnen erzählt haben, daß ich Sie zu sprechen wünschte?«
Ich fand Ruhe genug, seine Frage scheinbar gleichgültig zu bejahen.
»Das Interesse an meinem jungen Freunde von Tegern,« redete er weiter, seine Augen scharf auf mich richtend, »hat Sie bewogen, Ihre Theilnahme – wie ich erfahren habe – auch auf die Entstehungsgeschichte seiner Gemüthskrankheit zu richten. Es wäre nicht unmöglich, daß Sie, von seinem Schicksal bewegt, den Wunsch hätten, durch Ihre Gesellschaft das Loos des Kranken zu erheitern; undenkbar wäre es nicht, daß Sie vielleicht sogar annähmen, seinem Zustand auf irgend eine Weise zu Hülfe kommen zu können. Es ist mir von Wichtigkeit, Ihnen Ihre Illusionen nach dieser Richtung zu benehmen. Gestatten Sie eine Frage. Sie sind Protestant?«
Ich bejahte.
»Ich bin Jesuit. Mein Freund ist strenggläubiger Katholik.«
Ich fragte verwundert, was Veranlassung sein könne, in erster Linie mein Glaubensbekenntniß zu erwähnen.
Er wiegte, ohne meine Frage zu beantworten, den Kopf hin und her.
»Sie kennen das Bild, fuhr er dann fort, das der arme Kranke von dem Gange seiner geistigen Entwicklung zu geben pflegt. Er wird Ihnen von seinen ›vier Spiegeln‹ erzählt haben; – mit ihnen bezeichnet er ganz treffend die allmähliche Vermehrung der kritischen und hyperkritischen Gesichtspunkte, von denen aus er Sich, das Leben, die Kunst in hypochondrischer Schwäche zu betrachten pflegt. Drei Spiegel pflegt er zu erörtern. Von dem vierten schweigt er stets und dieser ist es auch, der seinen Zustand erst als einen krankhaften kennzeichnet. Es ist dies, um in seinem Bilde zu bleiben, der Vexirspiegel des Wahnsinns, der jede gesunde Empfindung gräulich verzerrt und verdreht, der keinen Sonnenstrahl mehr auf seinen Willen wirft. Der Doctor hält seinen Fall für sehr leicht, nach meiner Ueberzeugung ist der Unglückliche unheilbar krank.«
»Und Sie wollen ihm helfen?«
»Ich will ihm helfen, ja – aber gewissermaßen innerhalb seines Wahnsinns, d. h. ich will versuchen, seinen Geist nach einer andern Richtung hin sänftigend, lindernd zu beeinflussen. Damit ich das kann, darf Niemand meine Kreise stören, am wenigsten ein Protestant.«
»Ich denke nicht daran,« entgegnete ich, »Sie in Ihrer Behandlung des Kranken zu stören, aber ich verstehe nicht, wie in diesem Falle ein Protestant nicht im Stande sein soll, einen heilsamen Einfluß ebenso gut auszuüben wie Sie als Katholik.«
»Sagte ich in diesem Falle?« unterbrach mich der Jesuit, – ich hätte besser sagen sollen, in jedem Falle ist ein Protestant außer Stande, mittelst seiner Religion einem Kranken, der auf dem Meere des Wahnsinns und von den Stürmen des eigenen kranken Busens hin- und hergeschleudert wird, schnell helfend beizuspringen. Die Protestanten haben die christliche Religion, wie sie immer stolz behaupten, »verinnerlicht«. Es wäre eine schöne Sache um diese »Verinnerlichung«, wenn die Menschheit aus lauter starken, gesunden Herzen bestände und nicht, wie thatsächlich, auch aus sehr vielen schwachen und gemeinen oder kranken Seelen. Anders mit der katholischen Kirche, die den letzten Rest ihrer Abhängigkeit von schwankenden Menschenherzen durch das Unfehlbarkeitsdogma abgestreift hat und nun dasteht ruhig, erhaben, unerschütterlich, ein willkommener fester Felsengrund für Alle, denen draußen beim Sturme der Irrfahrt schwindlig wurde. Für unseren Kranken giebt es ein sehr simples Heilmittel, das ist, ihn in den schönen seligen Wahn der katholischen Religion wieder einzulullen, ihm auf alle Weise, durch Ueberredung, Beispiel, meinetwegen durch ein – Wunder den Glauben seiner Knabenjahre wiederzugeben. Das ist bisher leider nur für Augenblicke gelungen; ich habe ein letztes großes Mittel in petto. Bald hoffe ich, wird mein Werk beendet sein, er wird Wunder glauben soviel wir wollen und wird sich dann willig, wie ein müdes Kind, in die Arme der Schönheit und der Unschuld Mariens flüchten, und dort unter dem Schutze der väterlichen Majestät unseres heiligen Vaters sein Leid verschlummern.«
Staunen und Zorn füllten meine Seele bei diesen armseligen Worten; ich dachte an die Qualen der todten Freundin, verursacht durch diesen selben Mann, der mir gegenüber so zu reden wagte.
Deßhalb hielt ich mit meinen Unwillen nicht zurück und richtete vorwurfsvoll, die unverblümte Frage an den Jesuiten, ob ich recht gehört, ob er die Wunder der katholischen Kirche, die sein Freund glauben solle, selber leugne.
Er sah mich staunend an.
»Halten Sie diese Frage nicht für bloße Neugierde«, ergänzte ich mich, »ich habe mehr Anrecht als Sie ahnen, mich über Ihr Denken und Glauben zu unterrichten. Uebrigens – glaube ich an die Wunder meiner Kirche.« –
»Nun denn,« sagte er lachend, nach einem prüfenden Blick auf mich sich von der Bank erhebend, so glauben Sie an die Wunder Ihrer Kirche und wissen Sie überdem soviel, daß ich, was die Mirakel betrifft, es nicht für Sünde halten würde, zu meinem Zwecke für den armen von Tegern gelegentlich selber eins zu thun. Im Uebrigen umgehe ich sie gern in der Discussion und erlebt habe ich auch noch keins, trotzdem ich schon ziemlich hoch an Jahren bin.«
Dann verneigte er sich und schritt, sich wieder in sein Buch vertiefend, langsam von dannen.
So wenig ich des Doctors hohe Meinung von der geistigen Bedeutung des Pater Bernhard begreiflich fand, in Einem hatte er doch Recht gehabt: ich fühlte, daß ich besser gethan hätte, meiner neuen Bekanntschaft aus dem Wege zu gehen. Der räthselhafte Zufall, der mir zugleich mit dem jungen Baron den Unbekannten von Wiesbaden hier in Gestalt des Jesuiten wieder in den Weg geführt hatte, der Schleier, der über der Verbindung Beider lag, sie beschäftigten mich so sehr, daß es mir schwer wurde, mich zu zerstreuen. Trotz aller Versuche war ich nicht im Stande, mich aus dem Strudel der Gedanken, der immer wieder auf den Jesuiten und seinen Schützling zukreiste, herauszuarbeiten.
Ich suchte aus den Schätzen der Erinnerung an vergangene Tage das kleine Korallenkreuz hervor, das ich zum Andenken an die schöne räthselhafte Frau bewahrt hatte. Immer und immer mußte ich es betrachten und mit den Fäden grüblerischer Gedanken umspinnen.
Sollte ich mich doch etwa in den Jesuiten täuschen? konnte nicht doch eine Verwechselung vorliegen? Der Augenblick, in dem ich jenen Mann in Wiesbaden im Moment jähen Schreckens gesehen hatte, war ja ein so flüchtiger gewesen! Es war im Dämmerdunkel gewesen!
Es wurde mir immer wahrscheinlicher, daß ich mich irren müsse und ich freute mich darüber, denn der mysteriöse, unheimliche Zufall hatte mein Gemüth schwer belastet.
Aber ein Räthsel blieb ja trotz alledem übrig. Was hatte der Jesuit mit dem Kranken vor? wie wollte er diesen irren Geist vollends unter die Fittige seiner Kirche bringen? Durch welches Wunder?
Der Spätsommer war herangekommen. Von den Kirchen und Kapellen im Thal und auf den Bergen läuteten am neunzehnten August helle Morgenglocken das heilige Scapulirfest ein. Ich hatte diesen Tag für meine Abreise gewählt. Den Jesuiten vermuthete ich heute bei den Andachtsübungen seines frommen Instituts. Ich schritt im Garten der kleinen Treppe zu, die zur Veranda des Barons führte. Ihm Lebewohl zu sagen, war ich auf dem Wege zu seiner Wohnung.
Plötzlich schlug etwas wie die Stimme eines Redners an mein Ohr. Ich horchte auf. Es war die Stimme des Jesuiten, der, den Klang seiner Worte nur mäßig dämpfend, eindringlich redete. Es kam von der Veranda her. Wie gebannt stand ich und lauschte. Ich hörte ab und zu ein unterdrücktes Schluchzen zwischen den Reden des Jesuiten. Sollte ich weiter gehen? Sollte ich die Unruhe, die mir der Unheimliche im Herzen heraufbeschworen hatte, noch vermehren? Lange stand ich unschlüssig, doch es mußte sein.
Ich schlich, vorsichtig ein Geräusch meiner Tritte im Kiese des Weges vermeidend, bis dicht an die Veranda. Durch die mit wildem Wein überdeckten Gitterstäbe konnte ich unbemerkt die Scene deutlich übersehen.
Der junge Baron saß, die Ellenbogen auf den Tisch stützend und das Gesicht in beide Hände vergrabend, vor mir. Ihm zur Seite stand der Jesuit. Das Feuer seiner Rede hatte sein bleiches Gesicht belebt, er mußte lange gesprochen haben, denn er wischte Tropfen von der Stirne und athmete schwer.
Er schien auf eine Antwort des Kranken zu warten. Gespannten Blickes hasteten seine Augen auf dem von wirrem, zerrauftem Haar verborgenen Gesichte des Barons. Ein Aechzen rang sich dann und wann aus der gequälten Brust des Kranken. Endlich sank seine Rechte von der heißen Stirne auf den Tisch herab. Er streckte sie dem Jesuiten zur Seite hin und flüsterte müde wie im Traum: »Jetzt sind sie vernichtet; nun liegen sie zertrümmert! Nur der bleibt, den ich Ihnen verdanke, – der fünfte – der Glaube!«
Der Jesuit faßte die Hand des Barons und drückte sie an seine Lippen.
»So nimm«, sprach er, »aus den Händen des Unwürdigen den Segen unseres heiligen Vaters, dessen starke Fürbitte dieses Wunder wohl gelingen ließ. Von ihm gesandt, empfange heut', am Tage der Genesung, dies geweihte Kreuz.«
Er zog aus der Busenfalte seines Gewandes einen geweihten Rosenkranz. Aber der Kranke hob den Kopf nicht. Der Jesuit hielt das heilige Geschenk geduldig hin.
Nun wandte der Kranke sein Gesicht, faßte den Rosenkranz, sah ihn staunend an und riß ihn förmlich vor's Gesicht. Seine Augen öffneten sich weit, sie rollten wild hin und her, vom Jesuiten zu dem Rosenkranz und vom Rosenkranz zu dem Jesuiten, der, bleich wie Marmor, mit geschlossenen Augen dastand.
Ein Schrei jähen Schmerzes entrang sich der Brust des Barons. »Hedwig!« rief er und sank in den Stuhl zurück. Er preßte den Rosenkranz an die Lippen und richtete seine Augen fragend auf den Jesuiten?
»Frage nicht, murmelte dieser, glaube nur!«
Der Kranke aber zog den Rosenkranz immer und immer wieder an seine Lippen.
Nun erst konnte ich erkennen, daß es ein Rosenkranz von außergewöhnlicher Beschaffenheit war. Das kleine Crucifix hing, statt an einer Kette von Rosenholzperlen, an einem Frauenhalsband von Korallen. An der Spange, die den zierlichen Verschluß bildete und an der sonderbaren Abwechslung großer und kleiner Steine sah ich es deutlich, es war das Halsband meiner schönen Wiesbadener Freundin – Hedwigs, der Geliebten des Barons.
»Auch ich will Ihnen Lebewohl sagen!« rief mir andern Tages der Jesuit entgegen, als ich nach einem letzten Blick aus des Doctors gastliches Dach den kleinen Laubweg nach der Station einschlug.
Unwille stieg mir zum Haupte, als ich nun mein Vorhaben, den unheimlichen Menschen beim Abschied zu vermeiden, vereitelt sah.
Ich antwortete gleichgültig und kühl etwas Höfliches.
»Und von Tegern? – haben Sie von ihm Abschied genommen?« fragte er neugierig.
»Ich habe«, erwiderte ich.
»Finden Sie ihn verändert?«
»Ich finde ihn so.«
»Sehen Sie«, erzählte er, »an ihm ist mir ein Wunder gelungen! – Schade, daß Sie es nicht gesehen haben. Sie würden sonst zugegeben haben, daß man große Wunder thun kann« – er zögerte eine Weile und fuhr dann, sich in vertraulichem Flüstern dreist an mein Ohr drängend, leise fort – »ohne an andere zu glauben, als an die des eignen Herzens.«
»Ist es auch ein Wunder des eigenen Herzens gewesen, daß Sie so besorgt um sein Wohl an die Fersen dieses Kranken heftet?« fragte ich, ihn fest ansehend.
»Ja«, antwortete er, »es war nach schwerer Schuld das Wunder – des Gewissens. Das ist ein Wunder, an das auch »liberale« Menschen glauben müssen.«
»Es giebt noch andere Wunder, an die man glauben muß« – entgegnete ich, zog meine Brusttasche und überreichte ihm mit absichtlich harter Bewegung das Korallenkreuz von Hedwigs Kette.
Er betrachtete es, begann zu zittern, ließ es zu Boden fallen und umfaßte, von Schrecken gelähmt, den nächsten Baum.
Ohne Gruß schied ich von ihm. Er sah mir sprachlos staunend nach. –