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Auf dem figurenreichen Gruppenbild, welches die Vertreter der modernen deutschen Litteratur darstellt, zeigt sich in den ersten Reihen auch ein markanter Kopf mit hoher Stirn und freundlichen Augen, aus denen Wohlwollen und Güte hervorschaut. Ein alter Freund ist's, allen bekannt, die mit der neueren Belletristik des Vaterlandes auch nur halbwegs vertraut sind, einer der in den gelesensten Zeitschriften zum ständigen Gast, um nicht zu sagen Hausfreund, geworden ist. Er nennt sich Max Ring.
Max Ring schafft mit bewunderungswerter Leichtigkeit und Vielseitigkeit und eine Probe seines Schaffens dürfte in den blauen Bänden der »Collection Spemann« nicht fehlen, die eine Musterkarte der Litteratur sein möchte, auf der keine Nüance fehlt. Es sind zwei Herzensgeschichten, die er hier bietet, aus dem Leben der Frau und ihrem Empfinden geschöpft und auf den Hintergrund gut getroffener gesellschaftlicher Zustände gezeichnet, Geschichten die seine glückliche Beobachtungsgabe aufs neue beweisen. Gerade diese Beobachtungsgabe, verbunden mit der sicheren Trefffähigkeit des darstellenden Künstlers, ist es, die den meisten Romanen unseres Schriftstellers ihren Wert gibt. Ring versteht es, seine Zeit mit den richtigen Augen anzusehen und aus dem Chaos der Erscheinungen das Charakteristische herauszugreifen, die herrschenden Gesetze zu erkunden, das Allgemeine typisch zu vertiefen und das Typische dann wieder zu individualisieren. Die Sittenschilderung ist seine eigentliche Domäne, der Zeitroman seine ureigene litterarische Heimat. Wenn wir Rings litterarische Thätigkeit näher betrachten, so finden wir, daß er den Roman am meisten kultiviert hat und zwar den historischen, der auf Grund von Studien eine vergangene Welt zu neuem Leben erweckt, und neben dem historischen den ihm verwandten Zeitroman, in dem die bewegte Gegenwart auf Grund eigener Anschauungen zu einem Bilde zusammengefaßt wird. Steife Erfahrungen und Lebensanschauungen, sittlicher Ernst und philosophische Durchbildung erheben Rings Darstellungen über das Niveau der gewöhnlichen Unterhaltungslektüre, und selbst da, wo ihm eigene Schaffenslust oder der unwiderstehliche Strom schnell dahin hastenden Lebens zu leichterer Behandlung und größerer Fruchtbarkeit bestimmt hat, als sonst dem Talente gut und dienlich ist.
Seine historischen Romane gehören sehr verschiedenen Sphären und Zeiten an, aber mit wenigen Ausnahmen darf man auf sie ein Wort Scheffels über den historischen Roman überhaupt anwenden: »ein Stück Geschichte in der Auffassung eines Künstlers, der im gegebenen Raume eine Reihe Gestalten scharf gezeichnet und farbenhell vorführt, also daß im Leben, Ringen und Leiden des Einzelnen zugleich der Inhalt des Zeitraums sich wie zum Spiegelbilde zusammenfaßt«. Von den früheren historischen Romanen Rings, die mit den »Kindern Gottes« (1851) begannen, in welchem Werke die Mätressenwirtschaft König Augusts geschildert wird, ist der beste »John Milton und seine Zeit« (1857), während der »große Kurfürst und der Schöppenmeister« (1852) weniger anspricht. Der Mensch und Dichter, der Staatsbürger und der Publizist kommen in »Milton und seine Zeit« gleich sehr zur Geltung und frisch und lebendig tritt dem Leser die Zeit Miltons entgegen: die Gesellschaft des Hofes, die Eigenart der Bauern, Frivolität und Strenge, zartes Empfindungsleben und gehässiges Parteigetriebe. Später folgten »Rosenkreuzer und Illuminaten« (1861) und »Sand und seine Freunde« (1873). In diesem Roman wird die alte Burschenschaft höchst anziehend geschildert, Sands seltsames Wesen mit größter Feinheit dargestellt und das Erfundene mit dem Historischen überaus geschickt verbunden. Seine bedeutendste Leistung aber auf dem Gebiet des historischen Romans bot Ring in dem Romane »Das Haus Hillel« (1879), dessen Handlung die Zeit von dem Aufstand der Juden gegen den Prokurator Florus bis zum Triumphe des Vespasianus und Titus umfaßt. Den Mittelpunkt des Interesses bilden die Geschicke Ruben den Schebnahs, eines jungen babylonischen Juden, in Anspruch, der in Hillels Haus kommt und zu der schönen Tochter desselben, Mirjam, in Liebe entbrennt. Darum gruppieren sich eine Fülle der gelungensten Schilderungen von warmem Kolorit: Jerusalem, Olympia und Rom tauchen vor den Blicken auf; Neros Auftreten in den Spielen, die Erstürmung Jerusalems, der jüdische Gottesdienst am Versöhnungstag, das Wagenrennen in Olympia, die Gladiatoren- und Tierkämpfe in der Arena, der Triumphzug des Vespasian und Titus, das und vieles andere sind Bilder von unwiderstehlicher Wirkung, groß und tief. Auch die Schilderung verschiedenster Charaktere, namentlich jüdischer, feiert hier ihren Triumph.
Der erste der Zeitromane Rings ist für das heutige Geschlecht wohl auch ein historischer. »Berlin und Breslau« (1849) lautet sein Titel und sein Stoff ist aus der 48er Revolution genommen. Auf ihn folgten »Verirrt und erlöst« (1855), worin die Liebe der Aristokratin zu einem Färbermeister geschildert wird; »Eine arme Seele« (1859) und »Ein verlorenes Geschlecht« (1867), letzteres eines der besten Werke Rings, dessen Schauplatz Schlesien ist und dessen Tendenz den Beweis des Satzes erstrebt, daß dem Bürgertum die Zukunft gehöre. Die Zukunftsmusiker schildert Ring in dem Roman »Fürst und Musik« (1869), allerdings nicht ohne die Voreingenommenheit, deren Fehlen ihn sonst als Schilderer seiner Zeit auszeichnet; überhaupt ist dieses Werk eines seiner schwächeren. Weit glücklicher ist er in der folgenden Schöpfung: »Götter und Götzen« (1870), die den Gegensatz zwischen Strebern nach materiellen Vorteilen und solchen Menschen zeigt, die ein ideales Ziel vor Augen haben. Hier ist alles von verständlicher Wahrheit, klar und einschneidend gekennzeichnet und zum Teil mit köstlichem Humor behandelt, der das Gesagte um so eindringender macht. In demselben Jahre wie »Götter und Götzen« erschien »Die Weltgeschichte ist das Weltgericht oder Louis Napoleon Bonaparte«, 1871 »Seelenfreunde«, vier Jahre später »Der große Krach«, dann »Unfehlbar«, 1877 »Der Lügner« und 1880 »Goldene Ketten«. »Seelenfreunde« treten dem Problem nahe, ob eine ideale Freundschaft zwischen Mann und Frau außerhalb der Ehe bestehen könne, kommen aber zu einem verneinenden Resultat. »Unfehlbar« predigt den Frieden und behandelt natürlich einen kirchlichen Konflikt, der durch die Energie der Regierung zum Ende geführt wird, daneben einen Familienzwist, in dem die Liebe Siegerin bleibt. Das Hauptgebrechen unserer Zeit, die Lüge, oder besser die Verlogenheit, legt Ring in seinem »Lügner« mit außergewöhnlicher Kraft und sittlichem Ernst bloß. Gerade an diesem Werk erkennt man recht die Vertrautheit des Schriftstellers mit dem menschlichen Herzen. »Goldene Ketten« enthalten die Geschichte eines jungen Mädchens, das von der trügerischen Meinung, Glück im Hofleben zu finden, befreit wird.
Außer seinen Romanen hat Ring noch vieles andere geschrieben, so einige Lustspiele wie »Scarrons Leben«, »Alle spekulieren« und »Unsere Freunde«, auch »Gedichte« (1840), »Erzählungen« (1869), »Reisebilder« (1870), »Berliner Bilder« (1882) und sehr ansprechend erzählte »Stadtgeschichten« (1852, 1858 und 1865). Der beste Teil seiner Produktion aber war immer und wird immer sein der Roman. –
Bevor sich Ring der litterarischen Thätigkeit ausschließlich widmete, war er Arzt. Geborener Schlesier (geb. 22. Juli 1817 zu Zauditz bei Ratibor als Sohn eines Landwirts), besuchte Ring die Berliner Universität, trieb aber schon damals neben seiner Fachwissenschaft philosophische und litterarhistorische Studien. Noch näher trat er der Litteratur, als er in Berlin seine Studien fortsetzend, hier mit Alfred und Ottomar v. Behr, Moritz Carrière, H. B. Oppenheim u. a. in Berührung kam und in den Kreis Bettina von Arnims Eingang fand. Aber zum Ausgeben des einmal gewühlten Berufes konnte sie ihn damals noch nicht bestimmen und nachdem er kurze Zeit als Privatdozent in Berlin gewirkt hatte, ließ er sich nach dem Tode seines Vaters als praktischer Arzt in Pleß, dann in Gleiwitz, 1849 endlich in Breslau nieder, wo er seine ersten Romane veröffentlichte. Seit 1851 wirkte Ring in Berlin, wo ihn nun Th. Mundt und Th. Mügge zuerst in die litterarischen Kreise der Residenz einführten, mit einer bis auf den heutigen Tag frisch gebliebenen Schaffenskraft, die nur in den 60er Jahren, als ihn schwere Krankheit befiel, in etwas gehemmt wurde.