Rainer Maria Rilke
Worpswede
Rainer Maria Rilke

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Otto Modersohn

Maler, geb. 22. Februar 1865 Soest, studierte 1884/88 in Düsseldorf (Dücker) 1888 in München, 1888/89 in Karlsruhe (Baisch), lebte 1889 bis 1908 in Worpswede. 1901 Heirat mit Paula Becker. Seit 1908 in Fischerhude ansässig. Malt hauptsächlich Landschaften, gelegentlich auch Figurenbilder und Bildnisse. Starb am 10. März 1943 in Rothenburg.

Ein bekannter Kritiker schrieb am 15. Oktober 1895: »Der Erfolg, den die Maler von Worpswede auf der heurigen Jahresausstellung im Münchener Glaspalast errangen, hat in der Geschichte der neueren Kunst nicht seinesgleichen. Kommen da ein paar junge Leute daher, deren Namen niemand kennt, aus einem Ort, dessen Namen niemand kennt, und man gibt ihnen nicht nur einen der besten Säle, sondern der eine erhält die große goldene Medaille und dem anderen kauft die Neue Pinakothek ein Bild ab. Für den, der irgend weiß, wie ein Künstler zu solchen Ehren sonst nur durch langjähriges Streben und gute Verbindungen kommen kann, ist das eine so fabelhafte Sache, daß er sie nicht glauben würde, hätte er sie nicht selbst erlebt. Niemals ist eine Wahrheit so unwahrscheinlich gewesen.«

Diese unwahrscheinliche Wahrheit war vor allem Otto Modersohn. Er war mit nicht weniger als acht Bildern vertreten, acht rasch hintereinander gemalten Bildern, in denen alles Glanz, Klang und atemraubende Bewegung war . . . Aber man sah auf den ersten Blick, daß sie ein Mensch in sich trug, ein schauender Mensch mit einer weiten Seele, in der alles Farbe und Landschaft wurde. Man stand vor Erlebnissen. Es waren confessions, was da gegeben war. Bekenntnisse in Versen, in breiten, langzeiligen, rauschenden Versen. Die Sprache war neu, die Wendungen ungewöhnlich, die Kontraste klangen aneinander wie Gold und Glas. Man hatte ähnliches nie gesehen, man war beunruhigt, betroffen, ungläubig. Bis jemand den Namen Böcklin aussprach. Freilich, jeder behauptete, diesen Namen auf der Zunge gehabt zu haben; Böcklin: damit war alles gesagt. Einige Vorsichtige aber meinten: Nein, nicht alles. Und heute fühlt man sogar: nichts.

Nein, es war wirklich nichts damit gesagt. Ein bekannter Name war neben einen unbekannten gestellt worden. Nun standen sie zum ersten Male nebeneinander. Und? Und die Bilder des Unbekannten waren erklärt, mit Etikette versehen, chronologisch eingeordnet. Und? Und man konnte das Weitere ruhig abwarten. – Von diesem Weiteren wird hier die Rede sein.

 

Es genügt, kurz zu notieren, daß Otto Modersohn, neunzehn Jahre alt, Münster verließ und die Akademie in Düsseldorf bezog, wo er vier Jahre arbeitete. Daß er dort eine liebevolle Teilnahme bei Professor Dücker und Fritz Mackensens Freundschaft gewann und mit ihm und Alexander Hecking im Jahre 1888 nach München kam. In München sah er Böcklins »Meeresstille« und das kleine, schmeichelnd weiche Bild in der Schackgalerie lange an, ging aber dann für ein Jahr zu Professor Baisch nach Karlsruhe, wo er ebenso unbefriedigt blieb wie früher in Düsseldorf. Das Resultat dieser letzten Jahre lautet, kurz zusammengefaßt: es muß anders werden. Und nun ist zu erzählen, wie es anders wurde, ganz anders.

Worpswede begann; es ist schon gesagt worden wie. Es war von jenem Herbst die Rede, da drei junge Maler auf einer Brücke standen und nicht Abschied nehmen konnten; von dem Winter, der da kam mit langen Abenden und Gesprächen und mit Büchern, die man fürs Leben liebgewann; von dem anderen Winter in Hamburg und davon, daß keiner recht beginnen konnte. Auch für Otto Modersohn war es nicht leicht anzufangen. Wohl war ein Wunder geschehen. Eines von jenen Wundern, die geschehen müssen in jedem Künstlerleben, damit es sich ganz entfalten könne. Eine Sprache war ihm gegeben worden, eine eigene Sprache . . . Aber nun lag die eigentliche Arbeit erst vor ihm. Er fühlte es vielleicht in den ersten Wochen schon, daß hier in der seltsamen, geheimnisvoll reichen Natur Worpswedes seine Sprache auf ihn wartete, er begegnete auf seinen Wegen tausend Ausdrücken für tausend Erlebnisse seiner Seele und er erkannte sie auf den ersten Blick. Hier war ein Land, mit dessen Dingen er sich sagen konnte. Hier waren Morgen voll Hoffnung und Heiterkeit und Nächte voll Sterne und Stille. Tage brachen an, in denen Unruhe war, Wucht und Sturm und die Ungeduld junger Pferde vor dem Gewitter. Und wenn es Abend wurde, so war eine Herrlichkeit in allen Dingen, gleichsam ein flutendes Überfließen, wie bei jenen Fontänen, bei denen eine jede Schale sich füllt, um sich rauschend in eine tiefere zu ergießen. Und immer, wenn dieser Überschwang verklungen war, kam eine Stunde, die noch nicht Nacht war und nicht mehr Tag. Der Glanz war noch da, aber er blendete nicht mehr. Er lag still an die Dinge geschmiegt und schien aus ihren Poren auszuströmen in die lautlos dunkelnde Luft. Eigentümlich vereinfacht waren die Konturen der Bäume; alles Kleinliche war von ihnen genommen. Und die Nachtigall, die in ihnen zu schlagen begann, erhob ihre Stimme; und ihre Stimme ging über die Ebene hin, als ob es die Stimme eines großen Vogels wäre.

Erinnerungen stiegen auf. Erinnerungen an Kirchen und Gärten, Könige und Kinder von Königen. Hier war alles wiedergefunden, was einmal so lieb und nahe und wichtig war; und alles war hier an jeder Stelle. Man mußte nicht mehr von einem zum anderen gehen, von der Kirche in den Garten und vor die Stadt und in den Rathaussaal. Dieses Land hatte keine Historie gehabt. Aus langsam sich schließenden Sümpfen war es aufgewachsen, und die Leute, die sich, arm und elend, darin niederließen, hatten keine Geschichte. Und doch schien alle Vergangenheit und die Pracht aller Vergangenheit irgendwie darin enthalten zu sein. Als hätte man ein farbiges Zeitalter zerstampft und dann in die Sümpfe verrührt, aus denen diese Welt entstanden war. Der Boden war schwarzbraun, fast schwarz, aber er konnte sich dem Rot zuneigen oder dem Violett, einem Rot und einem Violett, wie es nur in alten Brokaten gleich schwer und leuchtend zu finden war. Oft war er weithin mit Heide überzogen, und das gab ihm eine rauhe Oberfläche, die bald stark farbig, bald verblichen schien und fleckig, hell und dunkel, wie ungleichmäßig aufgekämmter Sammet. Und neben der Heide stand in weiten Streifen ein weiches, wehendes Gras, blaß, blond, immer bewegt, und ohne Glanz. Im Herbst vor allem war es so. Die Birken standen da und konnten, gleich weißverkleideten Heiligen, das Licht kaum unterdrücken, das in ihnen war. Ihre Stämme enthielten alles Weiß der Welt, nach geheimnisvollen Gesetzen geordnet. Da war das Weiß der Lilien, in dem immer etwas vom Mondschein schimmert, da war das schattige Weiß, wie es im menschlichen Auge ist, und das rötliche, gleichsam erregte Weiß mancher Rosenblätter. Da waren Weiße, die nie jemand gesehen hatte, und die man nicht nennen konnte; so besonders waren sie. Und wenn man zu Füßen der Birke nur ein wenig die Erde hob, so sah man Wurzeln, gekleidet in ein großes, rauschendes Rot, das Rot mächtiger Könige, das Rot Tizians und Veroneses. Und man hatte das Gefühl, als müßte man nur irgendwo die schwankende Kruste dieses Landes aufreißen, um die Farben aller Feste und den Glanz urweltlicher Sommertage an die hundert Wurzeln gebunden zu finden. Aber wenn man ein Stück weiterging und an den Schiffgraben trat, in welchem regloses Wasser lag wie ein Spiegel aus dunkelblauem Stahl, da konnte man auch denken, daß unter allem, unter Wiesen und Wegen und Hainen, derselbe gläserne Abgrund stand, in den eine buntdunkle Welt schwer und hilflos hinunterhing.

Dieses Wunder war geschehen. Der Seele eines jungen Malers war dieser Wortschatz gegeben worden, damit sie sich sage. Aber bei den ersten Versuchen erwies es sich schon, daß es vor allem nötig war, diese Sprache zu erlernen, still und nüchtern zu erlernen mit dem Buche in der Hand, Gesetz für Gesetz. Wohl war die Sprache da, aber er beherrschte sie nicht. Wie eine Kette mit edlen Steinen lag sie vor ihm, aber er vermochte nicht, sie zu tragen. Und so ging er denn hinaus Tag für Tag in die Natur, schrieb ihre großen Worte nach und ihre kleinen, und ihre ganz kleinen Worte, streng, gewissenhaft, ohne auch nur an einer Silbe zu rühren. Das war Grammatik. Und langsam konnte man zur Syntax übergehen, im Winter. Da lagen in der niederen Stube Otto Modersohns Schmetterlinge, aufgeschlagen wie Bücher. Er las auf ihren Flügeln und in den Federn von Vögeln wie in einem Kompendium der Farbenlehre. Das waren keine trockenen Lehrbücher. Einfach und reich zugleich war ihr Stil, voll von Beispielen und Gleichnissen. Und dann sah er gepreßten Pflanzen zu, wenn sie vertrockneten. An Stelle der frischen Farben traten welke, stumpfe, Farben der Erinnerung statt der Farben des Lebens. Rot dunkelte fast zu Schwarz, Blau verblich wie an der Sonne und alle Grüns nahmen eine bräunliche, dauerhafte Färbung an, die sich nicht mehr veränderte. Aber trotz dieses Wechsels ging die Harmonie nicht verloren. Jeder Ton schien vom anderen zu wissen, und nach dem Schwanken einiger Verwandlungen trat ein neues Gleichgewicht ein, ebenso eigentümlich, geheimnisvoll und reich wie die Melodie des Lebens war. Jahre vergingen so, ganz mit Lernstunden angefüllt, und wenn etwas diese Jahre verdüsterte, so war es die Ungeduld dessen, der sich danach sehnte, in der Sprache zu dichten, die er eben richtig zu schreiben begann. An manchen Stellen prägte sich auch, durch den herben Ernst des Lernenden hindurch, das linde Lächeln des Dichters ahnend aus. Es gibt eine Studie aus dem Jahre 1893, ein gewissenhaftes Diktat nach der Natur, das doch (man kann nicht sagen weshalb) wie ein Gedicht anmutet. Da sieht man eine kleine Wiesenschlucht, in der ein Rest Wasser steht, glanzlos hell. Weiden rings herum. Von der Höhe des Hanges aus dem grauen, zerstreuten Licht, ist ein Mädchen heruntergekommen und steht nun vorgebeugt, nahe am Wasser. Ihre rote Jacke leuchtet, von der Dämmerung vertieft, aus dem gedämpften Silbergrün dieses stillen Bildes.

Aber es kommen auch wieder Zeiten der Zagheit und des Zweifels, Zeiten, wie sie jeder Lernende durchmacht, wo die Aufgabe unermeßlich scheint und kaum noch begonnen. Als Reaktion einer solchen Zeit sind jene acht Bilder zu betrachten, welche in München, im Glaspalast von 1895, so großes Aufsehen erregten. Sie zeigen nicht nur eine gewisse sichere Beherrschung der Sprache, es hat auch schon der Prozeß einer bestimmten Stilbildung seinen Anfang genommen, die nun von Bild zu Bild fortschreitet, zugleich mit einer fast täglichen Erweiterung des Wortschatzes und der Fähigkeit, ihn immer unbewußter zu gebrauchen. Denn dieser weite, weite Weg mußte gegangen werden: durch das klare und starke Bewußtwerden jeder Silbe hindurch zum Wiedervergessen, d. h. zum unbewußten, naiven Gebrauchen der erworbenen Werte. Es wäre gewiß schwer für Modersohn nach Jahren so absichtsvoller Arbeit, jene unbewußten Wege wiederzufinden, auf denen seiner Kunst (wie jeder Dichterkunst) das Tiefste kommen muß. Vielen sind sie zugewachsen, während sie an der Natur hingen. Bei ihm aber kam von da, an jedem Abend fast, die Lust zu kleinen Blättern, zu Blättern, handgroß, die er, hingegeben an den Willen seines Stiftes, zeichnete, ohne daran zu denken, daß er es tat. In diese Zeichnungen strömte immerfort das Innerste, Intimste, das, was er in den Bildern noch nicht zu sagen wagte; in einer aus schwarz und rot geflochtenen Dämmerung lebt hier seine Welt, wie die Rose in der Knospe lebt, mit angehaltenem Atem, dunkel und gedrängt. Diese Blätter sind, gleichsam über alle Worte weg, aus dem Geiste jener Sprache gemacht, nach deren Besitz er rang und ringt. Wenn das andere ein redliches Gehen war, sind sie ein Flug und Schuß nach demselben Ziel. Je vollkommener und naiver aber der Ausdruck in seinen Bildern wird, desto mehr empfangen auch sie vom Geiste der Sprache, in der sie geschrieben sind, desto mehr nähern sie sich dem Wesen jener Blätter, wie sich die Menschen vielleicht, je reifer sie werden, immer mehr ihren Seelen nähern, bis sie endlich, an einem Höhepunkte des Lebens, mit ihnen eins werden. So gehen auch hier zwei Wege einer seltsamen, und man kann sagen, selten schönen künstlerischen Entwicklung aufeinander zu, um, vielleicht sehr bald, ineinander zu fließen. Erst wenn eine solche Vereinigung erfolgt sein wird, wird man diesen Dichtermaler kennen, wie er jetzt schon im Dunkel jener kleinen Blätter, die sich nicht vervielfältigen lassen, lebt und wie seine besten Bilder ihn versprechen. Die Zahl dieser Bilder ist sehr groß. Aber man tut ihnen ein Leides, wenn man sie beschreiben will. Dieser Adept des Abends hat wundervolle Dämmerungen gemalt, Dämmerungen, die auf den Vließen der Schafe zittern, Dämmerungen, die sich im Wasser spiegeln, tiefe, stille Dämmerungen um irgendeine einsame Gestalt. Mit ein wenig Weiß stellt er manchmal ein Mädchen in seine Mondaufgänge, und man sieht sie stehen und schimmern, wie man Regine sieht in der kleinen verwandten Landschaft von Theodor Storm:

Und webte auch auf jenen Matten
Noch jene Mondesmärchenpracht,
Und stünd' sie noch in Waldesschatten
Inmitten jener Sommernacht;
Und fänd' ich selber wie im Traume
Den Weg zurück durch Moor und Feld,
Sie schritte doch vom Waldessaume
Niemals hinunter in die Welt.

Und doch genügte es nicht, ihn den Maler der Dämmerung zu nennen. Es gibt Abende von ihm, die wie auf Mahagoni gemalt sind, und Morgen, voll Frühling und Frische, und schattige Tage mit weiten, sonnigen Fernen.

Er hat es auch selbst einmal gesagt: »Das Kräftigste, Leuchtendste, Üppigste, wie das Zarteste, Lindeste, Feinste, – das Düstere, Tiefe, Satte, wie das Lichte, Heitere: Rauschen und Säuseln, Gold und Silber, Sammet und Seide, alles, alles liegt mir am Herzen.«

Und alles das, was ihm am Herzen liegt, enthält die rätselhafte Natur dieses Landes. Das Starke und das Stille hat Ausdrücke in ihr, für »Rauschen und Säuseln, Gold und Silber, Sammet und Seide« gibt es viele, unvergleichlich klingende Namen. Und die Worte, die für das Starke sind, lassen sich immer noch steigern und steigern, bis sie das Stärkste bedeuten, das man ertragen kann, und das, was Stilles besagt, klingt, mit der Sordine genommen, stiller denn Stille. Kontraste sind da. Es kommen Zeiten in diesem Lande, wo die Winde nicht aufhören und so gewaltig sind, daß die Tage kaum Zeit haben zu sein; denn die Winde, die aus dem Westen gehen, reißen den Abend herbei, der unerwartet früh, wie ein Gewitter, über die Weiten stürzt. Und in der Nacht, wenn der Sturm zu Stürmen wird, die, so breit wie die Welt, über die Moore kommen, rollen, jagen und sich überschlagen, da können die in den Häusern meinen, das Meer sei wieder da und nehme sein altes Bereich brausend in Besitz. Und daneben gibt es Tage und Nächte, wie sie manchmal zwischen Bergen sind, beinahe starr vor Reglosigkeit, mit aufrecht stehender Luft und Wässern, ruhiger als Spiegel. Oder man geht über die Heide hin, die sich bunt und brach stundenweit auszudehnen scheint, von gebückten Bäumen unterbrochen, deren Dasein in einsamer Vergessenheit vergeht. Und plötzlich heben, wie die Strophen eines Gedichts, Parkwege an, rhythmisch angelegt und mit einer gewissen graziösen Müßigkeit Halbkreise beschreibend zu dem nächsten Platze hin, statt gerade auf ihn zuzugehen. Man entdeckt Spuren einer vergangenen Gartenkunst an den Hecken, die wie Leute, welche in ihrer Jugend bei Hofe verkehrten, einen halbvergessenen Anstand zur Schau tragen, dessen sie sich gerne erinnern, man findet Stellen, wo einmal zierliche Brücken ihren Sprung über ungefährliche Bäche ausführten, und entlegene Orte, an welchen Altane gestanden haben mögen, verschwiegen, und von scheinbar absichtslosen Pfaden leise aufgespürt.

Oder es tut sich hinter einem Haus mit einemmal unvermutet eine Weite auf, in der, groß und geräumig wie sie ist, Häuser und Bäume und Baumgruppen mit Verschwendung verteilt sind, so daß man dieser Ebene, deren Wege so endlos sind, keinen Namen zu geben wagt. Zeit und Zufall scheint von ihr abgetan und man glaubt die Länder der Erde zu sehen und den Schatten Gottvaters über stillen, weithin weidenden Herden.

Es ist nichts unmöglich in diesem Land. Und auch das Unwahrscheinliche empfängt von der Fülle der Himmel die Gegenständlichkeit und Wahrhaftigkeit wirklicher Dinge. Diese Himmel enden mit jenem Kreis, an dem die Gestirne sich halten und die Regen, ehe sie niederfallen; aber sie beginnen hier, unter uns. Sie ruhen auf jedem Blatt, sie liegen auf den Haaren und in den Händen der Kinder, sie stützen sich nachdenklich auf alle Dinge.

So Mächtiges – Worte für fast Unsagbares – enthält dieses Land, die Sprache Otto Modersohns. Und es ist zu sehen, daß er sie immer mehr als Dichter gebraucht. Schon kennt er sie so genau, daß er zu wählen weiß unter ihren Werten; immer mehr strebt er danach, nur das Wichtige zu geben, das Große, das Tiefnotwendige. Dichtung ist Auswahl. Und wenn alles Wichtige da ist, dann bindet eines das andere mit der magnetischen Kraft der Massen und es fügt sich von selbst, d. h. nach seinen eigenen Gesetzen zu einer einheitlichen, nirgends offenen Form. Diese organisch erwachsene Form bringt zwei Wirkungen mit sich: Stille und Intimität nach innen, und nach außen hin jene volle dekorative Deutlichkeit, die das Bild erst zum Bilde macht. Das dekorative Element rechnet aber nicht nur mit der Form, es bedarf vor allem der Farbe. Wie breit dieser Maler das Wesen der Farbe faßt, ist schon geschildert worden. Was der Rembrandt-Deutsche gesagt hat, erkennt er an. Auch ihm gilt Huhn, Hering und Apfel für koloristischer als Papagei, Goldfisch und Orange. Aber es liegt für ihn keine Beschränkung darin, nur ein Unterschied. Nicht das Südliche will er malen, das seine Farbigkeit immer im Munde führt und mit ihr prahlt. Dinge, die innerlich voller Farbe sind, das was er mit einem unübertrefflichen Worte »die geheimnisvolle Farbenandacht des Nordens« nennt, hält er für seine Aufgabe. Man wird diese Aufgabe noch schätzen lernen und den nicht übersehen können, der sein Leben darangesetzt hat, sie zu lösen. Es ist ein stiller, tiefer Mensch, der seine eigenen Märchen hat, seine eigene, deutsche, nordische Welt.


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